Der Dekalog Die Zehn Gebote als Grundlagentext der biblischen Ethik - Bildungsnetz

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Der Dekalog
Die Zehn Gebote als Grundlagentext der biblischen Ethik

              © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
                                                 Lucas Cranach d.Ä.: Zehn-Gebote-Tafel (Wittenberg 1516)
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Zwei Welten

  Die Zehn Gebote gehören zu den bekanntesten Texten der Bibel und gelten als Grundlage der biblischen Ethik.

  • In der erzählten Welt (Ex 1 - Dtn 34) sind die Zehn Gebote eingeordnet in die Erzählung von der Befreiung aus Ägypten und
      der anschließenden Wanderung durch die Wüste.

  • In der Welt der Erzähler spendet der Rückblick in die Vergangenheit des Gottesvolkes Hoffnung auf das Ende des
      babylonischen Exils. Damit verbunden ist die Gewissheit, dass Gott in seinem Volk wohnt und nicht auf einen Tempel
      angewiesen ist.

  • Beiden Welten gemeinsam ist die Abwesenheit von Königtum und Tempel. Die Erzählung wirkt daher wie die Vorbereitung auf
      die noch bevorstehende Katastrophe der Zerstörung Jerusalems (587v.Chr.).

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Erzählung

Die Zehn Gebote sind literarisch eingebettet in die Exoduserzählung. Diese schildert die
Befreiung aus der Unfreiheit in Ägypten zur Gottesbeziehung im verheißenen Land. Mit
der Gabe der Zehn Gebote erhalten die Israeliten Weisungen für ein Leben in Freiheit.

Die Zehn Gebote richten sich sowohl an das Volk als auch an jeden Einzelnen.

• Die Gebote 1-4 sind an das Volk Gottes gerichtet, das in Ägypten versklavt war, keine anderen
   Götter verehren und keine Kultbilder herstellen sollen, das gemeinsam den Sabbat halten soll
   und durch generationenverbindende Solidarität ein gutes Leben in dem Land führen soll, das
   ihm von Gott gegeben wurde.

• Die Gebote 5-10 sind an jeden Einzelnen im Umgang mit seinen Mitmenschen gerichtet. Sie
   sind aber nicht nur Individualtugenden. Als Sozialtugenden tragen sie dazu bei, dass eine vor
   den Augen Gottes gerechte Gesellschaftsordnung entwickelt werden kann, für die jeder Einzelne   Marc Chagall, Mose, St. Stephan in Mainz

   verantwortlich ist.

Das Nichtbefolgen der Gebote ist nicht nur im Einzelfall moralisch problematisch,
sondern gefährdet die Freiheit jedes Einzelnen und des gesamten Volkes.

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Gott und Mensch

Die Zehn Gebote werden unterteilt in Regeln, die das Verhältnis zwischen
Mensch und Gott regeln, und Sozialgeboten, in denen es um das Verhalten
der Menschen untereinander geht. Beide Sorten der Gebote können nach
biblischen Verständnis nicht unabhängig voneinander befolgt werden. Das
Verhalten zum Mitmenschen hat Auswirkungen auf das Gottesverhältnis und
umgekehrt. Dieses Grundprinzip biblischer Ethik wird auch in anderen
Texten thematisiert (vgl. Jer 7,1-15).

Durch dieses Grundprinzip wird der Mitmensch vor den Machtansprüchen
menschlicher Herrscher geschützt.

• Macht der Sprache: Nicht die erlernbare Sprachkompetenz ist ausschlaggebend für
   das Verhältnis zu Gott, sondern die Absicht, die hinter und vor dem Handeln steht.

• Repräsentation der Macht: Kein Herrscher darf sein Handeln direkt auf Gott
   zurückführen und sich damit über die Gebote Gottes stellen.

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Beide Versionen (in Ex 20 und Dtn 5) haben unterschiedliche literarische Funktionen.

• In Ex 20 geht es um die Gabe der Tora unmittelbar nach der Befreiung aus der
  Gefangenschaft in Ägypten.

• In Dtn 5 blickt Mose in seiner Abschiedsrede auf ein Ereignis der Vergangenheit. Er
  erzählt die Ereignisse nach dem Auszug aus Ägypten (Sinai, Wüstenwanderung), um
  auf den Einzug ins verheißene Land vorzubereiten.

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Die Zehn Gebote scheinen auf den ersten Blick auch heute eine hohe Plausibilität zu besitzen. Bei genauerer
Betrachtung zeigen sich aber erhebliche Hindernisse für eine direkte auf Verbindlichkeit zielende Anwendung in
der Gegenwart.

Wie bei jedem biblischen Text ist zu unterscheiden in historische Interpretation (Exegese) und aktualisierende
Anwendung (Applikation). Um die Zehn Gebote hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit zu überprüfen, ist mit
Anstößigkeiten angemessen umzugehen:

• Aussagen, die aus einem Kontext stammen, die dem heutigen Verständnis von Gesellschaft und Moral nicht entsprechen,
  müssen historisch erläutert werden, um verstehen zu können, warum sie damals in dieser Form relevant waren.

• Aussagen, die unserem Rechtsverständnis grundlegend widersprechen, sind hinsichtlich ihrer Anwendungsmöglichkeiten zu
  problematisieren.

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Zählungen

  Im westlichen Europa dominiert die Zählweise von Augustin, die sich am Deuteronomium orientiert. Das erste
  Gebot umfasst dabei Inhalte, die in den anderen Zählweisen separate Gebote bilden:

  • JHWH als Befreier aus der Gefangenschaft in Ägypten,

  • Verbot, andere Götter (neben JHWH) zu verehren,

  • Verbot, Kultbilder von JHWH herzustellen und anzubeten (mit anschließender Strafandrohung und Barmherzigkeitszusage)

  Gegenüber den anderen Zählweisen wird – um die Zehnzahl beizubehalten – das Begehrensverbot in zwei Gebote
  aufgeteilt.
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Das erste Gebot
                             6Ich  bin der HERR, dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der
                             Knechtschaft.
                             7Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
                             8Du sollst dir kein Bildnis machen in irgendeiner Gestalt, weder von dem, was oben im

                             Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der
                             Erde ist.
                             9Du sollst sie nicht anbeten noch ihnen dienen. Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein

                             eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an
                             den Kindern derer, die mich hassen,
                             10aber Barmherzigkeit erweist an vielen tausenden, die mich lieben und meine Gebote

                             halten.

                  Aus der Sicht des Judentums und der Christentums wirkt dieser Text monotheistisch. Allerdings wird die Existenz
                  fremder Götter keineswegs abgestritten, es wird nur ihre Verehrung untersagt. Man kann ihn daher als
                  monolatrisch bzw. henotheistisch bezeichnen.

                  Der Alleinverehrungsanspruch wird mit der Befreiungserfahrung begründet. Für den Fall der Verweigerung dieses
                  Anspruchs, werden menschliche Beziehungsaffekte auf das Gottesbild angewendet (Liebe und Eifersucht). Hierbei
                  handelt es sich um die Anwendung assyrischer Königspropaganda. Der Herrscher fordert absolute Loyalität
                  (Liebe) von seinen Vasallen und droht bei Nichtbeachtung grausame Rache an.

                  Die Bindung an den Befreier macht die Freiheit zu einem gefährdeten Gut.

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Das erste Gebot

                                              6Ich  bin der HERR, dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt
                                              hat, aus der Knechtschaft.
                                              7Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
                                              8Du sollst dir kein Bildnis (pæsæl) machen in irgendeiner Gestalt,

                                              weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten
                                              auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist.
                                              9Du sollst sie nicht anbeten noch ihnen dienen. Denn ich, der

                                              HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter
                                              heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die
                                              mich hassen,
                                              10aber Barmherzigkeit erweist an vielen tausenden, die mich lieben

                                              und meine Gebote halten.

                  Nach katholischer und lutherischer Zählung ist das sog. Bilderverbot kein eigenständiges Gebot,
                  sondern inhaltlich in das erste Gebot integriert. Sowohl sprachlich (pæsæl = Kultbild) als auch inhaltlich
                  (durch das anschließende Verbot der Anbetung) wird deutlich, dass es hier nicht um eine generelle
                  Ablehnung des Mediums Bild geht, sondern um die Anfertigung von Kultbildern. In der Vermeidung
                  dieser für alle Nachbarkulturen typischen Verehrungsform soll das Volk seine in jeder Hinsicht
                  besondere Beziehung und seine Treue zu seinem Gott zum Ausdruck bringen.

                  Die Ablehnung von Kultbildern betont auch die Unmittelbarkeit jedes Einzelnen vor Gott. Wie die
                  Beispiele aus den Nachbarkulturen zeigen, war die Anfertigung von Kultbildern eine Kooperation von
                  Gottheit und dem königlichen Tempelkult.

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Das zweite Gebot

                             11Du   sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht
                             missbrauchen; denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen,
                             der seinen Namen missbraucht.

                           So wenig wie Gott durch ein zu diesem Zwecke angefertigtes
                           Kultbild den Menschen zur Verfügung steht, so darf auch sein
                           Name nicht dazu genutzt werden, über seine Mitmenschen
                           Macht auszuüben.

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Das dritte Gebot

 12Den   Sabbattag sollst du halten, dass du ihn heiligest, wie dir der
 HERR, dein Gott, geboten hat. 13Sechs Tage sollst du arbeiten und
 alle deine Werke tun. 14Aber am siebenten Tag ist der Sabbat des
 HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht
 dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Rind, dein
 Esel, all dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt
 lebt, auf dass dein Knecht und deine Magd ruhen gleichwie du.
 15Denn du sollst daran denken, dass auch du Knecht in Ägyptenland

 warst und der HERR, dein Gott, dich von dort herausgeführt hat mit
 mächtiger Hand und ausgerecktem Arm. Darum hat dir der HERR,
 dein Gott, geboten, dass du den Sabbattag halten sollst.

                                                                                 Ex 20: 8Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligest. 9Sechs
                                                                                 Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. 10Aber am
 Das Halten des gemeinsamen wöchentlichen Ruhetages wird in den
                                                                                 siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da
 beiden Dekalogversionen unterschiedlich begründet. Das Gebot hat                sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter,
                                                                                 dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein
 einen deutlich universalistischen Charakter. Es gilt nicht nur für
                                                                                 Fremdling, der in deiner Stadt lebt.
                                                                                 11Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde
 Israeliten, sondern auch für Fremde.
                                                                                 gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte
                                                                                 am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag
                                                                                 und heiligte ihn.
                                                       © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Das vierte Gebot

       16Du  sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, wie dir der
       HERR, dein Gott, geboten hat, auf dass du lange lebest und dir's
       wohlgehe in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben
       wird.

 Dieses Gebot zielt nicht auf das persönliche Verhältnis jedes
 Einzelnen zu seinen Eltern, sondern entwickelt ein Grundprinzip
 einer         gerechten   Gesellschaft   (Generationenvertrag).            Die
 Versorgung der Eltern ist ein soziales Grundrecht, das verhindern
 soll, das verarmte alte Menschen auf königliche Wohltaten
 angewiesen sind.

                                                        © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Das erste Gebot

                                             17Du   sollst nicht töten.

 Gemeint sind hier nicht das Töten im Krieg oder die Todesstrafe (Gen 9,6),
 sondern          das   brutale   Ermorden   eines     Menschen        aus      niederen
 Beweggründen.

                                                            © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Das sechste Gebot

                                   18Du    sollst nicht ehebrechen.

                      Ehebruch gefährdet die Stabilität der Familie als einziger
                      Form der sozialen Absicherung. Es geht also nicht nur um ein
                      persönliches Fehlverhalten, sondern auch um die Folgen für
                      die Familienangehörigen.

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Das siebte Gebot

                             19Du   sollst nicht stehlen.

                   Die Unantastbarkeit des persönlichen Besitzes
                   gehört zu den Grundlagen einer auf Recht und
                   Gesetz gegründeten Gesellschaftsordnung.

                   Der Verlust seiner Lebensgrundlage gefährdet
                   die Freiheit des Menschen.

                    © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Das achte Gebot

    20Du   sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.

  Es geht hier nicht um ein allgemeines Verbot des Lügens
  im Sinne einer persönlichen Tugend, sondern um ein
  Verbot des öffentlichen wahrheitswidrigen Beschuldigens
  in einem Gerichtsverfahren, wodurch der Nächste seiner
  persönlichen Freiheit beraubt werden kann.

                                                         © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Das neunte Gebot

            21Du   sollst nicht begehren deines Nächsten Weib.

         In Begehrungsverbot liegt eine Steigerung des 6. und 7.
         Gebots vor. Durch die Verlagerung von der Tatebene in
         die Absichtsebene entzieht sich das Verbot einer
         rechtlichen Bewertbarkeit.

                                                          © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Das zehnte Gebot

           21… Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus, Acker,
           Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was sein ist.

         Mit seinem Begehren steht der Mensch direkt vor Gott,
         der das Innere des Menschen bewertet (vgl. Mt 5,27f.).

                                                        © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
Die Zehn Gebote formulieren Erziehungsziele in einer auf   der
Gerechtigkeit Gottes gründenden Gesellschaftsordnung.

                          © Dr. Markus Sasse, RFB 2021
ASSMANN, J.: EXODUS. Die Revolution der Alten Welt, München 2015.
                               KÖCKERT, M.: Die Zehn Gebote, München 2008.
                               OTTO, E.: Das Gesetz des Mose. Die Literatur- und Rechtsgeschichte der
                                Mosebücher, Darmstadt 2007.
                               Welt und Umwelt der Bibel 17 (2000): Die Zehn Gebote

© Dr. Markus Sasse, RFB 2021
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