Moderne Diagnostik bei ösophagealen Motilitätsstörungen
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Originalien Schweiz. Gastroenterol. 2021 · 2:96–103 Jan Levenfus · Daniel Pohl https://doi.org/10.1007/s43472-021-00047-x Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsspital Zürich, Zürich, Schweiz Angenommen: 27. Juli 2021 Online publiziert: 31. August 2021 © Der/die Autor(en) 2021 Moderne Diagnostik bei ösophagealen Motilitätsstörungen Ösophageale Motilitätsstörungen sind letzt gültige Chicago-Klassifikation 3.0 Was ist neu in der Chicago- relevante Ursachen oberer gastrointes- wurde im Jahr 2015 als mehrstufiges Klassifikation 4.0? tinaler Symptome wie der Dysphagie, Diagnosemodell für Ösophagusmotili- nichtkardialer Thoraxschmerzen, Regur- tätsstörungen durch eine Gruppe be- Während der letzten zwei Jahre fanden gitationen sowie des gastroösophagealen kannter Experten (International High wiederholt Treffen der aus 52 interna- Refluxes. Nach endoskopischem und Resolution Manometry Working Group) tionalen Experten bestehenden Chica- histologischem Ausschluss einer me- veröffentlicht. Der Diagnosealgorith- go Classification Working Group statt, die chanischen Obstruktion oder anderer mus begann bei der Analyse des Inte- sich das Ziel gesetzt hat, die Chicago- offensichtlicher, struktureller Verände- grated Relaxation Pressure (IRP) bzw. Klassifikation weiterzuentwickeln. Dabei rungen des oberen Gastrointestinaltrakts der deglutitiven Relaxation des unteren wurden für die neue Version 4.0 sieben ist der Goldstandard für die moderne Ösophagussphinkters, wodurch bereits grundsätzliche Neuerungen erarbeitet: Diagnostik von ösophagealen Motili- Hinweise auf eine Achalasie oder ei- 1. Entwicklung eines standardisierten tätsstörungen die hochauflösende Ma- ne Obstruktion des gastroösophagealen Protokolls zur Durchführung hoch- nometrie (HRM) des Ösophagus, welche Übergangs („esophagogastric junction auflösender Ösophagusmanometrien Ende der 1990er Jahre entwickelt wurde outflow obstruction“, EGJOO) erkennbar mit Positionsänderungen sowie phy- [1, 2]. Das Hauptanliegen einer ösopha- wären, dies je nach gleichzeitig beste- siologischen Provokationsmanövern, gealen HRM ist die Identifikation eines hender Peristaltik oder Aperistaltik und 2. Weiterentwicklung der Achalasie- allfälligen statischen oder peristaltischen Kontraktionsstärke des tubulären Seg- Klassifikation, Motilitätsdefekts bei Patienten mit Symp- ments. Anschliessend folgte die isolierte 3. Eingrenzung der Definition einer tomen einer ösophagealen Dysfunktion. Beurteilung der tubulären Peristaltik, EGJOO, Dabei werden sowohl die zugrunde- bei der ein distaler Ösophagusspasmus, 4. Weiterentwicklung der Definition des liegenden Krankheitsmechanismen wie ein Jackhammer-Ösophagus oder eine distalen Ösophagusspasmus, auch die Art der jeweiligen Dysfunktion Aperistaltik erkannt werden konnten, 5. Eingrenzung der Definition des (z. B. fehlgeschlagener Bolustransport, welche bei gesunden Probanden grund- hyperkontraktilen Ösophagus, Reflux) samt den Symptomen (u. a. sätzlich nicht vorkommen. Bis zu diesem 6. Weiterentwicklung der Definition ei- Dysphagie, retrosternale Schmerzen) Punkt waren die anhand des Algorith- ner ineffektiven Ösophagusmotilität, betrachtet, um so die Grundlage für eine mus gestellten Diagnosen recht eindeutig 7. Einbezug des gastroösophagealen rationale Therapie zu schaffen mit dem („major disorders of peristalsis“). Es folg- Übergangs in die Klassifikation. Ziel, die Lebensqualität zu verbessern. te der Übergang zu Peristaltikstörungen Die ösophageale HRM kann um kom- mit weniger deutlicher Pathologie („mi- Die Entwicklung eines standardisierten binierte Impedanzmessungen erweitert nor disorders of peristalsis“), wie der Protokolls, das die vorherigen Versionen werden (HRIM), mit denen der Bo- ineffektiven Ösophagusmotilität und der Chicago-Klassifikation nicht vorsa- lustransit dargestellt und quantifiziert der fragmentierten Peristaltik. Beide hen, sollte eine kongruente Durchfüh- werden kann [3, 4]. Störungen weisen zwar auf eine gestörte rung hochauflösender Ösophagusmano- ösophageale Clearance hin, werden aber metrien erleichtern und damit eine Ver- Chicago-Klassifikation auch zum Teil bei asymptomatischen gleichbarkeit der Untersuchungen zwi- Probanden vorgefunden. Die Chicago- schen verschiedenen Zentren sicherstel- Die Befundung der hochauflösenden Klassifikation 3.0 war sechs Jahre lang len. Dies sollte wiederum zur Verbesse- Ösophagusmanometrien basiert seit gültig. rung der diagnostischen Zuverlässigkeit 2008 auf der Chicago-Klassifikation [5], und Förderung der kollaborativen For- welche bereits mehrfach überarbeitet schung beitragen. Die einzelnen Diagno- bzw. aktualisiert wurde [6, 7]. Die zu- sen wurden anhand der jeweils zugrun- 96 Schweizer Gastroenterologie 3 · 2021
deliegenden Pathologie weiterentwickelt Sphinkterfunktion zu vermeiden. Nach Zusätzliche Manöver während bzw. eingegrenzt, um klinisch relevante den Einzelschlucken erfolgt eine Sequenz des Untersuchungsganges Konstellationen von weniger relevanten mehrfacher schneller Schlucke („multi- Nebenbefunden zu unterscheiden. ple rapid swallow“, MRS), die bei Be- Falls kein eindeutiger Hinweis auf eine darf zwei oder drei Mal wiederholt wird. Motilitätsstörung erkannt wird, die Er- Standardisiertes Protokoll Diese Testsequenz dient dazu, die Voll- gebnisse der ösophagealen HRM nicht ständigkeit der deglutitiven Hemmung vollständig mit der klinischen Sympto- In der vorherigen Version der Chicago- sowie eine Augmentation des DCI am matik übereinstimmen oder die erho- Klassifikation wurde die Untersuchung Ende der MRS-Sequenz zu evaluieren, benen Befunde die Symptome des Pa- in liegender Position mit kleinen Wasser- was auf eine intakte peristaltische Reser- tienten nicht ausreichend erklären, kön- mengenund Einzelschluckenim Abstand ve hinweist. Eine Augmentation liegt vor, nen ergänzende Manöver während der von mindestens 20 s durchgeführt. Bei wenn der DCI in der Post-MRS-Kontrak- HRM durchgeführt werden. Dazu ge- diesem Versuchsaufbau kam es jedoch tion höher ist als der Durchschnitts-DCI hören solide Testschlucke in aufrechter nur selten zu einer Symptomauslösung. der vorangegangenen feuchten Schlucke Position, eine feste Testmahlzeit, die in- Die physiologische Nahrungsaufnahme (bester von drei Versuchen). Dies ist bei- nerhalb von 8 min konsumiert werden erfolgt hingegen in aufrechter Körper- spielsweise in der präoperativen Beurtei- sollte, sowie die postprandiale Nachbe- position, wobei Flüssigkeiten und feste lung von Patienten vor einer Fundopli- obachtung auf Ruminationsphänomene Nahrung in variabler Bolusgrösse kon- katio hilfreich, denn eine intakte Aug- oder provoziertes Aufstossen bzw. Eruk- sumiert werden. Das Trinken ist durch mentation am Ende der MRS ist mit ei- tationenim Sinne eines Belchings. Im All- mehrfache Schlucke innerhalb einer kur- ner höheren Wahrscheinlichkeit assozi- gemeinen besteht das Konzept von Test- zen Zeitspanne gekennzeichnet, wobei iert, dass postoperativ keine Dysphagie schlucken fester Konsistenz darin, der die Schlucke selbst in variablen Zeitin- auftritt. Umgekehrt besteht postoperativ Speiseröhre eine physiologische Heraus- tervallen erfolgen. Bei der Motilität sind ein höheres Dysphagierisiko bei Patien- forderung durch erhöhten Boluswider- Komponenten der primären Peristaltik ten ohne DCI-Augmentation [9, 10]. Neu stand zu bieten. Die normale Reaktion sowie der Sekundärperistaltik zu beach- im Protokoll istderanschliessende Wech- auf einen festen Schluck ist eine lang- ten. sel in die physiologische, aufrechte Kör- samere sowie stärkere Kontraktion. Da- Allgemein erfolgt die ösophageale perposition, wo initial erneut drei tiefe durch wird die peristaltische Reserve aus- HRM in nüchternem Zustand, die Pa- Inspirationen stattfinden, gefolgt von ei- getestet und gleichzeitig eine gewisse Be- tienten sollten mindestens vier Stunden ner EGJ-Basismessung, mindestens fünf urteilung der Ösophagussensibilität er- vor der Untersuchung keine feste Nah- feuchten Schlucken je 5 ml Wasser oder möglicht. Während bei feuchten Schlu- rung zu sich genommen haben. Der Kochsalzlösung (0,9 %) sowie zuletzt ei- cken nur 2–7 % der Patienten Symptome Untersuchungsablauf beginnt in der Re- nem kontinuierlichen Trinkversuch mit angeben, steigt dieser Anteil bei einer gel in Rückenlage, neuerdings sind aber schnellem Trinken einer grösseren Was- festen Testmahlzeit auf 55–83 % der Pa- auch direkt Untersuchungen in aufrech- sermenge (200 ml) über einen Strohhalm tienten an [12–14]. Die Analyse einer ter Körperposition möglich. Für die („rapid drink challenge“, RDC). Der kon- festen Testmahlzeit ist etwas umständli- einzelnen Messungen gelten dabei stets tinuierliche Trinkversuch kann eine EGJ- cher, jedoch klinisch relevant. Kurz zu- spezifische Referenzwerte abhängig von Obstruktion demaskieren. Typisch hier- sammengefasst, zählt man die pharyn- Körperposition und Hersteller, die zu für ist ein Anstieg des Intrabolusdruckes gealen Kontraktionen während der Test- beachten sind. während des Trinkmanövers, gefolgt von mahlzeit (wenn mehrere innerhalb von Nach einer 60-sekündigen Adaptati- einer Nachschluckkontraktion, die aber 4 s, werden diese als Einzelkontraktion onsphase werden drei tiefe Inspiratio- auch ausbleiben kann. Bei Störungen der gezählt), die in >20 % der Fälle von effek- nen durchgeführt, die eine Identifizie- EGJ-Relaxation steigt der IRP typischer- tiven ösophagealen Kontraktionen (DL rung der anatomischen Landmarken er- weise auf >12 mm Hg während des Trin- >4,5 s, DCI >750 mm Hg.s.cm, 25 mm Hg) gefolgt sein sollten [12]. phagussphinkters (LES) und des respira- Kontraktion der Längsmuskulatur und Es konnte gezeigt werden, dass dies die torischen Inversionspunktes (RIP) als La- eine Verkürzung der Speiseröhre hin- diagnostische Ausbeute bei Dysphagie- ge des Diaphragmas. Es folgt eine 30 s lan- weist [11]. Wird die Untersuchung in patienten mit schweren Motilitätsstörun- ge EGJ-Basismessung sowie anschlies- aufrechter Position begonnen, sollten 10 gen von 37 % bei Wasserschlucken auf send 10 feuchte Schlucke mit jeweils 5 ml aufrechte Schlucke durchgeführt werden, 67 % bei einer festen Testmahlzeit er- Wasser oder Kochsalzlösung (0,9 %; [8]). wobei zu beachten ist, dass die jeweiligen höht [13]. Postprandiale Beobachtungen Zwischen den Einzelschlucken soll ein normativen Werte lage- und hersteller- sind nützlich bei der Differenzierung zwi- Abstand von mindestens 30 s eingehal- abhängig sind. schen Volumenreflux und Rumination ten werden, um eine deglutitive Hem- und erlauben oft auch die Diagnose von mung des vorhergehenden Schlucks mit supragastrischem Aufstossen („belching Einfluss auf die Ösophagusmotilität und Schweizer Gastroenterologie 3 · 2021 97
Zusammenfassung · Résumé · Riassunto Schweiz. Gastroenterol. 2021 · 2:96–103 https://doi.org/10.1007/s43472-021-00047-x © Der/die Autor(en) 2021 J. Levenfus · D. Pohl Moderne Diagnostik bei ösophagealen Motilitätsstörungen Zusammenfassung Für die Abklärung oberer gastrointestinaler Abflusses sowie der tubulären Peristaltik und auch Aussagen über die Peristaltik Symptome wie der Dysphagie, nichtkardialer enthalten sind. Ferner wurden mehrere getroffen werden können. Ziel der ösopha- Thoraxschmerzen, Regurgitationen sowie Provokationsmanöver wie Positionswechsel, gealen Funktionsuntersuchungen ist die des gastroösophagealen Refluxes stellt die schnelle Trinkversuche sowie feste Testmahl- Identifikation allfälliger peristaltischer oder hochauflösende Ösophagusmanometrie zeiten integriert, welche bei nicht eindeutigen statischer Motilitätsdefekte bei Patienten mit einen Goldstandard der modernen gastroen- Befunden angewandt werden können. Symptomen einer ösophagealen Dysfunktion, terologischen Funktionsdiagnostik dar. Seit Einbezogen werden auch weitere moderne welche für eine zielführende Therapiewahl Erscheinen der Chicago-Klassifikation 1.0 im Verfahren, wie der Bariumbreischluck sowie wichtig sind. Jahr 2008 als Befundungsrichtlinie folgten die endoskopische Impedanzplanimetrie mehrere Überarbeitungen. Mittlerweile liegt mittels FLIP(„functional lumen imaging Schlüsselwörter nun die Version 4.0 vor, in der ein standardi- probe“)-Technik, bei denen anhand der Ösophagus · Hochauflösende Ösophagusma- siertes Protokoll sowie Weiterentwicklungen Messung von Durchmesser und Distensibilität nometrie · Motilitätsstörungen · Achalasie · der differenzierbaren Störungen des EGJ- eine erweiterte Motilitätsdiagnostik erfolgt Endoskopische Planimetrie Méthodes modernes de diagnostic des troubles moteurs œsophagiens Résumé Pour la clarification de symptômes gastro- les troubles différenciables du passage par et fournissant aussi des informations sur le intestinaux supérieurs tels que la dysphagie, le cardia et les troubles du péristaltisme péristaltisme. Les investigations fonctionnelles les douleurs thoraciques non cardiaques, les tubulaire. Plusieurs tests de provocation tels de l’œsophage ont pour objectif d’identifier régurgitations et le reflux gastro-œsophagien, que changement de position, épreuves de de déficits péristaltiques ou statiques de la manométrie œsophagienne à haute boisson rapide et repas-tests solides ont la motilité chez les patients présentant des résolution est le standard de référence du été intégrés qui peuvent être appliqués lors symptômes de dysfonction œsophagienne, diagnostic fonctionnel gastro-entérologique de résultats équivoques. D’autres procédés ce qui est important pour un choix ciblé de la moderne. Depuis la parution, en 2008, modernes sont également inclus, p. ex. la thérapie. de la classification de Chicago 1.0 en tant gorgée barytée et la planimétrie d’impédance que directive pour le diagnostic, plusieurs endoscopique à l’aide de la technique FLIP Mots clés remaniements ont suivi jusqu’à la version 4.0 (functional lumen imaging probe), permettant Œsophages · Manométrie haute résolution · comprenant un protocole standardisé et un diagnostic approfondi de la motilité à partir Troubles moteurs · Achalasie · Functional des développements plus avant concernant du diamètre et de la distensibilité mesurés lumen imaging probe Diagnostica moderna nei disturbi di motilità esofagea Riassunto La manometria esofagea ad alta risoluzione esofagogastrica e della peristalsi tubulare. Lo scopo dei test di funzionalità esofagea rappresenta un “gold standard” della moderna Inoltre, sono state integrate diverse manovre è identificare i possibili difetti di motilità diagnostica funzionale gastroenterologica di provocazione come cambi di posizione, peristaltica o statica che si presentano in per la diagnosi dei sintomi del tratto tentativi di bere rapidamente e pasti di prova pazienti con sintomi di disfunzione esofagea gastrointestinale superiore come la disfagia, solidi, che possono essere applicati in caso di e che sono importanti per una scelta mirata il dolore toracico non cardiaco, i rigurgiti e reperti non chiari. Sono incluse anche altre della terapia. il reflusso gastroesofageo. In quanto linea metodiche moderne come il pasto di bario e la guida diagnostica, la Classificazione di planimetria impedenziometrica endoscopica Parole chiave Chicago 1.0, pubblicata nel 2008, è stata con tecnica FLIP (“functional lumen imaging Esofago · Manometria ad alta risoluzione · seguita da diverse revisioni, culminate ora probe”), che fornisce una diagnosi estesa Disturbi della motilità · Acalasia · Functional nella versione 4.0, che include un protocollo della motilità sulla base della misurazione lumen imaging probe standardizzato e ulteriori sviluppi dei disturbi del diametro e della distensibilità e consente differenziabili del deflusso della giunzione anche di fare affermazioni sulla peristalsi. 98 Schweizer Gastroenterologie 3 · 2021
Abb. 1 8 Darstellung einer EGJOO mittels HRM (erhöhtes IRP mit Intrabolusphänomenen) sowie EndoFLIP-Messung (einge- schränkte Distensibilität, Retroperistaltik). Rechts daneben radiologische Korrelation mittels Bariumbreischluck (verzögerte Passage mit geringgradiger Kontrastmittelsäule). Bei der Beurteilung der klinischen Relevanz einer EGJOOist zu beachten, dass dazu passende Symptome vorhanden sein müssen und mindestens eine Zusatzuntersuchung neben der HRMebenfalls pathologisch ausfällt. a HRM. b EndoFLIP-Messung. c Bariumbreischluck. EGJOO gastroösophageale Abflussstörung (Esoph- agogastric junction outflow obstruction), HRM hochauflösende Ösophagusmanometrie disorder“) durch zusätzliche Impedanz- gekürzt werden, wenn bereits früher aus- gang unterstützt. Dies führt zu größeren messungen [15, 16]. reichend Anhaltspunkte für eine Diagno- Unterbrechungen der kontraktilen Front, Eine pharmakologische Provokation se vorliegen oder wenn umgekehrt eine jedoch ohne signifikanten Einfluss auf die mittels inhalativem Amylnitrit und/oder Motilitätsstörung ausgeschlossenwerden Latenz [19]. Während z. B. in Rückenlage Cholezystokinin i.v. kann angeschlossen kann. ein IRP von >15 mm Hg als pathologisch werden, um die Diagnose einer echten Die Beurteilung der ösophagealen gilt, ist dies in aufrechter Position schon Störung der EGJ-Relaxation zu stüt- HRM gemäss CCv4.0 umfasst sowohl bei einem IRP >12 mm Hg der Fall [20]. zen [17, 18]. Wenn der Verdacht auf die aus Chicago 3.0 bekannten Para- eine nichtachalasieartige EGJ-Obstruk- meter IRP, DL, DCI, IBP, die Koor- Achalasie tion besteht, sind jedoch zusätzliche dination und Stärke der Peristaltik bei apparative Untersuchungen wie der Ba- 20 mm Hg Isobar-Kontur und neu auch Der wichtigste Einzelparameter, welcher riumschluck, vorzugsweise mit einer Baseline-Parameter des EGJ (EGJ-CI, bei der Achalasie berücksichtigt werden Bariumtablette, und/oder die endolumi- RIP, Abstand LES-Diaphragma) sowie muss, ist der Vier-Sekunden-IRP, da nale Messung mittels „functional lumen Symptome, die während des Untersu- dieses Zeitfenster die beste kombinierte imaging probe“ (FLIP) sinnvoll. chungsganges bzw. innerhalb von 15 s Sensitivität und Spezifität zur Erkennung Im Allgemeinen sollte das Testproto- nach einer dokumentierten Motilitäts- von Abflussanomalien ergeben hat [21]. koll dem Konzept folgen, eine schlüssige störung auftreten. Bei Patienten mit einem IRP >15 mm Hg Diagnose der vorliegenden Motilitätsstö- Die Auswirkungen der Körperpositi- in Rückenlage oder aufrechter Position rung zu stellen, welche die Symptomatik on auf die Messungen sind zu berücksich- sowie zusätzlich einer gestörten Öso- des Patienten hinreichend erklärt. Die tigen. Basaler EGJ-Druck, IRP und DCI phagusmotilität, die als Achalasie Typ 1 beschriebenen einzelnen Testsequenzen sind in aufrechter Position reduziert – (Aperistaltik, kein Druckaufbau), Typ 2 sollten eingesetzt werden, um dies zu er- ein Effekt, welcher durch die Schwer- (panösophagealer Druckaufbau) oder reichen. Das Protokoll kann daher auch kraft verursacht wird, die den Bolusab- Typ 3 (kompartimentierter Druckauf- Schweizer Gastroenterologie 3 · 2021 99
Originalien nur in 62 % der Fälle einen normalen Schlucktest ergab [20]. Neu in CCv4.0 ist auch die Beschreibung der tubulä- ren Ösophagusperistaltik, die spastisch, hyperkontraktil, ineffektiv oder nor- mal sein kann. Ein kontinuierlicher Trinkversuch (RDC) in aufrechter Posi- tion hilft, weitere Charakteristiken der EGJOO darzustellen. In einer kürzlich durchgeführten Studie zeigte ein Absin- ken des IRP auf weniger als 12 mm Hg während der RDC eine hohe Wahr- scheinlichkeit für fehlende Pathologien im Ösophagogramm [25]. Ein persis- tierender IRP >12 mm Hg während der RDC war hingegen in 36 % der Fälle mit einem pathologischen Ösophagogramm assoziiert. Wenn auch ein panösophage- aler Druck vorhanden war, stieg dies auf 48 %. Ein erhöhter IRP kann auch wäh- rend einer standardisierten Testmahlzeit vorgefunden werden, wobei hier der Cut-off von >25 mm Hg als signifikant angesehen wird. Dies kann helfen, sym- ptomatische Patienten zu identifizieren, bei denen einzelne Wasserschlucke nor- Abb. 2 8 Darstellung der Peristaltik in einer hochauslösenden Ösophagusmanometrie sowie in einer mal bleiben, sich aber während der EndoFLIP-Messung am gastroösophagealen Übergang. Trotz zum Teil ähnlich aussehender Grafiken darf nicht übersehen werden, dass die EndoFLIP-Messung eine planimetrische und keine manometri- physiologischen festen Testmahlzeit eine sche Darstellung ist. a HRM. b EndoFLIP-Messung Obstruktion entwickelt [13]. Bei vermu- teten Erkrankungen des EGJ sollte die HRM-Diagnostik grundsätzlich ohne bau) charakterisiert werden kann, sind Prozesse als Ursachen einer Pseudo- die Einnahme von Opioiden erfolgen, keine weiteren Tests erforderlich. Bei Pa- achalasie empfohlen. da diese eine mögliche Ursache falsch- tienten mit niedrigerem IRP, aber typi- positiver Diagnosen ist [23, 24]. schen Merkmalen, wurde in Chicago 4.0 EGJOO neu die Diagnose einer nichteindeutigen Ergänzende Untersuchungen Achalasie eingeführt. Diese Diagnose Die EGJOO ist bezogen auf ihre klinische rechtfertigt zusätzliche Untersuchun- Relevanz eine unklare Ösophagusmo- Da die beschriebenen ergänzenden Test- gen, wie z. B. einen Bariumbreischluck tilitätsstörung. Eine alleinige Manome- manöver während der HRM-Untersu- oder einen FLIP, um die Diagnose ei- trie ist für die Diagnosestellung und chung nicht als ausreichend gelten, um ner Achalasie zu bestätigen und ggf. Festlegung der weiteren Procedere nicht eine Therapieentscheidung zu treffen, eine entsprechende Therapie einzulei- ausreichend. Gemäss CCv4.0 gilt bei den ist bei jeder EGJOO ein Bariumbrei- ten. Anzeichen, die auf eine sekundäre Einzelschlucken in Rückenlage ein IRP- schluck und/oder eine FLIP-Messung Ursache der Achalasie, d. h. eine Pseu- Grenzwert von 15 mm Hg (Medtronic) vorgeschrieben, um die tatsächliche Si- doachalasie hinweisen und gleichzeitig bzw. 22 mm Hg (Laborie/Diversatek). In gnifikanz des Befundes zu beurteilen auch „red flags“ darstellen, sind ein Al- aufrechter Position gilt neu ein IRP ab (. Abb. 1). Auch das Vorhandensein von ter >55 Jahre, Symptome 10 kg sowie Schwie- (Laborie, Diversatek) als erhöht. Eine nun ebenfalls erforderlich. rigkeiten beim Passieren des EGJ mit weitere Neuerung in CCv4.0 ist auch der dem Endoskop [22]. Wenn zwei oder Positionswechsel, um auf eine Persis- Bariumbreischluck („timed barium mehrere dieser Risikofaktoren positiv tenz der IRP-Erhöhung zu überprüfen, swallow”, TBS) sind, werden auch zusätzliche bildge- da sich eine Normalisierung des IRP bende Untersuchungen, einschliesslich in aufrechter Position in den meisten Der Bariumbreischluck sollte standardi- CT Thorax/Abdomen und Endosono- Fällen als prädiktiv für ein normales siert durchgeführt werden, möglichst un- graphie zum Ausschluss mediastinaler, Ösophagogramm erwiesen hat, wäh- ter Verwendung von 100–200 ml dün- intrathorakaler oder intraabdomineller rend eine Persistenz der IRP-Erhöhung nem Barium mit a.p.-Bildern zu drei Zeit- 100 Schweizer Gastroenterologie 3 · 2021
position, Intrabolusphänomene, zusätz- liche Informationen aus ergänzenden Testmanövern (RDC, feste Testmahl- EGJ-Abflussstörungen Peristaltikstörungen zeit) und, um eine eindeutige Diagnose zu stellen, nicht-HRM-basierte Unter- suchungen wie der Bariumbreischluck und/oder FLIP einbezogen. Fehlende Achalasie Typ I Kontraktilität (Aperistaltik) Peristaltikstörungen Wo in Chicago 3.0 noch zwischen leich- Infeffektive ten („minor disorders of peristalsis“) Achalasie Typ II Ösophagusmotilität und schweren Ösophagusmotilitätsstö- rungen („major disorders of peristalsis“) unterschieden wurde, rücken in CCv4.0 anatomische Orientierungspunkte in Achalasie Typ III Distaler Ösophagus- den Vordergrund, d. h. der EGJ und spasmus Abb. 3 9 Übersicht der tubuläre Ösophagus (. Abb. 3). Am der definierten tubulären Ösophagus können in CCv4.0 HRM-Diagnosen vier Peristaltikstörungen unterschieden nach CCv4.0 mit Un- EGJOO Hyperkontraktiler terscheidung in EGJ- werden, die im Folgenden diskutiert Ösophagus Abflussstörungen werden. sowie Peristaltikstö- Die Grenzwerte für den hyperkontrak- rungen tilen Ösophagus (früher als Jackhammer- Ösophagus bezeichnet) und den dista- punkten (1, 2 und 5 oder 1, 3 und 5 min), den gastroösophagealen Übergang [28] len Ösophagusspasmus (DES) haben sich wobei die Bolussäulenhöhe und -breite sowie Erfahrungswerte für relevante gegenüber Chicago 3.0 nicht verändert, beurteilt werden. Idealerweise wird die- Pathologien (Achalasie, EGJOO). Auch müssen nun aber in Abhängigkeit von se Untersuchung um eine Bariumtablette lassen sich anhand der erhobenen Se- der ursächlichen Grunderkrankung (bei von 13 mm ergänzt. kundärperistaltik während einer FLIP- DES mögliche Achalasievariante, GERD, Messung Rückschlüsse auf vorhandene EoE, Sklerodermie, Opioidkonsum, sys- „Functional lumen imaging probe“ Peristaltikstörungen ziehen (. Abb. 2), temische Sklerose) von Symptomen (FLIP) denn gemäss einer neuen Studie besteht einer Ösophagusdysfunktion begleitet hierbei eine Korrelation mit in HRM- sein. Das Expertenkomitee definierte Das Prinzip der im Jahr 2005 erst- Befunden beschriebener Peristaltik [29]. DES bei Vorliegen von mindestens 20 % mals vorgestellten FLIP-Technik ist Eine weitere Besonderheit der FLIP- verfrühten Kontraktionen, d. h. einer die Impedanzplanimetrie, bei welcher Untersuchung ist, dass bei Feststellung DL von
Originalien gusspasmus dominieren gegenüber dem Take-Home-Message Abkürzungen hyperkontraktilen Ösophagus, was diese CCv4.0 Chicago Classification version 4.0 Diagnose nach unten verschiebt. Bei Falls der Verdacht auf eine Ösophagus- CSA Cross-sectional area ≥20 % der Schlucke mit einem DCI dysfunktion bei Vorliegen oberer gas- DCI Distal contractile integral (distales >8000 mm Hg · s · cm und Vorliegen der trointestinaler, vor allem dysphagischer Kontraktionsintegral) assoziierten Symptome wird die Diagno- Symptome besteht, bietet die moderne se eines hyperkontraktilen Ösophagus Ösophagusdiagnostik aufschlussreiche DES Distal esophageal spasm (distaler Ösophagusspasmus) gestellt. Dabei kann die LES-Nachkon- Untersuchungen an. Die hochauflö- traktion miteinbezogen werden, falls sende Ösophagusmanometrie gilt als DL Distale Latenz diese notwendig ist, um den Schwel- Goldstandard, mit der anhand CCv4.0 EGJ Esophagogastric junction lenwert von 20 % der Einzelschlucke zu Störungen des EGJ-Abflusses von tubu- (gastroösophagealer Übergang) erreichen. lären Peristaltikstörungen unterschie- EGJ-CI Esophagogastric junction outflow Die Diagnose der fehlenden Kon- den werden können. Das standardisier- contraction integral traktilität (Aperistaltik) wird durch die te Protokoll kann bei nicht eindeutigen gleichen Referenzwerte wie bei Chica- Befunden um Provokationsmanöver er- EGJOO Esophagogastric junction outflow obstruction go 3.0 gestellt, mit 100 % fehlgeschla- gänzt werden. Zur erweiterten Diagnos- gener Peristaltik (DCI pro Schluck von tik können der Bariumbreischluck sowie EoE Eosinophilic esophagitis (eosino- 5 cm in einem Schluck, bei daniel.pohl@usz.ch manometry (hochauflösende welchem der DCI >450 mm Hg · s · cm Impedanzmanometrie) bleibt, oder eine allgemein schwache Funding. Open access funding provided by Univer- IBP Intra-bolus pressure (Intrabolus- Kontraktion mit einem DCI zwischen sity of Zurich druck) 100 und 450 mm Hg · s · cm. Eine häufi- IEM Ineffective esophageal motility ge Ursache von IEM ist die GERD. Je Einhaltung ethischer Richtlinien (ineffektive Ösophagusmotilität) ausgeprägter die Schleimhautalteration IRP Integrated relaxation pressure (Barrett als maximaler Phänotyp), desto Interessenkonflikt. D. Pohl ist Consultant bei der schwerer können die negativen Auswir- Firma Medtronic; bezogen auf die Publikation besteht LES Lower esophageal sphincter kungen auf die Motilität sein [14, 33]. kein Interessenkonflikt. J. Levenfus gibt an, dass kein (unterer Ösophagussphinkter) Interessenkonflikt besteht. Mit einer Reihe von Provokationstests MRS Multiple rapid swallows kann die peristaltische Reserve getestet Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine werden, sei es MRS, RDC, feste Schlu- Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. PIP/RIP Pressure inversion point (respira- Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort torischer Inversionspunkt) cke oder idealerweise eine Testmahlzeit, angegebenen ethischen Richtlinien. wodurch die Diagnose von IEM bei RDC Rapid drink challenge symptomatischen Patienten von 41 % Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative TBS Timed barium swallow (Barium- auf 18 % gesenkt werden kann. Dadurch Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz breischluck) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, wird die normale Schwankungsbreite Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jegli- UES Upper esophageal sphincter beachtet und eine Überdiagnostik ver- chem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die (oberer Ösophagussphinkter) ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsge- mieden. Erfasst werden so nur Fälle mit mäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz tatsächlich bestehender IEM [13]. beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenom- Im Allgemeinen sind die bisher als men wurden. Provokative Tests können bei der leichte Motilitätsstörungen klassifizier- Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Diagnose eines hyperkontraktilen Öso- ten Entitäten meist gutartig, mit sponta- Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten phagus helfen, wobei die RDC mög- ner Heilung der Symptome nach 5 Jahren Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbil- dungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das be- licherweise eine ösophageale Druck- in 70 % der Fälle und Normalisierung des treffende Material nicht unter der genannten Creative entwicklung und die MRS zusätzlich Motilitätsmusters in 63 % der Fälle [32]. Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung Merkmale einer abnormalen deglutiti- nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Ma- ven Hemmung zeigt. Merkmale einer Achalasie oder eines distalen Ösopha- 102 Schweizer Gastroenterologie 3 · 2021
terials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers with a solid test meal for clinically relevant, sym- 27. McMahon BP, Frokjaer JB, Drewes AM, Gregersen H einzuholen. ptomatic oesophageal motility disorders: serial (2004) A new measurement of oesophago-gastric diagnostic study. Lancet Gastroenterol Hepatol. junction competence. Neurogastroenterol Motil. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der https://doi.org/10.1016/S2468-1253(17)30148-6 https://doi.org/10.1111/j.1365-2982.2004.00540. Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/ 14. Sweis R, Anggiansah A, Wong T, Brady G, Fox M x licenses/by/4.0/deed.de. (2014) Assessment of esophageal dysfunction 28. Carlson DA, Kou W, Lin Z et al (2019) Normal and symptoms during and after a standardized values of esophageal distensibility and distension- test meal: development and clinical validation inducedcontractilitymeasuredbyfunctionallumi- of a new methodology utilizing high-resolution nal imaging probe panometry. 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