Lebensmittelbedingter Ausbruch von Norovirus in einer Kaserne, Österreich 2008

 
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Lebensmittelbedingter Ausbruch von Norovirus in einer Kaserne,
                            Österreich 2008
Peter Much1, Sabine S. Kasper1, Juliane Pichler1, Rainer Fretz1, Alexander Indra1, Ulrike Winter2, Adolf Polivka2,
Franz Allerberger1

1 Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), Wien
2 Österreichisches Bundesheer, Kommando Einsatzunterstützung, Abteilung Militärisches Gesundheitswesen, Wien

Kontaktadresse:
Dr. Peter Much, Kompetenzzentrum Infektionsepidemiologie
Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES)
Währingerstraße 25a, 1090 Wien
E-Mail: Peter.Much@ages.at
Tel: 0664-8398065

Zusammenfassung

Im Oktober 2008 untersuchte die Österreichische Agentur für Gesundheit und
Ernährungssicherheit (AGES) ein gehäuftes Auftreten von Erbrechen und Durchfall in einer
Militärkaserne in Wien. Ziel war es, ursächliches Agens, Infektionsquelle und Übertragungsweg
abzuklären. Die deskriptive epidemiologische Untersuchung ergab 63 Fälle aus sechs der sieben
Kompanien der Kaserne, die zwischen 8. und 10. Oktober 2008 erkrankt waren. Eine Fall-
Kontroll-Studie wurde mit 53 Fällen und 133 Kontrollpersonen durchgeführt. Die Fragebögen
wurden auf Basis der angebotenen Menüs im Speisesaal erstellt, um potentielle
Risikomahlzeiten oder einzelne Risikospeisen zu identifizieren. Es wurden 99 Stuhlproben von
56 Fällen und von 43 Kontrollpersonen auf Norovirus mittels PT-PCR untersucht; bei 47 Fällen
wurde Norovirus nachgewiesen. Bei dem 24-köpfigen Küchenpersonal, alle asymptomatisch,
wurden zwei Personen als Ausscheider von Noroviren erkannt. Keine von 126 bakteriologisch
getesteten Stuhlproben enthielt Enteritiserreger oder Staphylokokken-Enterotoxine. Zwei der
im Speisesaal angebotenen Mahlzeiten waren mit den Norovirus-Erkrankungen assoziiert:
Frühstück und Mittagessen am Dienstag, den 7. Oktober. Die Schätzrisiken lagen bei 5,4 (95% KI
2,0-14,5), beziehungsweise bei 17,2 (95% KI 2,3-129,0), mit p-Werten von jeweils
Schlüsselwörter: Norovirus, lebensmittelbedingter Ausbruch, Militärkaserne

Abstract

During October 2008, the Austrian Agency for Health and Food Safety (AGES) investigated a
cluster of gastroenteritis at a military base in Vienna. The objective was to find the causative
agent, source, and mode of transmission of the outbreak. Descriptive epidemiology identified
63 cases, which fell ill between October 8 and October 10, from 6 of 7 companies stationed at
the base. A case control study was performed on 53 cases and 133 controls. Questionnaires
were created based on the menu served in the dining hall at the military base to identify
potential risky meals and food items. A total of 99 stool samples from 56 cases and 43 controls
were examined for norovirus using PT-PCR; 47 cases tested positive. Of 24 kitchen staff
members, all of them asymptomatic, two carried norovirus. None of 126 stool specimens tested
yielded bacterial pathogens or staphylococcal enterotoxin. Two meals were associated with
becoming ill with norovirus: breakfast and lunch served in the dining hall on Tuesday October 7
(odds ratios of 5.4 (95% CI 2.0-14.5) and 17.2 (95% CI 2.3-129.0), respectively (p
Kompanien, wobei fünf Kompanien der Waffengattung X mit 553 Rekruten (Stand 6.10.2008)
zuzuzählen waren. Der Waffengattung X waren 77 der 86 Erkrankungsfälle zuzurechnen. Die
Küche dieser Kaserne bereitet täglich Frühstück, Mittagessen und Abendessen für circa 700
Personen zu. Warme Speisen werden in einer auswärtigen Großküche nach dem Cook and Chill-
Verfahren zubereitet. In der Kasernenküche wird die benötigte Anzahl Packungen aufgewärmt
und portioniert. Salate werden dort frisch zubereitet.

Methodik

Epidemiologische Untersuchungen:

Ein Lokalaugenschein von den Verpflegungseinrichtungen der Kaserne (Küche und zentraler
Speisesaal, Soldatenheim, Unteroffiziersmesse, Offiziersmesse) wurde am 10.2.2008
durchgeführt. Zur Klärung, ob es sich um einen lebensmittelbedingten Ausbruch handelte sowie
zur Ermittlung der ursächlichen Mahlzeit bzw. Speise wurde eine Fall-Kontroll Studie
durchgeführt. In dieser Fall-Kontroll Studie wurden alle Rekruten der Waffengattung X (n = 553)
als Quellpopulation einbezogen. Die Stichprobengrößen wurden auf Basis einer ungematchten
Fall-Kontroll Studie mit einem -Fehler = 0,05, einer Exposition in der Kontrollgruppe = 0,50,
einer Studienpower von 0,90 und einem minimalen detektierbaren Odds Ratio (OR) = 3
ermittelt: 66 Erkrankte sowie 132 nicht erkrankte Rekruten wurden mithilfe eines
Randomisierungsverfahrens namentlich zur Befragung ausgewählt. Da sich Fälle zum Zeitpunkt
der Befragung noch stationär im auswärtigen Heeresspital (HSP) aufhielten, einige der Rekruten
zudem auf Übungen außerhalb der Kaserne waren, musste die Vorgabe, die nach dem
Randomisierungsprozess namentlich ausgewählten Fälle und Kontrollen befragen zu können,
aufgebrochen werden. Ein Fragebogen wurde erstellt, mithilfe dessen die ausgewählten
Studienteilnehmer nach Erkrankungsstatus, Symptomen und Speisenkonsumationen zwischen
6.10. morgens und 8.10.2008 abends befragt wurden, basierend auf den angebotenen Speisen
im Speisesaal sowie anderen Konsumationen innerhalb oder außerhalb der Kaserne. Die
Befragung der Studiengruppe wurde in der Kaserne am 14. und 15.10. in mehreren Gruppen
durchgeführt. Die Auswertung der Fragebögen erfolgte mit EpiInfoTM Version 3.5.1. (CDC,
Atlanta), die multivariate Analyse der statistisch signifikanten Resultate der univariaten Analyse
mit vorwärts und rückwärts gerichtetem, schrittweisem logistischem Regressionsmodell (0,05
als Signifikanzlevel für das Einfügen/Entfernen von Variabeln aus dem Model) mittels STATA IC
10 (StataCorp, 4905 Lakeway Drive, College Station, Texas 77845 USA).

Ein klinisch-labordiagnostisch bestätigter Ausbruchsfall war definiert als (i) eine Person, die in
der Zeit von 6. bis inklusive 8.10.2008 in der betroffenen Kaserne Mahlzeiten zu sich genommen
hat, (ii) in der Zeit von 8. bis inklusive 10.10.2008 an Erbrechen oder Durchfall erkrankte, und
(iii) in dessen untersuchter Stuhlprobe Noroviren mittels RT-PCR nachgewiesen wurden. Ein
klinisch-epidemiologischer Ausbruchsfall war definiert als (i) eine Person, die in der Zeit von 6.
bis inklusive 8.10.2008 in der betroffenen Kaserne Mahlzeiten zu sich genommen hat, (ii) in der
Zeit von 8. bis inklusive 10.10.2008 an Erbrechen oder Durchfall erkrankte, und (iii) in dessen
untersuchten Stuhlprobe Noroviren nicht nachgewiesen wurden oder dessen Stuhl nicht auf
Noroviren untersucht worden war.

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Mikrobiologische Untersuchungen:

Es wurden 126 Stuhlproben von Erkrankten sowie von gesunden Mitarbeitern der
Verpflegungseinrichtungen der Kaserne (Küche des zentralen Speisesaales, Soldatenheim,
Unteroffiziersmesse, Offiziersmesse) auf Salmonellen, Campylobacter, Shigellen, Yersinien und
auf Staphylokokken-Enterotoxine untersucht; 84 Stühle von 81 Erkrankten, 42 Stühle von 24
nichterkrankten Mitarbeitern der Versorgungseinrichtungen der Kaserne [3]. Von diesen
Stühlen wurden 99 Proben zudem mittels RT-PCR (AnDiaTec GmbH & Co. KG, Germany) auf
Noroviren untersucht.

An Lebensmitteln wurden von den amtlichen Kontrollorganen sechs Rückhalteproben von
Speisen (Balkangemüse, Blunzengröstl, Karotten-Sonnenblumenlaibchen, Rollini tricolore,
Kräutersauce, Pfefferrindsragout), die nach einem Cook and Chill-Verfahren in einer
auswärtigen Großküche hergestellt und am 8.10.2008 in der Kaserne konsumiert wurden zur
mikrobiologischen Untersuchung gebracht. Zudem wurden Reste von neun Speisen
(Fisolensalat, Gurken geschnitten, Sauerkraut, Rinderwaldviertler, Pariserkartoffeln,
Balkangemüse, Erbsenreis, Pfefferrindsragout, Joghurt), die am 9.10.2008 in der Kaserne
konsumiert wurden, amtlich auf Salmonellen, Campylobacter, Staphylokokken, Clostridium
perfringens, Pseudomonas aeruginosa, Bacillus cereus, Listerien, Schimmel, Hefen,
Laktobazillen, Enterokokken, Enterobacteriaceae, aerophile mesophile Gesamtkeimzahl und
Staphylokokkentoxine untersucht. Die Proben Joghurt, geschnittene Gurken und Fisolen wurden
zudem auf Noroviren untersucht.

Ergebnisse

Deskriptive Epidemiologie:

Mit Stand 9.10.2008 nachmittags waren 63 Erkrankungsfälle bekannt. Die ersten drei Fälle
traten in der Kaserne am Nachmittag des 8.10.2008 auf, in der Nacht von 8.10. bis 9.10 kam es
zu weiteren 48 Erkrankungen. Am 10.10.2008 wurden noch zwei Fälle registriert. Der genaue
Erkrankungszeitpunkt (6-Stundenintervalle) wurde für 53 Erkrankte der Waffengattung X
erhoben und ist als Ausbruchskurve in Abbildung 1 dargestellt.

In den untersuchten Lebensmitteln (sechs Rückstellproben aus der Großküche und neun Proben
aus der Küche der betroffenen Kaserne) wurden weder bakterielle Erreger
lebensmittelbedingter Infektionskrankheiten noch Staphylokokken-Enterotoxine nachgewiesen.
Noroviren waren in Joghurt, geschnittenen Gurken und Fisolensalat nicht detektierbar.

In den 126 Stuhlproben wurden keine bakteriellen Durchfallerreger nachgewiesen. Noroviren
wurden in 47 der 56 Proben von Erkrankten (83,9%) gefunden. Stuhlproben von zwei der 24
asymptomatischen Küchenmitarbeiter enthielten Noroviren (ein Mitarbeiter zweimal positiv,
letzte Probe negativ; ein Rekrut erste Probe negativ, zweite positiv, dritte negativ). Diese beiden
Mitarbeiter gaben an, in den letzten Wochen nicht an Brechdurchfall erkrankt gewesen zu sein

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bzw. nicht mit Personen in Kontakt gestanden zu haben, die vor diesem Ausbruch an einer
gastrointestinalen Erkrankung litten.

Mittels aktiver Fallsuche konnten unter den Rekruten insgesamt 86 Fälle identifiziert werden; 77
Fälle bei der Waffengattung X, 9 bei anderen 2 Waffengattungen der Kaserne.

Fall-Kontroll Studie:
Insgesamt wurden 186 Rekruten über jene Speisen befragt, die sie zwischen Montag 6. und
Mittwoch 8.10.2008 konsumiert hatten. Der Fragebogen wurde von 53 Fällen und 133
Kontrollen beantwortet; 94 Kontrollen nach Randomisierungsverfahren ausgewählt (70,7%), der
Rest der Kontrollen setzte sich aus willkürlich ausgewählten, in der Kaserne verfügbaren
Rekruten der Waffengattung X zusammen. Das Alter der Studienteilnehmer betrug im Median
19 Jahre (min: 18a, max: 30a). Der Erkrankungsgipfel lag am 8. auf 9. Oktober in der Zeit
zwischen sechs Uhr abends und sechs Uhr morgens (41 Erkrankungsfälle) (Abbildung 1).

Die Symptome der 53 befragten Erkrankten sind in Tabelle 2 angeführt. Von den befragten 53
Fällen wurden 40 (75,5%) stationär im Krankenhaus behandelt. Die Dauer der Hospitalisierung
betrug im Median sechs Tage (min: 3 Tage, max: 7 Tage).

Die Ergebnisse der univariaten tagesspezifischen Analyse von den jeweiligen Mahlzeiten im
Speisesaal oder Konsumationen am Abend im Soldatenheim zwischen 6. und 8.10. 2008 ergab
zwei Mahlzeiten, deren Teilnahme mit einem höherem Risiko zur Erkrankung assoziiert war,
Frühstück und Mittagessen im Speisesaal am Dienstag, 7.10., hatten eine Odds Ratio von 5,4
(95% KI 2,0-14,5) bzw. von 17,2 (95% KI 2,3-129,0), mit p-Werten kleiner 0,001 (Tabelle 3). Eine
signifikante negative Assoziation konnte zwischen Krankheitssymptomen und der Konsumation
von Speisen im Soldatenheim beobachtet werden. Damit weist die Konsumation von Speisen,
die im Soldatenheim hergestellt wurden, auf einen bedeutenden Schutzfaktor hin, kein
Erkrankungsfall in diesem Ausbruch zu werden. Das Abendessen am 7.10. sowie Frühstück und
Mittagessen am 8.10. wiesen ursprünglich ebenfalls signifikante Odds Ratios auf, die jedoch
unter jenen für Frühstück bzw. Mittagessen am 7.10. lagen.

Die multivariate Fall-Kontroll Analyse von den Risiko-Mahlzeiten in der Kaserne ergab nochmals
dieselben beiden Mahlzeiten als die Risiko-Mahlzeiten (Frühstück am 7.10. mit OR = 3,4; 95% KI
1,2-9,4 und Mittagessen am 7.10. mit OR = 10,3; 95% KI 1,3-80,7; p 1
war.

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Tabelle 1. Verteilung der Fälle je Kompanie (Kp) der Waffengattung X (AR = Befallsrate)

Einheit        Fälle unter Rekruten          Gesamtzahl an Rekruten                    AR
Kp A                    41                           219                             18,7%
Kp B                    15                            87                             17,2%
Kp C                     6                            84                              7,1%
Kp D                    10                            56                             17,9%
Kp E                     5                           106                              4,7%
Gesamt                  77                           552                             13,9%

Tabelle 2: Häufigkeit von Symptomen bei den 53 Fällen der Fall-Kontroll-Studie

Symptom                                    Anzahl                    %
Übelkeit                                     47                     88,7
Durchfall                                    42                     79,2
Erbrechen                                    40                     75,5
Fieber, nicht spezifiziert                   29                     54,7
Magenkrämpfe                                 25                     47,2

Tabelle 3: Odds-Ratios (OR) von einzelnen Mahlzeiten im zentralen Speisesaal der Fall-Kontroll Studie (KI =
Konfidenzintervall)
                          Fälle (n = 53)       Kontrollen (n = 133)        OR          95% KI         p-Wert
Exposition                Ja        Nein          Ja          Nein
Früh 6.10.                45          8           95           38          2,3       0,97-5,22         0,026
Mittag 6.10.              47          6          101           32          2,5       0,97-6,34         0,025
Abend 6.10.               25         28           52           81          1,4       0,73-2,64         0,159
Konsumationen im
                           2         51           30          102          0,1       0,03-0,58
Tabelle 4. Speisenspezifische Odds Ratios (OR) mit unterem Konfidenzintervall (KI) von >1 (Werte gerundet auf 1
Kommastelle).

Datum      Mahlzeit            Speisen                      OR         95% KI
6.10.      Frühstück           Kakao                        3,3        1,5-7,0
6.10.      Frühstück           Milch                        2,4        1,2-4,9
6.10.      Mittagessen         Käsespätzle                  2,0        1,0-3,9
6.10.      Mittagessen         Röstizwiebel                 2,6        1,0-6,5
6.10.      Mittagessen         Salatbuffet                  4,6       2,4-9,1
6.10.      Mittagessen         Tomatensalat                 2,8        1,3-6,4
7.10.      Frühstück           Kakao                        3,8        1,7-8,1
7.10.      Frühstück           Milch                        3,2        1,5-6,6
7.10.      Frühstück           Semmeln                      3,4       1,6-7,6
7.10.      Mittagessen         Erbsenreis                   2,5        1,3-4,9
7.10.      Mittagessen         Hühnerschnitzel              4,5       2,0-10,2
7.10.      Mittagessen         Petersilerdäpfel             2,3        1,2-4,3
7.10.      Mittagessen         Salatbuffet                  4,8       2,4-9,7
7.10.      Mittagessen         Tomatensalat                 2,5        1,1-5,8
7.10.      Abendessen          Geflügelaufstrich            6,7       2,2-20,4
7.10.      Abendessen          Rauchfleisch                 3,8       1,2-11,4
8.10.      Frühstück           Butter                       2,0       1,0-3,9
8.10.      Frühstück           Kakao                        3,5        1,6-7,5
8.10.      Frühstück           Milch                        2,3        1,1-4,7
8.10.      Frühstück           Semmeln                      2,2        1,1-4,4
8.10.      Mittagessen         Blunzengröstl                2,4        1,1-5,4
8.10.      Mittagessen         Salatbuffet                  2,9        1,5-5,7

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Abbildung 1. Epidemiekurve von 50 der 53 Erkrankten in der Fall-Kontroll Studie nach Erkrankungszeitpunkt (6-
Stundenintervalle); für 3 Fälle war der genaue Zeitpunkt der Erkrankung nicht eruierbar (Kp = Kompanie).
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                                                                                                                                                           Kp B (N=12, bei 1 Fall keine Angabe des Erkrankungsbeginns)
                   24                                                                                                                                      Kp C (N=5)
                                                                                                                                                           Kp D (N=9)
                   22                                                                                                                                      Kp E (N= 5)

                   20                                                                                                                                      Exposition Frühstück oder Mittagessen am 7.10.2008

                   18
Anzahl der Fälle

                   16

                   14

                   12

                   10

                    8

                    6

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                          07.10.2008                         08.10.2008                         09.10.2008                         10.10.2008                         11.10.2008                        Datum

Diskussion

Anfang Oktober 2008 wurde die AGES beauftragt, eine Häufung von Brechdurchfällen in einer
Kaserne des Österreichischen Bundesheeres in Wien abzuklären. Die epidemiologische
Abklärung belegte einen lebensmittelbedingten Punktquellen-Ausbruch. Die mikrobiologischen
Untersuchungen zeigten Noroviren als ursächliche Erreger. Noroviren konnten in Stuhlproben
von 47 der 56 untersuchten Erkrankten (83,9%) gefunden werden. In der Fall-Kontroll Studie
zeigte sich eine statistisch signifikante Assoziation zwischen den Erkrankungsfällen und zwei
Mahlzeiten (Frühstück und Mittagessen) welche am 7.10.2008 im Speisesaal der Kaserne
angeboten wurden. Verzehr von Speisen im Soldatenheim wies eine negative Assoziation (i.e.
Schutzfaktor) mit den Erkrankungsfällen auf.

Dieser Bericht ist der erste über einen bestätigten lebensmittelbedingten Norovirus-Ausbruch in
einer österreichischen Kaserne. Krankheitsausbrüche bei Präsenzdienern wurden in den Medien
wiederholt als ‚nicht lebensmittelbedingt’ dargestellt weil nicht alle Personen, die die
Gemeinschaftsverpflegung in Anspruch nahmen, erkrankten. Eine Befallsrate von unter 100%
darf nicht als Beleg für den Ausschluss eines lebensmittelbedingten Ausbruchs missverstanden

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werden. Im hier beschriebenen Ausbruch betrug die Befallsrate 12%, bezogen auf circa 700
Verpflegte. Nur mittels analytisch-epidemiologischer Ausbruchsabklärung kann man
lebensmittelbedingte Ausbrüche von solchen mit Mensch zu Mensch Übertragung
differenzieren.

Norovirus gilt in Österreich als der häufigste Erreger infektiöser Gastroenteritiden [4]. Im
Rahmen einer Sentinellstudie in einer Gemeinde im Burgenland wurden in 71 von 306
Gastroenteritis-Stuhlproben ursächliche Erreger nachgewiesen; Norovirus war für 36,5% der
positiven Laborbefunde verantwortlich und wurde bei 8,4% der Erkrankten nachgewiesen [4].
Thornton et al. zeigten, dass Norovirus im Rahmen der Operation Iraqi Freedom sogar in 23%
der Stuhlproben von Soldaten mit Gastroenteritis nachweisbar war [5]. Thornton et al. zeigten
zudem, dass im Rahmen von 24 Ausbrüchen durch virale Gastroenteritis, die von 1999 bis 2004
bei der US Navy dokumentiert wurden, Norovirus als Ursache der viralen Ausbrüche in allen
jenen Ausbrüchen belegbar war, wo danach gesucht wurde [5].

Durchfallerkrankungen sind in Militäreinrichtungen und bei militärischen Einsätzen häufig zu
beobachten [5,6]. Die Übertragung kann dabei sowohl durch Mensch zu Mensch-Kontakt als
auch durch Lebensmittel erfolgen. Überbelegung von Unterkünften und mangelhafte sanitäre
Einrichtungen sind bei militärischen Einsätzen oft nicht vermeidbar und steigern das Risiko von
Norovirus-Übertragungen [6,7]. Koch et al. beschreiben als häufigste Symptome bei Norovirus-
Erkrankten Übelkeit (ca. 95%), Durchfall (ca. 83%), Erbrechen (ca. 81%) und Fieber (ca. 55%) [8].
Die im Zuge dieses Ausbruchs festgestellten Symptome korrelieren gut mit diesen
beschriebenen Krankheitszeichen.

In den untersuchten Lebensmitteln konnten Noroviren nicht gefunden werden. Da die
untersuchten Speisen erst am 9.10. zubereitet wurden, also 2 Tage nach der postulierten
Exposition, muss die Sinnhaftigkeit einer derartigen amtlichen Lebensmitteluntersuchung
kritisch hinterfragt werden. Negativen Laborbefunden von Speisen, für die kein
epidemiologischer Zusammenhang zu einem Ausbruch besteht, kommt keine Aussagekraft
bezüglich Vorliegen oder Ausschluss lebensmittelbedingter Genese zu.

Dieser lebensmittelbedingte Ausbruch war lediglich auf eine Kaserne begrenzt. Es kann deshalb
davon ausgegangen werden, dass die Kontamination von Speisen nicht in der auswärtigen
Großküche, die mehrere Kasernen beliefert, ihren Ausgang nahm, sondern in der Kaserne
Vorort. Der Nachweis von Noroviren im Stuhl von zwei Personen des Küchenpersonals in der
Kaserne erhärtet diese Annahme.

Der Vermeidung lebensmittelbedingter Norovirus-Infektionen kommt im Rahmen der
Küchenhygiene primäre Bedeutung zu. Fretz et al. konnten in 54 von 73 Norovirus-Ausbrüchen
(ca. 74%) in der Schweiz zwischen 2001 und 2003 als Transmissionsweg Mensch zu Mensch
identifizieren, wobei nur sieben Ausbrüche als lebensmittelbedingt galten [9]. Asymptomatische
Ausscheider sind als mögliche Infektionsquelle gut dokumentiert, wobei Kontaminationen von
Lebensmitteln grundsätzlich auf Mängel in der Händehygiene zurückgeführt werden [2].

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In der vorliegenden Studie war es nicht möglich außer den inkriminierten Mahlzeiten auch eine
bestimmte Speise oder ein bestimmtes Lebensmittel als Vehikel zu identifizieren. Konsum von
mit Noroviren kontaminiertem Salat in der zentralen Speisehalle war in einem
lebensmittelbedingten Punktquellenausbruch in einem Militärstützpunkt in Israel für einen
Gastroenteritis-Ausbruch verantwortlich, der 13,3% der gesamten Mannschaft betraf [10]. Ein
weiterer lebensmittelbedingter Punktquellenausbruch durch Konsum von mit Noroviren
kontaminiertem Salat ereignete sich an Bord des British Royal Fleet Ship Argus, wo 10% der
Mannschaft betroffen war [11]. In der Literatur wird bei ähnlichen Ereignissen in geschlossenen
oder halbgeschlossenen Institutionen zum Teil von höheren Erkrankungsraten berichtet [9,12].
Der Grund für die dort beschriebenen höheren Erkrankungsraten scheint zu sein, dass es sich
bei diesen Ereignissen um gemischte Ausbrüche handelt, mit anfänglichen
Punktquelleninfektionen und nachfolgenden Person zu Person Übertragungen [12].

Das Vorkommen von Person zu Person Übertragungen konnte im gegenständlichen Ausbruch
nicht belegt werden; alle dokumentierten Fälle ließen sich auf die inkriminierten Mahlzeiten
zurückführen. Die prompte Intervention der Verantwortlichen, i.e. die umgehende Schließung
der Küche, hat mit großer Wahrscheinlichkeit weitere lebensmittelbedingte Erkrankungsfälle
verhindert. Die Absonderung der Erkrankten in die Sanitätsstation und die Überweisungen von
Patienten in ein auswärtiges Heeresspital können zur Vermeidung von Sekundärfällen
beigetragen haben. Nur mittels epidemiologischer Ausbruchsabklärung ist es möglich,
hygienische Schwachstellen zu identifizieren und durch Implementierung zielgerichteter
Maßnahmen künftigen Krankheitsausbrüchen vorzubeugen. Im konkreten Ausbruch ist aus
hygienischer Sicht eine entsprechende Adaptierung der baulichen Gegebenheiten (i.e.
Einrichtung von Waschgelegenheiten mit berührungslosen Armaturen im Sanitärbereich der
Küche) zu fordern. Im Hinblick auf den hohen Personalwechsel ist zudem ein vertieftes
Augenmerk auf eine dokumentierte Einschulung des Küchenpersonals (besonders im Hinblick
auf die Bedeutung von Händehygiene) zu richten.

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Literatur

1.   Kuo HW, Schmid D, Jelovcan S, Pichler AM, Magnet E, Reichart S, Allerberger F (2009) A foodborne outbreak
     due to Norovirus, Austria, 2007. J Food Protect 72: 193-196

2.   Schmid D, Stüger HP, Lederer I, Pichler A-M, Kainz-Arnfelser G, Schreier E, Allerberger F (2007) A Foodborne
     Norovirus Outbreak Due To Manually Prepared Salad, Austria 2006. Infection 35:232-239

3.   Anonym, 2001. Standardisierung und Qualitätssicherung in der mikrobiologischen Diagnostik. Richtlinien.
     Editor: BMSG, Edition 2

4.   Huhulescu S, Kiss R, Brettlecker M, Cerny RJ, Hess C, Wewalka G, Allerberger F (2009) Etiology of acute
     gastroenteritis in three sentinel general practices, Austria 2007. Infection 37:103-108.

5.   Thornton SA, Sherman SS, Farkas T, Zhong W, Torres P, Jiang X (2005) Gastroenteritis in US Marines during
     Operation Iraqi Freedom. Clinical Infectious Diseases 40:519-525

6.   McCarthy M, Estes MK, Hyams KC (2000) Norwalk-like virus infection in military forces: epidemic potential,
     sporadic disease, and the future direction of prevention and control efforts. Journal of Infectious Diseases
     181 Suppl 2:387-391

7.   Bailey MS, Boos CJ, Vautier G, Green AD, Appleton H, Gallimore CI, Gray JJ, Beeching NJ 2005) Gastroenteritis
     outbreak in British troops, Iraq. Emerging Infectious Diseases 11:1625-1628

8.   Koch J, Schneider T, Stark K, Schreier E (2006) Norovirusinfektionen in Deutschland. Bundesgesundheitsbl. –
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9.   Fretz R, Svoboda P, Luthi TM, Tanner M, Baumgartner A (2005) Outbreaks of gastroenteritis due to infections
     with Norovirus in Switzerland, 2001-2003. Epidemiology & Infection 133:429-437

10. Grotto I, Huerta M, Balicer RD, Halperin T, Cohen D, Orr N, Gdalevich M (2004) An outbreak of norovirus
    gastroenteritis on an Israeli military base. Infection 32:339-343

11. Gallimore CI, Pipkin C, Shrimpton H, Green AD, Pickford Y, McCartney C, Sutherland G, Brown DW, Gray JJ
    (2005) Detection of multiple enteric virus strains within a foodborne outbreak of gastroenteritis: an
    indication of the source of contamination. Epidemiology & Infection 133:41-47

12. Fretz-Männel R (2005) Wie bedeutend ist die Noroviren-bedingte Gastroenteritis? Wien Klin Wochenschr
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