Homosexualit t als Unterrichtsthema - Ideen und Materialien f r den Schul- und Hochschulunterricht

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Homosexualit t als Unterrichtsthema - Ideen und Materialien f r den Schul- und Hochschulunterricht
Michael Lenz, Nicolas Bröckling (Hrsg.)

Homosexualität als Unterrichtsthema

Ideen und Materialien für den Schul- und
Hochschulunterricht

                   Universität Bielefeld, Fakultät für Erziehungswissenschaft | 2015
Homosexualit t als Unterrichtsthema - Ideen und Materialien f r den Schul- und Hochschulunterricht
Homosexualit t als Unterrichtsthema - Ideen und Materialien f r den Schul- und Hochschulunterricht
Inhalt

Editorial ................................................................................................................................................................... 

Michael Lenz, Nicolas Bröckling
Homosexualität als hochschuldidaktische Herausforderung ..................................................................... 

Berna Ayyildiz, Tahra Cheema, Selma Dogan, Gül Saat, Adriana Wahl
Sommersturm  ................................................................................................................................................... 

Ann-Christin Faix, Jasmin Klinksiek
Sommersturm  ................................................................................................................................................... 

Andrea Freymuth, omas Pukrop
Entscheidungsspiele im Unterricht .................................................................................................................. 

Stephanie Ohlberger, Konstantin Runte
Coming-out in digitalen Medien ...................................................................................................................... 

Saskia Beermann, Julia Krüger, Carolin Wilde
Beautiful ing..................................................................................................................................................... 

Sarah Helleberg, Julia Roder, Stephan Schlottke, Laura Wizenti
Homosexualität in Musikvideos ....................................................................................................................... 

Lisanne Ostermann, Katharina Paul, Ceren Sag, Lisa Schumacher
Coming-out im Lehrberuf – ein Fallbeispiel.................................................................................................. 

Nina Gerdtoberens, Paula Zirzow
Wie sage ich es nur? ............................................................................................................................................ 

Anna-Lena Jürgensmeyer, Lisa Holtermann, Mandy Wellhausen
»Keine Angst in Andersrum«?!......................................................................................................................... 

Felix Burmeister, Jan Knoche, Marieke Tenger, Kristin Wörmann
Homosexualität im Fußball ............................................................................................................................... 

Hinweise zu den Autorinnen und Autoren .................................................................................................... 

Impressum ............................................................................................................................................................ 
Homosexualit t als Unterrichtsthema - Ideen und Materialien f r den Schul- und Hochschulunterricht
Homosexualit t als Unterrichtsthema - Ideen und Materialien f r den Schul- und Hochschulunterricht
Editorial

Schülerinnen und Schüler unterscheiden sich hin-                      Eine schulische Sexualerziehung kann aus unserer
sichtlich vielfältiger Merkmalsdimensionen (wie bspw.                 Sicht nur gelingen, wenn (bereits angehende) Lehre-
Alter, Geschlecht, Begabungspro l etc.), die eine zen-                rinnen und Lehrer für die Vermittlung von emen
trale Stellung im bildungswissenschaftlichen emen-                   aus dem Bereich sexueller Vielfalt ausgebildet werden
feld »Umgang mit Heterogenität« einnehmen. Die                        und bezüglich der Erscheinungsformen von Homo-
sexuelle Orientierung zählt zu den Heterogenitäts-                    phobie und Diskriminierung sensibilisiert werden. Da-
dimensionen, wird jedoch im schulischen und uni-                      bei ist zu berücksichtigen, dass eine positive Einstel-
versitären Kontext (insbes. im Rahmen der Lehrer-                     lung zum Phänomen der sexuellen Vielfalt im Sinne
bildung) omals nicht oder nur unzureichend the-                      einer der Aufklärung verpflichteten schulischen Erzie-
matisiert. ›Homosexualität‹ ist ein immer noch ge-                    hung gefördert, aber nicht »verordnet« oder gar »er-
sellschalich höchst kontrovers diskutiertes ema.                    zwungen« werden kann. Welche emotionalen Einstel-
Es gehörte vor  Jahren zu den sog. »heißen Eisen«                   lungen Schülerinnen und Schüler bzw. Lehrkräfte wirk-
der schulischen Sexualerziehung (vgl. Glück , S.                  lich zum ema ›Homosexualität‹ einnehmen, lässt
). Und das hat sich anscheinend in der heutigen                    sich selbst durch forschungsmethodisch perfekt an-
Zeit – trotz Bemühungen um mehr Akzeptanz von                         gelegte Befragungen und Verhaltensbeobachtungen
LSBTI 1, Anerkennung sexueller Vielfalt und Aktions-                  allenfalls erahnen, aber nicht direkt ermitteln.3
plänen gegen Homophobie 2 – nicht grundlegend ge-                     Doch wie kann eine gelungene Behandlung von e-
ändert. Aktuell zeigt sich dies in den Diskursen um                   men aus dem Bereich ›sexuelle Vielfalt‹ aussehen?
die sog. ›Homo-Ehe‹ in Deutschland und die seit                       Dazu nden sich in Printform leider nur wenige (vgl.
Ende  geführte Kontroverse um den neuen Bil-                      insbes. Breckenfelder ), im Internet hingegen zahl-
dungsplan in Baden-Württemberg. Vor diesem Hin-                       reiche unterschiedliche Materialien.4 Diese wurden
tergrund ist fraglich, ob sich in den vergangenen                     i.d.R. von lesbischen oder schwulen Lehrerinnen und
Jahrzehnten die Einstellungen der Bundesbürger zur                    Lehrern, Aktivistinnen und Aktivisten oder sonstigen
Homosexualität wirklich verändert haben. Bochow                       Vertreterinnen und Vertretern aus Interessenverbän-
() hatte bereits vor  Jahren ein Drittel der                    den entwickelt. Dass dies im gesellschaftlichen Dis-
deutschen Bevölkerung als schwulenfeindlich (Ho-                      kurs zu Problemen führen kann, soll im Folgenden
mophobie), ein Drittel als ambivalent (Toleranz) und                  an einem kurzen Beispiel illustriert werden:
ein Drittel als schwulenfreundlich (Akzeptanz) cha-                   Von der GEW Baden-Württemberg wurde im Fe-
rakterisiert.                                                         bruar  vom Arbeitskreis Lesbenpolitik des Vor-
Umso bedeutender scheint auch in der heutigen Zeit                    standbereichs Frauen ein He mit Materialien zur
die Beschäigung mit dem ema »Akzeptanz sexu-                        Umsetzung des Neuen Bildungsplans im Schulunter-
eller Vielfalt« zu sein: Der Schule als Sozialisations-               richt herausgegeben (vgl. GEW Baden-Württemberg
instanz kommt eine besondere Bedeutung hinsicht-                      ). In dieser Broschüre für Lehrerinnen und Leh-
lich der Erziehung zur Anerkennung unterschiedli-                     rer ndet sich im Kontext einer Vertiefungsphase ei-
cher Formen sexueller Orientierungen zu. Noch im                      ner Unterrichtseinheit ein sog. ›heterosexueller Frage-
Jahr  war es um die Akzeptanz von Homosexu-                       bogen‹, der zwölf Fragen enthält, denen ein ktives
alität im schulischen Kontext nicht gut bestellt, wie                 Szenario einer Gesellscha zugrunde liegt, in der
eine Befragung durch Biechele (, S. , ohne Her-                 Homosexualität die mehrheitliche sexuelle Orientie-
vorh.) ergab: »Die Schule ist ein homophober Ort. In                  rung darstellt und Heterosexualität eine Abweichung
weniger als  der Fälle erleben die Schüler, dass                   dieser Norm.5 Dabei sollen offensichtlich Fragen wie
LehrerInnen Schwule verteidigen, wenn sie zur Ziel-                   »Wann und warum hast du dich entschlossen, hete-
scheibe von Witzen und Verächtlichmachung werden«.                    rosexuell zu sein?« (vgl. GEW Baden-Württemberg

1 Mit der Kurzbezeichnung ›LSBTI‹ werden Schwule, Lesben, Bi-         3 So geht auch Timmermanns (vgl. Timmermanns , S. ,
sexuelle, Transsexuelle bzw. Transgender und Intersexuelle erfasst.   ) davon aus, dass Schülerinnen und Schüler mittlerweile bei
2 Unter ›Homophobie‹ wird gemeinhin eine ablehnende bzw.              Befragungen nicht immer ihre wirklichen Ansichten mitteilen,
feindliche Haltung gegenüber LSBTI verstanden, die sich in viel-      sondern Stellungnahmen abgeben, die ihrer Meinung nach der
fältigen Formen von Diskriminierung äußert. Aktionspläne ge-          ›political correctness‹ im Umgang mit LSBTI entsprechen.
gen Homophobie gibt es derzeit in sechs Bundesländern (Berlin,        4 Exemplarisch sei hier auf das Projekt »Schule der Vielfalt«
Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rhein-           (http://www.schule-der-vielfalt.de) verwiesen
land-Pfalz und Schleswig-Holstein). In fünf weiteren Bundeslän-       5 Die gesellschalich kritisierte ›Heteronormativität‹ wird hier
dern sind sie in Vorbereitung.                                        gedanklich durch eine ›Homonormativität‹ ersetzt.

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, S. ) von den Schülerinnen und Schülern zur             Gruppen mit einem jeweils eigenen Layout erstellt
Re exion ihres sexuellen Selbstverständnisses und              worden sind und die Projektthemen von Filmdar-
zur Hinterfragung von Geschlechterstereotypen ge-              stellungen und Einzelmaterialien bis hin zu Unter-
nutzt werden. In der öffentlichen und medial geführ-            richtsentwürfen reichen. Nebenbei bemerkt lassen
ten Debatte um den neuen Bildungsplan wurden je-               sich einige der präsentierten Konzepte und Ideen (vgl.
doch einzelne Fragen dieses heterosexuellen Frage-             bspw. die ab Seite  dargestellten ›Entscheidungs-
bogens absichtlich zur Diskreditierung der Position            spiele‹ im Unterricht) erfolgreich auf völlig andere
der Bildungsplanbefürworter benutzt, indem sie aus             Unterrichtsthemen und -inhalte – jenseits ›sexueller
ihrem Kontext gerissen und ohne Hinweis auf das                Vielfalt‹ bzw. ›Homosexualität‹ – übertragen.
zugrunde liegende Gedankenexperiment in Talkshows              Die Projektdarstellungen zeichnen sich aus unserer
und öffentlichen Diskussionen präsentiert wurden –              Sicht durch zwei Merkmale aus: Erstens handelt es
bspw. in der am .. von der ARD ausge-                  sich um Materialien und Entwürfe, die eben nicht
strahlten Sendung »Menschen bei Maischberger: Ho-              von Lesben und Schwulen oder anderen Interessen-
mosexualität auf dem Lehrplan«.6 Aus diesem Bei-               vertretungen entwickelt worden sind. Sie demonstrie-
spiel kann man lernen, dass veröffentlichte Unter-              ren, dass sich Studierende einfühlsam und motiviert
richtsmaterialien immer didaktische Begründungen               mit dem ema ›sexuelle Vielfalt im Unterricht‹ aus-
und hinreichende Erläuterungen enthalten müssen.               einandersetzen können. Zweitens dokumentieren die
Zudem ist bei der Entwicklung von Unterrichtsma-               Projekte, dass im universitären Seminarkontext im
terialien zum ema ›sexuelle Vielfalt‹ ein besonde-            Rahmen einer Projekt- bzw. Gruppenarbeitsphase
res »Fingerspitzengefühl« erforderlich.                        gewinnbringende Ergebnisse erzielt werden können,
Vor diesem Hintergrund wurde von uns im Sommer-                wenn Lehrende bereit sind, offene Unterrichtssettings
semester  an der Fakultät für Erziehungswissen-            auszuprobieren und zur Rolle des Lernberaters und
scha der Universität Bielefeld ein bildungswissen-            -begleiters zu wechseln.
schaliches Seminar mit dem Titel »Homosexualität              Im Folgenden sollen einleitend die im Anschluss prä-
als Unterrichtsthema« durchgeführt. Im Rahmen ei-              sentierten Beiträge vorgestellt werden:
ner dreiwöchigen Gruppenarbeitsphase wurden von                § Unter dem Titel »Homosexualität als hochschul-
den Studierenden dieses Seminars in Kleingruppen                 didaktische Herausforderung« stellen Michael Lenz
eigene Unterrichtsmaterialien zum ema ›Homose-                  und Nicolas Bröckling die Konzeption des bereits
xualität‹ entwickelt. Bereits bei der anschließenden             angesprochenen Seminars ›Homosexualität als Un-
Präsentation dieser ›Projekte‹ zeigte sich, dass einige          terrichtsthema‹ dar. Dabei werden auch theoreti-
der Materialien derart interessante und innovative               sche Fragestellungen aus dem Bereich ›Homosexu-
Ansätze und Ideen enthielten, dass es aus unserer Sicht          alität‹ in die Diskussion einbezogen sowie inhaltli-
schade wäre, wenn diese auf einer Online-Lernplatt-              che Forschungsdesiderata thematisiert.
form nur einem eingeschränkten Kreis von Personen              § Im Beitrag »Sommersturm « wird von Berna
zugänglich wären. Daher fassten wir den Entschluss,              Ayyildiz, Tahra Cheema, Selma Dogan, Gül Saat
einige dieser Projekte mit Zustimmung der Studie-                und Adriana Wahl der Inhalt des Films »Sommer-
renden in der vorliegenden Online-Publikation zu-                sturm« von Marco Kreuzpaintner aus dem Jahr
sammenzufassen und im Internet zu veröffentlichen.                 aufgearbeitet. Besonders hervorzuheben ist
Wir bitten die Leserinnen und Leser zu berücksich-               in diesem Zusammenhang die schematische Dar-
tigen, dass es sich hier um Arbeiten handelt, die in             stellung der Figurenkonstellation (vgl. S. ), die
einer kurzen Entwicklungsphase von nur drei Wo-                  sich so in anderen Materialien nicht ndet und zeigt,
chen entstanden sind und die von Studierenden –                  dass mittels des Films nicht nur schwule, sondern
und nicht von professionellen Didaktikern – entwi-               auch heterosexuelle Beziehungsaspekte im Unter-
ckelt und verschrilicht worden sind. Die Präsenta-              richt in den Blick genommen werden können. Als
tion von Ideen ist uns hier im Sinne einer authenti-             besonders interessant erweist sich die Idee, einen
schen Dokumentation der Projekte wichtiger als die               Film inhaltlich anhand von Tagebucheinträgen aus
Professionalität didaktischer Analysen und die satztech-         Sicht der Haupt- oder Nebencharaktere aufzuarbei-
nische Uniformität – zumal die ›Verschrilichungen‹              ten, die von Schülerinnen und Schülern selbst ver-
der einzelnen Projekte durch eine große Heterogeni-              fasst werden. Damit eröffnet sich die Chance, sich
tät gekennzeichnet sind, Präsentationsfolien von den             in die Perspektive der Filmcharaktere hineinzuver-

6 Ein Video der Sendung »Menschen bei Maischberger: Homo-      ist auf YouTube einsehbar unter: https://www.youtube.com/watch?
sexualität auf dem Lehrplan« vom .., : Uhr, ARD,   v=WQwZMh-RoH [Stand: ..].

6                                                                            Homosexualität als Unterrichtsthema | Editorial
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setzen und Probleme nachzuvollziehen, die sich              Medien«, mag auf den ersten Blick missverständ-
  für Jugendliche im Rahmen des Erwerbs ihrer Ge-             lich und abstrus erscheinen. Die Studierenden the-
  schlechtsidentität und der Entwicklung ihrer sexu-          matisieren ein Phänomen, das erst seit den letzten
  ellen Orientierung ergeben.                                 Jahren zu verzeichnen ist und für das bisher wenig
§ Im Beitrag »Sommersturm « illustrieren Ann-                öffentliches Problembewusstsein vorhanden zu sein
  Christin Faix und Jasmin Klinksiek ebenfalls an-            scheint: ein bewusstes Coming-out von Jugendli-
  hand des Films »Sommersturm«, wie unterschied-              chen vor der Webcam, bei dem Familienangehöri-
  lich die Zugänge zu demselben Medium ausfallen              gen oder Freunden – und letztlich durch das Hoch-
  können: In ihrem Unterrichtsentwurf für das Un-             laden bspw. auf YouTube der gesamten Welt – die
  terrichtsfach Pädagogik wird der Film vorrangig             eigene sexuelle Orientierung als lesbisch oder schwul
  vor dem Hintergrund von Erik H. Eriksons Stufen-            offenbart wird. Als Beispiele wurden drei YouTube-
  modell der psychosozialen Entwicklung betrach-              Videos – mit einer besonders positiven, neutralen
  tet, wobei der Fokus auf der fünen Krise (›Identi-         und negativen Reaktion der Angehörigen auf ein
  tät‹ vs. ›Identitätsdiffusion‹) liegt, die zwischen dem     Coming-out – ausgewählt und analysiert. Gerade
  . und . Lebensjahr bewältigt werden muss. e-           vor dem problematischen Hintergrund, dass derar-
  matisiert wird auch die Gefahr, die in einer derar-         tige Eigen lme zum unkontrollierbaren Selbstläufer
  tigen Verknüpfung von Theorieansatz und Film lie-           werden können, das Internet nicht »vergisst« und
  gen kann: die mögliche Übertragung einer generell           spätere Folgen von Jugendlichen selten mitbedacht
  ablehnenden Haltung gegenüber dem psychoana-                werden, sollten Lehrerinnen und Lehrer über die-
  lytischen eoriegebäude auf das ema ›Homo-                 ses Phänomen informiert sein und es ggf. im Un-
  sexualität‹ vonseiten der Schülerinnen und Schüler.         terricht thematisieren.
Beide Beiträge zum Film ›Sommersturm‹ verdeutli-            § Im Beitrag »Beautiful ing« von Saskia Beer-
chen hier das didaktische Zusammenspiel von Ent-              mann, Julia Krüger und Carolin Wilde geht es
scheidungen bezüglich der Inhalte/Ziele und Metho-            um das ema ›Erste Liebe‹. Dabei steht wiederum
den/Medien im Prozess der Unterrichtsvorbereitung.            ein Film im Zentrum der Betrachtung, der bereits
§ Unter der Überschrift »Entscheidungsspiele im Un-           im Jahr  ausgestrahlt worden ist. Letzterer über-
  terricht« stellen Andrea Freymuth und omas                 zeugt nicht nur durch einen einfühlsamen Umgang
  Pukrop eine Methode vor, die auf einem literari-            mit dem ema ›Coming-out‹, sondern bietet auch
  schen Genre basiert, das in der heutigen Zeit (mit          als »Milieustudie« zahlreiche Anknüpfungspunkte
  Ausnahme einiger Comics) fast vollständig aus der           für die ematisierung von sexueller Vielfalt in
  Gegenwartsliteratur verschwunden zu sein scheint            verschiedenen Unterrichtsfächern wie z. B. Deutsch,
  und Parallelen zu den in den er-Jahren belieb-          Englisch, Sozialwissenschaften, Geschichte oder Mu-
  ten Spielbüchern aus der fantastischen Literatur            sik. Die Autorinnen würdigen als besonderes Merk-
  zeigt: Geschichten, in denen sich die Leserin bzw.          mal des Films, dass Homosexualität dort eben nicht
  der Leser an neuralgischen Punkten für eine alter-          als dominantes ema im Vordergrund steht, son-
  native Weiterführung der Handlung entscheiden               dern vor allem ›Liebe‹ und ›Emotionalität‹, sodass
  kann. Im konkreten Fall wurde eine bestehende               Jugendliche an ihre eigenen Gefühle und Erfah-
  Geschichte mit heterosexuellem Inhalt auf homo-             rungen anknüpfen können und das Thema ›Homo-
  sexuelle Settings übertragen. Eine derartige Ge-            sexualität‹ sozusagen »durch die Blume« im Unter-
  schichte kann im Unterricht von den Schülerinnen            richt behandelt werden kann. Allerdings ist der Film
  und Schülern gelesen – vielleicht sogar selbst (wei-        stark durch Klischees und überzeichnete Rollenbil-
  ter-)entwickelt – werden. Damit eröffnet sich ein            der geprägt, die im Falle eines Unterrichtseinsatzes
  breites Spektrum von Unterrichtsfächern für den             thematisiert werden sollten – eine besondere Heraus-
  Einsatz des Materials: So könnte bspw. im Deutsch-          forderung, aber zugleich auch eine Chance.
  unterricht das Thema ›Homosexualität‹ indirekt be-        § »Homosexualität in Musikvideos« ist das ema
  handelt werden bzw. käme erst sekundär zur Gel-             des Beitrags von Sarah Helleberg, Julia Roder,
  tung. Es wäre sogar denkbar, im Informatikunter-            Stephan Schlottke und Laura Wizenti, in dem die
  richt die Entscheidungen einer homosexuellen Epi-           Songtexte und Videos der Songs »Flash mich« von
  sodengeschichte programmieren zu lassen, sodass             Mark Forster und »Ich lass für Dich das Licht an«
  beim Lesen alternative Handlungsstränge nicht be-           der Gruppe ›Revolverheld‹ in einen Unterrichts-
  reits durch Vor- oder Zurückblättern antizipiert wer-       entwurf integriert werden. Im Mittelpunkt der Be-
  den können.                                                 trachtung steht die Frage, wie das ema ›Liebe‹ in
§ Das ema des Beitrags von Stephanie Ohlberger               den beiden Songs aufgegriffen wird. Und auch in
  und Konstantin Runte, »Coming-out in digitalen              diesem Entwurf ndet sich das Leitprinzip, dass die

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ematik in ganz unterschiedlichen Fächern – die            schaft‹ oder ›(Kurz-)Filme/Filmanalyse‹ im Unter-
  Autorinnen und Autoren nennen den Deutsch-, Mu-            richt eingesetzt werden soll. Für jedes ema wer-
  sik- und Religionsunterricht – oder sogar fächer-          den Bezüge zu den Lehrplänen der Unterrichtsfä-
  übergreifend behandelt werden kann. Hervorzu-              cher Englisch, Philosophie und Gesellschaslehre
  heben ist zudem die Idee, zunächst die Songs nur           hergestellt.
  akustisch zu präsentieren und im Anschluss die           Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Unterrichts-
  Schülerinnen und Schüler zu ermutigen, Bilder zu         materialien – wie insbes. der sog. »heterosexuelle Fra-
  Songstellen anzufertigen oder sich Gedanken um           gebogen« – in der gesellschalichen Debatte um die
  eine Videoinszenierung zu machen, bevor die offi-          Anerkennung sexueller Vielfalt eine Eigendynamik
  ziellen Videos der Songs gezeigt werden.                 entwickeln können. Dabei liegt dem ›heterosexuellen
Wenn über das ›Coming-out‹ als Phänomen gespro-            Fragebogen‹ eigentlich eine Idee zugrunde, die im
chen wird, kann allzu schnell der Anschein erweckt         Sinne eines aulärenden Unterrichts zu kritischem
werden, es handele sich um eine einmalige Entwick-         Nachdenken anregen soll: Was wäre, wenn unsere Ge-
lungsaufgabe, die im Teenageralter oder von jungen         sellscha nicht ›heteronormativ‹ geprägt wäre? Kann
Erwachsenen bewältigt werden muss. Coming-out ist          man sich eine Gesellschaft vorstellen, in der die meis-
für LSBTI allerdings ein lebenslanger Prozess, da –        ten Menschen homosexuell leben (in der also Homo-
auch bei einem offenen Umgang mit der eigenen se-           sexualität anstelle von Heterosexualität zur Norm er-
xuellen Orientierung – in neuen Lebenssituationen          hoben worden ist) und Heterosexuelle eine Minder-
immer wieder abgewogen werden muss, wem was                heit darstellen würden? Könnte ein derartiges Ge-
wann offenbart werden soll. Outet man sich im Fa-           dankenspiel den Schulunterricht auf fruchtbare und
milien-, Verwandten-, Freundes-, Bekanntenkreis oder       nicht-missverständliche Weise bereichern? Gibt es also
sogar im beru ichen Kontext?                               eine Alternative zum ›heterosexuellen Fragebogen‹?
§ Wie ambivalent entsprechende Lebenserfahrungen           Mit dieser Frage setzt sich die folgende Projektgruppe
  ausfallen können, zeigen Lisanne Ostermann, Ka-          auseinander:
  tharina Paul, Ceren Sag und Lisa Schumacher in           § »Keine Angst in Andersrum« ist ein im März 
  ihrem Beitrag »Coming-out im Lehrberuf – ein Fall-         erschienenes Kinderbuch von Olivia Jones, in dem –
  beispiel«. Das von ihnen präsentierte Interview mit        mit dem Anspruch einer kindgerechten Aufarbei-
  einer Lehrkraft war ursprünglich Teil eines sehr um-       tung und Illustration – Geschlechterstereotype und
  fangreichen Entwurfs einer Projektwoche, in der            Rollenbilder (und sogar Geschlechtspronomen) im
  Schülerinnen und Schüler mittels des Stationen-            Rahmen einer homonormativen Fiktion in ihr Ge-
  lernens für die emen ›Homosexualität‹ und ›Ho-            genteil verkehrt werden. Anna-Lena Jürgens-
  mophobie‹ sensibilisiert werden sollten. Dass im           meyer, Lisa Holtermann und Mandy Wellhausen
  Rahmen dieses Projekts ein Interview geführt wor-          setzen sich im gleichnamigen Beitrag im Rahmen
  den ist, hat uns überrascht und beeindruckt. Aus           einer didaktischen Analyse mit dem Einsatz des
  hochschuldidaktischer Sicht handelt es sich um eine        Buches im Grundschulunterricht auseinander. Da-
  interessante Anregung, die im Rahmen von Lehr-             bei liegt der Verdacht nahe, dass Kinder positiver
  veranstaltungen zum ema ›sexuelle Vielfalt‹ ein-          mit einer derartigen Verkehrung von Geschlechter-
  gesetzt werden kann, solange die volle Anonymität          rollen umgehen können, als es Erwachsenen auf-
  der Befragten gewährleistet wird. Das Interview regt       grund ihrer langjährigen Verfestigung von Rollen-
  zum kritischen Nachdenken an und verdeutlicht,             bildern im Prozess ihrer Sozialisation und Identi-
  dass die Akzeptanz sexueller Vielfalt in unseren Schu-     tätsentwicklung möglich ist. Am Ende des Beitrags
  len auch in der heutigen Zeit noch keine Selbstver-        werden von den Autorinnen zudem kritische
  ständlichkeit geworden ist.                                Rückfragen bezüglich des Szenarios, der Inhalte
§ Im Beitrag »Wie sage ich es nur?« von Nina Gerd-           und Intention des Buches gestellt.
  toberens und Paula Zirzow wird abermals die Co-          Dass das ema ›Homosexualität‹ in einigen Gesell-
  ming-out-Problematik diskutiert – in diesem Fall         schasfeldern weniger stark tabuisiert wird als in an-
  anhand des Unterrichtseinsatzes eines lesbischen         deren, zeigen nicht nur öffentliche Outings von Poli-
  Kurz lms mit dem Titel »How do I say this? I am          tikern und Medienstars. Als problematisch erweist sich
  gay«. Als besonders interessant erweist sich, dass       ein Coming-out insbesondere in Domänen, die auch
  die Autorinnen vier verschiedene Einsatzmöglich-         heute noch als »männerbesetzt« gelten bzw. deutlich
  keiten desselben Mediums präsentieren – je nach-         durch geschlechtstypisches Verhalten geprägt sind. Als
  dem, ob der Film unter dem ema ›Vorurteile‹,            ein derartiges Feld ist der Profifußball anzusehen, der
  ›LGBTI*-Begriffe kennenlernen‹, ›Liebe und Freund-       im letzten Beitrag dieser Publikation thematisiert wird.

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Homosexualit t als Unterrichtsthema - Ideen und Materialien f r den Schul- und Hochschulunterricht
§ Unter dem Titel »Homosexualität im Fußball« stel-                beitsphase beteiligt haben. Zudem bedanken wir uns
  len Felix Burmeister, Jan Knoche, Marieke Ten-                   für den Vertrauensvorschuss seitens des Studien-
  ger und Kristin Wörmann einen Entwurf für den                    dekanats der Fakultät für Erziehungswissenschaft der
  Sportunterricht vor, in dem die sexuelle Aufklärung              Universität Bielefeld im Rahmen der Veranstaltungs-
  im Rahmen einer Projektwoche gefördert werden                    planung. Nicht zuletzt gilt unser Dank Frau Kaja-
  kann. Dabei steht der Film »Männer wie wir« aus                  Kristin Krüger und Herrn Nicolai Domscheit, die als
  dem Jahr  im Zentrum der Betrachtung. Be-                    Mitarbeiterin bzw. Mitarbeiter von SchLAu Bielefeld
  sonders hervorzuheben ist, dass in diesem Beitrag                die inhaltliche Ausgestaltung von zwei Sitzungster-
  eine intensive Auseinandersetzung mit zahlreichen                minen übernommen haben und uns durch Rückmel-
  im Film präsentierten – und stark überzeichneten –               dung zu den Seminarsitzungen unterstützt haben.
  schwulen Klischees erfolgt, sodass der Film im Un-               Wir hoffen, dass die hier dokumentierten Ideen und
  terricht eine Doppelfunktion (Kritik von Klischees,              Materialien angehenden und bereits ausgebildeten
  Enttabuisierung stark männergeprägter Sportdomä-                 Lehrerinnen und Lehrern sowie Lehrenden im Hoch-
  nen) einnehmen kann.                                             schulbereich als Anregung dienen und Mut machen,
Abschließend möchten wir an dieser Stelle die Gele-                das ema »sexuelle Vielfalt« im eigenen Unterricht
genheit nutzen, uns bei all denjenigen zu bedanken,                bzw. in Lehrveranstaltungen aufzugreifen.
die dazu beigetragen haben, dass das Seminar »Ho-
mosexualität als Unterrichtsthema« erfolgreich durch-              Bielefeld, im September 
geführt werden konnte. Dabei sind zuallererst die
Studierenden zu nennen, die am Seminar teilgenom-                  Michael Lenz, Nicolas Bröckling
men haben und sich sehr engagiert an der Projektar-

Literatur
Biechele, Ulrich: Dokumentation »Schwule Jugendliche – Ergeb-      GEW Baden-Württemberg, AK Lesbenpolitik des Vorstandbe-
  nisse zur Lebenssituation, sozialen und sexuellen Identität«,      reichs Frauen (Hrsg.): Lesbische und schwule Lebensweisen –
  Dokumentation des Niedersächsischen Ministeriums für Frauen,       ein ema für die Schule, . Au ., , Online: http://www.
  Arbeit und Soziales, , Online: http://www.ms.niedersach-       vfa-ev.de/fileadmin/Dateien/PDF/GEW-L-S-Lebenswesen__
  sen.de/download//Dokumentation_Schwule_Jugendliche_-           web.pdf [Stand: ..]
  _Ergebnisse_zur_Lebenssituation_sozialen_und_sexuellen_Iden-     Glück, Gerhard: Heisse Eisen – kalte Füsse? Eltern, Lehrer/innen
  titaet.pdf [Stand: ..]                                     und Jugendliche zur Sexualität und schulischen Sexualerzie-
Bochow, Michael: Einstellungen und Werthaltungen zu homose-          hung, In: Koch, Friedrich (Hrsg.): Sexualerziehung und AIDS,
  xuellen Männern in Ost-und Westdeutschland. Ergebnisse zu          Hamburg: Bergmann und Helbig 
  einer Befragung, In: Lange, Cornelia (Hrsg.): AIDS – eine For-   Jones, Olivia: Keine Angst in Andersrum. Eine Geschichte vom
  schungsbilanz, Berlin: editionsigma, S. –                anderen Ufer, Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 
Breckenfelder, Michaela (Hrsg.): Homosexualität und Schule.        Timmermanns, Stefan: Keine Angst, die beißen nicht! Evalua-
  Handlungsfelder – Zugänge – Perspektiven, Opladen; Berlin;         tion schwul-lesbischer Aulärungsprojekte in Schulen, Nor-
  Toronto: Verlag Barbara Budrich                                derstedt: Books on Demand 

Homosexualität als Unterrichtsthema | Editorial                                                                                 9
Homosexualit t als Unterrichtsthema - Ideen und Materialien f r den Schul- und Hochschulunterricht
Michael Lenz, Nicolas Bröckling

Homosexualität als hochschuldidaktische Herausforderung

Dass Homosexualität auch in der heutigen Zeit ein                Das Thema ›sexuelle Vielfalt‹ – im Folgenden exem-
gesellschaftlich kontrovers diskutiertes ema ist, wur-          plarisch zugeschnitten auf Homosexualität – besitzt
de im Editorial bereits angesprochen. Lehrerinnen                somit für angehende – aber auch bereits fertig ausge-
und Lehrer können in ihrer Ausbildung und später                 bildete – Lehrerinnen und Lehrer aus den bisher ge-
im Schulalltag mit dem ema in vielfältiger Weise                nannten Gründen eine besondere Relevanz. Im Fol-
in Berührung kommen:                                             genden werden wir zunächst ausgewählte theoreti-
§ Homophobie gehört auf deutschen Schulhöfen im-                 sche Aspekte des Themas darstellen und im Anschluss
  mer noch zum Schulalltag und kann sich in Form                 auf das von uns durchgeführte bildungswissenscha-
  von Verbalaggressionen (Gebrauch von Schimpf-                  liche Seminar eingehen. Wir bitten dabei zu berück-
  wörtern und diskriminierenden Äußerungen) un-                  sichtigen, dass die theoretischen Überlegungen – trotz
  ter den Schülerinnen und Schülern – aber auch ge-              des Bemühens um den Einbezug aktueller wissen-
  genüber Lehrkräen oder im Kollegium – bis hin                 schaftlicher Erkenntnisse – unsere eigene Perspektive
  zu Mobbing und körperlichen Übergriffen äußern.                 auf das emenfeld ›Homosexualität‹ widerspiegeln.
  Lehrkräe müssen in der Lage sein, in derartigen               Dabei zeigen sich sowohl Überschneidungen als auch
  Situationen angemessen zu reagieren.                           Abweichungen von verschiedenen Positionen, die In-
§ Basierend auf der Schätzung, dass etwa  aller Men-           teressenverbände bezüglich dieser ematik vertre-
  schen homosexuell sind (vgl. GEW Baden-Württem-                ten. Aus unserer Sicht ist es im Sinne der Bildungs-
  berg , S. ), müssen Lehrkräe davon ausge-               ideale der Aulärung und Mündigkeit jedoch uner-
  hen, dass sich in ihren Schulklassen betroffene Ju-             lässlich, dass sich jede Leserin und jeder Leser selbst
  gendliche be nden könnten, die sich bezüglich ihrer            eine eigene Meinung zu diesem ema bildet.
  sexuellen Orientierung noch unsicher sind oder sich
  bereits in einem Prozess des Coming-out be nden.
                                                                 Theoretische Aspekte
  Es ist auch möglich, dass sich eine Schülerin oder ein
  Schüler gegenüber einer Lehrkra outet oder sich               Bereits im Zuge der Planung und Konzeption unse-
  ihr hilfesuchend anvertraut.                                   res Seminars mussten wir feststellen, dass in der Aus-
§ Homosexualität kann auch zum ema in Eltern-                   einandersetzung mit dem emenfeld ›Homosexua-
  gesprächen werden. Gerade in derartigen Situationen            lität‹ eine Tendenz zu beobachten ist, angeblich ab-
  ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Alltagswissen,           gesichertes »Wissen« ohne kritische Re exion in die
  Halbwissen, Geschlechterstereotype und Vorurteile              Diskussion einzubringen. So ndet sich bspw. in den
  in Gespräche ein ießen. Lehrkräe müssen in der                von der GEW Baden-Württemberg herausgegebenen
  Lage sein, auf der Basis wissenschaftlicher Erkennt-           Unterrichtsbeispielen im Bereich »Informationen für
  nisse zur sexuellen Orientierung in Beratungsge-               Lehrkräe« die ese: »Heterosexualität, Bisexuali-
  sprächen angemessen zu reagieren. Dabei sind die               tät und Homosexualität gab es zu allen Zeiten in al-
  Re exion der eigenen sexuellen Orientierung und                len Kulturen« (GEW Baden-Württemberg , S.
  die Bildung einer eigenen Meinung zu dieser e-                ). Und in diversen Online-Quellen wird versucht,
  matik unabdingbare Grundvoraussetzungen für ein                Homosexualität mittels des Hinweises auf ihre Ver-
  professionelles Handeln von Lehrkräen.                        breitung im Tierreich als »natürlich« zu legitimieren,
§ Nicht zuletzt erfordert die in Richtlinien, Rahmen-            wie bspw. das folgende Zitat aus einem Psychologie-
  vorgaben und Aktionsplänen eingeforderte (teils                Lexikon im Internet belegt: »Homosexualität ist auch
  fachübergreifende) Umsetzung des emas ›sexu-                  im Tierreich weit verbreitet und nichts Ungewöhnli-
  elle Vielfalt‹ die Sichtung, kritische Bewertung und           ches. Wenn Homosexualität nichts zum Überleben
  Anpassung bereits vorhandener oder sogar die Ent-              einer Art beitragen würde, wäre eine solche Verbrei-
  wicklung neuer Konzepte und Materialien für den                tung eher unwahrscheinlich« (vgl. Psycomeda o.J.).
  Einsatz im eigenen Unterricht. Angehende Lehr-                 Einerseits vermitteln derartige Informationen den Le-
  kräe sollten daher bereits in der ersten Phase der            serinnen und Lesern den Eindruck empirisch abge-
  Lehrerausbildung an den Universitäten auf diese                sicherter »Wahrheiten«. Auf der anderen Seite können
  Tätigkeiten vorbereitet werden.                                sie als Argumente hilfreich sein, um homophoben

Homosexualität als Unterrichtsthema | Homosexualität als hochschuldidaktische Herausforderung                      11
Meinungsäußerungen in Alltagsdiskussionen und in                  schen in der Kategorie ›bisexuell‹ schwankt zwischen
der Schule zu begegnen. Aber handelt es sich hier                 , und , Prozent.7 Zur tatsächlichen Verbreitung
wirklich um Erkenntnisse, die aus wissenschalicher               von Homosexualität in der deutschen Bevölkerung
Sicht vertreten werden können? Ziel der folgenden                 liegen allerdings keine aktuellen empirischen Be-
Betrachtungen wird sein, einige derartige »starke«                funde vor. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass sich
esen genauer in den Blick zu nehmen, indem sie                   die genannten Zahlen jeweils auf den Anteil aller be-
in Frageform diskutiert werden. Die Fragen eignen                 fragten Männer bzw. Frauen – und damit nicht auf
sich aus unserer Sicht auch als Anregungen zu kriti-              die gesamte Bevölkerung – beziehen: Ein Anteil von
schen Diskussionen in der Schule und Lehrerbildung.               , Prozent der Männer und , Prozent der Frauen
                                                                  bedeutet also nicht, dass (aufsummierte) , Prozent
Was versteht man unter Homosexualität?                            der Menschen schwul oder lesbisch sind, sondern
In der wissenschalichen Literatur und diversen In-               dass der Anteil von Homosexuellen an der Gesamt-
ternetquellen nden sich unterschiedliche – mitun-                 bevölkerung – je nach tatsächlicher demogra scher
ter sehr theoretische und »nüchterne« – De nitionen               Häu gkeit der Geschlechter – zwischen , und ,
zur sexuellen Orientierung. Interessant im Sinne des              Prozent liegen düre.
emanzipatorischen Erkenntnisinteresses im Kontext
von Schule ist folgende De nition der Bisexualität aus            Ist der Mensch eigentlich bisexuell?
der Informationsbroschüre der GEW Baden-Würt-                     Diese Annahme ist mehr als  Jahre alt und ndet
temberg (, S. , Hervorh. ML, NB): »Ein bise-                sich bereits in den Werken von Sigmund Freud (vgl.
xueller Mensch hat die Fähigkeit, beide Geschlechter              Rauch eisch , S. ). Der amerikanische Sexu-
zu lieben.« Hier wird nicht die sexuelle Neigung oder             alforscher Alfred Kinsey ging in seinen Untersuchun-
das sexuelle Begehren in den Vordergrund gestellt,                gen Ende der er Jahre davon aus, dass die Gren-
sondern die sexuelle Orientierung mittels des positiv             zen zwischen den sexuellen Orientierungen ießend
konnotierten Fähigkeitsbegriffs als menschliches Ver-              sind – eine Position, die sich auch in den Bemühun-
mögen beschrieben. Homosexualität ließe sich dem-                 gen zur sog. »Dekonstruktion« der sexuellen Orien-
entsprechend als »Fähigkeit, einen Menschen des glei-             tierung in feministisch-konstruktivistischen Ansät-
chen Geschlechts zu lieben« definieren, Heterosexua-              zen der neueren Genderforschung wieder ndet (vgl.
lität in analoger Weise als »Fähigkeit, einen Menschen            z. B. Timmermanns , S. , f). Die von Kinsey
des anderen Geschlechts zu lieben«.                               entwickelte »Kinsey-Skala«8 wird auch heute noch in
                                                                  Publikationen zur sexuellen Orientierung als Beispiel
Wie verbreitet ist Homosexualität wirklich?                       zur Veranschaulichung dieser ese herangezogen (vgl.
Untersuchungsergebnisse zur demogra schen Häu-                    GEW Baden-Württemberg , S. ). Als proble-
figkeit von Homosexualität können sehr unterschied-               matisch erweisen sich hier aus unserer Sicht drei As-
lich ausfallen. Hohe Schätzwerte nden sich bspw.                  pekte: Erstens sind die Untersuchungen Kinseys mitt-
bei Voß unter Berufung auf Rauch eisch (vgl. ,                lerweile mehr als  Jahre alt. Aktuellere Erhebungen
S. ): »Statistisch betrachtet sind etwa fünf bis zehn           zeigen ambivalente Ergebnisse: So gaben bspw. in den
Prozent … der Gesamtbevölkerung homosexuell …                     er Jahren  Prozent der befragten Jugendlichen
Übertragen auf den Schulalltag gibt es folglich in je-            an, schon einmal sexuellen Kontakt mit einem Part-
der Schulklasse circa ein bis zwei Schüler_innen [sic]            ner des gleichen Geschlechts gehabt zu haben. In ei-
die lesbisch oder schwul sind« (Voß , S. ). In-             ner Wiederholungsbefragung in den er Jahren
ternationale Vergleichszahlen aus Erhebungen und                  war diese Gruppe – trotz gesellschalicher Tenden-
Meta-Analysen der letzten  Jahre fallen hingegen                zen zur sexuellen Liberalisierung – auf zwei Prozent
deutlich geringer aus: Demnach liegt der Anteil der               gesunken (vgl. Timmermanns , S. , ). Zwei-
Männer, die sich als ›schwul‹ einschätzen, bei ca. ,            tens berücksichtigt die Kinsey-Skala ausschließlich
bis , Prozent. Als ›lesbisch‹ bezeichnen sich ca. ,           das sexuelle Verhalten. Einzubeziehen wären jedoch
bis , Prozent der Frauen und der Anteil der Men-                auch Neigungen und Fantasien, emotionale und so-

7 Zugrunde gelegt wurden hier acht auf Wikipedia (Quelle:         8 Kinsey ging von einer siebenstu gen Skala der sexuellen Ori-
https://de.wikipedia.org/wiki/HomosexualitCAt, Stand: .     entierung aus, wobei die Extreme durch eine ausschließlich he-
.) genannte Untersuchungen aus den Ländern Deutsch-         terosexuelle bzw. homosexuelle Orientierung geprägt sind. Auf
land, Australien, Kanada, Großbritannien und den USA, die zwi-    den Zwischenstufen nden sich unterschiedliche Ausprägungs-
schen den Jahren  und  durchgeführt worden sind. Die      grade der Häufigkeit homo- bzw. heterosexuellen Verhaltens (vgl.
einzige Untersuchung aus Deutschland stammt aus dem Jahr          GEW Baden-Württemberg , S. ).
, sodass hier ein deutliches Forschungsdesiderat zu bemän-
geln ist.

12                               Homosexualität als Unterrichtsthema | Homosexualität als hochschuldidaktische Herausforderung
ziale Vorlieben, der jeweils realisierte Lebensstil so-           lang nicht repliziert werden. Die Problematik derarti-
wie die eigene Selbstidenti kation im Sinne der ent-              ger Befunde liegt in ihren ambivalenten gesellschas-
wickelten Geschlechtsidentität. Diese Faktoren wer-               politischen Implikationen: Auf der einen Seite wäre
den bspw. im sog. »Klein Sexual Orientation Grid«,                der Nachweis einer biologischen (Mit-)Verursachung
berücksichtigt – einem Raster, das bereits Mitte der              von Homosexualität für Betroffene eine Erleichterung,
er Jahre als Weiterentwicklung der Kinsey-Skala               da sie sich nicht für ihre sexuelle Orientierung recht-
vorgestellt worden ist (vgl. Fiedler , S. f). Drit-         fertigen müssten, die ja kein Wahlverhalten darstellt
tens impliziert die Annahme von ießenden Grenzen                  und sich gleichsam ohne ihr eigenes Zutun entwickelt.
sexueller Orientierungen eine prinzipielle Änderbar-              Auf der anderen Seite besteht die Befürchtung, dass
keit der sexuellen Orientierung. Eine lesbische oder              derartige Forschungen vor dem Hintergrund eugeni-
schwule Identität könnte damit als Ergebnis eines                 scher Motive missbraucht werden könnten, um eine
Wahlverhaltens angesehen werden, für das sich das                 homosexuelle Orientierung zu ändern oder bereits
betroffene Individuum zu rechtfertigen habe.9 Dabei                vorgeburtlich zu vermeiden.
zeigen sich Parallelen zu verbreiteten Vorurteilen, die
längst nicht mehr dem wissenschaftlichen Forschungs-              Ist Homosexualität ein natürliches Phänomen?
stand entsprechen (vgl. z. B. Rauchfleisch , S. ff),         Hintergrund dieser Frage ist der häu g in öffentlichen
wie bspw. die veraltete Auffassung, es handele sich bei           Debatten anzutreffende Versuch, Homosexualität auf-
Homosexualität um eine »Krankheit« oder die sog.                  grund ihrer vermeintlich »universellen« Verbreitung
»Verführungshypothese«, nach der Jugendliche zu ho-               (im Tierreich, zu allen Zeiten, in allen Kulturen) als
mosexuellem Verhalten animiert werden könnten.                    gleichsam »natürliches« Phänomen darzustellen und
                                                                  damit ethisch zu legitimieren. Eine derartige Strate-
Ist Homosexualität genetisch bedingt?                             gie ist aus unserer Sicht aufgrund der wissenschali-
Der wissenschaftliche Streit, ob Fähigkeiten und Merk-            chen Befundlage und wissenschaftstheoretischen Über-
male des Menschen stärker durch genetische Effekte                 legungen als äußerst fragwürdig einzustufen:
oder Umwelteinflüsse beeinflusst werden, hat eine lan-            Homosexualität im Tierreich: Eine weite Verbreitung
ge Tradition und kann an dieser Stelle nicht im Detail            homosexuellen Verhalten konnte von dem Biologen
dargestellt werden (vgl. dazu insbes. Lenz ). Aus             Bruce Bagemihl bei über  Tierarten nachgewie-
heutiger Sicht ist die Frage falsch gestellt, da an der           sen werden (vgl. Bagemihl ). Gut dokumentiert
Entwicklung jedes menschlichen Merkmals immer                     ist es bspw. bei Bonobos (Zwergschimpansen), Del-
Anlage- und Umweltein üsse beteiligt sind. Im Dis-                  nen und Trauerschwänen. Rückschlüsse auf den
kurs über die sexuelle Orientierung nden sich je-                 Menschen sind jedoch nur sehr eingeschränkt mög-
doch immer wieder Meinungsäußerungen, die eine                    lich: Tiere können nur beobachtet, aber nicht »be-
Mitverursachung durch biologische Faktoren negie-                 fragt« werden, sodass über die Intentionen von Ver-
ren. Dazu ist zunächst anzumerken, dass Befunde aus               haltensweisen (Freiwilligkeit, Lustempfinden etc.) bes-
der Zwillingsforschung eine Beteiligung genetischer               tenfalls Spekulationen möglich sind (Gefahr der Ver-
Faktoren nahelegen: So zeigt sich bspw. bei männli-               menschlichung tierlichen Verhaltens). Zudem sind
chen eineiigen Zwillingen eine Übereinstimmung von                anhand des Vorkommens eines Verhaltens im Tier-
 Prozent hinsichtlich der sexuellen Orientierung;               reich keine moralischen Rückschlüsse auf menschli-
bei zweieiigen Zwillingen hingegen ist die sexuelle               ches Verhalten möglich. Dies wäre aus wissenschas-
Orientierung nur bei  Prozent der untersuchten                  theoretischer Sicht ein sog. »naturalistischer Fehl-
Zwillingspaare identisch (vgl. Asendorpf , S. ).           schluss« (vom »Sein« auf das »Sollen«). Wer Homo-
Seit Beginn der er Jahre wurden verstärkt Ver-                sexualität anhand eines Speziesvergleichs als »natür-
suche unternommen, eine genetische Basis der Homo-                liche« Verhaltensweise zu legitimieren versucht, muss
sexualität aus ndig zu machen (vgl. Voß ). Als                auch zur Kenntnis nehmen, dass bspw. bei Bonobos
biologische Faktoren wurden bspw. die Größe einer                 der Geschlechtsakt nicht ausschließlich der Fortp an-
Gehirnregion im Hypothalamus (vgl. LeVay )                    zung dient, bei Bonobos Sex zwischen adulten Tieren
oder eine Genregion auf dem langen Arm des X-                     und Jungtieren beobachtet werden kann und dass bei
Chromosoms (Xq, vgl. Hamer u.a. ) diskutiert.               Del nen Formen sexueller Übergriffe zwischen Spe-
Die entsprechenden Befunde konnten allerdings bis-                zies vorkommen.

9 Derartige Auffassungen scheinen im deutschsprachigen Raum        zur Homosexualität hinzuweisen, auf die man zwangsläu g auf-
insbesondere in evangelikalen Kreisen verbreitet zu sein. Dabei   merksam wird, wenn man bspw. die Suchbegriffe »Homosexua-
ist an dieser Stelle warnend auf die pseudo-wissenschalichen     lität« und »Fakten« in der Suchmaschine ›Google‹ verwendet.
Schrien des »Deutschen Instituts für Jugend und Gesellscha«

Homosexualität als Unterrichtsthema | Homosexualität als hochschuldidaktische Herausforderung                            13
Historische Verbreitung: Die Frage, ob es Homosexu-                  Fazit: Eine Legitimation von Homosexualität als uni-
alität in allen historischen Epochen gegeben hat, ist                verselles bzw. »natürliches« Phänomen ist vor dem
aufgrund der prinzipiellen Vorläu gkeit und Unvoll-                  Hintergrund der vorgestellten Überlegungen fragwür-
ständigkeit historischer Erkenntnisse nicht beweis-                  dig und verdeutlicht die wissenschastheoretischen,
bar. Gut belegt ist, dass von homosexuellen Verhal-                  ethischen und moralischen »Fallstricke«, die gesell-
tensweisen (insbes. in Form der sog. »Knabenliebe«)                  schaliche Debatten zur Homosexualität begleiten
bereits im antiken Griechenland berichtet worden ist                 können. Wir möchten hier ausdrücklich betonen, dass
(vgl. Blazek ). Gerade das Beispiel der Knaben-                  die ausgeführten Argumente im Umkehrschluss in
liebe veranschaulicht jedoch, dass eine historische                  keinerlei Weise eine Abwertung von Homosexualität
Ausgestaltung sexueller Verhaltensweisen aufgrund                    rechtfertigen oder zur Stützung homophober Argu-
ihres spezi schen kulturellen Kontextes in gesell-                   mentationen genutzt werden können. Insofern eine
schaftspolitischer Sicht nicht als moralischer oder ethi-            Rechtfertigung von Homosexualität überhaupt argu-
scher Maßstab für unsere heutige Gesellscha heran-                  mentativ angestrebt werden soll, stellt aus unserer
gezogen werden kann. Vor dem Hintergrund unserer                     Sicht die Betrachtung der sexuellen Orientierung im
Rechtsauffassung erfüllt die im antiken Griechenland                 Sinne eines allgemeinen Menschenrechts auf sexu-
praktizierte Knabenliebe den Straatbestand des se-                  elle Selbstbestimmung, solange dabei nicht die Rechte
xuellen Missbrauchs und ist als Form der Pädophilie                  Dritter verletzt oder beeinträchtigt werden, eine sinn-
einzuordnen.                                                         volle Argumentationsbasis dar (vgl. Leicht ).
Kulturübergreifende Verbreitung: Ein positiver Beweis,               Diese und andere kritische Nachfragen erschweren
dass es Homosexualität in allen Kulturen gibt bzw.                   nicht nur die eigene Positions ndung für (angehende)
gegeben hat, ist aus wissenschaftstheoretischer Sicht –              Lehrkräfte. Sie wirken sich auch aus hochschuldidak-
wie oben bereits bezüglich der historischen Verbrei-                 tischer Sicht auf die Vermittlung des emas im Rah-
tung erläutert – nicht möglich. Die ese lässt sich                  men der Bildungswissenschaen aus. Wie sieht eine
jedoch widerlegen, wenn schlüssig nachgewiesen und                   inhaltliche Position zum ema »Homosexualität«
dokumentiert werden kann, dass es Kulturen gibt bzw.                 aus, die Studierenden in der universitären Lehre als
gegeben hat, in denen homosexuelles Verhalten nicht                  wissenschaftlich abgesichert präsentiert werden kann?
praktiziert wird bzw. wurde oder gänzlich unbekannt                  Die vorgestellten Ausführungen zeigen diesbezüglich
ist bzw. war. Diesbezüglich lassen sich zwei Beispiele               aus unserer Sicht erhebliche Forschungsdesiderata.
aus der Anthropologie bzw. Ethnologie anführen: Im
Rahmen von Feldforschungen bei den Yanomami,
                                                                     Lehrveranstaltungen zum Thema »Homo-
einer ursprünglichen Stammesgesellscha im Ama-
zonasgebiet, wurde aus linguistischer Perspektive da-
                                                                     sexualität« – ein Praxisbeispiel
rauf hingewiesen, dass dieses Volk keine sprachlichen                Im Sommersemester  führten wir an der Fakul-
Begriffe für homosexuelle Verhaltensweisen in seinem                  tät für Erziehungswissenscha der Universität Biele-
Wortschatz hatte (vgl. die Dokumentation »Die Yano-                  feld ein Seminar mit dem Titel »Homosexualität als
mami – Missbrauch im Urwald«, arte, ..,                      Unterrichtsthema« durch. Die fachliche Zuordnung
: Uhr). Dass bei den Yanomami erst durch den                      des Seminars war im Bereich »Umgang mit Hetero-
Kontakt mit Forscherinnen und Forschern Homo-                        genität« angesiedelt. Die Zielgruppe der Veranstal-
sexualität begrifflich gefasst wurde, ist ein Indiz da-                tung bestand aus Studierenden der Bildungswissen-
für, dass Homosexualität bei diesem Naturvolk ent-                   schaen. Das Seminar war durch eine große Hetero-
weder zuvor nicht thematisiert oder sogar nicht prak-                genität der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hinsicht-
tiziert worden war. Als zweites Beispiel ist anzufüh-                lich der Studiengänge, Unterrichtsfächer und der Zahl
ren, dass das Anthropologenpaar Barry S. Hewlett                     der absolvierten Semester geprägt. Zu Beginn des Se-
und Bonnie L. Hewlett im Rahmen ihrer Feldstudien                    minars hatten mehr als  Studierende die Lehrver-
beim Stamm der Aka-Pygmäen in Zentralafrika be-                      anstaltung in ihren Stundenplan aufgenommen. Ge-
richteten, dass bei diesem Volk Homosexualität und                   gen Ende des Seminars gab es  registrierte Teilneh-
Masturbation nicht bekannt wären und sie auch über                   merinnen und Teilnehmer, von denen sich  an der
keinerlei sprachlichen Begriffe für diese Verhaltens-                 Projektphase beteiligten. In den einzelnen Seminar-
weisen verfügen würden (vgl. Hewlett/Hewlett ,                   sitzungen schwankte die Zahl der Teilnehmenden meist
S. f).                                                            zwischen  und  Studierenden.10

10 Dabei ist zu berücksichtigen, dass an der Universität Bielefeld   der Praxis zeigen sich jedoch hohe Fluktuationen hinsichtlich
aufgrund des Hochschulgesetzes das Führen von Anwesenheits-          der Zahl der an den einzelnen Sitzungen teilnehmenden Studie-
listen nicht zulässig ist. Von den Studierenden wird zwar eine re-   renden, die durch die Gestaltung der Lehrveranstaltung und di-
gelmäßige Teilnahme an den Lehrveranstaltungen erwartet, in          daktische Maßnahmen nur bedingt beein usst werden können.

14                                 Homosexualität als Unterrichtsthema | Homosexualität als hochschuldidaktische Herausforderung
Als Bedingung für den Erwerb eines Leistungsnach-                     § Verdeutlichung, wie wichtig ein von Akzeptanz ge-
weises (sog. »Aktive Teilnahme« im Studienmodell                        prägter Umgang mit LSBTI in unserer Gesellscha
 bzw. »Studienleistung« im Studienmodell )                      ist und wie im schulischen Umfeld aktiv dazu bei-
wurde neben dem Wunsch nach möglichst regelmä-                          getragen werden kann.
ßiger Teilnahme die Beteiligung an Diskussionen in                    § Sensibilisierung für die Lebenswirklichkeit von Les-
Kleingruppen und im Plenum sowie die Mitarbeit an                       ben und Schwulen sowie für mögliche Probleme
einem »Projekt« vorgegeben. Letzteres erforderte die                    im schulischen Umfeld (offene und versteckte Dis-
kontinuierliche Arbeit über drei Wochen an einem                        kriminierung, Homophobie etc.).
selbstgewählten ema im Seminarkontext in Klein-                      § Diskurskompetenz für die Teilnahme an der gesamt-
gruppen mit bis zu fünf Studierenden, die Vorberei-                     gesellschalichen Debatte um Homosexualität er-
tung und ggf. Durchführung einer zehnminütigen                          werben und eine eigene Position dazu entwickeln.
Präsentation der Arbeitsergebnisse im Rahmen einer                    § Aneignung theoretischen/didaktischen Wissens für
von drei Plenumssitzungen sowie eine kurze schri-                      die Sichtung und Beurteilung bestehender sowie
liche Darstellung des eigenen Projekts. Die Projekt-                    Training praktischer Fertigkeiten für die Entwick-
themen konnten von den Studierenden unter der Prä-                      lung neuer Konzepte zum Umgang mit dem ema
misse frei gewählt werden, dass sich das entstehende                    ›sexuelle Orientierung‹ im Schulunterricht.
›Produkt‹ als »unterrichtstauglich« erweist.11 Je nach
Projektthema war auch eine Weiterarbeit an den Pro-                   . Sitzung: Organisatorisches und Einführung
jekten außerhalb der drei Sitzungstermine der Grup-                   In der ersten Seminarsitzung wurden nach der Vor-
penarbeitsphase erforderlich. Aus didaktischer Sicht                  stellung der Lehrenden zunächst die fachlichen Zu-
ist die Projektidee sowohl prozess- als auch produkt-                 ordnungen und Kriterien für einen Leistungserwerb
orientiert: Die regelmäßige Zusammenarbeit an ei-                     (insbes. die »Projektidee«) erläutert. Zur Einstim-
nem konkreten Thema sollte kooperatives Lernen und                    mung wurde ein kurzer Ausschnitt aus einer Doku-
die Fähigkeit zum eigenverantwortlichen Arbeiten                      mentation über Homophobie unter Jugendlichen ge-
fördern; als Ziel stand dabei ein konkretes Arbeitser-                zeigt. Im Anschluss wurden die allgemeinen Ziele
gebnis als Produkt im Vordergrund, das am Ende der                    des Seminars erläutert und erklärt, aus welchen Grün-
Arbeitsphase in den letzten Seminarsitzungen prä-                     den wir als Veranstalter die Beschäigung mit dem
sentiert werden konnte. Als Lehrende standen wir                      ema »Homosexualität« als besonders wichtig für
während der Gruppenarbeitssitzungen den Studieren-                    angehende Lehrkräfte ansehen. Zudem wurde der vor-
den für Beratungsgespräche zur Verfügung. Wir haben                   läu ge Ablaufplan der Seminarsitzungen vorgestellt.
dabei keine emen oder inhaltlichen Ausgestaltun-                     Abschließend haben wir eine Abfrage des Vorwis-
gen vorgegeben, sondern lediglich an den Stellen, an                  sens der Studierenden zum ema ›Homosexualität‹
denen wir dies für hilfreich erachtet haben, Hinweise                 mittels des Umfragesystems »TurningPoint« 12 vorge-
gegeben und Ideen eingebracht.                                        nommen. Die Fragen hatten einen direkten Bezug zu
                                                                      den in den folgenden eoriesitzungen geplanten In-
Ziele der Lehrveranstaltung                                           halten und die Ergebnisse wurden in den Folgesit-
Als allgemeine Lehr- bzw. Lernziele der Lehrveran-                    zungen aufgegriffen.
staltung wurden den Studierenden in der ersten Sitzung                Bereits bei den Anmeldungen zum Seminar (Aufnahme
die folgenden Aspekte erläutert:                                      der Veranstaltung in den Stundenplan der Studieren-
§ Überblick über das emenfeld der sexuellen Ori-                     den) hatte sich ein geschlechtsspezi scher Effekt in
  entierung – insbesondere zugeschnitten auf Homo-                    Form einer deutlichen Überrepräsentation von  Stu-
  sexualität – gewinnen und sich theoretische Kennt-                  dentinnen im Vergleich zu nur  Studenten abge-
  nisse dazu aneignen.                                                zeichnet. Da hier die ese naheliegt, dass männliche
§ Kenntniserwerb über den Stellenwert des emas in                    Studierende ein Problem damit haben könnten, ein
  schulischen Richtlinien und Lehrplänen.                             Seminar zum ema ›Homosexualität‹ zu besuchen –

11 Als ungeeignet für den Unterrichtseinsatz wäre bspw. die Er-       ob man homosexuell wird oder nicht.«) oder um die Abfrage
stellung einer schwulen Kurzgeschichte mit expliziten (nicht-ju-      konkreten Wissens (z. B.: »In Deutschland ist eine Eheschließung
gendfreien) Sexszenen anzusehen.                                      zwischen gleichgeschlechtlichen Personen möglich.«). Alternativ
12 Dabei wurden insgesamt  Fragen gestellt und von den Stu-         zum Klicksystem ›TurningPoint‹ können in Lehrveranstaltungen
dierenden mittels sog. »Klicker«, wie sie bspw. aus TV-Shows          auch anonymisierte Umfragen mittels des von der Universität
(»Wer wird Millionär?«) bekannt sind, anonym beantwortet. Das         Paderborn entwickelten und kostenlos zur Verfügung gestellten
Ergebnis kann direkt im Anschluss präsentiert werden. Unsere          Online-Votingsystems »Pingo« durchgeführt werden, insofern
Fragen werden hier nicht im Einzelnen aufgelistet. Es handelte        die Studierenden während der Lehrveranstaltung im Hörsaal bzw.
sich i.d.R. um allgemeine Einschätzungen, Vorannahmen und Vor-        Seminarraum mit ihren Notebooks, Smartphones oder Tablets
urteile (z. B. »Der erste homosexuelle Kontakt entscheidet darüber,   Zugang zum Internet haben.

Homosexualität als Unterrichtsthema | Homosexualität als hochschuldidaktische Herausforderung                                   15
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