Medizininformatik-Lehre im Medizinstudium - Welche Herausforderungen ergeben sich in einem Modellstudiengang?
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Original Article de1 Medizininformatik-Lehre im Medizinstudium – Welche Herausforderungen ergeben sich in einem Modellstudiengang? Behrends M.1 , von Jan U.1 , Paulmann V.2 , Matthies H. K.1 1 Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik, Medizinische Hochschule Hannover, Deutschland 2 Präsidialamt, Medizinische Hochschule Hannover, Deutschland Abstrakt In der medizinischen Ausbildung sollte den Studierenden Scheinbar ließen die Methoden, mit denen das Fach Medi- das notwendige Wissen und die erforderlichen Fertigkei- zinische Informatik den Studierenden näher gebracht wer- ten nicht nur theoretisch, sondern ebenso durch praxisna- den sollte, zu viele Fragen offen. Um diesen Missstand zu he Bezüge zu den Patienten vermittelt werden. In Deutsch- beseitigen und die Medizininformatik-Lehre zu verbessern, land wurden die gesetzlichen Grundlagen zur medizinischen werteten wir das Feedback aus, das wir von den Studie- Ausbildung im Jahr 2002 im Hinblick auf einen stärke- renden aus Befragungen, aber auch als Wortbeiträge in ren Praxisbezug und eine stärkere Verzahnung der Fach- Diskussionen erhielten. In diesem Beitrag sollen Ergebnisse gebiete überarbeitet. Um diesen Paradigmenwechsel abzu- dieser Befragungen dargestellt werden und die Maßnahmen bilden, wurden in den darauffolgenden Jahren überall in beschrieben werden, die unternommen wurden, um die Be- Deutschland die Medizinstudiengänge angepasst und teil- deutung der Medizinischen Informatik in der Medizin besser weise neue Modellstudiengänge umgesetzt. An der Medi- hervorzuheben und somit das Interesse der Studierenden zinischen Hochschule Hannover wurde im Jahr 2005 der zu steigern. Die angepasste Vorgehensweise in der Lehre Modellstudiengang HannibaL (= Hannoverscher, integrier- wurde evaluiert; die Ergebnisse hierzu werden abschließend ter, berufsorientierter und adaptiver Lehrplan) eingeführt. vorgestellt. Das Fach Medizinische Informatik wurde hierbei im dritten Studienjahr des Modellstudiengangs verankert. Obwohl die Schlüsselworte Medizinische Informatik selbst eine wichtige Rolle in der medizinischen Versorgung spielt, wurde schnell klar, dass Medizinstudium, Medizinische Informatik, Evaluation, Cur- die Medizinstudierenden ihr keine entsprechende Bedeu- riculum, Lernziele tung beimessen, sondern vielfach kaum verstehen, warum sie sich mit diesem Thema auseinandersetzen müssen. Correspondence to: EJBI 2011; 7(2):de1–de7 Marianne Behrends recieved: June 6, 2011 Hannover Medical School accepted: September 30, 2011 Peter L. Reichertz Institute for Medical Informatics published: December 23, 2011 Address: Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover, Germany E–mail: behrends.marianne@mh-hannover.de 1 Einleitung medizinischen Fakultäten das Erlernen praktischer Fähig- keiten stärker gefördert und durch die Entwicklung neuer Ziel des Studiums der Humanmedizin ist es, Studieren- Lehrkonzepte die klinischen Aspekte der Medizin mit den de zu eigenverantwortlichen und selbsttätig handelnden vorklinischen Themen verbunden und stärker in die Lehre Ärztinnen und Ärzten auszubilden, deren medizinisches integriert. Wissen sowohl wissenschaftlich also auch praktisch fun- An der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) diert ist. In Deutschland wurde in der Approbationsord- wurde im Jahr 2005 der Modellstudiengang HannibaL, nung für Ärzte im Jahr 2002 neben der wissenschaftlichen der hannoversche, integrierte, berufsorientierte und adap- Grundlage die praxis- und patientenbezogene Ausbildung tive Lehrplan, eingeführt [1]. Grundprinzip von HannibaL gesetzlich festgeschrieben. In der Folgezeit wurde in vielen ist das patientenorientierte und integrierte Training der c 2011 EuroMISE s.r.o. EJBI – Volume 7 (2011), Issue 2
de2 Behrends, von Jan, Paulmann, Matthies – Medizininformatik-Lehre im Medizinstudium Abbildung 1: Ergebnisse der Befragung am Anfang des 1. Tertials 2008/09. Studierenden basierend auf profunden wissenschaftlichen das Modul zur Medizinischen Informatik findet dreimal Erkenntnissen. Diese Vorgehensweise funktioniert für kli- jährlich statt. Thematisch deckt es dabei die Grundla- nische Fächer gut; bei Fächern wie der Medizinischen In- gen der Medizinischen Informatik ab, wozu unter anderem formatik liegt die Herausforderung allerdings darin, die entscheidungsunterstützende Systeme, medizinische Infor- praktische Relevanz der Inhalte in der modernen Medizin mationssysteme, Gesundheitstelematik, Datenschutz, Ge- besser herauszuarbeiten. sundheitstechnologien, medizinische Bild- und Biosignal- Im Rahmen des Modellstudiengangs HannibaL findet verarbeitung sowie allgemeine Aspekte der Informations- der Unterricht zur Medizinischen Informatik im 3. Stu- recherche und der Bewertung von Informationen im Inter- dienjahr innerhalb eines dreiwöchigen Unterrichtsmoduls net gehören. statt. Neben Epidemiologie und Biometrie erhalten die In der MHH werden alle Module des Lehrplans in je- Studierenden in diesem Modul 23 Stunden Unterricht zur dem Tertial nach der jeweiligen abschließenden Prüfung Medizinischen Informatik in Form von Vorlesungen und evaluiert [3]. Die auf diese Weise dreimal im Jahr durch- Übungen. Alle Module des Humanmedizinstudiengangs geführte Evaluation eines Moduls erfolgt nach einem fest- werden regelmäßig durch die Abteilung für Evaluation der stehenden Schemata, wobei die Studierenden neben einer MHH evaluiert. Die Ergebnisse der Lehrevaluationen des Gesamtbewertung des Moduls auch eine Einschätzung zur Moduls zur Medizinischen Informatik durch die Studieren- Qualität einzelner Aspekte wie Lehrpersonal, Lehrinhalte, den machten es notwendig, die Inhalte und die didaktische Lernmaterialien, Organisation, Prüfung und Patientenbe- Ausrichtung des Moduls zu überdenken. Unser Vorgehen zug abgeben sollen. Ein positives Ergebnis der Evaluation zur Neustrukturierung des Moduls während des Studien- ist nicht nur im persönlichen Interesse der Lehrenden. Die jahres 2008/09 soll im Folgenden beschrieben werden. Evaluationsergebnisse dienen auch als Grundlage für eine zusätzliche, leistungsorientierte Mittelvergabe aus hoch- schulinternen Finanzmitteln. 2 Hintergrund Da die Evaluationsergebnisse für die Medizinische In- formatik stark unterhalb der durchschnittlichen Bewer- Im Modellstudiengang HannibaL ist jedes Studienjahr tung lagen, wurde es notwendig, das zu Grunde liegende in drei Abschnitte – sogenannte Tertiale – unterteilt [2]. didaktische und inhaltliche Konzept des Moduls zur Me- Dies ermöglicht die Unterteilung eines Studienjahres in dizinischen Informatik zu überdenken. Unsere Ausgangs- drei kleinere Kohorten. Ab dem dritten Studienjahr finden hypothese hierbei war, dass den Medizinstudierenden die alle Lehrveranstaltungen dreimal im Jahr für jeweils eine Bedeutung der Medizinischen Informatik für die moderne der Gruppen von ungefähr 90 Studierenden statt. Auch Medizin nicht ausreichend bewusst ist. Sie sehen das Mo- EJBI – Volume 7 (2011), Issue 2 c 2011 EuroMISE s.r.o.
Behrends, von Jan, Paulmann, Matthies – Medizininformatik-Lehre im Medizinstudium de3 Abbildung 2: Ergebnisse der Befragung am Ende des 1. Tertials 2008/09. dul lediglich als notwendiges Übel an, deren Inhalte für 3 Methoden den Arztberuf kaum relevant sind. Da die Patientenorientierung in HannibaL eine zen- trale Rolle spielt, führten wir zum Studienjahr 2008/2009 Zu Beginn und am Ende des Moduls zur Medizini- einen virtuellen Patienten als Leitmotiv in alle Unter- schen Informatik wurden die Studierenden gebeten, einen richtsthemen des Moduls ein. Das Ziel hierbei war, die Be- Fragebogen auszufüllen, in dem sie ihre Einschätzung zur deutung der Medizinischen Informatik in den verschiede- Wichtigkeit der Medizinischen Informatik in der Medizin nen Phasen der Patientenversorgung aufzuzeigen. Dieser sowie ihr persönliches Interesse am Fach bewerten sollten. virtuelle Patient und die Speicherung und Verarbeitung Zusätzlich wurden in jedem Tertial vier Seminare zur kri- seiner während des stationären Aufenthaltes im Kranken- tischen Reflektion über das Fach Medizinische Informatik haus an verschiedenen Stellen anfallenden Daten wurde mit jeweils 20-25 Teilnehmern durchgeführt. Die Studie- zum zentralen Leitmotiv unseres Unterrichtsmoduls. Für renden sollten darin über die Rolle der Medizinischen In- jedes der oben genannten Unterrichtsthemen versuchten formatik in der Medizin diskutieren. Zu diesem Zweck gab wir, konkrete Anwendungsbeispiele für unseren virtuellen es ein anonymes Forum innerhalb ILIAS, dem Lernmana- Patienten aufzuzeigen, um so deutlich zu machen, dass gementsystem der MHH. Während des Seminars wurden Medizinische Informatik im gesamten Prozess der Kran- die Studierenden zunächst gebeten, die zur Diskussion ge- kenversorgung eine Rolle spielt. War der Bezug zu un- stellten Fragen im Forum anonym zu beantworten. Später serem virtuellen Patienten, der an einer Schulterverlet- wurden die in der anonymen Phase abgegebenen State- zung litt, für die medizinische Bildverarbeitung unmit- ments gemeinsam diskutiert. telbar deutlich zu machen, so war der Bezug etwa zu klinischen Entscheidungsunterstützungssystemen schwie- Im Folgenden werden wir anhand der Ergebnisse der riger aufzuzeigen. Unser Konzept des patientenorientier- Standardevaluation und der zusätzlichen Evaluationen be- ten Unterrichts war daher nicht ohne Brüche. schreiben, wie sich die Einschätzungen der Medizinstudie- Um zu erfahren, ob unser neues Konzept des patien- renden zur Medizinischen Informatik darstellten und wel- tenorientierten Unterrichts dazu führt, dass die Studie- che Konsequenzen wir daraus für uns ableiteten. Basis da- renden die Bedeutung der Medizinischen Informatik für für sind in erster Linie die Ergebnisse aus den Befragungen die Medizin besser verstehen und dadurch auch das Mo- des ersten Tertials. Die Beteiligung an den Befragungen dul und insbesondere die Inhalte besser bewerten, haben am Ende des zweiten und dritten Tertials war leider sehr wir zusätzlich zur Standardevaluation weitere Befragun- gering, daher werden die Ergebnisse nicht in die Betrach- gen durchgeführt. tung miteinbezogen. c 2011 EuroMISE s.r.o. EJBI – Volume 7 (2011), Issue 2
de4 Behrends, von Jan, Paulmann, Matthies – Medizininformatik-Lehre im Medizinstudium Abbildung 3: Standard-Evaluation des ersten Tertials 2008/2009. 4 Ergebnisse nem Mittelwert von 5 bei einer Standardabweichung von 2,5 persönlich lediglich ein geringes Interesse entgegen. Die Bedeutung der Medizinischen Informatik für die Medizin 4.1 Studentische Sicht der Medizinischen wurde mit einem Mittelwert von 7 Punkten und einer Informatik Standardabweichung von 2,3 nur geringfügig besser bewer- tet. Mit 50 Studierenden nahmen 50 % an der Befragung Die Ergebnisse der ersten Befragung im ersten Ter- am Ende des 1. Tertials teil. tial des Studienjahres 2008/09 zeigten, dass ein deutli- Um mehr über die Gründe für die Diskrepanz zwischen ches Missverhältnis zwischen der Bewertung der Bedeu- dem eigenen Interesse und der wahrgenommenen Bedeu- tung der Medizinischen Informatik für die Medizin und tung der Medizinischen Informatik zu erhalten, nutzten dem persönlichen Interesse der Studierenden an der Me- wir die im anonymen Forum abgegebenen Beiträge und dizinischen Informatik besteht. Mit 75 Studierenden nah- die Aussagen aus den Gruppendiskussionen mit den Stu- men insgesamt 74% der Studierenden des Moduls inner- dierenden während der Seminare. halb des Tertials an der Befragung teil. Bei der Bewertung stand ein Wert von 1 für „unwichtig“ bzw. „kein Interes- se“ und der Wert 10 für „wichtig“ bzw. „großes Interesse“. 4.2 Ergebnisse der Diskussionen mit den Der Mittelwert für die Bedeutung der Medizinischen In- Studierenden formatik lag bei 6 Punkten mit einer Standardabweichung von 2,3. Das persönliche Interesse ergab dagegen nur einen Der Eindruck, dass ein Missverhältnis zwischen dem Mittelwert von 5 Punkten mit einer Standardabweichung persönlichen Interesse und der Bedeutung des Faches Me- von 2,4. Die Unterschiede zwischen dem persönlichen In- dizinische Informatik für die Medizin besteht, wurde in teresse und der Einschätzung der Bedeutung der Medi- den Diskussionen mit den Studierenden während der Se- zinischen Informatik für die Medizin werden durch eine minare bestätigt. Ein Großteil der Studierenden hat kein grafische Darstellung der Werte als Kurse allerdings deut- Interesse daran, sich mit den Grundlagen und Prinzipien licher (Abb. 1). Während die Kurve für die Bedeutung der der Medizinischen Informatik auseinanderzusetzen. Beim Medizinischen Informatik für die Medizin einen deutlichen Zusammentragen der vorgebrachten Pro- und Contra- Anstieg in Bereich der höheren Bewertung zeigt, ist der Argumente in den anonymen Foren bezüglich der Integra- Verlauf der Kurve, die das persönliche Interesse der Stu- tion des Faches in das Medizin-Curriculum waren typi- dierenden abbildet, wesentlich flacher bzw. weist bei den sche Angaben: „Warum muss ich all dies zum gegenwärti- besseren Bewertungen geringere Werte auf. gen Zeitpunkt lernen, die eingesetzten Software-Produkte Die Befragung am Ende des 1. Tertials zeigt, dass sich werden sich doch sowieso geändert haben wenn ich fertig die Einstellung der Studierenden nicht wesentlich änderte bin“, „Warum muss ich all dies so detailliert lernen, später (Abb. 2). Die Studierenden brachten dem Fach mit ei- kümmern sich sowieso Experten um auftretende Proble- EJBI – Volume 7 (2011), Issue 2 c 2011 EuroMISE s.r.o.
Behrends, von Jan, Paulmann, Matthies – Medizininformatik-Lehre im Medizinstudium de5 Abbildung 4: Standard-Evaluation des ersten Tertials 2009/2010. me“ oder auch „Warum muss ich das jetzt lernen wo es mir 4.3 Von der Patientenorientierung zu in meiner gegenwärtigen Situation doch gar nicht hilft“. individuellen Lernzielen Obwohl die Studierenden die Bedeutung der Medizini- schen Informatik für die Medizin sehr wohl wahrnehmen, Unser Versuch durch die Integration eines fiktiven Pa- ist ihre Begeisterung über die Integration in das Curri- tienten die Relevanz der Medizinischen Informatik in der culum eher gering. Um die Gründe hierfür festzustellen, medizinischen Versorgung deutlicher zu machen, um so erweiterten wir das Thema der Diskussion innerhalb der eine Verbesserung in der studentischen Evaluation zu er- Seminare im zweiten Tertial um die Frage, welche Kennt- reichen, gelang nicht. Der Unterricht im Modul verän- nisse aus dem Bereich der Medizinischen Informatik sie derte weder die Sicht der Studierenden auf die Medizini- für einen Arzt für wichtig halten. sche Informatik noch verbesserten sich die Ergebnisse der Dabei stellte sich heraus, dass viele Studenten eine Standardevaluation. Abbildung 3 zeigt die Einschätzun- eher eingeschränkte Perspektive haben: sie sind der Mei- gen hinsichtlich der Stärken und Schwächen des Moduls, nung, dass Ärzte - bezogen auf den Bereich der Medizini- wobei die Unterrichtsaspekte Lehrpersonal, Organisation, schen Informatik - lediglich die Fähigkeit besitzen müssen, Inhalt der Lehrveranstaltung, Lehr- und Lernmateriali- die für die medizinische Versorgung nötige Software bedie- en, Prüfung und Patientenbezug bewertet wurden. Außer- nen zu können. Da die jeweiligen Softwareprodukte und dem erfolgte eine Gesamtbewertung des jeweiligen Moduls ihre Bedienung einem kontinuierlichen Erneuerungspro- anhand des Schulnotensystem der gymnasialen Oberstufe zess unterliegen, sehen die Studierenden nicht ein, warum mit 15 Punkten für sehr gut bis 0 Punkten für ungenü- sie im dritten Studienjahr die Bedienung einer Software gend. erlernen sollen. Trotz unserer Bemühungen die Relevanz der Medizini- Wir waren über diese Aussagen etwas erstaunt, da es schen Informatik für die Medizin aufzuzeigen, wurde das nicht das Ziel unserer Lehrveranstaltung war, den Studie- Modul wie in den vorherigen Evaluationen in der Gesamt- renden die Bedienung bestimmter Softwareprodukte näher bewertung mit nur 6 Punkten bewertet. Von den Studie- zu bringen. Übungen mit Programmen dienten aus Sicht renden, die an der Standardevaluation teilgenommen ha- der Dozierenden immer dazu, grundlegende Prinzipien ei- ben, bewerteten dabei 72,9 % die Inhalte als Schwäche des nes Anwendungsbereiches zu erläutern. Es schien, dass Moduls. Häufiger positiv als negativ wurden ausschließlich ein Widerspruch zwischen den Lehrzielen der Dozierenden das Lehrpersonal und die Organisation bewertet. und den Lernzielen der Studierenden bestand. Während das Ziel des Unterrichts von Seiten der Dozierenden die Die ernüchternden Evaluationsergebnisse und die Er- Vermittlung der grundlegenden Prinzipien und Methoden fahrungen aus den Diskussionen mit den Studierenden im der Medizinischen Informatik war, sahen die Studieren- Rahmen der Seminare ließen uns daher unser didaktisches den dagegen das Lernziel im Erlernen eines bestimmten Konzept noch einmal überdenken. Dabei stand nicht mehr Programms. allein die Frage der Inhalte im Mittelpunkt, vielmehr wur- c 2011 EuroMISE s.r.o. EJBI – Volume 7 (2011), Issue 2
de6 Behrends, von Jan, Paulmann, Matthies – Medizininformatik-Lehre im Medizinstudium den zu jedem Unterrichtsthema die Lernziele neu formu- Kompetenz orientierte Aufstellung von Lehrinhalten der liert. Die Lernziele sollten für die Studierende jene Kom- Medizinischen Informatik. petenzen aufzeigen, die sie im Modul erwerben sollen. Auf- gezeigt wurde so die praktische Relevanz der Inhalte für Neben der Bestimmung von Lehrinhalten erscheint es die Studierenden und wie ihnen das erworbene Wissen be- uns aber ebenso wichtig, diese Lehrziele als individuelle reits während des Studiums helfen kann. Die Bedeutung Lernziele für die Studierenden umzusetzen. Klare Lernzie- der Medizinischen Informatik sollte so konkret erfahrbar le sind in allen Lehrsituationen wichtig. Aber es scheint, werden und nicht mehr nur ein Versprechen sein, dass sich dass es besonders in der Medizinischen Informatik von erst in ferner Zukunft erfüllt. großer Bedeutung ist, den Studierenden ihre möglichen, persönlichen Lernziele aufzuzeigen. Die Darstellung der Zu Beginn der folgenden Tertiale stellte jeder Dozie- Lernziele zu Beginn des Unterrichtsblocks führte letzt- rende die Lernziele seiner Veranstaltung in einer gemein- lich zur besseren Bewertung des Moduls durch die Stu- samen Vorlesung den Studierenden vor. In dieser Vorstel- dierenden. Die Befragungen und die Diskussionen mit den lung formulierte jeder Dozierende, was die Studierenden in Studierenden zeigen, dass es einigen Studierenden schwer- seinem Unterricht für sich lernen sollten. Die Unterrichts- fällt, zu verstehen, warum eine Auseinandersetzung mit themen der Medizinischen Informatik wurden damit zu den Themen und Methoden der Medizinischen Informatik Inhalten, die die Studierenden kennen, wissen, verstehen für sie als angehende Ärzte sinnvoll und notwendig ist. Sie und anwenden können. erkennen zwar die Bedeutung der Medizinischen Informa- tik für die Medizin, aber für sie bleibt es ein Bereich, der letztlich den Experten vorbehalten bleibt und nicht ihre Dieses neue Vorgehen, also die Definition der Lernziele Tätigkeit als Arzt bzw. Ärztin betrifft. Bezogen auf ihr in Bezug auf die Kompetenzentwicklung der Studierenden Studium reduziert sich die Auseinandersetzung mit Me- sowie die Präsentation der angestrebten Lernziele zu Be- dizinischen Informatik dann auf die Bedienung von Soft- ginn des Unterrichts, führte zu einer deutlichen Verbes- ware. Diese Perspektive zu ändern, erscheint uns wichtig, serung der Ergebnisse der Standardlehrevaluation (Abb. sowohl kurz- als auch längerfristig. 4). Bis auf die Beurteilung der Inhalte der Lehrveranstal- Mit der Evaluationsbewertung ab dem Tertial 2009/10 tung und die Patienteneinbindung wurden alle anderen sind wir weiterhin zufrieden, auch wenn sich die Ge- evaluierten Aspekte als Stärke der Unterrichtseinheit ge- samtbewertung gegenüber der ersten guten Bewertung im sehen. Interessanterweise wurde sogar die Klausur, die in 1. Tertial in den folgenden Tertialen mit durchschnitt- der Standardevaluation aus dem 1. Tertial 2008/2009 (vgl. lich 9 Punkten etwas verschlechterte. Eine noch ungelöste Abb. 3) und in vielen Diskussionen von den Studierenden Problematik ist, dass der Besuch der freiwilligen Vorle- als Schwäche des Moduls gesehen wurde, nun ebenfalls als sungen stark rückläufig ist. Die insgesamt starke zeitli- Stärke des Moduls gesehen. Durch das Aufzeigen der Re- che Belastung der Studierenden in Medizinstudium wirkt levanz der Inhalte für die eigene Kompetenzentwicklung sich hier sicherlich aus. Das Fach Medizinische Informatik scheint auch das Abprüfen eben dieser Kompetenz anders wird wohl von vielen Studierenden als entbehrlich angese- bewertet zu werden. Die Gesamtbewertung des Moduls hen. Um die Medizinische Informatik stärker als wichtigen lag im 1. Tertial 2009/10 bei 10 Punkten. Dieser Trend Teil der Medizin auch im Studium zu verankern, könnte hat sich in der Folgezeit bestätigt, auch wenn die durch- ein zukünftiger Weg sein, deren Inhalte verstärkt mit den schnittliche Bewertung des Moduls nun im Schnitt bei 9 verschiedenen medizinischen Lehrinhalten anderer Fächer Punkten liegt. Zu den Stärken des Moduls gehören auch in zu verknüpfen. Die digitale Bildverarbeitung etwa zusam- den Folgejahren die Dozentinnen und Dozenten, die Orga- men mit radiologischen Themen zu unterrichten, über die nisation der Lehrveranstaltung, die Lernmaterialien und Bedeutung und Funktion von medizinischen Informations- die Klausur. systemen zu lehren, wenn die Studierenden in der Klinik mit ihnen in Kontakt kommen und diagnoseunterstützen- 5 Schlussfolgerung de Systeme vorzustellen, wenn Studierende die diagnosti- schen Methoden kennenlernen. Obwohl den Studierenden die Relevanz der Medizini- schen Informatik für die Medizin bewusst ist, bleibt es Literatur für sie dennoch diffus, welche Kompetenzen sie in diesem Bereich als Studierende wirklich benötigen. Bei der Unter- [1] Paulmann, V. Fischer, V., Haller, H.: Hannibal: the new model richtskonzeption scheint es daher notwendig das Paradig- curriculum in Human Medicine at Hannover Medical School ma der Patientenorientierung in Richtung einer Diskussi- (MHH). Annual Meeting of the Association for Medical Education in Europe (AMEE) September 2008, Prague, on über ärztliche Kompetenzen im Bereich der Medizini- Czech Republic. http://www.amee.org/documents/AMEE schen Informatik zu erweitern. Publikationen thematisie- %202008%20Final%20Abstract%20Book.pdf ren dabei noch zu wenig die Anforderungen an die Medi- [2] http://www.mh-hannover.de/10123.html zinische Informatik [4, 5, 6, 7]. Hier liegt der Schwerpunkt oftmals stärker auf den Bereichen Epidemiologie und Bio- [3] Paulmann, V., Seibicke, N., Fischer, V.: The role of exams metrie. Nur bei Manta et al. [8] findet sich eine an der in the new Model Curriculum in Human Medicine at Hanno- EJBI – Volume 7 (2011), Issue 2 c 2011 EuroMISE s.r.o.
Behrends, von Jan, Paulmann, Matthies – Medizininformatik-Lehre im Medizinstudium de7 ver Medical School (MHH) - Assessing quality and the qua- [6] Forster J.: Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs in Epi- lity of assessment. Research in Medical Education - Chan- demiologie, Medizinischer Biometrie und medizinischer ces and Challenges 2009. Heidelberg, 20.-22.05.2009. http:// Informatik. http://www.egms.de/en/meetings/gmds2005 www.egms.de/static/de/meetings/rme2009/09rme24.shtml /05gmds520.shtml [7] Hilgers R.D., Feldmann U., Jöckel K.H., Klar R., Rienhoff [4] Stang A., Hense H.W., Jöckel K.H.: Epidemiologie, medizini- O., Schäfer H., Selbmann H.K., Wichmann H.E.: Empfehlun- sche Biometrie und medizinische Informatik (Q1) - klinische gen zur Umsetzung der Approbationsordnung für Ärzte vom Relevanz des Lehrstoffs näher bringen - aber wie?, GMS Me 27.06.2002 in den Fächern Epidemiologie, Medizinische Bio- Inform Biom Epidemiol. 2005; 1(3): Doc 19 metrie und Medizinische Informatik; GMS Med Inform Biom Epidemiol 2005; 1(1):Doc05 (20050407) [5] Pritsch M., Wetter T., Becher H.: Konzept und Rahmenbe- dingungen des Querschnittsbereiches Ëpidemiologie, Medizini- [8] Mantas J et al. Recommendations of the International Medi- sche Biometrie und Medizinische Informatik"(Q1) im Rahmen cal Informatics Association (IMIA) on Education in Biomedi- des Reformcurriculums HeiCuMed. http://www.egms.de/en cal and Health Informatics. First Revision. Methods Inf Med. /meetings/gmds2005/05gmds515.shtml 2010 Jan 7;49(2):105-120 c 2011 EuroMISE s.r.o. EJBI – Volume 7 (2011), Issue 2
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