Maligne Tumoren Lokal wirksame Verfahren - Das informative Medizinmagazin - Forum Sanitas
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Forum Sanitas 2. Ausgabe 2021 Das informative Medizinmagazin 3,50 Euro Maligne Tumoren Lokal wirksame Verfahren ■ Neurologie ■ C-reaktives Protein ■ Allergologie | Multiple Sklerose | Biomarker Sepsis | Beta-Lactoglobulin | Narkolepsie | CRP-Apherese | Anaphylaxien
Inhalt 3 ■ Die erworbene Hemmkörper- Hämophilie Mit mineralölfreien Farben Prof. Dr. med. Johannes Oldenburg alkoholfrei und klimaneutral drucken. Dr. med. Georg Goldmann Unsere Druckverfahren halten qualitätsgeprüfte Standards ein. 6 ■ Kutane Lymphome Durch die Kombination von neuester Technik Priv.-Doz. Dr. med. Marion Wobser und ökologischen Materialien sowie dem 9 ■ Hepatitis D – Die schwerste Vorhalten wegweisender Umweltzertifikate Form der chronischen Virushepatitis Liebe erfüllen wir unseren Anspruch, bei besten Druck- ergebnissen Mensch und Umwelt zu schützen. Leser, Prof. Dr. med. Marcus-Alexander www.bonifatius.de Wörns 12 ■ Anaphylaxien auf COVID-19 Impfstoffe Prof. Dr. med. Ludger Klimek bösartige Tumoren sind nach Herz-Kreislauf-Erkran- 15 ■ Therapeutischer Einsatz von kungen die zweithäufigste Todesursache in Deutsch- Kaltplasma Prof. Dr. med. Steffen Emmert land. Nach einer Schätzung des Robert Koch-Insti- Impressum tuts wurden bereits 2016 rund 492.000 Krebser- Forum Sanitas 18 ■ Lokale Strahlentherapie zur krankungen diagnostiziert. Im Jahre 2019 verstarben erscheint alle drei Monate, Auflage: 34.000 Ex. Behandlung von Lebermetastasen laut Informationen des Statistischen Bundesamtes Dr. med. Jens Czyborra-Brinkmann rund 231.300 Menschen an den Folgen einer Krebs- Forum Sanitas liegt der Landesbibliothek der Westfälischen Wilhelms Universität Münster 21 ■ Medizinisch-physikalische erkrankung. Ein Fünftel aller Verstorbenen hatte das als Pflichtlektüre vor. Grundlagen der 65. Lebensjahr noch nicht erreicht. Radioembolisation mit Ho-166 Herausgeber Priv.-Doz. Dr. rer. nat. habil. Der Entstehung von malignen Tumorerkrankungen Verlag für Public Relations und Printmedien Robert Freudenberg www.forum-sanitas.com liegen multifaktorielle Ursachen zugrunde (z. B. vi- info@forum-sanitas.com 22 ■ Multiple Sklerose rale Infektionen, Umweltnoxen und/oder genetische Therapieoption B-Zell Redaktionelle Leitung Disposition). Dabei spielt das Immunsystem eine Birgit Reckendorf depletierende Antikörper wesentliche Rolle: Immundefizienzzustände führen Prof. Dr. med. Simon Faissner Redaktionelle Mitarbeit zu gestörten körpereigenen Reparaturmechanismen, Prof. Dr. med. Ralf Gold Prof. Dr. med. K. R. Aigner; Dr. med. J. Czyborra-Brinkmann was das unkontrollierte Zell-Wachstum begünstigen Prof. Dr. med. S. Emmert; Prof. Dr. med. A. Faridi 25 ■ C-reaktives Protein: Neue kann. Maligne Tumoren entstehen aus Milliarden Priv-Doz. Dr. rer. nat. R. Freudenberg; Dr. med. G. Goldmann Erkenntnisse zu der dunklen entarteter Zellen und infiltrieren destruktiv das um- Priv-Doz. Dr. med. M. Gründling Seite dieses prähistorischen Prof. Dr. med. E. Jensen-Jarolim; Prof. Dr. med. U. Kallweit liegende Gewebe. Viele Krebsarten sind mit einer Antikörpers Prof. Dr. med. L. Klimek; Prof. Dr. med. J. A. Kremer Hovinga Dr. med. Wolfgang Ries Metastasenbildung assoziiert. Die Behandlung kor- Dr. med. M. Kurz; Dr. med. W. Ries reliert mit der gestellten Diagnose und besteht aus Prof. Dr. Dr. med. P. Sieg; Prof. Dr. med. J. Volkmann 28 ■ Sepsis der operativen Tumorentfernung, gegebenenfalls in Priv.-Doz. Dr. med. habil. Priv.-Doz. Dr. med. M. Wobser; Prof. Dr. med. M.-A. Wörns Matthias Gründling Kombination mit Strahlen- und Chemotherapie. Layout Bonifatius GmbH, Druck|Buch|Verlag, Paderborn 31 ■ Die Narkolepsie Bei bestimmten Tumoren können dem Patienten lo- Jessica Gutzeit, Michael Meermeyer|prepress Prof. Dr. med. Ulf Kallweit kal begrenzte Therapieoptionen vorgeschlagen wer- forum-sanitas@bonifatius.de Dr. rer. nat. Annika Triller den. Lokal-ablative Verfahren werden gewählt, Bildredaktion|Bildbearbeitung 34 ■ Saisonale und perinneale wenn inoperable Metastasen vorliegen oder wenn Jessica Gutzeit, Michael Meermeyer Allergie der Allgemeinzustand des Patienten eine Resektion Priv. Doz. Dr. Franziska Roth-Walter Webdesign nicht erlaubt. Bei der Elektrochemotherapie wird die Heiko Garzosch, www.hg-webdesign.de Univ.-Prof. Dr. med. Erika Verabreichung eines niedrig dosierten Chemothera- Jensen-Jarolim Webmaster|Internetservice peutikums mit einem direkt in den Tumor applizier- Heiko Garzosch, h.garzosch@forum-sanitas.com 37 ■ Das trockene Auge ten elektrischen Impuls kombiniert. Bei der selekti- Prof. Dr. med. Peter Sieg Bezug|Verteilung ven internen Radiotherapie, einem nuklearmedizini- Lesezirkel Dr. med. Maximilian Kurz schen Verfahren, bringt der Operateur therapeutisch Abonnenten-Service Bonifatius GmbH 40 ■ Die Therapie solider Tumoren radioaktive Mikrosphären regionär in die Leber ein. christine.boeddeker@bonifatius.de mit Elektroporation Titelbild Prof. Dr. med. Karl Aigner Diese weniger invasiven lokalen Verfahren ergänzen Medias Klinikum Burghausen 43 ■ Tiefe Hirnstimulation und erweitern bei verschiedenen Tumorerkrankun- Copyright Prof. Dr. med. Jens Volkmann gen die medikamentös-systemischen und chirurgi- Verlag für PR und Printmedien, Birgit Reckendorf. schen Therapieansätze. Den meisten von einer Nachdrucke und Vervielfältigungen jedweder Art 46 ■ Reduktionsplastik und Mastopexie Krebserkrankung betroffenen Patienten kann heut- sind – auch lediglich auszugsweise – nur mit Prof. Dr. med. Andree Faridi zutage eine gute Prognose gestellt werden. Genehmigung der Chefredaktion oder der jeweiligen Autoren gestattet und gegebenenfalls honorarpflichtig. 49 ■ Die thrombotisch thrombo- B. Reckendorf Artikel, die namentlich gekennzeichnet sind, stellen nicht zytopenische Purpura Redaktionelle Leitung in jedem Fall die Meinung der Redaktion dar. Prof. Dr. med. Johanna Anna Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Kremer Hovinga Bildmaterial wird keine Haftung übernommen. 2 | Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2021
Die erworbene Hemmkörper- Hämophilie Für die von einer erworbenen Hemmkörper-Hämophilie betroffenen Patien- ten ist eine sichere und zuverlässige Diagnostik unter Umständen lebensret- tend, denn die „erworbene Hämophilie A“ ist zwar eine seltene aber sehr gefährliche Erkrankung. Der Körper des Menschen ist grundsätzlich darauf ausgerichtet, sowohl blutende Wunden zu stillen, als auch Verstopfungen der Blutgefäße (Thrombosen oder Embolien) zu vermeiden. Dafür verant- wortlich sind die Blutplättchen sowie verschiedene Eiweiße: die sogenann- ten „Gerinnungsfaktoren“. Bei der erworbenen Hämophilie bilden die Patienten Antikörper gegen die körpereigenen Gerinnungsfaktoren. Einleitung Klinisches Bild Die Antikörper führen dazu, dass das Gerinnungs- Das klinische Erscheinungsbild einschließlich system nicht mehr ausreichend funktioniert und schwerer Blutungssymptome korreliert meist nicht selbst kleine Verletzungen oder Traumata schwerste mit Laborparametern oder dem Antikörpertiter. Da - zum Teil lebensbedrohliche Blutungen – nach sich es sich zumeist um ältere Patienten handelt, kön- ziehen können. Somit ist diese Blutgerinnungsstö- nen andere Grund- und Begleiterkrankungen das rung eine Autoimmunerkrankung, bei der Patienten klinische Bild zusätzlich verschleiern und die Be- Hemmkörper in Form von Auto-Antikörpern gegen handlungsstrategie beeinflussen. Viele ältere be- einen körpereigenen Gerinnungsfaktor bilden. Am troffene Patienten weisen oftmals auch noch ande- häufigsten treten Antikörper gegen den Gerin- re Erkrankungen aus dem rheumatischen Formen- nungsfaktor VIII (FVIII) auf, in sehr seltenen Fällen kreis oder sogar bösartige Tumoren auf. Oft werden jedoch auch gegen andere Gerinnungsfaktoren, wie diese Erkrankungen erst im Rahmen der Hemmkör- etwa den Faktor IX (FIX), den von-Willebrand-Fak- perdiagnostik entdeckt. Allerdings kann eine er- tor (VWF), aber auch Kombinationen sind bekannt. worbene Hemmkörper-Hämophilie auch bei jünge- Die Erkrankung äußert sich in plötzlich auftreten- ren Menschen auftreten, so zum Beispiel bei Frau- den, häufig lebensbedrohlichen Blutungen. Die er- en nach der Entbindung, was oftmals fehldiagnos- worbene Hämophilie weist eine jährliche Häufigkeit tiziert wird. Eine solche Blutung muss unbedingt von etwa zwei Patienten pro einer Million Men- rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Insbe- schen auf. Männer und Frauen haben das gleiche sondere bei plötzlich auftretenden ungewöhnli- Risiko zu erkranken; die Hemmkörper-Hämophilie chen Blutungen sollte sofort an eine erworbene tritt familiär nicht gehäuft auf. Unbehandelt ver- Hämophilie gedacht werden, vor allem wenn es in Prof. Dr. med. Johannes läuft diese Erkrankung bei mehr als 22 Prozent der der eigenen oder der familiären Krankheitsge- Oldenburg Betroffenen tödlich. Deshalb sind eine zügige und schichte des Patienten keinerlei Hinweise auf eine sichere Diagnosestellung sowie die entsprechende Blutungsneigung gibt. Stark ausgeprägte Bluter- Behandlung für die Prognose und langfristige The- güsse, lange anhaltende Blutungen nach operati- rapie von größter Bedeutung. Anders als bei der an- ven Eingriffen, Verletzungen oder Entbindungen geborenen Hämophilie ist das klinische Bild der er- oder ein plötzlich auftretender blutiger Urin kön- worbenen Hämophilie vielfältig und bei jedem Pati- nen erste Hinweiszeichen sein. enten individuell unterschiedlich. Charakteristische Anzeichen sind anhaltende Blutungen nach Opera- Auffällige Symptome bei erworbener Hemmkörper- tionen und nach Entbindungen sowie Magen-, Hämophilie: Darm- und Blasenblutungen sowie Blutungen in die Bauchhöhle. Typisch sind auch große, flächenhafte • Hämatome ohne vorausgegangenes Trauma Haut- und Weichteilblutungen sowie Muskelblu- • Hämatome nach Bagatelltraumen tungen. Gerade die Muskelblutungen können dabei • Hämatome die ungewöhnlich groß sind sehr schmerzhaft sein und zu Bewegungsausfällen • Hämatome ohne Hämatomneigung in der Ver- führen. Gefährlich wird es, wenn man solche Blu- gangenheit tungen durch operative Maßnahmen entlasten will, • Hämatome ohne die Einnahme prädisponierender ohne dem betroffenen Patienten vorher Gerin- Medikamente (z. B. Aspirin, Marcumar, andere Dr. med. Georg Goldmann nungsfaktoren gegeben zu haben. Blutverdünner) Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2021 | 3
Tab. 1: Beeinflussung des Gerinnungstests Neue orale Antikoagulanzien (DOACs) sind direkte Thrombininhi- durch DOACs bitoren und Faktor Xa-Antagonisten. DOACs werden immer häufi- ger zur Langzeitantikoagulation bei Patienten mit nicht valvulä- rem Vorhofflimmern oder venösen Thrombembolien eingesetzt. Zu den klassischen Vitamin-K-Antagonisten bieten DOACs einige Vorteile. Monitoring oder Dosisanpassungen zu Therapiebeginn können in der Regel genauso wie die überlappende Einstellung mit Heparin bis zum Erreichen der therapeutischen Wirkung wegen des schnellen Wirkungseintritts der DOACs entfallen. Fallbeispiel Die Vorstellung im Notfallzentrum der Klinik er- folgte bei dem älteren Patienten aufgrund einer • Starke Nachblutungsneigung nach klei- nen Gerinnungsfaktoren zu gewöhnen größflächigen Gesäßeinblutung unter Therapie nen Verletzungen bzw. den Hemmkörper mittels starker im- mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOACs) • Starkes Nasen- oder Zahnfleischbluten munwirksamer Medikamente und ggf. nach Sturzereignis. Die ersten Laboruntersuchgen Blutwäschen zu eliminieren. Im Rahmen zeigten eine starke Verlängerung der aktivierten Bei sehr starken Einblutungen unter oraler dieser sogenannten immunsuppressiven partiellen Thromboplastinzeit (aPTT), bei unauffäl- Antikoagulation („blutverdünnende“ Be- Therapie kommen vor allem Cortison-hal- ligem Laborwert für die international normalisier- handlung durch Gabe von gerinnungs- tige Medikamente sowie zytostatisch te Ratio (INR), einem standardisierten Verfahren hemmenden Medikamenten) sollte auch wirksame Substanzen aus der Krebsthera- zur Prüfung des extrinsischen Systems der Blutge- immer an das Vorliegen einer erworbenen pie wie z. B. Cyclophosphamid zum Ein- rinnung. Das direkte orale Antikoagulanz wurde Blutgerinnungsstörung wie zum Beispiel satz. Daneben gibt es auch gute Erfolge sofort pausiert. Da direkte orale Antikoagulanzien eine Hemmkörper-Hämophilie gedacht mit dem Einsatz von Rituximab, einem (DOACs) die meisten herkömmlichen Gerinnungs- werden. Vor Beginn einer jeden Therapie biotechnologisch hergestellten Antikör- tests (Tab. 1) wie zum Beispiel die international mit Antikoagulantien müssen pathologi- per, der als Wirkstoff in der Therapie des normalisierte Ratio (INR) oder die aktivierte parti- sche Gerinnungswerte labordiagnostisch Lymphdrüsenkarzinoms Anwendung fin- elle Thromboplastinzeit (aPTT) beeinflussen kön- abgeklärt werden. det. Im Falle einer nicht lebensbedrohli- nen, wurden zum differentialdiagnostischen Aus- chen Blutung kann unter enger ärztlicher schluss möglicher anderer Ursachen für die Hä- Therapieoptionen Kontrolle auch zunächst mit einer der matomneigung bzw. Verlängerung der aktivierten oben genannten reinen immunsuppressi- partiellen Thromboplastinzeit (aPTT) bei dem Pati- Im Falle der akuten, lebensbedrohenden ven Therapien begonnen werden. Um die enten weitere spezielle Gerinnungsuntersuchun- Blutung wird in der Regel umgehend eine sehr komplizierte und vielfältige Behand- gen angeschlossen. Hierbei zeigte sich, dass nicht blutstillende Therapie mit speziellen Ge- lung der erworbenen Hämophilie zu ver- das direkte orale Antikoagulanz ursächlich für die rinnungsfaktorpräparaten (Tab.2) einge- einfachen und zu vereinheitlichen, wur- starke Blutungsneigung war, sondern bei dem Pa- leitet. Hierzu kommen hochpotente Faktor den von einer internationalen Forscher- tienten eine sogenannte erworbene Hemmkörper- VIIa und aktivierte Prothrombinkonzen gruppe Empfehlungen zur Therapie dieser Hämophilie gegen den Gerinnungsfaktor VIII vor- trate sowie ein porcines Faktor VIII-Präpa- seltenen Erkrankung aufgestellt (Interna- lag. Der Faktor VIII zeigte eine Restaktivität von < rat zur Anwendung. Daneben werden vor tional recommendations on the diagnosis 1 %, bei gleichzeitigem Nachweis eines Inhibitors allem bei niedrigeren Hemmkörperaktivi- and treatment of acquired hemophilia A , gegen den Faktor VIII von 38 Bethesda-Einheiten/ täten auch gute Erfolge mit der Anwen- Tiede A. et al. Haematologica 2020, Vol. mL. dung von zumeist aus Plasma gewonne- 105 No. 7 (2020): July, 2020). nen Faktor VIII-Präparaten mit hohem von Wenn nicht gerade ein bösartiges Tu- Willebrand-Faktor-Anteil erzielt. Das hat morgeschehen (Abb.2) die Ursache einer zudem den Vorteil, dass die Faktor VIII- Hemmkörperbildung ist und die Patienten Aktivität gemessen und damit die Thera- möglichst früh adäquat behandelt wer- pie individuell gesteuert werden kann. den, sind die Chancen, die Erkrankung Alle oben genannten Medikamente müs- heilen zu können relativ gut. Oft ist es sen dem Patienten als Injektion verab- aber leider so, dass trotz auffälliger Blu- reicht werden und führen in der Regel zu tungssymptome viel zu spät an das Vorlie- einer schnellen Besserung der Blutungs- gen einer erworbenen Hemmkörper-Hä- symptomatik. Außerdem wird der Einsatz mophilie gedacht wird, weil diese beson- eines bispezifischen Antikörpers, der dere Blutgerinnungsstörung sehr selten schon zur Behandlung der Hämophilie A und damit relativ unbekannt ist. Um im (mit und ohne Inhibitoren) zugelassen ist, Falle neu aufgetretener und für den Pati- in Fachkreisen diskutiert. enten unerklärlicher Hämatome das Vor- Gleichzeitig versucht man das Immun- liegen eines Hemmkörpers auszuschlie- system des Patienten wieder an die eige- ßen, reichen oft einfache Gerinnungstests, 4 | Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2021
die auch problemlos und unkompliziert beim Haus- arzt durchgeführt werden können. Bei Auffälligkei- ten der Untersuchungsergebnisse muss umgehend ein Gerinnungsspezialist, der Hämostaseologe, konsultiert werden. Sollte sich die Diagnose bestä- tigen, erfordert die Therapie einer erworbenen Hemmkörper-Hämophilie in der Regel aufgrund der Komplexität der Erkrankung als solche als auch der oft älteren Patienten mit vielen Vor- bzw. Be- gleiterkrankungen eine gemeinschaftliche, inter- disziplinäre Betreuung, die in einer Universitätskli- nik mit spezieller Expertise und Fachambulanz ge- währleistet ist. Abschließend ist noch einmal zu konstatieren, dass eine erworbene Hemmkörper- Hämophilie eine äußerst seltene und nach Diag- nostik relativ gut behandelbare Erkrankung ist. Das Wiederauftreten eines Hemmkörpers nach erfolg- Tab. 2: reicher Therapie ist eher selten, und am häufigsten Quelle: Querschnitts- mit einer dem Hemmkörper zugrundeliegenden tik (24 Stunden/7 Tage) durchgeführt werden kön- Leitlinien zur Therapie mit Grunderkrankung assoziiert. Insofern sind auch nen. Darüber hinaus besteht eine enge Kooperation Blutkomponenten und nach Abschluss der Therapie weitere Kontrollen innerhalb des Klinikums, vor allem mit den inter- Plasmaderivaten sinnvoll. Die meisten Hämatome haben jedoch in nistischen und chirurgischen Kollegen. Gesamtnovelle 2020 der Regel eine andere und erklärbare Ursache, ins- (Seite 133 von 289) besondere wenn Patienten ohnehin gerinnungs- Fazit hemmende Medikamente einnehmen. Eine erworbene Hemmkörper-Hämophilie ist ein Das Hämophiliezentrum des Universitäts seltenes Ereignis; die meisten Hämatome haben klinikums Bonn eine andere Ursache. Der Quickwert ist bei den meisten Hemmkörper-Hämophilien normal und so- Durch das Hämophiliezentrum des Universitätskli- mit nicht zum Ausschluss einer erworbenen nikums Bonn, dass in diesem Jahr sein fünfzigjähri- Hemmkörper-Hämophilie geeignet! Die entschei- ges Bestehen feiert, wurden bisher über 100 Pati- dende Konstellation manifestiert sich durch einen enten mit einer erworbenen Hemmkörper-Hämo- normalen Quickwert mit isoliert verlängerter aPTT. philie behandelt, was angesichts einer sehr selte- Die Durchführung der gezielten Therapie sollte nen Erkrankung eine große Anzahl von Patienten optimalerweise in einem spezialisierten Therapie- ist. Das Hämophiliezentrum der Universitätsklinik zentrum erfolgen. Am besten geeignet sind soge- Bonn ist ein Referenzzentrum für alle seltenen Ge- nannte „Comprehensive Care Center“ die auf die rinnungserkrankungen und insbesondere auf die Behandlung von Blutgerinnungsstörungen spezia- Therapie von Blutungsleiden spezialisiert. Zum Hä- lisiert sind und somit die entsprechenden personel- mophiliezentrum gehört ein hämostaseologisches len und apparativen Voraussetzungen für dieses Labor der Maximalversorgung, in dem alle Diagno- komplizierte Krankheitsbild bieten. se- und Therapie-relevanten Gerinnungsparameter einschließlich Techniken zur Hemmkörperdiagnos- Literatur beim Verfasser Informationen ■ Universitätsklinikum Bonn Institut für Experimentelle Hämato logie und Transfusionsmedizin Direktor Prof. Dr. med. Johannes Oldenburg Oberarzt Dr. med. Georg Goldmann Venusberg-Campus 1 53127 Bonn Universitätsklinikum Bonn www.ukbonn.de Abb. 2: Begleiterkran- ■ Weitere Informationen kungen von Patienten mit Deutsche Hämophiliegesellschaft erworbener www.dhg.de Hämophilie Interessengemeinschaft (Knoebl P et al. J Hämophilier e.V. Thromb Haemost. www.igh.info 2012; 10:622-31) www.grifols.com Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2021 | 5
Kutane Lymphome Zielgerichtete Therapie bei CD30 positiven Entitäten Fallbericht Ein 88-jähriger Patient stellte sich 2018 erstmals in unserer Lymphomsprechstunde vor. Seit ca. 2 Jahren habe er langsam progrediente, allenfalls leicht juckende Hautveränderungen bemerkt. Klinisch fanden sich Patches und Plaques < 10 % KOF (Stadium IA) mit histologischer Sicherung als MF. Eine systemische Beteiligung wurde ausgeschlossen. Unter einer Therapie mit topischen Steroiden (Mometasonfuorat-Salbe) sowie einer additiven Lichttherapie (UVB311nm) zeigte sich nach initial gutem Ansprechen im Jahre 2019 ein kutaner Progress mit erstmaligem Auftreten einzelner solitärer Tumorknoten (Stadium IIB). Da sich unter einer Systemtherapie mit Methotrexat ein deutlicher Progress mit multiplen kutanen Tumoren zeigte, wur- de auch in Anbetracht einer histologisch verifizierten großzelligen Transformation mit deutlicher CD30-Expression >60 % eine Systemtherapie mit BV eingeleitet. Nach 3 Gaben BV in einer Dosierung von 1,8 mg/kg Körpergewicht alle 3 Wochen zeigte sich eine klinische Remission sämtlicher vormaliger Tumoren. Auch histologisch fanden sich keine sicheren Hinweise auf Restinfiltrate der Mycosis fungoides sämtlicher biopsierter Indexläsionen. Anamnestische oder klinische Hinweise auf eine Neuropathie ergaben sich nicht. In partizipativer Entscheidungsfindung gemeinsam mit dem Patienten und seinen Angehöri- gen wurde angesichts der kompletten Remission die Therapie mit BV beendet und eine Erhaltungstherapie mittels niedrig dosiertem Bexaroten sowie intermittierender Anwendung mit topischen Steroiden begonnen. Unter diesem Therapieregime weist der Patient bei guter laborchemischer und klinischer Verträglichkeit lediglich einzelne Patches
rekt im Tumor wirken.(16) So werden dem nach Tumorzelltod freige- setzten MMAE auch Effekte auf umgebende CD30-negative neoplas- tische Zellen sowie das Tumormikromilieu zugeschrieben (bystander-Effekt).(17,18) In der randomisierten klinischen Zulassungsstudie (ALCANZA) er- wies sich BV bei CD30-positiven Hautlymphomen der T-Zell-Reihe (MF, cALCL) hinsichtlich der Ansprechrate und des progressionsfreien Überlebens dem Vergleichsarm (physician´s choice: Methotrexat oder Bexaroten(19)) signifikant überlegen. Die Therapie mit BV erfolgte bei Abb. 1: Mycosis fungoides (MF) mit Patches und Plaques (a) sowie adäquater Verträglichkeit und Tumoransprechen in einer Dosierung Tumoren (b). von 1,8 mg/kg Körpergewicht alle 3 Wochen für insgesamt 16 Zyklen. Die mindestens 4 Monate währende Gesamtansprechrate (ORR4) be- ten sind sowohl die Regulation von CD30 als auch dessen intrazellu- trug bei Patienten in dem mit BV behandelten Arm 56,3 % versus läre downstream Effekte beim Morbus Hodgkin und dem systemischen 12,5 % im Vergleichsarm. Besonders hohe Ansprechraten mit einer ALCL erforscht. Nach Aktivierung des CD30-Rezeptors und Trimerisie- ORR4 von 75 % waren in der Kohorte der Patienten mit cALCL zu rung erfolgt eine intrazelluläre Signalgebung via TNFR-assoziierter verzeichnen. Im Jahre 2017 wurde das Immunotoxin BV (Adcetris®) in Faktoren und nachgeschalteter Signalwege (NFKB, MAPK), wobei in Deutschland für alle CD30-positiven kutanen T-Zell-Lymphome zu- Abhängigkeit vom jeweiligen Zellkontext und weiterer Stimuli zellulä- gelassen. Allerdings konnte nur ein Teil der kutanen T-Zell-Lymphome res Überleben und Proliferation entweder verstärkt oder gehemmt im Rahmen der ALCANZA-Studie behandelt werden, da das primäre werden können.(13) Die Expression und Heraufregulation von CD30 an Einschlusskriterium der Studie eine CD30-Expression von ≥10 % der der Zelloberfläche kann durch verschiedene Mechanismen wie z. B. Tumorzellen war und zudem nur Patienten mit MF und cALCL, nicht durch virale Infektion (EBV, HTLV-1), exogene Stimuli oder eine aber- aber mit SS, LyP oder PTCL eingeschlossen waren. rante intrazelluläre Signalgebung mit onkogenen Alterationen indu- Diese speziellen Konstellationen wurden allerdings in weiteren kli- ziert werden.(14,15) Bisher sind in kutanen Lymphomen die molekularen nischen Studien der Phase II adressiert.(20,22) In Analogie zum cALCL Ursachen für die heterogene CD30-Expression und die nachgeschalte- mit entsprechend starker und konsistenter CD30-Expression wiesen te intrazelluläre Signalgebung nicht entschlüsselt. auch Patienten mit LyP (teils in Assoziation mit einer MF oder einem cALCL) exzellente Ansprechraten gegenüber BV innerhalb weniger 3. CD30 als therapeutische Zielstruktur Wochen auf. Die Ansprechdauer betrug bei Patienten mit LyP aller- dings nur 26 Wochen im Vergleich zu 32 Wochen bei der MF/SS. In- Patienten mit fortgeschrittenen Krankheitsstadien der MF oder des SS teressant und von unmittelbar therapieentscheidender Relevanz ist, haben - bei deutlich reduzierter Lebensqualität – meist eine Lebens- dass sich bei Patienten mit MF/SS auch bei niedriger CD30-Expressi- erwartung von nur wenigen Jahren. Remissionen unter etablierten on 50 % CD30-Exression im Tumorgewebe zeigte.(20) Bei re in der Rezidivsituation oft nur kurz, und eine Heilung ist selbst sehr geringer CD30-Expression von
gleichsarm. Die Verbesserung der Lebensqualität unter einer Therapie T-Zell-Lymphomen evaluiert. Aufgrund einer nachgewiesenen Ex- mit BV erwies sich dabei als weitgehend unabhängig von dem Auftre- pression von CD30 auch in weiteren Lymphomsubtypen könnte eine ten einer Neuropathie(23). Meist ist die Neuropathie je nach Ausprä- Behandlung mit BV auch bei diesen eine attraktive Therapieoption gung nach Pausieren bzw. Absetzen der Therapie wieder vollständig sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn aufgrund der Seltenheit der reversibel oder bessert sich zumindest im Verlauf deutlich. jeweiligen Entität nur wenige erprobte Therapiemodalitäten zur Ver- fügung stehen bzw. sich in der Vergangenheit als ineffektiv oder nur 4. Ausblick von kurzer Remissionsdauer erwiesen haben, jedoch ein aggressiver biologischer Verlauf der Lymphomerkrankung bekannt ist. Vor diesem Der Zulassungsstatus von BV in Deutschland umfasst die Zweitlinien- Hintergrund sind therapeutische Erfolge von BV auch beim meist ag- behandlung aller CD30-positiver kutaner T-Zell-Lymphome. In klini- gressiv verlaufenden Gammadelta-T-Zell-Lymphom(24) oder beim ag- schen Studien ist bisher neben der MF, dem SS und den CD30-positi- gressiven CD8-positiven epidermotropen T-Zell-Lymphom(25) berich- ven Lymphoproliferationen die Effektivität in (kutanen) peripheren tet worden. 5. Literatur 1. Wobser M, Goebeler M. [Cutaneous lymphomas : Cli- extracellular signal-regulated kinase 1/2 mitogen-activated nical presentation - diagnosis - treatment]. Der Hautarzt; protein kinase signaling activates the CD30 promoter in ana- Zeitschrift fur Dermatologie, Venerologie, und verwandte plastic large cell lymphoma and reed-sternberg cells of Ho- Gebiete. 2019;70(10):815-30. dgkin lymphoma. Cancer Res. 2005;65(17):7628-34. 2. Willemze R, Cerroni L, Kempf W, Berti E, Facchetti F, 15. 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Hepatitis D Die schwerste Form der chronischen Virushepatitis Das Hepatitis D Virus (HDV) ist ein inkomplettes, einzelsträngiges RNA-Virus, welches das Hüllprotein (HBs-Antigen bzw. HBsAg) des Hepatitis B Virus (HBV) zur Replikation benö- tigt, so dass eine HDV-Infektion nur in Verbindung mit einer HBV-Infektion vorkommen kann. Es wird angenommen, dass weltweit ca. 5 % der chronisch HBV-Infizierten (ca. 250- 290 Millionen Menschen) mit HDV koinfiziert sind, so dass von mind. 12 Millionen Betrof- fenen ausgegangen werden kann. Neuere Schätzungen gehen sogar von bis zu 70 Millionen Betroffenen aus, basierend auf einer anzunehmend hohen Dunkelziffer, da häufig nicht auf HDV getestet wird. Insgesamt wird die HDV-Infektion als schwerwie- bereits bestehenden chronischen HBV-Infektion. gendste Form der chronischen Virushepatitis ange- Im Gegensatz zur Simultaninfektion kommt es im sehen und ist mit einem stark erhöhten Risiko für Rahmen der Superinfektion fast immer zu einer die Entwicklung einer Leberzirrhose (80 % inner- Chronifizierung (>90 % vs.
der Leberschädigung (Fibrose bzw. bereits eingetre- tienten bei entsprechender Indikation die Möglich- tene Zirrhose), von der Höhe der Viruslast (HBV- keit einer Lebertransplantation. DNA) und der Höhe der Leberwerte (insbesondere GPT/ALT) behandlungsbedürftig. Therapeutisch Bulevirtid als erste zugelassene Therapie werden zumeist Nukleosid- bzw. Nukleotidanaloga bei chronischer HDV-Infektion (NUCs, z. B. Entecavir oder Tenofovir) eingesetzt, die die HBV-Replikation hocheffektiv und vor allem Mit dem Wirkstoff Bulevirtid (vormals Myrclu- auch sehr nebenwirkungsarm hemmen. Allerdings dex B) wurde im Sommer 2020 erstmals ein antivi- führen diese oral verabreichten antiviralen Medi- rales Medikament gegen HDV von der EMA (Euro- kamente nur äußerst selten zu einer funktionellen pean Medicines Agency) zugelassen. HBV und HDV Ausheilung der chronischen HBV-Infektion (HBs- gelangen über den Gallensäuren-Kotransporter Ag Verlust bzw. HBs-Serokonversion) und stellen NTCP (Natriumtaurocholat-cotransportierendes daher bei den meisten Patienten eine Dauerthera- Polypeptid) via Bindung der N-terminalen Domäne pie dar. Im Gegensatz hierzu ist unter einer Thera- des großen HBV Hüllproteins (L-HBsAg) in die Le- pie mit pegyliertem Interferon-alpha (PEG-IFN-α), berzelle (Hepatozyt). Bulevirtid ist ein lineares, über 48 Wochen subkutan (s.c.) appliziert, bei eini- chemisch synthetisiertes Peptid, welches aus (47 gen wenigen Patienten mit entsprechender Indika- Aminosäuren) der N-terminalen Domäne des L- tion auch eine funktionelle Ausheilung der HBV- HBsAg stammt und myristoyliert ist. Es entfaltet Infektion möglich. In Bezug auf eine Interferon- seine antivirale Wirkung, indem es an NTCP bindet, Therapie bestehen jedoch eine Reihe von Kontrain- den Transporter damit blockiert, so dass keine Bin- dikationen (z. B. dekompensierte Leberzirrhose oder dungsmöglichkeit mehr für HBV und HDV besteht. bestimmte psychiatrische Vorerkrankungen). Auch Damit ist keine weitere Infektion von Hepatozyten wird die Behandlung von vielen Patienten nicht gut und damit keine Virusausbreitung mehr möglich. Aufgrund seines Wirkmechanismus wird Bulevirtid als sogenannter Entry-Inhibitor (Eintrittsinhibitor) bezeichnet. Bulevirtid ist laut Fachinformation zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit chro- nischer HDV-Infektion (HDV-RNA positiv) und kompensierter Lebererkrankung (also nicht bei de- kompensierter Leberzirrhose) zugelassen und wird einmal täglich in der Dosierung von 2 mg subcutan mit einem Injektionsvolumen von 1 ml appliziert. Hilfsmittel zur Auflösung des Pulvers und zur Injek- tion (z. B. Einmalkanülen und -spritzen) müssen dem Patienten entsprechend rezeptiert werden. Grundlage der Zulassung waren vor allem die Ergebnisse zweier Phase II Studien. Aufgrund der konsekutiv aktuell noch eigenschränkten Datenla- ge, handelt es sich zunächst um eine sogenannte bedingte Arzneimittelzulassung (conditional mar- keting authorisation). Im Rahmen der bisherigen Studien wurde Bulevirtid u. a. auch in Kombination mit Tenofovir untersucht. Dies ist wichtig, da die gleichzeitige Gabe eines NUCs aufgrund der HBV- Infektion im klinischen Alltag oftmals indiziert ist. vertragen (u. a. grippeähnliche Symptome, Blut- Zunächst wurde Bulevirtid (2, 5 oder 10 mg) in bildveränderungen, psychische Nebenwirkungen). Kombination mit Tenofovir im Rahmen einer multi- PEG-IFN-α wurde bislang auch zur Behandlung zentrischen, offenen, randomisierten Phase II Stu- der chronischen HDV-Infektion eingesetzt, aller- die untersucht. Nach 24 Wochen Therapie war bei dings handelt es sich hierbei um einen Off-Label- 55 von 90 Patienten (50.0-76.7 % je nach Dosie- Use, da keine Zulassung in Bezug auf die HDV-In- rung) ein linearer Abfall der HDV-RNA um ≥ 2log10 fektion vorliegt. Unter einer Therapie über 48 Wo- IU/ml bzw. keine HDV-RNA mehr nachweisbar, im chen kann bei ca. 25-40 % der Patienten ein län- Gegensatz zu einem einzigen von 28 Patienten gerfristiges Therapieansprechen (negative (3.6 %) unter einer Tenofovir Monotherapie. Nach HDV-RNA 6 Monate nach Therapieende) verzeich- Beendigung der Therapie kam es in allen Bulevirtid net werden, jedoch kommt es bei vielen Patienten, Behandlungsarmen zu einem Wiederanstieg der die initial auf die Therapie angesprochen haben, zu HDV-RNA. In einer weiteren Phase II Studie wurde einem Relapse der Erkrankung, insbesondere häufig eine Bulevirtid Monotherapie (2 mg) über einen auch erst im späteren Verlauf. Eine Verlängerung längeren Behandlungszeitraum von 48 Wochen der Therapiedauer auf 96 Wochen bzw. die Hinzu- durchgeführt und mit einer Behandlung bestehend nahme eines NUCs (z. B. Adefovir oder Tenofovir) aus Bulevirtid (2 oder 5 mg) in Kombination mit erbrachte keine Verbesserung, was die Ansprechra- PEG-IFN-α bzw. einer PEG-IFN-α Monotherapie ten anging. Als ultima ratio besteht bei einigen Pa- verglichen. Unter der Bulevirtid Monotherapie 10 | Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2021
zeigte sich das aus der erstgenannten Studie be- Im Zusammenhang mit der anzunehmend län- kannte Wirk- und Sicherheitsprofil, unter der Kom- gerfristigen Applikation ist es umso wichtiger, dass binationstherapie mit PEG-IFN-α war ein Synergis- das Medikament bislang eine gute Verträglichkeit mus in Bezug auf die lineare Abnahme der HDV- zeigt. Neben Hautreaktionen an der Injektionsstelle RNA zu verzeichnen. Zudem war 6 Monate nach (entsprechend sollte die Einstichstelle täglich ge- Therapieende bei deutlich mehr Patienten weiterhin wechselt werden), ist häufig lediglich eine dem keine HDV-RNA mehr nachweisbar (26.7-53.3 %) Wirkmechanismus geschuldete, dosisabhängige, als unter der Bulevirtid Monotherapie (6.7 %). Dar- allerdings bislang asymptomatische und reversible über hinaus zeigte sich unter der Kombinationsthe- Erhöhung der Gallensalze (-säuren) zu verzeichnen. rapie (Bulevirtid und PEG-IFN-α) im Gegensatz zur Darüber hinaus waren milde und zum Teil unspezi- Bulevirtid Monotherapie auch ein Ansprechen in fische Symptome wie z. B. Blutbildveränderungen, Bezug auf das HBsAg. Im Rahmen einer Erweite- Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit, rung dieser Studie wurde höher dosiertes Bulevirtid Tachykardie, Hautausschlag oder Juckreiz zu ver- (10 mg) in Kombination mit PEG-IFN-α bzw. Bule- zeichnen. Leberwerte, HDV-RNA und HBV-DNA virtid (2 x 5 mg) in Kombination mit Tenofovir über sollten unter einer Bulevirtid Therapie initial alle 48 Wochen untersucht. Bei Therapieende zeigte 4 Wochen kontrolliert werden; im Verlauf ist ggf. sich eine negative HDV-RNA bei 86.7 % der Patien- eine Verlängerung des Kontrollintervalls auf 3 Mo- ten in der Bulevirtid/PEG-IFN-α-Gruppe und bei nate denkbar. Nach Absetzen von Bulevirtid kommt 40.0 % in der Bulevirtid/Tenofovir-Gruppe. Nach es, wie bereits erwähnt, häufig zu einem Relapse Beendigung der Therapie zeigt sich jedoch erneut der Erkrankung mit wieder ansteigender HDV-RNA bei einem großen Teil der Patienten ein Relapse der und entsprechend erhöhten Leberwerten (ALT-An- Erkrankung, wobei in dieser Studie bei mehr Pati- stieg). Auch wenn es in den bisherigen Studien kei- enten in der Bulevirtid/Tenofovir-Gruppe eine lang ne fulminanten Entzündungsschübe gab, muss in anhaltende Virus-Suppression gelang (33.3 % vs. dieser Zeit der Verlauf der Leberwerte, aber auch 6.7 %). Ebenso wie unter niedrig dosiertem Bule- die HDV-RNA sowie die HBV-DNA engmaschig mo- virtid zeigte sich unter Bulevirtid 10 mg nur in nitoriert werden, insbesondere bei zirrhotischen Kombination mit PEG-IFN-α ein HBsAg-Anspre- Patienten. chen. Zusammenfassend kommt es basierend auf den bisherigen Studienergebnissen während der Ausblick auf weitere Substanzen Informationen Therapie bei vielen Patienten also langfristig zu ei- ner deutlichen Abnahme bzw. Negativierung der An weiteren Substanzen, die sich aktuell in der ■ Prof. Dr. med. Marcus- HDV-RNA und begleitend zu einer Verbesserung Phase II/III befinden, sind der Prenylierungsinhibi- Alexander Wörns bzw. Normalisierung der Leberwerte (insbesondere tor Lonafarnib, das Nukleinsäure-Polymer Rep 2139 Leitung der Leber-, Zirrhose- und GPT/ALT). Unter einer Bulevirtid Monotherapie sowie pegyliertes Interferon-lambda (IFN-λ) zu Infektionsambulanz (+/- Tenofovir) besteht ein dosisabhängiger Effekt, nennen. Lonafarnib (hemmt die Freisetzung des Leitung der HCC-Ambulanz zudem zeigen sich unter einer Kombinationsthera- Hepatitis D-Antigens durch Hemmung der Farnes- Leitung der Onkologischen Ambulanz pie mit PEG-IFN-α synergistische Effekte. Aktuell yltransferase) wurde u. a. im Rahmen einer Phase II Ärztliche Leitung des Cirrhose wird insgesamt davon ausgegangen, dass es nach Studie in Kombination mit Ritonavir und IFN-λ un- Centrums Mainz (CCM) Beendigung der Therapie bei den meisten Patienten tersucht. Sechs Monate nach Beendigung der Universitätsmedizin der Johannes zu einem Relapse der Erkrankung kommen wird. 24-wöchigen Therapie war bei 5 von 22 Patienten Gutenberg-Universität Mainz Daher lautet aktuell die Empfehlung, die Behand- (23 %) weiterhin keine HDV-RNA mehr nachweis- Langenbeckstrasse 1 lung mit Bulevirtid 2 mg so lange fortzusetzen, wie bar bzw. diese nicht quantifizierbar. An häufigen 55131 Mainz der Patient davon klinisch (und laborchemisch) Nebenwirkungen traten gastrointestinale Be- www.unimedizin-mainz.de profitiert. Im Falle einer anhaltenden (6 Monate) schwerden, Müdigkeit, Gewichtsabnahme und ein HBsAg-Serokonversion oder eines Verlusts des vi- Anstieg des Bilirubins auf. Aktuell rekrutiert eine ■ Weitere Informationen rologischen oder biochemischen Ansprechens sollte Phase III Studie mit dieser Substanz. ein Behandlungsabbruch erwogen werden. Wie MYR GmbH lange die Therapie damit im klinischen Alltag in Fazit Thomasstr. 10-12 den meisten Fällen gegeben werden muss, ob sich 61348 Bad Homburg eine Mono- oder Kombinationstherapie, eventuell Hepatitis D stellt die schwerwiegendste Form der www.HepatitisDverstehen.de auch in einer höheren Dosierung (10 mg) durchset- chronischen Virushepatitis dar und geht mit einem zen wird und ob bei langfristiger Anwendung auch stark erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Le- Deutsche Leberhilfe e.V. bei mehr Patienten eine Ausheilung (inklusive HBs- berzirrhose, eines Leberversagens bzw. eines hepa- Krieler Str. 100 Serokonversion) möglich ist, ist aktuell noch nicht tozellulären Karzinoms einher. Die Grundlage für 50935 Köln ausreichend geklärt. Diese Fragen werden sehr eine HDV-Infektion ist das Vorhandensein einer www.leberhilfe.org wahrscheinlich durch Erfahrungen aus der klini- HBV-Infektion. Daher sollten alle HBsAg-positiven schen Praxis und den aktuell laufenden Phase IIb/III Patienten zumindest einmal auf HDV getestet wer- Deutsche Gesellschaft für Gastro Studien (Kombinationstherapie bestehend aus Bu- den. Mit dem Entry-Inhibitor Bulevirtid steht erst- enterologie, Verdauungs- und levirtid 2 mg oder 10 mg in Kombination mit PEG- mals eine zugelassene Therapie zur Verfügung. Stoffwechselkrankheiten e.V. IFN-α über 48 Wochen, gefolgt von einer Mono- Olivaer Platz 7 therapie mit Bulevirtid über 48 Wochen; Monothe- Literatur beim Verfasser Gebäude 44 rapie mit Bulevirtid 2 mg oder 10 mg über 96 bzw. 10707 Berlin 144 Wochen) beantwortet werden. www.dgvs.de Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2021 | 11
Anaphylaxien auf COVID-19 Impfstoffe Obwohl allergische Reaktionen auf mRNA COVID-19 Impfstoffe selten sind, ist durch die hohe Zahl der durchzuführenden Impfungen mit Ana- phylaxien bei Personen zu rechnen, die sich zuvor auf Impfstoffkomponen- ten sensibilisiert hatten. Daneben sind nicht IgE-vermittelte (pseudoaller- gische) Anaphylaxien denkbar, die beispielsweise durch Aktivierung des Komplementsystems möglich sind. Für die Akutbehandlung anaphylakti- scher Reaktionen spielt die Differenzierung in allergisch/immunologische oder nichtallergisch/nicht-immunologisch ausgelöste A naphylaxien keine Rolle. Einleitung tome bis zu 24 Stunden nach Abklingen der Sofortreaktion auftreten können. Die vermutete Ursache ist eine Abnahme der Medikamenten- Als Anaphylaxie bezeichnet man eine schwere Überempfindlichkeits- wirksamkeit bei fortgesetzter Allergenexposition. Auch primäre ver- reaktion mit potentiell tödlichem Verlauf. Sie tritt in der Regel im zögerte Reaktionen sind möglich, wie bei Allergien auf Säugetier- Rahmen der allergischen Sofortreaktion (Typ I, IgE-vermittelt) auf, fleisch, bei denen klinische Symptome erst Stunden nach der Aufnah- kann mehrere Organe gleichzeitig erfassen und sich auf den gesam- me auftreten. ten Organismus ausweiten. Allerdings sind auch nicht-IgE-vermittel- Nach eventuellen Prodromalzeichen manifestieren sich kutane Re- te Anaphylaxien bekannt: sog. pseudoallergische Anaphylaxien. aktionen in Form von Juckreiz, Rötung (‚flush’), Quaddelbildung und/ Die Therapie der Anaphylaxie erfordert unmittelbares Handeln und oder Schwellungen (Angioödem) an expositionsfernen Regionen. erfolgt in erster Linie symptomorientiert. Es existieren neben der ak- Auch die Schleimhäute können betroffen sein. Erstes Anzeichen eines tuellen deutschen Leitlinie zur Akutbehandlung der Anaphylaxie auch Kehlkopfödems kann eine heisere Stimme sein, eine Zungenschwel- internationale Richtlinien mit Handlungsempfehlungen. lung kann sich durch kloßige Sprache bemerkbar machen. Die Häufigkeit anaphylaktischer Reaktionen hat in den letzten Asthmatische Symptome treten als Folge der Bronchokonstriktion Jahren deutlich zugenommen. auf. Gastrointestinale Symptome manifestieren sich als krampfartige Die Inzidenz schwerer anaphylaktischer Reaktionen liegt in Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall bis hin zu unwill- Deutschland bei circa 4,5 pro 100.000 Einwohner. Die tatsächlichen kürlicher Defäkation. Bei urogenitalen Manifestationen können Ute- Zahlen liegen wahrscheinlich deutlich höher, da aufgrund nicht ge- ruskrämpfe, Harndrang und unwillkürlicher Harnabgang auftreten. meldeter Fälle oder uneinheitlicher ICD-10-Kodierungen von einer Im dramatischsten Fall ist ein Herz-Kreislauf-Stillstand die Folge. hohen Dunkelziffer auszugehen ist. Eine ZNS-Beteiligung kann in Form von Unruhe, Aggressivität, Kopf- schmerzen und Bewusstseinsstörungen bis hin zu Krämpfen und Be- Einteilung und Symptome wusstlosigkeit auftreten. Die Einteilung des Schweregrades der Anaphylaxie erfolgt entspre- Medikamente als Auslöser von Anaphylaxien chend der Empfehlung von Ring und Messmer in die Schweregrade I-IV. Charakteristischerweise betrifft die Anaphylaxie die Haut, die Unter den Medikamenten sind die häufigsten Auslöser NSAR (nicht Atemwege, das Herz-Kreislauf- steroidale Antirheumatika) und im Besonderen Diclofenac, ASS und System und den Gastrointestinal- Ibuprofen, darüber hinaus β-Lactam-Antibiotika (Penicilline und Ce- trakt; das ZNS und der Urogenital- phalosporine). Auch Präparate, die im Rahmen einer allergenspezifi- trakt können ebenfalls beteiligt schen Immuntherapie (AIT) verabreicht werden, Chemotherapeutika, sein. Alle denkbaren Varianten von Röntgen-Kontrastmittel, Blutprodukte und natürlich auch Impfpräpa- Verläufen sind möglich. Zum Bei- rate gehören zu den Substanzen, die häufiger Anaphylaxien auslösen. spiel kann ein leichtes Symptom wie Rhinorrhoe spontan abklingen Diagnostische Möglichkeiten bei Verdacht auf oder zu schweren Symptomen mit COVID-19 Impfstoffallergie Manifestationen in mehreren Or- ganen fortschreiten. Ebenso kann Eine gründliche Anamneseerhebung ist eine wichtige Voraussetzung, sich die Maximalvariante der Ana- um schwere Anaphylaxien zu vermeiden. phylaxie innerhalb kürzester Zeit Allergietests sollten in spezialisierten Allergiezentren durchgeführt ohne jegliche Prodromalzeichen werden. Haut-Prick-Tests mit Polyethylenglykol (PEG) können sehr entwickeln. vorsichtig mit Verdünnungen von 0,001 - 10 % durchgeführt werden, Professor Dr. med. In 20 % der Fälle nimmt die mit 30-minütiger Beobachtung nach jedem Dosierungsschritt. Da Ludger Klimek Anaphylaxie einen lebensbedrohli- spekuliert wird, dass der individuelle Schwellenwert für positive Re- chen Verlauf, wobei erneute Symp- aktionen auf PEG mit unterschiedlichem Molekulargewicht variiert, 12 | Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2021
sollte die Testung mit PEGs mit einem Molekulargewicht von 2000 g/ gegen Beschwerden an allen betroffenen Organsystemen wie Haut, mol, die in beiden Impfstoffen verwendet werden, durchgeführt wer- Atemwege, Herz-Kreislauf und Gastrointestinaltrakt wirkt. Gemäß den und den veröffentlichten Algorithmen folgen. Identisches gilt für aktueller Leitlinie wird die Gabe von Adrenalin ab einem Anaphyla- Polysorbat als ein hoch kreuzreaktives Allergen zu PEG. xie-Schweregrad II (nach Ring und Messner) empfohlen. Bei vielen Hauttests sollten entweder vor oder frühestens 2 Wochen nach Auf- anaphylaktischen Reaktionen ist die intramuskuläre Applikation die treten der Überempfindlichkeitsreaktion durchgeführt werden. Zusätz- Therapie der Wahl: Einerseits ist eine i.m.-Applikation einfach in der lich können Basophilen-Aktivierungstests und ein Screening auf spezi- Anwendung, andererseits ist das Risiko schwerer kardialer Nebenwir- fisches IgE (auch IgG und IgM) gegen PEG im Blutserum bei Patienten kungen im Vergleich zur i.v.-Gabe deutlich geringer. Darüber hinaus mit Verdacht auf eine Allergie gegen Hilfsstoffe des Impfstoffs erfol- wirkt intramuskulär verabreichtes Adrenalin – im Gegensatz zur sub- gen. Wenn eine PEG-Allergie bestätigt werden kann, sollte unbedingt kutanen Applikation - ohne zeitliche Verzögerung. Letztere wird aus ein Notfallset verschrieben und bereitgestellt werden. In einigen Fällen diesem Grund nicht mehr empfohlen. kann bei Bedarf ein oraler Provokationstest durchgeführt werden. Adrenalin wirkt über α-Rezeptor-gesteuerte Vasokonstriktion di- Trometamol als Kontaktsensibilisator wird normalerweise epikutan rekt den Ursachen des Schockgeschehens (erhöhte Kapillarpermeabi- auf allergische Reaktionen vom verzögerten Typ getestet. Bei Ver- lität und Vasodilatation) entgegen. dacht auf Typ-1-Reaktionen kann ein Hautpricktest (Konzentration Die ß1-mimetische Aktivität hat direkte kardiale Wirkungen und 1:1) mit anschließender intradermaler Testung mit Verdünnungen führt zu erhöhter Schlagfrequenz und Schlagkraft. Des Weiteren füh- von Trometamol von 1:1000-1:10 durchgeführt werden. ren die ß2-Rezeptorwirkungen zu einer Bronchodilatation. Adrenalin Obwohl allergische Reaktionen auf mRNA-1273-Komponenten stellt somit das wichtigste Notfallmedikament für die Behandlung der wie PEG und Trometamol nicht häufig berichtet wurden, ist allein Anaphylaxie dar. durch die hohe Zahl an Impflingen bei Verabreichung der Impfstoffe für COVID-19 mit Anaphylaxien bei Personen zu rechnen, die zuvor ß-Sympathomimetika auf die Komponenten der Impfstoffe sensibilisiert wurden, insbeson- dere auf PEG und PEG-Analoga und kreuzallergene Substanzen (v.a. Der Einsatz von inhalativen kurzwirksamen ß2-Sympathomimetika Polysorbat) sowie auf Trometamol im Fall von mRNA-1273. (z. B. Fenoterol, Salbutamol) hat einen wichtigen Stellenwert bei der Behandlung des allergischen Asthmas. Bei Vorherrschen einer Bron- Augmentationsfaktoren einer Anaphylaxie chokonstriktion im Rahmen der anaphylaktischen Reaktion können initial 2-4 Hübe verabreicht werden. Bestimmte Faktoren können eine Anaphylaxie verstärken oder, bei Zusammentreffen mehrerer Faktoren, eine Anaphylaxie auslösen. Fol- Antihistaminika gende Augmentationsfaktoren sind bekannt: • Körperliche Belastung Antihistaminika sind ein weiterer Bestandteil der leitliniengerechten • Infekte Anaphylaxie-Behandlung. Sie blockieren mehr oder weniger selektiv • Medikamente die Histamin-1-Rezeptoren an den Zellwänden. • Alkohol Antihistaminika der ersten Generation wirken Histaminrezeptor- • Mastozytose unspezifisch und haben anticholinerge Wirkung. Sie passieren die • Psychogene Faktoren (z .B. Stress) Blut-Hirn-Schranke, was der Grund ist für ihre zentralen Nebenwir- • Hormonelle Faktoren (z. B. Menstruation) kungen wie Müdigkeit, Schläfrigkeit und Schwindel. Für die Akutthe- rapie der Anaphylaxie sind zur intravenösen Gabe nur Clemastin (Ta- Unterbrechung der Allergenzufuhr vegil®) und Dimetinden (Fenistil®) zugelassen. Erster Schritt in der konsequenten Behandlung der Anaphylaxie soll- te, sofern umsetzbar, das Entfernen bzw. die Unterbrechung der Zu- fuhr des vermuteten auslösenden Allergens sein. Anfordern von Hilfe Praktische Hilfen und Hinweise für Patienten Umgehend sollten zusätzliche Helfer herbeigerufen werden. Dies kann Die Anwendung des Adrenalin-Autoinjektors (AAI) sollte regelmä- im Einzelfall durch die Alarmierung eines Rettungsdienstes erfolgen. ßig geübt werden, damit jeder Handgriff zur Routine wird. AAI-sind als Trainingsgeräte ohne Wirkstoff von allen Herstellern kostenlos Monitoring erhältlich. Patienten sollten in der korrekten Handhabung des Auto- injektors geübt und geschult sein. Die Arbeitsgemeinschaft Ana- Um im Verlauf eine Verschlechterung des klinischen Zustandes eines phylaxie – Training und Edukation e.V. (AGATE) bietet regelmäßig Patienten rechtzeitig zu erkennen, ist ein kontinuierliches Monitoring Schulungen für Patienten und Angehörige an. der Vitalparameter essentiell. Diese umfassen Herzfrequenz (HF), Patienten sollten immer den gleichen Adrenalin-Autoinjektor er- Blutdruck (RR), Atemfrequenz (AF) sowie im erweiterten Sinn Haut- halten, mit dessen Anwendung sie und ihr persönliches Umfeld wie kolorit bzw. Auftreten von Hauterscheinungen. Eltern, Betreuungspersonal, Lehrer, Kollegen und Freunde vertraut sind. Einsatz von Notfallmedikamenten Für die betroffenen Patienten sollte der Adrenalin-Autoinjektor ein selbstverständlicher Begleiter sein. Die Injektion von Adrenalin Adrenalin bei einer Anaphylaxie kann lebensrettend sein. Jede Minute zählt! Bei den ersten sicheren Anzeichen einer Anaphylaxie sollte dieser Schwere systemische allergische Reaktionen erfordern die zügige eingesetzt werden. Gabe von Adrenalin. Adrenalin ist das einzige Medikament, welches Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2021 | 13
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