Mundraub statt Supermarkt?

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Mundraub statt Supermarkt?
10/5/2014                                                                    Mundraub statt Supermarkt? | Telepolis (Print)

             Mundraub statt Supermarkt?
             Susanne Aigner 05.10.2014
             Selber ernten macht gesund: Tausende Obstsorten reifen im
             September heran. In den Supermarktregalen liegen meist nur die
             gespritzten Clubsorten­Äpfel
             Der Herbst bietet eine Fülle an Äpfeln, Birnen, Pflaumen und Beeren, die in Gärten,
             auf Wiesen, Weges­, Straßen­ und Waldrändern wachsen. Tausende Obstsorten reifen
             im September heran. In den Supermarktregalen liegen das ganze Jahr über fünf bis
             sechs so genannte Clubsorten Äpfel: Golden Delicious, Granny Smith, Elstar, Pink
             Lady und Braeburn. Sie sind gespritzt, genormt und kommen aus Italien, Neuseeland,
             Chile, Südafrika.

             Auf ihrer Reise hierher legen sie oft tausende Kilometer zurück. Die Behandlung mit
             1­Methylcyclopropen, einem gasförmigen Kohlenwasserstoff, der das natürliche
             Reifegas Ethylen blockiert und unter dem Namen SmartFresh im Handel ist, sorgt
             dafür, dass die Äpfel auch nach monatelanger Lagerung wunderschön aussehen. Auch
             wenn man es ihm nicht ansieht: Der Apfel altert dennoch und seine Vitamine werden
             abgebaut [1].

             "In fast allen modernen Sorten ist Golden Delicious eingekreuzt, die kommen ohne
             Spritzmittel gar nicht mehr aus", sagt Bio­Apfelbauer Eckhard Brandt, der an der
             Niederelbe drei Hektar mit Obst bewirtschaftet. Auf seinen chemiefreien Plantagen
             stehen 300 alte Apfelsorten, darunter der Finkenwerder Herbstprinz und der Weiße
             Winterglockenapfel.

http://www.heise.de/tp/druck/mb/artikel/42/42951/1.html                                                                       1/9
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                   Foto: Susanne Aigner

             Die alten Sorten überzeugen weniger durch ihr Aussehen als durch ihren
             hervorragenden Geschmack. Aber auch im ökologischen Obstbau gelten die EU­
             Handelklassen: Sind zu vielen Flecken auf der Schale, wird der Apfel aussortiert [2].

             Früher war es selbstverständlich, Äpfel, Birnen, Pflaumen und Beeren in den eigenen
             Gärten, an Weges­ und Waldrändern selber zu ernten. Jede Region hatte ihren eigenen
             Weihnachtsapfel. Gab es eine Weihnachtsgans, füllte man sie mit einem Apfel. Heute
             findet der moderne Stadtmensch Kräuter und Obst zu jeder Jahreszeit im Supermarkt.

             Nur begeisterte Gärtner pflücken und sammeln ihr Obst im eigenen Garten. Wer nach
             einem stressigen Arbeitstag abends nach Hause kommt, hat selten Lust, Fallobst
             aufzulesen. Wochenlang gammelt das Obst unbeachtet vor sich hin. Dabei ist Stein­
             und Kernobst eine vitaminreiche Nahrungsergänzung. Egal, ob klein und groß, mit
             Schorf, Druckstellen oder wurmstichig ­ Äpfel kann man zu Kompott und Konfitüre
             verarbeiten oder Apfelkuchen backen. Ideal dafür ist der im Supermarkt kaum
             erhältliche Boskoop.

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             Alte Sorten nur noch im Museum?
             Wer jemals in einen Gravensteiner, in eine Große Kasseler Renette oder in einen
             Geflammten Kardinal gebissen hat, weiß, wie herzhaft Äpfel schmecken können. Die
             Sommersorten James Grieve, Weißer Klarapfel und der Rote Astrachan werden schon
             ab Mitte August reif. Doch wo findet man die alten Apfelsorten, die früher so weit
             verbreitet waren?

             Nur noch wenige Obstbauern kümmern sich um die Erhaltung selten gewordener,
             regionaler Obstsorten. Ende der 1980er Jahre gründete der Gärtner Meinolf
             Hammerschmidt in Sörup bei Flensburg eine Baumschule. Am Anfang des
             Unternehmens stand ein 150 Jahre alter Baum der Sorte Angelner Herrenapfel, von
             dem er Reiser weitervermehrte. Heute gedeihen rund 730 verschiedene Apfelsorten,
             fünfzig Birnen­, acht Kirschen­ und zwanzig Pflaumensorten in den Gärten des
             Pomarium Anglicum [3].

                   Foto: Susanne Aigner

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             Neben dem europäischen Malus sylvestris stehen auch chinesische Wildapfelbäume.
             Seit etwa 20 Jahren pflegt und beerntet auch Hans­Joachim Bannier rund 500
             Apfelsorten, 70 Kirsch­, 40 Pflaumensorten sowie Aprikosen­ und Pfirsichbäumchen
             im Obst­Arboretum Olderdissen bei Bielefeld [4].

             Lebensraum Streuobstwiese
             Stark zurückgegangen sind auch die Streuobstbestände. Gab es 1950 noch rund 1,5
             Millionen Hektar Streuobstwiesen in Deutschland, sind es heute gerade mal noch
             300.000 Hektar. Dabei haben Streuobstwiesen eine wichtige ökologische Funktion, da
             sie Lebensraum für rund 5.000 Tier­ und Pflanzenarten bieten. Doch in den letzten
             Jahren hat sich offenbar ein Problembewusstsein für das Verschwinden der
             Streuobstwiesen entwickelt, denn in einigen Regionen wird der Streuobstanbau wieder
             neu entdeckt.

             Die Erzeugnisse werden in eigenen Mostereien vor Ort verarbeitet. So bewirtschaftet
             der Landschaftspflegeverband Oberes Vogtland im Mittelgebirge Streuobstwiesen auf
             Lagen bis zu 600 Metern Höhe eigene Apfelsorten. Auf diese Weise werden nicht nur
             ökologische Kreisläufe aufrechterhalten, sondern auch regionale Wirtschaftskreisläufe
             angekurbelt. Dafür erhielt die Initiative 2002 den sächsischen Umweltpreis [5].

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                   Foto: Susanne Aigner

             In diesem Jahr allerdings sorgen überdurchschnittlich hohe Obsternten, hohe
             Lagerbestände an Tafelobst und Apfelsaft sowie das Einfuhrverbot von Obst aus der
             EU nach Russland dafür, dass die Preise im Keller sind. Der NABU empfiehlt [6] eine
             betriebseigene Vermarktung mit Aufpreis von Streuobst aus Bio­Anbau. Denn
             Keltereien mit eigener Vermarktung sind unabhängig vom internationalen Saftmarkt.

             Vergessene Früchte am Wegesrand

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             Das Wissen darüber, welche Pflanzen essbar sind, ist im industriellen Zeitalter mehr
             und mehr in Vergessenheit geraten. Dabei bietet die Natur eine unglaubliche Vielfalt
             an genießbaren Wildpflanzen und ­früchten. Wildobstgehölze bereichern die
             Landschaft und spenden Pollen und Nahrung für Wildinsekten. Im Herbst hat die Natur
             ihren Tisch für Mensch und Tier reich gedeckt. Äpfel, Pflaumen, Zwetschgen, Birnen,
             Himbeer­ und Brombeerhecken tragen reife Früchte, die köstlich schmecken, häufig
             aber einfach nur herunterfallen und liegenbleiben.

             Schon im Juli und August findet man Himbeeren und Brombeeren in Gebüschen und
             an Waldrändern [7]. Die Vitamin­C­haltigen Beeren lassen sich zu Konfitüre
             verarbeiten. Himbeeren sind außerdem reich an Vitamin A, Rutin und Biotin. Auch pur
             schmecken sie gut. Ihre Blätter finden sich in Teemischungen, der gegen Husten und
             Schnupfen hilft. Bis in den Oktober hinein kann man die Blätter und Beeren der
             Himbeere ernten [8].

                   Foto: Susanne Aigner

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             In der Nähe von Häusern findet man häufig Holundersträucher. Aus seinen Blüten, die
             man bis Ende Juni sammelt, bereitet man Tee zu, der gegen Erkältung wirkt. Erntezeit
             für Holunderbeeren ist von August bis Ende Oktober. Die Beeren sind reich an
             Vitamin C und A. Sie lassen sich zu Saft, Marmelade, Mus und sogar zu Wein
             verarbeiten. Weil sie das Glykosid Sambunigrin enthalten, das beim Kauen Blausäure
             freisetzt, sollte man sie aber nicht roh essen. Die Blüten des schwarzen Holunders
             wirken schweißtreibend, fiebersenkend und schleimlösend. Aus den Blättern lassen
             sich Salben herstellen [9].

             15 Arten gehören zur Gattung der Haselnuss, die vor allem an Waldrändern wächst.
             Ihre Früchte [10] sind reich an Vitaminen A, B1, B2 und C, Fetten, Eisen und Kalzium.

             Aus den getrockneten Schalen der Hagebutten [11] kann man einen gesunden,
             Kräutertee aufgießen, der gegen Erkältung wirkt und das Immunsystem stärkt. Auch
             frisches Hagebuttenmus enthält Vitamin C. Als Konfitüre ist Hagebutte gesund und
             wohlschmeckend.

             Eher selten geworden ist die Elsbeere [12]. Das größte einheimische Rosengewächs
             leuchtet im Herbst in rot­grün­gelben Farben. Der Baum liefert nicht nur ein qualitativ
             hochwertiges Holz, auch die Beeren, die man bis in den Spätherbst hinein ernten kann,
             lassen sich vielfältig verwerten. Bereits im Mittelalter aß man die Vitamin­C­haltigen
             säuerlich süß schmeckenden Früchte, die gegen Magen­ und Darmbeschwerden helfen.
             Verarbeiten lassen sich die Früchte zu Mus, Konfitüre oder Kompott. Man kann sie
             trocknen lassen. Traditionell wird aus den Beeren auch Schnaps hergestellt.

             Selbstbedienung in der Natur?

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             Unter hochstämmigen Obstbäume an Straßen­, Wegrändern und Alleen vergammelt
             jedes Jahr tonnenweise Obst. Früchte, die man eigentlich sammeln und verwerten
             könnte. Doch Vorsicht, streng genommen gehört jede Pflanze dem
             Grundstückseigentümer. Pflückt man das Obst ohne dessen Erlaubnis, begeht man
             Diebstahl. Es schadet also nicht, vorher zu fragen. Auf öffentlichem Land hingegen
             wird das Pflücken sogar begrüßt [13] Und dasjenige Obst, das von den Zweigen fällt,
             die über den Zaun auf das Nachbargrundstück hinüberragen, gehört laut Gesetz dem
             Nachbarn [14].

             Die Initiative Mundraub [15] hat es sich zur Aufgabe gemacht, wild wachsende
             Obstgehölze in die öffentliche Wahrnehmung zu rücken. Wer Obstbäume und
             Sträucher findet, die auf öffentlichem Boden stehen oder zum Ernten freigegeben sind,
             kann deren Standort in einer Karte im Internet eintragen. Ziel ist es, Fundort und
             Früchte mit vielen Nutzern zu teilen aber auch alte Bäume zu pflegen und zu erhalten.
             Wer Obstbäume nutzt, übernimmt für sie die Verantwortung. So werden die Früchte
             der Natur wieder wert geschätzt. Und es gibt einen weiteren Vorteil: Wer Äpfel,
             Birnen, Pflaumen und Beeren selber erntet, handelt ökologisch und spart Geld.

             Anhang
             Links
             [1] http://fakten­uber.de/1­methylcyclopropen

             [2] http://www.youtube.com/watch?v=pIwNoRTawqE

             [3] http://www.alte­obstsorten.de/

             [4] http://www.nw­news.de/owl/bielefeld/mitte/mitte/?em_cnt=7003022

             [5] http://wunschapfel.de/?page_id=42

             [6] http://www.nabu.de/themen/streuobst/vermarktung/17010.html

             [7] http://www.botanikus.de/Beeren/Brombeere/brombeere.html

http://www.heise.de/tp/druck/mb/artikel/42/42951/1.html                                                                       8/9
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             [8] http://www.botanikus.de/Beeren/Himbeere/himbeere.html

             [9] http://www.botanikus.de/Botanik3/Ordnung/Holunder/holunder.html

             [10]http://www.botanikus.de/Beeren/Haselnuss/haselnuss.html

             [11]http://www.heilkraeuter.de/lexikon/hagebutt.htm

             [12]http://www.sdw.de/cms/upload/pdf/Die_Elsbeere.pdf

             [13]http://www.anwaltsregister.de/dossier.Mundraub­Obsternte­nur­mit­
                 Einverstaendnis.35.htm

             [14]
                 http://www.refrago.de/Fallobst_Wem_gehoeren_Aepfel_oder_Birnen_vom_Baum_des_Nachbarn.frage133.html

             [15]http://mundraub.org/map

                                                          Artikel URL: http://www.heise.de/tp/artikel/42/42951/
                                                           Copyright © Telepolis, Heise Zeitschriften Verlag

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