Die Stammwählerschaft - eine bedrohte Spezies? - lie:zeit
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8 lie:zeit 03/2021 Die Stammwählerschaft – eine bedrohte Spezies? Am 7. Februar 2021 haben die Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner einen neuen Landtag gewählt. Der Wahlaus- gang war denkbar knapp, weshalb eigentlich nur die grosse Koalition als Wahlsiegerin bezeichnet werden kann. Umso spannender ist die Frage, wer wen und warum gewählt hat. Text: Dr. Christian Frommelt Der Wahlkampf mag vielen lau Medien und generell im öffent- Die starke öffentliche Präsenz ist der Hauptgrund, weshalb vorgekommen sein. Dies ist vor lichen Raum. Auf allen Kanä- der Wahlen hatte zweifelsohne sich die Wählerinnen und Wäh- allem darauf zurückzuführen, len porträtierten die Parteien eine Mobilisierungswirkung. ler bei den aktuellen Wahlen dass keine öffentlichen Veran- ihre Kandidierenden für Land- Entsprechend überrascht es für den Stimmzettel einer be- staltungen und persönlichen tag und Regierung. Auch ihre auch nicht, dass die Wahlbeteili- stimmten Partei entschieden Begegnungen mit Kandidieren- Themenschwerpunkte und po- gung 2021 ähnlich hoch war wie haben? Diese Frage konnten die den möglich waren. Dennoch: litische Grundhaltungen trans- 2017. Doch wie stark beeinflusst Teilnehmerinnen und Teilneh- Die Landtagswahlen waren in portierten die Parteien über der Wahlkampf tatsächlich das mer der Onlinewahlumfrage den vergangenen Monaten ne- Wahlprogramme und Wahl- Wahlverhalten der Liechtenstei- des Liechtenstein-Instituts, die ben der Coronapandemie das spots in alle Haushalte. nerinnen und Liechtensteiner? in Zusammenarbeit mit dem bestimmende Thema in den Oder anders gefragt: Welches Liechtensteiner Vaterland und HAUPTGRUND FÜR INDIVIDUELLEN WAHLENTSCHEID
03/2021 lie:zeit 9 dem Liechtensteiner Volksblatt wurden die drei kleineren Partei- len Wahlentscheid Tradition und Einfluss auf den eigenen Wahl- durchgeführt wurde, gleich en – insbesondere die FL und die Gewohnheit nannten. Die diffe- entscheid, während DU- und selbst beantworten. Konkret DpL – vor allem wegen ihres in- renzierte Auswertung der aktu- DpL-Wählerinnen und -Wähler konnten sie zwischen fünf Ant- haltlichen Programms gewählt. ellen Umfrage zeigt zudem nur bei ihrem Wahlentscheid vor wortmöglichkeiten auswählen: Auch dies überrascht wenig, da geringfügige Unterschiede nach allem vom Wunsch nach Verän- • Gewohnheit/Tradition, diese beiden Parteien einerseits Geschlecht, Alter und Bildung. derung geleitet wurden und die • Landtagsteam, keine Regierungskandidatur Bemerkenswert ist allerdings, FL wegen ihres inhaltlichen Pro- • Regierungsteam, stellten und von allen Parteien dass der Anteil der «Traditions- gramms und ihres politischen • inhaltliches Programm der wohl das schärfste ideologische wähler» in der Altersgruppe 25 Stils gewählt wurde. Von allen Partei Profil aufweisen. bis 34 Jahre am höchsten und in zur Auswahl stehenden Fakto- • sowie die offene Antwort der Altersgruppe 65 Jahre und ren wurde der traditionellen «anderer Grund». Gründe für Wahlentscheid im älter am tiefsten ist, wenngleich Verbundenheit mit einer Partei Wandel die Unterschiede über alle Al- über alle Parteien hinweg der Der meistgenannte Wahlgrund Überraschend bei den Land- tersgruppen hinweg sehr gering geringste Einfluss auf das Wahl- war das Regierungsteam. Über tagswahlen 2021 war demge- sind. verhalten attestiert. Heisst dies 35 Prozent gaben demnach an, genüber, dass nur sehr wenige nun also, dass es in Liechtenstein dass das Regierungsteam für sie Wählerinnen und Wähler die Neben dem Hauptwahlgrund keine Traditionswähler mehr der Hauptgrund war, weshalb sie Antwortmöglichkeit «Gewohn- wurden in der Umfrage auch gibt, und die Parteien demnach sich für den Stimmzettel einer heit/Tradition» auswählten. weitere Faktoren, die das Wahl- keine Stammwählerschaft mehr bestimmten Partei entschieden Über alle Parteien hinweg be- verhalten beeinflussten, abge- haben? haben (siehe Abbildung auf Sei- trachtet, waren dies lediglich 8 fragt. Für die Wählerinnen und te 8). Wenig überraschend war Prozent. Dieser Wert liegt deut- Wähler der beiden Grossparteien Diese Frage ist natürlich klar zu das Regierungsteam vor allem lich unter dem Wert aus frühe- FBP und VU hatte dabei vor al- verneinen. Es ist davon auszu- bei den Wählenden von FBP und ren Umfragen, wo meist über lem die fachliche Kompetenz der gehen, dass die traditionellen VU sehr wichtig mit jeweils ca. 30 Prozent der Wählenden als Spitzenkandidatin bzw. des Spit- Parteibindungen hierzulande 50 Prozent. Im Unterschied dazu Hauptgrund für den individuel- zenkandidaten einen grossen weiterhin stark sind und des- halb einen grossen Einfluss auf das Wahlverhalten ausüben. Dies WÄHLERSTRÖME ZWISCHEN DEN BEIDEN WAHLEN VON 2017 UND 2021 zeigt z. B. die Analyse der soge- nannten Wechselwählenden. Dazu zählen Personen, welche sowohl 2017 als auch 2021 an den Wahlen teilnahmen, dabei aber jeweils eine andere Partei wählten. Gemäss den Daten der Wahlumfrage haben ca. 80 Pro- zent der Wählerinnen und Wäh- ler von FBP und VU sowie über 70 Prozent der FL-Wählerinnen und -Wähler bei den Wahlen 2017 und 2021 die gleiche Partei ge- Lesebeispiel erste Zeile (FBP): 78 Prozent jener Wählerinnen und Wähler, die 2017 FBP wählten und 2021 teilnahmen, wählt (siehe Tabelle Wählerströ- gaben auch 2021 der FBP ihre Stimme(n). 12 Prozent dieser Wählenden gaben der VU ihre Stimme, 3 Prozent der FL me). Vermutlich hat ein Gross- usw. Grau schraffiert ist die «Stammwählerquote», die für die DpL nicht ausgewiesen werden kann, da sie 2021 ja teil davon bereits zuvor die je- erstmals antrat. Mit lediglich 15 Prozent verfügt die DU über die geringste Stammwählerschaft, was sich auch in dem weilige Partei gewählt, weshalb grossen Stimmenverlust der DU widerspiegelte. 44 Prozent der Personen, welche 2017 DU wählten, wählten 2021 DpL. diese Wählenden durchaus als Stammwählerschaft bezeichnet werden können. MITTLERE PARTEISYMPATHIE NACH WAHLENTSCHEID Unterschiedliche Sympathien für die Parteien Ein weiterer Indikator für die Anzahl Stammwählende ist die Höhe der Sympathie, welche die Wählerinnen und Wähler für die von ihnen gewählte, aber auch für andere Parteien hegen. Auch diese Frage wurde in der Wahlumfrage zu den Landtags- wahlen von 2021 gestellt, wo- bei die befragten Personen die Parteien jeweils auf einer Skala Lesebeispiel erste Zeile (FBP): Auf einer Skala von 0 bis 10 bewerten die FBP-Wählenden die Sympathie für die FBP von 0 (überhaupt nicht sym- durchschnittlich mit 7.1, die VU mit 4.3, die FL mit 3.7, die DU mit 2.7 und die DpL mit 2.8. pathisch) bis 10 (sehr sympa-
10 lie:zeit 03/2021 MITTLERE PARTEISYMPATHIE VON WECHSELWÄHLENDEN NACH WAHLENTSCHEID Lesebeispiel erste Zeile (FBP): Auf einer Skala von 0 bis 10 bewerten Personen, welche 2021, aber nicht 2017 die FBP wählten, die Sympathie für die FBP durchschnittlich mit 5.6, die Sympathie für die VU mit 4.2, für die FL mit 4.6, die DU mit 2.9 und die DpL mit 3.0. thisch) verorten konnten (siehe Traditionelle Parteibindungen teibindungen in Liechtenstein Tabelle «Mittlere Parteisympa- bleiben bestehen wohl immer noch hoch sind thie» auf Seite 9). Erwartungs- Die traditionelle Parteibindung und zumindest FBP, VU und FL gemäss sind die Sympathien wird nochmals deutlicher, wenn über eine Stammwählerschaft für die eigene Partei am höchs- wir uns nur die Wechselwählen- verfügen. Ein Indiz hierfür sind ten. Mit Werten um 7.0 liegt den anschauen (siehe Tabelle auch die meist ähnlichen Mehr- die mittlere Parteisympathie oben). Gerade bei den Wechsel- heitsverhältnisse in den einzel- deutlich über der Mitte von 5. wählerinnen und -wählern von nen Gemeinden Liechtensteins Im Unterschied dazu geniessen VU und FBP liegt die mittlere sowie die insgesamt eher gerin- die anderen Parteien – also die- Sympathie für die von ihnen gen Stimmenverschiebungen jenigen Parteien, die man nicht (neu) gewählte Partei tiefer und durch das Panaschieren, also gewählt hat – deutlich weniger die mittlere Sympathie für die die Möglichkeit der Vergabe von Sympathien. Dies ist gerade mit andere (früher gewählte) Partei Sympathiestimmen an andere Blick auf die Wählerinnen und höher als bei der Auswertung Parteien. Wähler der beiden Grosspartei- aller Wählenden. Dies verdeut- en VU und FBP interessant. Wer- licht, dass diese Wählenden in Hauptwahlgründe ändern sich Bemerkenswert ist, dass den die Wählenden dieser Par- ihrem Wahlentscheid weniger Doch warum gaben bei der teien nämlich gefragt, wo sie gefestigt sind und durchaus wie- Wahlumfrage 2021 so wenige der Anteil ‹Traditions- die beiden Parteien aufgrund der die Partei wechseln könnten. Personen Tradition und Ge- wähler› in der Alters- ihrer Inhalte und Positionen auf Die Sympathie für die Partei ist wohnheit als Hauptwahlgrund gruppe 65 Jahre und einer Skala von links bis rechts deshalb auch ein guter Indika- an? Tatsächlich gibt es auch älter am tiefsten ist. verorten, so werden die Parteien tor, um das Wählerpotenzial für Stammwählende viele gute praktisch gleich eingestuft und einer Partei abzuschätzen, und Gründe für den eigenen Wahl- jeweils in der politischen Mitte damit auch, von welcher Partei entscheid, die nicht mit der Christian Frommelt, verortet. Folglich lassen sich die diese Wählenden grundsätzlich Tradition zusammenhängen, Politikwissenschaftler, unterschiedliche Sympathie- kommen könnten. Interessant wie z. B. die fachliche Kompe- Direktor des Liechtenstein-Instituts werte bei FBP und VU nicht mit ist in diesem Zusammenhang tenz der Kandidierenden oder politischen Inhalten bzw. der sicherlich auch, dass die DpL bei der politische Stil einer Partei. politischen Ideologie der Partei- den DU-Wählenden grundsätz- Es ist aber auch gut möglich, en begründen. lich viel Sympathie geniesst, dass es einfach nicht mehr chic werden bzw. möchte man dies während jedoch die Wählerin- ist, sich als Parteiwählerin und heute einfach nicht mehr so sa- Interessant ist in diesem Zusam- nen und Wähler der anderen -wähler zu bezeichnen, selbst gen. Vielmehr haben die Wäh- menhang ferner auch, dass die Parteien den beiden Parteien DU dann, wenn man eigentlich im- lerinnen und Wähler für ihr Teilnehmerinnen und Teilneh- und DpL nur wenig Sympathie mer dieselbe Partei wählt. Die Wahlverhalten andere Gründe mer der Umfrage ohne liech- entgegenbringen. Das Wähler- Stammwählerinnen und -wäh- gefunden. Dies spricht für eine tensteinische Staatsangehörig- potenzial der noch jungen Partei ler sind also noch längst nicht aktive Auseinandersetzung mit keit die beiden Parteien VU und DpL scheint sich also im Moment vom Aussterben bedroht. Den- der Politik. Es müssen sich aber FBP deutlich öfter als gleich vor allem auf die Wählenden der noch: Hiess es früher, jemand weder die Parteien grundsätzli- sympathisch einstufen, als dies DU zu konzentrieren. komme aus einem «roten» oder che Sorgen um ihre Stammwäh- die Liechtensteinerinnen und «schwarzen Haus», kann dies lerschaft machen, noch muss die Liechtensteiner tun. Die verschiedenen Analysen zei- heute nicht mehr so eindeutig Wahlforschung zu Liechtenstein gen, dass die traditionellen Par- als Wahlgrund herangezogen neu geschrieben werden.
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