Die Ko-Konstruktion von Führung in veränderungsbezogenen Interaktionen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden
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Gr Interakt Org (2021) 52:551–562 https://doi.org/10.1007/s11612-021-00591-9 HAUPTBEITRÄGE - OFFENER TEIL Die Ko-Konstruktion von Führung in veränderungsbezogenen Interaktionen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden Amelie Verena Güntner1 · Simone Kauffeld2 Angenommen: 25. Mai 2021 / Online publiziert: 2. August 2021 © Der/die Autor(en) 2021 Zusammenfassung Dieser Beitrag in der Zeitschrift Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organsationspsycholo- gie (GIO) befasst sich damit, wie Führung in Veränderungsprozessen als dynamischer, wechselseitiger Einflussprozess zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden verstanden werden kann und welches Potenzial diese Perspektive für die Effektivität von Führung bietet. Die Hauptaufgabe von Führungskräften wird häufig in der Leitung und Beeinflussung ihrer Mitarbeitenden gesehen. Diese Aufgabe stellt insbesondere im Kontext organisationaler Veränderungen eine Her- ausforderung dar, wenn es darum geht, Mitarbeitende für eine Verhaltensänderung zu motivieren. Vor dem Hintergrund kontinuierlich stattfindender Veränderungen in der heutigen Zeit gilt es daher, ein Verständnis für die Entwicklung posi- tiver und negativer Interaktionsdynamiken in Gesprächen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden zu entwickeln. In der Führungsforschung bestehen dazu unterschiedliche theoretische Perspektiven, die verschiedene Betrachtungsweisen zu Entstehung und Verlauf von Führung und den Einflussprozessen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden bieten. Der vorliegende Artikel beleuchtet die unterschiedlichen Führungsperspektiven vor dem Hintergrund der Herausforderun- gen organisationaler Veränderungen und leitet praktische Implikationen ab. Sowohl auf der Ebene von Mitarbeitenden, Führungskräften als auch auf der organisationalen Ebene werden Wege aufgezeigt, wie mit Hilfe des Verständnisses von Führung als dynamischer, wechselseitiger Prozess positive Führungs- und Veränderungsprozesse gestaltet werden können. Schlüsselwörter Change Management · Führung · Beziehungstheoretischer Führungsansatz · Widerstand · Autonomie Amelie Verena Güntner a.guentner@psychologie.uzh.ch 1 Psychologisches Institut, Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie, Universität Zürich, Binzmühlestrasse 14/12, 8050 Zürich, Schweiz 2 Institut für Psychologie, Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie, Technische Universität Braunschweig, Braunschweig, Deutschland K
552 A. V. Güntner, S. Kauffeld The co-construction of leadership in change-related interactions between leaders and followers Abstract This article in the journal Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organsationspsychologie (GIO) aims at presenting how leadership at times of change can be understood as a dynamic, mutual influence process between leaders and followers and shows the potential this perspective holds for the effectiveness of leadership. The main task of leaders is often seen in managing and influencing their followers. This task is challenging, especially in the context of organizational change, when it comes to motivating employees to change their behavior. Against the background of continuous change nowadays, it is therefore important to develop an understanding of the emergence of positive and negative interaction dynamics in conversations between leaders and followers. Leadership research offers different theoretical perspectives on the emergence and development of leadership and the influence processes taking place between leaders and followers. The present article examines the different leadership perspectives against the background of the challenges of organizational change and derives practical implications. This article shows how the understanding of leadership as a dynamic, mutual process can be used to design positive leadership processes at the level of followers, leaders, and the organization. Keywords Change Management · Leadership · Relational Leadership Perspective · Resistance · Autonomy 1 Einleitung weiterer möglicher Erklärungsansätze soll das nachfolgen- de Fallbeispiel dienen. Durch Faktoren wie Globalisierung, Digitalisierung und Vernetzung nimmt die Geschwindigkeit, mit der Organi- 1.1 Ein Fallbeispiel sationen sich an neue Rahmenbedingungen anpassen und Veränderungen implementieren müssen, stetig zu. Im Zu- Im Zuge einer steigenden Nachfrage nach digitalen Kolla- sammenhang mit diesem permanenten Wandel ist häufig borationsmethoden steht das Unternehmen collaborate2go auch die Rede von VUKA-Welten (Volatilität, Unsicher- vor einer großen, organisationalen Veränderung, die auch heit, Komplexität und Ambiguität; Wimmer 2012). Das personelle Umstrukturierungen verlangt. Frau Pfeiffer, Lei- heißt, dass Organisationen sich heutzutage mehr denn je terin der Abteilung für Vertrieb, hat ihren Mitarbeiter Herr in einer dynamischen Welt bewegen, deren Richtung aber Schulz zu einem Gespräch eingeladen, in dem die anstehen- nicht abzusehen ist. Um in dieser Welt bestehen zu können, den Veränderungen, die auch die Stelle von Herrn Schulz stehen Organisationen vor der Herausforderung organisa- betreffen, besprochen werden sollen. Der Gesprächsverlauf tionale Veränderungen so zu gestalten, dass diese von den kann aus zweierlei Perspektiven betrachtet werden: Mitarbeitenden positiv angenommen und umgesetzt wer- 1. Während des Gesprächs betont Frau Pfeiffer zuneh- den (Jick und Sturtevant 2017). Die bestehende Change mend die Dringlichkeit der Veränderung, indem sie Herr Management Literatur ist sich einig darüber, dass Führung Schulz von den negativen Konsequenzen berichtet, wenn ein entscheidender Faktor zur Motivation von Mitarbeiten- er keine Veränderungsbereitschaft zeigt. Auch tauchen den und somit relevant für die erfolgreiche Umsetzung von Fragen nach der Kompetenz von Herrn Schulz auf. Als Veränderungen ist (z. B. Burnes et al. 2018; Ford und Ford Reaktion auf die negative Kommunikation seiner Vorge- 2012; Gilley et al. 2009; Hughes 2015). Gleichwohl exis- setzten, übt Herr Schulz starke Kritik an der geplanten tiert eine Reihe theoretischer Ansätze, die erklären wie und Veränderung und zeigt Widerstand. durch wen Führung entsteht und gestaltet wird und welche 2. Im Gesprächsverlauf äußert Herr Schulz verstärkt seine Einflussprozesse zwischen Führungskräften und Mitarbei- Bedenken und Desinteresse gegenüber der Veränderung tenden dem zu Grunde liegen. Übertragen auf den Kontext und zeigt sich unkooperativ. Als Reaktion auf den von organisationaler Veränderungen liefern diese Führungsan- Herr Schulz geäußerten Widerstand tadelt Frau Pfeiffer sätze unterschiedliche Sichtweisen darüber, warum Füh- ihn, droht mit negativen Konsequenzen, wenn er nicht rung in Veränderungen misslingt und wie Veränderungen kooperiert und hinterfragt seine Kompetenz. erfolgreich implementiert werden können. Beispielsweise wird die Annahme, dass erfolgreiche Veränderungsprozesse Wie dieses Beispiel einer Interaktion zwischen Füh- von einer einzelnen Führungskraft abhängig sind, von ak- rungskraft und Mitarbeiter zeigt, können Führungsprozesse tueller Change Management Literatur als ein nach wie vor auf zweierlei Art und Weise betrachtet werden. In Sze- weit verbreiteter Mythos bezeichnet (By 2021; By et al. nario (1) wird das negative Verhalten der Führungskraft 2016). Zur einleitenden Reflexion dieser Perspektive und als Auslöser des Widerstandes des Mitarbeiters beschrie- K
Die Ko-Konstruktion von Führung in veränderungsbezogenen Interaktionen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden 553 ben, welches für eine Sichtweise spricht, in der die aktive und der vergleichsweise geringen Aufmerksamkeit, die For- Rolle der Führungskraft und ihr maßgebender Einfluss be- schung generell und im Kontext von Veränderungen auf ne- tont wird (Führenden-zentrierte Perspektive; Meindl et al. gative Führung richtet (Neves und Schyns 2018), konzen- 1985). Hingegen in Szenario (2) ist es der Widerstand des triert sich der vorliegende Beitrag auf negative, interaktio- Mitarbeiters, der das negative Führungsverhalten hervor- nale Dynamiken in organisationalen Veränderungen, wie im ruft. Dies spiegelt eine Perspektive wider, die die aktive Fallbeispiel dargestellt. Um die Entstehung und den Verlauf und einflussreiche Rolle von Mitarbeitenden hervorhebt von (negativen) Führungsprozessen im Kontext von Verän- (Geführten-zentrierte Perspektive; Meindl 1995). Welche derungen herauszuarbeiten und den Einfluss von Mitarbei- der beiden Perspektiven ist die Richtige zur Erklärung von tendenreaktionen (z. B. Widerstand) als Teil dieser Prozesse Führung? zu verdeutlichen und Implikationen für die Praxis abzulei- Traditionelle Ansätze aus der Literatur zu Change Ma- ten, gehen wir wie folgt vor: Wir beschreiben zunächst For- nagement sind dominiert von der Ansicht, dass Mitarbeiten- schungserkenntnisse zum Einfluss des Verhaltens von Füh- de per se widerständisch und der alleinige Grund für schei- rungskräften auf Mitarbeitende und fokussieren anschlie- ternde Veränderungsprojekte sind (Kotter 1996). Während ßend, wie Mitarbeitende wiederum bestimmtes Verhalten in diese Perspektive den aktiven Beitrag von Mitarbeitenden ihren Führungskräften hervorrufen. Daran schließen wir mit betont, diffamiert sie diesen Beitrag gleichzeitig als lästi- Ausführungen zur Beziehungsperspektive (Uhl-Bien 2006) gen Störfaktor. Bezogen auf unser Fallbeispiel würde dies an, anhand dessen wir Führung in Veränderungen als dyna- bedeuten, dass die geplante Veränderung nur deshalb schei- misches Konstrukt mit wechselseitigen Einflüssen zwischen tert, weil Herr Schulz generell unkooperativ und verschlos- Führungskräften und Mitarbeitenden einordnen. Basierend sen gegenüber Neuem ist. Allerdings deutet unser Fallbei- auf dieser Perspektive leiten wir abschließend forschungs- spiel an, dass die negative Reaktion von Herr Schulz durch gestützte Handlungsempfehlungen ab, die beschreiben wie das Verhalten von seiner Führungskraft Frau Pfeiffer mitbe- seitens Organisationen, Mitarbeitenden und Führungskräf- stimmt wird. Entsprechend liegt die Quelle für einen nega- ten das Potenzial von wechselseitigen Führungseinflüssen tiven Führungsprozess und die damit verbundene Reaktion für die erfolgreiche Umsetzung organisationaler Verände- des Mitarbeiters, weder alleinig in der Person der Führungs- rungen genutzt werden kann. kraft Frau Pfeiffer, noch in der Person des Mitarbeiters Herr Schulz begründet, sondern ist ein Ergebnis der wechselsei- tigen Einflüsse zwischen den beiden. Frau Pfeiffer löst ein 2 Der Einfluss von Führenden auf den Gefühl von Bedrohung und externaler Kontrolle in Herrn Führungsprozess: Die Führenden- Schulz aus und weckt so eine unmittelbare negative Reak- zentrierte Perspektive tion in ihm. Gleichzeitig bleibt auch Frau Pfeiffer nicht un- berührt von dem Verhalten ihres Mitarbeiters und zeigt, ge- Traditionell stehen in der Führungsforschung Charak- triggert durch ihn, ein ebenfalls negatives Verhalten. Wie in teristika und Verhaltensweisen der Führungskraft (d. h. unserem Fallbeispiel demonstriert, erlaubt die Beobachtung Führende) und ihr Einfluss auf Mitarbeitende (d. h. Ge- des konkreten Verhaltens von Führungskräften und Mitar- führte), sowie auf die Erreichung von Unternehmenszielen beitenden eine genauere Beantwortung der Frage nach den im Vordergrund (Führenden-zentrierte Perspektive). Dieser Auslösern und Prozessen, die Führung zugrunde liegen. Das Forschungsschwerpunkt liefert Erkenntnisse zu effektivem Herunterbrechen abstrakter Führungsperspektiven auf kon- Führungsverhalten, so auch im Kontext von Veränderungs- krete Verhaltensweisen (z. B. Kommunikation) erleichtert prozessen. Führungskräfte nehmen eine einflussreiche Rol- es außerdem, praktische Empfehlungen für die Umsetzung le bei der Befriedigung psychologischer Grundbedürfnisse von Führung im Alltag von Führungskräften und Mitarbei- von Mitarbeitenden (Lanaj et al. 2016) ein, welche ge- tenden abzuleiten (van Quaquebeke und Felps 2018). mäß der Selbstbestimmungstheorie (Deci und Ryan 1985) Der vorliegende Artikel hat das Ziel, unterschiedliche erfüllt sein müssen, damit Personen motiviert sind nach per- Führungsperspektiven anhand der Darstellung von Interak- sönlicher Weiterentwicklung und Veränderung zu streben. tionsdynamiken zwischen Führungskräften und Mitarbei- Demzufolge haben Führungskräfte im Zuge organisationa- tenden gegenüberzustellen und in den Kontext organisatio- ler Veränderungen einen besonders hohen Einfluss auf ihre naler Veränderungen einzubetten. Darüber hinaus soll ba- Mitarbeitenden (Stouten et al. 2018). sierend auf der Synthese bisheriger Erkenntnisse zu den Einflüssen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden 2.1 Die Romantik der Führung der Ansatz von Führung als wechselseitiger, ko-konstruier- ter Einflussprozess in den Vordergrund gerückt werden. Vor Während Führenden-zentrierte Forschung die aktive und dem Hintergrund der Häufigkeit, mit der negative Führung wichtige Rolle von Führungskräften in der Evokation von in Organisationen auftritt (siehe Schyns und Schilling 2013) Mitarbeitendenmotivation betont und die positiven Effekte K
554 A. V. Güntner, S. Kauffeld von gutem Führungsverhalten verdeutlicht, geht damit häu- Zum einen ist zu berücksichtigen, dass organisationale fig eine Sichtweise einher, die geprägt ist vom heroischen Veränderungen für Führungskräfte ebenso herausfordernd Führungsstereotyp (Collinson 2006; Meindl et al. 1985). sein können wie für Mitarbeitende. Insbesondere Führungs- Sie zeichnet das Bild einer Führungskraft, die alleinig ver- kräften auf mittlerer Management-Ebene kommt bei gro- antwortlich für Führung(sprozesse) und damit verbundene ßen top-down Veränderungsprozessen eine doppelte Rolle Ziele ist. Diese heroische Konzeptualisierung von Führung zu: Sie sind sowohl Empfänger der von ihren Vorgesetzten findet sich in der klassischen Change Management Literatur angeordneten Veränderungsmaßnahmen, müssen gleichzei- (Kotter 1996) auch in Form einer Degradierung von Mitar- tig aber auch als Change Agenten (d. h. als Promoter von beitendenwiderstand wieder. Dort dominiert die Sichtweise Veränderungsprozessen) für die ihnen unterstellten Mitar- von Widerstand gegenüber Veränderungen als etwas, was beitenden fungieren (Balogun et al. 2015). Demnach un- in Mitarbeitenden lokalisiert ist (Oreg 2003). Diese An- terliegen sie dem Druck, ihre Mitarbeitenden für eine Ver- sätze aus der Literatur versäumen es auch jene Fälle zu änderung zu motivieren, der sie eventuell selbst ambivalent berücksichtigen, in denen Führungskräfte durch negatives gegenüberstehen. Dieser Druck kann sich in negativem Füh- Verhalten schädliche Auswirkungen auf die Organisation rungsverhalten widerspiegeln (Neves und Schyns 2018). und ihre Mitarbeitenden ausüben (Alvesson 2020). Zum anderen benötigt es gemäß der Idee von Führung als wechselseitiger Einflussprozess eine vermehrte Aufmerk- 2.2 Die Rolle destruktiven Führendenverhaltens in samkeit gegenüber dem Einfluss von Geführten (d. h. Mit- Veränderungsprozessen arbeitenden) auf das (negative) Verhalten von Führungs- kräften (Thoroughgood et al. 2018). Insbesondere da bei In den letzten Jahrzehnten hat sich eine wachsende Zahl organisationalen Veränderungen Mitarbeitenden diejenigen von Führungsstudien auf die Auswirkungen destruktiver sind, die die Veränderungen umsetzen müssen, ist es wich- Führung konzentriert und konnte zeigen, dass diese Füh- tig zu verstehen, welchen Einfluss Mitarbeitenden mit ih- rungsform negatives Verhalten in Mitarbeitenden hervorruft rem Verhalten auf den Führungs- und Veränderungsprozess (z. B. Schyns und Schilling 2013; Zhang und Liao 2015). haben (Armenakis und Harris 2009). Destruktives Führungsverhalten umfasst schädliche, antiso- ziale Verhaltensweisen, wie beispielsweise Unterdrückung, Bestrafung, aber auch Überkontrollierung („Mikro-Ma- 3 Der Einfluss von Mitarbeitenden auf nagement“), mit denen Mitarbeitende unter Druck gesetzt den Führungsprozess: die Geführten- werden, sich auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten zentrierte Perspektive (Ashforth 1994; Schyns und Schilling 2013). Die Unter- suchung von destruktivem Führungsverhalten im Kontext Vor dem Hintergrund der heutigen schnelllebigen Ge- organisationaler Veränderungen ist besonders interessant, schäftswelt, die kontinuierliche Adaption und Veränderung weil Veränderungen typischerweise durch Ungewissheit, von Organisationen verlangt, wird die aktive Rolle von Mehrdeutigkeit und einen Mangel an Kontrollen gekenn- Mitarbeitenden als Geführte wichtiger denn je. Während zeichnet sind und destruktives Führungsverhalten wahr- in über 150 Jahren Führungsforschung nur wenige Wissen- scheinlicher machen (Neves und Schyns 2018). Empirische schaftler versucht haben, die Rolle von Mitarbeitenden in Forschungsergebnisse zeigen, dass Führungskräfte, die Au- Führungsprozessen zu definieren und zu verstehen (Collin- tonomie-restriktives Verhalten (z. B. Mikro-Management) son 2006; Hollander 1992; Shamir 2007), stieg über die zeigen, Widerstand in ihren Mitarbeitenden hervorrufen Jahre das Interesse mehr über Mitarbeitende und ihren Bei- (z. B. Klonek et al. 2014). Auf Basis der Selbstbestim- trag zu Führungs- und Organisationsprozessen zu erfahren mungstheorie (Deci und Ryan 1985) und empirischer (Uhl-Bien et al. 2014). Dieses Interesse spiegelt sich in der Forschungsarbeiten wissen wir, dass die von Mitarbei- Geführten-zentrierte Perspektive wider, die Mitarbeitende tenden erlebte Autonomie eine kritische Rolle spielt, um nicht nur als Ergebnis von Führung sieht, sondern ihre akti- ihre Motivation für eine organisationale Veränderung zu ve Rolle in Führungsprozessen anerkennt (Graen und Uhl- wecken (Hornung und Rousseau 2007). Hieraus lässt sich Bien 1995; Hollander 1992; Meindl 1995). Demnach ist schließen, dass Führungskräfte durch den Einfluss auf ihre das Bild von Führung ohne das Verständnis von Geführten Mitarbeitenden zum Scheitern von Veränderungsprozessen unvollständig und erklärt die Notwendigkeit zu untersu- beitragen können. chen, wie Geführte durch ihr Verhalten Führungsprozesse Daran anknüpfend stellt sich die Frage, was Führungs- beeinflussen (Uhl-Bien et al. 2014). Aus dieser Perspektive kräfte dazu veranlasst, Autonomie-restriktives (d. h. de- heraus wird untersucht, wie und wann Mitarbeitende einen struktives) Verhalten gegenüber ihren Mitarbeitenden zu Einfluss auf ihre sozialen Interaktionspartnerinnen und – zeigen. partner ausüben können. Die Geführten-zentrierte Literatur betont, dass effektive Mitarbeitende sich durch unabhängi- K
Die Ko-Konstruktion von Führung in veränderungsbezogenen Interaktionen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden 555 ges Denken auszeichnen und proaktiv handeln, um bei der 3.2 Der Einfluss des „Nicht-Folgens“ von Umsetzung organisationaler Ziele zu unterstützen, anstatt Mitarbeitenden ihrer Führungskraft unreflektiert zu folgen. Führungskräfte können von den Ideen, neuen Strategien und weiterem Die Geführten-zentrierte Perspektive beschreibt, dass Mit- Feedback ihrer Mitarbeitenden profitieren (Carsten et al. arbeitende einen maßgeblichen Einfluss auf das Verhalten 2010). Die Konzentration auf Mitarbeitende im Sinne von ihrer Führungskraft haben (Shamir 2007; Uhl-Bien et al. Geführten trägt zu einem besseren Verständnis von Füh- 2014). Einfluss können Mitarbeitende beispielsweise neh- rung bei, indem bisheriges Wissen über Führungsstile und men, indem sie ihrer Führungskraft eigene Ideen und kon- -verhalten um eine Beschreibung von Mitarbeitendenver- struktive Verbesserungsvorschläge liefern, die richtungs- halten ergänzt wird. Eine solche Herangehensweise hilft weisend für die Entscheidungen ihrer Führungskraft sind. dabei die Perspektive zu wechseln, indem sie die Rolle von Einfluss nehmen Mitarbeitende allerdings auch in Situatio- Mitarbeitenden bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung nen, in denen sie zum Beispiel Skepsis und Bedenken vor effektiver, aber auch destruktiver Führungsprozesse thema- organisationalen Veränderungen in Form von Widerstand tisiert (Collinson 2006; Mergen und Ozbilgin 2021; Shamir gegenüber ihrer Führungskraft zeigen. Für die Art und Wei- 2007), welche unter anderem im Kontext organisationaler se, wie Mitarbeitende durch Widerstand ihre Führungskraft Veränderungen eine kritische Rolle spielen (Neves und beeinflussen, gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze. Schyns 2018). Zum einen können Führungskräfte Widerstand als Ver- such verstehen, ihre Macht und Kontrolle zu untergraben 3.1 Die aktive Geführten-Rolle in Gruppen und daher als bedrohlich empfinden (Tedeschi und Felson 1995). Demnach nimmt Frau Pfeiffer den verbalisierten Die Effektivität eines ausschließlichen Top-Down Einflus- Widerstand von Herrn Schulz als Bedrohung für die er- ses durch die Führungskraft (d. h. vertikale Führung) wird folgreiche Umsetzung der Veränderung und Infragestellung nicht zuletzt im Kontext der Führung in Teams zunehmend Ihrer Position wahr und zeigt als Reaktion kontrollierendes hinterfragt. Insbesondere bei der Implementierung von Ver- Verhalten gegenüber Herrn Schulz, um ihn im Sinne einer änderungen in Teams schließt die Annahme, dass Mitarbei- Machtdemonstration in die Schranken zu weisen (Klonek tende einen Einfluss auf Führung ausüben, auch die Mög- et al. 2015). Einen anderen Erklärungsansatz bietet der lichkeit mit ein, dass Mitarbeitende auf ihre Kolleginnen sogenannte „Korrekturreflex“. Diese Tendenz beschreibt und Kollegen (z. B. Mitglieder des eigenen Teams) Einfluss die Überzeugung, dass eine Führungskraft ihre Mitarbei- nehmen. Beispielsweise können sich in veränderungsbezo- tenden dazu bekehren muss, „das Richtige“ zu tun (Miller genen Gruppensettings (z. B. Change-Workshops; Endre- und Rollnick 2013). Entsprechend kann Kontrolle durch jat und Kauffeld 2017) intragruppenspezifische Dynamiken Führungskräfte aus einer positiven Intention heraus ent- entwickeln, durch die sich Mitarbeitende gegenseitig für stehen, zum Beispiel, um Mitarbeitende vor den negativen oder gegen eine Veränderung motivieren. Würde Frau Pfeif- Konsequenzen eines Nicht-Folgens (bei Veränderungen) zu fer die Veränderung in einem Meeting mit Herrn Schulze schützen. Demnach würde Frau Pfeiffer kontrollierendes und seinen Teammitgliedern thematisieren, könnte der ver- Verhalten zeigen, um die Implementierung der Veränderung balisierte Widerstand durch Herrn Schulz dazu führen, dass sicherzustellen und Herrn Schulz vor den potenziellen Kon- seine Teamkolleginnen und -kollegen dazu angeregt wer- sequenzen, wenn er sich gegen die Veränderung ausspricht den, ebenfalls ihren Widerstand zu äußern (motivationale (z. B. Wettbewerbsnachteile; Stellenabbau), zu schützen. Ansteckungsprozesse, Endrejat et al. 2020). Im Fall, dass Unabhängig von den unterschiedlichen Ansätzen zur Er- Herrn Schulz sich allerdings überwiegend positiv gegen- klärung von (destruktivem) Führungsverhalten herrscht über der Veränderung äußern und damit Motivation signa- Konsens darüber, dass Mitarbeitende durch ihr Verhalten lisieren würde, hätte er demzufolge die Chance als Change einen starken Einfluss auf das Verhalten ihrer Führungs- Agent für seine Kolleginnen und Kollegen zu fungieren, kräfte ausüben (Shamir 2007). Aus dieser Sicht heraus wenn er diese durch seine positiven Äußerungen eben- nehmen sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeitende falls für die Veränderung begeistern kann. Angesichts des Einfluss auf die Entstehung von (destruktiver) Führung gesteigerten Drucks die Veränderungsbereitschaft zu stär- (Mergen und Ozbilgin 2021; Thoroughgood et al. 2018). In ken, beziehungsweise unter den Mitarbeitenden so weit wie diesem Zusammenhang kann auch von einer „destruktiven möglich zu „verbreiten“, und der zunehmenden Komplexi- Führung von unten“ gesprochen werden. tät von Aufgaben von Führungskräften, könnte dieses neue Rollenverständnis von Mitarbeitenden eine Entlastung für Führungskräfte bedeuten. K
556 A. V. Güntner, S. Kauffeld 4 Führung als ko-konstruiertes Phänomen Führungskräften und Mitarbeitenden verstanden wird, wird von Mitarbeitenden und Führungskräften: es ermöglicht, Führung umzusetzen als etwas, bei dem Mit- die beziehungstheoretische Perspektive arbeitenden einen aktiven Beitrag an der Gestaltung or- ganisationaler Veränderung zugesprochen wird. Insbeson- Führt man die Erkenntnisse aus der Führenden-Perspek- dere vor dem Hintergrund von kontinuierlich stattfinden tive mit jenen aus der Geführten-Perspektive zusammen, Veränderungsprozessen, können Führungskräfte nicht die ergibt sich das Bild von Führung in Veränderungsprozes- Verantwortung für alles übernehmen und ein klassischer sen als dynamisches Phänomen, welches in der Interaktion Top-down-Ansatz wird als längst nicht mehr nachhaltig be- zwischen Personen entsteht (Ford et al. 2008). Somit wird trachtet (Pearce und Conger 2003). Stattdessen sind Füh- sowohl Führungskräften als diejenigen, die die Verände- rungskräfte, beziehungsweise Organisationen, mehr denn je rung kommunizieren, als auch Mitarbeitenden als Betrof- darauf angewiesen, dass Mitarbeitende proaktiv Verände- fenen von Veränderungen eine aktive Rolle bei Führungs- rungen vorantreiben, indem sie beispielsweise konstruktive und Organisationsprozessen zugesprochen. Diese Sichtwei- Ideen für Verbesserungen äußern. se stimmt mit Beziehungsperspektiven aus der Führungsfor- schung überein, die Führung als ko-konstruierten Prozess 4.1 Neue Perspektiven auf die Rollen von betrachten, der sich durch die wechselseitige Beeinflussung Führenden und Geführten und soziale Austauschbeziehung zwischen Führungskräf- ten (d. h. Führenden) und Mitarbeitenden (d. h. Geführten) Erkennt man die von Führungskraft und Mitarbeitenden entwickelt (Hollander 1992; Uhl-Bien 2006). Die soziale, gleichermaßen ausgehenden Einflüsse auf Führungs- und dynamische und prozessuale Sichtweise auf Führung deckt organisationale Veränderungsprozesse an und geht man sich mit anderen beziehungstheoretischen Führungsansät- einen Schritt weiter, so kann von einer Auflösung klas- zen, wie der adaptiven Führungstheorie (DeRue 2011) und sischer Rollenverteilungen gesprochen werden. Während den theoretischen Ausführungen von DeRue und Ashford Führungskräfte sowohl in der Rolle als Change Agenten, (2010) zur Konstruktion einer Führungsidentität. Sie be- als auch Rezipienten agieren (Balogun et al. 2015), können schreiben, dass Führung ein sozialer Aushandlungs- und Mitarbeitende nicht nur Change Rezipienten sein, sondern Austauschprozesse zwischen Führenden und Geführten ist, auch als Change Agenten, beispielsweise gegenüber ihren dessen Erfolg nicht von einer formellen Führungsposition Kolleginnen und Kolleginnen, agieren. abhängt, sondern davon, inwieweit andere bereit sind zu Übereinstimmend mit dieser Sichtweise auf Führung in folgen. Übertragen auf den Kontext von organisationalen Veränderungen existieren neuere Führungsansätze, die von Veränderungen, bedeutet dies, dass erfolgreiche Verände- Führung als einem kollektivem Phänomen sprechen (De- rungsimplementierung nicht einer einzelnen Person obliegt, nis et al. 2012). Führung wird demnach verstanden als ei- typischerweise der Führungskraft, sondern Mitarbeitende ne Eigenschaft von Teams, Netzwerken, Geschäftseinheiten eine ebenso wichtige Rolle spielen. Aus wissenschaftlicher und Organisationssystemen. Solche kollektiven Führungs- Sicht hat eine Vielzahl von Studien identifiziert, dass sozia- ansätze deuten auf eine sich verändernde Beziehung zwi- le Dynamik und Interaktion im Zentrum effektiver Füh- schen Führungskraft und Mitarbeitenden hin und legen na- rungsprozesse stehen (z. B. Crevani et al. 2010; DeRue he, dass Führung informelle Prozesse darstellt, die paral- und Ashford 2010). Diese Erkenntnisse widerlegen die oft- lel zu oder anstelle von formalen hierarchischen Strukturen mals angenommene, vereinfachte Realität, dass Führung ei- existieren (z. B. Contractor et al. 2012; Denis et al. 2012). ne Einbahnstraße ist (z. B. DeRue 2011; DeRue und Ash- Beispielsweise hat das Konzept, dass Führung nicht mehr ford 2010; Uhl-Bien 2006). ausschließlich durch eine einzelne Person (d. h. die formale Das Verständnis von Führung in Veränderung als wech- Führungskraft) erfolgt, sondern dass parallel dazu geteilte selseitiger Prozess bildet sich auch in unserem Fallbeispiel Führung (engl. shared leadership; z. B. Small und Rentsch in der Interaktion zwischen der Führungskraft Frau Pfeiffer 2010; Pearce und Conger 2003; Zhu et al. 2018) stattfin- und ihrem Mitarbeiter Herr Schulz ab. Gemäß dieser Per- det, in den letzten Jahren einen wichtigen Stellenwert in spektive bedarf es sowohl aus theoretischer als auch prak- Forschung und Praxis eingenommen (Grille und Kauffeld tischer Sicht einer Betrachtung von Führung als wechsel- 2015; Kauffeld et al. 2017). Geteilte Führung beschreibt seitiger, sozialer Einflussprozess im Allgemeinen (Brower einen dynamischen, interaktiven Gruppenprozess, in dem et al. 2000; DeRue und Ashford 2010) und Reaktionen auf Führung durch Interaktionen innerhalb einer Gruppe ent- Veränderungen als ein interaktionales Phänomen zwischen steht und sich Individuen gegenseitig führen, um Gruppen- Führungskraft und Mitarbeitenden im spezifischen Kon- oder Organisationsziele zu erreichen (Pearce und Conger text organisationaler Veränderungen (Armenakis und Harris 2003). Dabei entscheiden Faktoren wie Kompetenzen, Wis- 2009). Indem Führung in Zeiten organisationaler Verände- sen und Verfügbarkeit darüber, welches der Gruppenmit- rungen als dynamischer, wechselseitiger Prozess zwischen glieder temporär die Führung der Gruppe übernimmt. Ein K
Die Ko-Konstruktion von Führung in veränderungsbezogenen Interaktionen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden 557 weiteres Beispiel stellt das Konzept der selbstverwalteten Obwohl die wechselseitigen Einflüsse zwischen Füh- Teams (engl. self-managed teams; Manz und Sims 1995) rungskraft und Mitarbeitenden, mit denen sie Führung ko- dar. Es beschreibt einen partizipativen Führungsansatz mit konstruieren, in dieser oder ähnlicher Form häufig in der dem Ziel, Entscheidungsbefugnis zu dezentralisieren und Praxis zu beobachten ist, gleicht unser Fallbeispiel nicht einem gesamten Team zuzusprechen, anstatt an eine Ein- der Standardgeschichte von Führung, die in der traditionel- zelperson (i. d. R. die Führungskraft) zu vergeben (Wage- len Change Management Literatur erzählt wird. Stattdes- man 1997). Darüber hinaus sind die Rollen und damit ver- sen scheint diese Perspektive inkongruent zu den typischen bundenen Verantwortlichkeiten fließend, was eine größere Schlussfolgerungen über die Quellen des Erfolgs oder Ver- Arbeitsvielfalt ermöglicht und damit im Gegensatz zu stark sagens bei der Implementierung organisationaler Verände- vorgeschriebenen und stabilen Rollen steht, wie sie in klas- rungen (By et al. 2016). Entsprechend benötigt es konkrete sischen Organisationshierarchien vorzufinden sind (Wage- Implikationen, die für die organisationale Praxis abgeleitet man 1997). Der Grundgedanke hinter diesen kollektiven werden. Ansätzen zu Führung ist, dass Führung sowohl formellen als auch informellen Einfluss beinhalten kann. Das heißt, Führung geht nicht nur von Individuen mit formalisierter 5 Praktische Handlungsempfehlungen Autorität oder Kontrolle aus (z. B. Vorgesetzte, Manager), sondern kann auch von einigen oder allen Mitgliedern ei- Die Art und Weise wie Führung konzeptualisiert wird, nes Kollektivs ausgehen, beispielsweise auf der Grundlage bestimmt nicht nur wie Führung in der Forschung unter- spezifischer Fachkenntnisse (Contractor et al. 2012; Denis sucht wird, sondern auch die Art und Weise wie Führung et al. 2012). Diese kollektiven Führungsansätze werden von praktiziert und Weiterbildungsmaßnahmen in Organisatio- evolutionspsychologischen Ansätzen unterstützt: Sie gehen nen gestaltet werden. Anstatt Führungskräfteentwicklung davon aus, dass Menschen eine flexible „Psychologie der ausschließlich auf die Entwicklung von Einzelpersonen in Anhängerschaft/Gefolgschaft“ haben, die es ihnen ermög- Führungspositionen zu konzentrieren, impliziert eine be- licht, die richtige Art von Führenden unter den richtigen ziehungstheoretische Führungsperspektive den Fokus auf Bedingungen auszuwählen und ihnen zu folgen, und, wann das Kollektiv, das zur Entstehung von Führung beiträgt, immer es angebracht ist, vom Geführten zum Führenden inklusive Mitarbeitende, Teams und ganze Organisationen zu wechseln. Gleichzeitig widerspricht sie damit der An- (Uhl-Bien et al. 2014). Daher wird unterschieden zwischen nahme, dass die Evolution eine Population von Individuen Weiterbildungsmaßnahmen, die ausschließlich den Aufbau mit entweder festen Führungs- oder Geführteneigenschaf- von Fähigkeiten einer Führungsperson fokussieren (d. h. ten (d. h. Genotypen) hervorgebracht hat (Bastardoz und die klassische Führungskräfteentwicklung) und solchen, van Vugt 2019). die dem Aufbau von Führungsfähigkeiten eines Kollektivs Tab. 1 Theoretische Forschungsperspektiven und Implikationen für die Praxis Perspektive Theoretische Annahmen Praktische Implikationen und Maßnahmen Führenden- Führung meint das Verhalten der Führungskraft Fokus auf die Weiterbildung von Führungskräften zentrierte Führungskraft entscheidet alleine über die Planung und Umsetzung Verhaltenstraining für Führungskräfte zur Schulung einer Perspek- von Veränderungsprozessen veränderungsförderlichen Kommunikation tive Führungskraftverhalten (u. a. Kommunikation) entscheidet über die Kognitionstraining für Führungskräfte zur Entwicklung Motivation/Widerstand von Mitarbeitenden eines Bewusstseins für die Motive hinter Veränderungswi- derstand Geführten- Mitarbeitende handeln proaktiv und zeichnen sich durch unabhän- Schulungsangebote für Mitarbeitende zum Aufbau von zentrierte giges Denken aus Führungskompetenzen Perspek- Mitarbeitende beeinflussen ihre Führungskraft und bestimmen über Bewusstsein für die Beteiligung an (negativen) Führungs- tive Erfolg/Misserfolg von Führung prozessen schaffen Motivation/Widerstand von Mitarbeitenden (als Persönlichkeits- Transparenz über den gewünschten Umfang an Partizipati- charakteristika) sind verantwortlich für Erfolg/Misserfolg von Ver- on schaffen änderungen Beziehungs- Führung als wechselseitiger Beeinflussungsprozess Fokus auf Aufbau von Führungsfähigkeiten eines Kollek- orientierte tivs Perspek- Führung ist von Führungskräften und Mitarbeitenden ko-konstruiert Schaffung einer Autonomie-förderlichen Unternehmens- tive kultur Reaktionen von Mitarbeitenden auf Veränderungen entstehen in der Aufbrechen traditioneller Rollenvorstellungen und starrer dynamischen Interaktion zwischen ihnen und ihrer Führungskraft Machtstrukturen Führung kann sowohl formellen als auch informellen Einfluss bein- Offenheit für neue Führungsansätze schaffen (u. a. geteilte halten Führung, selbstverwaltende Teams) K
558 A. V. Güntner, S. Kauffeld dienen (d. h. Führungsentwicklung; Day 2001; McCauley ihrer Position angegriffen fühlt und stattdessen mit positi- und Van Velsor 2004). Im Folgenden werden aus dieser vem Verhalten entgegenkommt (Tepper et al. 2017). Auf der Perspektive heraus praktische Implikationen für Mitarbei- dyadischen Ebene haben Mitarbeitende, beispielsweise in tende, Führungskräfte und Organisationen abgeleitet, die in Mitarbeitendengesprächen, die Möglichkeit, ihre konstruk- Tab. 1 zusammengefasst sind. tive Kritik zu adressieren. Auf der Gruppenebene können Mitarbeitende Teammeetings mit ihrer Führungskraft nut- 5.1 Implikationen für Mitarbeitende zen, um solche Themen anzusprechen. Wichtig ist für Mitarbeitende die Erkenntnis, dass sie In Ermangelung von empirischen Ergebnissen über den Ein- selbst verantwortlich für die Mitgestaltung von Führungs- fluss von Mitarbeitenden, wurde Führungskräften und ihrer prozessen sind und sie sich nicht darauf verlassen sollten, Entwicklung auch in der Praxis mehr Aufmerksamkeit zu- dass ihre Führungskraft die aktive Beteiligung von ihnen gesprochen als ihren Mitarbeitenden (Hoption 2014). Wäh- einfordert. Um das Potenzial der aktiven Beteiligung am rend Führungskräfte als Schlüsselakteure in Organisatio- Führungsprozess effektiv nutzen zu können, sollten Mit- nen betrachtet werden, verdeutlicht der vorliegende Artikel, arbeitende persönliche Stärken und Ressourcen identifizie- dass dem Einfluss, den Mitarbeitende auf Führungsprozesse ren und sich ihrer eigenen Rolle, die sie gerne einnehmen nehmen, mehr Beachtung geschenkt werden sollte. Es er- möchten, bewusst sein. Ein Bewusstsein darüber und ent- geben sich folgende Handlungsempfehlungen für Mitarbei- sprechend gute Vorbereitung seitens Mitarbeitenden kann tende: Mitarbeitende sollten sich bewusst sein, dass sie das sich positiv auf (Mitarbeitenden-) Gespräche mit ihrer Füh- Verhalten von Führungskräften durch ihr eigenes Verhalten rungskraft auswirken (Meinecke et al. 2017). Dies kann beeinflussen können und über mögliche Wirkungen des- mit dem Angebot von Weiterbildungsprogrammen für Mit- sen reflektieren. Insbesondere bezüglich Widerstand sollten arbeitende unterstützt und damit negativen Mitarbeitenden- Mitarbeitende sich vergegenwärtigen, dass für Führungs- stereotypen entgegengewirkt werden, indem Erwartungen kräfte oft nicht eindeutig ist, ob geäußerter Widerstand gut an den Grad an Partizipation und Proaktivität von Mitarbei- gemeint ist und dazu dient, auf potenzielle Probleme von tenden kommuniziert werden (Endrejat und Kauffeld 2017). organisationalen Veränderungen aufmerksam zu machen, oder ob der Widerstand nur der Provokation dient. Daher ist 5.2 Implikationen für Führungskräfte es wahrscheinlich, dass Führungskräfte Widerstand fälsch- licherweise als Verhalten zur vorsätzlichen Sabotage von Selbst wenn Mitarbeitende für ein Bewusstsein ihrer Ein- organisationalen Zielen deuten (Tepper et al. 2006) und mit flussmöglichkeiten sensibilisiert werden, impliziert die Idee kontrollierendem Verhalten reagieren, um einen Schaden eines wechselseitigen Führungsprozesses, dass Mitarbei- abzuwenden. Auf diesem Wege können Mitarbeitende mit tende durch das Verhalten ihrer Führungskraft ebenfalls ihrem Verhalten tatsächlich zu negativen Führungsprozes- beeinflusst werden. Entsprechend ist es notwendig, auch sen beitragen und damit potenziell das negative Bild von Handlungsempfehlungen für Führungskräfte aufzuzeigen. systematisch schädigenden Mitarbeitenden bestätigen. Dies Allerdings werden, anstelle von globalen Empfehlungen, soll allerdings kein Appell an Mitarbeitende sein, sich zu- die auf die Vermittlung von konstruktiven Führungsstilen rückzuhalten. Stattdessen müssen Mitarbeitende Strategien (z. B. Empowering Leadership, Kirkman und Rosen 1999) identifizieren, mit denen sie ihren Einfluss effektiv nutzen verweisen, im Folgenden Implikationen präsentiert, die an können. Wie im Vorangegangenen dargestellt, kann das An- konkreten Charakteristika von Führungskräften ansetzen. sprechen von Themen, durch welche sich Führungskräfte Die überwiegende Mehrheit an Entwicklungsprogrammen in ihrer Identität bedroht fühlen zu negativem Verhalten in für Führungskräfte konzentriert sich auf die Veränderung Verbindung mit Autonomie-Einschränkung (Güntner et al. von Verhalten, anstatt das Zusammenspiel von Verhalten 2020) oder anderen, ungünstigen Ergebnissen (z. B. vermin- und Kognition zu berücksichtigen, die (negativer) Führung derte Leistungsbewertung; Burris 2012) für Mitarbeitende häufig zugrunde liegt (Ford et al. 2018). Die von uns abge- führen. Indem Mitarbeitende eine Kommunikation wählen, leiteten Implikationen berücksichtigen sowohl behaviorale mit der sie ihre Skepsis gegenüber einer Veränderung kon- als auch kognitive Ansatzpunkte. struktiv an ihre Führungskraft vermitteln, erhöhen sie die Die Tendenz von Führungskräften auf Mitarbeitenden- Wahrscheinlichkeit, dass Führungskräfte die positive Inten- Widerstand mit destruktivem Verhalten zu reagieren, ist tion erkennen und können so zur Entstehung positiver Füh- verstärkt, wenn für Führungskräfte der Ausdruck von Wi- rungs- und Veränderungsprozesse beitragen. Indem Herr derstand ausschließlich negativ konnotiert ist, anstatt als Schulz nicht nur äußert, dass ihn die Veränderung stört, ein Hinweis auf potenzielle Missstände in der Organisa- sondern Anregungen zur Gestaltung des Veränderungspro- tion verstanden zu werden. Hierzu zählt auch, dass Füh- zesses kommuniziert, kann er die Wahrscheinlichkeit erhö- rungskräfte Widerstand auf persönliche Charakteristika ih- hen, dass seine Führungskraft Frau Pfeiffer sich nicht in rer Mitarbeitenden zurückführen. Solche negativen Konno- K
Die Ko-Konstruktion von Führung in veränderungsbezogenen Interaktionen zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden 559 tationen (siehe auch implizite Geführtentheorien, Sy 2010) ten zeigen, welches eben diese Autonomie unterstützt und sind hinderlich für den Aufbau positiver Beziehungsqualitä- mithilfe dessen Mitarbeitenden eigene Gründe und Moti- ten und die Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden (Whiteley ve für Veränderung entlockt werden (van Quaquebeke und et al. 2012). Führungskräfte, die negative Konnotationen Felps 2018). Bezogen auf unser Fallbeispiel könnte Frau von Widerstand oder Mitarbeitenden befürworten, haben Pfeiffer beispielsweise durch offene Fragen und aktives Zu- mit hoher Wahrscheinlichkeit Schwierigkeiten den verba- hören signalisieren, dass sie sich selbst zurücknimmt und lisierten Widerstand ihrer Mitarbeitenden als Ambivalenz stattdessen die Kontrolle über das Gespräch Herrn Schulz zu deuten. Entsprechend sollten Führungskräfte, bevor es (und dem Rest des Teams) überlässt (Klonek et al. 2014; um die Änderung ihres negativen Führungsverhalten geht, Meinecke und Kauffeld 2019). Sowohl die Vermeidung de- dazu angeregt werden, sich bewusst zu machen, wie sie struktiven Verhaltens als auch das Erlernen Autonomie- widerständische Mitarbeitende beziehungsweise den Aus- betonenden Verhaltens kann Führungskräften in Trainings druck von Widerstand interpretieren. In diesem Zusammen- vermittelt werden, in denen zum Beispiel Kommunikations- hang kann Führungskräften vermittelt werden, die Energie, analysen von aufgezeichneten Gesprächen eingesetzt wer- die mit Widerstand von Mitarbeitenden einhergeht, als Hin- den (Güntner et al. 2019). weis auf potenzielle Missstände zu verstehen, sie in Rich- tung konkreter Veränderungsmaßnahmen zu kanalisieren 5.3 Implikationen für Organisationen und damit produktiv zu nutzen (Bruch und Ghoshal 2003). Beispielsweise können Führungskräfte darin geschult wer- Das Ausmaß, in dem Führungskräfte ihre Mitarbeitenden den, in Gesprächen die dem verbalisierten Widerstand zu- (positiv) beeinflussen und damit ihre Veränderungsmotiva- grundeliegenden Motive und Wünsche ihrer Mitarbeiten- tion fördern können, hängt allerdings nicht nur von dem den sowie veränderungsbefürwortende Aussagen („Change Einfluss und Verhalten ihrer Mitarbeitenden ab, sondern Talk“; Miller und Rollnick 2013) herauszuhören. Ist dies auch die organisationalen Rahmenbedingungen spielen ei- der Fall, können Führungskräfte ebendiese positiven Aus- ne Rolle (für eine holistische Perspektive siehe z. B. Tho- sagen in den Fokus stellen und positiv verstärken. Insbeson- roughgood et al. 2018). Demnach lassen sich an dieser Stel- dere in Veränderungsgesprächen zeigen Mitarbeitende Ver- le auch praktische Implikationen auf der organisationalen halten (z. B. Widerstand), welches mehrdeutig ist und es von Ebene ableiten: Immer mehr Organisationen sehen sich mit Führungskräften erfordert zu erkennen, welches Verhalten der die Frage konfrontiert: „Welche Führungskultur möch- ihrerseits an dieser Stelle am effektivsten ist. Bisherige For- ten wir haben?“ Diese Organisationen verstehen, dass ex- schung hat gezeigt, dass situationsspezifische Kognitionen zellente Führung ein Magnet sein kann, um Spitzentalente für die Verhaltensanpassung in interpersonalen Kontexten anzuziehen und zu halten. Da dem Ruf von Führungsper- relevant sind (Kleinmann et al. 2011). Um Führungskräfte sönlichkeiten von außen immer mehr Aufmerksamkeit ge- darin zu schulen, situative Hinweise zu erkennen, die auf schenkt wird, stehen Organisationen unter dem Druck zei- die Notwendigkeit bestimmten Führungsverhaltens hinwei- gen müssen, dass sie wissen, was es bedeutet, effektiv zu sen, könnten in Trainings Führungssituationen per Rollen- führen. Organisationen können beispielsweise für eine offe- spiel simuliert werden. Darüber hinaus kann auf die Ana- ne Unternehmenskultur sorgen, welche die Autonomie und lyse von Veränderungsgesprächen zurückgegriffen werden, den Wunsch nach aktiver Mitgestaltung von Mitarbeitenden anhand derer Führungskräfte ihr Gehör für Change Talk betont. Eine Kultur, die die Autonomie ihrer Organisations- sensibilisieren können. mitglieder unterstützt, ist auch deshalb relevant, weil moti- Daran anknüpfend sollten Führungskräfte ebenfalls für vationsförderliches (d. h. Autonomie-betonendes) Verhalten die wechselseitigen Beeinflussungsprozessen zwischen ih- seitens Führungskräfte bedeutet, auch selbst die autonome nen und ihren Mitarbeitenden sensibilisiert werden, indem Kontrolle über das Gespräch aufzugeben (van Quaquebeke in Weiterbildungsmaßnahmen für Führungskräfte das Ver- und Felps 2018). Gemäß der Vorstellung, dass Autonomie ständnis von Führung als ko-konstruierter Prozess vermit- eine Ressource ist, die Personen bemüht sind zu erhalten, telt wird (z. B. DeRue 2011; Uhl-Bien 2006). Insbesondere beziehungsweise wiederherzustellen versuchen, wenn sie kann hierbei der Fokus darauf gelegt werden, dass Füh- erschöpft ist, werden Führungskräfte nur ungern die Ge- rungskräfte häufig dem Reflex erliegen, negatives Verhalten sprächskontrolle aufgeben, wenn ihre eigenen Autonomie- (z. B. Mikro-Management) zu zeigen, wenn sie auf Mitar- bedürfnisse erschöpft sind (Deci und Ryan 1985). Dem- beitende treffen, die Widerstand ausdrücken (Tepper et al. entsprechend können Organisationen ihren Führungskräf- 2017). Führungskräfte sollten alternative Bewältigungsme- ten die Ausübung Autonomie-unterstützenden Verhaltens chanismen vermittelt bekommen, die gleichzeitig der Be- erleichtern, indem ihnen im Rahmen der vom Manage- friedigung von Bedürfnissen ihrer Mitarbeitenden gerecht ment vorgegebenen Unternehmenskultur selbst Autonomie werden. Einer dieser Grundbedürfnisse, der Autonomie, entgegengebracht wird und dieses Verhalten wertgeschätzt können Führungskräfte gerecht werden, indem sie Verhal- wird. Bezogen auf unser Fallbeispiel könnte dies bedeuten, K
560 A. V. Güntner, S. Kauffeld dass die Geschäftsführung von collaborate2go Frau Pfeif- jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprüng- lichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link fer einen gewissen Grad an Entscheidungsspielraum bei der zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen Umsetzung der Veränderung in ihrer Abteilung zugesteht, vorgenommen wurden. welches es ihr ermöglicht diese Autonomie an Herrn Schulz Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial weiterzugeben. Darüber hinaus können Organisationen hilf- unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern reiche Rahmenbedingungen schaffen, um die aktive Teil- sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das be- nahme von Mitarbeitenden an Führungsprozessen in Zeiten treffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz von Veränderungen (und in Gesprächen darüber) zu fördern steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschrif- ten erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des und ihnen somit ein stärkeres Gefühl von Beteiligung, Kon- Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. trolle und Gerechtigkeit zu vermitteln (Reiss et al. 2019). Dazu zählt zum Beispiel das Angebot konkreter Formate Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de. und Zeiträume (z. B. Partizipationsworkshops, Mitarbeiten- dengespräche), in denen das Feedback und die Ideen von Mitarbeitenden zum Führungs- und Veränderungsprozess Literatur im Vordergrund steht und somit Mitarbeitende zur aktiven Einflussnahme auf Führungsprozesse zu ermutigen (siehe Alvesson, M. (2020). Upbeat leadership: a recipe for—or against— “successful” leadership studies. The Leadership Quarterly. auch Gagné und Deci 2005). https://doi.org/10.1016/j.leaqua.2020.101439. Darüber hinaus entscheiden die Formen von Führung, die Armenakis, A. A., & Harris, S. G. (2009). Reflections: our jour- eine Organisation befürwortet und fördert, darüber, ob und ney in organizational change research and practice. Journal of Change Management, 9(2), 127–142. https://doi.org/10.1080/ inwiefern das Potenzial von Mitarbeitenden genutzt wird. 14697010902879079. Erkennt man die von Mitarbeitenden ausgehenden Einflüs- Ashforth, B. (1994). Petty tyranny in organizations. 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