ERFAHRUNGSBERICHT: ONLINE-AUSLANDSSEMESTER

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ERFAHRUNGSBERICHT: ONLINE-AUSLANDSSEMESTER
ERFAHRUNGSBERICHT:
ONLINE-AUSLANDSSEMESTER

                             Kontakt:
                    Lukas Clemens Ahner B.Sc.
          Wirtschaftsingenieurwesen FR Bauwesen M.Sc.
                  Lukas.ahner@rwth-aachen.de

                 Auslandssemester (WiSe 20/21):
             Universidad Técnica Federico Santa María
                   Departamento de Industrias
                         Valparaíso, Chile

Für den Inhalt dieses Berichts trage ich die alleinige Verantwortung.

                                                                  Aachen, 22.01.2021
ERFAHRUNGSBERICHT: ONLINE-AUSLANDSSEMESTER
1    Vorbereitung
Nachdem ich 2018 bereits für ein Semester mit Erasmus in Madrid studiert habe, habe ich im
Anschluss ein 6-monatiges Praktikum in Santiago de Chile absolviert. Während des Praktikums hatte
ich die Möglichkeit sehr viel in Chile zu reisen und hab so auch die malerische Küstenstadt Valparaíso
kennengelernt. Aus einem Wochenendtrip wurden regelmäßige Surf-Ausflüge in die bunte Stadt und
das nebenan gelegene Concón.

Zurück in Deutschland wurde mir schnell klar, dass ich mich verliebt hatte und zurückmusste. Im
Dezember 2019 habe ich deshalb meine Bewerbung für das Auslandssemester an der Universidad
Técnica Federico Santa María in Valparaíso abgeschickt und im Februar 2020 kam die Zusage von der
RWTH. Nach Absprache mit der Koordinatorin haben wir mit allen RWTH-Studierenden, die in
Valparaíso angenommen wurden, eine Whatsapp-Gruppe aufgemacht.

Da ich schon gut Spanisch konnte und die Stadt schon kannte, wusste ich relativ gut, was mich
erwarten würde und hatte große Vorfreude. Dann kam Corona. Der Flugverkehr nach Südamerika
wurde eingestellt und das International Office hat uns angeboten das Auslandssemester zu
verschieben. Für mich war das keine Option, weil es mein vorletztes Master-Semester war. Nach und
nach haben sich meine Kommilitonen entschieden, das Auslandssemester zu verschieben oder ganz
abzusagen, sodass ich schließlich der Einzige war, der sich schließlich an der Partnerhochschule
bewarb.

Nachdem die Zusage von Valparaíso kam, hieß es das Semester würde im August 2020 Online starten
und ich könne ungefähr einen Monat später einreisen, um vor Ort zu studieren. Eine Verbesserung
der Lage war dann aber doch nicht in Sicht, der Semesterstart wurde auf September verschoben und
es wurde immer klarer, dass es ein reines Online-Semester werden würde.

Ich habe mich dann nach Rücksprache mit Frau Ahadi (Exchange Coordinator RWTH) trotzdem
entschieden zumindest einige wenige Kurse in Chile zu belegen. Mir war klar, dass es keine klassische
Auslandserfahrung werden würde, aber ich wollte unbedingt das chilenische Bildungssystem erleben,
weil für mich der chilenische Arbeitsmarkt sehr spannend ist.

Aus meinem letzten Auslandsaufenthalt wusste ich schon, dass die Anerkennung von Modulen der
schwierigste Teil der Planung ist. Also habe ich mich bereits im Vorhinein über das Kursangebot an
der Partnerhochschule informiert und die Anerkennung von der RWTH bestätigen lassen. Um später
noch die Wahl zu haben habe ich mehr Module prüfen lassen, als ich am Ende belegen wollte. Die
folgende Tabelle zeigt alle bestätigten Anerkennungen, links die Module der Partnerhochschule und
rechts daneben das Ersatzmodul an der RWTH, sowie das jeweilige Institut und in welchem Bereich
mir die Fächer anerkannt wurden:

 Partnerhochschule USM                        RWTH Aachen
 Modulbezeichnung          CPs   Institut     Anerkennung für Modul     CPs   Institut   Anerkennung Bereich
 Dinámica de Estructuras   7     Ingeniería   Structural Dynamics       8     LBB        Gruppe 2
                                 Civil                                                   Wirt.Ing. FR Bauwesen
 Sistemas de Información   5     Ingeniería   Informationsmanagement    5     Wiwi       Allgemeiner
 para la Gestión                 Comercial                                               Wahlpflichtbereich
 Organización Industrial   5     Ingeniería   Industrial Organization   5     Wiwi       Corporate Development
                                 Industrial                                              and Strategy
 Evaluación de Proyectos   5     Ingeniería   -Kein Spezifisches-       5     Wiwi       Corporate Development
 Generales                       Industrial                                              and Strategy
 Gestión Estratégica       5     Ingeniería   -Kein Spezifisches-       5     Wiwi       Corporate Development
                                 Comercial                                               and Strategy

                                                                                         Aachen, 22.01.2021
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Ich würde euch empfehlen so früh wie möglich – auch bereits bevor ihr die Zusage von der
Partnerhochschule habt – den dortigen Koordinator mit Fragen zu durchlöchern! Bei mir war das
Felipe Aguirre (felipe.aguirreca@usm.cl), der mir bei allen Fragen geholfen hat.

2   Online-Studium an der Gasthochschule
Ich wusste, dass das gesamte Semester online sein würde und habe deshalb nur zwei Fächer der
möglichen Auswahl in Valparaíso belegt: „Organización Industrial“ und „Gestión Estratégica“. Durch
die Zeitverschiebung fanden beide Kurse nachmittags bis abends statt, sodass ich zusätzlich mein
Semester an der RWTH normal belegen konnte.

Das Semester startete Anfang September 2020 und endete Mitte Januar 2021. Zu Beginn des
Semesters gab es eine Online-Veranstaltung für Austausch-Studierende, in der die Universität
vorgestellt wurde. Die USM ist eine der ältesten Universitäten Chiles und zählt zu den angesehensten
Hochschulen des Landes. Die USM setzt in Chile - etwa vergleichbar mit der RWTH in Deutschland –
ein hohes Anforderungsniveau an die Studierenden.

Jedes Modul hatte zwei Vorlesungen pro Woche zu je 1,5 Stunden. Die beiden von mir belegten
Kurse unterschieden sich jedoch wesentlich:

Gestión Estratégica:

Der Kurs hat mit einer Einführungsveranstaltung über Zoom gestartet, ähnlich wie man das von der
RWTH kennt. Der Kurs hatte etwas mehr als 50 Teilnehmer, der entscheidende Unterschied zur
RWTH war allerdings der Austausch mit den Studierenden. So hat der Professor von der ersten
Stunde an immer wieder Studenten drangenommen um diese abzufragen. Darüber hinaus wurde zu
Beginn jeder Unterrichtsstunde immer jemand aufgerufen um von aktuellen Wirtschafts-Nachrichten
in der Welt zu berichten. Selbst mit meinen guten Spanischkenntnissen war das manchmal ziemlich
herausfordernd, aber ich fand es auch hilfreich, um aktiv dem Unterricht zu folgen. Außerdem habe
ich auf diese Weise mein Spanisch nochmal deutlich verbessert und vorallem Fachwörter gelernt.

Wir wurden im Kurs dann in Gruppen eingeteilt und jeder Gruppe wurde ein chilenisches
Unternehmen zugewiesen. Im Laufe des Kurses haben wir dann in jeder Unterrichtseinheit in
Breakout-Sessions (Zoom) als Gruppe an einem Businessplan für das Unternehmen gearbeitet. Dieses
Konzept gefiel mir sehr gut, weil gelernte Theorie direkt in einem praktischen Fall umgesetzt wurde.
Die Unterrichtsmaterialien wurden in der Online Plattform „Aula“ zur Verfügung gestellt. Das System
ist identisch zum bekannten RWTHmoodle.

Die Benotung erfolgte anhand der Anwesenheit (1/3) und zwei Zwischenprüfungen (je 1/3),
sogenannten „Certamen“. Die Prüfungen fanden online über „Aula“ statt und waren ziemlich
anspruchsvoll. Ähnlich wie bei DYNEXITE von der RWTH hatte man ein Zeitfenster von einer Stunde
um die Prüfungsfragen zu beantworten. Währenddessen musste die Kamera angeschaltet sein, um
Täuschungsversuche zu verhindern. Am PC konnte theoretisch alles geöffnet sein, ich habe aber nur
vom Übersetzer Gebrauch gemacht.

Insgesamt hat mir das Fach sehr gut gefallen und ich habe einiges mitgenommen. Es war spannend
zu lernen, welchen Herausforderungen sich chilenische Unternehmen stellen und welche Rolle die
unternehmerische Positionierung im chilenischen Markt spielt.

Organización Industrial

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Ganz anders verlief das Modul „Organización Industrial“. Der Kurs hatte nur 5 Teilnehmer, sodass ein
viel entspannteres Ambiente herrschte. Vielleicht war das der Grund dafür, dass der Professor
regelmäßig 20 bis 30 Minuten zu spät zum Zoom-Meeting erschien und überhaupt nicht besonders
strukturiert war. Weder hatten seine Unterrichtsstunden einen roten Faden, noch lud er
Lernmaterialien in den Lernraum hoch. Es gab auch keine Anwesenheitspflicht für den Unterricht.
Zum Glück hatten wir hier einen Übungsleiter, der uns sehr hilfreich zur Seite stand und ab und zu
wichtige Fragen geklärt hat.

Die Benotung ergab sich aus drei Certamen, die zu je einem Drittel in die Endnote einflossen. In Chile
werden an den Universitäten normalerweise Noten von 1 bis 7 gegeben, wobei 7 die Beste ist und
man mindestens eine 4 zum Bestehen braucht. Die USM benotet als einzige Hochschule mit Punkten
von 0 bis 100. Das erste Certamen fiel so schlecht aus, dass nur einer der fünf Studenten mehr als 50
Punkte hatte. Deshalb hat der Professor in der darauffolgenden Stunde angekündigt, eine
Aufgabensammlung zur Verbesserung der Note zuschicken. Diese Ankündigung wiederholte er jede
Woche, bis er im Januar endlich die Aufgaben schickte.

Die dritte Prüfung (Certamen) sollte am 06. Januar 2021 stattfinden. Am besagten Tag waren alle
Kursteilnehmer online und bereit, nur der Professor erschien nicht. Einige Stunden später kam dann
die Nachricht per Mail, dass wir statt der Prüfung eine Abschlussarbeit schreiben sollten. Der Ärger
war bei allen Kursteilnehmern groß, weil wir uns alle auf das Certamen vorbereitet hatten. Immerhin
habe ich dann für meine Abschlussarbeit (30 Seiten) 100 Punkte bekommen.

Betreuung und Kommunikation

Der Koordinator für internationale Studierende Felipe Aguirre (felipe.aguirreca@usm.cl) war
jederzeit erreichbar und hat mir Hilfe angeboten. Ich konnte eigentlich immer mit einer Antwort
innerhalb weniger Tage rechnen. Bei Fragen konnte ich aber auch jederzeit meine Kommilitonen
fragen. Wir hatten Whatsapp Gruppen mit allen Kursteilnehmenden, wo man sich immer gut
austauschen konnte.

3   Kontakt zu einheimischen Studierenden
Dadurch dass alle Kurse nur online stattfanden war es natürlich schwierig wirklich Kontakte zu
knüpfen. Anders als ich das von meinem vorherigen Auslandsaufenthalt kannte, haben sich die
Kontakte sehr auf studienbezogene Aktivitäten beschränkt. Immerhin gab es Gruppenarbeit, und
WhatsApp-Gruppen, wo wir auch die Kontakte ausgetauscht haben. Aber Freundschaften, wie in
einem klassischen Auslandssemester kann man sich von einem Online-Semester wohl kaum erhoffen.

Die Zusammenarbeit hat trotzdem sehr gut funktioniert. Meine Gruppe war sehr engagiert und wir
haben es gut geschafft, die Aufgaben zu verteilen und uns abzusprechen.

Online-Freizeitveranstaltungen oder ein Buddy-Programm wurde mir nicht angeboten, sodass ich
dazu nichts sagen kann.

4   Zur Stadt
Ich war während des Semesters zwar die ganze Zeit in Deutschland, aber wie erwähnt kenne ich
Valparaíso sehr gut und gebe euch noch eine kleine Einschätzung der Stadt:

Valparaíso ist bekannt für ihre bunten Häuser die sich von verschiedenen Cerros (bebaute Hügel) mit
Panoramablicken betrachten lässt. Man merkt, dass die Stadt sehr arm ist, insbesondere etwas
außerhalb gibt es einige Ghettos, und vor allem nachts ist es auch nicht ungefährlich. Ich war

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während des Praktikums aber immer in einer Gruppe unterwegs und denke, dass es dann
ungefährlich ist. Wenn es Nacht wird, erweckt die Stadt erst richtig zum Leben. An der Promenade
gibt es einen Club neben dem nächsten. Mein Lieblingsclub war der Ipanema Club mit Techno auf
dem Roof-Top, einer super Aussicht auf den Strand und natürlich unten Reggaeton.

Das schönste war es in Valparaíso durch die engen Gassen der Stadt von Cerro zu Cerro zu laufen und
so immer wieder neue Kunstgeschäfte, Graffitis und Straßenkünstler zu entdecken. Grundsätzlich
herrscht unter Chilenen ein kleiner Streit welche Stadt schöner ist: Valparaíso oder das nebenan
gelegene Viña del Mar. Ich persönlich bevorzuge den Charme von Valparaíso, wobei es zum wohnen
vielleicht schöner im gehobeneren Viña del Mar ist.

Zuletzt, der Hauptgrund für Valparaíso war für mich das Surfen in Concón und Reñaca. Beide Strände
sind innerhalb weniger Busminuten von Valparaíso zu erreichen. Hier kann man sich überall am
Strand Boards und Neoprenanzüge ausleihen. An beiden Stränden gibt es nur einen Beach-Break. Für
fortgeschrittene Surfer ist Pichilemu das Traumziel. Hier gibt es einen perfekten Point-Break „Punta
de Lobos“ und die Stadt wird in Chile auch „Capital de Surf“ (Surfer-Hauptstadt) genannt. Man sagt,
dass sogar der bekannte Jack Johnson ein Haus dort hat und in seinen Surfurlauben gerne mal
kostenlose Konzerte vor Ort gibt. So oder so ist Pichilemu mit seinen Vibes einer der magischsten
Orte, die ich je besucht habe.

5   Fazit
Schlussfolgernd kann ich sagen, dass das Semester sehr anders war als alles was ich erwartet hatte.
Während das Studium nahezu ohne Abstriche möglich war, sind es insbesondere soziale Kontakte zu
einheimischen und anderen internationalen Studierenden, die mir gefehlt haben. Auch die
interkulturelle Erfahrung kommt im Online-Semester zu kurz.

Für mich war es dennoch ein Erfolg, weil ich so - neben meinem Studium an der RWTH - Kurse im
Ausland absolvieren konnte. Ich habe 10 CPs nach Hause geholt und meine Spanischkenntnisse
enorm verbessert. Außerdem kann ich mir gut vorstellen eines Tages in Chile zu arbeiten und denke,
dass das Auslandssemester ein wichtiger Schritt für meine Karriere ist.

Ich würde ein Online-Auslandssemester deshalb nur denjenigen empfehlen, die wirklich am Studium
an der Partneruniversität interessiert sind. Wenn Reisen, Kultur und Kontakte wegfallen bleibt vom
Auslandssemester nicht viel. Andererseits hat man auch nichts zu verlieren. Mir wurde zum Beispiel
vom International Office angeboten, nach dem Online-Semester für ein weiteres Präsenz-Semester
an der Partnerhochschule zu studieren. In meinem Fall war das nicht möglich, aber vielleicht ja bei
euch.

Meldet Euch bei Fragen gerne bei mir.

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