Erläuterungen zum Begriff der charakteristischen Masse in den DIN-Normen für Feuerwehrfahrzeuge

Die Seite wird erstellt Julian Hesse
 
WEITER LESEN
Erläuterungen zum Begriff der charakteristischen Masse in den DIN-
Normen für Feuerwehrfahrzeuge

Seit einigen Jahren wird in den DIN-Normen für Feuerwehrfahrzeuge der Begriff
„charakteristische Masse“ verwendet. Die Einführung des Begriffs der „charakteristischen
Masse“ hat den Anwendern und Herstellern einen großen Freiraum für eine mögliche
Massenreserve eingeräumt und damit in einem bisher kritischen Punkt die
Feuerwehrfahrzeugnormen sehr stark liberalisiert. Es liegt nun an allen Beteiligten, den
gewährten Freiraum sinnvoll zu nutzen. Weil es bei der Verwendung dieses Begriffs zu
unterschiedlichen Interpretationen gekommen ist, sollen nachfolgend über dessen
Bedeutung sowie die Hintergründe, die zur Aufnahme der charakteristischen Masse in den
Normen geführt haben, einige Erläuterungen gegeben und damit nachfolgende häufig
gestellte Fragen (FAQ) beantwortet werden.

Warum wurde im DIN-FNFW der Begriff der charakteristischen Masse eingeführt?

Unter anderem wegen der steigenden Anzahl von Ausnahmeanträgen (Abweichungen von
normativen Festlegungen), auf dessen Gründe hier nicht eingegangen wird, wurde in
Abstimmung mit dem Lenkungsausschuss (LA) des DIN-FNFW vom AFKzV (Ausschuss
Feuerwehrangelegenheiten, Katastrophenschutz und zivile Verteidigung des AK V der
ständigen Konferenz der Innenminister) ein Bedarfskonzept der Fahrzeuge für die
Feuerwehren aus Sicht der Länder erarbeitet. Das Konzept wurde mit dem Bericht
"Grundsatzdiskussion über die Normung von Feuerwehrfahrzeugen" vorgestellt. Der
Lenkungsausschuss (LA) des DIN-FNFW hat daraufhin den FNFW-Fachbereichsausschuss
NA 031-04 FBR (ehemals FBA 192) beauftragt, dieses vorgelegte Papier für die künftige
Normungsarbeit richtungsweisend umzusetzen. Im FNFW-Fachbereichsausschuss
NA 031-04 FBR wurde der Bericht unter Mitwirkung von Vertretern des AFKzV beraten. Auf
Grundlage dieses Länderkonzepts wurde im Konsens die "FNFW-Feuerwehrfahrzeug-
Typenliste" (siehe Bild 1) erstellt, in der alle Feuerwehrfahrzeugtypen enthalten sind, für die
im DIN-FNFW Normen erarbeitet wurden bzw. noch zu erarbeiten sind. Die FNFW-
Feuerwehrfahrzeug-Typenliste kann auch auf der Internetseite des DIN-FNFW
(http://www.fnfw.din.de) eingesehen werden.
-2-

ANMERKUNG: Mit dem Erscheinen von DIN EN 14043 und DIN EN 14044 ist Ende 2005 zu rechnen.

                     Bild 1 ─ FNFW-Feuerwehrfahrzeug-Typenliste

Zu jedem genormten Feuerwehrfahrzeug sind in der Typenliste dessen charakterisierenden
Eigenschaften aufgeführt.
Eine dieser charakterisierenden Eigenschaften ist die charakteristische Masse. Die
Einführung des Begriffes der „charakteristischen Masse“ soll entsprechend der nachfolgend
aufgeführten Definition dem Anwender bezüglich der Massenreserven für die Beladung nach
ortsspezifischen Bedürfnissen einen möglichst großen Freiraum belassen. Damit ist die
Erwartung verbunden, dass die Anzahl von Ausnahmeanträgen reduziert wird.

Wie ist der Begriff „charakteristische Masse“ definiert?

In E DIN 14502-2, „Feuerwehrfahrzeuge - Teil 2: Zusätzliche Festlegungen zu
DIN EN 1846-2 und DIN EN 1846-3 (Vorschlag für eine Europäische Norm)“ sowie den
einzelnen Fahrzeugnormen ist der Begriff der charakteristischen Masse wie folgt definiert:
     charakteristische Masse
     Masse des einsatzbereiten Fahrzeugs, das           den   Mindestanforderungen    der
     typspezifischen Norm entspricht, einschließlich
     ─ Art und Umfang der mindestens geforderten technischen Einrichtung und Beladung,
     ─ der Mannschaft,
     ─ und gegebenenfalls dem Löschmittelvorrat,
     zuzüglich einer Massenreserve von mindestens 3 % der charakteristischen Masse für
     Zusatzbeladungen nach örtlichen Belangen, wobei die charakteristische Masse die
     zulässige Gesamtmasse des verwendeten Fahrgestells nicht übersteigt.
     ANMERKUNG 1 Die gegebenenfalls bestehende Differenz zwischen charakteristischer Masse
     und zulässiger Gesamtmasse des verwendeten Fahrgestells kann für weitere
     Zusatzbeladungen nach örtlichen Belangen genutzt werden.
-3-

     ANMERKUNG 2 Bei den einzelnen Beladungsgegenständen werden marktübliche Massen zu
     Grunde gelegt.
     [E DIN 14502-2:2004-04]

Was bedeutet die Anwendung des Begriffs „charakteristische Masse“ in der Praxis?

Dies soll am Beispiel des aktuellen Norm-Entwurfs E DIN 14530-17:2005-09 für das
Tragkraftspritzenfahrzeug TSF-W erläutert werden.
Im genannten Norm-Entwurf wird in Abschnitt 4.2 darauf hingewiesen bzw. gefordert,
─ dass das TSF-W mit einer charakteristischen Masse von 6 500 kg darstellbar ist und
─ dass das TSF-W der Gewichtsklasse L (leicht, max. 7 500 kg) nach DIN EN 1846-1 und
  DIN EN 1846-2 entsprechen muss (siehe hierzu auch nachfolgende Tabelle 1 dieses
  Artikels).
Das bedeutet, dass beim TSF-W eine Gesamtmasse (GM) von 7 500 kg (siehe Bild 2) nicht
überschritten werden darf, aber auch keinesfalls bis zur Obergrenze ausgereizt werden
muss. Der angegebene Wert der charakteristischen Masse von 6 500 kg ist dabei keine
Restriktion, sondern ein Hinweis an die Anwender und Hersteller zur erwiesenermaßen
machbaren Darstellbarkeit des genormten TSF-W mit einer Gesamtmasse von 6 500 kg
(siehe Bild 3).
Dem Anwender wird somit eine Massenreserve von 1 000 kg (die 3 % Massenreserve aus
der Definition noch gar nicht eingerechnet) für eine Beladung nach ortsspezifischen
Bedürfnissen belassen. Sofern das verwendete Fahrgestell es zulässt, kann der Anwender
diesen großen Freiraum nutzen, ohne den gesetzten Rahmen der Norm zu verletzen. Er
muss es aber nicht!

     Bild 2 ─ TSF-W mit 7,5 t Gesamtmasse                       Bild 3 ─ TSF-W mit 6,5 t Gesamtmasse
   (Bildquelle: Rosenbauer International AG Feuerwehrtechnik)
-4-

Warum wird der Begriff „charakteristische Masse“ nicht bei allen genormten
Feuerwehrfahrzeugen verwendet bzw. auch gemeinsam mit der festgelegten
Gesamtmasse?

Der gewährte Freiraum stößt dann an seine Grenzen,
─ wenn sich Feuerwehrfahrzeuge gewichtsmäßig an den Obergrenzen der
  Gewichtsklassen    der    Normen    für   die   allgemeinen   Sicherheits- und
  Leistungsanforderungen DIN EN 1846-1 und DIN EN 1846-2 bewegen und/oder
─ die Obergrenzen der zulässigen Gesamtmassen nach der EU-Führerscheinrichtlinie
  berührt sind.
Die hiervon betroffenen Feuerwehrfahrzeuge sind in der Typenliste (siehe Bild 1) mit ihrer
maximalen Gesamtmasse und nicht mit der charakteristischen Masse angegeben. Sie sind
dort mit der Fußnote *) gekennzeichnet.
Die festgelegten Fahrzeug-Gewichtsklassen nach DIN EN 1846-1 und DIN EN 1846-2 sind
nachfolgender Tabelle 1 zu entnehmen:
    Tabelle 1 ─ Fahrzeug-Gewichtsklassen nach DIN EN 1846-1 und DIN EN 1846-2

                                     GEWICHTSKLASSE
                     L (leicht)          M (mittel)        S (super)
                  2 t < GM ≤ 7,5 t    7,5 t < GM ≤ 14 t    GM > 14 t
                 GM = Gesamtmasse nach DIN EN 1846-2

Von der Gewichtsklasse des Feuerwehrfahrzeugs sind nach DIN EN 1846-2 diverse
Sicherheits- und Leistungsanforderungen abhängig. Die Anforderungen ändern sich zum
Teil, wenn das Fahrzeug in eine andere Gewichtsklasse eingestuft ist.
Dies soll am Beispiel der Norm DIN 14530-11:2004-11 für das Löschgruppenfahrzeug
LF 20/16 bzw. das Hilfeleistungs-Löschgruppenfahrzeug HLF 20/16 erläutert werden.
In der genannten Norm wird in Abschnitt 4.2 gefordert, dass die Gesamtmasse des LF 20/16
und des HLF 20/16 bei Einhaltung der Mindestanforderungen mit Standardbeladung unter
Berücksichtigung einer Massenreserve von 420 kg (3% der Gesamtmasse LF 20/16 und
HLF 20/16) 14 000 kg nicht überschreiten darf. Das LF 20/16 und das HLF 20/16 müssen
der Gewichtsklasse M nach DIN EN 1846-2 entsprechen.
Vom zuständigen Arbeitsausschuss NA 031-04-06 AA wurde die Gesamtmasse auf max.
14 000 kg festgelegt, weil dann nach DIN EN 1846-2 lediglich die Anforderungen an die
Gewichtsklasse M einzuhalten sind. Über 14 000 kg gelten die Anforderungen der
Gewichtsklasse S. Wäre hier die Festlegung der unverbindlichen charakteristischen Masse
anstelle der maximalen Gesamtmasse erfolgt, hätte dies zur Folge gehabt, dass die
Gesamtmasse des (H)LF 20/16 freigestellt wäre und mehr als 14 000 kg betragen dürfte.
Dann wäre das (H)LF 20/16 jedoch ein Fahrzeug der Gewichtsklasse S gewesen, was bei
dem vorrangig zu wählenden Allradantrieb (Kategorie 2 nach DIN EN 1846-2) u. a. folgende
Auswirkungen hätte:
1) die mindestens einzuhaltende Bodenfreiheit unter der Achse hätte sich von 23 cm auf
   25 cm erhöht;
2) die Zeit, um aus dem Stand eine Strecke von 100 m zurückzulegen, würde sich um 1 s
   von max. 15 s auf max. 16 s erhöhen;
3) die Zeit, um aus dem Stand auf eine Geschwindigkeit von 65 km/h zu beschleunigen,
   erhöhte sich von max. 30 s auf max. 35 s;
4) die mindestens zu erreichende Endgeschwindigkeit des Fahrzeugs hätte sich um 5 km/h
   von 85 km/h auf 80 km/h reduziert;
-5-

5) der maximal zulässige Wendekreis wäre um 1 m von 18 m auf 19 m gestiegen.
Zu diesen teilweise nachteiligen Auswirkungen für den Anwender käme noch hinzu, dass bei
einer Angebotserstellung das zu verwendende Fahrgestell bekannt sein muss, um Aussagen
über die Einhaltung der entsprechenden Gewichtsklassenanforderungen treffen zu können.
All diese Aspekte haben dazu geführt, dass der Begriff „charakteristische Masse“ nicht bei
allen Feuerwehrfahrzeugen verwendet werden kann. Er ist deshalb nur dann sinnvoll
verwendbar, wenn sich die erwiesenermaßen machbare Darstellbarkeit der
Fahrzeugesamtmasse innerhalb der jeweiligen Gewichtsklasse bewegt und nicht in dessen
Grenzbereich liegt.

Fazit

Wie Eingangs erwähnt hat die Einführung des Begriffs der „charakteristischen Masse“ den
Anwendern und Herstellern einen großen Freiraum für eine mögliche Massenreserve
eingeräumt und es liegt nun an allen Beteiligten, diesen gewährten Freiraum auch sinnvoll zu
nutzen. Dabei sei noch einmal eindringlich daran erinnert, dass der angegebene Wert der
charakteristischen Masse keine Restriktion ist, sondern ein Hinweis an die Anwender und
Hersteller zur     erwiesenermaßen      machbaren       Darstellbarkeit  eines   genormten
Feuerwehrfahrzeugs. Es muss auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht immer das maximal
mögliche, d. h. die Obergrenze der jeweiligen Gewichtsklasse nach DIN EN 1846-2,
angestrebt werden.

Berlin, 2005-08-30
Dipl.-Ing. Michael Behrens
Fachreferent im NA 031 Normenausschuss Feuerwehrwesen (FNFW) im DIN e.V.
Sie können auch lesen