Der Steig zum Sieben-steinkopf führt durch vitalen, sich natürlich verjüngenden Wald.
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Wald Der Steig zum Sieben- steinkopf führt durch vitalen, sich natürlich verjüngenden Wald. 84 DAV 2/2020
Bayerischer Wald dmeer 50 Jahre Nationalpark Bayerischer Wald auf natürlichem Weg 1970 entstand im hinteren Bayerischen Wald der erste deut- sche Nationalpark. Seitdem gilt im Waldgebirge zwischen Lusen, Rachel und Falkenstein das Motto „Natur Natur sein lassen“. Die Natur nutzt ihre Chance mit viel Erfolg. Text: Georg Hohenester Fotos: Joachim Chwaszcza D ie Wanderung auf den Rachel kommen auf die Waldentwicklung zu spre- Philosophie „Natur Natur sein lassen“, was beginnt am Bahnhof von Spie- chen, die Robert über die letzten Jahrzehn- für einigen Aufruhr bei den Kritikern sorg- gelau, wo der Nationalpark-Ran- te miterlebt hat. Nach sturmbedingten te. „Heute jedoch kann man überall sehen, ger Robert Stockinger schon großen Fichtenwürfen in den 1980er Jahren wie sich der Wald aus eigener Kraft ver- wartet. Nach wenigen Minuten Fahrt mit kam es in den 1990er Jahren zwischen Lu- jüngt hat und sich zu einer urwaldartigen der Waldbahn steigen wir in Klingen- sen und Rachel zu einem massenhaften Waldwildnis entwickelt“, fasst Robert zu- brunn/Bahnhof aus und schlagen den Weg Borkenkäferbefall, der dem über Jahrzehnte sammen. Diesem dynamischen Selbst- zum Klingenbrunner Rachelsteig ein. Der forstwirtschaftlich optimierten Fichtenbe- heilungsprozess der Natur im Schutzgebiet zieht entlang des Flanitztales hinauf zum stand vollends den Garaus machte. Soweit wollen wir während unseres Aufenthalts Großen Rachel, dem mit 1453 Metern das Auge reichte, standen die abgestorbe- nachspüren. Nach der Einkehr bei dem höchsten Gipfel im Nationalpark. Bald be- nen grauen Fichtenstämme dicht an dicht. jungen Wirtspaar im Waldschmidthaus treten wir das Kerngebiet des Parks und Auch nach diesen katastrophalen Ereig- nissen verfolgte der Nationalpark seine DAV 2/2020 85
NATIONALPARK BAYERISCHER WALD Das markierte Wanderwegenetz im Park umfasst über 300 Ki- lometer. Im Kerngebiet herrscht ein Wegegebot, einige Wege sind zeitlich beschränkt begehbar. Die Besucherzentren, Infor- mationsstellen, Museen und Tierfreigelände bieten umfassen- de Informationen, der NP-Führungsservice regelmäßige Touren. Mobilität: Die Waldbahn fährt ab Plattling in den Bayeri- schen Wald, im Nationalpark verkehren die Igelbusse. Mit knapp unterhalb des Rachel-Gipfels bli- Die alten Grenzsteine der Gästekarte GUTi (entspricht dem Bayerwald-Ticket) cken wir vom höchsten Punkt ringsum auf neben dem Bohlenweg nutzt man den ÖPNV kostenfrei. bayerwald-ticket.de am „Markfleckl“ unter- Bäume – die Sicht ist deutlich einschränkt. Hütten: halb des Lusen markieren Beim Abstieg zur Rachelkapelle und zum › Lusen-Schutzhaus (1343 m), lusenschutzhaus.de die bayerisch-böhmische Grenze. Vom Blockmeer am › Waldschmidthaus (1360 m), Einkehr, derzeit keine Rachelsee ist aber nicht zu übersehen, dass Lusen-Gipfel liegt den Wan- Übernachtung möglich, waldschmidthaus@web.de junges Grün zwischen dem reichlich lie- › Falkenstein-Schutzhaus (1315 m), schutzhaus-falkenstein.de derern das Waldmeer des genden und stehenden Fichten-Totholz Nationalparks zu Füßen – im Karten & Literatur: flächendeckend Fuß gefasst hat. Etwa 400 Abendlicht zeichnet sich der › Bayerischer Wald, Kompass-Wanderkarte 198, 1:50.000, Meter unterhalb des Gipfels und der steilen Rachel ab. Viele Gebirgs- 3 Kartenblätter bäche zeugen vom Wasser- Seewand liegt der Rachelsee im Bergwald › Eva Krötz: Bayerischer Wald – 54 Touren. Rother reichtum der Region. Wanderführer, 2017 – der „Kar-Endmoränensee“ ist ein Relikt › Franz Leibl/Rainer Simonis: Der Nationalpark Bayerischer der Eiszeit, als der Rachel-Gipfel von Eis be- Wald. edition Lichtland, 2018 deckt war. Wir wandern weiter zur bewirt- Zum 50. Jubiläum: schafteten Racheldiensthütte hinunter › 23./24. Mai: „Fest der Region“ beim Besucherzentrum und nehmen dort den Igelbus nach Spie- Hans-Eisenmann-Haus in Neuschönau gelau zurück. Die Igelbusse verbinden die › „Nationalpark exklusiv“-Exkursionen (13. Mai - 4. Nov.), nationalpark-bayerischer-wald.de; nationalpark- Einrichtungen und Hauptwandergebiete partner.com; ferienregion-nationalpark.de im Nationalpark. Anderntags steht das Lusen-Gebiet auf dem Programm. Der Igelbus bringt uns ze für Jahrzehnte unterbrachen. Heute ratkilometern bilden sie das größte Wald- von Mauth an die tschechische Grenze. schreiten die Wanderer durch einen schutzgebiet Mitteleuropas. Dort erinnern auf böhmischer Seite die symbolischen Eisernen Vorhang, sind Unser Guide Franz Uhrmann ist als Überreste des Dor- grenzübergreifend Waldführer oft mit Gruppen im Natio- fes Buchwald/Bu- Das größte unterwegs, und nalpark unterwegs. Auf schmalem Steig čina an die Zeit Waldschutzgebiet die Nationalparke wandern wir gemeinsam durch üppig wu- Mitteleuropas nach dem Zweiten Bayerischer Wald chernden Bergmischwald zum felsigen Sie- Weltkrieg, als die und Šumava auf bensteinkopf (1265 m) und bemerken, dass Grenzanlagen des tschechischer Sei- die natürliche Waldverjüngung hier weiter Eisernen Vorhangs te arbeiten so gut vorangeschritten ist als im Rachel-Gebiet. die traditionell engen Beziehungen der zusammen, dass beide Schutzgebiete 2009 „Das liegt am Untergrund, an der Expositi- Einwohner diesseits und jenseits der Gren- als „Transboundary Parks“ zertifiziert wur- on und Höhenlage. Vor allem in den rauen den. Mit einer Fläche von über 900 Quad- 86 DAV 2/2020
Bayerischer Wald Lagen über etwa 1100 Metern, in denen sind Zeugnisse der Holztrift in unserer Re- tionalpark diese historischen Bauwerke als natürliche Fichtenwälder vorherrschen, gion“, erzählt Franz Uhrmann und erläu- regionale Kulturdenkmäler. wachsen die jungen Fichten generell lang- tert, wie der Wasserreichtum der Region – Nach der Mittagspause in der Tafern- samer“, erklärt der Waldführer. Im Abstieg allein im Nationalpark gibt es 760 Kilome- wirtschaft „D’Ehrn“ geht es über den Lu- passieren wir die Reschbachklause und fol- ter Bergbäche – früher genutzt wurde, um sensteig auf den „Bohlenweg“ zum „Mark- gen dem 1820 angelegten „Schwellgraben“ die gefällten Baumstämme mit Hilfe des in fleckl“ mit den alten Grenzsteinen an der zum Freilichtmuseum bei Finsterau. „Die den „Klausen“ aufgestauten Wassers tal- bayerisch-böhmischen Grenze. Auch hier Reschbachklause und der Schwellgraben wärts zu schwemmen. Heute erhält der Na- reicht der Bergmischwald bis über 1200 DAV 2/2020 87
Bayerischer Wald für Arten mit sehr speziellen Lebensraum- ansprüchen, die in bewirtschafteten Fors- ten keine Chance haben. Dazu zählen zum Beispiel seltene Käfer – mit 1300 nachge- wiesenen Arten sind Käfer die artenreichs- te Insektenordnung im Nationalpark.“ Dem Kurzbesuch im Tierfreigelände in Neuschönau folgt die letzte Exkursion im Gebiet um den Ort Zwieslerwaldhaus un- terhalb des Großen Falkenstein (1315 m), Seltene Arten in hochspeziellen Lebensräumen Auf dem Klingenbrunner das erst mit der Erweiterung 1997 in den Rachelsteig erklärt der Nationalpark-Ranger Nationalpark integriert wurde. Entspre- die Waldentwicklung im chend zeitversetzt läuft dort die Waldver- Kerngebiet des National- jüngung ab. Allerdings gibt es hier Wald- parks. Der äußerst seltene „Duftende Feuerschwamm“ stücke, die teilweise seit mehr als 200 wächst im Urwaldrest Mit- Jahren nicht mehr genutzt wurden und telsteighütte bei Zwiesler- ihren Urwald-Charakter bis heute erhalten waldhaus. konnten. Neben dem Hans-Watzlik-Hain mit jahrhundertealten Tannen, Fichten und Buchen ist das vor allem der Urwald rest Mittelsteighütte. Dort stehen vitale starke Baumriesen zwischen dem Totholz Meter Höhe. Darüber stehen die nach- Am nächsten Morgen holt uns Rainer Si- vieler in hohem Alter abgestorbener Bu- wachsenden Bergfichten inzwischen meh- monis am Lusenschutzhaus ab. Der Förster chen und Tannen, die seltenen Insekten rere Meter hoch im Saft und dominieren und Leiter der Nationalparkdienststelle und Pilzen – sogenannten Urwaldrelikt in sattem Grün das graue, tote „Käferholz“. Finsterau arbeitet seit 1993 für den Natio- arten – hochspezielle Habitate bieten. Der Lusen-Gipfel (1373 m) selbst ist wald- nalpark und bestätigt während des Abstiegs Beispielsweise dem „Duftenden Feuer- frei und besteht aus einer gewaltigen nach Mauth die Entwicklung, die er als pas- schwamm“, von dem weltweit nur sieben Blockschutthalde. „Die Granitfelsen über sionierter Fotograf festhält. „Nach 30 Jahren Standorte bekannt sind. Er gedeiht unweit 20 Hektar Ausdehnung machen den Lu- ist der Wald in großen Bereichen nachge- des Wanderweges an einem Baumstumpf. sen zum markantesten Gipfel im Park“, wachsen, und auch die Artenvielfalt hat Eines von vielen Beispielen dafür, dass der informiert Waldführer Franz. „Der riesige deutlich zugenommen“, stellt er fest: „Die Nationalpark Bayerischer Wald nach 50 Steinhaufen ist über Jahrmillionen durch Windwürfe und der Borkenkäferbefall sind Jahren engagierter Arbeit zu den „Hot stetige Frostsprengung entstanden.“ Wir Auslöser für die Regeneration des Waldes Spots“ der Artenvielfalt in Deutschland bleiben lange am Gipfel, balancieren zum Fotografieren über die mit Landkarten- gewesen. Sie haben Raum und Licht ge- schaffen, und die große Totholzmenge gehört. flechten überzogenen Felsblöcke, genie- hat das Nährstoffangebot verbessert. Georg Hohenester, Chefredakteur ßen den freien Blick bis zum Rachel und Totholz ist nämlich die ‚Ammenmilch von DAV Panorama, wandert gerne durch Wälder und ist begeistert das abendliche Farbenspiel. des Waldes‘ und die Basis für neues Le- über die natürliche Waldverjüngung ben. So entstanden Überlebensinseln im Nationalpark Bayerischer Wald. 88 DAV 2/2020
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