Maligne Tumoren Lokal wirksame Verfahren - Das informative Medizinmagazin - Forum Sanitas

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Maligne Tumoren Lokal wirksame Verfahren - Das informative Medizinmagazin - Forum Sanitas
Forum Sanitas

                                                                             2. Ausgabe 2021
Das informative Medizinmagazin

                                                                             3,50 Euro
                                              Maligne Tumoren
                                              Lokal wirksame Verfahren

■ Neurologie          ■ C-reaktives Protein           ■ Allergologie
| Multiple Sklerose   | Biomarker Sepsis              | Beta-Lactoglobulin
| Narkolepsie         | CRP-Apherese                  | Anaphylaxien
Maligne Tumoren Lokal wirksame Verfahren - Das informative Medizinmagazin - Forum Sanitas
Inhalt
3    ■ Die erworbene Hemmkörper-
     Hämophilie                                                                                                                 Mit mineralölfreien Farben
     Prof. Dr. med. Johannes ­Oldenburg                                                                              alkoholfrei und klimaneutral drucken.
     Dr. med. Georg Goldmann                                                                                                   Unsere Druckverfahren halten
                                                                                                                            qualitätsgeprüfte Standards ein.
6    ■ Kutane Lymphome                                                                                         Durch die Kombination von neuester Technik
     Priv.-Doz. Dr. med. Marion Wobser                                                                              und ökologischen Materialien sowie dem
9     ■ Hepatitis D – Die schwerste                                                                              ­Vorhalten wegweisender Umweltzertifikate
      Form der chronischen
     ­Virus­hepatitis                                                       Liebe                        ­erfüllen wir ­unseren Anspruch, bei besten Druck-
                                                                                                             ergebnissen Mensch und Umwelt zu schützen.

                                                                            Leser,
     Prof. Dr. med. Marcus-Alexander                                                                                                     www.bonifatius.de
     Wörns
12 ■ Anaphylaxien auf COVID-19
   Impfstoffe
   Prof. Dr. med. Ludger Klimek
                                          bösartige Tumoren sind nach Herz-Kreislauf-Erkran-
15 ■ Therapeutischer Einsatz von          kungen die zweithäufigste Todesursache in Deutsch-
   Kaltplasma
   Prof. Dr. med. Steffen Emmert
                                          land. Nach einer Schätzung des Robert Koch-Insti-                                                   Impressum
                                          tuts wurden bereits 2016 rund 492.000 Krebser-
                                                                                                                                           Forum Sanitas
18 ■ Lokale Strahlentherapie zur          krankungen diagnostiziert. Im Jahre 2019 verstarben              erscheint alle drei Monate, Auflage: 34.000 Ex.
   Behandlung von Lebermetastasen         laut Informationen des Statistischen Bundesamtes
   Dr. med. Jens Czyborra-Brinkmann       rund 231.300 Menschen an den Folgen einer Krebs-                   Forum Sanitas liegt der Landesbibliothek der
                                                                                                              Westfälischen Wilhelms Universität Münster
21 ■ Medizinisch-physikalische            erkrankung. Ein Fünftel aller Verstorbenen hatte das
                                                                                                                                    als Pflichtlektüre vor.
    Grundlagen der                        65. Lebensjahr noch nicht erreicht.
   ­Radioembolisation mit Ho-166                                                                                                             Herausgeber
   Priv.-Doz. Dr. rer. nat. habil.        Der Entstehung von malignen Tumorerkrankungen                       Verlag für Public Relations und Printmedien
   Robert Freudenberg                                                                                                             www.forum-sanitas.com
                                          liegen multifaktorielle Ursachen zugrunde (z. B. vi-                                   info@forum-sanitas.com
22 ■ Multiple Sklerose                    rale Infektionen, Umweltnoxen und/oder genetische
   Therapieoption B-Zell                                                                                                              Redaktionelle Leitung
                                          Disposition). Dabei spielt das Immunsystem eine                                                 Birgit Reckendorf
   depletierende Antikörper               wesentliche Rolle: Immundefizienzzustände führen
   Prof. Dr. med. Simon Faissner                                                                                                     Redaktionelle Mitarbeit
                                          zu gestörten körpereigenen Reparaturmechanismen,
   Prof. Dr. med. Ralf Gold                                                                       Prof. Dr. med. K. R. Aigner; Dr. med. J. Czyborra-Brinkmann
                                          was das unkontrollierte Zell-Wachstum begünstigen                   Prof. Dr. med. S. Emmert; Prof. Dr. med. A. Faridi
25 ■ C-reaktives Protein: Neue            kann. Maligne Tumoren entstehen aus Milliarden          Priv-Doz. Dr. rer. nat. R. Freudenberg; Dr. med. G. Goldmann
    Erkenntnisse zu der dunklen           entarteter Zellen und infiltrieren destruktiv das um-                                 Priv-Doz. Dr. med. M. Gründling
    Seite dieses prähistorischen                                                                   Prof. Dr. med. E. Jensen-Jarolim; Prof. Dr. med. U. Kallweit
                                          liegende Gewebe. Viele Krebsarten sind mit einer
   ­Antikörpers                                                                                   Prof. Dr. med. L. Klimek; Prof. Dr. med. J. A. Kremer Hovinga
   Dr. med. Wolfgang Ries                 Metastasenbildung assoziiert. Die Behandlung kor-
                                                                                                                              Dr. med. M. Kurz; Dr. med. W. Ries
                                          reliert mit der gestellten Diagnose und besteht aus             Prof. Dr. Dr. med. P. Sieg; Prof. Dr. med. J. Volkmann
28 ■ Sepsis                               der operativen Tumorentfernung, gegebenenfalls in
   Priv.-Doz. Dr. med. habil.                                                                      Priv.-Doz. Dr. med. M. Wobser; Prof. Dr. med. M.-A. Wörns
   Matthias Gründling                     Kombination mit Strahlen- und Chemotherapie.                                                           Layout
                                                                                                         Bonifatius GmbH, Druck|Buch|Verlag, Paderborn
31 ■ Die Narkolepsie                      Bei bestimmten Tumoren können dem Patienten lo-                   Jessica Gutzeit, Michael Meermeyer|prepress
   Prof. Dr. med. Ulf Kallweit            kal begrenzte Therapieoptionen vorgeschlagen wer-                                  forum-sanitas@bonifatius.de
   Dr. rer. nat. Annika Triller           den. Lokal-ablative Verfahren werden gewählt,                                    Bildredaktion|Bildbearbeitung
34 ■ Saisonale und perinneale             wenn inoperable Metastasen vorliegen oder wenn                               Jessica Gutzeit, Michael Meermeyer
   ­Allergie                              der Allgemeinzustand des Patienten eine Resektion
   Priv. Doz. Dr. Franziska Roth-Walter                                                                                                    Webdesign
                                          nicht erlaubt. Bei der Elektrochemotherapie wird die                     Heiko Garzosch, www.hg-webdesign.de
   Univ.-Prof. Dr. med. Erika             Verabreichung eines niedrig dosierten Chemothera-
   Jensen-­Jarolim                                                                                                          Webmaster|Internetservice
                                          peutikums mit einem direkt in den Tumor applizier-             Heiko Garzosch, h.garzosch@forum-sanitas.com
37 ■ Das trockene Auge                    ten elektrischen Impuls kombiniert. Bei der selekti-
   Prof. Dr. med. Peter Sieg                                                                                                            Bezug|Verteilung
                                          ven internen Radiotherapie, einem nuklearmedizini-                                                   Lesezirkel
   Dr. med. Maximilian Kurz
                                          schen Verfahren, bringt der Operateur therapeutisch                        Abonnenten-Service Bonifatius GmbH
40 ■ Die Therapie solider Tumoren         radioaktive Mikrosphären regionär in die Leber ein.                           christine.boeddeker@bonifatius.de
   mit Elektroporation                                                                                                                            Titelbild
   Prof. Dr. med. Karl Aigner             Diese weniger invasiven lokalen Verfahren ergänzen                                   Medias Klinikum Burghausen
43 ■ Tiefe Hirnstimulation                und erweitern bei verschiedenen Tumorerkrankun-
                                                                                                                                                    Copyright
   Prof. Dr. med. Jens Volkmann           gen die medikamentös-systemischen und chirurgi-                    Verlag für PR und Printmedien, Birgit Reckendorf.
                                          schen Therapieansätze. Den meisten von einer                        Nachdrucke und Vervielfältigungen jedweder Art
46 ■ Reduktionsplastik und
   ­Mastopexie                            Krebserkrankung betroffenen Patienten kann heut-                        sind – auch lediglich auszugsweise – nur mit
   Prof. Dr. med. Andree Faridi           zutage eine gute Prognose gestellt werden.                     ­Genehmigung der Chefredaktion oder der jeweiligen
                                                                                                      ­Autoren gestattet und gegebenenfalls honorarpflichtig.
49 ■ Die thrombotisch thrombo-                                        B. Reckendorf                ­Artikel, die namentlich gekennzeichnet sind, stellen nicht
    zytopenische Purpura                                              Redaktionelle Leitung                       in jedem Fall die Meinung der Redaktion dar.
   Prof. Dr. med. Johanna Anna                                                                                    Für unverlangt eingesandte Manuskripte und
   ­Kremer Hovinga                                                                                              Bild­material wird keine Haftung übernommen.

     2 | Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2021
Maligne Tumoren Lokal wirksame Verfahren - Das informative Medizinmagazin - Forum Sanitas
Die erworbene
Hemmkörper-
Hämophilie
Für die von einer erworbenen Hemmkörper-Hämophilie betroffenen Patien-
ten ist eine sichere und zuverlässige Diagnostik unter Umständen lebensret-
tend, denn die „erworbene Hämophilie A“ ist zwar eine seltene aber sehr
gefährliche Erkrankung. Der Körper des Menschen ist grundsätzlich darauf
ausgerichtet, sowohl blutende Wunden zu stillen, als auch Verstopfungen
der Blutgefäße (Thrombosen oder Embolien) zu vermeiden. Dafür verant-
wortlich sind die Blutplättchen sowie verschiedene Eiweiße: die sogenann-
ten „Gerinnungsfaktoren“. Bei der erworbenen Hämophilie bilden die
­Patienten Antikörper gegen die körpereigenen Gerinnungsfaktoren.

Einleitung                                              Klinisches Bild

Die Antikörper führen dazu, dass das Gerinnungs-        Das klinische Erscheinungsbild einschließlich
system nicht mehr ausreichend funktioniert und          schwerer Blutungssymptome korreliert meist nicht
selbst kleine Verletzungen oder Traumata schwerste      mit Laborparametern oder dem Antikörpertiter. Da
- zum Teil lebensbedrohliche Blutungen – nach sich      es sich zumeist um ältere Patienten handelt, kön-
ziehen können. Somit ist diese Blutgerinnungsstö-       nen andere Grund- und Begleiterkrankungen das
rung eine Autoimmunerkrankung, bei der Patienten        klinische Bild zusätzlich verschleiern und die Be-
Hemmkörper in Form von Auto-Antikörpern gegen           handlungsstrategie beeinflussen. Viele ältere be-
einen körpereigenen Gerinnungsfaktor bilden. Am         troffene Patienten weisen oftmals auch noch ande-
häufigsten treten Antikörper gegen den Gerin-           re Erkrankungen aus dem rheumatischen Formen-
nungsfaktor VIII (FVIII) auf, in sehr seltenen Fällen   kreis oder sogar bösartige Tumoren auf. Oft werden
jedoch auch gegen andere Gerinnungsfaktoren, wie        diese Erkrankungen erst im Rahmen der Hemmkör-
etwa den Faktor IX (FIX), den von-Willebrand-Fak-       perdiagnostik entdeckt. Allerdings kann eine er-
tor (VWF), aber auch Kombinationen sind bekannt.        worbene Hemmkörper-Hämophilie auch bei jünge-
Die Erkrankung äußert sich in plötzlich auftreten-      ren Menschen auftreten, so zum Beispiel bei Frau-
den, häufig lebensbedrohlichen Blutungen. Die er-       en nach der Entbindung, was oftmals fehldiagnos-
worbene Hämophilie weist eine jährliche Häufigkeit      tiziert wird. Eine solche Blutung muss unbedingt
von etwa zwei Patienten pro einer Million Men-          rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Insbe-
schen auf. Männer und Frauen haben das gleiche          sondere bei plötzlich auftretenden ungewöhnli-
Risiko zu erkranken; die Hemmkörper-Hämophilie          chen Blutungen sollte sofort an eine erworbene
tritt familiär nicht gehäuft auf. Unbehandelt ver-      Hämophilie gedacht werden, vor allem wenn es in           Prof. Dr. med. Johannes
läuft diese Erkrankung bei mehr als 22 Prozent der      der eigenen oder der familiären Krankheitsge-             ­Oldenburg
Betroffenen tödlich. Deshalb sind eine zügige und       schichte des Patienten keinerlei Hinweise auf eine
sichere Diagnosestellung sowie die entsprechende        Blutungsneigung gibt. Stark ausgeprägte Bluter-
Behandlung für die Prognose und langfristige The-       güsse, lange anhaltende Blutungen nach operati-
rapie von größter Bedeutung. Anders als bei der an-     ven Eingriffen, Verletzungen oder Entbindungen
geborenen Hämophilie ist das klinische Bild der er-     oder ein plötzlich auftretender blutiger Urin kön-
worbenen Hämophilie vielfältig und bei jedem Pati-      nen erste Hinweiszeichen sein.
enten individuell unterschiedlich. Charakteristische
Anzeichen sind anhaltende Blutungen nach Opera-         Auffällige Symptome bei erworbener Hemmkörper-
tionen und nach Entbindungen sowie Magen-,              Hämophilie:
Darm- und Blasenblutungen sowie Blutungen in die
Bauchhöhle. Typisch sind auch große, flächenhafte       • Hämatome ohne vorausgegangenes Trauma
Haut- und Weichteilblutungen sowie Muskelblu-           • Hämatome nach Bagatelltraumen
tungen. Gerade die Muskelblutungen können dabei         • Hämatome die ungewöhnlich groß sind
sehr schmerzhaft sein und zu Bewegungsausfällen         • Hämatome ohne Hämatomneigung in der Ver-
führen. Gefährlich wird es, wenn man solche Blu-           gangenheit
tungen durch operative Maßnahmen entlasten will,        • Hämatome ohne die Einnahme prädisponierender
ohne dem betroffenen Patienten vorher Gerin-               Medikamente (z. B. Aspirin, Marcumar, andere           Dr. med. Georg Goldmann
nungsfaktoren gegeben zu haben.                            Blutverdünner)

                                                                          Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2021 | 3
Maligne Tumoren Lokal wirksame Verfahren - Das informative Medizinmagazin - Forum Sanitas
Tab. 1:
                                                                                         Beeinflussung des Gerinnungstests
   Neue orale Antikoagulanzien (DOACs) sind direkte Thrombininhi-
                                                                                                   durch DOACs
  bitoren und Faktor Xa-Antagonisten. DOACs werden immer häufi-
    ger zur Langzeitantikoagulation bei Patienten mit nicht valvulä-
  rem Vorhofflimmern oder venösen Thrombembolien eingesetzt. Zu
      den klassischen Vitamin-K-Antagonisten bieten DOACs einige
     Vorteile. Monitoring oder Dosisanpassungen zu Therapiebeginn
  können in der Regel genauso wie die überlappende Einstellung mit
     Heparin bis zum Erreichen der therapeutischen Wirkung wegen
                des schnellen Wirkungseintritts der DOACs entfallen.

Fallbeispiel

Die Vorstellung im Notfallzentrum der Klinik er-
folgte bei dem älteren Patienten aufgrund einer         • Starke Nachblutungsneigung nach klei-      nen Gerinnungsfaktoren zu gewöhnen
größflächigen Gesäßeinblutung unter Therapie               nen Verletzungen                           bzw. den Hemmkörper mittels starker im-
mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOACs)            • Starkes Nasen- oder Zahnfleischbluten      munwirksamer Medikamente und ggf.
nach Sturzereignis. Die ersten Laboruntersuchgen                                                      Blutwäschen zu eliminieren. Im Rahmen
zeigten eine starke Verlängerung der aktivierten        Bei sehr starken Einblutungen unter oraler    dieser sogenannten immunsuppressiven
partiellen Thromboplastinzeit (aPTT), bei unauffäl-     Antikoagulation („blutverdünnende“ Be-        Therapie kommen vor allem Cortison-hal-
ligem Laborwert für die international normalisier-      handlung durch Gabe von gerinnungs-           tige Medikamente sowie zytostatisch
te Ratio (INR), einem standardisierten Verfahren        hemmenden Medikamenten) sollte auch           wirksame Substanzen aus der Krebsthera-
zur Prüfung des extrinsischen Systems der Blutge-       immer an das Vorliegen einer erworbenen       pie wie z. B. Cyclophosphamid zum Ein-
rinnung. Das direkte orale Antikoagulanz wurde          Blutgerinnungsstörung wie zum Beispiel        satz. Daneben gibt es auch gute Erfolge
sofort pausiert. Da direkte orale Antikoagulanzien      eine Hemmkörper-Hämophilie gedacht            mit dem Einsatz von Rituximab, einem
(DOACs) die meisten herkömmlichen Gerinnungs-           werden. Vor Beginn einer jeden Therapie       biotechnologisch hergestellten Antikör-
tests (Tab. 1) wie zum Beispiel die international       mit Antikoagulantien müssen pathologi-        per, der als Wirkstoff in der Therapie des
normalisierte Ratio (INR) oder die aktivierte parti-    sche Gerinnungswerte labordiagnostisch        Lymphdrüsenkarzinoms Anwendung fin-
elle Thromboplastinzeit (aPTT) beeinflussen kön-        abgeklärt werden.                             det. Im Falle einer nicht lebensbedrohli-
nen, wurden zum differentialdiagnostischen Aus-                                                       chen Blutung kann unter enger ärztlicher
schluss möglicher anderer Ursachen für die Hä-          Therapieoptionen                              Kontrolle auch zunächst mit einer der
matomneigung bzw. Verlängerung der aktivierten                                                        oben genannten reinen immunsuppressi-
partiellen Thromboplastinzeit (aPTT) bei dem Pati-      Im Falle der akuten, lebensbedrohenden        ven Therapien begonnen werden. Um die
enten weitere spezielle Gerinnungsuntersuchun-          Blutung wird in der Regel umgehend eine       sehr komplizierte und vielfältige Behand-
gen angeschlossen. Hierbei zeigte sich, dass nicht      blutstillende Therapie mit speziellen Ge-     lung der erworbenen Hämophilie zu ver-
das direkte orale Antikoagulanz ursächlich für die      rinnungsfaktorpräparaten (Tab.2) einge-       einfachen und zu vereinheitlichen, wur-
starke Blutungsneigung war, sondern bei dem Pa-         leitet. Hierzu kommen hochpotente Faktor      den von einer internationalen Forscher-
tienten eine sogenannte erworbene Hemmkörper-           VIIa und aktivierte Prothrombinkonzen­        gruppe Empfehlungen zur Therapie dieser
Hämophilie gegen den Gerinnungsfaktor VIII vor-         trate sowie ein porcines Faktor VIII-Präpa-   seltenen Erkrankung aufgestellt (Interna-
lag. Der Faktor VIII zeigte eine Restaktivität von <    rat zur Anwendung. Daneben werden vor         tional recommendations on the diagnosis
1 %, bei gleichzeitigem Nachweis eines Inhibitors       allem bei niedrigeren Hemmkörperaktivi-       and treatment of acquired hemophilia A ,
gegen den Faktor VIII von 38 Bethesda-Einheiten/        täten auch gute Erfolge mit der Anwen-        Tiede A. et al. Haematologica 2020, Vol.
mL.                                                     dung von zumeist aus Plasma gewonne-          105 No. 7 (2020): July, 2020).
                                                        nen Faktor VIII-Präparaten mit hohem von         Wenn nicht gerade ein bösartiges Tu-
                                                        Willebrand-Faktor-Anteil erzielt. Das hat     morgeschehen (Abb.2) die Ursache einer
                                                        zudem den Vorteil, dass die Faktor VIII-      Hemmkörperbildung ist und die Patienten
                                                        Aktivität gemessen und damit die Thera-       möglichst früh adäquat behandelt wer-
                                                        pie individuell gesteuert werden kann.        den, sind die Chancen, die Erkrankung
                                                        Alle oben genannten Medikamente müs-          heilen zu können relativ gut. Oft ist es
                                                        sen dem Patienten als Injektion verab-        aber leider so, dass trotz auffälliger Blu-
                                                        reicht werden und führen in der Regel zu      tungssymptome viel zu spät an das Vorlie-
                                                        einer schnellen Besserung der Blutungs-       gen einer erworbenen Hemmkörper-Hä-
                                                        symptomatik. Außerdem wird der Einsatz        mophilie gedacht wird, weil diese beson-
                                                        eines bispezifischen Antikörpers, der         dere Blutgerinnungsstörung sehr selten
                                                        schon zur Behandlung der Hämophilie A         und damit relativ unbekannt ist. Um im
                                                        (mit und ohne Inhibitoren) zugelassen ist,    Falle neu aufgetretener und für den Pati-
                                                        in Fachkreisen diskutiert.                    enten unerklärlicher Hämatome das Vor-
                                                           Gleichzeitig versucht man das Immun-       liegen eines Hemmkörpers auszuschlie-
                                                        system des Patienten wieder an die eige-      ßen, reichen oft einfache Gerinnungstests,

  4 | Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2021
Maligne Tumoren Lokal wirksame Verfahren - Das informative Medizinmagazin - Forum Sanitas
die auch problemlos und unkompliziert beim Haus-
arzt durchgeführt werden können. Bei Auffälligkei-
ten der Untersuchungsergebnisse muss umgehend
ein Gerinnungsspezialist, der Hämostaseologe,
konsultiert werden. Sollte sich die Diagnose bestä-
tigen, erfordert die Therapie einer erworbenen
Hemmkörper-Hämophilie in der Regel aufgrund
der Komplexität der Erkrankung als solche als auch
der oft älteren Patienten mit vielen Vor- bzw. Be-
gleiterkrankungen eine gemeinschaftliche, inter-
disziplinäre Betreuung, die in einer Universitätskli-
nik mit spezieller Expertise und Fachambulanz ge-
währleistet ist. Abschließend ist noch einmal zu
konstatieren, dass eine erworbene Hemmkörper-
Hämophilie eine äußerst seltene und nach Diag-
nostik relativ gut behandelbare Erkrankung ist. Das
Wiederauftreten eines Hemmkörpers nach erfolg-                                                                                           Tab. 2:
reicher Therapie ist eher selten, und am häufigsten                                                                       Quelle: Querschnitts-
mit einer dem Hemmkörper zugrundeliegenden              tik (24 Stunden/7 Tage) durchgeführt werden kön-            Leitlinien zur Therapie mit
Grunderkrankung assoziiert. Insofern sind auch          nen. Darüber hinaus besteht eine enge Kooperation               Blutkomponenten und
nach Abschluss der Therapie weitere Kontrollen          innerhalb des Klinikums, vor allem mit den inter-                      Plasmaderivaten
sinnvoll. Die meisten Hämatome haben jedoch in          nistischen und chirurgischen Kollegen.                             Gesamtnovelle 2020
der Regel eine andere und erklärbare Ursache, ins-                                                                          (Seite 133 von 289)
besondere wenn Patienten ohnehin gerinnungs-            Fazit
hemmende Medikamente einnehmen.
                                                        Eine erworbene Hemmkörper-Hämophilie ist ein
Das Hämophiliezentrum des Universitäts­                 seltenes Ereignis; die meisten Hämatome haben
klinikums Bonn                                          eine andere Ursache. Der Quickwert ist bei den
                                                        meisten Hemmkörper-Hämophilien normal und so-
Durch das Hämophiliezentrum des Universitätskli-        mit nicht zum Ausschluss einer erworbenen
nikums Bonn, dass in diesem Jahr sein fünfzigjähri-     Hemmkörper-Hämophilie geeignet! Die entschei-
ges Bestehen feiert, wurden bisher über 100 Pati-       dende Konstellation manifestiert sich durch einen
enten mit einer erworbenen Hemmkörper-Hämo-             normalen Quickwert mit isoliert verlängerter aPTT.
philie behandelt, was angesichts einer sehr selte-          Die Durchführung der gezielten Therapie sollte
nen Erkrankung eine große Anzahl von Patienten          optimalerweise in einem spezialisierten Therapie-
ist. Das Hämophiliezentrum der Universitätsklinik       zentrum erfolgen. Am besten geeignet sind soge-
Bonn ist ein Referenzzentrum für alle seltenen Ge-      nannte „Comprehensive Care Center“ die auf die
rinnungserkrankungen und insbesondere auf die           Behandlung von Blutgerinnungsstörungen spezia-
Therapie von Blutungsleiden spezialisiert. Zum Hä-      lisiert sind und somit die entsprechenden personel-
mophiliezentrum gehört ein hämostaseologisches          len und apparativen Voraussetzungen für dieses
Labor der Maximalversorgung, in dem alle Diagno-        komplizierte Krankheitsbild bieten.
se- und Therapie-relevanten Gerinnungsparameter
einschließlich Techniken zur Hemmkörperdiagnos-                                    Literatur beim Verfasser     Informationen
                                                                                                                ■ Universitätsklinikum Bonn
                                                                                                                Institut für Experimentelle Hämato­
                                                                                                                logie und Transfusionsmedizin
                                                                                                                Direktor Prof. Dr. med. Johannes
                                                                                                                ­Oldenburg
                                                                                                                 Oberarzt Dr. med. Georg Goldmann
                                                                                                                 Venusberg-Campus 1
                                                                                                                 53127 Bonn
                                                                                                                 Universitätsklinikum Bonn
                                                                                                                 www.ukbonn.de
           Abb. 2:
   Begleiterkran-                                                                                               ■ Weitere Informationen
      kungen von
    Patienten mit                                                                                               Deutsche Hämophiliegesellschaft
      erworbener                                                                                                www.dhg.de
      Hämophilie                                                                                                Interessengemeinschaft
 (Knoebl P et al. J                                                                                             Hämophilier e.V.
Thromb Haemost.                                                                                                 www.igh.info
2012; 10:622-31)                                                                                                www.grifols.com

                                                                          Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2021 | 5
Maligne Tumoren Lokal wirksame Verfahren - Das informative Medizinmagazin - Forum Sanitas
Kutane Lymphome
Zielgerichtete Therapie bei CD30 positiven Entitäten

Fallbericht

Ein 88-jähriger Patient stellte sich 2018 erstmals in unserer Lymphomsprechstunde vor. Seit ca. 2 Jahren habe er langsam
progrediente, allenfalls leicht juckende Hautveränderungen bemerkt. Klinisch fanden sich Patches und Plaques < 10 % KOF
(Stadium IA) mit histologischer Sicherung als MF. Eine systemische Beteiligung wurde ausgeschlossen. Unter einer Therapie
mit topischen Steroiden (Mometasonfuorat-Salbe) sowie einer additiven Lichttherapie (UVB311nm) zeigte sich nach initial
gutem Ansprechen im Jahre 2019 ein kutaner Progress mit erstmaligem Auftreten einzelner solitärer Tumorknoten (Stadium
IIB). Da sich unter einer Systemtherapie mit Methotrexat ein deutlicher Progress mit multiplen kutanen Tumoren zeigte, wur-
de auch in Anbetracht einer histologisch verifizierten großzelligen Transformation mit deutlicher CD30-Expression >60 %
eine Systemtherapie mit BV eingeleitet. Nach 3 Gaben BV in einer Dosierung von 1,8 mg/kg Körpergewicht alle 3 Wochen
zeigte sich eine klinische Remission sämtlicher vormaliger Tumoren. Auch histologisch fanden sich keine sicheren Hinweise
auf Restinfiltrate der Mycosis fungoides sämtlicher biopsierter Indexläsionen. Anamnestische oder klinische Hinweise auf eine
Neuropathie ergaben sich nicht. In partizipativer Entscheidungsfindung gemeinsam mit dem Patienten und seinen Angehöri-
gen wurde angesichts der kompletten Remission die Therapie mit BV beendet und eine Erhaltungstherapie mittels niedrig­
dosiertem Bexaroten sowie intermittierender Anwendung mit topischen Steroiden begonnen. Unter diesem Therapieregime
weist der Patient bei guter laborchemischer und klinischer Verträglichkeit lediglich einzelne Patches
Maligne Tumoren Lokal wirksame Verfahren - Das informative Medizinmagazin - Forum Sanitas
rekt im Tumor wirken.(16) So werden dem nach Tumorzelltod freige-
                                                                         setzten MMAE auch Effekte auf umgebende CD30-negative neoplas-
                                                                         tische Zellen sowie das Tumormikromilieu zugeschrieben
                                                                         (bystander-Effekt).(17,18)
                                                                             In der randomisierten klinischen Zulassungsstudie (ALCANZA) er-
                                                                         wies sich BV bei CD30-positiven Hautlymphomen der T-Zell-Reihe
                                                                         (MF, cALCL) hinsichtlich der Ansprechrate und des progressionsfreien
                                                                         Überlebens dem Vergleichsarm (physician´s choice: Methotrexat oder
                                                                         Bexaroten(19)) signifikant überlegen. Die Therapie mit BV erfolgte bei
Abb. 1: Mycosis fungoides (MF) mit Patches und Plaques (a) sowie         adäquater Verträglichkeit und Tumoransprechen in einer Dosierung
­Tumoren (b).                                                            von 1,8 mg/kg Körpergewicht alle 3 Wochen für insgesamt 16 Zyklen.
                                                                         Die mindestens 4 Monate währende Gesamtansprechrate (ORR4) be-
ten sind sowohl die Regulation von CD30 als auch dessen intrazellu-      trug bei Patienten in dem mit BV behandelten Arm 56,3 % versus
läre downstream Effekte beim Morbus Hodgkin und dem systemischen         12,5 % im Vergleichsarm. Besonders hohe Ansprechraten mit einer
ALCL erforscht. Nach Aktivierung des CD30-Rezeptors und Trimerisie-      ORR4 von 75 % waren in der Kohorte der Patienten mit cALCL zu
rung erfolgt eine intrazelluläre Signalgebung via TNFR-assoziierter      verzeichnen. Im Jahre 2017 wurde das Immunotoxin BV (Adcetris®) in
Faktoren und nachgeschalteter Signalwege (NFKB, MAPK), wobei in          Deutschland für alle CD30-positiven kutanen T-Zell-Lymphome zu-
Abhängigkeit vom jeweiligen Zellkontext und weiterer Stimuli zellulä-    gelassen. Allerdings konnte nur ein Teil der kutanen T-Zell-Lymphome
res Überleben und Proliferation entweder verstärkt oder gehemmt          im Rahmen der ALCANZA-Studie behandelt werden, da das primäre
werden können.(13) Die Expression und Heraufregulation von CD30 an       Einschlusskriterium der Studie eine CD30-Expression von ≥10 % der
der Zelloberfläche kann durch verschiedene Mechanismen wie z. B.         Tumorzellen war und zudem nur Patienten mit MF und cALCL, nicht
durch virale Infektion (EBV, HTLV-1), exogene Stimuli oder eine aber-    aber mit SS, LyP oder PTCL eingeschlossen waren.
rante intrazelluläre Signalgebung mit onkogenen Alterationen indu-           Diese speziellen Konstellationen wurden allerdings in weiteren kli-
ziert werden.(14,15) Bisher sind in kutanen Lymphomen die molekularen    nischen Studien der Phase II adressiert.(20,22) In Analogie zum cALCL
Ursachen für die heterogene CD30-Expression und die nachgeschalte-       mit entsprechend starker und konsistenter CD30-Expression wiesen
te intrazelluläre Signalgebung nicht entschlüsselt.                      auch Patienten mit LyP (teils in Assoziation mit einer MF oder einem
                                                                         cALCL) exzellente Ansprechraten gegenüber BV innerhalb weniger
3. CD30 als therapeutische Zielstruktur                                  Wochen auf. Die Ansprechdauer betrug bei Patienten mit LyP aller-
                                                                         dings nur 26 Wochen im Vergleich zu 32 Wochen bei der MF/SS. In-
Patienten mit fortgeschrittenen Krankheitsstadien der MF oder des SS     teressant und von unmittelbar therapieentscheidender Relevanz ist,
haben - bei deutlich reduzierter Lebensqualität – meist eine Lebens-     dass sich bei Patienten mit MF/SS auch bei niedriger CD30-Expressi-
erwartung von nur wenigen Jahren. Remissionen unter etablierten          on 50 % CD30-Exression im Tumorgewebe zeigte.(20) Bei
re in der Rezidivsituation oft nur kurz, und eine Heilung ist selbst     sehr geringer CD30-Expression von
Maligne Tumoren Lokal wirksame Verfahren - Das informative Medizinmagazin - Forum Sanitas
gleichsarm. Die Verbesserung der Lebensqualität unter einer Therapie           T-Zell-Lymphomen evaluiert. Aufgrund einer nachgewiesenen Ex-
       mit BV erwies sich dabei als weitgehend unabhängig von dem Auftre-             pression von CD30 auch in weiteren Lymphomsubtypen könnte eine
       ten einer Neuropathie(23). Meist ist die Neuropathie je nach Ausprä-           Behandlung mit BV auch bei diesen eine attraktive Therapieoption
       gung nach Pausieren bzw. Absetzen der Therapie wieder vollständig              sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn aufgrund der Seltenheit der
       reversibel oder bessert sich zumindest im Verlauf deutlich.                    jeweiligen Entität nur wenige erprobte Therapiemodalitäten zur Ver-
                                                                                      fügung stehen bzw. sich in der Vergangenheit als ineffektiv oder nur
       4. Ausblick                                                                    von kurzer Remissionsdauer erwiesen haben, jedoch ein aggressiver
                                                                                      biologischer Verlauf der Lymphomerkrankung bekannt ist. Vor diesem
       Der Zulassungsstatus von BV in Deutschland umfasst die Zweitlinien-            Hintergrund sind therapeutische Erfolge von BV auch beim meist ag-
       behandlung aller CD30-positiver kutaner T-Zell-Lymphome. In klini-             gressiv verlaufenden Gammadelta-T-Zell-Lymphom(24) oder beim ag-
       schen Studien ist bisher neben der MF, dem SS und den CD30-positi-             gressiven CD8-positiven epidermotropen T-Zell-Lymphom(25) berich-
       ven Lymphoproliferationen die Effektivität in (kutanen) peripheren             tet worden.

                                          5. Literatur
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       8 | Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2021
Maligne Tumoren Lokal wirksame Verfahren - Das informative Medizinmagazin - Forum Sanitas
Hepatitis D
Die schwerste Form der
­chronischen Virushepatitis

Das Hepatitis D Virus (HDV) ist ein inkomplettes, einzelsträngiges RNA-Virus, welches das
Hüllprotein (HBs-Antigen bzw. HBsAg) des Hepatitis B Virus (HBV) zur Replikation benö-
tigt, so dass eine HDV-Infektion nur in Verbindung mit einer HBV-Infektion vorkommen
kann. Es wird angenommen, dass weltweit ca. 5 % der chronisch HBV-Infizierten (ca. 250-
290 Millionen Menschen) mit HDV koinfiziert sind, so dass von mind. 12 Millionen Betrof-
fenen ausgegangen werden kann. Neuere Schätzungen gehen sogar von bis zu 70 Millionen
Betroffenen aus, basierend auf einer anzunehmend hohen Dunkelziffer, da häufig nicht auf
HDV getestet wird.

Insgesamt wird die HDV-Infektion als schwerwie-        bereits bestehenden chronischen HBV-Infektion.
gendste Form der chronischen Virushepatitis ange-      Im Gegensatz zur Simultaninfektion kommt es im
sehen und ist mit einem stark erhöhten Risiko für      Rahmen der Superinfektion fast immer zu einer
die Entwicklung einer Leberzirrhose (80 % inner-       Chronifizierung (>90 % vs.
Maligne Tumoren Lokal wirksame Verfahren - Das informative Medizinmagazin - Forum Sanitas
der Leberschädigung (Fibrose bzw. bereits eingetre-    tienten bei entsprechender Indikation die Möglich-
                                   tene Zirrhose), von der Höhe der Viruslast (HBV-       keit einer Lebertransplantation.
                                   DNA) und der Höhe der Leberwerte (insbesondere
                                   GPT/ALT) behandlungsbedürftig. Therapeutisch           Bulevirtid als erste zugelassene Therapie
                                   werden zumeist Nukleosid- bzw. Nukleotidanaloga        bei chronischer HDV-Infektion
                                   (NUCs, z. B. Entecavir oder Tenofovir) eingesetzt,
                                   die die HBV-Replikation hocheffektiv und vor allem     Mit dem Wirkstoff Bulevirtid (vormals Myrclu-
                                   auch sehr nebenwirkungsarm hemmen. Allerdings          dex B) wurde im Sommer 2020 erstmals ein antivi-
                                   führen diese oral verabreichten antiviralen Medi-      rales Medikament gegen HDV von der EMA (Euro-
                                   kamente nur äußerst selten zu einer funktionellen      pean Medicines Agency) zugelassen. HBV und HDV
                                   Ausheilung der chronischen HBV-Infektion (HBs-         gelangen über den Gallensäuren-Kotransporter
                                   Ag Verlust bzw. HBs-Serokonversion) und stellen        NTCP      (Natriumtaurocholat-cotransportierendes
                                   daher bei den meisten Patienten eine Dauerthera-       Polypeptid) via Bindung der N-terminalen Domäne
                                   pie dar. Im Gegensatz hierzu ist unter einer Thera-    des großen HBV Hüllproteins (L-HBsAg) in die Le-
                                   pie mit pegyliertem Interferon-alpha (PEG-IFN-α),      berzelle (Hepatozyt). Bulevirtid ist ein lineares,
                                   über 48 Wochen subkutan (s.c.) appliziert, bei eini-   chemisch synthetisiertes Peptid, welches aus (47
                                   gen wenigen Patienten mit entsprechender Indika-       Aminosäuren) der N-terminalen Domäne des L-
                                   tion auch eine funktionelle Ausheilung der HBV-        HBsAg stammt und myristoyliert ist. Es entfaltet
                                   Infektion möglich. In Bezug auf eine Interferon-       seine antivirale Wirkung, indem es an NTCP bindet,
                                   Therapie bestehen jedoch eine Reihe von Kontrain-      den Transporter damit blockiert, so dass keine Bin-
                                   dikationen (z. B. dekompensierte Leberzirrhose oder    dungsmöglichkeit mehr für HBV und HDV besteht.
                                   bestimmte psychiatrische Vorerkrankungen). Auch        Damit ist keine weitere Infektion von Hepatozyten
                                   wird die Behandlung von vielen Patienten nicht gut     und damit keine Virusausbreitung mehr möglich.
                                                                                          Aufgrund seines Wirkmechanismus wird Bulevirtid
                                                                                          als sogenannter Entry-Inhibitor (Eintrittsinhibitor)
                                                                                          bezeichnet. Bulevirtid ist laut Fachinformation zur
                                                                                          Behandlung von erwachsenen Patienten mit chro-
                                                                                          nischer HDV-Infektion (HDV-RNA positiv) und
                                                                                          kompensierter Lebererkrankung (also nicht bei de-
                                                                                          kompensierter Leberzirrhose) zugelassen und wird
                                                                                          einmal täglich in der Dosierung von 2 mg subcutan
                                                                                          mit einem Injektionsvolumen von 1 ml appliziert.
                                                                                          Hilfsmittel zur Auflösung des Pulvers und zur Injek-
                                                                                          tion (z. B. Einmalkanülen und -spritzen) müssen
                                                                                          dem Patienten entsprechend rezeptiert werden.
                                                                                             Grundlage der Zulassung waren vor allem die
                                                                                          Ergebnisse zweier Phase II Studien. Aufgrund der
                                                                                          konsekutiv aktuell noch eigenschränkten Datenla-
                                                                                          ge, handelt es sich zunächst um eine sogenannte
                                                                                          bedingte Arzneimittelzulassung (conditional mar-
                                                                                          keting authorisation). Im Rahmen der bisherigen
                                                                                          Studien wurde Bulevirtid u. a. auch in Kombination
                                                                                          mit Tenofovir untersucht. Dies ist wichtig, da die
                                                                                          gleichzeitige Gabe eines NUCs aufgrund der HBV-
                                                                                          Infektion im klinischen Alltag oftmals indiziert ist.
                                   vertragen (u. a. grippeähnliche Symptome, Blut-           Zunächst wurde Bulevirtid (2, 5 oder 10 mg) in
                                   bildveränderungen, psychische Nebenwirkungen).         Kombination mit Tenofovir im Rahmen einer multi-
                                      PEG-IFN-α wurde bislang auch zur Behandlung         zentrischen, offenen, randomisierten Phase II Stu-
                                   der chronischen HDV-Infektion eingesetzt, aller-       die untersucht. Nach 24 Wochen Therapie war bei
                                   dings handelt es sich hierbei um einen Off-Label-      55 von 90 Patienten (50.0-76.7 % je nach Dosie-
                                   Use, da keine Zulassung in Bezug auf die HDV-In-       rung) ein linearer Abfall der HDV-RNA um ≥ 2log10
                                   fektion vorliegt. Unter einer Therapie über 48 Wo-     IU/ml bzw. keine HDV-RNA mehr nachweisbar, im
                                   chen kann bei ca. 25-40 % der Patienten ein län-       Gegensatz zu einem einzigen von 28 Patienten
                                   gerfristiges       Therapieansprechen      (negative   (3.6 %) unter einer Tenofovir Monotherapie. Nach
                                   HDV-RNA 6 Monate nach Therapieende) verzeich-          Beendigung der Therapie kam es in allen Bulevirtid
                                   net werden, jedoch kommt es bei vielen Patienten,      Behandlungsarmen zu einem Wiederanstieg der
                                   die initial auf die Therapie angesprochen haben, zu    HDV-RNA. In einer weiteren Phase II Studie wurde
                                   einem Relapse der Erkrankung, insbesondere häufig      eine Bulevirtid Monotherapie (2 mg) über einen
                                   auch erst im späteren Verlauf. Eine Verlängerung       längeren Behandlungszeitraum von 48 Wochen
                                   der Therapiedauer auf 96 Wochen bzw. die Hinzu-        durchgeführt und mit einer Behandlung bestehend
                                   nahme eines NUCs (z. B. Adefovir oder Tenofovir)       aus Bulevirtid (2 oder 5 mg) in Kombination mit
                                   erbrachte keine Verbesserung, was die Ansprechra-      PEG-IFN-α bzw. einer PEG-IFN-α Monotherapie
                                   ten anging. Als ultima ratio besteht bei einigen Pa-   verglichen. Unter der Bulevirtid Monotherapie

10 | Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2021
zeigte sich das aus der erstgenannten Studie be-           Im Zusammenhang mit der anzunehmend län-
kannte Wirk- und Sicherheitsprofil, unter der Kom-      gerfristigen Applikation ist es umso wichtiger, dass
binationstherapie mit PEG-IFN-α war ein Synergis-       das Medikament bislang eine gute Verträglichkeit
mus in Bezug auf die lineare Abnahme der HDV-           zeigt. Neben Hautreaktionen an der Injektionsstelle
RNA zu verzeichnen. Zudem war 6 Monate nach             (entsprechend sollte die Einstichstelle täglich ge-
Therapieende bei deutlich mehr Patienten weiterhin      wechselt werden), ist häufig lediglich eine dem
keine HDV-RNA mehr nachweisbar (26.7-53.3 %)            Wirkmechanismus geschuldete, dosisabhängige,
als unter der Bulevirtid Monotherapie (6.7 %). Dar-     allerdings bislang asymptomatische und reversible
über hinaus zeigte sich unter der Kombinationsthe-      Erhöhung der Gallensalze (-säuren) zu verzeichnen.
rapie (Bulevirtid und PEG-IFN-α) im Gegensatz zur       Darüber hinaus waren milde und zum Teil unspezi-
Bulevirtid Monotherapie auch ein Ansprechen in          fische Symptome wie z. B. Blutbildveränderungen,
Bezug auf das HBsAg. Im Rahmen einer Erweite-           Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit,
rung dieser Studie wurde höher dosiertes Bulevirtid     Tachykardie, Hautausschlag oder Juckreiz zu ver-
(10 mg) in Kombination mit PEG-IFN-α bzw. Bule-         zeichnen. Leberwerte, HDV-RNA und HBV-DNA
virtid (2 x 5 mg) in Kombination mit Tenofovir über     sollten unter einer Bulevirtid Therapie initial alle
48 Wochen untersucht. Bei Therapieende zeigte           4 Wochen kontrolliert werden; im Verlauf ist ggf.
sich eine negative HDV-RNA bei 86.7 % der Patien-       eine Verlängerung des Kontrollintervalls auf 3 Mo-
ten in der Bulevirtid/PEG-IFN-α-Gruppe und bei          nate denkbar. Nach Absetzen von Bulevirtid kommt
40.0 % in der Bulevirtid/Tenofovir-Gruppe. Nach         es, wie bereits erwähnt, häufig zu einem Relapse
Beendigung der Therapie zeigt sich jedoch erneut        der Erkrankung mit wieder ansteigender HDV-RNA
bei einem großen Teil der Patienten ein Relapse der     und entsprechend erhöhten Leberwerten (ALT-An-
Erkrankung, wobei in dieser Studie bei mehr Pati-       stieg). Auch wenn es in den bisherigen Studien kei-
enten in der Bulevirtid/Tenofovir-Gruppe eine lang­     ne fulminanten Entzündungsschübe gab, muss in
anhaltende Virus-Suppression gelang (33.3 % vs.         dieser Zeit der Verlauf der Leberwerte, aber auch
6.7 %). Ebenso wie unter niedrig dosiertem Bule-        die HDV-RNA sowie die HBV-DNA engmaschig mo-
virtid zeigte sich unter Bulevirtid 10 mg nur in        nitoriert werden, insbesondere bei zirrhotischen
Kombination mit PEG-IFN-α ein HBsAg-Anspre-             Patienten.
chen. Zusammenfassend kommt es basierend auf
den bisherigen Studienergebnissen während der           Ausblick auf weitere Substanzen                         Informationen
Therapie bei vielen Patienten also langfristig zu ei-
ner deutlichen Abnahme bzw. Negativierung der           An weiteren Substanzen, die sich aktuell in der          ■ Prof. Dr. med. Marcus-
HDV-RNA und begleitend zu einer Verbesserung            Phase II/III befinden, sind der Prenylierungsinhibi-     Alexander Wörns
bzw. Normalisierung der Leberwerte (insbesondere        tor Lonafarnib, das Nukleinsäure-Polymer Rep 2139        Leitung der Leber-, Zirrhose- und
GPT/ALT). Unter einer Bulevirtid Monotherapie           sowie pegyliertes Interferon-lambda (IFN-λ) zu           ­Infektionsambulanz
(+/- Tenofovir) besteht ein dosisabhängiger Effekt,     nennen. Lonafarnib (hemmt die Freisetzung des             Leitung der HCC-Ambulanz
zudem zeigen sich unter einer Kombinationsthera-        Hepatitis D-Antigens durch Hemmung der Farnes-            Leitung der Onkologischen Ambulanz
pie mit PEG-IFN-α synergistische Effekte. Aktuell       yltransferase) wurde u. a. im Rahmen einer Phase II       Ärztliche Leitung des Cirrhose
wird insgesamt davon ausgegangen, dass es nach          Studie in Kombination mit Ritonavir und IFN-λ un-         ­Centrums Mainz (CCM)
Beendigung der Therapie bei den meisten Patienten       tersucht. Sechs Monate nach Beendigung der                 Universitätsmedizin der Johannes
zu einem Relapse der Erkrankung kommen wird.            24-wöchigen Therapie war bei 5 von 22 Patienten            ­Gutenberg-Universität Mainz
Daher lautet aktuell die Empfehlung, die Behand-        (23 %) weiterhin keine HDV-RNA mehr nachweis-               Langenbeckstrasse 1
lung mit Bulevirtid 2 mg so lange fortzusetzen, wie     bar bzw. diese nicht quantifizierbar. An häufigen           55131 Mainz
der Patient davon klinisch (und laborchemisch)          Nebenwirkungen traten gastrointestinale Be-                 www.unimedizin-mainz.de
profitiert. Im Falle einer anhaltenden (6 Monate)       schwerden, Müdigkeit, Gewichtsabnahme und ein
HBsAg-Serokonversion oder eines Verlusts des vi-        Anstieg des Bilirubins auf. Aktuell rekrutiert eine      ■ Weitere Informationen
rologischen oder biochemischen Ansprechens sollte       Phase III Studie mit dieser Substanz.
ein Behandlungsabbruch erwogen werden. Wie                                                                       MYR GmbH
lange die Therapie damit im klinischen Alltag in        Fazit                                                    Thomasstr. 10-12
den meisten Fällen gegeben werden muss, ob sich                                                                  61348 Bad Homburg
eine Mono- oder Kombinationstherapie, eventuell         Hepatitis D stellt die schwerwiegendste Form der         www.HepatitisDverstehen.de
auch in einer höheren Dosierung (10 mg) durchset-       chronischen Virushepatitis dar und geht mit einem
zen wird und ob bei langfristiger Anwendung auch        stark erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Le-      Deutsche Leberhilfe e.V.
bei mehr Patienten eine Ausheilung (inklusive HBs-      berzirrhose, eines Leberversagens bzw. eines hepa-       Krieler Str. 100
Serokonversion) möglich ist, ist aktuell noch nicht     tozellulären Karzinoms einher. Die Grundlage für         50935 Köln
ausreichend geklärt. Diese Fragen werden sehr           eine HDV-Infektion ist das Vorhandensein einer           www.leberhilfe.org
wahrscheinlich durch Erfahrungen aus der klini-         HBV-Infektion. Daher sollten alle HBsAg-positiven
schen Praxis und den aktuell laufenden Phase IIb/III    Patienten zumindest einmal auf HDV getestet wer-         Deutsche Gesellschaft für Gastro­
Studien (Kombinationstherapie bestehend aus Bu-         den. Mit dem Entry-Inhibitor Bulevirtid steht erst-      enterologie, Verdauungs- und
levirtid 2 mg oder 10 mg in Kombination mit PEG-        mals eine zugelassene Therapie zur Verfügung.            ­Stoffwechselkrankheiten e.V.
IFN-α über 48 Wochen, gefolgt von einer Mono-                                                                     Olivaer Platz 7
therapie mit Bulevirtid über 48 Wochen; Monothe-                                   Literatur beim Verfasser       Gebäude 44
rapie mit Bulevirtid 2 mg oder 10 mg über 96 bzw.                                                                 10707 Berlin
144 Wochen) beantwortet werden.                                                                                   www.dgvs.de

                                                                          Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2021 | 11
Anaphylaxien auf
                                                      COVID-19 Impfstoffe
                                                      Obwohl allergische Reaktionen auf mRNA COVID-19 Impfstoffe selten
                                                      sind, ist durch die hohe Zahl der durchzuführenden I­mpfungen mit Ana-
                                                      phylaxien bei Personen zu rechnen, die sich zuvor auf Impfstoffkomponen-
                                                      ten sensibilisiert hatten. Daneben sind nicht IgE-vermittelte (pseudoaller-
                                                      gische) Anaphylaxien denkbar, die beispielsweise durch Aktivierung des
                                                      Komplementsystems möglich sind. Für die Akutbehandlung anaphylakti-
                                                      scher Reaktionen spielt die Differenzierung in allergisch/immunologische
                                                      oder nichtallergisch/nicht-immunologisch ausgelöste A  ­ naphylaxien keine
                                                      Rolle.

Einleitung                                                               tome bis zu 24 Stunden nach Abklingen der Sofortreaktion auftreten
                                                                         können. Die vermutete Ursache ist eine Abnahme der Medikamenten-
Als Anaphylaxie bezeichnet man eine schwere Überempfindlichkeits-        wirksamkeit bei fortgesetzter Allergenexposition. Auch primäre ver-
reaktion mit potentiell tödlichem Verlauf. Sie tritt in der Regel im     zögerte Reaktionen sind möglich, wie bei Allergien auf Säugetier-
Rahmen der allergischen Sofortreaktion (Typ I, IgE-vermittelt) auf,      fleisch, bei denen klinische Symptome erst Stunden nach der Aufnah-
kann mehrere Organe gleichzeitig erfassen und sich auf den gesam-        me auftreten.
ten Organismus ausweiten. Allerdings sind auch nicht-IgE-vermittel-         Nach eventuellen Prodromalzeichen manifestieren sich kutane Re-
te Anaphylaxien bekannt: sog. pseudoallergische Anaphylaxien.            aktionen in Form von Juckreiz, Rötung (‚flush’), Quaddelbildung und/
   Die Therapie der Anaphylaxie erfordert unmittelbares Handeln und      oder Schwellungen (Angioödem) an expositionsfernen Regionen.
erfolgt in erster Linie symptomorientiert. Es existieren neben der ak-   Auch die Schleimhäute können betroffen sein. Erstes Anzeichen eines
tuellen deutschen Leitlinie zur Akutbehandlung der Anaphylaxie auch      Kehlkopfödems kann eine heisere Stimme sein, eine Zungenschwel-
internationale Richtlinien mit Handlungsempfehlungen.                    lung kann sich durch kloßige Sprache bemerkbar machen.
   Die Häufigkeit anaphylaktischer Reaktionen hat in den letzten            Asthmatische Symptome treten als Folge der Bronchokonstriktion
Jahren deutlich zugenommen.                                              auf. Gastrointestinale Symptome manifestieren sich als krampfartige
   Die Inzidenz schwerer anaphylaktischer Reaktionen liegt in            Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall bis hin zu unwill-
Deutschland bei circa 4,5 pro 100.000 Einwohner. Die tatsächlichen       kürlicher Defäkation. Bei urogenitalen Manifestationen können Ute-
Zahlen liegen wahrscheinlich deutlich höher, da aufgrund nicht ge-       ruskrämpfe, Harndrang und unwillkürlicher Harnabgang auftreten.
meldeter Fälle oder uneinheitlicher ICD-10-Kodierungen von einer            Im dramatischsten Fall ist ein Herz-Kreislauf-Stillstand die Folge.
hohen Dunkelziffer auszugehen ist.                                       Eine ZNS-Beteiligung kann in Form von Unruhe, Aggressivität, Kopf-
                                                                         schmerzen und Bewusstseinsstörungen bis hin zu Krämpfen und Be-
Einteilung und Symptome                                                  wusstlosigkeit auftreten.

Die Einteilung des Schweregrades der Anaphylaxie erfolgt entspre-        Medikamente als Auslöser von Anaphylaxien
chend der Empfehlung von Ring und Messmer in die Schweregrade
I-IV. Charakteristischerweise betrifft die Anaphylaxie die Haut, die     Unter den Medikamenten sind die häufigsten Auslöser NSAR (nicht­
                                  Atemwege, das Herz-Kreislauf-          steroidale Antirheumatika) und im Besonderen Diclofenac, ASS und
                                  System und den Gastrointestinal-       Ibuprofen, darüber hinaus β-Lactam-Antibiotika (Penicilline und Ce-
                                  trakt; das ZNS und der Urogenital-     phalosporine). Auch Präparate, die im Rahmen einer allergenspezifi-
                                  trakt können ebenfalls beteiligt       schen Immuntherapie (AIT) verabreicht werden, Chemotherapeutika,
                                  sein. Alle denkbaren Varianten von     Röntgen-Kontrastmittel, Blutprodukte und natürlich auch Impfpräpa-
                                  Verläufen sind möglich. Zum Bei-       rate gehören zu den Substanzen, die häufiger Anaphylaxien auslösen.
                                  spiel kann ein leichtes Symptom
                                  wie Rhinorrhoe spontan abklingen       Diagnostische Möglichkeiten bei Verdacht auf
                                  oder zu schweren Symptomen mit         COVID-19 Impfstoffallergie
                                  Manifestationen in mehreren Or-
                                  ganen fortschreiten. Ebenso kann       Eine gründliche Anamneseerhebung ist eine wichtige Voraussetzung,
                                  sich die Maximalvariante der Ana-      um schwere Anaphylaxien zu vermeiden.
                                  phylaxie innerhalb kürzester Zeit         Allergietests sollten in spezialisierten Allergiezentren durchgeführt
                                  ohne jegliche Prodromalzeichen         werden. Haut-Prick-Tests mit Polyethylenglykol (PEG) können sehr
                                  entwickeln.                            vorsichtig mit Verdünnungen von 0,001 - 10 % durchgeführt werden,
  Professor Dr. med.                 In 20 % der Fälle nimmt die         mit 30-minütiger Beobachtung nach jedem Dosierungsschritt. Da
  Ludger Klimek                   Anaphylaxie einen lebensbedrohli-      spekuliert wird, dass der individuelle Schwellenwert für positive Re-
                                  chen Verlauf, wobei erneute Symp-      aktionen auf PEG mit unterschiedlichem Molekulargewicht variiert,

12 | Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2021
sollte die Testung mit PEGs mit einem Molekulargewicht von 2000 g/         gegen Beschwerden an allen betroffenen Organsystemen wie Haut,
mol, die in beiden Impfstoffen verwendet werden, durchgeführt wer-         Atemwege, Herz-Kreislauf und Gastrointestinaltrakt wirkt. Gemäß
den und den veröffentlichten Algorithmen folgen. Identisches gilt für      aktueller Leitlinie wird die Gabe von Adrenalin ab einem Anaphyla-
Polysorbat als ein hoch kreuzreaktives Allergen zu PEG.                    xie-Schweregrad II (nach Ring und Messner) empfohlen. Bei vielen
   Hauttests sollten entweder vor oder frühestens 2 Wochen nach Auf-       anaphylaktischen Reaktionen ist die intramuskuläre Applikation die
treten der Überempfindlichkeitsreaktion durchgeführt werden. Zusätz-       Therapie der Wahl: Einerseits ist eine i.m.-Applikation einfach in der
lich können Basophilen-Aktivierungstests und ein Screening auf spezi-      Anwendung, andererseits ist das Risiko schwerer kardialer Nebenwir-
fisches IgE (auch IgG und IgM) gegen PEG im Blutserum bei Patienten        kungen im Vergleich zur i.v.-Gabe deutlich geringer. Darüber hinaus
mit Verdacht auf eine Allergie gegen Hilfsstoffe des Impfstoffs erfol-     wirkt intramuskulär verabreichtes Adrenalin – im Gegensatz zur sub-
gen. Wenn eine PEG-Allergie bestätigt werden kann, sollte unbedingt        kutanen Applikation - ohne zeitliche Verzögerung. Letztere wird aus
ein Notfallset verschrieben und bereitgestellt werden. In einigen Fällen   diesem Grund nicht mehr empfohlen.
kann bei Bedarf ein oraler Provokationstest durchgeführt werden.              Adrenalin wirkt über α-Rezeptor-gesteuerte Vasokonstriktion di-
   Trometamol als Kontaktsensibilisator wird normalerweise epikutan        rekt den Ursachen des Schockgeschehens (erhöhte Kapillarpermeabi-
auf allergische Reaktionen vom verzögerten Typ getestet. Bei Ver-          lität und Vasodilatation) entgegen.
dacht auf Typ-1-Reaktionen kann ein Hautpricktest (Konzentration              Die ß1-mimetische Aktivität hat direkte kardiale Wirkungen und
1:1) mit anschließender intradermaler Testung mit Verdünnungen             führt zu erhöhter Schlagfrequenz und Schlagkraft. Des Weiteren füh-
von Trometamol von 1:1000-1:10 durchgeführt werden.                        ren die ß2-Rezeptorwirkungen zu einer Bronchodilatation. Adrenalin
   Obwohl allergische Reaktionen auf mRNA-1273-Komponenten                 stellt somit das wichtigste Notfallmedikament für die Behandlung der
wie PEG und Trometamol nicht häufig berichtet wurden, ist allein           Anaphylaxie dar.
durch die hohe Zahl an Impflingen bei Verabreichung der Impfstoffe
für COVID-19 mit Anaphylaxien bei Personen zu rechnen, die zuvor           ß-Sympathomimetika
auf die Komponenten der Impfstoffe sensibilisiert wurden, insbeson-
dere auf PEG und PEG-Analoga und kreuzallergene Substanzen (v.a.           Der Einsatz von inhalativen kurzwirksamen ß2-Sympathomimetika
Polysorbat) sowie auf Trometamol im Fall von mRNA-1273.                    (z. B. Fenoterol, Salbutamol) hat einen wichtigen Stellenwert bei der
                                                                           Behandlung des allergischen Asthmas. Bei Vorherrschen einer Bron-
Augmentationsfaktoren einer Anaphylaxie                                    chokonstriktion im Rahmen der anaphylaktischen Reaktion können
                                                                           initial 2-4 Hübe verabreicht werden.
Bestimmte Faktoren können eine Anaphylaxie verstärken oder, bei
Zusammentreffen mehrerer Faktoren, eine Anaphylaxie auslösen. Fol-         Antihistaminika
gende Augmentationsfaktoren sind bekannt:
• Körperliche Belastung                                                    Antihistaminika sind ein weiterer Bestandteil der leitliniengerechten
• Infekte                                                                  Anaphylaxie-Behandlung. Sie blockieren mehr oder weniger selektiv
• Medikamente                                                              die Histamin-1-Rezeptoren an den Zellwänden.
• Alkohol                                                                     Antihistaminika der ersten Generation wirken Histaminrezeptor-
• Mastozytose                                                              unspezifisch und haben anticholinerge Wirkung. Sie passieren die
• Psychogene Faktoren (z .B. Stress)                                       Blut-Hirn-Schranke, was der Grund ist für ihre zentralen Nebenwir-
• Hormonelle Faktoren (z. B. Menstruation)                                 kungen wie Müdigkeit, Schläfrigkeit und Schwindel. Für die Akutthe-
                                                                           rapie der Anaphylaxie sind zur intravenösen Gabe nur Clemastin (Ta-
Unterbrechung der Allergenzufuhr                                           vegil®) und Dimetinden (Fenistil®) zugelassen.

Erster Schritt in der konsequenten Behandlung der Anaphylaxie soll-
te, sofern umsetzbar, das Entfernen bzw. die Unterbrechung der Zu-
fuhr des vermuteten auslösenden Allergens sein.

Anfordern von Hilfe                                                          Praktische Hilfen und ­Hinweise für Patienten

Umgehend sollten zusätzliche Helfer herbeigerufen werden. Dies kann          Die Anwendung des Adrenalin-Autoinjektors (AAI) sollte regelmä-
im Einzelfall durch die Alarmierung eines Rettungsdienstes erfolgen.         ßig geübt werden, damit jeder Handgriff zur Routine wird. AAI-sind
                                                                             als Trainingsgeräte ohne Wirkstoff von allen Herstellern kostenlos
Monitoring                                                                   erhältlich. Patienten sollten in der korrekten Handhabung des Auto-
                                                                             injektors geübt und geschult sein. Die Arbeitsgemeinschaft Ana-
Um im Verlauf eine Verschlechterung des klinischen Zustandes eines           phylaxie – Training und Edukation e.V. (AGATE) bietet regelmäßig
Patienten rechtzeitig zu erkennen, ist ein kontinuierliches Monitoring       Schulungen für Patienten und Angehörige an.
der Vitalparameter essentiell. Diese umfassen Herzfrequenz (HF),                Patienten sollten immer den gleichen Adrenalin-Autoinjektor er-
Blutdruck (RR), Atemfrequenz (AF) sowie im erweiterten Sinn Haut-            halten, mit dessen Anwendung sie und ihr persönliches Umfeld wie
kolorit bzw. Auftreten von Hauterscheinungen.                                Eltern, Betreuungspersonal, Lehrer, Kollegen und Freunde vertraut
                                                                             sind.
Einsatz von Notfallmedikamenten                                                 Für die betroffenen Patienten sollte der Adrenalin-Autoinjektor
                                                                             ein selbstverständlicher Begleiter sein. Die Injektion von Adrenalin
Adrenalin                                                                    bei einer Anaphylaxie kann lebensrettend sein. Jede Minute zählt!
                                                                             Bei den ersten sicheren Anzeichen einer Anaphylaxie sollte dieser
Schwere systemische allergische Reaktionen erfordern die zügige              eingesetzt werden.
Gabe von Adrenalin. Adrenalin ist das einzige Medikament, welches

                                                                           Forum Sanitas – Das informative Medizinmagazin · 2. Ausgabe 2021 | 13
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