Partei- und Koalitionskriterien der österreichischen Wählerschaft für die Nationalratswahl 2006

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Partei- und Koalitionspräferenzen                                               445

            Franz Urban Pappi (Mannheim)

            Partei- und Koalitionskriterien der
            österreichischen Wählerschaft für die
            Nationalratswahl 2006

                 Ergebnis-orientiertes Wählen berücksichtigt die Folgen der eigenen Stimmabgabe für die Regierungs-
                 bildung. Das ist in Mehrparteiensystem generell schwierig und war bei der Nationalratswahl 2006 wegen
                 der vielen plausiblen Regierungsoptionen besonders schwierig. Trotzdem haben die österreichischen
                 WählerInnen Koalitionspräferenzen entwickelt. In dem Beitrag wird zunächst die Partei- und Koalitions-
                 konstellation aus der WählerInnensicht insgesamt beschrieben und mit den politischen Einstellungen der
                 Wählerschaft interpretiert. Dann interessiert das Verhältnis zwischen den Partei- und Koalitionspräferenzen
                 bei den einzelnen WählerInnen, weil nicht einfach davon ausgegangen werden kann, dass letztere eine
                 simple Folge der ersteren sind. Im dritten Schritt kann dann nachgewiesen werden, dass die Koalitions-
                 präferenzen auch bei Kontrolle der Parteipräferenzen einen eigenständigen Einfluss auf die Wahl-
                 entscheidung haben. Es existiert ein interner Mobilisierungseffekt, der Anhänger einer Partei zur Wahl-
                 entscheidung für ihre Partei umso mehr motiviert, je stärker eine bestimmte Koalitionspräferenz der
                 eigenen Partei mit einem plausiblen Koalitionspartner vorhanden ist. Und es existiert ein externer
                 Mobilisierungseffekt bei WählerInnen ohne starke Parteipräferenz. Je positiver diese Gruppe eine große
                 Koalition bewertet hat, desto stärker wuchs die Bereitschaft SPÖ zu wählen, während die ÖVP generell
                 von Koalitionspräferenzen weniger profitierte.

                 Keywords: Koalitionswählen, strategisches Wählen, Koalitionspräferenzen, Parteipräferenzen,
                           Issuepräferenzen
                           coalition voting, strategic voting, coalition preferences, party preferences, issue attitudes

            1. Einleitung                                               entsprach als der sonst gewöhnlich drittstärksten
                                                                        Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Sitze
                Die letzten drei österreichischen National-             hatten die Parteien gleich viel erreicht, je 52
            ratswahlen waren jeweils für eine Überraschung              gegenüber den 65 der SPÖ und den 14 Sitzen
            gut. Gelang es 1999 dem Vorsitzenden der an                 der Grünen. Von ihrem schlechtesten Wahl-
            WählerInnenstimmen drittstärksten Partei                    ergebnis in der Geschichte der Republik Öster-
            Kanzler zu werden, war 2002 von einer Erd-                  reich machte die Volkspartei 2002 einen Sprung
            rutschwahl die Rede (vgl. Plasser et al. 2003;              auf 42,3 Prozent, um schließlich 2006 knapp
            Plasser/Ulram 2005). 2006 schließlich wurde                 hinter der SPÖ zu landen, und dies, obwohl man
            die Sozialdemokratische Partei Österreichs                  auf der Basis von Umfragen damit rechnen
            (SPÖ) wider Erwarten stärkste Partei. Zu allen              konnte, dass die ÖVP wieder stärkste Partei
            drei Überraschungen gab die Österreichische                 werden würde. Sie erreichte mit 34,3 Prozent
            Volkspartei (ÖVP) Anlass. Ihr Stimmenanteil                 einen Prozentpunkt weniger als die SPÖ, für die
            war 1999 auf 26,9 Prozent der gültigen Stim-                absolut 47.493 mehr Stimmen abgegeben wur-
            men gefallen, was in absoluten Zahlen einem                 den. Diesen Stimmen verdankt der heutige Bun-
            um 415 WählerInnen schlechteren Ergebnis                    deskanzler sein Amt.

                                                Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft (ÖZP), 36 Jg. (2007) H. 4, 445–469

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           In diesem Aufsatz wird untersucht, inwie-       ment seinen Erfolg der Europawahl 2004 bei
       weit zu diesem Ergebnis auch Koalitions-            der Nationalratswahl zu wiederholen. Diese
       überlegungen der WählerInnen beigetragen ha-        Kandidatur und die als schlecht eingestuften
       ben. Davor wird in dieser Einleitung die Koali-     Chancen einer aktuellen Regierungspartei mach-
       tionssituation aus Sicht der Parteien behandelt     ten den Wahlkampf spannend und die Er-
       und das Koalitionswählen aus Sicht der sozial-      wartungsbildung über die Zusammensetzung
       wissenschaftlichen Literatur.                       des neuen Parlaments und die Regierungs-
           Die Volkspartei hatte ein letztes Mal vor       bildung extrem schwierig.
       2002 1986 ein Wahlergebnis von über 40 Pro-              Mit dieser Schwierigkeit mussten nicht nur
       zent erreicht. Das hat sie nach einer langen Zeit   die WählerInnen, sondern auch die Parteien le-
       der Opposition als Juniorpartner in eine große      ben, die mit klaren Koalitionssignalen geizten.
       Koalition mit der SPÖ geführt. Nach dem gro-        Die Volkspartei hielt sich fast alle Optionen of-
       ßen Erfolg 2002 waren die Erwartungen für           fen und ließ lediglich eine große Distanz zur FPÖ
       2006 höher gespannt gewesen.                        und der Liste Martin erkennen. Von Seiten der
           Die mit der Wahlabsichtsfrage gemessene         Sozialdemokraten und der Grünen erschien so-
       Popularität der ÖVP schien ihr seit dem Früh-       wohl eine Koalition miteinander als auch jeweils
       jahr 2006 einen deutlichen Vorsprung von 4 bis      allein mit der ÖVP möglich. Aus einzelnen Stel-
       5 Prozentpunkten vor der SPÖ mit etwa 35 Pro-       lungnahmen kann man auf eine etwas größere
       zent zu sichern. Gegen Ende des Wahlkampfs          Neigung zu Rot-Grün schließen als auf Rot-
       schien dieser Vorsprung allerdings zu schrump-      Schwarz bzw. Grün-Schwarz. Was die beiden
       fen.                                                linken Parteien auf alle Fälle ausschlossen, war
           Am 14.9.2006 berichtete die Tageszeitung        eine Koalition mit den rechten Parteien FPÖ oder
       „Die Presse“ (www.diepresse.com) als Ergeb-         BZÖ. Diese beiden Parteien, bis 2005 in der al-
       nis einer von ihr beim IMAS-Institut in Auftrag     ten FPÖ vereint, wollten nicht gemeinsam in eine
       gegebenen Umfrage, dass die ÖVP mit 36 bis          Regierung eintreten. Das BZÖ schloss genauso
       38 Prozent rechnen könne und die SPÖ mit 34         wenig wie die ÖVP eine Fortsetzung ihrer Koa-
       bis 36 Prozent. Als drittgrößte Partei wurden       lition unter Kanzler Schüssel aus.
       die Grünen mit etwa 11 bis 12 Prozent prog-              Bei diesen vielen Regierungsoptionen fehlt
       nostiziert, dahinter die FPÖ mit 7 bis 8 Prozent.   eine klare bipolare Zuspitzung. Immerhin kann
       Mit dem Einzug dieser vier Parteien in den Na-      man grob zwischen der Linkskoalition Rot-Grün
       tionalrat war demnach sicher zu rechnen. Da-        als einer Koalition des Machtwechsels und ei-
       gegen lautete die Prognose für das „Bündnis         ner möglichen Mitte-Rechtskoalition als Fortset-
       Zukunft Österreich“ (BZÖ – auf dem Stimm-           zung der bisherigen Koalition und der großen
       zettel firmierend als „Die Freiheitlichen – Liste   Koalition bzw. einer Koalition der Volkspartei
       Westenthaler – BZÖ“) 2 bis 3 Prozent, was ein       mit den Grünen als Optionen der linken Mitte
       wahrscheinliches Scheitern an der Vier-Prozent-     unterscheiden. Koalitionen zwischen einer rech-
       Klausel signalisierte. Ein mit 4 bis 5 Prozent      ten und einer linken Partei unter Ausschluss der
       höherer Anteil wurde für die „Liste Dr. Martin      ÖVP erschienen dagegen ausgeschlossen.
       – für Demokratie, Kontrolle, Gerechtigkeit“              Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in Ös-
       vorausgesagt. Das BZÖ war im Frühjahr 2005          terreich nur einmal zu einer Gesamtablöse ei-
       als Abspaltung von der FPÖ gegründet worden         ner Regierung, als 1970 die Alleinregierung der
       und blieb mit ihren früher der FPÖ angehöri-        ÖVP unter Bundeskanzler Klaus durch die ers-
       gen MinisterInnen im Kabinett Schüssel. Es war      te Alleinregierung der SPÖ unter Bundeskanz-
       also zum Zeitpunkt der Nationalratswahl der         ler Kreisky abgelöst wurde. Wenn es bei der
       vom Koalitionspartner ÖVP nicht als stabil an-      Regierungsbildung zu einer neuen Parteien-
       gesehene Regierungspartner. Mit der Liste           zusammensetzung kam, dann ansonsten nur zu
       Martin schließlich versuchte der fraktionslose      einer Teilablöse wie 1999 und schließlich 2006
       österreichische Abgeordnete im Europaparla-         (vgl. Müller 2006, 298). Im Wahlkampf 2006

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            entsprach die große Koalition als Teilablöse der    den. So weisen Blais et al. (2006) für die Parla-
            bürgerlichen Koalition aus ÖVP und BZÖ also         mentswahlen 2003 in Israel die Bedeutung der
            am besten dem vorherrschenden Muster von            Koalitionspräferenzen für die Wahlentscheidung
            Regierungsneubildungen in Österreich.               nach, die dazu führen können, dass man nicht
                Auch die Abwesenheit klarer Regierungs-         die meistpräferierte Partei wählt. Bargsted und
            alternativen macht es verständlich, dass die        Kedar (2007) konzentrieren sich bei der israeli-
            Wahlforschung den Koalitionspräferenzen der         schen Parlamentswahl 2006 auf Koalitionser-
            österreichischen WählerInnen wenig bis keine        wartungen und stellen die zentrale Bedeutung
            Aufmerksamkeit schenkt (vgl. als Beleg die          der Wahrscheinlichkeit der Regierungsbe-
            Aufsätze in Plasser/Ulram 2007a). Das liegt si-     teiligung einer Partei heraus. Wenn WählerInnen
            cher auch an dem stabilen Hauptergebnis der         für ihre bevorzugte Partei keine Chance einer
            Frage nach den Koalitionspräferenzen: Bei den       Regierungsbeteiligung sähen, tendierten sie zur
            WählerInnen ist die große Koalition aus ÖVP         Wahl des kleineren Übels unter den wahrschein-
            und SPÖ am beliebtesten (vgl. für die 90er Jah-     lichen Regierungsparteien.
            re Ulram und Müller 1995, 28 und aktuell un-             In die modelltheoretische Literatur wurden
            sere Tabelle 2). Alternativen dazu stachen 1994     diese Überlegungen von Austen-Smith und
            wie 2002 und 2006 eher durch hohe Ablehn-           Banks bereits 1988 eingeführt mit der Frage-
            ungsquoten hervor (vgl. Ulram/Müller 1995, 28;      stellung, inwieweit die WählerInnen bei ihrer
            für 2002 Plasser et al. 2003, 139, 141 und für      Wahlentscheidung die künftige Regierungs-
            2006 unsere Tabelle 2).                             politik in Dreiparteiensystemen beeinflussen
                Verständlich ist auch die Zurückhaltung der     können, und auch Schofield und Sened (2006)
            Parteien, sich auf klare Regierungsoptionen fest-   konzipieren die WählerInnenentscheidung und
            zulegen und dies durch ständige, möglichst          die anschließende legislative Phase als Teile ei-
            gegenseitige sich bestätigende Koalitionssignale    nes Gesamtspiels. Diesen theoretischen Ansät-
            zu einem Hauptthema des Wahlkampfs zu ma-           zen ist gemeinsam, dass sie von einem räumli-
            chen. Trotzdem ist natürlich nicht von der Hand     chen Modell des Parteienwettbewerbs ausgehen,
            zu weisen, dass die künftige Politik von der        in dem WählerInnen die Politik künftiger Re-
            künftigen Regierung bestimmt wird und dass          gierungen als Positionen oder Regionen in ei-
            niemand 2006 erwartet hat, eine Partei werde        nem Policy-Raum bestimmen können. Linhart
            allein eine Mehrheitsregierung bilden können.       (2007) hat einen entscheidungstheoretischen
            Überlegungen und Präferenzen für die eine oder      WählerInnenkalkül für die Herbeiführung be-
            andere Regierung sollten gerade in einer Wäh-       stimmter bevorzugter Koalitionen entwickelt.
            lerschaft eine Rolle spielen, in der sich die       Dazu nimmt er einen Politikraum an, in dem
            Parteibindung zurückbildet und die Wäh-             die WählerInnen und die Parteien Idealpunkte
            lerInnenmobilität zunimmt (Plasser/Ulram            besitzen. Jetzt kann man für alle möglichen Re-
            2006, 552ff.) und in der die endgültige Wahl-       gierungen einen Koalitionspunkt, z.B. als unge-
            entscheidung immer näher an den Wahltermin          wichteten Mittelwert, bilden. Die WählerInnen
            heranrückt (Plasser/Ulram 2007b, 30). Die „spe-     „wissen“ nicht nur, wie weit sie von den einzel-
            zifische Entscheidungssituation“ vor einer Wahl     nen Parteien entfernt sind, sondern sie können
            werde wichtiger. In diesem Aufsatz wird der         ihre jeweilige Distanz auch zu allen möglichen
            Frage nachgegangen, inwieweit zu dieser Ent-        Koalitionen bestimmen. Sie besitzen also eine
            scheidungssituation die Koalitionspräferenzen       Präferenzordnung für die Menge aller Parteien
            der WählerInnen gehören und welchen Einfluss        und Koalitionen. Für ihre Wahlentscheidung
            sie auf die Wahlentscheidung ausüben.               sind aber nur Koalitionen relevant, denen sie
                Die Wahlforschung beginnt die ursprüngli-       eine Mehrheit zutrauen und die von den
            che Skepsis von Downs (1968) bezüglich einer        Koalitionssignalen her nahegelegt werden. In
            rationalen Regierungswahl in Mehrparteien-          den Entscheidungskalkül gehen also sowohl
            systemen unter Verhältniswahlrecht zu überwin-      Erwartungen über den Wahlausgang als auch

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       aus der räumlichen Konfiguration abgeleitete         politiker analysiert werden, die in Form von
       Koalitionspräferenzen ein. Dabei muss nur der        Skalometereinstufungen abgefragt wurden. Aus
       Teil der Koalitionen berücksichtigt werden, die      diesen Daten kann eine räumliche Gesamt-
       aufgrund der Koalitionssignale der Parteien          konfiguration abgeleitet werden, die als
       politisch möglich erscheinen und aufgrund des        Präferenzraum der österreichischen Wähler-
       erwarteten Wahlausgangs Mehrheiten im Par-           schaft Auskunft über die Beziehung zwischen
       lament erwarten lassen. Dass sich WählerInnen        Partei- und Koalitionspräferenzen gibt. In einem
       tatsächlich von derartigen Überlegungen,             nächsten Abschnitt werden die Beziehungen
       wenigstens unter den Bedingungen eines Labor-        zwischen den Partei- und Koalitionspräferenzen
       experiments, leiten lassen, haben Meffert und        untersucht mit einem besonderen Augenmerk
       Gschwend (2007) nachgewiesen.                        auf die Bestimmungsgründe der Koalitions-
            Ein großes Problem bei der Übertragung die-     präferenzen. Daran anschließend wird dann
       ser Konzepte in die Praxis der Umfrageforschung      überprüft, inwieweit zusätzlich zu den Partei-
       ist die Konstruktion eines Politikraums, der den     präferenzen die Koalitionspräferenzen noch ei-
       Befragten nicht nur zur Wahrnehmung der Partei-      nen Einfluss auf die Wahlentscheidung hatten.
       standpunkte dient, sondern alleinige Basis ihrer     Der leichte deutsche Weg für die Anhän-
       Präferenzbildung ist. Sicher ist anzunehmen,         gerInnen kleiner Parteien, mit der Erststimme
       dass Partei- und Koalitionspräferenzen von den       den präferierten großen Koalitionspartner und
       Policy-Distanzen eines/einer WählerIn zu die-        mit der Zweitstimme die eigene Partei zu wäh-
       sen politischen Bewertungsobjekten abhängen.         len, ist in Österreich ausgeschlossen. Der/die
       Die jeweiligen Policy-Standpunkte dürften aber       WählerIn hat nur eine Stimme, die er/sie einer
       nicht das einzige Kriterium der Präferenzbildung     Parteiliste, eventuell verbunden mit einer
       sein. Bildet ein/e WählerIn eine Präferenz-          Präferenzstimme für einen bestimmten Listen-
       ordnung über die verschiedenen Parteien, kön-        kandidaten (vgl. Müller/Scheucher 1994), ge-
       nen dabei auch vergangene Koalitionser-              ben muss.
       fahrungen mit dieser Partei oder die Bewertun-
       gen ihrer Spitzenkandidaten in die Präferenz-
       bildung eingehen. Deshalb werden im Folgen-          2. Die Partei- und Koalitionskonstellation
       den die Präferenzen auf der Basis sogenannter           aus WählerInnensicht
       Skalometereinstufungen direkt gemessen und
       nicht aus einer räumlichen Konfiguration abge-           Wir stellen im Folgenden die durchschnitt-
       leitet. Im Unterschied zum Konzept der               lichen Einstufungen der Parteien, ihrer Spitzen-
       Koalitionsneigung als der von der Partei-            kandidaten und der möglichen Koalitionen
       rangordnung implizierten Koalitionsnähe (vgl.        durch die Wahlberechtigten dar. Dafür steht uns
       Pappi/Gschwend 2005) wird eine explizite             eine telefonische Vorwahlbefragung zur Verfü-
       Koalitionspräferenz in einer konkreten Ent-          gung, die vom 18. bis 30. September 2006 im
       scheidungssituation vor einer Parlamentswahl         Feld war.1 Ziel der Umfrage war die Untersu-
       gebildet; diese kann ihrerseits die Partei-          chung der Erwartungsbildung über den Wahl-
       präferenz, vor allem auf den nachrangigen            ausgang und über die möglichen Koalitionen
       Präferenzrängen, beeinflussen. Davon kann die        und deren Einfluss auf die – eventuell – strate-
       Parteiidentifikation als vorgelagerte, eventuell     gische Wahlentscheidung. Zu diesem Zweck
       langfristig angelegte AnhängerInnenschaft un-        wurden den Befragten sogenannte Skalometer-
       terschieden werden. Sie ist natürlich ein weite-     Fragen gestellt, die wir bewusst nicht als
       rer Einfluss auf die aktuelle Parteipräferenz, die   Sympathieskalometer bezeichnen. Wir interpre-
       wiederum über die Koalitionsneigung auch die         tieren die neutrale Fragestellung2 so, dass die
       Koalitionspräferenz beeinflusst.                     Befragten damit ihre relative Bevorzugung oder
            Im Folgenden sollen zunächst die Präferenz-     Präferenz für die genannten Parteien, Politiker
       werte für die Parteien, Koalitionen und Spitzen-     und Koalitionen ausdrücken können.

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            Tabelle 1: Was halten die Wahlberechtigten von den Parteien, deren Spitzenkandidaten
                       und möglichen Koalitionen1)

                Partei                        Mittelwert    Standardabweichung          n                        %
                                                                                                            weiß nicht,
                                                                                                           keine Angabe
                ÖVP                               0,91              0,08           1474                        1,8
                SPÖ                               1,07              0,07           1474                        1,8
                Grüne                             0,51              0,08           1471                        2,0
                FPÖ                             - 2,39              0,08           1470                        2,1
                BZÖ                             - 3,15              0,07           1452                        3,3
                Liste Martin                    - 1,83              0,08           1187                       20,9

                N                                                                                           1501
                Spitzenpolitiker
                Wolfgang Schüssel                 0,74              0,09           1484                        1,1
                Alfred Gusenbauer                 0,39              0,08           1476                        1,7
                Alexander van der Bellen          1,22              0,08           1472                        1,9
                Hans-Christian Strache          - 2,41              0,08           1449                        3,5
                Peter Westenthaler              - 2,81              0,07           1447                        3,6
                Hans-Peter Martin               - 1,50              0,08           1201                       20,0
                Jörg Haider                     - 3,18              0,07           1470                        2,1

                N                                                                                           1501
                Mögliche Koalitionen
                ÖVP und SPÖ                       1,27              0,08           1449                        3,5
                ÖVP und FPÖ                     - 2,04              0,08           1448                        3,5
                ÖVP und BZÖ                     - 2,55              0,07           1441                        4,0
                ÖVP und FPÖ und BZÖ             - 2,90              0,07           1439                        4,1
                ÖVP und Grüne                     0,04              0,08           1453                        3,2
                SPÖ und Grüne                     0,00              0,09           1452                        3,3
                SPÖ und Grüne und
                Liste Martin                    - 1,17              0,09           1402                        6,6

                N                                                                                           1501
            1
                    Skalometereinstufungen von +5 bis -5

                 Die Mittelwerte weisen die SPÖ als Partei            ihr Spitzenkandidat Strache wurden genau wie
            mit der besten Einstufung (1,07) aus, den                 die Koalition ÖVP/FPÖ zwar auch stark nega-
            Spitzenpolitiker der Grünen Van der Bellen als            tiv eingestuft, aber nicht so negativ wie das
            den besten Politiker (1,22) und die große Koa-            BZÖ. Die Befragten, die die Liste Martin oder
            lition zwischen Volkspartei und Sozialisten als           den Politiker Hans-Peter Martin einschätzen
            die beste Regierungskoalition. Den Negativ-               konnten, machten nur 80 Prozent der insgesamt
            rekord der Einstufung hält Jörg Haider mit ei-            1501 Befragten aus, was stark kontrastiert mit
            nem Wert von -3,8, bei den Parteien dicht ge-             dem hohen Grad der Meinungsbildung für alle
            folgt von dem BZÖ mit -3,15 und bei den Koa-              restlichen Parteien, Politiker und Koalitionen
            litionen mit Werten von -2,90 für eine Rechts-            (vgl. Tabelle 1).
            koalition der ÖVP zusammen mit FPÖ und BZÖ                    Die Beurteilungen der Parteien, Koalitionen
            und der damals amtierenden Regierung ÖVP/                 und Spitzenpolitiker werden danach ausgewer-
            BZÖ mit einem Wert von -2,55. Die FPÖ und                 tet, wie ähnlich oder unähnlich zwei Objekte

2007_04_5pappi.p65                     449                                             08.12.2007, 17:21
450                                  Franz Urban Pappi (Mannheim)

       eingeschätzt werden. Als Maß kann man die               der anderen, der linken, Seite. Diese linke Seite
       euklidische Distanz zwischen zwei Einstellungs-         wird dann in der zweiten Dimension intern wei-
       objekten über alle Befragten berechnen. So be-          ter aufgegliedert zwischen den Endpunkten
       steht die größte vorkommende Distanz in unse-           Schüssel und Volkspartei oben und der Koaliti-
       rem Datensatz zwischen dem Spitzenkandidaten            on SPÖ/Grüne als dem größten Gegensatz unten
       der Grünen, Van der Bellen, und dem promi-              auf der anderen Seite. Die Platzierung letzterer
       nentesten Vertreter des BZÖ, Jörg Haider. Das           Koalition ist insofern bemerkenswert, als man
       heißt mit anderen Worten, dass Befragte, die Van        normalerweise erwarten würde, dass von den
       der Bellen sehr positiv bewerten, Haider sehr           Präferenzen der WählerInnen her gesehen eine
       negativ bewerten und umgekehrt. Diese paar-             Koalition zwischen zwei Parteien irgendwo
       weisen Distanzen zwischen den insgesamt 17              zwischen diesen Parteien angesiedelt sein soll-
       Einstellungsobjekten können fehlerlos in einem          te. Das ist hier nicht der Fall, weil SPÖ und
       16-dimensionalen Raum dargestellt werden. Mit           Grüne weniger extrem auf der zweiten Achse
       Hilfe einer klassischen, weil metrischen multi-         platziert sind als ihre gemeinsame Koalition. Wir
       dimensionalen Skalierung kann diese unüber-             interpretieren dies als das Machtwechsel-
       sichtliche Darstellung auf wenige Dimensionen           szenario, das die größte Distanz auf der zwei-
       konzentriert werden, wenn dadurch die ur-               ten Dimension zwischen dem amtierenden
       sprünglichen Distanzen nicht zu sehr verändert          Kanzler und der Koalition sieht, die die amtie-
       werden. Eine noch befriedigende Darstellung             rende Regierung komplett ablösen könnte. Wer
       gelingt in zwei Dimensionen. Da wir dieses              Rot-Grün wollte, lehnte Schüssel ab und umge-
       Schaubild nur für einen ersten explorativen             kehrt.
       Überblick nutzen, ist sie als Überblick ausrei-             Man darf bei der Interpretation dieser räum-
       chend.3                                                 lichen Konfiguration nicht vergessen, dass hier
           Die resultierende Lösung (vgl. Schaubild 1)         die Durchschnittsicht aller WählerInnen zusam-
       zeigt auf der ersten Dimension eine Zweiteilung         menfassend dargestellt wird. Die internen Dif-
       des österreichischen Politikraums zwischen              ferenzen im rechten Lager zwischen FPÖ und
       FPÖ und BZÖ zusammen mit allen Koalitio-                BZÖ werden auf diese Weise wegen der gro-
       nen, an denen sie beteiligt sind, und deren             ßen Ablehnung dieser Parteien durch die Wäh-
       Spitzenpolitikern auf der einen Seite und allen         lerschaft insgesamt völlig überspielt. Bemer-
       anderen Politikern, Parteien und Koalitionen auf        kenswert ist so auch, dass die Koalitionen der

             Schaubild 1: Die österreichischen Parteien-, Politiker- und Koalitionsfiguration aus Wählersicht1)

       1) klassische MDS-Lösung der Skalometereinstufungen

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Partei- und Koalitionspräferenzen                               451

            ÖVP mit einer oder beiden rechten Partei ein-       Lagern vor. Wir haben ein linkes Lager links
            deutig im rechten Lager platziert werden, wenn      unten von Befragten, die die SPÖ und die Grü-
            auch in Richtung der Position der ÖVP. Die gro-     nen sehr positiv bewerten, dann in der Mitte
            ße Koalition und Schwarz-Grün sind dagegen          oben Befragte, die die ÖVP und Schüssel posi-
            eher auf halber Strecke zwischen den beiden lin-    tiv einstufen, und schließlich BZÖ- und FPÖ-
            ken Parteien und der ÖVP angesiedelt. Die           AnhängerInnen, die ihre eigene Partei, Politi-
            bereits erwähnte größte Distanz in dem Daten-       ker und Koalitionen positiv einstufen und von
            satz zwischen Van der Bellen und Haider wie-        den anderen Befragten negativ eingestuft wer-
            derholt sich im Schaubild 1 insoweit, als diese     den. Deshalb entsteht die relativ isolierte Grup-
            beiden Politiker auf der ersten Dimension am        pierung am rechten Rand von Schaubild 1.
            weitesten voneinander entfernt sind.                    Zur Interpretation der Lösung und zur Ein-
                Der Politikraum insgesamt zeigt große Ähn-      teilung der drei Lager verwenden wir einmal die
            lichkeit mit dem Parteienraum, den Linhart und      Parteipräferenz und einmal die Koalitions-
            Shikano (2007) aus den Wahlprogrammen der           präferenz. Diese Präferenzen werden aus den
            österreichischen Parteien zur Nationalratswahl      selben Skalometerwerten abgeleitet, die auch für
            2006 abgeleitet haben. Auch dort sind sich SPÖ      die multidimensionale Skalierung verwendet
            und Grüne relativ nahe und die ÖVP nimmt die        wurden, allerdings mit dem Unterschied, dass
            Mittelposition ein. Allerdings nehmen BZÖ und       wir jetzt getrennt für die Partei- und die
            FPÖ auf den beiden Dimensionen der Lösung           Koalitionspräferenzen jeweils die Erstpräferenz,
            von Linhart und Shikano die Extremposition ein,     d.h. die am höchsten bewertete Alternative, fest-
            sowohl auf der sozio-ökonomischen Links-            stellen. Dabei kommen viele Rangplatzbin-
            Rechts-Dimension als auch auf der innen- und        dungen (Befragte, die nicht eine Partei oder
            rechtspolitischen Dimension. Im vorliegenden        Koalition am höchsten bewerten, sondern zwei
            Fall sind BZÖ und FPÖ auf Dimension 2 eher          Objekte gleich hoch) vor, so dass sich eine Ver-
            in der Mitte platziert. In Schaubild 1 sind die     einfachung der Parteien und der Koalitions-
            Achsen auch nicht vor der Analyse inhaltlich        optionen empfiehlt. Als Anhaltspunkt für die
            festgelegt worden, so dass vorläufig nur die re-    Vereinfachung kommt die Links-Rechts-Einstu-
            lative Anordnung der Parteien, Politiker und        fung der Parteien in Frage (vgl. Schaubild 2).
            Koalitionen zueinander interpretiert werden         Danach ist es gerechtfertigt, die beiden linken
            kann. Für diese Interpretation nehmen wir           Parteien Grüne und SPÖ zur linken (L) zusam-
            zunächst eine Zuordnung der Befragten zu drei       menzufassen und die beiden rechten Parten BZÖ

                             Schaubild 2: Die durchschnittliche Wählerwahrnehmung der Parteien
                          auf einer Links-Rechts-Skala und die Selbsteinstufung der Wahlberechtigten

2007_04_5pappi.p65                451                                            08.12.2007, 17:21
452                                      Franz Urban Pappi (Mannheim)

       und FPÖ zum Lager der rechten (R). Die ÖVP                  nannten Koalitionen fallen die 10,9 Prozent für
       behandeln wir als Mittelpartei (M). Daraus er-              MR oder die 4,3 Prozent für eine ungewöhn-
       gibt sich zusammen mit den Rangplatz-                       liche LMR-Koalition ab. Die 10,9 Prozent sind
       bindungen die in Tabelle 2 dargestellte Typolo-             umso bemerkenswerter, als eine MR-Regierung
       gie der Partei- und Koalitionspräferenzen.                  schließlich die amtierende Regierung war. Die
           Die größte Gruppe bei den Parteipräferenzen             häufigste LMR-Koalition ist eine Rang-
       sind die 44 Prozent der Befragten, die SPÖ und/             platzbindung zwischen einer großen Koalition
       oder Grüne als Erstpräferenz haben. Diesen                  und einer Koalition aus ÖVP und FPÖ (2,3 Pro-
       Parteivorsprung der Linken kann die ÖVP mit                 zent).
       31 Prozent als Partei der Mitte nicht einholen,                  Nach einer hier nicht gezeigten Analyse gibt
       selbst wenn man die Rangplatzbindungen                      es eine einfache Zuordnung der Partei- und
       zwischen Links und Mitte (6,5 Prozent) und                  Koalitionsgruppen zu den in Schaubild 1 dar-
       Mitte/Rechts (1,9 Prozent) hinzunimmt. Diesem               gestellten Parteien, Koalitionen und Politikern.
       Vorsprung der Linken bei den Parteipräferenzen              So lassen sich in Schaubild 1 diese Gruppen als
       entsprechen die Koalitionspräferenzen nicht.                Vektoren ausgehend vom Nullpunkt einzeich-
       Eine Erstpräferenz für eine rot-grüne Regierung             nen. Dabei stellt sich die Dreiteilung heraus,
       haben nur 21 Prozent der Befragten. Dazu kom-               dass Befragte, die der ÖVP nahestehen,
       men evtl. die 6,7 Prozent mit einer Rangplatz-              schwerpunktmäßig im Bereich zwischen Schüs-
       bindung zwischen LL und LM. Dagegen ha-                     sel und der ÖVP einerseits und der großen Ko-
       ben 46 Prozent eine Präferenz für eine Mitte-               alition bzw. der schwarz-grünen Koalition an-
       Links-Regierung (LM). Gegen die bisher ge-                  dererseits platziert sind und die AnhängerInnen

       Tabelle 2: Die Erstpräferenzen der österreichischen Wahlberechtigten für Partei- und Koalitionsgruppen1

                                                      1. Parteipräferenzen
                                                                                             %
           Links (Grüne, SPÖ)                                                              43,9
           Mitte (ÖVP)                                                                     30,6
           Rechts (BZÖ, FPÖ)                                                                7,5
           LM                                                                               6,5
           MR                                                                               1,9
           LR                                                                               1,7
           indifferent                                                                      4,1
           entfremdet                                                                       2,4
           keine Angaben                                                                    1,4
             N                                                                            1501

                                                    2. Koalitionspräferenzen
                                                                                             %
           LL (Grüne, SPÖ)                                                                 21,0
           LM (Grüne oder SPÖ, ÖVP)                                                        46,0
           MR (ÖVP, BZÖ und/oder FPÖ)                                                      10,9
           LLM /LL, LM)                                                                     6,7
           LMR (Kombinationen mit L und M und R)                                            4,3
           indifferent                                                                      5,1
           entfremdet                                                                       3,2
           keine Angaben                                                                    2,9
             N                                                                            1501

       1     Die Liste Martin wird aufgrund ihrer geringeren Bekanntheit nicht berücksichtigt.

2007_04_5pappi.p65                    452                                               08.12.2007, 17:21
Partei- und Koalitionspräferenzen                               453

            der Linken entsprechend unten links mit Rich-            Anordnung entspricht. So müssten sich die
            tung auf die SPÖ und die Alternativkoalition             AnhängerInnen von Grünen und SPÖ am wei-
            SPÖ/Grüne. Wie nicht anders zu erwarten geht             testen links einordnen, dann sollten die Befrag-
            der Vektor der rechten WählerInnen eindeutig             ten folgen, die auf Platz 1 ihrer Skalometer-
            in Richtung des Clusters der entsprechenden              einstufungen eine Rangplatzbindung zwischen
            Einstellungsobjekte. Für die Interpretation kann         Grünen bzw. SPÖ und ÖVP aufweisen (ML),
            man sowohl die Partei- als auch die Koalitions-          gefolgt von den AnhängerInnen der ÖVP (M)
            gruppen nach dem allgemeinen Links-Rechts-               und dann von MR und schließlich R. Die Be-
            Schema ordnen und prüfen, inwieweit dieses               fragten, die eine Rangplatzbindung zwischen
            Schema sich auch in den Mittelwerten der                 einer linken und einer rechten Partei als oberste
            Selbsteinstufung auf der Links-Rechts-Skala              Präferenz aufweisen (LR) haben wir zwischen
            widerspiegelt. Dabei gehen wir davon aus, dass           M und MR eingestuft, also in nächster Nähe von
            die Dimension 1 dieses traditionelle Links-              M. Mit Ausnahme von MR entspricht die Ab-
            Rechts-Schema für Österreich noch am besten              folge der Mittelwerte auch unseren Erwartun-
            wiedergibt; dies gilt zumindest für die Reihen-          gen (vgl. Tabelle 3). Die Ausnahme betrifft Be-
            folge der Parteien, wenn auch nicht unbedingt            fragte, die die ÖVP und eine rechte Partei auf
            für die Abstände.                                        Rang 1 haben (MR); sie stufen sich mit einem
                Die in Schaubild 2 dargestellte WählerIn-            Mittelwert von 7,15 mehr rechts ein als die
            nenwahrnehmung der Links-Rechts-Positionen               AnhängerInnen von FPÖ oder BZÖ mit einem
            der Parteien bestätigt die Interpretation von Di-        Mittelwert von 6,76. Auffällig sind auch die
            mension 1 als Links-Rechts-Dimension. Unab-              hohen Standardabweichungen auf der rechten
            hängig davon kann man diese Interpretation               Seite des Parteienspektrums. Besonders die
            auch dadurch überprüfen, dass man die Partei-            Heterogenität der Selbsteinstufung der Partei-
            präferenz- und Koalitionspräferenzgruppen der            gruppen LR (0,57) und MR (0,44) sticht hervor.
            WählerInnen nach diesem allgemeinen Links-               Diese Heterogenität kann ein Hinweis auf ein
            Rechts-Schema ordnet und überprüft, inwieweit            unterschiedliches inhaltliches Verständnis davon
            die durchschnittliche Selbsteinstufung dieser            sein, was eine rechte Ideologie in der öster-
            Gruppen auf der Links-Rechts-Skala dieser                reichischen Politik bedeutet.

            Tabelle 3: Die Links-Rechts-Selbsteinstufung1 der Partei- und Koalitions-Präferenzgruppen

                                                         1. Parteipräferenzen
                             Präferenzgruppen2          Mittelwert        Standardabweichung               n
                                     L                    4,16                    0,08                    616
                                    ML                    5,63                    0,19                     92
                                     M                    6,26                    0,10                    422
                                    LR                    6,60                    0,57                     25
                                    MR                    7,15                    0,44                     27
                                     R                    6,76                    0,26                     99

                                                        2. Koalitionspräferenzen
                                    LL                     3,77                  0,12                     295
                                   LLM                     4,76                  0,22                      98
                                    LM                     5,65                  0,09                     642
                                   LMR                     5,97                  0,29                      61
                                    MR                     6,68                  0,20                     150

            1    Links-Rechts-Skala von 1 = links bis 11 = rechts
            2    Vgl. zu den Abkürzungen Tabelle 2

2007_04_5pappi.p65                   453                                              08.12.2007, 17:21
454                                  Franz Urban Pappi (Mannheim)

            In der Umfrageforschung spricht man von          punkt auf die Einschränkung von „public ser-
       einer „self-anchoring scale“, wenn man die in-        vices“ als Weg zu Steuersenkungen verweist;
       haltliche Interpretation einer Skala den Befrag-      abgekürzt wird von der Skala als „taxes vs.
       ten selbst überlässt. So nimmt man bei einer          spending“ gesprochen (Benoit/Laver 2006, 168).
       Links-Rechts-Skala an, dass die Befragten die         Mit dieser Frage sollten politikwissenschaftliche
       Begriffe links und rechts verstehen werden und        ExpertInnenen die Parteien der einzelnen Län-
       die Ergebnisse von Schaubild 2 und Tabelle 3          der auf einer entsprechenden Skala einstufen.
       sprechen eindeutig dafür, dass die öster-             Wir haben mit einem analogen Verständnis von
       reichischen Wahlberechtigten ein gemeinsames          links und rechts die Befragten um ihre Selbstein-
       Verständnis darüber haben, was links und rechts       stufung und die Angabe der Positionen der Par-
       bedeutet. Benoit und Laver (2006, 129ff.) be-         teien auf einer derartigen Skala gebeten.4 In
       zeichnen dieses in einem Land beobachtbare ge-        Schaubild 3 sind die Durchschnittswahrneh-
       teilte Verständnis von links und rechts auf der       mungen für die Parteien und die Verteilung der
       Basis derartiger „self-anchoring scales“ als sui      Selbsteinstufung der Befragten wiedergegeben.
       generis. Davon zu unterscheiden sind analyti-             Die Parteienkonfiguration zeigt sehr gerin-
       sche oder A-Priori-Explikationen von linken und       ge Unterschiede zwischen den fünf Parteien. Sie
       rechten politischen Ideologien. So wird Sozia-        sind in der WählerInnenwahrnehmung alle im
       lismus in der traditionellen Verbindung mit Plan-     Bereich der gemäßigten linken Mitte angesie-
       wirtschaft als linke Ideologie verstanden und Li-     delt. Wenn man die Rangfolge der Parteien
       beralismus im europäischen Sinn mit der Ab-           überhaupt interpretieren will, spiegelt sie noch
       lehnung weitgehender Staatseingriffe in die           am ehesten die zweite Dimension unserer
       Wirtschaft und der Betonung marktwirtschaft-          multidimensionalen Skalierung (Schaubild 1)
       licher Prinzipien als rechts. Mit dem Untergang       wider, mit einer Mittelposition von FPÖ und
       des real existierenden Sozialismus hat sich die-      BZÖ zwischen den linken Parteien SPÖ und
       se Bedeutung heute zur Befürwortung oder Ab-          Grünen und der ÖVP als der Partei, die dem
       lehnung weitreichender wohlfahrtstaatlicher           neutralen mittleren Wert von 6 auf der Skala
       Leistungen verschoben. Benoit und Laver ver-          von 1 bis 11 am nächsten kommt und damit noch
       wenden zur analytischen Erfassung der sozio-          am ehesten als Partei einer gemäßigten Steuer-
       ökonomischen Dimension eine Frage, in der der         quote und damit ohne Spielraum für einen Aus-
       linke benannte Endpunkt der Skala als Ausbau          bau sozialer Leistungen gesehen werden kann.
       von „public services“ mit Hilfe von Steuer-               Steuererhöhungen sind bei WählerInnen
       erhöhungen bezeichnet wird und der rechte End-        generell natürlich unbeliebt, so dass der linke

                      Schaubild 3: Die durchschnittliche Wählerwahrnehmung der Parteien auf einer
                     sozio-ökonomischen Links-Rechts-Skala1) und die Selbsteinstufung der Wahlberechtigten

2007_04_5pappi.p65                 454                                          08.12.2007, 17:21
Partei- und Koalitionspräferenzen                                455

            Rand der Verteilung schwach besetzt ist, wäh-               bindungen einer linken und einer rechten Partei
            rend das Risiko einer Kürzung der Sozialaus-                (LR) oder der ÖVP mit einer rechten Partei
            gaben am rechten Rand etwas mehr WählerIn-                  (MR) fügen sich nicht in die erwartete ordinale
            nen bereit sind einzugehen. Für ein Mehr-                   Rangfolge ein und sind außerdem sehr hetero-
            parteiensystem würde man aber nicht unbedingt               gen, wie die hohen Standardabweichungen zei-
            erwarten, dass sich alle Parteien um den Median-            gen. Diese Ergebnisse entsprechen der Interpre-
            wähler scharen.                                             tation von Dimension 2 in Schaubild 1 als der
                Schaubild 3 gibt die Parteiwahrnehmungen                sozio-ökonomischen Dimension nur an-
            des Durchschnittswählers wieder. Sie müssen                 näherungsweise. Inhaltlich würde man die
            nicht unbedingt mit der Selbsteinstufung der                sozio-ökonomische Dimension in Schaubild 1
            Befragten übereinstimmen, die eine bestimmte                eher mit einer – nicht eingezeichneten – Gera-
            Partei präferieren, weil man etwa erwarten wür-             den in Zusammenhang bringen, die von links
            de, dass die ParteianhängerInnen dem durch-                 unten so nach rechts oben läuft, dass das rechte
            schnittlichen Parteistandpunkt auch am nächs-               Lager tatsächlich auch sozio-ökonomisch rechts
            ten sind. Wie ein Vergleich der Selbstein-                  von der ÖVP platziert ist. Dies entspricht aber,
            stufungen der Partei- und Koalitionspräferenz-              wie gesagt, nicht der Sicht des Durchschnitts-
            gruppen auf dieser sozio-ökonomischen Links-                wählers. Es entspricht aber wieder den durch-
            Rechts-Skala zeigt (vgl. Tabelle 4), haben die              schnittlichen Selbsteinstufungen der Koalitions-
            Befragten etwas rechtere Einstellungen als ihre             präferenzgruppen (vgl. Tabelle 4). Hier ergibt
            jeweilige Partei. Die Unterschiede sind im all-             sich die erwartete Links-Rechts-Ordnung ohne
            gemeinen nicht groß, nur die Befragten, die als             Abweichung mit dem linksten Durchschnitt von
            erste Partei FPÖ oder BZÖ präferieren (Partei-              5,76 für die AnhängerInnen einer Koalition aus
            präferenzgruppe R), sind sozio-ökonomisch mit               SPÖ und Grünen und dem höchsten Durch-
            einem Wert von 7,15 nicht nur deutlich rechter              schnitt von 6,91 für die AnhängerInnen einer
            als ihre Partei, sondern nehmen im Unterschied              Koalition zwischen ÖVP und einer Rechtspar-
            zu den Parteiwahrnehmungen auch den rech-                   tei.
            ten, in diesem Fall eher sozialstaatskeptischen                  Gegen die Interpretation der ersten Dimen-
            Rand ein. Die Befragten mit den Rangplatz-                  sion von Schaubild 1 als sozio-ökonomische

            Tabelle 4: Die Selbsteinstufung der Partei- und Koalitions-Präferenzgruppen
                       auf der sozio-ökonomischen Links-Rechts-Skala1

                                                          1. Parteipräferenzen
                             Präferenzgruppen2           Mittelwert        Standardabweichung               n
                                     L                     5,90                    0,10                    617
                                    LM                     6,14                    0,23                     90
                                     M                     6,39                    0,11                    430
                                    LR                     6,77                    0,69                     22
                                    MR                     6,31                    0,54                     26
                                     R                     7,15                    0,28                    103

                                                         2. Koalitionspräferenzen
                                     LL                     5,76                  0,16                     292
                                    LLM                     5,95                  0,24                      92
                                     LM                     6,17                  0,09                     643
                                    LMR                     6,81                  0,37                      57
                                     MR                     6,91                  0,22                     152

            1    Vgl. Fußnote 4, Skala von 1 = links bis 11 = rechts.
            2    Vgl. zu den Abkürzungen Tabelle 2.

2007_04_5pappi.p65                    455                                              08.12.2007, 17:21
456                                 Franz Urban Pappi (Mannheim)

       Dimension spricht der große Abstand zwischen          den deutlichen Unterschied zwischen den beiden
       der ÖVP und dem rechten Lager. Die ExpertIn-          rechten Parteien, die als Fürsprecher einer so-
       nenbefragung von Benoit und Laver für Öster-          fortigen Abschiebung illegaler Einwanderer
       reich bestätigt aber die geringe Übereinstim-         wahrgenommen werden, und den drei anderen
       mung zwischen allgemeiner und sozio-ökono-            Parteien, von denen die ÖVP in der Mittel-
       mischer Links-Rechts-Position der Parteien. Die       position, die SPÖ leicht links davon und die
       Sui-Generis-Definition von Links-Rechts wird          Grünen als Partei wahrgenommen werden, die
       in Österreich nicht mit der sozio-ökonomischen        noch am ehesten für eine Aufenthaltserlaubnis
       Links-Rechts-Dimension vorausgesagt, sondern          nach kurzer Zeit eintreten. Dies entspricht in
       mit der Position der Parteien in Bezug auf so-        etwa der Parteienanordnung auf Dimension 1
       genannte „social issues“; dies meint nicht die        von Schaubild 1, wobei allerdings die Abstän-
       Sozialpolitik, sondern innen- und rechts-             de zwischen ÖVP, SPÖ und Grünen geringer
       politische Fragen bei Problemen wie Schwan-           ausfallen als in Schaubild 4. Die Selbstein-
       gerschaftsabbruch, rechtliche Stellung von Ho-        stufung der WählerInnen in Schaubild 4 macht
       mosexuellen und Euthanasie (Benoit/Laver              auch deutlich, dass am rechten Rand durchaus
       2006, 145). Inhaltlich kann man zu diesem Kom-        Stimmen bei dieser Thematik zu holen sind.
       plex der Innen- und Rechtspolitik auch die Ein-           Die Selbsteinstufungen der Partei- und
       wanderungspolitik zählen, die in Österreich           Koalitionspräferenzgruppen bestätigen das
       2006 auch eines der wichtigen Wahlkampf-              Wahrnehmungsmuster (vgl. Tabelle 5). Bei den
       themen war. Deshalb wurde zusätzlich zur              AnhängerInnen der verschiedenen Koalitionen
       sozio-ökonomischen Dimension noch eine Ska-           reicht das Spektrum von einem gemäßigten mitt-
       la zur Einwanderungspolitik in unsere Befra-          leren Wert von 6,42 für die AnhängerInnen von
       gung aufgenommen, für die die Wahrnehmung             Rot-Grün bis zu einem extremeren Wert von
       der Parteipositionen und die Selbsteinstufung         3,20 für die AnhängerInnen einer Mitte-Rechts-
       der Befragten erhoben wurden. Inspiriert von          Koalition. Dieser Wert liegt näher an den Be-
       der aktuellen Diskussion im Wahlkampf wurde           fragten, die bei den Parteien eine Erstpräferenz
       konkret die Behandlung illegaler Einwanderer          für eine rechte Partei haben. Der Wert der Be-
       thematisiert.5                                        fragten, die die ÖVP als Partei bevorzugen, liegt
           Die wahrgenommenen Parteipositionen in            rechts vom wahrgenommenen Parteien-
       der Einwandererfrage (vgl. Schaubild 4) zeigen        standpunkt der ÖVP bei immerhin 4,70 und

                     Schaubild 4: Die durchschnittliche Wählerwahrnehmung der Parteien auf einer
                        Skala der Einwanderungspolitik1) und die Selbsteinstufung der Wahlberechtigten

2007_04_5pappi.p65                 456                                         08.12.2007, 17:21
Partei- und Koalitionspräferenzen                                       457

            damit in etwa gleichauf mit dem ebenfalls un-               3. Die Beziehung zwischen den Partei- und
            erwartet rechten Wert von 4,64 für die An-                     Koalitionspräferenzen
            hängerInnen einer großen Koalition. Da Grüne
            und SPÖ hier zu den Linksparteien zusammen-                     In den modernen Parteidemokratien stellen
            gefasst wurden, liegt sogar der Wert der                    die Parteien die zentralen Bezugsobjekte für die
            ParteianhängerInnen der Linken mit 5,81 auf der             WählerInnen dar. Langfristig können die
            rechten Seite der Einwanderungsskala. Man                   WählerInnen eine Identifikation mit einer be-
            kann generell für die Parteipräferenzgruppen                stimmten Partei entwickeln, kurz- und mittel-
            sagen, dass immer dann, wenn auf Präferenz-                 fristig kann sich unter dem Einfluss von Ereig-
            rang 1 eine rechte Partei beteiligt ist, die Ein-           nissen und wirtschaftlichen Entwicklungen eine
            stellung stark zum illiberalen Ende der Ein-                aktuelle Parteipräferenz herausbilden. In Mehr-
            wanderungspolitik-Skala tendiert. Wenn eine                 parteiensystemen wird man sich Urteile über alle
            linke Koalition mit 21 Prozent weit weniger                 in der nationalen Politik sichtbaren Parteien bil-
            AnhängerInnen hat als die beiden linken Par-                den, so dass der/die einzelne WählerIn im Ide-
            teien AnhängerInnen haben (43,9 Prozent),                   alfall eine vollständige und transitive Präferenz-
            könnte das mit der Skepsis vieler öster-                    ordnung für alle diese Parteien besitzt. Dies er-
            reichischen WählerInnen gegenüber einer                     gibt bei fünf Parteien 5! = 120 verschiedene star-
            Regierungspolitik in der Einwanderungsfrage                 ke Präferenzordnungen, zu denen noch eine
            zusammenhängen, an deren Formulierung die                   Reihe weiterer kommen, wenn man Rangplatz-
            Grünen maßgebend beteiligt wären.                           bindungen zwischen zwei und mehr Parteien
                Im nächsten Abschnitt wird die Beziehung                berücksichtigt. Zur Vereinfachung wird hier nur
            zwischen den Koalitions- und Parteipräferenzen              die Erstpräferenz verwendet oder es wird auf
            untersucht. Danach wird geprüft, inwieweit sich             die ursprünglichen Rating-Skalen (Skalometer-
            die Koalitionspräferenzen zusätzlich zu den                 Einstufungen der Parteien) zurückgegriffen.
            Parteipräferenzen auf die Wahlabsicht auswir-                   Die Parteien können auf verschiedenen Ebe-
            ken.                                                        nen aktiv sein, unterhalb der nationalen Ebene

            Tabelle 5: Die Selbsteinstufung der Partei- und Koalitions-Präferenzgruppen
                       auf der Einwanderungspolitikskala1

                                                          1. Parteipräferenzen
                             Präferenzgruppen2           Mittelwert        Standardabweichung                   n
                                     L                     5,81                    0,11                        646
                                    LM                     4,64                    0,26                         97
                                     M                     4,70                    0,12                        445
                                    LR                     2,62                    0,42                         26
                                    MR                     3,37                    0,58                         27
                                     R                     2,94                    0,24                        110

                                                         2. Koalitionspräferenzen
                                     LL                     6,42                  0,16                         310
                                    LLM                     5,72                  0,28                          98
                                     LM                     4,82                  0,10                         671
                                    LMR                     4,30                  0,36                          63
                                     MR                     3,20                  0,19                         159

            1    Vgl. Fußnote 5. Je höher der Wert, desto eher für eine „Aufenthaltserlaubnis für illegale Einwanderer nach sehr
                 kurzer Zeit“ statt für sofortige Abschiebung, also 11 = links, 1 = rechts.
            2    Vgl. zu den Abkürzungen Tabelle 2.

2007_04_5pappi.p65                    457                                               08.12.2007, 17:21
458                               Franz Urban Pappi (Mannheim)

       in den Gemeinden und Ländern oder Provinzen        optionen im hier verstandenen Sinn. Diese müs-
       und darüber z.B. im europäischen Parlament.        sen gerade nicht quasi-automatisch aus der
       Die Tätigkeiten und das Erscheinungsbild ei-       Parteipräferenz folgen.
       ner Partei auf all diesen Ebenen können theore-        Zwischen Partei- und Koalitionspräferenz
       tisch in die Parteipräferenz einfließen, deren     wird natürlich normalerweise ein enger Zusam-
       Hauptbezugspunkt aber auch unter heutigen          menhang bestehen. In der im letzten Abschnitt
       Bedingungen die nationale Parteiorganisation       gewählten Zusammenfassung der Erst-
       sein dürfte.                                       präferenzen und in der Anordnung beider von
           Der Beurteilungskontext für die Entwick-       links nach rechts beträgt die Assoziation g =
       lung einer Regierungspräferenz ist dagegen         0,81. Aber die Assoziation ist nicht perfekt und
       stark auf ein ganz bestimmtes Regierungssystem     insbesondere beantwortet sie nicht die Kausali-
       und darüber hinaus auch auf eine bestimmte         tätsfrage, was von wem abhängt. Normalerweise
       zeitliche Situation beschränkt. Der/die WählerIn   wird man zwar annehmen, dass die Partei-
       wird in Wahlkampfzeiten konkreter über Regie-      präferenz die Koalitionspräferenz beeinflusst.
       rungen und ihre mögliche Parteizusammen-           Was ist aber zu erwarten, wenn einzelne Partei-
       setzung nachdenken als während der Legisla-        en keine Koalitionssignale geben wie z.B. die
       turperiode, wenn mögliche neue Koalitionen         ÖVP? Wird ein/e ÖVP-AnhängerIn dann dar-
       nicht auf der Agenda stehen. Außerdem wird         auf verzichten, eine Koalitionspräferenz zu ent-
       er/sie sich auch in Wahlkampfzeiten nicht den      wickeln oder wird er/sie sich unabhängig von
       Kopf zerbrechen über alle denkbaren Regierun-      der erstpräferierten Partei Gedanken darüber
       gen – bei fünf Parteien unter Einschluss von       machen, welche Regierung den eigenen Inter-
       Minderheits- und Einparteienregierungen gibt       essen am besten dient? Letzteres entspricht der
       es immerhin 25-1 = 31 mögliche Regierungen –       Downs’schen Entscheidungslogik, die nur in
       sondern er/sie wird sich auf die realistischen     Regierungssystemen, in denen man auf Koali-
       Möglichkeiten beschränken. Realistisch sind        tionen angewiesen ist, schwer umzusetzen ist.
       Mehrheitskoalitionen, die nach der voraussicht-
                                                             Die Schwierigkeit einer rationalen Regierungsaus-
       lichen Mandatsverteilung im Parlament möglich
                                                             wahl kann also manche Wähler dazu treiben, die
       sind und von den Parteien nicht grundsätzlich         Wahl als eine Präferenzbekundung zu behandeln,
       für politisch unmöglich erklärt wurden. Diese         was in unserem Modell irrational ist (Downs 1968,
       Kriterien ergeben für Österreich vor der              159).
       Nationalratswahl 2006 die in Schaubild 1 auf-
       geführten Koalitionen. Geht man von den                Überspitzt könnte man behaupten, der/die
       Koalitionsskalometern auf die Erstpräferenzen      rationale WählerIn habe gar keine originäre
       der WählerInnen für eine bestimmte Koalition       Parteipräferenz, sondern eine originäre Koali-
       über, haben wir eine Zusammenfassung dadurch       tions- oder Regierungspräferenz. Schließlich ist
       vorgenommen, dass wir die Grünen und die SPÖ       die künftige Regierung der entscheidende Ak-
       zur Linken und das BZÖ und die FPÖ zur Rech-       teur für die Gestaltung seines/ihres Nutzen-
       ten zusammengefasst haben.                         einkommens aus der Regierungstätigkeit in der
           Man kann die Beziehung zwischen Partei-        nächsten Legislaturperiode.
       und Koalitionspräferenz als völlig unproblema-         Wenn man die kausale Beziehung zwischen
       tisch ansehen, wenn man annimmt, dass letzte-      Partei- und Koalitionspräferenz zunächst unbe-
       re aus der ersteren folgt. So haben Pappi und      rücksichtigt lässt, kann eine Beziehung zwi-
       Gschwend (2005, 287) die Erst- und Zweit-          schen beiden Begriffen indirekt durch ihre je-
       präferenz im Hinblick auf Parteien als Koali-      weilige Beziehung zur Parteiidentifikation her-
       tionsneigung interpretiert. Dieser neue Begriff    gestellt werden. Die längerfristig angelegte
       wurde gewählt, um davon dann die Koalitions-       AnhängerInnenschaft wird natürlich die aktu-
       präferenz unterschieden zu können. Diese be-       elle Parteierstpräferenz stark bestimmen, wäh-
       zieht sich auf die realistischen Koalitions-       rend der Zusammenhang mit der Koalitions-

2007_04_5pappi.p65               458                                         08.12.2007, 17:21
Partei- und Koalitionspräferenzen                                      459

            Tabelle 6: Die Parteiidentifikation als Determinante der Partei-Erstpräferenz1

                Partei-
                identifikation2          %       n     Davon Präferenz                     Darunter Präferenz für
                                                          für selbe          Grüne       SPÖ      ÖVP         BZÖ        FPÖ
                                                         Partei in %                               in %
                Grüne                   9,3    (140)        82,9
                SPÖ                    23,7    (355)        66,8
                ÖVP                    23,5    (352)        81,5
                BZÖ                     1,1     (16)        56,3
                FPÖ                     3,7     (55)        60,0
                Andere                  1,3     (20)         –
                Keine                  27,6    (414)         –                15,7       16,9        23,7       2,4       5,6
                weiß nicht              2,6     (39)         –                12,8       20,5        30,8       –        12,8
                keine Angabe            7,3    (110)         –                19,1        9,1        27,3       0,9       2,7
                Σ                    100% 1501

            1       Hier werden nur eindeutige Erstpräferenzen ohne Rangplatzbindung berücksichtigt.
            2       Mit folgender Frage erfasst: „In Österreich neigen viele Leute längere Zeit einer bestimmten Partei zu, obwohl
                    sie auch ab und zu eine andere Partei wählen. Wie ist das bei Ihnen: Neigen Sie - ganz allgemein gesprochen -
                    einer bestimmten Partei zu? Und wenn ja, welcher?“

            präferenz schon aus dem schlichten Grund we-                  BZÖ 56 Prozent. Wider Erwarten sind es nicht
            niger eng ausfallen wird, weil unter den realis-              die beiden großen Parteien, für die sich die
            tischen Regierungsoptionen keine Einparteien-                 AnhängerInnenschaft am konsequentesten in
            regierungen enthalten sind.                                   eine konsistente aktuelle Parteipräferenz um-
                Die Parteiidentifikation misst idealer Wei-               setzt, weil die SPÖ hier hinter den hohen
            se eine längerfristige Bindung an eine Partei,                Umsetzungswerten der Volkspartei, aber über-
            die aber vorübergehende Abweichungen in der                   raschenderweise auch hinter denen der Grü-
            Wahlentscheidung oder auch in der Erst-                       nen zurückbleibt. Dieser Nachteil für die SPÖ
            präferenz für eine andere Partei nicht aus-                   wird auch nicht durch eine besondere Attrak-
            schließt. Je ein knappes Viertel der öster-                   tivität im Lager der NichtanhängerInnen aus-
            reichischen Wählerschaft versteht sich als                    geglichen. Hier führt die ÖVP und auch die
            AnhängerIn der beiden großen Parteien ÖVP                     Grünen als kleine Partei sind unter den
            und SPÖ, etwas über ein Viertel (27,6 Prozent,                NichtanhängerInnen gut vertreten.
            siehe Tabelle 6) identifiziert sich mit keiner                    Aus der Tabelle 7 geht hervor, dass die
            Partei und zusätzliche knapp zehn Prozent                     Parteianhängerschaften vor der Nationalrats-
            machen auf die entsprechende Frage keine                      wahl 2006 teilweise stark gespalten waren im
            Angabe oder antworten mit „weiß nicht“. Aus                   Hinblick auf ihre Koalitionspräferenzen. Das
            der Gruppe der kleinen Parteien stechen die                   gilt insbesondere für die beiden großen Partei-
            Grünen mit 9,3 Prozent AnhängerInnen heraus,                  en. 37 Prozent der AnhängerInnen der SPÖ
            während auf die FPÖ nur 3,7 Prozent und auf                   waren für Rot-Grün und 37 Prozent für Rot-
            das BZÖ nur 1,3 Prozent entfallen. Die Um-                    Schwarz. Der Rest ist schwerpunktmäßig zwar
            setzung der AnhängerInnenschaft in die aktu-                  auf die linke Mitte festgelegt, aber weniger fest-
            elle Erstpräferenz für eine Partei ist bei der                gelegt auf eine bestimmte Mitte-Links-Regie-
            ÖVP und den Grünen am konsequentesten: 82                     rung. Bei der ÖVP sind 31 Prozent für Schwarz-
            bzw. 83 Prozent haben eine konsistente Erst-                  Grün und 30 Prozent für Rot-Schwarz; nur 13
            präferenz, während es bei der SPÖ nur 67 Pro-                 Prozent favorisieren eine Koalition mit einer der
            zent sind, bei der FPÖ 60 Prozent und beim                    beiden Rechtsparteien.

2007_04_5pappi.p65                       459                                               08.12.2007, 17:21
460                                        Franz Urban Pappi (Mannheim)

       Tabelle 7: Die Parteiidentifikation als Determinante der Koalitions-Erstpräferenz

         Koalitions-        Grüne           SPÖ      ÖVP     BZÖ         FPÖ     Andere      Keine      weiß        keine
         präferenz                                                                                      nicht      Angabe
                               %            %         %        %          %        %          %             %       %
         LL                    55,7         36,9       0,9     —           3,6     30,0       17,6          10,3    16,4
         LLM                   13,6         12,7       1,4     —          —        10,0        4,8           7,7     6,4
         LM, darunter          23,6         39,2      69,6      6,2       25,5     35,0       45,9          48,7    38,2
           Grüne/ÖVP           17,9          1,4      31,3      6,2        5,5      5,0       13,5          15,4    10,9
           SPÖ/ÖVP              4,3         37,2      30,1     —           7,4     20,0       29,7          10,3    16,4
         LMR                    0,7          2,5       4,8     12,5        7,3     —           5,8           5,1     5,5
         MR                    —             1,1      13,4     75,0       58,2     10,0       11,6          15,4    10,9
         indifferent            2,9          3,4       5,1      6,3        1,8      5,0        6,8           7,7     7,3
         entfremdet             2,9          3,1       1,4     —           1,8     10,0        4,1           2,6     6,4
         keine Angabe           0,7          1,1       3,4     —           1,8     —           3,4           2,6     9,1
         n                    140           355      352       16         55       20        414            39     110

           Die AnhängerInnen der kleinen Parteien am                14 Prozent bevorzugen Schwarz-Grün und 12
       Rande des Links-Rechts-Spektrums sind sehr                   Prozent Mitte-Rechts. Auffällig ist sowohl bei
       viel stärker auf bestimmte Koalitionen festge-               den Nicht-AnhängerInnen als auch bei den Be-
       legt. So wollen 56 Prozent der AnhängerInnen                 fragten, die mit „weiß nicht“ antworteten, dass
       der Grünen eine Koalition mit der SPÖ,                       sich die Zahl der bei den Koalitionspräferenzen
       immerhin 18 Prozent aber auch eine Koalition                 Indifferenten (Rangplatzbindung auf Rang 1
       mit der ÖVP. Allerdings ist mit 18 Prozent die               zwischen mehr als zwei Parteien) oder Ent-
       Unterstützung der Grünen für Schwarz-Grün                    fremdeten (Erstpräferenz entspricht negativer
       weit geringer als die der 31 Prozent ÖVP-                    Einstufung auf Skalometer) in engen Grenzen
       AnhängerInnen. Diese Asymmetrie der Präfe-                   hält.
       renzen der ParteianhängerInnen stünde einer                      Wenn sich nicht einmal die Parteian-
       solchen Koalition sicher im Wege.                            hängerInnen einig sind, welche Koalition sie
           Das BZÖ hat als neue Partei sehr wenige                  bevorzugen sollen, spricht einiges dafür, dass
       ParteianhängerInnen. Diese konzentrieren sich                die Koalitionspräferenz zusätzlich zur Partei-
       auf die damals bestehende Koalition mit der                  präferenz und in gewisser Unabhängigkeit von
       ÖVP oder eine andere Mitte-Rechts-Koalition.                 ihr ein möglicher Motivationsfaktor für die
       Die Präferenzen der FPÖ-AnhängerInnen                        Wahlentscheidung ist, besonders, wenn man
       schwanken etwas stärker als die der An-                      letztere nicht einfach als Entscheidung für eine
       hängerInnen des BZÖ, was sicher auch damit                   Partei, sondern unter Einschluss der Ent-
       zusammenhängt, dass sich die Parteispitze nicht              scheidungsalternative, gar nicht zur Wahl zu
       für eine bestimmte Koalition ausgesprochen hat.              gehen, konzeptualisiert. Dann kann eine klare
       Immerhin bevorzugen aber 58 Prozent ihrer                    Präferenz für eine Koalition, die man für aus-
       AnhängerInnen eine Mitte-Rechts-Koalition.                   sichtsreich hält, ein zusätzlicher Mobilisierungs-
       Mit diesen Koalitionspräferenzen stehen die                  faktor für eine Wahlbeteiligung sein.
       Rechtsparteien aber relativ isoliert da, weil die-               Dieser Frage werden wir im nächsten Ab-
       se Präferenzen nicht von den AnhängerInnen                   schnitt nachgehen. Vorher soll noch geprüft
       der ÖVP erwidert werden.                                     werden, wie viele Befragte auf dem Skalometer
           Die große Gruppe der NichtanhängerInnen                  eine Koalition positiver bewerten als ihre höchst
       hat erwartungsgemäß relativ heterogene                       bewertete Partei und von welchen Faktoren die
       Koalitionspräferenzen. 30 Prozent wollen eine                Erstpräferenzen für bestimmte Koalitionen be-
       große Koalition, 18 Prozent eine Linkskoalition,             einflusst werden.

2007_04_5pappi.p65                    460                                               08.12.2007, 17:21
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