Homosexualit t als Unterrichtsthema - Ideen und Materialien f r den Schul- und Hochschulunterricht
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Michael Lenz, Nicolas Bröckling (Hrsg.) Homosexualität als Unterrichtsthema Ideen und Materialien für den Schul- und Hochschulunterricht Universität Bielefeld, Fakultät für Erziehungswissenschaft | 2015
Inhalt Editorial ................................................................................................................................................................... Michael Lenz, Nicolas Bröckling Homosexualität als hochschuldidaktische Herausforderung ..................................................................... Berna Ayyildiz, Tahra Cheema, Selma Dogan, Gül Saat, Adriana Wahl Sommersturm ................................................................................................................................................... Ann-Christin Faix, Jasmin Klinksiek Sommersturm ................................................................................................................................................... Andrea Freymuth, omas Pukrop Entscheidungsspiele im Unterricht .................................................................................................................. Stephanie Ohlberger, Konstantin Runte Coming-out in digitalen Medien ...................................................................................................................... Saskia Beermann, Julia Krüger, Carolin Wilde Beautiful ing..................................................................................................................................................... Sarah Helleberg, Julia Roder, Stephan Schlottke, Laura Wizenti Homosexualität in Musikvideos ....................................................................................................................... Lisanne Ostermann, Katharina Paul, Ceren Sag, Lisa Schumacher Coming-out im Lehrberuf – ein Fallbeispiel.................................................................................................. Nina Gerdtoberens, Paula Zirzow Wie sage ich es nur? ............................................................................................................................................ Anna-Lena Jürgensmeyer, Lisa Holtermann, Mandy Wellhausen »Keine Angst in Andersrum«?!......................................................................................................................... Felix Burmeister, Jan Knoche, Marieke Tenger, Kristin Wörmann Homosexualität im Fußball ............................................................................................................................... Hinweise zu den Autorinnen und Autoren .................................................................................................... Impressum ............................................................................................................................................................
Editorial Schülerinnen und Schüler unterscheiden sich hin- Eine schulische Sexualerziehung kann aus unserer sichtlich vielfältiger Merkmalsdimensionen (wie bspw. Sicht nur gelingen, wenn (bereits angehende) Lehre- Alter, Geschlecht, Begabungspro l etc.), die eine zen- rinnen und Lehrer für die Vermittlung von emen trale Stellung im bildungswissenschaftlichen emen- aus dem Bereich sexueller Vielfalt ausgebildet werden feld »Umgang mit Heterogenität« einnehmen. Die und bezüglich der Erscheinungsformen von Homo- sexuelle Orientierung zählt zu den Heterogenitäts- phobie und Diskriminierung sensibilisiert werden. Da- dimensionen, wird jedoch im schulischen und uni- bei ist zu berücksichtigen, dass eine positive Einstel- versitären Kontext (insbes. im Rahmen der Lehrer- lung zum Phänomen der sexuellen Vielfalt im Sinne bildung) omals nicht oder nur unzureichend the- einer der Aufklärung verpflichteten schulischen Erzie- matisiert. ›Homosexualität‹ ist ein immer noch ge- hung gefördert, aber nicht »verordnet« oder gar »er- sellschalich höchst kontrovers diskutiertes ema. zwungen« werden kann. Welche emotionalen Einstel- Es gehörte vor Jahren zu den sog. »heißen Eisen« lungen Schülerinnen und Schüler bzw. Lehrkräfte wirk- der schulischen Sexualerziehung (vgl. Glück , S. lich zum ema ›Homosexualität‹ einnehmen, lässt ). Und das hat sich anscheinend in der heutigen sich selbst durch forschungsmethodisch perfekt an- Zeit – trotz Bemühungen um mehr Akzeptanz von gelegte Befragungen und Verhaltensbeobachtungen LSBTI 1, Anerkennung sexueller Vielfalt und Aktions- allenfalls erahnen, aber nicht direkt ermitteln.3 plänen gegen Homophobie 2 – nicht grundlegend ge- Doch wie kann eine gelungene Behandlung von e- ändert. Aktuell zeigt sich dies in den Diskursen um men aus dem Bereich ›sexuelle Vielfalt‹ aussehen? die sog. ›Homo-Ehe‹ in Deutschland und die seit Dazu nden sich in Printform leider nur wenige (vgl. Ende geführte Kontroverse um den neuen Bil- insbes. Breckenfelder ), im Internet hingegen zahl- dungsplan in Baden-Württemberg. Vor diesem Hin- reiche unterschiedliche Materialien.4 Diese wurden tergrund ist fraglich, ob sich in den vergangenen i.d.R. von lesbischen oder schwulen Lehrerinnen und Jahrzehnten die Einstellungen der Bundesbürger zur Lehrern, Aktivistinnen und Aktivisten oder sonstigen Homosexualität wirklich verändert haben. Bochow Vertreterinnen und Vertretern aus Interessenverbän- () hatte bereits vor Jahren ein Drittel der den entwickelt. Dass dies im gesellschaftlichen Dis- deutschen Bevölkerung als schwulenfeindlich (Ho- kurs zu Problemen führen kann, soll im Folgenden mophobie), ein Drittel als ambivalent (Toleranz) und an einem kurzen Beispiel illustriert werden: ein Drittel als schwulenfreundlich (Akzeptanz) cha- Von der GEW Baden-Württemberg wurde im Fe- rakterisiert. bruar vom Arbeitskreis Lesbenpolitik des Vor- Umso bedeutender scheint auch in der heutigen Zeit standbereichs Frauen ein He mit Materialien zur die Beschäigung mit dem ema »Akzeptanz sexu- Umsetzung des Neuen Bildungsplans im Schulunter- eller Vielfalt« zu sein: Der Schule als Sozialisations- richt herausgegeben (vgl. GEW Baden-Württemberg instanz kommt eine besondere Bedeutung hinsicht- ). In dieser Broschüre für Lehrerinnen und Leh- lich der Erziehung zur Anerkennung unterschiedli- rer ndet sich im Kontext einer Vertiefungsphase ei- cher Formen sexueller Orientierungen zu. Noch im ner Unterrichtseinheit ein sog. ›heterosexueller Frage- Jahr war es um die Akzeptanz von Homosexu- bogen‹, der zwölf Fragen enthält, denen ein ktives alität im schulischen Kontext nicht gut bestellt, wie Szenario einer Gesellscha zugrunde liegt, in der eine Befragung durch Biechele (, S. , ohne Her- Homosexualität die mehrheitliche sexuelle Orientie- vorh.) ergab: »Die Schule ist ein homophober Ort. In rung darstellt und Heterosexualität eine Abweichung weniger als der Fälle erleben die Schüler, dass dieser Norm.5 Dabei sollen offensichtlich Fragen wie LehrerInnen Schwule verteidigen, wenn sie zur Ziel- »Wann und warum hast du dich entschlossen, hete- scheibe von Witzen und Verächtlichmachung werden«. rosexuell zu sein?« (vgl. GEW Baden-Württemberg 1 Mit der Kurzbezeichnung ›LSBTI‹ werden Schwule, Lesben, Bi- 3 So geht auch Timmermanns (vgl. Timmermanns , S. , sexuelle, Transsexuelle bzw. Transgender und Intersexuelle erfasst. ) davon aus, dass Schülerinnen und Schüler mittlerweile bei 2 Unter ›Homophobie‹ wird gemeinhin eine ablehnende bzw. Befragungen nicht immer ihre wirklichen Ansichten mitteilen, feindliche Haltung gegenüber LSBTI verstanden, die sich in viel- sondern Stellungnahmen abgeben, die ihrer Meinung nach der fältigen Formen von Diskriminierung äußert. Aktionspläne ge- ›political correctness‹ im Umgang mit LSBTI entsprechen. gen Homophobie gibt es derzeit in sechs Bundesländern (Berlin, 4 Exemplarisch sei hier auf das Projekt »Schule der Vielfalt« Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rhein- (http://www.schule-der-vielfalt.de) verwiesen land-Pfalz und Schleswig-Holstein). In fünf weiteren Bundeslän- 5 Die gesellschalich kritisierte ›Heteronormativität‹ wird hier dern sind sie in Vorbereitung. gedanklich durch eine ›Homonormativität‹ ersetzt. Homosexualität als Unterrichtsthema | Editorial 5
, S. ) von den Schülerinnen und Schülern zur Gruppen mit einem jeweils eigenen Layout erstellt Re exion ihres sexuellen Selbstverständnisses und worden sind und die Projektthemen von Filmdar- zur Hinterfragung von Geschlechterstereotypen ge- stellungen und Einzelmaterialien bis hin zu Unter- nutzt werden. In der öffentlichen und medial geführ- richtsentwürfen reichen. Nebenbei bemerkt lassen ten Debatte um den neuen Bildungsplan wurden je- sich einige der präsentierten Konzepte und Ideen (vgl. doch einzelne Fragen dieses heterosexuellen Frage- bspw. die ab Seite dargestellten ›Entscheidungs- bogens absichtlich zur Diskreditierung der Position spiele‹ im Unterricht) erfolgreich auf völlig andere der Bildungsplanbefürworter benutzt, indem sie aus Unterrichtsthemen und -inhalte – jenseits ›sexueller ihrem Kontext gerissen und ohne Hinweis auf das Vielfalt‹ bzw. ›Homosexualität‹ – übertragen. zugrunde liegende Gedankenexperiment in Talkshows Die Projektdarstellungen zeichnen sich aus unserer und öffentlichen Diskussionen präsentiert wurden – Sicht durch zwei Merkmale aus: Erstens handelt es bspw. in der am .. von der ARD ausge- sich um Materialien und Entwürfe, die eben nicht strahlten Sendung »Menschen bei Maischberger: Ho- von Lesben und Schwulen oder anderen Interessen- mosexualität auf dem Lehrplan«.6 Aus diesem Bei- vertretungen entwickelt worden sind. Sie demonstrie- spiel kann man lernen, dass veröffentlichte Unter- ren, dass sich Studierende einfühlsam und motiviert richtsmaterialien immer didaktische Begründungen mit dem ema ›sexuelle Vielfalt im Unterricht‹ aus- und hinreichende Erläuterungen enthalten müssen. einandersetzen können. Zweitens dokumentieren die Zudem ist bei der Entwicklung von Unterrichtsma- Projekte, dass im universitären Seminarkontext im terialien zum ema ›sexuelle Vielfalt‹ ein besonde- Rahmen einer Projekt- bzw. Gruppenarbeitsphase res »Fingerspitzengefühl« erforderlich. gewinnbringende Ergebnisse erzielt werden können, Vor diesem Hintergrund wurde von uns im Sommer- wenn Lehrende bereit sind, offene Unterrichtssettings semester an der Fakultät für Erziehungswissen- auszuprobieren und zur Rolle des Lernberaters und scha der Universität Bielefeld ein bildungswissen- -begleiters zu wechseln. schaliches Seminar mit dem Titel »Homosexualität Im Folgenden sollen einleitend die im Anschluss prä- als Unterrichtsthema« durchgeführt. Im Rahmen ei- sentierten Beiträge vorgestellt werden: ner dreiwöchigen Gruppenarbeitsphase wurden von § Unter dem Titel »Homosexualität als hochschul- den Studierenden dieses Seminars in Kleingruppen didaktische Herausforderung« stellen Michael Lenz eigene Unterrichtsmaterialien zum ema ›Homose- und Nicolas Bröckling die Konzeption des bereits xualität‹ entwickelt. Bereits bei der anschließenden angesprochenen Seminars ›Homosexualität als Un- Präsentation dieser ›Projekte‹ zeigte sich, dass einige terrichtsthema‹ dar. Dabei werden auch theoreti- der Materialien derart interessante und innovative sche Fragestellungen aus dem Bereich ›Homosexu- Ansätze und Ideen enthielten, dass es aus unserer Sicht alität‹ in die Diskussion einbezogen sowie inhaltli- schade wäre, wenn diese auf einer Online-Lernplatt- che Forschungsdesiderata thematisiert. form nur einem eingeschränkten Kreis von Personen § Im Beitrag »Sommersturm « wird von Berna zugänglich wären. Daher fassten wir den Entschluss, Ayyildiz, Tahra Cheema, Selma Dogan, Gül Saat einige dieser Projekte mit Zustimmung der Studie- und Adriana Wahl der Inhalt des Films »Sommer- renden in der vorliegenden Online-Publikation zu- sturm« von Marco Kreuzpaintner aus dem Jahr sammenzufassen und im Internet zu veröffentlichen. aufgearbeitet. Besonders hervorzuheben ist Wir bitten die Leserinnen und Leser zu berücksich- in diesem Zusammenhang die schematische Dar- tigen, dass es sich hier um Arbeiten handelt, die in stellung der Figurenkonstellation (vgl. S. ), die einer kurzen Entwicklungsphase von nur drei Wo- sich so in anderen Materialien nicht ndet und zeigt, chen entstanden sind und die von Studierenden – dass mittels des Films nicht nur schwule, sondern und nicht von professionellen Didaktikern – entwi- auch heterosexuelle Beziehungsaspekte im Unter- ckelt und verschrilicht worden sind. Die Präsenta- richt in den Blick genommen werden können. Als tion von Ideen ist uns hier im Sinne einer authenti- besonders interessant erweist sich die Idee, einen schen Dokumentation der Projekte wichtiger als die Film inhaltlich anhand von Tagebucheinträgen aus Professionalität didaktischer Analysen und die satztech- Sicht der Haupt- oder Nebencharaktere aufzuarbei- nische Uniformität – zumal die ›Verschrilichungen‹ ten, die von Schülerinnen und Schülern selbst ver- der einzelnen Projekte durch eine große Heterogeni- fasst werden. Damit eröffnet sich die Chance, sich tät gekennzeichnet sind, Präsentationsfolien von den in die Perspektive der Filmcharaktere hineinzuver- 6 Ein Video der Sendung »Menschen bei Maischberger: Homo- ist auf YouTube einsehbar unter: https://www.youtube.com/watch? sexualität auf dem Lehrplan« vom .., : Uhr, ARD, v=WQwZMh-RoH [Stand: ..]. 6 Homosexualität als Unterrichtsthema | Editorial
setzen und Probleme nachzuvollziehen, die sich Medien«, mag auf den ersten Blick missverständ- für Jugendliche im Rahmen des Erwerbs ihrer Ge- lich und abstrus erscheinen. Die Studierenden the- schlechtsidentität und der Entwicklung ihrer sexu- matisieren ein Phänomen, das erst seit den letzten ellen Orientierung ergeben. Jahren zu verzeichnen ist und für das bisher wenig § Im Beitrag »Sommersturm « illustrieren Ann- öffentliches Problembewusstsein vorhanden zu sein Christin Faix und Jasmin Klinksiek ebenfalls an- scheint: ein bewusstes Coming-out von Jugendli- hand des Films »Sommersturm«, wie unterschied- chen vor der Webcam, bei dem Familienangehöri- lich die Zugänge zu demselben Medium ausfallen gen oder Freunden – und letztlich durch das Hoch- können: In ihrem Unterrichtsentwurf für das Un- laden bspw. auf YouTube der gesamten Welt – die terrichtsfach Pädagogik wird der Film vorrangig eigene sexuelle Orientierung als lesbisch oder schwul vor dem Hintergrund von Erik H. Eriksons Stufen- offenbart wird. Als Beispiele wurden drei YouTube- modell der psychosozialen Entwicklung betrach- Videos – mit einer besonders positiven, neutralen tet, wobei der Fokus auf der fünen Krise (›Identi- und negativen Reaktion der Angehörigen auf ein tät‹ vs. ›Identitätsdiffusion‹) liegt, die zwischen dem Coming-out – ausgewählt und analysiert. Gerade . und . Lebensjahr bewältigt werden muss. e- vor dem problematischen Hintergrund, dass derar- matisiert wird auch die Gefahr, die in einer derar- tige Eigen lme zum unkontrollierbaren Selbstläufer tigen Verknüpfung von Theorieansatz und Film lie- werden können, das Internet nicht »vergisst« und gen kann: die mögliche Übertragung einer generell spätere Folgen von Jugendlichen selten mitbedacht ablehnenden Haltung gegenüber dem psychoana- werden, sollten Lehrerinnen und Lehrer über die- lytischen eoriegebäude auf das ema ›Homo- ses Phänomen informiert sein und es ggf. im Un- sexualität‹ vonseiten der Schülerinnen und Schüler. terricht thematisieren. Beide Beiträge zum Film ›Sommersturm‹ verdeutli- § Im Beitrag »Beautiful ing« von Saskia Beer- chen hier das didaktische Zusammenspiel von Ent- mann, Julia Krüger und Carolin Wilde geht es scheidungen bezüglich der Inhalte/Ziele und Metho- um das ema ›Erste Liebe‹. Dabei steht wiederum den/Medien im Prozess der Unterrichtsvorbereitung. ein Film im Zentrum der Betrachtung, der bereits § Unter der Überschrift »Entscheidungsspiele im Un- im Jahr ausgestrahlt worden ist. Letzterer über- terricht« stellen Andrea Freymuth und omas zeugt nicht nur durch einen einfühlsamen Umgang Pukrop eine Methode vor, die auf einem literari- mit dem ema ›Coming-out‹, sondern bietet auch schen Genre basiert, das in der heutigen Zeit (mit als »Milieustudie« zahlreiche Anknüpfungspunkte Ausnahme einiger Comics) fast vollständig aus der für die ematisierung von sexueller Vielfalt in Gegenwartsliteratur verschwunden zu sein scheint verschiedenen Unterrichtsfächern wie z. B. Deutsch, und Parallelen zu den in den er-Jahren belieb- Englisch, Sozialwissenschaften, Geschichte oder Mu- ten Spielbüchern aus der fantastischen Literatur sik. Die Autorinnen würdigen als besonderes Merk- zeigt: Geschichten, in denen sich die Leserin bzw. mal des Films, dass Homosexualität dort eben nicht der Leser an neuralgischen Punkten für eine alter- als dominantes ema im Vordergrund steht, son- native Weiterführung der Handlung entscheiden dern vor allem ›Liebe‹ und ›Emotionalität‹, sodass kann. Im konkreten Fall wurde eine bestehende Jugendliche an ihre eigenen Gefühle und Erfah- Geschichte mit heterosexuellem Inhalt auf homo- rungen anknüpfen können und das Thema ›Homo- sexuelle Settings übertragen. Eine derartige Ge- sexualität‹ sozusagen »durch die Blume« im Unter- schichte kann im Unterricht von den Schülerinnen richt behandelt werden kann. Allerdings ist der Film und Schülern gelesen – vielleicht sogar selbst (wei- stark durch Klischees und überzeichnete Rollenbil- ter-)entwickelt – werden. Damit eröffnet sich ein der geprägt, die im Falle eines Unterrichtseinsatzes breites Spektrum von Unterrichtsfächern für den thematisiert werden sollten – eine besondere Heraus- Einsatz des Materials: So könnte bspw. im Deutsch- forderung, aber zugleich auch eine Chance. unterricht das Thema ›Homosexualität‹ indirekt be- § »Homosexualität in Musikvideos« ist das ema handelt werden bzw. käme erst sekundär zur Gel- des Beitrags von Sarah Helleberg, Julia Roder, tung. Es wäre sogar denkbar, im Informatikunter- Stephan Schlottke und Laura Wizenti, in dem die richt die Entscheidungen einer homosexuellen Epi- Songtexte und Videos der Songs »Flash mich« von sodengeschichte programmieren zu lassen, sodass Mark Forster und »Ich lass für Dich das Licht an« beim Lesen alternative Handlungsstränge nicht be- der Gruppe ›Revolverheld‹ in einen Unterrichts- reits durch Vor- oder Zurückblättern antizipiert wer- entwurf integriert werden. Im Mittelpunkt der Be- den können. trachtung steht die Frage, wie das ema ›Liebe‹ in § Das ema des Beitrags von Stephanie Ohlberger den beiden Songs aufgegriffen wird. Und auch in und Konstantin Runte, »Coming-out in digitalen diesem Entwurf ndet sich das Leitprinzip, dass die Homosexualität als Unterrichtsthema | Editorial 7
ematik in ganz unterschiedlichen Fächern – die schaft‹ oder ›(Kurz-)Filme/Filmanalyse‹ im Unter- Autorinnen und Autoren nennen den Deutsch-, Mu- richt eingesetzt werden soll. Für jedes ema wer- sik- und Religionsunterricht – oder sogar fächer- den Bezüge zu den Lehrplänen der Unterrichtsfä- übergreifend behandelt werden kann. Hervorzu- cher Englisch, Philosophie und Gesellschaslehre heben ist zudem die Idee, zunächst die Songs nur hergestellt. akustisch zu präsentieren und im Anschluss die Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Unterrichts- Schülerinnen und Schüler zu ermutigen, Bilder zu materialien – wie insbes. der sog. »heterosexuelle Fra- Songstellen anzufertigen oder sich Gedanken um gebogen« – in der gesellschalichen Debatte um die eine Videoinszenierung zu machen, bevor die offi- Anerkennung sexueller Vielfalt eine Eigendynamik ziellen Videos der Songs gezeigt werden. entwickeln können. Dabei liegt dem ›heterosexuellen Wenn über das ›Coming-out‹ als Phänomen gespro- Fragebogen‹ eigentlich eine Idee zugrunde, die im chen wird, kann allzu schnell der Anschein erweckt Sinne eines aulärenden Unterrichts zu kritischem werden, es handele sich um eine einmalige Entwick- Nachdenken anregen soll: Was wäre, wenn unsere Ge- lungsaufgabe, die im Teenageralter oder von jungen sellscha nicht ›heteronormativ‹ geprägt wäre? Kann Erwachsenen bewältigt werden muss. Coming-out ist man sich eine Gesellschaft vorstellen, in der die meis- für LSBTI allerdings ein lebenslanger Prozess, da – ten Menschen homosexuell leben (in der also Homo- auch bei einem offenen Umgang mit der eigenen se- sexualität anstelle von Heterosexualität zur Norm er- xuellen Orientierung – in neuen Lebenssituationen hoben worden ist) und Heterosexuelle eine Minder- immer wieder abgewogen werden muss, wem was heit darstellen würden? Könnte ein derartiges Ge- wann offenbart werden soll. Outet man sich im Fa- dankenspiel den Schulunterricht auf fruchtbare und milien-, Verwandten-, Freundes-, Bekanntenkreis oder nicht-missverständliche Weise bereichern? Gibt es also sogar im beru ichen Kontext? eine Alternative zum ›heterosexuellen Fragebogen‹? § Wie ambivalent entsprechende Lebenserfahrungen Mit dieser Frage setzt sich die folgende Projektgruppe ausfallen können, zeigen Lisanne Ostermann, Ka- auseinander: tharina Paul, Ceren Sag und Lisa Schumacher in § »Keine Angst in Andersrum« ist ein im März ihrem Beitrag »Coming-out im Lehrberuf – ein Fall- erschienenes Kinderbuch von Olivia Jones, in dem – beispiel«. Das von ihnen präsentierte Interview mit mit dem Anspruch einer kindgerechten Aufarbei- einer Lehrkraft war ursprünglich Teil eines sehr um- tung und Illustration – Geschlechterstereotype und fangreichen Entwurfs einer Projektwoche, in der Rollenbilder (und sogar Geschlechtspronomen) im Schülerinnen und Schüler mittels des Stationen- Rahmen einer homonormativen Fiktion in ihr Ge- lernens für die emen ›Homosexualität‹ und ›Ho- genteil verkehrt werden. Anna-Lena Jürgens- mophobie‹ sensibilisiert werden sollten. Dass im meyer, Lisa Holtermann und Mandy Wellhausen Rahmen dieses Projekts ein Interview geführt wor- setzen sich im gleichnamigen Beitrag im Rahmen den ist, hat uns überrascht und beeindruckt. Aus einer didaktischen Analyse mit dem Einsatz des hochschuldidaktischer Sicht handelt es sich um eine Buches im Grundschulunterricht auseinander. Da- interessante Anregung, die im Rahmen von Lehr- bei liegt der Verdacht nahe, dass Kinder positiver veranstaltungen zum ema ›sexuelle Vielfalt‹ ein- mit einer derartigen Verkehrung von Geschlechter- gesetzt werden kann, solange die volle Anonymität rollen umgehen können, als es Erwachsenen auf- der Befragten gewährleistet wird. Das Interview regt grund ihrer langjährigen Verfestigung von Rollen- zum kritischen Nachdenken an und verdeutlicht, bildern im Prozess ihrer Sozialisation und Identi- dass die Akzeptanz sexueller Vielfalt in unseren Schu- tätsentwicklung möglich ist. Am Ende des Beitrags len auch in der heutigen Zeit noch keine Selbstver- werden von den Autorinnen zudem kritische ständlichkeit geworden ist. Rückfragen bezüglich des Szenarios, der Inhalte § Im Beitrag »Wie sage ich es nur?« von Nina Gerd- und Intention des Buches gestellt. toberens und Paula Zirzow wird abermals die Co- Dass das ema ›Homosexualität‹ in einigen Gesell- ming-out-Problematik diskutiert – in diesem Fall schasfeldern weniger stark tabuisiert wird als in an- anhand des Unterrichtseinsatzes eines lesbischen deren, zeigen nicht nur öffentliche Outings von Poli- Kurz lms mit dem Titel »How do I say this? I am tikern und Medienstars. Als problematisch erweist sich gay«. Als besonders interessant erweist sich, dass ein Coming-out insbesondere in Domänen, die auch die Autorinnen vier verschiedene Einsatzmöglich- heute noch als »männerbesetzt« gelten bzw. deutlich keiten desselben Mediums präsentieren – je nach- durch geschlechtstypisches Verhalten geprägt sind. Als dem, ob der Film unter dem ema ›Vorurteile‹, ein derartiges Feld ist der Profifußball anzusehen, der ›LGBTI*-Begriffe kennenlernen‹, ›Liebe und Freund- im letzten Beitrag dieser Publikation thematisiert wird. 8 Homosexualität als Unterrichtsthema | Editorial
§ Unter dem Titel »Homosexualität im Fußball« stel- beitsphase beteiligt haben. Zudem bedanken wir uns len Felix Burmeister, Jan Knoche, Marieke Ten- für den Vertrauensvorschuss seitens des Studien- ger und Kristin Wörmann einen Entwurf für den dekanats der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Sportunterricht vor, in dem die sexuelle Aufklärung Universität Bielefeld im Rahmen der Veranstaltungs- im Rahmen einer Projektwoche gefördert werden planung. Nicht zuletzt gilt unser Dank Frau Kaja- kann. Dabei steht der Film »Männer wie wir« aus Kristin Krüger und Herrn Nicolai Domscheit, die als dem Jahr im Zentrum der Betrachtung. Be- Mitarbeiterin bzw. Mitarbeiter von SchLAu Bielefeld sonders hervorzuheben ist, dass in diesem Beitrag die inhaltliche Ausgestaltung von zwei Sitzungster- eine intensive Auseinandersetzung mit zahlreichen minen übernommen haben und uns durch Rückmel- im Film präsentierten – und stark überzeichneten – dung zu den Seminarsitzungen unterstützt haben. schwulen Klischees erfolgt, sodass der Film im Un- Wir hoffen, dass die hier dokumentierten Ideen und terricht eine Doppelfunktion (Kritik von Klischees, Materialien angehenden und bereits ausgebildeten Enttabuisierung stark männergeprägter Sportdomä- Lehrerinnen und Lehrern sowie Lehrenden im Hoch- nen) einnehmen kann. schulbereich als Anregung dienen und Mut machen, Abschließend möchten wir an dieser Stelle die Gele- das ema »sexuelle Vielfalt« im eigenen Unterricht genheit nutzen, uns bei all denjenigen zu bedanken, bzw. in Lehrveranstaltungen aufzugreifen. die dazu beigetragen haben, dass das Seminar »Ho- mosexualität als Unterrichtsthema« erfolgreich durch- Bielefeld, im September geführt werden konnte. Dabei sind zuallererst die Studierenden zu nennen, die am Seminar teilgenom- Michael Lenz, Nicolas Bröckling men haben und sich sehr engagiert an der Projektar- Literatur Biechele, Ulrich: Dokumentation »Schwule Jugendliche – Ergeb- GEW Baden-Württemberg, AK Lesbenpolitik des Vorstandbe- nisse zur Lebenssituation, sozialen und sexuellen Identität«, reichs Frauen (Hrsg.): Lesbische und schwule Lebensweisen – Dokumentation des Niedersächsischen Ministeriums für Frauen, ein ema für die Schule, . Au ., , Online: http://www. Arbeit und Soziales, , Online: http://www.ms.niedersach- vfa-ev.de/fileadmin/Dateien/PDF/GEW-L-S-Lebenswesen__ sen.de/download//Dokumentation_Schwule_Jugendliche_- web.pdf [Stand: ..] _Ergebnisse_zur_Lebenssituation_sozialen_und_sexuellen_Iden- Glück, Gerhard: Heisse Eisen – kalte Füsse? Eltern, Lehrer/innen titaet.pdf [Stand: ..] und Jugendliche zur Sexualität und schulischen Sexualerzie- Bochow, Michael: Einstellungen und Werthaltungen zu homose- hung, In: Koch, Friedrich (Hrsg.): Sexualerziehung und AIDS, xuellen Männern in Ost-und Westdeutschland. Ergebnisse zu Hamburg: Bergmann und Helbig einer Befragung, In: Lange, Cornelia (Hrsg.): AIDS – eine For- Jones, Olivia: Keine Angst in Andersrum. Eine Geschichte vom schungsbilanz, Berlin: editionsigma, S. – anderen Ufer, Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf Breckenfelder, Michaela (Hrsg.): Homosexualität und Schule. Timmermanns, Stefan: Keine Angst, die beißen nicht! Evalua- Handlungsfelder – Zugänge – Perspektiven, Opladen; Berlin; tion schwul-lesbischer Aulärungsprojekte in Schulen, Nor- Toronto: Verlag Barbara Budrich derstedt: Books on Demand Homosexualität als Unterrichtsthema | Editorial 9
Michael Lenz, Nicolas Bröckling Homosexualität als hochschuldidaktische Herausforderung Dass Homosexualität auch in der heutigen Zeit ein Das Thema ›sexuelle Vielfalt‹ – im Folgenden exem- gesellschaftlich kontrovers diskutiertes ema ist, wur- plarisch zugeschnitten auf Homosexualität – besitzt de im Editorial bereits angesprochen. Lehrerinnen somit für angehende – aber auch bereits fertig ausge- und Lehrer können in ihrer Ausbildung und später bildete – Lehrerinnen und Lehrer aus den bisher ge- im Schulalltag mit dem ema in vielfältiger Weise nannten Gründen eine besondere Relevanz. Im Fol- in Berührung kommen: genden werden wir zunächst ausgewählte theoreti- § Homophobie gehört auf deutschen Schulhöfen im- sche Aspekte des Themas darstellen und im Anschluss mer noch zum Schulalltag und kann sich in Form auf das von uns durchgeführte bildungswissenscha- von Verbalaggressionen (Gebrauch von Schimpf- liche Seminar eingehen. Wir bitten dabei zu berück- wörtern und diskriminierenden Äußerungen) un- sichtigen, dass die theoretischen Überlegungen – trotz ter den Schülerinnen und Schülern – aber auch ge- des Bemühens um den Einbezug aktueller wissen- genüber Lehrkräen oder im Kollegium – bis hin schaftlicher Erkenntnisse – unsere eigene Perspektive zu Mobbing und körperlichen Übergriffen äußern. auf das emenfeld ›Homosexualität‹ widerspiegeln. Lehrkräe müssen in der Lage sein, in derartigen Dabei zeigen sich sowohl Überschneidungen als auch Situationen angemessen zu reagieren. Abweichungen von verschiedenen Positionen, die In- § Basierend auf der Schätzung, dass etwa aller Men- teressenverbände bezüglich dieser ematik vertre- schen homosexuell sind (vgl. GEW Baden-Württem- ten. Aus unserer Sicht ist es im Sinne der Bildungs- berg , S. ), müssen Lehrkräe davon ausge- ideale der Aulärung und Mündigkeit jedoch uner- hen, dass sich in ihren Schulklassen betroffene Ju- lässlich, dass sich jede Leserin und jeder Leser selbst gendliche be nden könnten, die sich bezüglich ihrer eine eigene Meinung zu diesem ema bildet. sexuellen Orientierung noch unsicher sind oder sich bereits in einem Prozess des Coming-out be nden. Theoretische Aspekte Es ist auch möglich, dass sich eine Schülerin oder ein Schüler gegenüber einer Lehrkra outet oder sich Bereits im Zuge der Planung und Konzeption unse- ihr hilfesuchend anvertraut. res Seminars mussten wir feststellen, dass in der Aus- § Homosexualität kann auch zum ema in Eltern- einandersetzung mit dem emenfeld ›Homosexua- gesprächen werden. Gerade in derartigen Situationen lität‹ eine Tendenz zu beobachten ist, angeblich ab- ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Alltagswissen, gesichertes »Wissen« ohne kritische Re exion in die Halbwissen, Geschlechterstereotype und Vorurteile Diskussion einzubringen. So ndet sich bspw. in den in Gespräche ein ießen. Lehrkräe müssen in der von der GEW Baden-Württemberg herausgegebenen Lage sein, auf der Basis wissenschaftlicher Erkennt- Unterrichtsbeispielen im Bereich »Informationen für nisse zur sexuellen Orientierung in Beratungsge- Lehrkräe« die ese: »Heterosexualität, Bisexuali- sprächen angemessen zu reagieren. Dabei sind die tät und Homosexualität gab es zu allen Zeiten in al- Re exion der eigenen sexuellen Orientierung und len Kulturen« (GEW Baden-Württemberg , S. die Bildung einer eigenen Meinung zu dieser e- ). Und in diversen Online-Quellen wird versucht, matik unabdingbare Grundvoraussetzungen für ein Homosexualität mittels des Hinweises auf ihre Ver- professionelles Handeln von Lehrkräen. breitung im Tierreich als »natürlich« zu legitimieren, § Nicht zuletzt erfordert die in Richtlinien, Rahmen- wie bspw. das folgende Zitat aus einem Psychologie- vorgaben und Aktionsplänen eingeforderte (teils Lexikon im Internet belegt: »Homosexualität ist auch fachübergreifende) Umsetzung des emas ›sexu- im Tierreich weit verbreitet und nichts Ungewöhnli- elle Vielfalt‹ die Sichtung, kritische Bewertung und ches. Wenn Homosexualität nichts zum Überleben Anpassung bereits vorhandener oder sogar die Ent- einer Art beitragen würde, wäre eine solche Verbrei- wicklung neuer Konzepte und Materialien für den tung eher unwahrscheinlich« (vgl. Psycomeda o.J.). Einsatz im eigenen Unterricht. Angehende Lehr- Einerseits vermitteln derartige Informationen den Le- kräe sollten daher bereits in der ersten Phase der serinnen und Lesern den Eindruck empirisch abge- Lehrerausbildung an den Universitäten auf diese sicherter »Wahrheiten«. Auf der anderen Seite können Tätigkeiten vorbereitet werden. sie als Argumente hilfreich sein, um homophoben Homosexualität als Unterrichtsthema | Homosexualität als hochschuldidaktische Herausforderung 11
Meinungsäußerungen in Alltagsdiskussionen und in schen in der Kategorie ›bisexuell‹ schwankt zwischen der Schule zu begegnen. Aber handelt es sich hier , und , Prozent.7 Zur tatsächlichen Verbreitung wirklich um Erkenntnisse, die aus wissenschalicher von Homosexualität in der deutschen Bevölkerung Sicht vertreten werden können? Ziel der folgenden liegen allerdings keine aktuellen empirischen Be- Betrachtungen wird sein, einige derartige »starke« funde vor. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass sich esen genauer in den Blick zu nehmen, indem sie die genannten Zahlen jeweils auf den Anteil aller be- in Frageform diskutiert werden. Die Fragen eignen fragten Männer bzw. Frauen – und damit nicht auf sich aus unserer Sicht auch als Anregungen zu kriti- die gesamte Bevölkerung – beziehen: Ein Anteil von schen Diskussionen in der Schule und Lehrerbildung. , Prozent der Männer und , Prozent der Frauen bedeutet also nicht, dass (aufsummierte) , Prozent Was versteht man unter Homosexualität? der Menschen schwul oder lesbisch sind, sondern In der wissenschalichen Literatur und diversen In- dass der Anteil von Homosexuellen an der Gesamt- ternetquellen nden sich unterschiedliche – mitun- bevölkerung – je nach tatsächlicher demogra scher ter sehr theoretische und »nüchterne« – De nitionen Häu gkeit der Geschlechter – zwischen , und , zur sexuellen Orientierung. Interessant im Sinne des Prozent liegen düre. emanzipatorischen Erkenntnisinteresses im Kontext von Schule ist folgende De nition der Bisexualität aus Ist der Mensch eigentlich bisexuell? der Informationsbroschüre der GEW Baden-Würt- Diese Annahme ist mehr als Jahre alt und ndet temberg (, S. , Hervorh. ML, NB): »Ein bise- sich bereits in den Werken von Sigmund Freud (vgl. xueller Mensch hat die Fähigkeit, beide Geschlechter Rauch eisch , S. ). Der amerikanische Sexu- zu lieben.« Hier wird nicht die sexuelle Neigung oder alforscher Alfred Kinsey ging in seinen Untersuchun- das sexuelle Begehren in den Vordergrund gestellt, gen Ende der er Jahre davon aus, dass die Gren- sondern die sexuelle Orientierung mittels des positiv zen zwischen den sexuellen Orientierungen ießend konnotierten Fähigkeitsbegriffs als menschliches Ver- sind – eine Position, die sich auch in den Bemühun- mögen beschrieben. Homosexualität ließe sich dem- gen zur sog. »Dekonstruktion« der sexuellen Orien- entsprechend als »Fähigkeit, einen Menschen des glei- tierung in feministisch-konstruktivistischen Ansät- chen Geschlechts zu lieben« definieren, Heterosexua- zen der neueren Genderforschung wieder ndet (vgl. lität in analoger Weise als »Fähigkeit, einen Menschen z. B. Timmermanns , S. , f). Die von Kinsey des anderen Geschlechts zu lieben«. entwickelte »Kinsey-Skala«8 wird auch heute noch in Publikationen zur sexuellen Orientierung als Beispiel Wie verbreitet ist Homosexualität wirklich? zur Veranschaulichung dieser ese herangezogen (vgl. Untersuchungsergebnisse zur demogra schen Häu- GEW Baden-Württemberg , S. ). Als proble- figkeit von Homosexualität können sehr unterschied- matisch erweisen sich hier aus unserer Sicht drei As- lich ausfallen. Hohe Schätzwerte nden sich bspw. pekte: Erstens sind die Untersuchungen Kinseys mitt- bei Voß unter Berufung auf Rauch eisch (vgl. , lerweile mehr als Jahre alt. Aktuellere Erhebungen S. ): »Statistisch betrachtet sind etwa fünf bis zehn zeigen ambivalente Ergebnisse: So gaben bspw. in den Prozent … der Gesamtbevölkerung homosexuell … er Jahren Prozent der befragten Jugendlichen Übertragen auf den Schulalltag gibt es folglich in je- an, schon einmal sexuellen Kontakt mit einem Part- der Schulklasse circa ein bis zwei Schüler_innen [sic] ner des gleichen Geschlechts gehabt zu haben. In ei- die lesbisch oder schwul sind« (Voß , S. ). In- ner Wiederholungsbefragung in den er Jahren ternationale Vergleichszahlen aus Erhebungen und war diese Gruppe – trotz gesellschalicher Tenden- Meta-Analysen der letzten Jahre fallen hingegen zen zur sexuellen Liberalisierung – auf zwei Prozent deutlich geringer aus: Demnach liegt der Anteil der gesunken (vgl. Timmermanns , S. , ). Zwei- Männer, die sich als ›schwul‹ einschätzen, bei ca. , tens berücksichtigt die Kinsey-Skala ausschließlich bis , Prozent. Als ›lesbisch‹ bezeichnen sich ca. , das sexuelle Verhalten. Einzubeziehen wären jedoch bis , Prozent der Frauen und der Anteil der Men- auch Neigungen und Fantasien, emotionale und so- 7 Zugrunde gelegt wurden hier acht auf Wikipedia (Quelle: 8 Kinsey ging von einer siebenstu gen Skala der sexuellen Ori- https://de.wikipedia.org/wiki/HomosexualitCAt, Stand: . entierung aus, wobei die Extreme durch eine ausschließlich he- .) genannte Untersuchungen aus den Ländern Deutsch- terosexuelle bzw. homosexuelle Orientierung geprägt sind. Auf land, Australien, Kanada, Großbritannien und den USA, die zwi- den Zwischenstufen nden sich unterschiedliche Ausprägungs- schen den Jahren und durchgeführt worden sind. Die grade der Häufigkeit homo- bzw. heterosexuellen Verhaltens (vgl. einzige Untersuchung aus Deutschland stammt aus dem Jahr GEW Baden-Württemberg , S. ). , sodass hier ein deutliches Forschungsdesiderat zu bemän- geln ist. 12 Homosexualität als Unterrichtsthema | Homosexualität als hochschuldidaktische Herausforderung
ziale Vorlieben, der jeweils realisierte Lebensstil so- lang nicht repliziert werden. Die Problematik derarti- wie die eigene Selbstidenti kation im Sinne der ent- ger Befunde liegt in ihren ambivalenten gesellschas- wickelten Geschlechtsidentität. Diese Faktoren wer- politischen Implikationen: Auf der einen Seite wäre den bspw. im sog. »Klein Sexual Orientation Grid«, der Nachweis einer biologischen (Mit-)Verursachung berücksichtigt – einem Raster, das bereits Mitte der von Homosexualität für Betroffene eine Erleichterung, er Jahre als Weiterentwicklung der Kinsey-Skala da sie sich nicht für ihre sexuelle Orientierung recht- vorgestellt worden ist (vgl. Fiedler , S. f). Drit- fertigen müssten, die ja kein Wahlverhalten darstellt tens impliziert die Annahme von ießenden Grenzen und sich gleichsam ohne ihr eigenes Zutun entwickelt. sexueller Orientierungen eine prinzipielle Änderbar- Auf der anderen Seite besteht die Befürchtung, dass keit der sexuellen Orientierung. Eine lesbische oder derartige Forschungen vor dem Hintergrund eugeni- schwule Identität könnte damit als Ergebnis eines scher Motive missbraucht werden könnten, um eine Wahlverhaltens angesehen werden, für das sich das homosexuelle Orientierung zu ändern oder bereits betroffene Individuum zu rechtfertigen habe.9 Dabei vorgeburtlich zu vermeiden. zeigen sich Parallelen zu verbreiteten Vorurteilen, die längst nicht mehr dem wissenschaftlichen Forschungs- Ist Homosexualität ein natürliches Phänomen? stand entsprechen (vgl. z. B. Rauchfleisch , S. ff), Hintergrund dieser Frage ist der häu g in öffentlichen wie bspw. die veraltete Auffassung, es handele sich bei Debatten anzutreffende Versuch, Homosexualität auf- Homosexualität um eine »Krankheit« oder die sog. grund ihrer vermeintlich »universellen« Verbreitung »Verführungshypothese«, nach der Jugendliche zu ho- (im Tierreich, zu allen Zeiten, in allen Kulturen) als mosexuellem Verhalten animiert werden könnten. gleichsam »natürliches« Phänomen darzustellen und damit ethisch zu legitimieren. Eine derartige Strate- Ist Homosexualität genetisch bedingt? gie ist aus unserer Sicht aufgrund der wissenschali- Der wissenschaftliche Streit, ob Fähigkeiten und Merk- chen Befundlage und wissenschaftstheoretischen Über- male des Menschen stärker durch genetische Effekte legungen als äußerst fragwürdig einzustufen: oder Umwelteinflüsse beeinflusst werden, hat eine lan- Homosexualität im Tierreich: Eine weite Verbreitung ge Tradition und kann an dieser Stelle nicht im Detail homosexuellen Verhalten konnte von dem Biologen dargestellt werden (vgl. dazu insbes. Lenz ). Aus Bruce Bagemihl bei über Tierarten nachgewie- heutiger Sicht ist die Frage falsch gestellt, da an der sen werden (vgl. Bagemihl ). Gut dokumentiert Entwicklung jedes menschlichen Merkmals immer ist es bspw. bei Bonobos (Zwergschimpansen), Del- Anlage- und Umweltein üsse beteiligt sind. Im Dis- nen und Trauerschwänen. Rückschlüsse auf den kurs über die sexuelle Orientierung nden sich je- Menschen sind jedoch nur sehr eingeschränkt mög- doch immer wieder Meinungsäußerungen, die eine lich: Tiere können nur beobachtet, aber nicht »be- Mitverursachung durch biologische Faktoren negie- fragt« werden, sodass über die Intentionen von Ver- ren. Dazu ist zunächst anzumerken, dass Befunde aus haltensweisen (Freiwilligkeit, Lustempfinden etc.) bes- der Zwillingsforschung eine Beteiligung genetischer tenfalls Spekulationen möglich sind (Gefahr der Ver- Faktoren nahelegen: So zeigt sich bspw. bei männli- menschlichung tierlichen Verhaltens). Zudem sind chen eineiigen Zwillingen eine Übereinstimmung von anhand des Vorkommens eines Verhaltens im Tier- Prozent hinsichtlich der sexuellen Orientierung; reich keine moralischen Rückschlüsse auf menschli- bei zweieiigen Zwillingen hingegen ist die sexuelle ches Verhalten möglich. Dies wäre aus wissenschas- Orientierung nur bei Prozent der untersuchten theoretischer Sicht ein sog. »naturalistischer Fehl- Zwillingspaare identisch (vgl. Asendorpf , S. ). schluss« (vom »Sein« auf das »Sollen«). Wer Homo- Seit Beginn der er Jahre wurden verstärkt Ver- sexualität anhand eines Speziesvergleichs als »natür- suche unternommen, eine genetische Basis der Homo- liche« Verhaltensweise zu legitimieren versucht, muss sexualität aus ndig zu machen (vgl. Voß ). Als auch zur Kenntnis nehmen, dass bspw. bei Bonobos biologische Faktoren wurden bspw. die Größe einer der Geschlechtsakt nicht ausschließlich der Fortp an- Gehirnregion im Hypothalamus (vgl. LeVay ) zung dient, bei Bonobos Sex zwischen adulten Tieren oder eine Genregion auf dem langen Arm des X- und Jungtieren beobachtet werden kann und dass bei Chromosoms (Xq, vgl. Hamer u.a. ) diskutiert. Del nen Formen sexueller Übergriffe zwischen Spe- Die entsprechenden Befunde konnten allerdings bis- zies vorkommen. 9 Derartige Auffassungen scheinen im deutschsprachigen Raum zur Homosexualität hinzuweisen, auf die man zwangsläu g auf- insbesondere in evangelikalen Kreisen verbreitet zu sein. Dabei merksam wird, wenn man bspw. die Suchbegriffe »Homosexua- ist an dieser Stelle warnend auf die pseudo-wissenschalichen lität« und »Fakten« in der Suchmaschine ›Google‹ verwendet. Schrien des »Deutschen Instituts für Jugend und Gesellscha« Homosexualität als Unterrichtsthema | Homosexualität als hochschuldidaktische Herausforderung 13
Historische Verbreitung: Die Frage, ob es Homosexu- Fazit: Eine Legitimation von Homosexualität als uni- alität in allen historischen Epochen gegeben hat, ist verselles bzw. »natürliches« Phänomen ist vor dem aufgrund der prinzipiellen Vorläu gkeit und Unvoll- Hintergrund der vorgestellten Überlegungen fragwür- ständigkeit historischer Erkenntnisse nicht beweis- dig und verdeutlicht die wissenschastheoretischen, bar. Gut belegt ist, dass von homosexuellen Verhal- ethischen und moralischen »Fallstricke«, die gesell- tensweisen (insbes. in Form der sog. »Knabenliebe«) schaliche Debatten zur Homosexualität begleiten bereits im antiken Griechenland berichtet worden ist können. Wir möchten hier ausdrücklich betonen, dass (vgl. Blazek ). Gerade das Beispiel der Knaben- die ausgeführten Argumente im Umkehrschluss in liebe veranschaulicht jedoch, dass eine historische keinerlei Weise eine Abwertung von Homosexualität Ausgestaltung sexueller Verhaltensweisen aufgrund rechtfertigen oder zur Stützung homophober Argu- ihres spezi schen kulturellen Kontextes in gesell- mentationen genutzt werden können. Insofern eine schaftspolitischer Sicht nicht als moralischer oder ethi- Rechtfertigung von Homosexualität überhaupt argu- scher Maßstab für unsere heutige Gesellscha heran- mentativ angestrebt werden soll, stellt aus unserer gezogen werden kann. Vor dem Hintergrund unserer Sicht die Betrachtung der sexuellen Orientierung im Rechtsauffassung erfüllt die im antiken Griechenland Sinne eines allgemeinen Menschenrechts auf sexu- praktizierte Knabenliebe den Straatbestand des se- elle Selbstbestimmung, solange dabei nicht die Rechte xuellen Missbrauchs und ist als Form der Pädophilie Dritter verletzt oder beeinträchtigt werden, eine sinn- einzuordnen. volle Argumentationsbasis dar (vgl. Leicht ). Kulturübergreifende Verbreitung: Ein positiver Beweis, Diese und andere kritische Nachfragen erschweren dass es Homosexualität in allen Kulturen gibt bzw. nicht nur die eigene Positions ndung für (angehende) gegeben hat, ist aus wissenschaftstheoretischer Sicht – Lehrkräfte. Sie wirken sich auch aus hochschuldidak- wie oben bereits bezüglich der historischen Verbrei- tischer Sicht auf die Vermittlung des emas im Rah- tung erläutert – nicht möglich. Die ese lässt sich men der Bildungswissenschaen aus. Wie sieht eine jedoch widerlegen, wenn schlüssig nachgewiesen und inhaltliche Position zum ema »Homosexualität« dokumentiert werden kann, dass es Kulturen gibt bzw. aus, die Studierenden in der universitären Lehre als gegeben hat, in denen homosexuelles Verhalten nicht wissenschaftlich abgesichert präsentiert werden kann? praktiziert wird bzw. wurde oder gänzlich unbekannt Die vorgestellten Ausführungen zeigen diesbezüglich ist bzw. war. Diesbezüglich lassen sich zwei Beispiele aus unserer Sicht erhebliche Forschungsdesiderata. aus der Anthropologie bzw. Ethnologie anführen: Im Rahmen von Feldforschungen bei den Yanomami, Lehrveranstaltungen zum Thema »Homo- einer ursprünglichen Stammesgesellscha im Ama- zonasgebiet, wurde aus linguistischer Perspektive da- sexualität« – ein Praxisbeispiel rauf hingewiesen, dass dieses Volk keine sprachlichen Im Sommersemester führten wir an der Fakul- Begriffe für homosexuelle Verhaltensweisen in seinem tät für Erziehungswissenscha der Universität Biele- Wortschatz hatte (vgl. die Dokumentation »Die Yano- feld ein Seminar mit dem Titel »Homosexualität als mami – Missbrauch im Urwald«, arte, .., Unterrichtsthema« durch. Die fachliche Zuordnung : Uhr). Dass bei den Yanomami erst durch den des Seminars war im Bereich »Umgang mit Hetero- Kontakt mit Forscherinnen und Forschern Homo- genität« angesiedelt. Die Zielgruppe der Veranstal- sexualität begrifflich gefasst wurde, ist ein Indiz da- tung bestand aus Studierenden der Bildungswissen- für, dass Homosexualität bei diesem Naturvolk ent- schaen. Das Seminar war durch eine große Hetero- weder zuvor nicht thematisiert oder sogar nicht prak- genität der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hinsicht- tiziert worden war. Als zweites Beispiel ist anzufüh- lich der Studiengänge, Unterrichtsfächer und der Zahl ren, dass das Anthropologenpaar Barry S. Hewlett der absolvierten Semester geprägt. Zu Beginn des Se- und Bonnie L. Hewlett im Rahmen ihrer Feldstudien minars hatten mehr als Studierende die Lehrver- beim Stamm der Aka-Pygmäen in Zentralafrika be- anstaltung in ihren Stundenplan aufgenommen. Ge- richteten, dass bei diesem Volk Homosexualität und gen Ende des Seminars gab es registrierte Teilneh- Masturbation nicht bekannt wären und sie auch über merinnen und Teilnehmer, von denen sich an der keinerlei sprachlichen Begriffe für diese Verhaltens- Projektphase beteiligten. In den einzelnen Seminar- weisen verfügen würden (vgl. Hewlett/Hewlett , sitzungen schwankte die Zahl der Teilnehmenden meist S. f). zwischen und Studierenden.10 10 Dabei ist zu berücksichtigen, dass an der Universität Bielefeld der Praxis zeigen sich jedoch hohe Fluktuationen hinsichtlich aufgrund des Hochschulgesetzes das Führen von Anwesenheits- der Zahl der an den einzelnen Sitzungen teilnehmenden Studie- listen nicht zulässig ist. Von den Studierenden wird zwar eine re- renden, die durch die Gestaltung der Lehrveranstaltung und di- gelmäßige Teilnahme an den Lehrveranstaltungen erwartet, in daktische Maßnahmen nur bedingt beein usst werden können. 14 Homosexualität als Unterrichtsthema | Homosexualität als hochschuldidaktische Herausforderung
Als Bedingung für den Erwerb eines Leistungsnach- § Verdeutlichung, wie wichtig ein von Akzeptanz ge- weises (sog. »Aktive Teilnahme« im Studienmodell prägter Umgang mit LSBTI in unserer Gesellscha bzw. »Studienleistung« im Studienmodell ) ist und wie im schulischen Umfeld aktiv dazu bei- wurde neben dem Wunsch nach möglichst regelmä- getragen werden kann. ßiger Teilnahme die Beteiligung an Diskussionen in § Sensibilisierung für die Lebenswirklichkeit von Les- Kleingruppen und im Plenum sowie die Mitarbeit an ben und Schwulen sowie für mögliche Probleme einem »Projekt« vorgegeben. Letzteres erforderte die im schulischen Umfeld (offene und versteckte Dis- kontinuierliche Arbeit über drei Wochen an einem kriminierung, Homophobie etc.). selbstgewählten ema im Seminarkontext in Klein- § Diskurskompetenz für die Teilnahme an der gesamt- gruppen mit bis zu fünf Studierenden, die Vorberei- gesellschalichen Debatte um Homosexualität er- tung und ggf. Durchführung einer zehnminütigen werben und eine eigene Position dazu entwickeln. Präsentation der Arbeitsergebnisse im Rahmen einer § Aneignung theoretischen/didaktischen Wissens für von drei Plenumssitzungen sowie eine kurze schri- die Sichtung und Beurteilung bestehender sowie liche Darstellung des eigenen Projekts. Die Projekt- Training praktischer Fertigkeiten für die Entwick- themen konnten von den Studierenden unter der Prä- lung neuer Konzepte zum Umgang mit dem ema misse frei gewählt werden, dass sich das entstehende ›sexuelle Orientierung‹ im Schulunterricht. ›Produkt‹ als »unterrichtstauglich« erweist.11 Je nach Projektthema war auch eine Weiterarbeit an den Pro- . Sitzung: Organisatorisches und Einführung jekten außerhalb der drei Sitzungstermine der Grup- In der ersten Seminarsitzung wurden nach der Vor- penarbeitsphase erforderlich. Aus didaktischer Sicht stellung der Lehrenden zunächst die fachlichen Zu- ist die Projektidee sowohl prozess- als auch produkt- ordnungen und Kriterien für einen Leistungserwerb orientiert: Die regelmäßige Zusammenarbeit an ei- (insbes. die »Projektidee«) erläutert. Zur Einstim- nem konkreten Thema sollte kooperatives Lernen und mung wurde ein kurzer Ausschnitt aus einer Doku- die Fähigkeit zum eigenverantwortlichen Arbeiten mentation über Homophobie unter Jugendlichen ge- fördern; als Ziel stand dabei ein konkretes Arbeitser- zeigt. Im Anschluss wurden die allgemeinen Ziele gebnis als Produkt im Vordergrund, das am Ende der des Seminars erläutert und erklärt, aus welchen Grün- Arbeitsphase in den letzten Seminarsitzungen prä- den wir als Veranstalter die Beschäigung mit dem sentiert werden konnte. Als Lehrende standen wir ema »Homosexualität« als besonders wichtig für während der Gruppenarbeitssitzungen den Studieren- angehende Lehrkräfte ansehen. Zudem wurde der vor- den für Beratungsgespräche zur Verfügung. Wir haben läu ge Ablaufplan der Seminarsitzungen vorgestellt. dabei keine emen oder inhaltlichen Ausgestaltun- Abschließend haben wir eine Abfrage des Vorwis- gen vorgegeben, sondern lediglich an den Stellen, an sens der Studierenden zum ema ›Homosexualität‹ denen wir dies für hilfreich erachtet haben, Hinweise mittels des Umfragesystems »TurningPoint« 12 vorge- gegeben und Ideen eingebracht. nommen. Die Fragen hatten einen direkten Bezug zu den in den folgenden eoriesitzungen geplanten In- Ziele der Lehrveranstaltung halten und die Ergebnisse wurden in den Folgesit- Als allgemeine Lehr- bzw. Lernziele der Lehrveran- zungen aufgegriffen. staltung wurden den Studierenden in der ersten Sitzung Bereits bei den Anmeldungen zum Seminar (Aufnahme die folgenden Aspekte erläutert: der Veranstaltung in den Stundenplan der Studieren- § Überblick über das emenfeld der sexuellen Ori- den) hatte sich ein geschlechtsspezi scher Effekt in entierung – insbesondere zugeschnitten auf Homo- Form einer deutlichen Überrepräsentation von Stu- sexualität – gewinnen und sich theoretische Kennt- dentinnen im Vergleich zu nur Studenten abge- nisse dazu aneignen. zeichnet. Da hier die ese naheliegt, dass männliche § Kenntniserwerb über den Stellenwert des emas in Studierende ein Problem damit haben könnten, ein schulischen Richtlinien und Lehrplänen. Seminar zum ema ›Homosexualität‹ zu besuchen – 11 Als ungeeignet für den Unterrichtseinsatz wäre bspw. die Er- ob man homosexuell wird oder nicht.«) oder um die Abfrage stellung einer schwulen Kurzgeschichte mit expliziten (nicht-ju- konkreten Wissens (z. B.: »In Deutschland ist eine Eheschließung gendfreien) Sexszenen anzusehen. zwischen gleichgeschlechtlichen Personen möglich.«). Alternativ 12 Dabei wurden insgesamt Fragen gestellt und von den Stu- zum Klicksystem ›TurningPoint‹ können in Lehrveranstaltungen dierenden mittels sog. »Klicker«, wie sie bspw. aus TV-Shows auch anonymisierte Umfragen mittels des von der Universität (»Wer wird Millionär?«) bekannt sind, anonym beantwortet. Das Paderborn entwickelten und kostenlos zur Verfügung gestellten Ergebnis kann direkt im Anschluss präsentiert werden. Unsere Online-Votingsystems »Pingo« durchgeführt werden, insofern Fragen werden hier nicht im Einzelnen aufgelistet. Es handelte die Studierenden während der Lehrveranstaltung im Hörsaal bzw. sich i.d.R. um allgemeine Einschätzungen, Vorannahmen und Vor- Seminarraum mit ihren Notebooks, Smartphones oder Tablets urteile (z. B. »Der erste homosexuelle Kontakt entscheidet darüber, Zugang zum Internet haben. Homosexualität als Unterrichtsthema | Homosexualität als hochschuldidaktische Herausforderung 15
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