Familienzusammenführung von Asylbewerbern nach der Dublin-II-Verordnung - Bad Münster am Stein, 4.9.2012 Maria Bethke, Flüchtlingsberatung Gießen ...

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Familienzusammenführung
von Asylbewerbern nach der
   Dublin-II-Verordnung
     Bad Münster am Stein, 4.9.2012
 Maria Bethke, Flüchtlingsberatung Gießen
   fluechtlingsberatung@ekhn-net.de
Familienzusammenführung nach der D-II-VO
                 Wie das?

Die Dublin-II-VO ist eine Asylzuständigkeits-
bestimmungs-VO und nicht primär als Instrument
der Familienzusammenführung konzipiert
Aber:
Zwecks Vereinbarkeit mit Art. 8 EMRK und aus
Gründen der Verfahrensökonomie enthält die D-II-
VO Regelungen zur Zusammenführung bzw. Nicht-
Trennung von Familien
Erwägungsgründe

• (6) Die Einheit der Familie sollte gewahrt werden, soweit
  dies mit den sonstigen Zielen [der D-II-VO] vereinbar ist,
  (…).
• (7) Die gemeinsame Bearbeitung der Asylanträge der
  Mitglieder einer Familie durch ein und denselben
  Mitgliedstaat ermöglicht eine genauere Prüfung der
  Anträge und kohärente damit zusammenhängende
  Entscheidungen.
  Die Mitgliedstaaten sollten von den Zuständigkeitskriterien
  abweichen können, um eine räumliche Annäherung von
  Familienmitgliedern vorzunehmen, sofern dies aus
  humanitären Gründen erforderlich ist.
Familienzusammenführung nach der D-II-VO
                 Wie das?

das heißt:

In bestimmten Konstellationen können
Asylsuchende zur Durchführung ihres
Asylverfahrens mit Angehörigen zusammengeführt
werden
Begriffsverwirrung in der deutschen
           Fassung der D-II-VO
Klarstellung in der Dienstanweisung des BAMF:
• Bei der Verwendung der Begriffe „Familienangehöriger“
   und „Familienmitglied“ ist es im deutschen Text
   offensichtlich zu Übersetzungsfehlern gekommen. (…) Im
   Zweifel wird daher der englische Text ausschlaggebend
   sein.
   Nur in Art. 15 (humanitäre Klausel) sind weiter entfernte
   Verwandte gemeint (relatives), in allen weiteren die Familie
   betreffenden Artikeln lediglich Mitglieder der Kernfamilie
   (family members: Ehegatten, Eltern/Vormund und
   minderjährige ledige Kinder)
Bestimmungen der D-II-VO
                     Übersicht

• Muss-Bestimmungen – nur Kernfamilie
      Art. 6 (1), Art. 7, Art. 8 (Art. 14, hier nicht behandelt)
• Soll-Bestimmungen - auch weitere Familie
      Art. 15 (2+3) und Art. 3 (2), Selbsteintrittsrecht
• Kann-Bestimmung - auch weitere Familie
      Art. 15 (1) und Art. 3 (2), Selbsteintrittsrecht
Muss-Bestimmungen der D-II-VO
        Art. 6 (1) - Kernfamilie

„Handelt es sich bei dem Asylbewerber um einen
unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat, in
dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig
aufhält, für die Prüfung seines Antrags zuständig, sofern
dies im Interesse des Minderjährigen liegt.“

• Interessant: Kindeswohlvorbehalt!
• Voraussetzung bei Vormündern und Adoptiveltern:
  Vormundschaft bzw. Adoption müssen schon im
  Herkunftsland bestanden haben
Muss-Bestimmungen der D-II-VO
          Art. 7 - Kernfamilie
Hat der Asylbewerber einen Familienangehörigen -
ungeachtet der Frage, ob die Familie bereits im
Herkunftsland bestanden hat -, dem das Recht auf
Aufenthalt in einem Mitgliedstaat in seiner Eigenschaft
als Flüchtling gewährt wurde, so ist dieser Mitgliedstaat
für die Prüfung des Asylantrags zuständig, sofern die
betroffenen Personen dies wünschen.

• Wichtig: die Familieneinheit muss noch nicht im HKL
  bestanden haben
• Die schriftliche Einwilligung ist nötig
Muss-Bestimmungen der D-II-VO
          Art. 8 - Kernfamilie

„Hat ein Asylbewerber in einem Mitgliedstaat einen
Familienangehörigen, über dessen Asylantrag noch keine
erste Sachentscheidung getroffen wurde, so obliegt
diesem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags, sofern
die betroffenen Personen dies wünschen.“
• Wichtig: die Familieneinheit muss im HKL bestanden
   haben
• Die schriftliche Einwilligung ist nötig
Soll-Bestimmungen der D-II-VO
      Art. 15 (3) – weitere Familie

Ist der Asylbewerber ein unbegleiteter Minderjähriger, der
ein oder mehrere Familienangehörige hat, die sich in
einem anderen Mitgliedstaat aufhalten, und die ihn bei
sich aufnehmen können, so nehmen die Mitgliedstaaten
nach Möglichkeit eine räumliche Annäherung dieses
Minderjährigen an seinen bzw. seine Angehörigen vor, es
sei denn, dass dies nicht im Interesse des Minderjährigen
liegt..“
• Interessant: Kindeswohlvorbehalt!
• Wichtig: die familiäre Bindung muss noch nicht im HKL
   bestanden haben
Soll-Bestimmungen der D-II-VO
      Art. 15 (2) – weitere Familie

„In Fällen, in denen die betroffene Person wegen
Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, einer
schweren Krankheit, einer ernsthaften Behinderung oder
hohen Alters auf die Unterstützung der anderen Person
angewiesen ist, entscheiden die Mitgliedstaaten im
Regelfall, den Asylbewerber und den anderen
Familienangehörigen, der sich im Hoheitsgebiet eines
Mitgliedstaats aufhält, nicht zu trennen bzw. sie
zusammenführen, sofern die familiäre Bindung bereits im
Herkunftsland bestanden hat.“
Soll-Bestimmungen der D-II-VO
      Art. 15 (1) – weitere Familie

„Jeder Mitgliedstaat kann aus humanitären Gründen, die
sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen
Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere
abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch
wenn er dafür nach den Kriterien dieser Verordnung nicht
zuständig ist. In diesem Fall prüft jener Mitgliedstaat auf
Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats den Asylantrag der
betroffenen Person. Die betroffenen Personen müssen
dem zustimmen.“
Übersicht Familienzusammenführung
         im Wege der D-II-VO

Unbegleiteter minderjähriger Asylbewerber

• zu Eltern(teil) oder Vormund*):      MUSS Art. 6 (1)
• Zu aufnahmebereiten Verwandten:      SOLL Art. 15 (3)
• zu anderen Verwandten:               KANN Art. 15 (1)
*) Vormundschaft muss schon im HKL bestanden haben
Übersicht Familienzusammenführung
         im Wege der D-II-VO

Erwachsener Asylbewerber zu seinem Ehepartner oder
minderjährigen Kind, wenn diese

• den Flüchtlingsstatus haben:          MUSS Art. 7
• im Asylverfahren sind*)               MUSS Art. 8
• einen anderem Aufenthaltsstatus haben KANN Art. 15 (1)

*) Ehe/Vormundschaft muss schon im HKL bestanden haben
Übersicht Familienzusammenführung
         im Wege der D-II-VO

Minderjähriger oder erwachsener Asylbewerber zu
sonstigem Verwandten:

• Bei Schwangerschaft, schwerer
  Krankheit etc. *) :                    SOLL Art. 15 (2)
• Ansonsten:                             KANN Art. 15 (1)

*) familiäre Bindung muss schon im HKL bestanden haben
Herausforderungen in der Beratung

• UMF: (Altersfestsetzung), Definition
  „Aufnahmebereitschaft“ des/der Verwandten,
  Übernahme der Vormundschaft
• Kinder: Nachweis der Vater-/Mutterschaft
  (Urkunden, DNA-Test, eidesstattliche
  Versicherungen)
• Ehepartner: Nachweis der Eheschließung
• Sonstige Verwandte: besondere
  Hilfsbedürftigkeit, sonstige familiäre Gründe
Herausforderungen in der Beratung

• alle Beteiligten müssen genau auf die identische
  Schreibung der Namen achten
• Besonderes Problem in Griechenland:
  Asylantragstellung ist ohne anwaltliche Hilfe
  faktisch unmöglich (Unterstützung in
  Familienzusammenführungsfällen bietet z.B. die
  NGO AITIMA)
Fristen im Aufnahmeverfahren, hier
   am Bsp. Griechenland-Deutschland
Aufnahmeersuchen von GR an DE:
     3 Monate ab Asylantragstellung in GR

Antwort von DE an GR:
     2 Monate ab Eingang des Ersuchens

Überstellung von GR nach DE:
      6 Monate ab Zustimmung Deutschlands
(alle Fristen im Überblick: www.asyl.net/?id=340)
Verfahrensablauf, hier am Bsp.
        Griechenland-Deutschland

Frau A. wendet sich an die Beratungsstelle der Diakonie.
Sie hat in Deutschland Asyl beantragt, Deutschland ist für
ihr Asylverfahren zuständig. Über ihren Asylantrag wurde
noch nicht entschieden.
Ihr Mann und ihr Sohn leben in Griechenland auf der
Straße.
Verfahrensablauf, hier am Bsp.
        Griechenland-Deutschland

DW-Beratungsstelle
• Nimmt Namen und Geburtsdaten von Mann und Sohn
  so genau wie möglich auf, kopiert die
  Aufenthaltsgestattung und die Zustimmungserklärung
  von Frau A und schickt alles an eine NGO in GR
• Klärt, ob es Heirats-/Geburtsurkunden/Pässe gibt,
  nimmt ggf. eine Eidesstattliche Versicherung auf, klärt
  ggf. die Kostenübernahme für einen DNA-Test (ist nicht
  immer nötig, beschleunigt das Verfahren aber)
• Gibt Frau A. die Kontaktdaten der griechischen NGO
Verfahrensablauf, hier am Bsp.
        Griechenland-Deutschland

Griechische NGO
• Hilft Mann und Sohn bei der Asylantragstellung in GR,
  legt dort die deutsche AG der Mutter, die
  Zustimmungserklärung und ggf. weiter Unterlagen vor
• Schickt eine Kopie der griechischen
  Aufenthaltsgestattung („pink card“) an die deutschen
  Kollegen zwecks Abgleich der Namensschreibweisen
Verfahrensablauf, hier am Bsp.
       Griechenland-Deutschland

DW-Beratungsstelle
• Achtet ggf. darauf, dass die Namen von Mann und Sohn
  bei der Anhörung korrekt transkribiert werden
• Hilft ggf. bei der Durchführung des DNA-Tests (in
  Deutschland i.d.R. beim Hausarzt, in GR beim Arzt der
  Deutschen Botschaft)
• Kontaktiert das deutsche Dublinreferat, sobald GR DE
  um Übernahme ersucht hat, übersendet bei Bedarf
  Urkunden, Zustimmungserklärung der Mutter, DNA-
  Testergebnisse
Verfahrensablauf, hier am Bsp.
       Griechenland-Deutschland

Zusammenführung
• Herr A. und der gemeinsame Sohn werden von
  Griechenland nach Deutschland überstellt
• Beide erhalten (sinnvollerweise zusammen mit der
  Mutter) ein Asylverfahren in Deutschland
Beispielfälle – Wer ist zuständig?
     Muss-/Soll-/Kann-Bestimmung?
1) Hamid ist 15 Jahre alt, er ist aus Afghanistan nach
Griechenland geflüchtet. Seine Mutter lebt geduldet in
Deutschland.
2) Yonas und seine Frau Sara wurden auf der Flucht von
Eritrea nach Europa getrennt. Als Yonas in Italien ankommt,
erfährt er, dass Sara schon in Deutschland Asyl beantragt hat.
3) Wie 2), aber Sara hat bereits subsidiären Schutz erhalten
4) Wie 2), aber 3), aber Sara ist schwanger
5) Abdi folgt seiner Frau und seinen Kindern auf der Flucht
nach Norwegen, sie haben dort bereits den Flüchtlingsstatus
erhalten. In Deutschland nimmt ihn die Polizei fest.
Beispielfälle – Lösungen
1) § 6 Abs. 1 – Deutschland ist für Hamid zuständig, weil
sich seine Mutter hier aufhält.
2) Art. 8 - Deutschland ist für Yonas zuständig.
3) Art. 15 (1) – Deutschland kann sich für Yonas zuständig
erklären.
4) Art. 15 (2) - Deutschland soll sich für Yonas zuständig
erklären.
5) Art. 7 – Norwegen ist für Abdi zuständig. Wenn Abdi
aus Somalia stammt, wird er vor dem Problem stehen,
dass er keine Heirats- und Geburtsurkunden vorlegen
kann. Ggf. muss er einen DNA-Test durchführen lassen.
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