"Innerlich frischer und wachstumsfähiger Nachwuchs" - De ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
BIBLIOTHEK – Forschung und Praxis 2020; 44(2): 250–271 Anna Bohn* „Innerlich frischer und wachstumsfähiger Nachwuchs“ Aby Warburg, Edgar Breitenbach und die Netzwerke zu Beginn einer Bibliothekskarriere in der späten Weimarer Republik https://doi.org/10.1515/bfp-2020-0026 “A New Generation, Fresh Within and Capable of Growth” Aby Warburg, Edgar Breitenbach and Networks at the Zusammenfassung: Edgar Breitenbach war von 1953 bis Outset of a Library Career in the Late Weimar Republic 1955 als Vertreter der Library of Congress beratend für Abstract: From 1953 to 1955, in his capacity as a represen- den Bau der Amerika-Gedenkbibliothek in Berlin tätig. tative of the Library of Congress, Edgar Breitenbach advi- Als einer der Volontäre des ersten Jahrgangs des neu sed on the construction of the American Memorial Library begründeten bibliothekswissenschaftlichen Ausbildungs- (Amerika Gedenkbibliothek – Berliner Zentralbibliothek) wegs an der Friedrich-Wilhelms-Universität und der Preu- in Berlin. As a trainee librarian from the first cohort en- ßischen Staatsbibliothek zu Berlin im Studienjahr 1928/ rolled in the newly established library science course at 1929 gelangte er auf einen Berufsweg, auf dem er zu einem Friedrich-Wilhelms-Universität and the Prussian State Li- Wegbereiter neuer Entwicklungen wurde. Der Beitrag un- brary in Berlin during the academic year 1928/1929, he was tersucht, welche Rolle sein engagierter Förderer Aby War- to embark on a career during which he was at the forefront burg sowie Netzwerke und Empfehlungsschreiben von Bi- of new developments in the field. This article examines the bliotheksdirektoren für den Beginn der Bibliothekskarriere role played by Breitenbach’s enthusiastic patron, Aby War- Edgar Breitenbachs in der ausgehenden Weimarer Repu- burg, as well as by networks and letters of recommendati- blik spielten. Zur Rekonstruktion der bibliothekarischen on, at the outset of his library career towards the end of the Entwicklungen dienen Erinnerungen, Korrespondenzen Weimar Republic. Developments in the field are recon- und Personalakten aus der Staatsbibliothek zu Berlin, dem structed using memoirs, correspondence, and personnel Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, der Staats- und Uni- records from the Berlin State Library, the Institute for the versitätsbibliothek Göttingen, der New York Public Libra- History of Frankfurt, the State and University Library in ry, der Smithsonian Institution, Archives of American Art, Göttingen, the New York Public Library, the Smithsonian Washington D.C. und dem Warburg Institute London. Am Institution – Archives of American Arts, Washington D.C. Rande gestreift werden die Karrieren zweier Volontärin- and the Warburg Institute in London. The article also nen, Katharina Meyer und Gisela von Busse, die gemein- touches on the careers of two further trainee librarians, sam mit Breitenbach 1929 an der Preußischen Staatsbiblio- Katharina Meyer and Gisela von Busse, who sat their final thek zu Berlin ihre Prüfung absolvierten. exam alongside Breitenbach at the Prussian State Library Schlüsselwörter: Weimarer Republik; Geschichte 1926– in Berlin in 1929. 1933; Professionalisierung; Netzwerke Bibliothekswesen; Keywords: Weimar Republic; libraries history 1926-1933; Public Library professionalization; networks; public library Hinweis: Die Anfrage des Projektteams zum 90. Jubiläum des Instituts für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Univer- sität zu Berlin vom 14. Juni 2018 gab den Anstoß zu diesem Beitrag Inhalt und führte auf eine Entdeckungsreise in die Archive. Im Warburg Institute London traf ich Prof. Dr. Elizabeth Sears und danke ihr herz- 1 Einführung: Beginn einer Bibliothekskarriere – lich für die großzügige Bereitstellung ihres Transkripts der Akte Edgar Aby Warburg und Edgar Breitenbach . . . . . . . . . 251 Breitenbach, Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scho- 2 „durch den Eintritt in Ihre ruhmvolle Institution lars, New York Public Library. Für die Übersetzung des Titels und Abstracts ins Englische danke ich Dr. Hannah Mowat. zu einem stilgemäßen Verhalten moralisch verpflichtet“ – Göttingen 1928. . . . . . . . . . . . . . 258 *Kontaktperson: Dr. Anna Bohn, anna.bohn@fu-berlin.de
„Innerlich frischer und wachstumsfähiger Nachwuchs“ 251 3 „Wer den Wahl hat, hat die Qual“ – Hamburg Ausbildung in Berlin überhaupt zugelassen wurde, ver- 1928 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 dankte er dem persönlichen Einsatz seines Mentors Aby 4 „das Beneficium der praktischen staatlichen Warburg, des Gründers und Leiters der Kulturwissen- Ausbildung“ – Berlin 1928/1929. . . . . . . . . . . . 262 schaftlichen Bibliothek Warburg (KBW) in Hamburg. 5 „sodaß mit Bestimmtheit anzunehmen ist, daß Edgar Breitenbach wurde am 26. Juni 1903 in Ham- er in seinem Beruf etwas Tüchtiges leisten burg geboren und besuchte von 1909 bis 1921 die Ober- wird“ – Frankfurt a. M. 1929 . . . . . . . . . . . . . . . 264 realschule auf der Uhlenhorst in Hamburg. Danach stu- 6 „es hilft aber alles nichts, er muß fort“ – 1933 . . 266 dierte er von 1921 bis 1922 in München Kunstgeschichte, 7 Conclusio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Germanistik und Nordische Philologie. Als Breitenbach ab 1922 sein Studium in Hamburg fortsetzte,2 war im ersten Jahr nach der Revolution 1918, die Hamburgische Univer- 1 Einführung: Beginn einer sität 1919 durch einen Beschluss der demokratisch gewähl- ten Bürgerschaft gegründet worden. Die „Freie und Hanse- Bibliothekskarriere – Aby stadt Hamburg“ mit ihrem Hafen als Tor zur Welt des Warburg und Edgar Breitenbach Handels zeigte sich in den 1920er-Jahren auch von ihrem kulturellen Klima her als weltoffen. Als Student der Kunst- Der Kunsthistoriker und Bibliothekar Dr. Edgar Breiten- geschichte fand Breitenbach in Hamburg eine dynamische bach gilt als „Geburtshelfer“ der Amerika-Gedenkbiblio- lebendige Kunstszene vor, die der Moderne aufgeschlos- thek in Berlin. Das Konzept der nach dem Vorbild einer US- sen gegenüberstand. Zu den prägenden Persönlichkeiten amerikanischen Public Library 1954 in Berlin eröffneten des öffentlichen Lebens zählten die Kunsthistoriker Gustav Bibliothek erläuterte Breitenbach 1954 in einem Artikel für Pauli, Direktor der Hamburger Kunsthalle, und Max Sauer- die Zeitschrift Libri. Für diesen neuen Typ von Bibliothek landt, Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe, so- sei ein neuer Typ Bibliothekar erforderlich: „What the wie der Architekt und Stadtplaner Fritz Schumacher, der American Memorial Library is trying to produce is a type of als Oberbaudirektor der Hansestadt wirkte. Der Kunsthis- librarian who has the practical virtues of the ‚Volksbiblio- toriker und Kulturwissenschaftler Aby Warburg hatte den thekar‘ of being eager to help the public, combined with Aufbau der Universität Hamburg unterstützt und war be- the special subject knowledge of a ‚Wissenschaftliche Bi- reits 1912, Jahre vor der Eröffnung der Universität, vom bliothekar‘.“1 Wie bildete sich dieses Konzept des neuen Hamburger Senat zum Professor ehrenhalber ernannt wor- Typs Bibliothekar aus? Inwiefern prägte Breitenbachs eige- den. Warburg, der Erstgeborene der wohlhabenden Ban- ner Werdegang seine Vorstellung des bibliothekarischen kiersfamilie Warburg, gründete die Kulturwissenschaftli- Berufs? Breitenbach kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg che Bibliothek in Hamburg als Privatbibliothek; seine als Emigrant und US-amerikanischer Staatsbürger mit der Familie finanzierte die Bibliothek und sein Wirken als US-Armee zeitweise nach Deutschland zurück. Nach zwi- Mäzen. Er arbeitete eng mit Wissenschaftlern unterschied- schenzeitlicher Funktion als einer der Monuments Men für licher Fachbereiche der neu gegründeten Hamburgischen die Restitution von Raubkunst war er ab Anfang der Universität zusammen, darunter mit dem Philosophen 1950er-Jahre in der Kulturabteilung der Alliierten Hohen Ernst Cassirer und mit den Kunsthistorikern Gustav Pauli Kommission für den Wiederaufbau der deutschen Biblio- und Erwin Panofsky. Warburg leitete die Kulturwissen- theken zuständig. Als Vertreter der Library of Congress schaftliche Bibliothek in enger Zusammenarbeit mit dem beim Senat von Berlin fungierte er von 1953 bis 1955 als Kunsthistoriker Fritz Saxl und der Kunsthistorikerin und Berater für den Aufbau der Amerika-Gedenkbibliothek. Philosophin Gertrud Bing. Mit ihren rasant wachsenden Breitenbach kehrte damit quasi zu seinen Wurzeln zurück. reichen kunst- und geistesgeschichtlichen Beständen, den Er hatte in der Weimarer Republik als einer der Volontäre Veranstaltungen und Publikationsreihen Vorträge und des ersten Jahrgangs den neu begründeten bibliotheks- Studien der Bibliothek Warburg, entwickelte sich die Biblio- wissenschaftlichen Ausbildungsweg an der Friedrich-Wil- helms-Universität und der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin im Studienjahr 1928/1929 absolviert und war 2 Edgar Breitenbach war im Wintersemester 192/23 an der Philoso- danach bis 1933 im wissenschaftlichen Bibliotheksdienst phischen Fakultät immatrikuliert, Matrikelnummer 6958. Hamburger Matrikelportal online unter https://www.matrikelportal.uni-hambur tätig gewesen. Dass Breitenbach zur bibliothekarischen g.de/servlets/solr/select?q=%2BallMeta%3ABreitenbach+%2Breturn Id%3Amatrikelhh_matrikel_*&fl=*&sort=familienname_search+asc &rows=10&version=4.5&mask=content%2Fsearch%2Feinfache_such 1 Breitenbach (1954) 291. e.xed%3Finit%3D0.
252 Anna Bohn thek in den 1920er-Jahren zu einem Zentrum intellektuel- derung, die Warburg Breitenbach angedeihen ließ, zeugen len Lebens in Hamburg und erwarb sich einen Status als neben der überlieferten Korrespondenz auch Eintragun- neue geistes- und kulturwissenschaftliche Bibliothek und gen im Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Forschungseinrichtung. Warburg.7 Von August 1926 bis Oktober 1929 führte Aby In der Zeit, als der Neubau der Warburg-Bibliothek Warburg gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Fritz Saxl errichtet wurde und Edgar Breitenbach bei Erwin Panofsky und Gertrud Bing ein institutionelles Tagebuch. Es doku- promovierte, besuchte er im Wintersemester 1925/1926 mentiert während der ersten Jahre der Bibliothek Warburg Aby Warburgs Übungen. Nach der Übung übersandte er in dem neuen Gebäude bis zum Tod Aby Warburgs detail- Warburg am 6. April 1926 seinen Referatsbericht und liert die Geschehnisse des Alltagslebens und des Arbeits- dankte ihm für die Betreuung: „Wir haben ohne Ausnahme alltags einer Bibliothek, die sich in den 1920er-Jahren von das Besondere Ihrer Übungsabende innerhalb des Univer- einer Privatbibliothek zu einem international vernetzten sitätsbetriebes empfunden und uns oft darüber ausgespro- Forschungsinstitut und einer öffentlich zugänglichen Kul- chen (...) Aber neben dem, was Sie uns stofflich vermittel- tureinrichtung entwickelte. Das Tagebuch der Kulturwis- ten, haben wir nicht geringere Bewunderung gehabt für senschaftlichen Bibliothek ist damit nicht nur ein heraus- die pädagogische Arbeit, die Sie zu dieser Zeitspanne an ragend interessantes Zeugnis der Alltagsgeschichte einer uns wandten. Wir empfanden Ihre persönliche Beschäfti- Bibliothek, sondern gibt Einblick in den regen wissen- gung mit uns, die kein Opfer an Zeit scheute, immer wieder schaftlichen Austausch und die vielfältigen Kontakte mit als eine beinahe unfassbare Bevorzugung und jedenfalls Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland, in die „War- ganz unverdient. Und dies trotzdem und umso mehr, als burg-Kreise“8 und Personen des umfangreichen Netz- doch viele von uns in so ungezwungenen, durchaus per- werks, welches die Bibliothek als Institution und die Per- sönlichen Beziehungen zu unsern näheren Dozenten ste- sonen, die in ihr agierten, bildeten. Eine dieser Personen hen, wie es sicher nicht häufig der Fall ist.“3 Die persönli- war der Doktorand der Kunstgeschichte Edgar Breiten- chen Beziehungen zu den „näheren Dozenten“ wie zu bach. Breitenbachs Doktorvater Erwin Panofsky ergaben sich Am 21. Januar 1927 wurde Edgar Breitenbach bei Pa- schon daraus, dass der Kreis der Studierenden an der neu nofsky mit einer typengeschichtlichen Studie zum Heil- gegründeten Universität recht klein und überschaubar spiegel Speculum humanae salvationis (Bewertung summa war, so berichtete Breitenbach rückblickend, sie seien sei- cum laude) promoviert.9 Aby Warburg, Fritz Saxl und Ger- nerzeit bei Panofsky nicht mehr als ein Dutzend Studenten trud Bing erörterten in dieser Zeit die Möglichkeit, Breiten- gewesen.4 Mit Breitenbach zusammen studierten damals bach als Mitarbeiter weiter zu beschäftigen, so notiert Ger- u. a. Heinrich Brauer und Ludwig Heinrich Heydenreich.5 trud Bing am 14. Februar 1927 in das Tagebuch der KBW: Mehr noch als sein Doktorvater Erwin Panofsky „Wenn Breitenbach (vielleicht probeweise) in den Betrieb scheint Aby Warburg sich als Mentor für Breitenbach ein- eingestellt werden soll, könnte man ihm zunächst einmal gesetzt zu haben, und dies nicht nur pädagogisch, sondern das gesamte Bildmaterial, Photos und Diapositive, zur auch finanziell. Warburg bot einigen ausgewählten Dokto- Ordnung und Katalogisierung übergeben.“10 Bei dem zu randen wie Breitenbach und Heydenreich die studentische Mitarbeit in der kulturwissenschaftlichen Bibliothek an. So arbeitete Breitenbach als Student mit, den Umzug der Bibliothek vom privaten Wohnhaus Warburg in den für die 7 Das von Aby Warburg, Gertrud Bing und Fritz Saxl gemeinsam Bibliothek errichteten Neubau zu organisieren und unter geführte institutionelle Tagebuch dokumentiert die ersten Jahre der der Leitung von Fritz Saxl das System der Katalogisierung Bibliothek von August 1926 bis Oktober 1929. Es ist als Band 7 der einzuführen.6 Von der „pädagogischen Arbeit“ und För- Gesammelten Schriften Aby Warburgs erschienen (Warburg 2001). Im Folgenden wird das Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg abgekürzt mit „Tagebuch der KBW“. 3 E. Breitenbach an A. Warburg, 6.IV.1926. WIA GC. 8 Siehe hierzu auch das in Vorbereitung befindliche Buchprojekt von 4 Interview of Edgar Breitenbach. Conducted by Paul Cummings. Elizabeth Sears, das als kollektive Biografie angelegt ist: Sears, Eliza- February 18, 1975, 8. AAA SI. beth: Warburg Circles, 1929–1964. A Movement of Ideas. 5 Näheren Aufschluss über das Studium bei Warburg und Panofsky 9 Vgl. Chronik des Kunsthistorischen Seminars Hamburg, 12. Hier verspricht die für 2020 angekündigte Publikation Pfisterer, Ulrich; zitiert nach Wuttke (2001) 220. Unter dem Titel Speculum Humanae Teutenberg, Tobias (2020): Studieren bei Warburg und Panofsky. Salvationis. Eine typengeschichtliche Untersuchung wurde die Disserta- Ludwig Heinrich Heydenreich und die Kunstgeschichte der Weimarer tion zum Buch erweitert 1930 als Heft 272 der Studien zur Deutschen Republik. Berlin: De Gruyter. Kunstgeschichte in Strassburg publiziert, Breitenbach (1930). 6 Interview of Edgar Breitenbach. Conducted by Paul Cummings. 10 Eintrag Gertrud Bing vom 14.II.1927. In: Tagebuch der KWB. War- February 18, 1975, 9. AAA SI. burg (2001) 56.
„Innerlich frischer und wachstumsfähiger Nachwuchs“ 253 ordnenden Bildmaterial handelte es sich u. a. um Materia- Für die Zulassung Breitenbachs zum Volontariat spiel- lien für den Bilderatlas Mnemosyne.11 ten die Verbindungen Aby Warburgs eine zentrale Rolle. Ab März 1927 arbeitete Breitenbach als wissenschaft- Fritz Saxl hatte Edgar Breitenbach am 4. März 1927 die licher Hilfsarbeiter mit zwei Stunden täglich an der Kul- Voraussetzungen für eine Karriere als Bibliothekar der turwissenschaftlichen Bibliothek Warburg. Bereits zu die- Handschriftenabteilung erläutert und ihm „vorgeschla- sem Zeitpunkt schmiedete Aby Warburg Pläne, ihn als gen, sich zum Handschriften-Bibliothekar der Hamburger Bibliothekar in der Handschriftenabteilung der Staats- Staatsbibliothek auszubilden, das heißt 1.) ein oder zwei und Universitätsbibliothek Hamburg zu etablieren. Die Jahre Volontär 2.) Staatsexamen als Oberlehrer 3.) Biblio- Beziehungen der neu gegründeten Kulturwissenschaftli- thekars-Examen.“14 Am 8. März 1927 notiert Aby Warburg chen Bibliothek Warburg zu der Staats- und Universitäts- in das Tagebuch der Bibliothek „Breitenbach wegen Vo- bibliothek Hamburg gestalteten sich allerdings in den Jah- lontariats bei der Staatsbibliothek da“.15 Bereits am Tag ren des Neubaus der KBW nicht konfliktfrei, z. B. in der darauf, dem 9. März 1927, bespricht Warburg die Sache mit Frage der Ausleihe von Inkunabeln und dem Wunsch der Breitenbachs Doktorvater: „Mit Panofsky über Breitenbach Bibliothek Warburg, an den Leihverkehr angeschlossen zu gesprochen. Würde es für richtiger halten, wenn Breiten- werden. Das Verhältnis des Direktors der Staats- und Uni- bach erst zu Jacobs (Freiburg) ginge, um in technisch aus- versitätsbibliothek Gustav Wahl zur Kulturwissenschaftli- gebildeteren Zustand als Inventarisator hier angenommen chen Bibliothek und ihren leitenden Mitarbeitern scheint zu werden. Panofsky will diesbezüglich an Jacobs schrei- nicht ungetrübt und nicht frei von Konkurrenzdenken ge- ben.“16 Erwin Panofsky schickte am folgenden Tag sein genüber der Newcomer-Bibliothek gewesen zu sein.12 Empfehlungsschreiben an die Universitätsbibliothek Frei- Aby Warburg traf die Entscheidung zu der bibliotheks- burg im Breisgau: wissenschaftlichen Ausbildung Breitenbachs mit dem Ziel, ihn später in der Handschriftenabteilung der Staats- und „Sehr verehrter Herr Direktor Jacobs! Universitätsbibliothek Hamburg zu etablieren. Breiten- Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen mit einer Anfrage beschwerlich bach erfüllte jedoch die formalen Voraussetzungen nicht, falle. Vor kurzem hat hier Herr Edgar Breitenbach, Schüler von da er kein Staatsexamen vorweisen konnte. Rückblickend mir, Warburg und dem Germanisten Borchling17 sein Doktor- erläuterte er die Entscheidung für das Bibliotheks-Volon- Examen mit dem Prädikat „Ausgezeichnet“ (summa cum laude) tariat in einem Oral-History-Interview: „Warburg decided bestanden, auf Grund seiner Arbeit über das Speculum Humanae to – he wanted me to become the manuscript man at the Salvationis, die einstimmig als ‚vorzüglich‘ (opus eximium) prä- diziert wurde. Es ist in der Tat eine, für eine Erstlingsschrift ganz state library in Hamburg. For that purpose you had to have erstaunliche Leistung, die zu den bisher bekannten Handschrif- a library degree. In order to get a library degree you actual- ten 60 neue hinzufügt, und, was das Wichtigste ist, die bisher ly ought to have – or should have had in those days – ganz unklare typengeschichtliche Entwicklung innerhalb dieses passed the state examination. Which I didn’t have. Then in so wichtigen Bilderkreises klarlegt, gewissermaßen als ein Ge- case you weren’t taken you had something to fall back on genstück und sicher nicht ein schlechteres, zu der Biblia Pau- perum von Cornell.18 because the state examination was the one which entitled one to go into high school teaching. For high school Der Wunsch des Herrn Breitenbach geht nun dahin, sich der teaching you did not necessarily have to have a Ph.D. but bibliothekarischen Laufbahn zu widmen und zwar mit dem Ziel, you had to have the state examination. In other words, you später, wenn möglich, die Handschriften der hiesigen Staats- did not necessarily have to be a creative scholar but you und Universitätsbibliothek gründlich durchzuarbeiten, und so- had to have a broad knowledge of the field. So Warburg wohl Warburg (der ebenfalls zu jeder Auskunft über Herrn Brei- tenbach bereit ist) als auch ich haben diesen Entschluß sehr because of his connections with the Prussian Minister of Cultural Affairs in those days managed to get a waiver for me. And so I was able to start my library training in spite of 14 Tagebuch der KWB. Warburg (2001) 62. the fact that I didn’t have that particular examination.“13 15 Tagebuch der KWB. Warburg (2001) 63. 16 Tagebuch der KWB. Warburg (2001) 66. 17 Der Germanist Conrad Borchling (1872–1946) hatte Edgar Breiten- 11 Eine Rekonstruktion des Bilderatlas Mnemosyne präsentiert die bach durch einen Hinweis auf die typologischen Glasmalereien im Neuerscheinung Warburg (2020). Kreuzgang des Klosters Ebstorf bei Uelzen die Anregung zur typen- 12 Auf Unstimmigkeiten und Konflikte mit Wahl weisen diverse Ein- geschichtlichen Untersuchung der illustrierten Speculum-Hand- tragungen im Tagebuch der KBW hin, siehe z. B. Tagebuch der KWB. schriften in der Dissertation gegeben, Breitenbach (1930) 1. Warburg (2001) 49, 57, 191, 201, 246, 290, 301. 18 Henrik Cornell: Biblia Pauperum. Stockholm: Thule-Tryck 1925. 13 Interview of Edgar Breitenbach. Conducted by Paul Cummings. Edgar Breitenbach rezensierte die Publikation Cornells 1927, Breiten- February 18, 1975, 13–14. AAA SI. bach (1927).
254 Anna Bohn begrüßt, weil es ja empfindlich an Leuten mangelt, die mit kunst- gen Prof. Dr. Richard Fick.24 Die Führung und das speziell geschichtlicher Schulung, ausgesprochen handschriftenkund- für diesen Besuch im großen Saal auf drei Bilderwänden liche und ikonographische Interessen vereinen. Wir sind aber präsentierte Material zum Bibliothekartag verfehlten nicht nun beide der Meinung, dass es Herrn Breitenbach von grösstem den erwünschten Eindruck bei den Besuchern. Warburg Vorteil wäre, wenn er seine Volontärzeit, oder wenigstens einen grösseren Teil derselben unter Ihrer Obhut in Freiburg absolvie- notierte in das Tagebuch der KBW: „Fick von Göttingen ren könnte, um erst dann nach Hamburg zurückzukehren. Wir dankte ganz überschwänglich. Immerhin: es teilte allen wären Ihnen zu aufrichtigstem Dank verpflichtet, wenn Sie, sehr das Gefühl mit, daß Bücher auch eine Herzensangelegen- verehrter Herr Direktor, zur Erfüllung dieses unseres Wunsches heit des Kopfes sein können.“25 Für den Buchmenschen in der Lage wären. Wir sind überzeugt, dass Sie gegebenenfalls Warburg war die Anerkennung der etablierten wissen- eine positive Entscheidung in keiner Weise zu bedauern haben würden. schaftlichen Bibliothekswelt für seine Bibliotheksgrün- dung enorm wichtig. Am 10. Mai 1927 schickte Warburg Vielleicht darf ich zum Schluss noch die Bitte aussprechen, mich aus Karlsbad ein Empfehlungsschreiben für Breitenbach möglichst bald von dieser Entscheidung unterrichten zu wollen; an den Direktor der Universitätsbibliothek Göttingen Pro- denn für den Fall, dass Sie prinzipiell nicht abgeneigt wären, fessor Richard Fick: würde Herr Breitenbach, der nach dem so glücklich bestandenen Examen eine Italien-Reise zu unternehmen beabsichtigt, sich auf „Hochverehrter Herr Professor! der Hinfahrt oder auf der Rückreise persönlich bei Ihnen vor- stellen können.“19 Wollen Sie freundlichst gestatten, dass ich – vertraulich – an Sie eine Anfrage richte: Vor Kurzem hat in Hamburg ein junger Der Bibliothekar und klassische Philologe Emil Jacobs hat- Hamburger Edgar Breitenbach sein Doktor-Examen mit höchster te, bevor er die Leitung der Universitätsbibliothek Freiburg Auszeichnung bestanden. – Er ist uns, Professor Panofsky, Pro- im Breisgau 1912 übernahm, zuvor in der Handschriften- fessor Saxl und mir als ein Mann bekannt geworden, der mit abteilung der Königlichen Bibliothek in Berlin gearbeitet.20 einem ungewöhnlichen Ernst eine ebenso ungewöhnlich aus- gebreitete Kenntnis der mittelalterlichen Buchkunst besitzt und Er galt als ausgewiesener Experte für Handschriftenkunde einen sehr feinsinnigen, vielleicht etwas zu zaghaften Sinn für und hatte umfangreich dazu publiziert.21 Breitenbach, der alles künstlerisch wissenschaftliche an den Tag gelegt hat.- Jacobs zu Rate zog, informierte zuerst Panofsky und da- nach Warburg in einem Schreiben aus Palermo vom Dr. Breitenbach möchte sich nun der Bibliotheks-Karriere wid- 9. April 1927, Jacobs habe ihm davon abgeraten, das Vo- men und deshalb ist es zurzeit sein grosser Wunsch, den ich sehr lontariat an der Universitätsbibliothek Freiburg zu absol- gerne zu dem Meinigen mache, an Ihrer Bibliothek als Volontär eintreten zu dürfen.- Dabei ist zu bemerken, dass, wie die Ver- vieren, aber nahegelegt, stattdessen das Gesuch in Mün- hältnisse liegen, er nicht darauf Anspruch machen würde, in die chen oder Göttingen einzureichen.22 preussische Bibliothekenlaufbahn übernommen zu werden, son- Da ungewiss war, ob und an welcher Bibliothek Brei- dern anderweitig – die Sachlage ist noch nicht geklärt – nachher tenbach als Volontär angenommen werden könne, ordnete sich der Bibliothekslaufbahn zuwenden würde. Gertrud Bing am 7. Mai 1927 an, er werde „für diese Zwi- Sollten Sie ihm auf dieser Grundlage eine Fortbildungsmöglich- schenzeit mit der Fertigstellung der Diapositiv-Ordnung, keit gewähren können, so wäre ich Ihnen zu besonderem Danke des Kataloges hierzu, und der Neuordnung der Photogra- verpflichtet.“26 phien beauftragt.“23 Warburg blieb weiterhin rührig, um das Volontariat für Breitenbach zu organisieren. Da ergab es sich überaus günstig, dass am 10. April 1927 eine Be- suchergruppe des Niedersächsischen Bibliothekartags die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg besuchte, an 24 Richard Fick war viele Jahre als Bibliothekar der Königlichen ihrer Spitze der Direktor der Universitätsbibliothek Göttin- Bibliothek in Berlin tätig, zuletzt ab 1916 als Abteilungsleiter, bevor er 1921 als Direktor der Universitätsbibliothek Göttingen berufen wurde – eine Position, die er bis zu seiner Pensionierung 1932 inneha- 19 Schreiben Erwin Panofsky an Emil Jacobs, 10. März 1927, Wuttke ben sollte. In den ausgehenden Jahren der Weimarer Republik zählte (2011) 219–20. Richard Fick als Direktor der renommierten Staats- und Universitäts- 20 Jacobs kehrte 1929 nach Berlin zurück und bekleidete ab 1929 bis bibliothek Göttingen, als Vorsitzender des Vereins der Bibliothekare zu seiner Pensionierung 1935 das Amt des Ersten Direktors der Preu- (1928–1932), Mitglied im Bibliotheksausschuss der Deutschen Not- ßischen Staatsbibliothek unter dem Generaldirektor Hugo Andres gemeinschaft (ab 1930) sowie im Preußischen Beirat für Bibliotheks- Krüss; ab 1929 unterrichtete er zudem als ordentlicher Professor für angelegenheiten zu den bibliothekspolitisch einflussreichen Akteu- Bibliothekswissenschaften. ren, s. Enderle (2017) 13. 21 Lülfing (1974). 25 Tagebuch der KWB. Warburg (2001) 81. 22 E. Breitenbach an A. Warburg, 9.IV.1927. WIA, GC. 26 A. Warburg an R. Fick. Karlsbad 10. Mai 1927. Personalakte 23 Tagebuch der KWB. Warburg (2001) 90. E. Breitenbach. Acta PrSB. SBB PK.
„Innerlich frischer und wachstumsfähiger Nachwuchs“ 255 Bereits vier Tage später befürwortete Richard Fick die Be- fähigung wohl keinen Zweifel lässt. Persönlich kenne ich werbung Breitenbachs für das Volontariat ausdrücklich Dr. Breitenbach nicht, doch bin ich überzeugt, dass Herr und lud Warburg für 1928 zum Bibliothekartag nach Göt- Professor Warburg sich nicht so nachdrücklich für ihn ver- tingen ein. Er werde, die Bewerbung „nachdrücklichst wendet hätte, wenn es sich nicht um einen in jeder Hin- befürwortend nach Berlin weitergeben. Solche von Ihnen sicht einwandfreien und vielversprechenden jungen Ge- empfohlene Leute können wir in unserem Fach gerade lehrten handelte.“31 Die wissenschaftlichen Leistungen, brauchen.“27 Warburg verband die Anerkennung seiner insbesondere die mit summa cum laude bewertete Disser- Bibliothek eng mit der Frage, wie er seinen Protegé platzie- tation sollte, so die Empfehlung Ficks, das Manko des ren konnte, für dessen Förderung er eine innere Verpflich- fehlenden Staatsexamens ausgleichen. Warburgs Referenz tung fühlte, wie er in seinem Antwortschreiben an Fick bürgte für die Qualität des Kandidaten. formulierte: „Auf diese Weise wird mir die stellenweise Neben Breitenbach empfahl Fick weitere vier Kandi- schwere Verantwortung gegenüber dem Nachwuchs von daten für das Volontariat, darunter auch Dr. Gisela von der berufensten Seite her kollegialisch wesentlich erleich- Busse, geboren am 30. August 1899 in Berlin-Lichterfel- tert, was mich in dem Glauben stärkt, das wir in meiner de. Gisela von Busse hatte Philosophie, Germanistik und Bibliothek auf dem rechten Wege sind.“28 Warburg war Geschichte in Göttingen, München und Heidelberg stu- daran gelegen, der Bibliothek Warburg „die richtige Stel- diert, war 1926 promoviert worden,32 1927 hatte sie das lung innerhalb der ‚Großen des Fachs‘ zu schaffen“.29 Staatsexamen abgelegt und war ab Juni 1927 als freiwillige Am 28. Juni 1927 stattete Warburg ganz im Sinne sei- Hilfsarbeiterin in der Universitätsbibliothek Göttingen tä- nes Plans, Breitenbach in der Handschriftenabteilung zu tig. Fick schrieb in seiner Empfehlung über die Kandida- etablieren, dem Direktor der Staats- und Universitäts- tin: „Fräulein Dr. Gisela von Busse ist mir aus ihrer Teil- bibliothek Hamburg Gustav Wahl einen Besuch ab, um nahme an meiner ‚Einführung in das anglo-amerikanische „gutes Wetter für Breitenbach zu machen; nach einiger Bibliothekswesen‘ näher bekannt, auch ist sie mir von den Zeit gelang es mir die Wolken von der Stirn des leicht Professoren Brandi und Schmalenbach als eine wissen- hoheitsvoll auf Annäherungskult warten[den] Zeus zu schaftlich über dem Durchschnitt stehende Persönlichkeit glätten und er versprach Mitte August Breitenbach zu bezeichnet worden. Ich würde es auch mit Rücksicht auf empfangen, den er schließlich sehr gerne für die Hand- ihren bescheidenen und ernsten Charakter mit besonderer schriftenabteilung verwenden würde. Sieht also alles vor- Freude begrüßen, wenn ihrem Gesuch stattgegeben wer- trefflich aus, weswegen ich Enttäuschungen entgegen- den könnte. Der noch fehlende Nachweis standesgemäßen sehe.“30 Die ironische Skepsis Warburgs sollte sich in Unterhalts wird demnächst nachgeliefert werden.“33 Ihr Bezug auf Gustav Wahl noch bewahrheiten. Gesuch auf Zulassung zur bibliothekswissenschaftlichen Richard Fick nahm in seinem Schreiben vom 1. August Ausbildung wurde vom zuständigen Preußischen Ministe- 1927 an Hugo Andres Krüss, den Vorsitzenden des Preußi- rium mit Schreiben vom 23. Dezember 1927 mit dem Hin- schen Beirats für Bibliotheksangelegenheiten und Ge- weis abgelehnt: „Die von dem Direktor der vormals König- neraldirektor der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin, lichen und Provinzialbibliothek Hannover abgegebene Breitenbach in die Liste der fünf von ihm empfohlenen Erklärung kann als ausreichende Zusicherung für die spä- Kandidaten mit folgender Begründung auf: „Für die An- tere Unterbringung des Fräulein Dr. von Busse nicht an- nahme von Dr. Breitenbach hat sich der Hamburger Pro- erkannt werden.“34 fessor und Leiter der dortigen Kulturbibliothek Warburg mit großer Wärme in wiederholten Schreiben an mich eingesetzt. Das dem Bewerber fehlende Staatsexamen soll- 31 R. Fick an den Vorsitzenden des Beirats für Bibliotheksangelegen- te m. E. in diesem Fall keinen Grund abgeben, seinem heiten H. Krüss, 1.VIII.1927. SUB Göttingen. Gesuche nicht zu entsprechen, da abgesehen von Profes- 32 Die Buchpublikation ihrer Dissertation Die Lehre vom Staat als Organismus. Kritische Untersuchungen zur Staatsphilosophie Adam sor Warburgs Urteil auch die mit dem Prädikat ‚vorzüglich‘ Müllers erschien 1928 im Verlag Junker & Dünnhaupt in Berlin, s. bewertete Dissertation an seiner wissenschaftlichen Be- Busse (1928). 33 R. Fick an den Vorsitzenden des Beirats für Bibliotheksangelegen- heiten H. Krüss, 1.VIII.1927. SUB Göttingen. Die Kandidaten für ein 27 R. Fick an A. Warburg, 14.V.1927. WIA, GC. Volontariat mussten über ihre finanzielle Situation Auskunft geben, 28 A. Warburg an R. Fick. 19. Mai 1927. Personalakte E. Breitenbach. zumal weder Edgar Breitenbach noch Gisela von Busse einen Unter- Acta PrSB. SBB PK. haltszuschuss einer staatlichen Einrichtung für ihr Volontariat be- 29 Tagebuch der KWB. Warburg (2001) 93. anspruchen konnten. 30 Eintrag A. Warburg vom 28.VI.1927. In Tagebuch der KWB. War- 34 Der Preußische Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbil- burg (2001) 105. dung, im Auftrage gez. Richter, an den Vorsitzenden des Beirats für
256 Anna Bohn Karl Brandi, Professor für mittlere und neuere Ge- resse.36 In seiner Argumentation hatte Karl Brandi aller- schichte an der Universität Göttingen und ehemaliger Lei- dings einen wichtigen Punkt angesprochen: Der Bedarf ter der preußischen Archivschule in Marburg, verwandte nach wissenschaftlichem Personal lag höher als die Zahl sich daraufhin für Gisela von Busse und schrieb am 13. Ja- der ausgebildeten Volontäre, da nicht nur die staatlichen, nuar 1928 an den Generaldirektor der Preußischen Staats- sondern auch kommunale Bibliotheken einen wissen- bibliothek Geheimrat Krüss, um ihn dazu zu bewegen, sich schaftlich und bibliotheksfachlich qualifizierten Nach- beim Ministerium für die Zulassung der Kandidatin als wuchs benötigten. Krüss folgte zu einem gewissen Grad Volontärin einzusetzen: der Argumentation Brandis: „Wenn Sie der Auffassung sind, dass die Preussische Bibliotheksverwaltung sich „Darf ich mit einigen Zeilen noch einmal Ihre Aufmerksamkeit nicht nur um den Nachwuchs der unmittelbar staatlichen auf das Gesuch der Fräulein Dr. v. Busse lenken, die sich be- müht, zum bibliothekarischen Vorbereitungsdienst zugelassen Bibliotheken kümmern sollte, sondern Rücksicht nehmen zu werden. Ich habe das vollste Verständnis für den von den müsste auch auf die sachgemäße Ergänzung des Personals Anstellungsmöglichkeiten bedingten numerus clausus sowohl der übrigen wissenschaftlichen Bibliotheken, so stimme bei der preussischen Archivverwaltung, wie für den Bibliotheks- ich Ihnen darin vollkommen bei.“ Krüss wies darauf hin, dienst. Aber es liegt doch unzweifelhaft ein gewisses öffentliches dass der Verein Deutscher Bibliothekare sich mit dem glei- Interesse vor, darüber hinaus tüchtige vorgebildete wissen- chen Anliegen an das Ministerium gewandt habe und er in schaftliche Beamte auch für die zahlreichen kommunalen Archi- ve und Bibliotheken zu gewinnen. Die Versorgung dieser Stellen dem Zusammenhang befürworte, dass in der neuen Aus- lediglich mit den durchgefallenen Anwärtern hat in jeder Hin- bildungs- und Prüfungsordnung für Volontäre Entspre- sicht etwas Missliches. Und wenn die Bewerber ausdrücklich auf chendes vorgesehen werde. Im Falle des Antrags der Kan- Unterhaltungszuschuss und auf Anstellungsansprüche verzich- didatin Dr. Gisela von Busse riet er, sich mit einem ten, so scheint mir das schon genügend stark im Sinne der erneuten Schreiben direkt an das Ministerium bzw. an den Abschreckung zu wirken. Ich glaube allmählich eine gewisse Erfahrung, z. B. aus den Bewerbungsschriften für die Leitung der Ministerialdirektor Dr. Richter persönlich zu wenden. Das Provinzialbibliothek und anderen Fällen gewonnen zu haben, Ministerium erteilte schließlich den Rat, die Kandidatin auch aus der Zeit, da ich noch in Marburg die preussische Ar- solle sich bei der Provinzialbibliothek zu Hannover als chivschule leitete, um das Bedürfnis nach einer gewissen Über- Volontärin bewerben; so wurde Gisela von Busse schließ- schusswirtschaft in bezug auf gut vorgebildete Anwärter vertre- lich zum Volontariat zugelassen. ten zu dürfen. Andererseits kann ich aus denselben Gründen Im Falle der beantragten Zulassung des Kandidaten beurteilen, dass Stadt und Kommunalbibliotheken nicht in der Lage sind absolut bindende Verpflichtungen für spätere Anstel- Edgar Breitenbach schickte Aby Warburg am 9. August lungen zu übernehmen, und zwar aus dem einfachen Grunde, 1927 ein Schreiben an den Vorsitzenden des Preußischen weil sie bei dringendem Bedürfnis zu sofortiger Berufung schrei- Beirats für Bibliotheksangelegenheiten, Geheimrat Pro- ten, die zukünftigen Bedürfnisse aber weder absolut sicher über- fessor Dr. Krüss, um Breitenbach für das Volontariat zu sehen, noch auch angesichts der zuständigen Vertretungen vor- empfehlen und damit dem Anliegen Nachdruck zu ver- weg befriedigen können. Wenn in dem Falle des Fräulein von Busse die Hannoversche Bibliothek mit der Möglichkeit ihrer leihen: späteren Einstellung rechnet, so entspricht das den mir bekann- ten Tatsachen. Weiter zu gehen, kann nur in seltenen Fällen ein „Hochverehrter Herr Generaldirektor, Direktor verantworten. Ich erlaube mir Ihnen diese allgemeinen Erwägungen vorzutragen mit der Bitte, entweder mit Fräulein v. Obwohl ich leider noch nicht die Ehre habe, Ihnen persönlich Busse doch eine Ausnahme zu machen, oder dem System selbst bekannt zu sein, erlaube ich mir doch, den dringenden Wunsch eine leichte Ausweitung zu geben; ich glaube ernstlich, dass das eines jungen Hamburger Gelehrten, in die Universitätsbibliothek im öffentlichen Interesse liegt.“35 in Göttingen als Volontär eintreten zu können, angelegentlich zu befürworten. Hugo Andres Krüss war als Generaldirektor der Preußi- Herr Dr. Breitenbach hat vorkurzem summa cum laude an der schen Staatsbibliothek zugleich der Vorsitzende des Bei- hiesigen Universität (bei Professor Panofsky) mit einer ganz vor- rats für Bibliotheksangelegenheiten. Er war zwar über die Annahme der Volontäre nicht entscheidungsbefugt, konn- te jedoch auf den Entscheidungsprozess Einfluss nehmen. 36 Jank zitiert einige Äußerungen von Krüss, die offen frauendiskri- An der Aufnahme von Volontärinnen zeigte er wenig Inte- minierend sind, Jank (2000) 310. Im Falle von Gisela von Busse hatte Krüss die Unterlagen mit dem Kommentar versehen: „Der geneigten Entscheidung erlaube ich mir anheimzustellen, ob die Zusicherung in Bibliotheksangelegenheiten, 23.XII.1927, Personalakte Gisela von dieser Form genügt, um Fräulein Dr. v. Busse als Volontärin zuzulas- Busse. Acta Pr.SB. SBB PK. sen.“ (H. Krüss, Beirat für Bibliotheksangelegenheiten an Herrn Mi- 35 K. Brandi an H. Krüss, 13.I.1928. Personalakte Gisela von Busse, nister für Wissenschaft pp., 14.XII.1927; Personalakte G. v. Busse, Acta PrSB. SBB PK. Acta PrSB. SBB PK).
„Innerlich frischer und wachstumsfähiger Nachwuchs“ 257 züglichen Arbeit über das speculum humanae salvationis pro- versitätsbibliothek Hamburg Gustav Wahl in dem Wunsch, moviert und ist auch mir und meinem Bibliothekar Professor den Kandidaten Breitenbach für eine Stellung in der Saxl als ein überlegend guter wissenschaftlicher Arbeiter be- Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg zu etablieren. kannt. Er ist getragen von einer in der heutigen Generation Die Einigkeit zwischen Warburg und Wahl sollte allerdings seltenen Vereinigung von allgemeinem Enthusiasmus und aus- dauernder Liebe zu genauer philosophisch-historischer Klein- keinen Bestand haben, wie noch zu zeigen sein wird. arbeit und wird seinen Eifer sicherlich mit allem Nachdruck Da das Schreiben Warburgs an den Vorsitzenden des innerhalb des Bibliotheksbetriebes zu bestätigen wissen. Herr Preußischen Beirats für Bibliotheksangelegenheiten meh- Bibliotheksdirektor Professor Dr. Fick, der anlässlich des Nieder- rere Wochen ohne Antwort geblieben war, wandte sich sächsischen Bibliothekarstags die Güte hatte an einer Besichti- Warburg am 12. September 1927 direkt an Carl Heinrich gung meiner Bibliothek teilzunehmen, sieht wie mir scheint, eine gewisse Schwierigkeit darin, dass Herr Dr. Br. das Staats- Becker, Minister des Preußischen Ministeriums für Wissen- examen nicht besitzt; da er aber sich ausdrücklich verpflichten schaft, Kunst und Volksbildung, um eine Sondergenehmi- wird, keinen Anspruch auf Übernahme in den Preussischen gung für seinen Protegé Breitenbach zu erwirken: Staatsdienst zu erheben, so sehe ich keinen wesentlichen Grund dagegen, ihm das Beneficium der praktischen staatlichen Aus- Hochverehrte Excellenz, bildung zu Teil werden zu lassen, da er hier in Hamburg auch ohne das Staatsexamen als eine m. E. sehr erwünschte Kraft in Ein junger Hamburgischer Kunsthistoriker, der bei Professor den Bibliotheksbetrieb übernommen werden könnte. Da Sie die Panofsky mit einer vortrefflichen Arbeit über das Speculum hu- Hamburgischen Verhältnisse kennen und gewiss mit mir wün- manae salvationis s.c.l. promoviert hat, möchte sich der Biblio- schen, dass wir einen innerlich frischen und wachstumsfähigen thekskarriere widmen in der berechtigten Idee, seine auf Hand- Nachwuchs in unsere Bibliotheksleitung hineinbekommen – ein schriftenkunde gerichtete Aufmerksamkeit später als Beamter in Wunsch, in dem ich mich mit Herrn Direktor Wahl einig weiss – den Dienst der Hamburgischen Staatsbibliothek zu stellen, die so wäre ich Ihnen nach jeder Richtung hin ausserordentlich ver- gerade einen solchen Beamten – wie das der Direktor der Staats- bunden, wenn Sie die Erfüllung des Wunsches von Herrn Dr. Br. und Universitätsbibliothek jederzeit bestätigen wird – nach dem ermöglichen könnten.“37 Abgang der Professoren Burg38 und Schwalm39 besonders nötig hat, wenn sie mit ihren Schätzen betriebsfähig in den Kreislauf der deutschen Bibliotheken einmünden will. Zu diesem Zweck Warburg schloss mit der Hoffnung, Krüss baldmöglichst möchte Herr Dr. Breitenbach gern als Volontär bei der Göttinger seine Bibliothek zeigen zu dürfen. Mit dem Hinweis „da Sie Universitätsbibliothek eintreten, die für ihn nicht nur durch ihre die Hamburgischen Verhältnisse kennen“ appellierte War- Schätze, sondern vor allem durch die Art, wie unter der Leitung burg an den Hanseaten Krüss. Hugo Andres Krüss war 1879 von Geheimrat Fick gearbeitet wird, eine ideale Stätte weiterer als Spross einer traditionsreichen Hamburger Familie ge- Ausbildung sein würde. Sein diesbezügliches Gesuch hat bei boren worden, die das Familienunternehmen für Fein- Herrn Direktor Fick, der die Güte hatte vor eini[g]er Zeit meine Bibliothek zu besichtigen, freundliche Aufnah[m]e gefunden mechanik und Optik „Andres Krüss Optisches Institut“ und ich hoffe, dass dasselbe bei dem Herrn Generaldirektor betrieb. Nach seinem Studium der Physik und Promotion Krüss der Fall sein wird, dem ich schon vorlängerer Zeit deswe- in Jena hatte Krüss 1904 die Weltausstellung in St. Louis gen geschrieben habe, wenn ich auch bis dahin ohne Antwort mit vorbereitet und im Deutschen Pavillon die Abteilung geblieben bin. Die einzige Schwierigkeit liegt darin, dass Dr. „Wissenschaftliche Instrumente in Mechanik und Optik“ Breitenbach kein Staatsexamen hat, was wohl für Preussen, aber nicht für den Eintritt in den hamburgischen Bibliotheksdienst geleitet. Aufgrund seiner organisatorischen Fähigkeiten eine Schwierigkeit bedeuten würde. Da Herr Dr. Breitenbach hatte Friedrich Althoff den jungen Wissenschaftler an das ausdrücklich erklärt hat, dass er auf die Uebernahme in den Preußische Kultusministerium nach Berlin geholt, wo die- preussischen Staatsdienst verzichte, so sehe ich keinen Grund, ser eine Karriere als Ministerialbeamter durchlief bis er weshalb man diesen eifrigen, ernsthaften und recht schon kennt- 1925 als Generaldirektor der Preußischen Staatsbibliothek nisreichen Gelehrten Schwierigkeiten machen sollte, seine Kraft berufen wurde. Krüss war ohne eine bibliothekarische in den Dienst der Verbesserung des deutschen Bibliotheks- wesens zu stellen, das schon so einen viel zu schwachen Nach- Ausbildung absolviert zu haben, zum Generaldirektor be- wuchs an wirklich tauglichen Kräften aufweist. rufen worden. Mit seiner Formulierung, Krüss würde ge- wiss mit ihm wünschen, „dass wir einen innerlich frischen Bei dem lebhaften Interesse, das ich bei Eurer Excellenz für und wachstumsfähigen Nachwuchs in unsere Bibliotheks- Hamburgs Kulturzustände voraussetzen darf, hoffe ich meine leitung hineinbekommen – ein Wunsch, in dem ich mich Bitte um Fürsprache an geeigneter Stelle nicht umsonst vorzutra- mit Herrn Direktor Wahl einig weiss“, suggerierte Warburg gen. sein Einvernehmen mit dem Direktor der Staats- und Uni- 38 Fritz Burg (1860–1928) war stellvertretender Leiter der SUB unter 37 A. Warburg an Geheimrat Professor Dr. Krüss, 9. August 1927, R. Münzel und G. Wahl. WIA GC. 39 Jakob Schwalm (1865–1931).
258 Anna Bohn Mit der Bitte, diese Behelligung, die ich nicht vorgetragen hätte, 2 „durch den Eintritt in Ihre wenn nicht das bisherige Ausbleiben der Entscheidung die Le- bensdispositionen von Dr. Breitenbach erschwerte, in wohlwol- ruhmvolle Institution zu einem lender kollegialer Gesinnung aufnehmen zu wollen stilgemäßen Verhalten moralisch Bin ich verpflichtet“ – Göttingen 1928 In verehrungsvoller Ergebenheit“40 Zum Januar 1928 trat Breitenbach das Volontariat in Göt- Der Orientalist Becker bekleidete das Amt des Preußischen tingen an. Warburg begleitete weiterhin den Weg Brei- Kultusministers von 1925–1930. Er kannte die Situation der tenbachs mit Empfehlungsschreiben. So schickte er am Hamburger Kultur ausnehmend gut, da er 1908 auf den 7. Januar 1928 gleich zwei Empfehlungsschreiben nach neu geschaffenen Lehrstuhl für Geschichte und Kultur des Göttingen, eines an den Direktor Richard Fick sowie eines Vorderen Orients am Hamburgischen Kolonialinstitut be- den Bibliotheksrat Max Arnim. An Fick schrieb er: „In rufen worden und an den Plänen des Kultursenators Wer- diesen Tagen wird unser Dr. Breitenbach bei Ihnen als ner von Melle zur Gründung der Universität Hamburg be- Volontär angetreten sein, was ich für ihn als großes Glück teiligt gewesen war. Bereits zu dieser Zeit standen Aby ansehe. Ich bin aber auch sicher, dass dieser intelligente, Warburg und C.H. Becker in kollegialem wissenschaftli- sehr strebsame und kenntnisreiche junge Mensch sich chem Austausch, wovon die private Korrespondenz mit durch den Eintritt in Ihre ruhmvolle Institution zu einem Warburg im Nachlass Beckers Zeugnis ablegt.41 Eine Ver- stilgemäßen Verhalten moralisch verpflichtet fühlen wird. bindung zu Becker gab es auch über dessen ehemaligen Im Interesse unseres Schützlings möchte ich nur noch die Assistenten, den Orientalisten Hellmut Ritter, der von 1919 Bitte aussprechen, daß Sie ihn, obgleich er Volontär ist, bis 1926 als Professor an der Universität Hamburg lehrte. gerade so selbstverständlich zur Pünktlichkeit anhalten, Ritter arbeitete mit der Kulturwissenschaftlichen Biblio- wie die anderen Beamten.“44 Am selben Tag schrieb War- thek Warburg zusammen, so wurde sein Vortrag „Picatrix: burg an den Bibliotheksrat Max Arnim: „Ich erlaube mir, ein arabisches Handbuch hellenistischer Magie“ in Band I Ihnen diesen jungen strebsamen und kenntnisreichen der Reihe Vorträge der Bibliothek Warburg veröffentlicht,42 Mann zu empfehlen und hoffe, dass er dieser Empfehlung 1933 erschien die von Ritter besorgte Ausgabe des ara- durch pünktliche Pflichterfüllung Ehre machen wird.“45 bischen Textes in den Studien der Bibliothek Warburg Warburg verfolgte für seine Schützlinge das ‚Prinzip (Band XII). fördern und fordern‘. Um Anerkennung für seine Biblio- Tatsächlich gelang es Warburg schließlich, eine Son- thek bemüht und in dem Wissen, dass diese Bibliothek als dergenehmigung des Preußischen Kultusministers zu er- Privatbibliothek weitaus unbürokratischer als staatliche wirken, die Breitenbach gestattete, ohne Staatsexamen die Bibliotheken agieren konnte, legte er Wert darauf, dass in Ausbildung als Volontär zu absolvieren.43 Von einer Einig- „seiner“ Bibliothek Regeln und formale Vorgaben einge- keit mit dem Direktor der Hamburger Universitätsbiblio- halten wurden, darunter z. B. pünktliches Erscheinen und thek Gustav Wahl konnte allerdings einige Monate später sorgfältige ordnungsgemäße Abrechnung von Dienstrei- nicht mehr die Rede sein. sen. So sah er sich mehr als einmal veranlasst, auf Breiten- bach pädagogisch einzuwirken und ihn zur Einhaltung von Regeln zu ermahnen, so z. B. im Juli 1927: „Dr. Breiten- bach gestern auf seine unstatthafte Escapade aufmerksam gemacht; die Construction des Ueberstunden Arbeitstages sei zur Erlangung eines Freitages nicht nötig gewesen. Da er der einzige sei, den ich bisher durch Empfehlung „in- dossiert“ habe, müßte ich von ihm dasselbe desperado- 40 A. Warburg an C. H. Becker, 12.IX.1927. WIA, GC. Pflichtgefühl verlangen wie von uns dreien.“46 41 Signatur VI. HA, NI Carl Heinrich Becker, Nr. 4926, GStA PK. 42 Ritter (1923) 94–124. 43 „Von den Bewerbern, die auf die Übernahme in den preußischen 44 A. Warburg an R. Fick. 07.I.1928, Personalakte Dr. Edgar Breiten- Staatsdienst ausdrücklich verzichtet haben, hat der Herr Minister die bach. Acta PrSB. SBB PK: Zulassung des Dr. Breitenbach genehmigt.“ Der Vorsitzende des Bei- 45 A. Warburg an M. Arnim, 07.I.1928; WIA GC. rats für Bibliotheksangelegenheiten, Berlin 31. Oktober 1927 gez. i. 46 A. Warburg, 21. Juli 1927, Tagebuch der KWB. Warburg (2001) 122. Vertr. Kuhnert an den Direktor der Universitätsbibliothek Göttingen Warburg verwendet in Bezug auf die Förderung seines Protegés Brei- R. Fick. Personalakte E. Breitenbach. SUB Göttingen. tenbach ein Verb aus dem Bankenwesen: „indossieren“ aus dem
„Innerlich frischer und wachstumsfähiger Nachwuchs“ 259 Warburgs Empfehlungsschreiben nach Göttingen sind Frankreich in den Katalogen französischer Bibliotheken als halbe Warnung zu lesen, bei Breitenbach auf Diszi- illustrierte Handschriften und versprach, in wöchentlichen plin zu achten, können aber auch als väterlich-fürsorg- Abständen die Ergebnisse nach Hamburg zu übersenden. lichen Hinweis interpretiert werden, einem noch etwas Am 8. Februar 1928 erstattete Breitenbach Bericht an ungeschliffenen Juwel pädagogische Fürsorge angedeihen Aby Warburg. „[I]m Grunde [ist] meine Aufgabe hier, wie zu lassen, um ihn zu voller Strahlkraft auszubilden. Brei- der ganze Beruf, von erstaunlicher Ungeistigkeit; [...] Für tenbach selbst konnte nicht umhin, angesichts der in Göt- mich wären die Dienststunden unerträglich, wenn ich tingen herrschenden Personalsituation gewahr zu werden, nicht wie früher an den freien Nachmittagen an den Pro- dass die Referenz Warburgs für den Antritt des Volontari- blemen Ihres Institutes mitarbeiten könnte. Zwei bis drei ats eine Bevorzugung und ein Privileg bedeutete. Er erstat- Stunden bleiben täglich in der Regel dafür frei“49 In seinem tete bereits wenige Tage nach Beginn des Volontariats Antwortschreiben bot ihm Aby Warburg daraufhin an, den ausführlich Bericht über die Arbeitssituation an der Uni- Zuschuss zu seinem Unterhalt in Höhe des Betrags, den die versitätsbibliothek Göttingen: „Es ist mindestens doppelt Preußische Regierung den Volontären üblicherweise ge- so viel Personal vorhanden als in unserer U.B., jedoch währte und auf den Breitenbach verzichtet hatte, zu unter- arbeitet die Hälfte der Leute gratis und wartet auf Anstel- nehmen: „ich [...] hoffe, dass Sie darin die Fortsetzung lung und sei es auch nur als planmässiger Volontär. Einer meines Versuches sehen, Ihnen eine tüchtige Ausbildung, von diesen hat bspw. 2 Jahre lang freiwillige Hilfsarbeit um die Sie viele beneiden werden, zu erleichtern.“50 Brei- geleistet, bevor ihm seine Arbeit auf die Volontärzeit ange- tenbach war sich bewusst, dass er sich dank der Empfeh- rechnet wurde. Woraus man sieht, wie gross in meinem lung Warburgs im Vergleich zu vielen anderen Kollegen an Falle der Einfluss unseres Prof.[essors] war.“47 der Universitätsbibliothek Göttingen in mehrerer Hinsicht Das Privileg des Volontariats scheint Breitenbach in einer privilegierten Stellung befand. Dies nicht allein nicht vor einer herablassenden Haltung gegenüber den aus dem Grund, da er quasi ohne Wartezeit das Volontariat übertragenen Aufgaben geschützt zu haben, so berichtet hatte antreten können, sondern auch aufgrund der Tatsa- Breitenbach aus Göttingen nach Hamburg: „Was meine che, dass Warburg sein Volontariat ab Februar 1928 pro Arbeit betrifft, so ist sie – wie voraus zu sehen war – von Semester mit 300 Mark, d. h. mit 50 Mark monatlich, finan- anheimelnder Belanglosigkeit. Allmorgendlich bekomme zierte, während andere Kollegen ohne Gehalt auf eine vage ich einen Haufen Zettel zum Signieren, von diesen machen Aussicht hin in der Bibliothek arbeiteten, später ein Volon- die Schwierigeren – etwa ein Zehntel – Spass, die andern tariat beginnen und die geleistete Arbeitszeit anrechnen nur Mühe. Gegen Mittag soll ich im Grunde planmässig auf lassen zu können. ‚Station‘. Aber davor drück ich mich meistens, da es sich Dr. Gisela von Busse war zu dieser Zeit in Göttingen als hierbei vorläufig um die Ortsausleihe handelt und ich freiwillige Hilfsarbeiterin beschäftigt. So machte Breiten- solch offenes Kundengeschäft nicht gerne mag. Nachmit- bach aller Wahrscheinlichkeit nach zwischen Januar und tags bin ich, von einem Tage abgesehen, frei für unsere Juni 1928 in Göttingen ihre Bekanntschaft, bevor beide am lichtvollere Arbeit, für die die technischen Bedingungen 1. Oktober 1928 an der Preußischen Staatsbibliothek die hier denkbar günstig sind.“48 Der Volontär zeigte einige Ausbildung fortsetzten. Geringschätzung für ihm übertragene Aufgaben wie das In Göttingen nahm Breitenbach im Rahmen seines Signieren oder den Benutzungsdienst in der Ortausleihe, Volontariats an paläografisch-diplomatischen Übungen den er erfolgreich zu umgehen suchte. Nachmittags fuhr von Professor Brandi teil, unter Anleitung von Professor Breitenbach fort, für die Warburg-Bibliothek zu arbeiten, Hessel widmete er sich Inkunabelstudien und paläogra- was er als „unsere lichtvollere Arbeit“ bezeichnete. Er fischen Übungen, bei Professor Fick besuchte er bibliogra- recherchierte für Fritz Saxl für dessen geplante Reise nach fische Übungen zur vergleichenden Volks- und Märchen- kunde und zur Geschichte der Sprachwissenschaft.51 Am 10. Mai 1928 schrieb Breitenbach an Saxl: „Der Italienischen „indossare“ (ursprüngliche Bedeutung: auf den Rücken Stumpfsinn der bibliothekarischen Tätigkeit hemmt so tragen), bedeutet in der Finanzwelt ein schriftliches Orderpapier an furchtbar die Unternehmungslust. Das wirkt sich psy- eine begünstigte Person auszustellen, z. B. einen Scheck oder Wech- sel. 47 E. Breitenbach an K.B.W. 5.I.1928. WIA, GC. [Im Katalog der WIA 49 E. Breitenbach an A. Warburg, 8.II.1928. Blatt 1 Rückseite, WIA, wird der Brief auf 5.I.1927 datiert und als Adressat Warburg angege- GC. ben (WIA GC/18509: Stand 17.05.2020); ich vermute, dass der Brief 50 A. Warburg an E. Breitenbach. 14.II.1928. WIA GC. vom 5.I.1928 datiert und an Saxl adressiert war]. 51 Siehe das Zeugnis von R. Fick vom 25.VII.1928. Personalakte Dr. 48 E. Breitenbach an K.B.W., 5.I.1928. WIA, GC. Edgar Breitenbach. Acta PrSB. SBB PK.
Sie können auch lesen