Partei- und Koalitionskriterien der österreichischen Wählerschaft für die Nationalratswahl 2006
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Partei- und Koalitionspräferenzen 445 Franz Urban Pappi (Mannheim) Partei- und Koalitionskriterien der österreichischen Wählerschaft für die Nationalratswahl 2006 Ergebnis-orientiertes Wählen berücksichtigt die Folgen der eigenen Stimmabgabe für die Regierungs- bildung. Das ist in Mehrparteiensystem generell schwierig und war bei der Nationalratswahl 2006 wegen der vielen plausiblen Regierungsoptionen besonders schwierig. Trotzdem haben die österreichischen WählerInnen Koalitionspräferenzen entwickelt. In dem Beitrag wird zunächst die Partei- und Koalitions- konstellation aus der WählerInnensicht insgesamt beschrieben und mit den politischen Einstellungen der Wählerschaft interpretiert. Dann interessiert das Verhältnis zwischen den Partei- und Koalitionspräferenzen bei den einzelnen WählerInnen, weil nicht einfach davon ausgegangen werden kann, dass letztere eine simple Folge der ersteren sind. Im dritten Schritt kann dann nachgewiesen werden, dass die Koalitions- präferenzen auch bei Kontrolle der Parteipräferenzen einen eigenständigen Einfluss auf die Wahl- entscheidung haben. Es existiert ein interner Mobilisierungseffekt, der Anhänger einer Partei zur Wahl- entscheidung für ihre Partei umso mehr motiviert, je stärker eine bestimmte Koalitionspräferenz der eigenen Partei mit einem plausiblen Koalitionspartner vorhanden ist. Und es existiert ein externer Mobilisierungseffekt bei WählerInnen ohne starke Parteipräferenz. Je positiver diese Gruppe eine große Koalition bewertet hat, desto stärker wuchs die Bereitschaft SPÖ zu wählen, während die ÖVP generell von Koalitionspräferenzen weniger profitierte. Keywords: Koalitionswählen, strategisches Wählen, Koalitionspräferenzen, Parteipräferenzen, Issuepräferenzen coalition voting, strategic voting, coalition preferences, party preferences, issue attitudes 1. Einleitung entsprach als der sonst gewöhnlich drittstärksten Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Sitze Die letzten drei österreichischen National- hatten die Parteien gleich viel erreicht, je 52 ratswahlen waren jeweils für eine Überraschung gegenüber den 65 der SPÖ und den 14 Sitzen gut. Gelang es 1999 dem Vorsitzenden der an der Grünen. Von ihrem schlechtesten Wahl- WählerInnenstimmen drittstärksten Partei ergebnis in der Geschichte der Republik Öster- Kanzler zu werden, war 2002 von einer Erd- reich machte die Volkspartei 2002 einen Sprung rutschwahl die Rede (vgl. Plasser et al. 2003; auf 42,3 Prozent, um schließlich 2006 knapp Plasser/Ulram 2005). 2006 schließlich wurde hinter der SPÖ zu landen, und dies, obwohl man die Sozialdemokratische Partei Österreichs auf der Basis von Umfragen damit rechnen (SPÖ) wider Erwarten stärkste Partei. Zu allen konnte, dass die ÖVP wieder stärkste Partei drei Überraschungen gab die Österreichische werden würde. Sie erreichte mit 34,3 Prozent Volkspartei (ÖVP) Anlass. Ihr Stimmenanteil einen Prozentpunkt weniger als die SPÖ, für die war 1999 auf 26,9 Prozent der gültigen Stim- absolut 47.493 mehr Stimmen abgegeben wur- men gefallen, was in absoluten Zahlen einem den. Diesen Stimmen verdankt der heutige Bun- um 415 WählerInnen schlechteren Ergebnis deskanzler sein Amt. Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft (ÖZP), 36 Jg. (2007) H. 4, 445–469 2007_04_5pappi.p65 445 08.12.2007, 17:21
446 Franz Urban Pappi (Mannheim) In diesem Aufsatz wird untersucht, inwie- ment seinen Erfolg der Europawahl 2004 bei weit zu diesem Ergebnis auch Koalitions- der Nationalratswahl zu wiederholen. Diese überlegungen der WählerInnen beigetragen ha- Kandidatur und die als schlecht eingestuften ben. Davor wird in dieser Einleitung die Koali- Chancen einer aktuellen Regierungspartei mach- tionssituation aus Sicht der Parteien behandelt ten den Wahlkampf spannend und die Er- und das Koalitionswählen aus Sicht der sozial- wartungsbildung über die Zusammensetzung wissenschaftlichen Literatur. des neuen Parlaments und die Regierungs- Die Volkspartei hatte ein letztes Mal vor bildung extrem schwierig. 2002 1986 ein Wahlergebnis von über 40 Pro- Mit dieser Schwierigkeit mussten nicht nur zent erreicht. Das hat sie nach einer langen Zeit die WählerInnen, sondern auch die Parteien le- der Opposition als Juniorpartner in eine große ben, die mit klaren Koalitionssignalen geizten. Koalition mit der SPÖ geführt. Nach dem gro- Die Volkspartei hielt sich fast alle Optionen of- ßen Erfolg 2002 waren die Erwartungen für fen und ließ lediglich eine große Distanz zur FPÖ 2006 höher gespannt gewesen. und der Liste Martin erkennen. Von Seiten der Die mit der Wahlabsichtsfrage gemessene Sozialdemokraten und der Grünen erschien so- Popularität der ÖVP schien ihr seit dem Früh- wohl eine Koalition miteinander als auch jeweils jahr 2006 einen deutlichen Vorsprung von 4 bis allein mit der ÖVP möglich. Aus einzelnen Stel- 5 Prozentpunkten vor der SPÖ mit etwa 35 Pro- lungnahmen kann man auf eine etwas größere zent zu sichern. Gegen Ende des Wahlkampfs Neigung zu Rot-Grün schließen als auf Rot- schien dieser Vorsprung allerdings zu schrump- Schwarz bzw. Grün-Schwarz. Was die beiden fen. linken Parteien auf alle Fälle ausschlossen, war Am 14.9.2006 berichtete die Tageszeitung eine Koalition mit den rechten Parteien FPÖ oder „Die Presse“ (www.diepresse.com) als Ergeb- BZÖ. Diese beiden Parteien, bis 2005 in der al- nis einer von ihr beim IMAS-Institut in Auftrag ten FPÖ vereint, wollten nicht gemeinsam in eine gegebenen Umfrage, dass die ÖVP mit 36 bis Regierung eintreten. Das BZÖ schloss genauso 38 Prozent rechnen könne und die SPÖ mit 34 wenig wie die ÖVP eine Fortsetzung ihrer Koa- bis 36 Prozent. Als drittgrößte Partei wurden lition unter Kanzler Schüssel aus. die Grünen mit etwa 11 bis 12 Prozent prog- Bei diesen vielen Regierungsoptionen fehlt nostiziert, dahinter die FPÖ mit 7 bis 8 Prozent. eine klare bipolare Zuspitzung. Immerhin kann Mit dem Einzug dieser vier Parteien in den Na- man grob zwischen der Linkskoalition Rot-Grün tionalrat war demnach sicher zu rechnen. Da- als einer Koalition des Machtwechsels und ei- gegen lautete die Prognose für das „Bündnis ner möglichen Mitte-Rechtskoalition als Fortset- Zukunft Österreich“ (BZÖ – auf dem Stimm- zung der bisherigen Koalition und der großen zettel firmierend als „Die Freiheitlichen – Liste Koalition bzw. einer Koalition der Volkspartei Westenthaler – BZÖ“) 2 bis 3 Prozent, was ein mit den Grünen als Optionen der linken Mitte wahrscheinliches Scheitern an der Vier-Prozent- unterscheiden. Koalitionen zwischen einer rech- Klausel signalisierte. Ein mit 4 bis 5 Prozent ten und einer linken Partei unter Ausschluss der höherer Anteil wurde für die „Liste Dr. Martin ÖVP erschienen dagegen ausgeschlossen. – für Demokratie, Kontrolle, Gerechtigkeit“ Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in Ös- vorausgesagt. Das BZÖ war im Frühjahr 2005 terreich nur einmal zu einer Gesamtablöse ei- als Abspaltung von der FPÖ gegründet worden ner Regierung, als 1970 die Alleinregierung der und blieb mit ihren früher der FPÖ angehöri- ÖVP unter Bundeskanzler Klaus durch die ers- gen MinisterInnen im Kabinett Schüssel. Es war te Alleinregierung der SPÖ unter Bundeskanz- also zum Zeitpunkt der Nationalratswahl der ler Kreisky abgelöst wurde. Wenn es bei der vom Koalitionspartner ÖVP nicht als stabil an- Regierungsbildung zu einer neuen Parteien- gesehene Regierungspartner. Mit der Liste zusammensetzung kam, dann ansonsten nur zu Martin schließlich versuchte der fraktionslose einer Teilablöse wie 1999 und schließlich 2006 österreichische Abgeordnete im Europaparla- (vgl. Müller 2006, 298). Im Wahlkampf 2006 2007_04_5pappi.p65 446 08.12.2007, 17:21
Partei- und Koalitionspräferenzen 447 entsprach die große Koalition als Teilablöse der den. So weisen Blais et al. (2006) für die Parla- bürgerlichen Koalition aus ÖVP und BZÖ also mentswahlen 2003 in Israel die Bedeutung der am besten dem vorherrschenden Muster von Koalitionspräferenzen für die Wahlentscheidung Regierungsneubildungen in Österreich. nach, die dazu führen können, dass man nicht Auch die Abwesenheit klarer Regierungs- die meistpräferierte Partei wählt. Bargsted und alternativen macht es verständlich, dass die Kedar (2007) konzentrieren sich bei der israeli- Wahlforschung den Koalitionspräferenzen der schen Parlamentswahl 2006 auf Koalitionser- österreichischen WählerInnen wenig bis keine wartungen und stellen die zentrale Bedeutung Aufmerksamkeit schenkt (vgl. als Beleg die der Wahrscheinlichkeit der Regierungsbe- Aufsätze in Plasser/Ulram 2007a). Das liegt si- teiligung einer Partei heraus. Wenn WählerInnen cher auch an dem stabilen Hauptergebnis der für ihre bevorzugte Partei keine Chance einer Frage nach den Koalitionspräferenzen: Bei den Regierungsbeteiligung sähen, tendierten sie zur WählerInnen ist die große Koalition aus ÖVP Wahl des kleineren Übels unter den wahrschein- und SPÖ am beliebtesten (vgl. für die 90er Jah- lichen Regierungsparteien. re Ulram und Müller 1995, 28 und aktuell un- In die modelltheoretische Literatur wurden sere Tabelle 2). Alternativen dazu stachen 1994 diese Überlegungen von Austen-Smith und wie 2002 und 2006 eher durch hohe Ablehn- Banks bereits 1988 eingeführt mit der Frage- ungsquoten hervor (vgl. Ulram/Müller 1995, 28; stellung, inwieweit die WählerInnen bei ihrer für 2002 Plasser et al. 2003, 139, 141 und für Wahlentscheidung die künftige Regierungs- 2006 unsere Tabelle 2). politik in Dreiparteiensystemen beeinflussen Verständlich ist auch die Zurückhaltung der können, und auch Schofield und Sened (2006) Parteien, sich auf klare Regierungsoptionen fest- konzipieren die WählerInnenentscheidung und zulegen und dies durch ständige, möglichst die anschließende legislative Phase als Teile ei- gegenseitige sich bestätigende Koalitionssignale nes Gesamtspiels. Diesen theoretischen Ansät- zu einem Hauptthema des Wahlkampfs zu ma- zen ist gemeinsam, dass sie von einem räumli- chen. Trotzdem ist natürlich nicht von der Hand chen Modell des Parteienwettbewerbs ausgehen, zu weisen, dass die künftige Politik von der in dem WählerInnen die Politik künftiger Re- künftigen Regierung bestimmt wird und dass gierungen als Positionen oder Regionen in ei- niemand 2006 erwartet hat, eine Partei werde nem Policy-Raum bestimmen können. Linhart allein eine Mehrheitsregierung bilden können. (2007) hat einen entscheidungstheoretischen Überlegungen und Präferenzen für die eine oder WählerInnenkalkül für die Herbeiführung be- andere Regierung sollten gerade in einer Wäh- stimmter bevorzugter Koalitionen entwickelt. lerschaft eine Rolle spielen, in der sich die Dazu nimmt er einen Politikraum an, in dem Parteibindung zurückbildet und die Wäh- die WählerInnen und die Parteien Idealpunkte lerInnenmobilität zunimmt (Plasser/Ulram besitzen. Jetzt kann man für alle möglichen Re- 2006, 552ff.) und in der die endgültige Wahl- gierungen einen Koalitionspunkt, z.B. als unge- entscheidung immer näher an den Wahltermin wichteten Mittelwert, bilden. Die WählerInnen heranrückt (Plasser/Ulram 2007b, 30). Die „spe- „wissen“ nicht nur, wie weit sie von den einzel- zifische Entscheidungssituation“ vor einer Wahl nen Parteien entfernt sind, sondern sie können werde wichtiger. In diesem Aufsatz wird der ihre jeweilige Distanz auch zu allen möglichen Frage nachgegangen, inwieweit zu dieser Ent- Koalitionen bestimmen. Sie besitzen also eine scheidungssituation die Koalitionspräferenzen Präferenzordnung für die Menge aller Parteien der WählerInnen gehören und welchen Einfluss und Koalitionen. Für ihre Wahlentscheidung sie auf die Wahlentscheidung ausüben. sind aber nur Koalitionen relevant, denen sie Die Wahlforschung beginnt die ursprüngli- eine Mehrheit zutrauen und die von den che Skepsis von Downs (1968) bezüglich einer Koalitionssignalen her nahegelegt werden. In rationalen Regierungswahl in Mehrparteien- den Entscheidungskalkül gehen also sowohl systemen unter Verhältniswahlrecht zu überwin- Erwartungen über den Wahlausgang als auch 2007_04_5pappi.p65 447 08.12.2007, 17:21
448 Franz Urban Pappi (Mannheim) aus der räumlichen Konfiguration abgeleitete politiker analysiert werden, die in Form von Koalitionspräferenzen ein. Dabei muss nur der Skalometereinstufungen abgefragt wurden. Aus Teil der Koalitionen berücksichtigt werden, die diesen Daten kann eine räumliche Gesamt- aufgrund der Koalitionssignale der Parteien konfiguration abgeleitet werden, die als politisch möglich erscheinen und aufgrund des Präferenzraum der österreichischen Wähler- erwarteten Wahlausgangs Mehrheiten im Par- schaft Auskunft über die Beziehung zwischen lament erwarten lassen. Dass sich WählerInnen Partei- und Koalitionspräferenzen gibt. In einem tatsächlich von derartigen Überlegungen, nächsten Abschnitt werden die Beziehungen wenigstens unter den Bedingungen eines Labor- zwischen den Partei- und Koalitionspräferenzen experiments, leiten lassen, haben Meffert und untersucht mit einem besonderen Augenmerk Gschwend (2007) nachgewiesen. auf die Bestimmungsgründe der Koalitions- Ein großes Problem bei der Übertragung die- präferenzen. Daran anschließend wird dann ser Konzepte in die Praxis der Umfrageforschung überprüft, inwieweit zusätzlich zu den Partei- ist die Konstruktion eines Politikraums, der den präferenzen die Koalitionspräferenzen noch ei- Befragten nicht nur zur Wahrnehmung der Partei- nen Einfluss auf die Wahlentscheidung hatten. standpunkte dient, sondern alleinige Basis ihrer Der leichte deutsche Weg für die Anhän- Präferenzbildung ist. Sicher ist anzunehmen, gerInnen kleiner Parteien, mit der Erststimme dass Partei- und Koalitionspräferenzen von den den präferierten großen Koalitionspartner und Policy-Distanzen eines/einer WählerIn zu die- mit der Zweitstimme die eigene Partei zu wäh- sen politischen Bewertungsobjekten abhängen. len, ist in Österreich ausgeschlossen. Der/die Die jeweiligen Policy-Standpunkte dürften aber WählerIn hat nur eine Stimme, die er/sie einer nicht das einzige Kriterium der Präferenzbildung Parteiliste, eventuell verbunden mit einer sein. Bildet ein/e WählerIn eine Präferenz- Präferenzstimme für einen bestimmten Listen- ordnung über die verschiedenen Parteien, kön- kandidaten (vgl. Müller/Scheucher 1994), ge- nen dabei auch vergangene Koalitionser- ben muss. fahrungen mit dieser Partei oder die Bewertun- gen ihrer Spitzenkandidaten in die Präferenz- bildung eingehen. Deshalb werden im Folgen- 2. Die Partei- und Koalitionskonstellation den die Präferenzen auf der Basis sogenannter aus WählerInnensicht Skalometereinstufungen direkt gemessen und nicht aus einer räumlichen Konfiguration abge- Wir stellen im Folgenden die durchschnitt- leitet. Im Unterschied zum Konzept der lichen Einstufungen der Parteien, ihrer Spitzen- Koalitionsneigung als der von der Partei- kandidaten und der möglichen Koalitionen rangordnung implizierten Koalitionsnähe (vgl. durch die Wahlberechtigten dar. Dafür steht uns Pappi/Gschwend 2005) wird eine explizite eine telefonische Vorwahlbefragung zur Verfü- Koalitionspräferenz in einer konkreten Ent- gung, die vom 18. bis 30. September 2006 im scheidungssituation vor einer Parlamentswahl Feld war.1 Ziel der Umfrage war die Untersu- gebildet; diese kann ihrerseits die Partei- chung der Erwartungsbildung über den Wahl- präferenz, vor allem auf den nachrangigen ausgang und über die möglichen Koalitionen Präferenzrängen, beeinflussen. Davon kann die und deren Einfluss auf die – eventuell – strate- Parteiidentifikation als vorgelagerte, eventuell gische Wahlentscheidung. Zu diesem Zweck langfristig angelegte AnhängerInnenschaft un- wurden den Befragten sogenannte Skalometer- terschieden werden. Sie ist natürlich ein weite- Fragen gestellt, die wir bewusst nicht als rer Einfluss auf die aktuelle Parteipräferenz, die Sympathieskalometer bezeichnen. Wir interpre- wiederum über die Koalitionsneigung auch die tieren die neutrale Fragestellung2 so, dass die Koalitionspräferenz beeinflusst. Befragten damit ihre relative Bevorzugung oder Im Folgenden sollen zunächst die Präferenz- Präferenz für die genannten Parteien, Politiker werte für die Parteien, Koalitionen und Spitzen- und Koalitionen ausdrücken können. 2007_04_5pappi.p65 448 08.12.2007, 17:21
Partei- und Koalitionspräferenzen 449 Tabelle 1: Was halten die Wahlberechtigten von den Parteien, deren Spitzenkandidaten und möglichen Koalitionen1) Partei Mittelwert Standardabweichung n % weiß nicht, keine Angabe ÖVP 0,91 0,08 1474 1,8 SPÖ 1,07 0,07 1474 1,8 Grüne 0,51 0,08 1471 2,0 FPÖ - 2,39 0,08 1470 2,1 BZÖ - 3,15 0,07 1452 3,3 Liste Martin - 1,83 0,08 1187 20,9 N 1501 Spitzenpolitiker Wolfgang Schüssel 0,74 0,09 1484 1,1 Alfred Gusenbauer 0,39 0,08 1476 1,7 Alexander van der Bellen 1,22 0,08 1472 1,9 Hans-Christian Strache - 2,41 0,08 1449 3,5 Peter Westenthaler - 2,81 0,07 1447 3,6 Hans-Peter Martin - 1,50 0,08 1201 20,0 Jörg Haider - 3,18 0,07 1470 2,1 N 1501 Mögliche Koalitionen ÖVP und SPÖ 1,27 0,08 1449 3,5 ÖVP und FPÖ - 2,04 0,08 1448 3,5 ÖVP und BZÖ - 2,55 0,07 1441 4,0 ÖVP und FPÖ und BZÖ - 2,90 0,07 1439 4,1 ÖVP und Grüne 0,04 0,08 1453 3,2 SPÖ und Grüne 0,00 0,09 1452 3,3 SPÖ und Grüne und Liste Martin - 1,17 0,09 1402 6,6 N 1501 1 Skalometereinstufungen von +5 bis -5 Die Mittelwerte weisen die SPÖ als Partei ihr Spitzenkandidat Strache wurden genau wie mit der besten Einstufung (1,07) aus, den die Koalition ÖVP/FPÖ zwar auch stark nega- Spitzenpolitiker der Grünen Van der Bellen als tiv eingestuft, aber nicht so negativ wie das den besten Politiker (1,22) und die große Koa- BZÖ. Die Befragten, die die Liste Martin oder lition zwischen Volkspartei und Sozialisten als den Politiker Hans-Peter Martin einschätzen die beste Regierungskoalition. Den Negativ- konnten, machten nur 80 Prozent der insgesamt rekord der Einstufung hält Jörg Haider mit ei- 1501 Befragten aus, was stark kontrastiert mit nem Wert von -3,8, bei den Parteien dicht ge- dem hohen Grad der Meinungsbildung für alle folgt von dem BZÖ mit -3,15 und bei den Koa- restlichen Parteien, Politiker und Koalitionen litionen mit Werten von -2,90 für eine Rechts- (vgl. Tabelle 1). koalition der ÖVP zusammen mit FPÖ und BZÖ Die Beurteilungen der Parteien, Koalitionen und der damals amtierenden Regierung ÖVP/ und Spitzenpolitiker werden danach ausgewer- BZÖ mit einem Wert von -2,55. Die FPÖ und tet, wie ähnlich oder unähnlich zwei Objekte 2007_04_5pappi.p65 449 08.12.2007, 17:21
450 Franz Urban Pappi (Mannheim) eingeschätzt werden. Als Maß kann man die der anderen, der linken, Seite. Diese linke Seite euklidische Distanz zwischen zwei Einstellungs- wird dann in der zweiten Dimension intern wei- objekten über alle Befragten berechnen. So be- ter aufgegliedert zwischen den Endpunkten steht die größte vorkommende Distanz in unse- Schüssel und Volkspartei oben und der Koaliti- rem Datensatz zwischen dem Spitzenkandidaten on SPÖ/Grüne als dem größten Gegensatz unten der Grünen, Van der Bellen, und dem promi- auf der anderen Seite. Die Platzierung letzterer nentesten Vertreter des BZÖ, Jörg Haider. Das Koalition ist insofern bemerkenswert, als man heißt mit anderen Worten, dass Befragte, die Van normalerweise erwarten würde, dass von den der Bellen sehr positiv bewerten, Haider sehr Präferenzen der WählerInnen her gesehen eine negativ bewerten und umgekehrt. Diese paar- Koalition zwischen zwei Parteien irgendwo weisen Distanzen zwischen den insgesamt 17 zwischen diesen Parteien angesiedelt sein soll- Einstellungsobjekten können fehlerlos in einem te. Das ist hier nicht der Fall, weil SPÖ und 16-dimensionalen Raum dargestellt werden. Mit Grüne weniger extrem auf der zweiten Achse Hilfe einer klassischen, weil metrischen multi- platziert sind als ihre gemeinsame Koalition. Wir dimensionalen Skalierung kann diese unüber- interpretieren dies als das Machtwechsel- sichtliche Darstellung auf wenige Dimensionen szenario, das die größte Distanz auf der zwei- konzentriert werden, wenn dadurch die ur- ten Dimension zwischen dem amtierenden sprünglichen Distanzen nicht zu sehr verändert Kanzler und der Koalition sieht, die die amtie- werden. Eine noch befriedigende Darstellung rende Regierung komplett ablösen könnte. Wer gelingt in zwei Dimensionen. Da wir dieses Rot-Grün wollte, lehnte Schüssel ab und umge- Schaubild nur für einen ersten explorativen kehrt. Überblick nutzen, ist sie als Überblick ausrei- Man darf bei der Interpretation dieser räum- chend.3 lichen Konfiguration nicht vergessen, dass hier Die resultierende Lösung (vgl. Schaubild 1) die Durchschnittsicht aller WählerInnen zusam- zeigt auf der ersten Dimension eine Zweiteilung menfassend dargestellt wird. Die internen Dif- des österreichischen Politikraums zwischen ferenzen im rechten Lager zwischen FPÖ und FPÖ und BZÖ zusammen mit allen Koalitio- BZÖ werden auf diese Weise wegen der gro- nen, an denen sie beteiligt sind, und deren ßen Ablehnung dieser Parteien durch die Wäh- Spitzenpolitikern auf der einen Seite und allen lerschaft insgesamt völlig überspielt. Bemer- anderen Politikern, Parteien und Koalitionen auf kenswert ist so auch, dass die Koalitionen der Schaubild 1: Die österreichischen Parteien-, Politiker- und Koalitionsfiguration aus Wählersicht1) 1) klassische MDS-Lösung der Skalometereinstufungen 2007_04_5pappi.p65 450 08.12.2007, 17:21
Partei- und Koalitionspräferenzen 451 ÖVP mit einer oder beiden rechten Partei ein- Lagern vor. Wir haben ein linkes Lager links deutig im rechten Lager platziert werden, wenn unten von Befragten, die die SPÖ und die Grü- auch in Richtung der Position der ÖVP. Die gro- nen sehr positiv bewerten, dann in der Mitte ße Koalition und Schwarz-Grün sind dagegen oben Befragte, die die ÖVP und Schüssel posi- eher auf halber Strecke zwischen den beiden lin- tiv einstufen, und schließlich BZÖ- und FPÖ- ken Parteien und der ÖVP angesiedelt. Die AnhängerInnen, die ihre eigene Partei, Politi- bereits erwähnte größte Distanz in dem Daten- ker und Koalitionen positiv einstufen und von satz zwischen Van der Bellen und Haider wie- den anderen Befragten negativ eingestuft wer- derholt sich im Schaubild 1 insoweit, als diese den. Deshalb entsteht die relativ isolierte Grup- beiden Politiker auf der ersten Dimension am pierung am rechten Rand von Schaubild 1. weitesten voneinander entfernt sind. Zur Interpretation der Lösung und zur Ein- Der Politikraum insgesamt zeigt große Ähn- teilung der drei Lager verwenden wir einmal die lichkeit mit dem Parteienraum, den Linhart und Parteipräferenz und einmal die Koalitions- Shikano (2007) aus den Wahlprogrammen der präferenz. Diese Präferenzen werden aus den österreichischen Parteien zur Nationalratswahl selben Skalometerwerten abgeleitet, die auch für 2006 abgeleitet haben. Auch dort sind sich SPÖ die multidimensionale Skalierung verwendet und Grüne relativ nahe und die ÖVP nimmt die wurden, allerdings mit dem Unterschied, dass Mittelposition ein. Allerdings nehmen BZÖ und wir jetzt getrennt für die Partei- und die FPÖ auf den beiden Dimensionen der Lösung Koalitionspräferenzen jeweils die Erstpräferenz, von Linhart und Shikano die Extremposition ein, d.h. die am höchsten bewertete Alternative, fest- sowohl auf der sozio-ökonomischen Links- stellen. Dabei kommen viele Rangplatzbin- Rechts-Dimension als auch auf der innen- und dungen (Befragte, die nicht eine Partei oder rechtspolitischen Dimension. Im vorliegenden Koalition am höchsten bewerten, sondern zwei Fall sind BZÖ und FPÖ auf Dimension 2 eher Objekte gleich hoch) vor, so dass sich eine Ver- in der Mitte platziert. In Schaubild 1 sind die einfachung der Parteien und der Koalitions- Achsen auch nicht vor der Analyse inhaltlich optionen empfiehlt. Als Anhaltspunkt für die festgelegt worden, so dass vorläufig nur die re- Vereinfachung kommt die Links-Rechts-Einstu- lative Anordnung der Parteien, Politiker und fung der Parteien in Frage (vgl. Schaubild 2). Koalitionen zueinander interpretiert werden Danach ist es gerechtfertigt, die beiden linken kann. Für diese Interpretation nehmen wir Parteien Grüne und SPÖ zur linken (L) zusam- zunächst eine Zuordnung der Befragten zu drei menzufassen und die beiden rechten Parten BZÖ Schaubild 2: Die durchschnittliche Wählerwahrnehmung der Parteien auf einer Links-Rechts-Skala und die Selbsteinstufung der Wahlberechtigten 2007_04_5pappi.p65 451 08.12.2007, 17:21
452 Franz Urban Pappi (Mannheim) und FPÖ zum Lager der rechten (R). Die ÖVP nannten Koalitionen fallen die 10,9 Prozent für behandeln wir als Mittelpartei (M). Daraus er- MR oder die 4,3 Prozent für eine ungewöhn- gibt sich zusammen mit den Rangplatz- liche LMR-Koalition ab. Die 10,9 Prozent sind bindungen die in Tabelle 2 dargestellte Typolo- umso bemerkenswerter, als eine MR-Regierung gie der Partei- und Koalitionspräferenzen. schließlich die amtierende Regierung war. Die Die größte Gruppe bei den Parteipräferenzen häufigste LMR-Koalition ist eine Rang- sind die 44 Prozent der Befragten, die SPÖ und/ platzbindung zwischen einer großen Koalition oder Grüne als Erstpräferenz haben. Diesen und einer Koalition aus ÖVP und FPÖ (2,3 Pro- Parteivorsprung der Linken kann die ÖVP mit zent). 31 Prozent als Partei der Mitte nicht einholen, Nach einer hier nicht gezeigten Analyse gibt selbst wenn man die Rangplatzbindungen es eine einfache Zuordnung der Partei- und zwischen Links und Mitte (6,5 Prozent) und Koalitionsgruppen zu den in Schaubild 1 dar- Mitte/Rechts (1,9 Prozent) hinzunimmt. Diesem gestellten Parteien, Koalitionen und Politikern. Vorsprung der Linken bei den Parteipräferenzen So lassen sich in Schaubild 1 diese Gruppen als entsprechen die Koalitionspräferenzen nicht. Vektoren ausgehend vom Nullpunkt einzeich- Eine Erstpräferenz für eine rot-grüne Regierung nen. Dabei stellt sich die Dreiteilung heraus, haben nur 21 Prozent der Befragten. Dazu kom- dass Befragte, die der ÖVP nahestehen, men evtl. die 6,7 Prozent mit einer Rangplatz- schwerpunktmäßig im Bereich zwischen Schüs- bindung zwischen LL und LM. Dagegen ha- sel und der ÖVP einerseits und der großen Ko- ben 46 Prozent eine Präferenz für eine Mitte- alition bzw. der schwarz-grünen Koalition an- Links-Regierung (LM). Gegen die bisher ge- dererseits platziert sind und die AnhängerInnen Tabelle 2: Die Erstpräferenzen der österreichischen Wahlberechtigten für Partei- und Koalitionsgruppen1 1. Parteipräferenzen % Links (Grüne, SPÖ) 43,9 Mitte (ÖVP) 30,6 Rechts (BZÖ, FPÖ) 7,5 LM 6,5 MR 1,9 LR 1,7 indifferent 4,1 entfremdet 2,4 keine Angaben 1,4 N 1501 2. Koalitionspräferenzen % LL (Grüne, SPÖ) 21,0 LM (Grüne oder SPÖ, ÖVP) 46,0 MR (ÖVP, BZÖ und/oder FPÖ) 10,9 LLM /LL, LM) 6,7 LMR (Kombinationen mit L und M und R) 4,3 indifferent 5,1 entfremdet 3,2 keine Angaben 2,9 N 1501 1 Die Liste Martin wird aufgrund ihrer geringeren Bekanntheit nicht berücksichtigt. 2007_04_5pappi.p65 452 08.12.2007, 17:21
Partei- und Koalitionspräferenzen 453 der Linken entsprechend unten links mit Rich- Anordnung entspricht. So müssten sich die tung auf die SPÖ und die Alternativkoalition AnhängerInnen von Grünen und SPÖ am wei- SPÖ/Grüne. Wie nicht anders zu erwarten geht testen links einordnen, dann sollten die Befrag- der Vektor der rechten WählerInnen eindeutig ten folgen, die auf Platz 1 ihrer Skalometer- in Richtung des Clusters der entsprechenden einstufungen eine Rangplatzbindung zwischen Einstellungsobjekte. Für die Interpretation kann Grünen bzw. SPÖ und ÖVP aufweisen (ML), man sowohl die Partei- als auch die Koalitions- gefolgt von den AnhängerInnen der ÖVP (M) gruppen nach dem allgemeinen Links-Rechts- und dann von MR und schließlich R. Die Be- Schema ordnen und prüfen, inwieweit dieses fragten, die eine Rangplatzbindung zwischen Schema sich auch in den Mittelwerten der einer linken und einer rechten Partei als oberste Selbsteinstufung auf der Links-Rechts-Skala Präferenz aufweisen (LR) haben wir zwischen widerspiegelt. Dabei gehen wir davon aus, dass M und MR eingestuft, also in nächster Nähe von die Dimension 1 dieses traditionelle Links- M. Mit Ausnahme von MR entspricht die Ab- Rechts-Schema für Österreich noch am besten folge der Mittelwerte auch unseren Erwartun- wiedergibt; dies gilt zumindest für die Reihen- gen (vgl. Tabelle 3). Die Ausnahme betrifft Be- folge der Parteien, wenn auch nicht unbedingt fragte, die die ÖVP und eine rechte Partei auf für die Abstände. Rang 1 haben (MR); sie stufen sich mit einem Die in Schaubild 2 dargestellte WählerIn- Mittelwert von 7,15 mehr rechts ein als die nenwahrnehmung der Links-Rechts-Positionen AnhängerInnen von FPÖ oder BZÖ mit einem der Parteien bestätigt die Interpretation von Di- Mittelwert von 6,76. Auffällig sind auch die mension 1 als Links-Rechts-Dimension. Unab- hohen Standardabweichungen auf der rechten hängig davon kann man diese Interpretation Seite des Parteienspektrums. Besonders die auch dadurch überprüfen, dass man die Partei- Heterogenität der Selbsteinstufung der Partei- präferenz- und Koalitionspräferenzgruppen der gruppen LR (0,57) und MR (0,44) sticht hervor. WählerInnen nach diesem allgemeinen Links- Diese Heterogenität kann ein Hinweis auf ein Rechts-Schema ordnet und überprüft, inwieweit unterschiedliches inhaltliches Verständnis davon die durchschnittliche Selbsteinstufung dieser sein, was eine rechte Ideologie in der öster- Gruppen auf der Links-Rechts-Skala dieser reichischen Politik bedeutet. Tabelle 3: Die Links-Rechts-Selbsteinstufung1 der Partei- und Koalitions-Präferenzgruppen 1. Parteipräferenzen Präferenzgruppen2 Mittelwert Standardabweichung n L 4,16 0,08 616 ML 5,63 0,19 92 M 6,26 0,10 422 LR 6,60 0,57 25 MR 7,15 0,44 27 R 6,76 0,26 99 2. Koalitionspräferenzen LL 3,77 0,12 295 LLM 4,76 0,22 98 LM 5,65 0,09 642 LMR 5,97 0,29 61 MR 6,68 0,20 150 1 Links-Rechts-Skala von 1 = links bis 11 = rechts 2 Vgl. zu den Abkürzungen Tabelle 2 2007_04_5pappi.p65 453 08.12.2007, 17:21
454 Franz Urban Pappi (Mannheim) In der Umfrageforschung spricht man von punkt auf die Einschränkung von „public ser- einer „self-anchoring scale“, wenn man die in- vices“ als Weg zu Steuersenkungen verweist; haltliche Interpretation einer Skala den Befrag- abgekürzt wird von der Skala als „taxes vs. ten selbst überlässt. So nimmt man bei einer spending“ gesprochen (Benoit/Laver 2006, 168). Links-Rechts-Skala an, dass die Befragten die Mit dieser Frage sollten politikwissenschaftliche Begriffe links und rechts verstehen werden und ExpertInnenen die Parteien der einzelnen Län- die Ergebnisse von Schaubild 2 und Tabelle 3 der auf einer entsprechenden Skala einstufen. sprechen eindeutig dafür, dass die öster- Wir haben mit einem analogen Verständnis von reichischen Wahlberechtigten ein gemeinsames links und rechts die Befragten um ihre Selbstein- Verständnis darüber haben, was links und rechts stufung und die Angabe der Positionen der Par- bedeutet. Benoit und Laver (2006, 129ff.) be- teien auf einer derartigen Skala gebeten.4 In zeichnen dieses in einem Land beobachtbare ge- Schaubild 3 sind die Durchschnittswahrneh- teilte Verständnis von links und rechts auf der mungen für die Parteien und die Verteilung der Basis derartiger „self-anchoring scales“ als sui Selbsteinstufung der Befragten wiedergegeben. generis. Davon zu unterscheiden sind analyti- Die Parteienkonfiguration zeigt sehr gerin- sche oder A-Priori-Explikationen von linken und ge Unterschiede zwischen den fünf Parteien. Sie rechten politischen Ideologien. So wird Sozia- sind in der WählerInnenwahrnehmung alle im lismus in der traditionellen Verbindung mit Plan- Bereich der gemäßigten linken Mitte angesie- wirtschaft als linke Ideologie verstanden und Li- delt. Wenn man die Rangfolge der Parteien beralismus im europäischen Sinn mit der Ab- überhaupt interpretieren will, spiegelt sie noch lehnung weitgehender Staatseingriffe in die am ehesten die zweite Dimension unserer Wirtschaft und der Betonung marktwirtschaft- multidimensionalen Skalierung (Schaubild 1) licher Prinzipien als rechts. Mit dem Untergang wider, mit einer Mittelposition von FPÖ und des real existierenden Sozialismus hat sich die- BZÖ zwischen den linken Parteien SPÖ und se Bedeutung heute zur Befürwortung oder Ab- Grünen und der ÖVP als der Partei, die dem lehnung weitreichender wohlfahrtstaatlicher neutralen mittleren Wert von 6 auf der Skala Leistungen verschoben. Benoit und Laver ver- von 1 bis 11 am nächsten kommt und damit noch wenden zur analytischen Erfassung der sozio- am ehesten als Partei einer gemäßigten Steuer- ökonomischen Dimension eine Frage, in der der quote und damit ohne Spielraum für einen Aus- linke benannte Endpunkt der Skala als Ausbau bau sozialer Leistungen gesehen werden kann. von „public services“ mit Hilfe von Steuer- Steuererhöhungen sind bei WählerInnen erhöhungen bezeichnet wird und der rechte End- generell natürlich unbeliebt, so dass der linke Schaubild 3: Die durchschnittliche Wählerwahrnehmung der Parteien auf einer sozio-ökonomischen Links-Rechts-Skala1) und die Selbsteinstufung der Wahlberechtigten 2007_04_5pappi.p65 454 08.12.2007, 17:21
Partei- und Koalitionspräferenzen 455 Rand der Verteilung schwach besetzt ist, wäh- bindungen einer linken und einer rechten Partei rend das Risiko einer Kürzung der Sozialaus- (LR) oder der ÖVP mit einer rechten Partei gaben am rechten Rand etwas mehr WählerIn- (MR) fügen sich nicht in die erwartete ordinale nen bereit sind einzugehen. Für ein Mehr- Rangfolge ein und sind außerdem sehr hetero- parteiensystem würde man aber nicht unbedingt gen, wie die hohen Standardabweichungen zei- erwarten, dass sich alle Parteien um den Median- gen. Diese Ergebnisse entsprechen der Interpre- wähler scharen. tation von Dimension 2 in Schaubild 1 als der Schaubild 3 gibt die Parteiwahrnehmungen sozio-ökonomischen Dimension nur an- des Durchschnittswählers wieder. Sie müssen näherungsweise. Inhaltlich würde man die nicht unbedingt mit der Selbsteinstufung der sozio-ökonomische Dimension in Schaubild 1 Befragten übereinstimmen, die eine bestimmte eher mit einer – nicht eingezeichneten – Gera- Partei präferieren, weil man etwa erwarten wür- den in Zusammenhang bringen, die von links de, dass die ParteianhängerInnen dem durch- unten so nach rechts oben läuft, dass das rechte schnittlichen Parteistandpunkt auch am nächs- Lager tatsächlich auch sozio-ökonomisch rechts ten sind. Wie ein Vergleich der Selbstein- von der ÖVP platziert ist. Dies entspricht aber, stufungen der Partei- und Koalitionspräferenz- wie gesagt, nicht der Sicht des Durchschnitts- gruppen auf dieser sozio-ökonomischen Links- wählers. Es entspricht aber wieder den durch- Rechts-Skala zeigt (vgl. Tabelle 4), haben die schnittlichen Selbsteinstufungen der Koalitions- Befragten etwas rechtere Einstellungen als ihre präferenzgruppen (vgl. Tabelle 4). Hier ergibt jeweilige Partei. Die Unterschiede sind im all- sich die erwartete Links-Rechts-Ordnung ohne gemeinen nicht groß, nur die Befragten, die als Abweichung mit dem linksten Durchschnitt von erste Partei FPÖ oder BZÖ präferieren (Partei- 5,76 für die AnhängerInnen einer Koalition aus präferenzgruppe R), sind sozio-ökonomisch mit SPÖ und Grünen und dem höchsten Durch- einem Wert von 7,15 nicht nur deutlich rechter schnitt von 6,91 für die AnhängerInnen einer als ihre Partei, sondern nehmen im Unterschied Koalition zwischen ÖVP und einer Rechtspar- zu den Parteiwahrnehmungen auch den rech- tei. ten, in diesem Fall eher sozialstaatskeptischen Gegen die Interpretation der ersten Dimen- Rand ein. Die Befragten mit den Rangplatz- sion von Schaubild 1 als sozio-ökonomische Tabelle 4: Die Selbsteinstufung der Partei- und Koalitions-Präferenzgruppen auf der sozio-ökonomischen Links-Rechts-Skala1 1. Parteipräferenzen Präferenzgruppen2 Mittelwert Standardabweichung n L 5,90 0,10 617 LM 6,14 0,23 90 M 6,39 0,11 430 LR 6,77 0,69 22 MR 6,31 0,54 26 R 7,15 0,28 103 2. Koalitionspräferenzen LL 5,76 0,16 292 LLM 5,95 0,24 92 LM 6,17 0,09 643 LMR 6,81 0,37 57 MR 6,91 0,22 152 1 Vgl. Fußnote 4, Skala von 1 = links bis 11 = rechts. 2 Vgl. zu den Abkürzungen Tabelle 2. 2007_04_5pappi.p65 455 08.12.2007, 17:21
456 Franz Urban Pappi (Mannheim) Dimension spricht der große Abstand zwischen den deutlichen Unterschied zwischen den beiden der ÖVP und dem rechten Lager. Die ExpertIn- rechten Parteien, die als Fürsprecher einer so- nenbefragung von Benoit und Laver für Öster- fortigen Abschiebung illegaler Einwanderer reich bestätigt aber die geringe Übereinstim- wahrgenommen werden, und den drei anderen mung zwischen allgemeiner und sozio-ökono- Parteien, von denen die ÖVP in der Mittel- mischer Links-Rechts-Position der Parteien. Die position, die SPÖ leicht links davon und die Sui-Generis-Definition von Links-Rechts wird Grünen als Partei wahrgenommen werden, die in Österreich nicht mit der sozio-ökonomischen noch am ehesten für eine Aufenthaltserlaubnis Links-Rechts-Dimension vorausgesagt, sondern nach kurzer Zeit eintreten. Dies entspricht in mit der Position der Parteien in Bezug auf so- etwa der Parteienanordnung auf Dimension 1 genannte „social issues“; dies meint nicht die von Schaubild 1, wobei allerdings die Abstän- Sozialpolitik, sondern innen- und rechts- de zwischen ÖVP, SPÖ und Grünen geringer politische Fragen bei Problemen wie Schwan- ausfallen als in Schaubild 4. Die Selbstein- gerschaftsabbruch, rechtliche Stellung von Ho- stufung der WählerInnen in Schaubild 4 macht mosexuellen und Euthanasie (Benoit/Laver auch deutlich, dass am rechten Rand durchaus 2006, 145). Inhaltlich kann man zu diesem Kom- Stimmen bei dieser Thematik zu holen sind. plex der Innen- und Rechtspolitik auch die Ein- Die Selbsteinstufungen der Partei- und wanderungspolitik zählen, die in Österreich Koalitionspräferenzgruppen bestätigen das 2006 auch eines der wichtigen Wahlkampf- Wahrnehmungsmuster (vgl. Tabelle 5). Bei den themen war. Deshalb wurde zusätzlich zur AnhängerInnen der verschiedenen Koalitionen sozio-ökonomischen Dimension noch eine Ska- reicht das Spektrum von einem gemäßigten mitt- la zur Einwanderungspolitik in unsere Befra- leren Wert von 6,42 für die AnhängerInnen von gung aufgenommen, für die die Wahrnehmung Rot-Grün bis zu einem extremeren Wert von der Parteipositionen und die Selbsteinstufung 3,20 für die AnhängerInnen einer Mitte-Rechts- der Befragten erhoben wurden. Inspiriert von Koalition. Dieser Wert liegt näher an den Be- der aktuellen Diskussion im Wahlkampf wurde fragten, die bei den Parteien eine Erstpräferenz konkret die Behandlung illegaler Einwanderer für eine rechte Partei haben. Der Wert der Be- thematisiert.5 fragten, die die ÖVP als Partei bevorzugen, liegt Die wahrgenommenen Parteipositionen in rechts vom wahrgenommenen Parteien- der Einwandererfrage (vgl. Schaubild 4) zeigen standpunkt der ÖVP bei immerhin 4,70 und Schaubild 4: Die durchschnittliche Wählerwahrnehmung der Parteien auf einer Skala der Einwanderungspolitik1) und die Selbsteinstufung der Wahlberechtigten 2007_04_5pappi.p65 456 08.12.2007, 17:21
Partei- und Koalitionspräferenzen 457 damit in etwa gleichauf mit dem ebenfalls un- 3. Die Beziehung zwischen den Partei- und erwartet rechten Wert von 4,64 für die An- Koalitionspräferenzen hängerInnen einer großen Koalition. Da Grüne und SPÖ hier zu den Linksparteien zusammen- In den modernen Parteidemokratien stellen gefasst wurden, liegt sogar der Wert der die Parteien die zentralen Bezugsobjekte für die ParteianhängerInnen der Linken mit 5,81 auf der WählerInnen dar. Langfristig können die rechten Seite der Einwanderungsskala. Man WählerInnen eine Identifikation mit einer be- kann generell für die Parteipräferenzgruppen stimmten Partei entwickeln, kurz- und mittel- sagen, dass immer dann, wenn auf Präferenz- fristig kann sich unter dem Einfluss von Ereig- rang 1 eine rechte Partei beteiligt ist, die Ein- nissen und wirtschaftlichen Entwicklungen eine stellung stark zum illiberalen Ende der Ein- aktuelle Parteipräferenz herausbilden. In Mehr- wanderungspolitik-Skala tendiert. Wenn eine parteiensystemen wird man sich Urteile über alle linke Koalition mit 21 Prozent weit weniger in der nationalen Politik sichtbaren Parteien bil- AnhängerInnen hat als die beiden linken Par- den, so dass der/die einzelne WählerIn im Ide- teien AnhängerInnen haben (43,9 Prozent), alfall eine vollständige und transitive Präferenz- könnte das mit der Skepsis vieler öster- ordnung für alle diese Parteien besitzt. Dies er- reichischen WählerInnen gegenüber einer gibt bei fünf Parteien 5! = 120 verschiedene star- Regierungspolitik in der Einwanderungsfrage ke Präferenzordnungen, zu denen noch eine zusammenhängen, an deren Formulierung die Reihe weiterer kommen, wenn man Rangplatz- Grünen maßgebend beteiligt wären. bindungen zwischen zwei und mehr Parteien Im nächsten Abschnitt wird die Beziehung berücksichtigt. Zur Vereinfachung wird hier nur zwischen den Koalitions- und Parteipräferenzen die Erstpräferenz verwendet oder es wird auf untersucht. Danach wird geprüft, inwieweit sich die ursprünglichen Rating-Skalen (Skalometer- die Koalitionspräferenzen zusätzlich zu den Einstufungen der Parteien) zurückgegriffen. Parteipräferenzen auf die Wahlabsicht auswir- Die Parteien können auf verschiedenen Ebe- ken. nen aktiv sein, unterhalb der nationalen Ebene Tabelle 5: Die Selbsteinstufung der Partei- und Koalitions-Präferenzgruppen auf der Einwanderungspolitikskala1 1. Parteipräferenzen Präferenzgruppen2 Mittelwert Standardabweichung n L 5,81 0,11 646 LM 4,64 0,26 97 M 4,70 0,12 445 LR 2,62 0,42 26 MR 3,37 0,58 27 R 2,94 0,24 110 2. Koalitionspräferenzen LL 6,42 0,16 310 LLM 5,72 0,28 98 LM 4,82 0,10 671 LMR 4,30 0,36 63 MR 3,20 0,19 159 1 Vgl. Fußnote 5. Je höher der Wert, desto eher für eine „Aufenthaltserlaubnis für illegale Einwanderer nach sehr kurzer Zeit“ statt für sofortige Abschiebung, also 11 = links, 1 = rechts. 2 Vgl. zu den Abkürzungen Tabelle 2. 2007_04_5pappi.p65 457 08.12.2007, 17:21
458 Franz Urban Pappi (Mannheim) in den Gemeinden und Ländern oder Provinzen optionen im hier verstandenen Sinn. Diese müs- und darüber z.B. im europäischen Parlament. sen gerade nicht quasi-automatisch aus der Die Tätigkeiten und das Erscheinungsbild ei- Parteipräferenz folgen. ner Partei auf all diesen Ebenen können theore- Zwischen Partei- und Koalitionspräferenz tisch in die Parteipräferenz einfließen, deren wird natürlich normalerweise ein enger Zusam- Hauptbezugspunkt aber auch unter heutigen menhang bestehen. In der im letzten Abschnitt Bedingungen die nationale Parteiorganisation gewählten Zusammenfassung der Erst- sein dürfte. präferenzen und in der Anordnung beider von Der Beurteilungskontext für die Entwick- links nach rechts beträgt die Assoziation g = lung einer Regierungspräferenz ist dagegen 0,81. Aber die Assoziation ist nicht perfekt und stark auf ein ganz bestimmtes Regierungssystem insbesondere beantwortet sie nicht die Kausali- und darüber hinaus auch auf eine bestimmte tätsfrage, was von wem abhängt. Normalerweise zeitliche Situation beschränkt. Der/die WählerIn wird man zwar annehmen, dass die Partei- wird in Wahlkampfzeiten konkreter über Regie- präferenz die Koalitionspräferenz beeinflusst. rungen und ihre mögliche Parteizusammen- Was ist aber zu erwarten, wenn einzelne Partei- setzung nachdenken als während der Legisla- en keine Koalitionssignale geben wie z.B. die turperiode, wenn mögliche neue Koalitionen ÖVP? Wird ein/e ÖVP-AnhängerIn dann dar- nicht auf der Agenda stehen. Außerdem wird auf verzichten, eine Koalitionspräferenz zu ent- er/sie sich auch in Wahlkampfzeiten nicht den wickeln oder wird er/sie sich unabhängig von Kopf zerbrechen über alle denkbaren Regierun- der erstpräferierten Partei Gedanken darüber gen – bei fünf Parteien unter Einschluss von machen, welche Regierung den eigenen Inter- Minderheits- und Einparteienregierungen gibt essen am besten dient? Letzteres entspricht der es immerhin 25-1 = 31 mögliche Regierungen – Downs’schen Entscheidungslogik, die nur in sondern er/sie wird sich auf die realistischen Regierungssystemen, in denen man auf Koali- Möglichkeiten beschränken. Realistisch sind tionen angewiesen ist, schwer umzusetzen ist. Mehrheitskoalitionen, die nach der voraussicht- Die Schwierigkeit einer rationalen Regierungsaus- lichen Mandatsverteilung im Parlament möglich wahl kann also manche Wähler dazu treiben, die sind und von den Parteien nicht grundsätzlich Wahl als eine Präferenzbekundung zu behandeln, für politisch unmöglich erklärt wurden. Diese was in unserem Modell irrational ist (Downs 1968, Kriterien ergeben für Österreich vor der 159). Nationalratswahl 2006 die in Schaubild 1 auf- geführten Koalitionen. Geht man von den Überspitzt könnte man behaupten, der/die Koalitionsskalometern auf die Erstpräferenzen rationale WählerIn habe gar keine originäre der WählerInnen für eine bestimmte Koalition Parteipräferenz, sondern eine originäre Koali- über, haben wir eine Zusammenfassung dadurch tions- oder Regierungspräferenz. Schließlich ist vorgenommen, dass wir die Grünen und die SPÖ die künftige Regierung der entscheidende Ak- zur Linken und das BZÖ und die FPÖ zur Rech- teur für die Gestaltung seines/ihres Nutzen- ten zusammengefasst haben. einkommens aus der Regierungstätigkeit in der Man kann die Beziehung zwischen Partei- nächsten Legislaturperiode. und Koalitionspräferenz als völlig unproblema- Wenn man die kausale Beziehung zwischen tisch ansehen, wenn man annimmt, dass letzte- Partei- und Koalitionspräferenz zunächst unbe- re aus der ersteren folgt. So haben Pappi und rücksichtigt lässt, kann eine Beziehung zwi- Gschwend (2005, 287) die Erst- und Zweit- schen beiden Begriffen indirekt durch ihre je- präferenz im Hinblick auf Parteien als Koali- weilige Beziehung zur Parteiidentifikation her- tionsneigung interpretiert. Dieser neue Begriff gestellt werden. Die längerfristig angelegte wurde gewählt, um davon dann die Koalitions- AnhängerInnenschaft wird natürlich die aktu- präferenz unterschieden zu können. Diese be- elle Parteierstpräferenz stark bestimmen, wäh- zieht sich auf die realistischen Koalitions- rend der Zusammenhang mit der Koalitions- 2007_04_5pappi.p65 458 08.12.2007, 17:21
Partei- und Koalitionspräferenzen 459 Tabelle 6: Die Parteiidentifikation als Determinante der Partei-Erstpräferenz1 Partei- identifikation2 % n Davon Präferenz Darunter Präferenz für für selbe Grüne SPÖ ÖVP BZÖ FPÖ Partei in % in % Grüne 9,3 (140) 82,9 SPÖ 23,7 (355) 66,8 ÖVP 23,5 (352) 81,5 BZÖ 1,1 (16) 56,3 FPÖ 3,7 (55) 60,0 Andere 1,3 (20) – Keine 27,6 (414) – 15,7 16,9 23,7 2,4 5,6 weiß nicht 2,6 (39) – 12,8 20,5 30,8 – 12,8 keine Angabe 7,3 (110) – 19,1 9,1 27,3 0,9 2,7 Σ 100% 1501 1 Hier werden nur eindeutige Erstpräferenzen ohne Rangplatzbindung berücksichtigt. 2 Mit folgender Frage erfasst: „In Österreich neigen viele Leute längere Zeit einer bestimmten Partei zu, obwohl sie auch ab und zu eine andere Partei wählen. Wie ist das bei Ihnen: Neigen Sie - ganz allgemein gesprochen - einer bestimmten Partei zu? Und wenn ja, welcher?“ präferenz schon aus dem schlichten Grund we- BZÖ 56 Prozent. Wider Erwarten sind es nicht niger eng ausfallen wird, weil unter den realis- die beiden großen Parteien, für die sich die tischen Regierungsoptionen keine Einparteien- AnhängerInnenschaft am konsequentesten in regierungen enthalten sind. eine konsistente aktuelle Parteipräferenz um- Die Parteiidentifikation misst idealer Wei- setzt, weil die SPÖ hier hinter den hohen se eine längerfristige Bindung an eine Partei, Umsetzungswerten der Volkspartei, aber über- die aber vorübergehende Abweichungen in der raschenderweise auch hinter denen der Grü- Wahlentscheidung oder auch in der Erst- nen zurückbleibt. Dieser Nachteil für die SPÖ präferenz für eine andere Partei nicht aus- wird auch nicht durch eine besondere Attrak- schließt. Je ein knappes Viertel der öster- tivität im Lager der NichtanhängerInnen aus- reichischen Wählerschaft versteht sich als geglichen. Hier führt die ÖVP und auch die AnhängerIn der beiden großen Parteien ÖVP Grünen als kleine Partei sind unter den und SPÖ, etwas über ein Viertel (27,6 Prozent, NichtanhängerInnen gut vertreten. siehe Tabelle 6) identifiziert sich mit keiner Aus der Tabelle 7 geht hervor, dass die Partei und zusätzliche knapp zehn Prozent Parteianhängerschaften vor der Nationalrats- machen auf die entsprechende Frage keine wahl 2006 teilweise stark gespalten waren im Angabe oder antworten mit „weiß nicht“. Aus Hinblick auf ihre Koalitionspräferenzen. Das der Gruppe der kleinen Parteien stechen die gilt insbesondere für die beiden großen Partei- Grünen mit 9,3 Prozent AnhängerInnen heraus, en. 37 Prozent der AnhängerInnen der SPÖ während auf die FPÖ nur 3,7 Prozent und auf waren für Rot-Grün und 37 Prozent für Rot- das BZÖ nur 1,3 Prozent entfallen. Die Um- Schwarz. Der Rest ist schwerpunktmäßig zwar setzung der AnhängerInnenschaft in die aktu- auf die linke Mitte festgelegt, aber weniger fest- elle Erstpräferenz für eine Partei ist bei der gelegt auf eine bestimmte Mitte-Links-Regie- ÖVP und den Grünen am konsequentesten: 82 rung. Bei der ÖVP sind 31 Prozent für Schwarz- bzw. 83 Prozent haben eine konsistente Erst- Grün und 30 Prozent für Rot-Schwarz; nur 13 präferenz, während es bei der SPÖ nur 67 Pro- Prozent favorisieren eine Koalition mit einer der zent sind, bei der FPÖ 60 Prozent und beim beiden Rechtsparteien. 2007_04_5pappi.p65 459 08.12.2007, 17:21
460 Franz Urban Pappi (Mannheim) Tabelle 7: Die Parteiidentifikation als Determinante der Koalitions-Erstpräferenz Koalitions- Grüne SPÖ ÖVP BZÖ FPÖ Andere Keine weiß keine präferenz nicht Angabe % % % % % % % % % LL 55,7 36,9 0,9 — 3,6 30,0 17,6 10,3 16,4 LLM 13,6 12,7 1,4 — — 10,0 4,8 7,7 6,4 LM, darunter 23,6 39,2 69,6 6,2 25,5 35,0 45,9 48,7 38,2 Grüne/ÖVP 17,9 1,4 31,3 6,2 5,5 5,0 13,5 15,4 10,9 SPÖ/ÖVP 4,3 37,2 30,1 — 7,4 20,0 29,7 10,3 16,4 LMR 0,7 2,5 4,8 12,5 7,3 — 5,8 5,1 5,5 MR — 1,1 13,4 75,0 58,2 10,0 11,6 15,4 10,9 indifferent 2,9 3,4 5,1 6,3 1,8 5,0 6,8 7,7 7,3 entfremdet 2,9 3,1 1,4 — 1,8 10,0 4,1 2,6 6,4 keine Angabe 0,7 1,1 3,4 — 1,8 — 3,4 2,6 9,1 n 140 355 352 16 55 20 414 39 110 Die AnhängerInnen der kleinen Parteien am 14 Prozent bevorzugen Schwarz-Grün und 12 Rande des Links-Rechts-Spektrums sind sehr Prozent Mitte-Rechts. Auffällig ist sowohl bei viel stärker auf bestimmte Koalitionen festge- den Nicht-AnhängerInnen als auch bei den Be- legt. So wollen 56 Prozent der AnhängerInnen fragten, die mit „weiß nicht“ antworteten, dass der Grünen eine Koalition mit der SPÖ, sich die Zahl der bei den Koalitionspräferenzen immerhin 18 Prozent aber auch eine Koalition Indifferenten (Rangplatzbindung auf Rang 1 mit der ÖVP. Allerdings ist mit 18 Prozent die zwischen mehr als zwei Parteien) oder Ent- Unterstützung der Grünen für Schwarz-Grün fremdeten (Erstpräferenz entspricht negativer weit geringer als die der 31 Prozent ÖVP- Einstufung auf Skalometer) in engen Grenzen AnhängerInnen. Diese Asymmetrie der Präfe- hält. renzen der ParteianhängerInnen stünde einer Wenn sich nicht einmal die Parteian- solchen Koalition sicher im Wege. hängerInnen einig sind, welche Koalition sie Das BZÖ hat als neue Partei sehr wenige bevorzugen sollen, spricht einiges dafür, dass ParteianhängerInnen. Diese konzentrieren sich die Koalitionspräferenz zusätzlich zur Partei- auf die damals bestehende Koalition mit der präferenz und in gewisser Unabhängigkeit von ÖVP oder eine andere Mitte-Rechts-Koalition. ihr ein möglicher Motivationsfaktor für die Die Präferenzen der FPÖ-AnhängerInnen Wahlentscheidung ist, besonders, wenn man schwanken etwas stärker als die der An- letztere nicht einfach als Entscheidung für eine hängerInnen des BZÖ, was sicher auch damit Partei, sondern unter Einschluss der Ent- zusammenhängt, dass sich die Parteispitze nicht scheidungsalternative, gar nicht zur Wahl zu für eine bestimmte Koalition ausgesprochen hat. gehen, konzeptualisiert. Dann kann eine klare Immerhin bevorzugen aber 58 Prozent ihrer Präferenz für eine Koalition, die man für aus- AnhängerInnen eine Mitte-Rechts-Koalition. sichtsreich hält, ein zusätzlicher Mobilisierungs- Mit diesen Koalitionspräferenzen stehen die faktor für eine Wahlbeteiligung sein. Rechtsparteien aber relativ isoliert da, weil die- Dieser Frage werden wir im nächsten Ab- se Präferenzen nicht von den AnhängerInnen schnitt nachgehen. Vorher soll noch geprüft der ÖVP erwidert werden. werden, wie viele Befragte auf dem Skalometer Die große Gruppe der NichtanhängerInnen eine Koalition positiver bewerten als ihre höchst hat erwartungsgemäß relativ heterogene bewertete Partei und von welchen Faktoren die Koalitionspräferenzen. 30 Prozent wollen eine Erstpräferenzen für bestimmte Koalitionen be- große Koalition, 18 Prozent eine Linkskoalition, einflusst werden. 2007_04_5pappi.p65 460 08.12.2007, 17:21
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