PRESS REVIEW Monday, June 14, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal
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PRESS REVIEW Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal Monday, June 14, 2021
PRESS REVIEW Monday, June 14, 2021 NZZ am Sonntag Magazin, DIVAN, DB Es ist die Musik, die uns zu Menschen macht General-Anzeiger, BSA Festival verbindet Rheinseiten. Abschluss von Klassik-Konzerten in Rolandseck Frankfurter Allgemeine Zeitung, DB Daniel Barenboim, Christian Thielemann und Simone Young beziehen ihre Taktstöcke aus Markneukirchen im Vogtland: Ein Besuch in der Werkstatt von Familie Hellinger Berliner Morgenpost Christoph Eschenbach dirigiert die Premiere von Webers „Freischütz“ zum 200-jährigen Jubiläum des Konzerthauses Berlin Berliner Morgenpost Stefan Herheim zeigt Richard Wagners „Rheingold“ an der Deutschen Oper Berliner Zeitung Herbert Blomstedt und die Philharmoniker Berliner Morgenpost Berliner Philharmoniker planen Konzert vor 6000 Menschen Frankfurter Allgemeine Zeitung Das Würzburger Mozartfest bietet „Idomeneo“ mit Christophe Rousset und Bruckner mit Andris Nelsons
Der Tagesspiegel Ein Gespräch mit Berlins Kultursenator Klaus Lederer über Amanda Gor-man, Sahra Wagenknecht und Fehler in der Corona-Politik – und was im Sommer für große kulturelle Events möglich sind Frankfurter Allgemeine Zeitung Ein Gespräch mit Raphael Gross vom Deutschen Historischen Museum über die neue Ausstellung Der Tagesspiegel Auf dem Weg zum Exilmuseum eröffnet am Anhalter Bahnhof die Open-Air-Ausstellung „Zu/Flucht“ Die Welt Der Cellist Yo-Yo Ma und der Pianist Emanuel Ax machen seit vierzig Jahren zusammen Musik. Jetzt haben sie Beethoven aufgenommen. So lebendig, wie sie reden The New York Times A Trailblazing Female Conductor Is Still Alone on the Trail
Print Quelle: NZZ am Sonntag Magazin vom 13.06.2021, S.20-21 (Wochenzeitung / Sonntag, Zürich) Auch in: 1 weitere Quelle » Reichweite: 402.791 Ressort: Magazine Auflage: 108.569 Autor: Text: Quellrubrik: Zürich Der Homo musicus Wenn irgendetwas den Zusammenhalt der Menschen gefährdet, dann ist es der musiklose Zustand. Es ist die Musik, die uns zu Menschen macht. Text: Martin Helg schen Immunabwehr. Das erste tech- mums bis zur ersten jungsteinzeitli- Was die Corona-bedingte musikali- nisch reproduzierte Tonerzeugnis fin- chen Darmsaiten-Lyra und der ersten sche Mangelsituation betrifft, so naht det sich dagegen erst auf den letzten Glocke aus Metall um 1700 v. Chr. – allmählich Rettung. Noch reicht es Millimetern der evolutionären Zeit- Stationen der Entwicklung vom No- zwar nicht für die Rolling Stones im achse: ein knisterndes Kornett-Solo madentum zur Sesshaftigkeit, die sich Letzigrund, aber seit bald zwei Wo- aus dem Jahr 1878, eingefangen mit um musikalische Zentren herum ab- chen sind in der Schweiz wieder 300 einem Phonographen aus der Erfin- spielte. Personen zu Open-Air-Konzerten zu- derwerkstatt des Glühbirnenpioniers Am Anfang war die Musik! Min- gelassen und 100 zu Konzerten in In- Thomas Edison. Alle früheren Gigs destens so sehr wie die Sprache macht nenräumen. Gut, sie müssen auf ihren sind spurlos verklungen. Noch nicht sie uns zu sozialen Wesen oder eher: Sitzplätzen stillhalten, wo das Wip- einmal von Bachs Matthäuspassion, mehr noch als die Sprache. Denn wo pen, Hüpfen und Cruisen der ange- bis zur Wiederentdeckung durch Felix jene durch ein langwieriges Trial-and- messenere Bewegungszustand wäre Mendelssohn hundert Jahre lang ver- Error-Verfahren eine Verständigungs- (das skurrile Steifheitsgebot der klas- gessen, wissen wir, wie sie wirklich ebene erst etablieren muss, unter Ver- sischen Konzertkultur gehört längst getönt hat (über Tempo und Dynamik meidung von Pannen, die die Gräben abgeschafft). Aber es ist doch – end- hat sich der Meister spärlich ausgelas- zwischen den Menschen ungewollt zu lich! – wieder ein Musikerlebnis in sen); und vollends breitet sich der vertiefen drohen, schafft die Musik Ge- Gesellschaft; denn was wir im Lock- Mantel der Stille über die Musik, die fühlsbrücken aus akustischem Stahl- down von den Streamingdiensten auf gar nie aufgeschrieben wurde – also beton. Manche Teenager mögen sich unsere Heim-Akustikanlagen gespielt die allermeiste. beim Debattieren im Jugendklub ver- bekommen haben, war nur ein Ab- Niemand war vor 500 Millionen liebt haben, die meisten aber taten es klatsch dessen, was Musik zwischen Jahren mit dem Mikrofon zur Stelle, danach beim Kissentanz zu "Hymn" Menschen vermag. um die erste Sphärenmusik der Erd- von Barclay James Harvest oder "La- geschichte aufzuzeichnen, den Ur- dy in Black" von Uriah Heep (ja, so knall. Die neue Wissenschaft Astro- war das einmal). seismologie postuliert, dass Sterne Der Trumpf von Uriah Heep oder aufgrund der Turbulenzen in ihren Jay-Z liegt in den akustischen Wellen, äusseren Schichten schwingen und die sich auf körperliche Schwingun- vibrieren – wie Musikinstrumente. gen (Atem, Herzschlag) übertragen Und noch bevor der Urknall sich wis- und verschiedene Körper gleich tak- senschaftlich Gehör verschaffte, er- ten. Das weist uns zwar noch nicht als zählten kalifornische Frühbewohner Könige der Schöpfung aus: Biologen von der Welterschaffung durch einen haben einen ähnlichen Effekt auch für Erdenschöpfer, der über einem Klum- zirpende Grillenchöre nachgewiesen, pen Lehm sang. "Im Anfang war das Physiker sogar für Pendeluhren, die, Wort", schrieb der Apostel Johannes; wenn sie auf derselben vibrierenden doch "dieses Wort war vermutlich ge- Regaloberfläche standen, sich nach sungen wie die meisten heiligen und nach synchronisierten. Es zeugt Schriften", so der Musikologe Michael aber schon einmal von der einenden Spitzer in seiner diese Woche auf Kraft der Musik, die sich unabhängig Deutsch erscheinenden "Musikali- von Verstand und Kultur ihr Recht schen Geschichte der Menschheit" verschafft. (Riva-Verlag). Im Takt vereint marschieren Ar- Später, schreibt Spitzer, sei die He- meen in den Krieg, auf dem Sound- Foto: Jeff Kravitz / FilmMagic for Bonnaroo rausentwicklung stabiler menschli- teppich ihrer Schmähgesänge wiegen Arts And Music Festival / Getty Images cher Gesellschaften einhergegangen sich Fussballfans in die kollektive Das schicke Weiss der Mini-Kopf- mit der Benutzung immer schwererer, Ekstase. Wir jagen, tanzen, lieben zu hörer, über die wir Weltklänge unter weniger tragbarer Musikinstrumente: Musik, an grossen Liederfestivals wie Corona-Bedingungen in unsere Pri- von der aus der Speiche eines Gänse- jenem in Estland hören Zehntausende vatklause leiten, ändert nichts daran, geiers gefertigten Knochenflöte des wochenlang nicht mehr auf mit dem dass wir auf Live-Musik program- Jungpaläolithikums (40 000 v. Chr., Singen. In Venezuela zielt das Musik- miert sind – die leider rasch wieder ein Sensationsfund aus Schwäbisch programm "El Sistema" darauf ab, verstummten Balkonkonzerte waren Hall) über die Mammut- und Rinder- Kinder aus der Armut zu befreien und nicht zuletzt ein Reflex der biologi- hörner des letzteiszeitlichen Maxi- an die Mittelschicht heranzuführen – 4
weltweit liebt man es für die mitreis- le, für eine "europäische Idee", wur- auf Hardrock gestimmten WG-Genos- senden Acts seiner Riesen-Jugenden- zelnd im Zeitalter der Empfindsam- sin näherzukommen. Hier endet in sembles. Und das West-Eastern Divan keit mit seiner Anfälligkeit für kolo- der Regel die häusliche Toleranz. Orchestra unter Daniel Barenboim, nialistische Irrwege (wovon die Idee Denn was Musikpräferenzen betrifft, das zu gleichen Teilen aus arabischen zeugte, die 1977 nach fernen Planeten so sind wir laut Melanie Wald-Fuhr- und israelischen Musikern besteht, ist entsandte "Voyager 1" mit vorwiegend mann Gewohnheitstiere, und auch ei- mit dem hoch entwickelten Beetho- klassischen musikalischen Visitenkar- nem Prokofjew – nicht anders als Me- ven-/Brahms-Besteck gar um die Lö- ten zu bestücken und der Widmung: tallica – fehlt ab Konserve die "Aura" sung des Nahostkonflikts bemüht. "Für die Musikmacher – in allen Wel- (Walter Benjamin), die Geschmacks- Hier zeigt sich nun doch etwas spe- ten, zu allen Zeiten"; kein Wunder, transformationen in Gang setzt. zifisch Menschliches: Die Fähigkeit, werden die Rückmeldungen der heute Höchste Zeit also, dass endlich wieder Tonfolgen in präzise rhythmische 23 Milliarden Kilometer von der Erde Konzerte stattfinden! In aerosolhal-ti- Muster zu ordnen, ist dem Homo sa- entfernten Raumsonde immer spärli- gen Umgebungen lässt es sich einfach piens vorbehalten. Man sollte darob cher). besser Brücken bauen. nicht allzu vorbehaltlos ins Schwär- Ein allzu subjektives Universalis- ■ Martin Helgs CD-Sammlung ist men geraten. Skeptikerinnen wie die mus-Konzept wirft seine Anhänger oft während der Pandemie über das Fas- jüngst in der "Zeit" zitierte Musikwis- jäh in die Vereinzelung zurück. Das sungsvermögen seines Regals hinaus- senschafterin Melanie Wald-Fuhr- mag im Kleinen der Klassik-Fan er- gewachsen. Konzertbesuche sollen mann halten die Vorstellung, Musik fahren, der, sagen wir einmal, eine ihm den Rückbau erleichtern. sei eine universale Sprache der Gefüh- Prokofjew-Tonspur wählt, um seiner Alle weiteren Quellen: Neue Zürcher Zeitung Online zum Anfang dieses Artikels zum Inhaltsverzeichnis 5
Print Quelle: General-Anzeiger, Rhein-Ahr-Zeitung (G3520) vom 14.06.2021, S.16 (Tageszeitung / täglich ausser Sonntag, Bad Neuenahr-Ahrwei- ler) Auflage: 12.097 Reichweite: 26.009 Festival verbindet Rheinseiten Abschluss von Klassik-Konzerten in Rolandseck ROLANDSECK. Das 16. Rolandseck- "Unserem Ziel der Völkerverständi- Uhr, Stücke von Rameau, Richard festival "Festival Pro – Aufbruch" ist gung bleiben wir treu, bei dem es Strauss, Robert Schumann und Beet- für den 25. bis 27. Juni geplant. Das letztlich um das Aufbrechen von hoven zu Gehör. Am Sonntagabend, Festival geht neue Wege, seit es 2019 Feindbildern geht: Stipendiatinnen 18 Uhr, ist der Abschluss in Rolands- zum letzten Mal im Arp Museum rea- und Stipendiaten aus dem Nahen Os- eck auf der Festwiese zwischen dem lisiert wurde. Erstmals erlebte es im ten von der Barenboim-Said-Akade- ehemaligen Hotel Rheingold Bellevue Vorjahr seine Eröffnung in Bad Hon- mie werden auch diesmal Gäste unse- und dem Rheinstrom. Schon 2020 bot nef und wurde an anderen neuen Or- res Festivals sein." die Lage ein romantisches Open-Air- ten fortgesetzt. Es sei gelungen, den Am Freitag, 25. Juni, 20 Uhr, er- Flair. Auf dem Programm stehen dies- diesjährigen Konzertreigen "trotz aller klingen zum Auftakt im Kursaal Bad mal Stücke von Bruch, Debussy, Stra- Wirrnisse in diesen merkwürdigen Honnef Werke von Beethoven, Debus- vinsky sowie Korngold, Piazzolla und Zeiten zu gestalten", so die Johannes- sy, Schubert und Dvorak. Ebendort norwegische Musik, etwa mit Hardan- Wasmuth-Gesellschaft (JWG). folgt am Samstag, 26. Juni, 20 Uhr, ger Fiddle. Das Festival unter der künstleri- ein gemeinsam mit dem Deutschland- Der Eintritt kostet 35 Euro, ermä- schen Leitung von Mihaela Martin funk Kultur veranstaltetes Konzert, ßigt 20 Euro, das Konzert in Rolands- soll auch in Zukunft die linke und bei dem die Komponistinnen Clara eck 30 Euro, ermäßigt 15 Euro. Vorbe- rechte Rheinseite verbinden. Die Schumann, Fanny Mendelssohn, Gali- stellung ist möglich per E-Mail an su- Spielstätten in Bad Honnef, Rolands- na Ustvolskaya und Louise Farrenc sanne@gundelach-bonn.de und bei eck und in Bonn, insbesondere Bad tonangebend sind. In der Kleinen Bonnticket (eventuell plus Vorver- Godesberg, "bleiben im Zentrum un- Beethovenhalle in Bad Godesberg kaufs-Gebühr). gih serer Aktivität". Die JWG betont: kommen am Sonntag, 27. Juni, 11 3
14.6.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467111/12 F.A.Z. - Feuilleton Samstag, 12.06.2021 Auf Biegen und Brechen Daniel Barenboim, Christian Thielemann und Simone Young beziehen ihre Taktstöcke aus Markneukirchen im Vogtland: Ein Besuch in der Werkstatt von Familie Hellinger. Von Jan Brachmann Taktstöcke! Wer braucht die jetzt noch? „Unsere Verkaufserlöse erzielen wir doch nicht durch die großen Dirigenten, sondern durch die kleinen Orchester: Dorforchester, Blaskapellen, Theaterdirigen- ten“, sagt Matthias Hellinger, als wir im Auto von Adorf im Vogtland nach Markneukirchen fahren, vor uns den Kamm des Erzgebirges. Im ganzen Land hat die Musik seit Monaten geschwiegen. Was den Betrieb ROHEMA während der Corona-Krise gerettet hat, war die Fertigung von Schlagwerk für die musikalische Früherziehung und von Schlägeln für Klangschalen im Esoterik-Sortiment. „Man muss einen Riecher dafür haben. Das geht in der Corona-Zeit sehr gut weiter“, erzählt Hellinger, als wir durch den berühmten Instrumentbauerort in Südwestsachsen fahren, hinauf auf den Hügel, wo die neuen Fertigungshallen mit hochmodernen, computergesteuerten Maschinen stehen. „Wir machen ungefähr sechshundert verschiedene Instrumente: Trommelstöcke, Paukenschlägel, Klanghölzer, Maracas, Vibraphonschlägel, Besen, Shaker, Holztrommeln, Tamburins, Armbänder, Klangschalen- und Gongschlägel in verschiedenen Härten“, erläutert Hellinger das Tun seiner über dreißig Angestellten im Betrieb. „Die Taktstockfertigung ist gut für unser Image, aber umsatzmäßig macht das nicht einmal fünf Prozent aus. Allerdings ist es ein Alleinstellungsmerkmal. Denn Taktstock- hersteller wie uns gibt es nicht viele auf der Welt.“ ROHEMA steht für „Robert Hellinger Markneukir- chen“, ein Familienbetrieb in der fünften Generation, der seit 1888 Trommelstöcke, Paukenschlägel und eben auch Taktstöcke fertigt, „die älteste noch bestehende Taktstockfabrik der Welt“, sagt eine geläufige Internetenzyklopädie, nicht ohne Zustimmung der Geschäftsführer Maik und Tobias Hellinger. Was macht nun einen guten Taktstock aus? „Das ist eine ziemlich persönliche Sache“, schreibt Kent Nagano, derzeit Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper, in einer E-Mail an die F.A.Z.: „Es hat mit Balance, Gewicht, Handkomfort und vielem anderen zu tun.“ Der Komponist und Dirigent Peter Ruzicka bestätigt es, gleichfalls schriftlich: „Entscheidend ist wohl dessen spezifisches Gewicht und eine organisch verlängernde Lage zwischen Daumen und Mittelfinger der rechten Hand bei aufge- legtem Zeigefinger.“ Der Taktstock ist die Verlängerung der Hand. Als Regel gilt, dass er nicht wesent- lich länger als der eigene Unterarm sein sollte. Titus Engel meint ebenfalls: „Die Balance ist entschei- dend. Der Taktstock sollte leicht sein und gut in der Hand liegen, sodass ich ihn nicht als Gewicht wahr- nehme. Ich wechsle ungern das Modell während einer Proben- und Konzertphase, da bereits eine kleine Gewichtsänderung eine Irritation darstellt.“ Im Sortiment von ROHEMA finden sich 26 verschiedene Modelle aus den Materialien Holz, Fiberglas und Karbon mit Griffen aus Holz oder Kork, in Längen zwischen 34 und 46,5 Zentimetern und einem Gewicht von vier bis zu dreißig Gramm. Allein diese Auswahl zeigt, wie unterschiedlich bei Dirigenten das Empfinden für einen guten Taktstock ausfällt. Die Hellingers haben prominente Kunden: Daniel Barenboim und Christian Thielemann beziehen ihre Taktstöcke direkt von hier, jeder etwa dreißig bis vierzig Stück pro Jahr. Auch Simone Young, Naganos Vorgängerin in Hamburg, liebt eines der hier gefertigten Modelle, genauso wie Zubin Mehta und Simon Rattle, die zwar nicht zu den Direktkunden gehören, aber in Fachgeschäften auf das zurückgreifen, was in Markneukirchen gemacht wird. „Daniel Barenboim hat einen Standard-Taktstock aus unserem Sorti- ment, allerdings einen recht ungewöhnlichen: das Modell ,Strauss‘. Er wollte eine besondere Länge haben. Manche Dirigenten kürzen den Taktstock selbst, aber hier fragte uns seine Referentin, ob wir ihn auf seine Länge von 43 Zentimetern bringen könnten. Und das können wir.“ https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467111/12 1/3
14.6.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467111/12 Matthias Hellinger ist ausgebildeter Drechslermeister; in Seiffen, dem Zentrum des erzgebirgischen Kunsthandwerks, hat er gelernt. „Taktstöcke zu machen war in unserer Firma immer schon Chefsache. Mein Vater hatte viele Taktstöcke gemacht, mein Großvater auch schon. Früher war der Anteil der Takt- stöcke an unserer Gesamtproduktion viel höher. Dass er jetzt niedriger ist, liegt aber nur daran, dass alles andere in unserem Sortiment so stark gewachsen ist.“ Einen Taktstock zu fertigen sei nicht das Schwierigste. Schlimmer sei es, einen Paukenschlägel zu nähen. „Vor den Frauen, die das machen, ziehe ich den Hut“, sagt Hellinger mit glaubhafter Bewunderung: „Wie genau die arbeiten müssen! Mehrere Lagen von Textilien übereinander zu vernähen, überall die Falten entfernen. Das geht so auf die Finger! Da ist ein Taktstock einfacher zu machen.“ Wie macht man also einen Taktstock? Das sei eine Frage des richtigen Materials, der richtigen Maschi- nerie und besonderer Fertigkeiten. Für die Holztaktstöcke bevorzugt Hellinger das Holz der Hainbuche, im Volksmund auch „Weißbuche“ genannt: „Es ist sehr hart und stabil, ohne starke Maserung. Das eignet sich gut für so etwas Dünnes. Wenn man da Eiche nähme oder etwas, das sehr bogig ist, geht die Stabilität verloren. Viele nehmen Ahorn. Der ist noch etwas leichter. Aber die Ahorntaktstöcke gehen noch schneller kaputt. Sie sind weicher und neigen stärker zum Verziehen. Taktstöcke sollen aber nicht krumm sein. Das ist ja das A und O. Holz arbeitet. Wenn Sie so einen Taktstock auf die Heizung legen, wird der krumm. Es kann aber sein, dass er sich danach mit der Zeit wieder geradezieht. Das Holzstück muss auch fehlerfrei sein. Wenn da Astansätze oder Verwachsungen drin sind, brechen die Stöcke ruck, zuck.“ Begonnen wird die Fertigung mit unbesäumten Pfosten, direkt vom Sägewerk, aber schon kammerge- trocknet. Dann wird das Holz gehobelt, besäumt und zu Kanteln geschnitten. Aus den Kanteln werden Rundstäbe gemacht, die dann in spezielle Maschinen gespannt werden, mit einer Vorrichtung, die dafür sorgt, dass die etwa fünfzig Zentimeter langen Holzstäbe mit fünf Millimeter Dicke nicht zerbrechen: „Der Stab muss dreitausend Umdrehungen pro Minute aushalten und dann konisch heruntergedreht werden auf zwei Millimeter an der Spitze.“ Das sei technisch die größte Schwierigkeit: die Stäbe gerade zu halten und sie beim Drehen nicht brechen zu lassen. „Deshalb haben viele Hersteller gar keine Holztaktstöcke mehr im Sortiment. Die nehmen Karbon oder Fiberglas. Die werden vorgefertigt, und dann ist die Sache im Prinzip erledigt. Man muss am Ende nur noch die Korkteile oder Holzgriffe aufleimen.“ Weil es sehr aufwendig ist, die Maschinen auf Taktstockfertigung einzustellen, werden sie nur wenige Male im Jahr gedreht, dann aber in großer Zahl von mehreren tausend Stück. Im letzten Vor-Corona-Jahr, 2019, hat ROHEMA zwanzig- tausend Taktstöcke produziert und in alle Welt verkauft. Viele Dirigenten ließen sich ihre Taktstöcke von begabten Handwerkern oder schnitzenden Orchester- warten machen. Henk Ummels in Amsterdam hat es zu einiger Berühmtheit gebracht, auch Richard Horowitz in New York gehörte dazu. Inzwischen kaufen die meisten Dirigenten ihre Taktstöcke in Musi- kaliengeschäften. Kent Nagano bevorzugt Fiberglasstäbe der Marke Hamel. Peter Ruzicka – „Ich könnte mit keinem anderen Taktstock vernünftig dirigieren“ – hält es seit jeher mit einem „34,5 Zentimeter langen Taktstock aus weißlackiertem Karbon mit nahezu rundem Korkgriff, gekauft in einem kleinen Hamburger Musikladen“. Titus Engel gibt auch Fiberglasstöcke mit Korkgriff den Vorzug, hat allerdings eine Kollektion in verschiedenen Längen, alle gekauft beim Berliner Musikgeschäft Riedel. Doch es gibt nicht wenige Dirigenten, die an den zerbrechlichen Holzstöcken festhalten: Barenboim, Thielemann, Mehta, Rattle und Young gehören dazu. Der Taktstock für Christian Thielemann sei etwas ganz Besonderes, erzählt Hellinger. Thielemann selbst sei auf ihn zugekommen und habe darum gebe- ten, einen Taktstock zu entwickeln, dessen Balancepunkt nicht standardmäßig einen Zentimeter, sondern zweieinhalb Zentimeter nach dem Griff liege. Bei einer Länge von 47 Zentimetern bedeute dies, dass man den Griff selbst durch eine kleine Metalleinlage beschweren müsse. Aus diesem individuellen Wunsch wird ein neues Modell für den Katalog werden. Der Balancepunkt wurde für alle Taktstöcke im ROHEMA-Sortiment 2006 festgelegt: „Der liegt nämlich bei uns an der gleichen Stelle, egal, ob der Stock aus Fiberglas oder aus Holz ist. Man muss das Gewicht durch den Griff ausbalancieren; deshalb haben wir beim Fiberglasstock im Griff diese Messingscheibe eingearbeitet. Ein Zentimeter nach dem Griff ist optimal für den Balancepunkt, weil man die Hand öffnen kann, ohne dass der Stock herunterfällt. Die Dirigenten sagen immer, nichts sei peinlicher, als https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467111/12 2/3
14.6.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467111/12 wenn einem auf dem Pult der Taktstock aus der Hand falle. Entscheidend ist das gefühlte Gewicht: Bei einem Griff mit eingearbeiteter Messingscheibe ist das Gesamtgewicht zwar höher, das gefühlte Gewicht durch den gleichen Balancepunkt aber ähnlich. Je länger der Taktstock nach vorn ist, desto mehr Gewicht braucht er hinten.“ Titus Engel allerdings findet es nicht mehr schlimm, wenn der Stock mal wegfliegt: „Am Anfang meiner Laufbahn war mir das peinlich. Inzwischen ist mir klar geworden, dass es eigentlich ein gutes Zeichen ist, nämlich für eine unverkrampfte Taktstockhand. Ich bin mir sicher, dass eine der wichtigsten Eigen- schaften eines guten Dirigenten die Gelöstheit der Bewegungen ist, denn die überträgt sich auch auf die Musiker.“ Man könnte auf die verwegene Idee kommen, dass Taktstöcke ja Mikado-Stäbchen sehr ähnlich sähen und es vielleicht lukrativ wäre, auch die Spiele-Industrie zu beliefern. Doch Hellinger winkt ab. Das habe er nie getan. Aber Ess-Stäbchen für die Restaurants in den großen Interhotels der DDR habe er vor der Wende gefertigt: „Davon wurden viele gebraucht, hinten eckig, vorne rund, rot-schwarz lackiert, mit Aufdruck, Zehntausende Stück.“ Vor dem Zweiten Weltkrieg seien dagegen noch Geschenktaktstöcke, für Jubiläen oder Uraufführungen, sehr gefragt gewesen: reich verziert, mit Elfenbeingriffen, aus Eben- holz gedreht, mit Perlmutt-Einlagen oder Silber. Dirigieren habe man mit ihnen eigentlich nicht gekonnt. Sie waren zu schwer. Seit den fünfziger Jahren ging die Nachfrage immer mehr zurück. Aber Ende der neunziger Jahre musste ROHEMA 74000 Taktstöcke für Microsoft fertigen. „Das war ein Ding!“, ruft Hellinger aus, ohne seine geruhsame Heiterkeit zu verlieren: „Das lief über eine deutsche Werbe-Agentur unter dem Slogan: ,Wir geben den Takt‘. Für uns war das eine Herausforderung, plötz- lich einen solchen Auftrag erfüllen zu müssen. Da wollten sie goldene haben für die obere Führungsebe- ne, für die ganz einfachen Mitarbeiter welche aus Holz. Wir haben das geschafft, und das war für uns auch ein gutes Geschäft. Es waren welche aus Messing dabei. Die sind so schwer, mit denen kann man nicht dirigieren. Ob diejenigen sich gefreut haben, die so etwas bekamen, weiß ich nicht.“ Gibt es eigentlich Langzeittrends auf dem Taktstockmarkt? „Alte Taktstöcke waren lang. Der Trend geht zu immer kürzeren Taktstöcken. Unser kürzester ist 32 Zentimeter lang; einen gibt’s noch mit 34 Zenti- metern. Ich weigere mich einfach, kürzere Taktstöcke zu machen. Da kann man ja gleich einen Bleistift nehmen!“, ruft Hellinger aus. „Bei den Amerikanern sind dreißig Zentimeter schon die längsten. Sonst liegen die bei 26, manchmal 24 oder 23 Zentimetern. Ich mag das nicht! So ein kurzes Ding! Was soll ich damit bewegen?!“ Matthias Hellinger dreht manchmal auch Stimmwirbel für Nachbauten alter Instrumente, aber Taktstö- cke macht er besonders gern. Wachsen da nicht eigene Ambitionen, zu dirigieren? „Ach, was! Niemals! Ich probier’s mal aus, um das Gefühl dafür zu kriegen und den Balancepunkt auszutesten, aber ich hab keine Ahnung vom Dirigieren.“ Bescheidenheit und Sachkenntnis finden bei ihm auf sympathische Weise zusammen. Stundenlang kann er Geschichten erzählen vom schönen, aber zu weichen Hainbuchenholz aus der Rheinebene, von der wachsenden Not, guten Kork für Griffe zu bekommen, von den Schwierigkeiten, den Familienbetrieb durch die DDR zu führen, von den Sorgen um das Aussterben der Instrumenten- bauer: „Es gibt in der jüngeren Generation nur noch wenige, die weitermachen wollen. Ein guter Kollege von mir macht Klarinetten und hat schon zweimal den Deutschen Musikinstrumentenpreis gewonnen. Er ist jetzt 53, aber niemand aus der Familie hat Interesse, seine Arbeit fortzusetzen. Wenn er in Rente geht, ist der Betrieb am Ende. Wir haben zwar unsere Fachhochschule für Instrumentenbau, aber als Neuer in der Branche hast du es schwer und musst dir erst mal einen Namen machen. In einen aner- kannten Betrieb hineinzuwachsen ist viel einfacher. Wer es schafft, ohne Namen, ohne Historie auf dem Markt neu einzusteigen, vor dem ziehe ich den Hut! Denn das Geld kann man anderswo sicher leichter verdienen.“ Für Titus Engel ist der Taktstock ein Zauberstab: „Mir gefällt die Idee, als Dirigent Klänge wie ein Zauberer zu erwecken. Es ist ein schönes Symbol für meinen wunderbaren Beruf.“ Die Hellingers sorgen in der nächsten Generation dafür, dass die Zauberer die richtigen Utensilien in die Hände bekommen. https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467111/12 3/3
14.6.2021 Berliner Morgenpost KULTUR SEITE 12 | SONNTAG 13. JUNI 2021 „Es ist für mich eine Art Debüt“ Christoph Eschenbach dirigiert die Premiere von Webers „Freischütz“ zum 200-jährigen Jubiläum des Kon- zerthauses Berlin Von Volker Blech Auf dem Gendarmenmarkt werden 500 Besucher die Liveübertragung von We- bers „Freischütz“ aus dem Großen Saal miterleben können, LED-Wände stehen neben der Freitreppe des Konzerthauses Berlin. Christoph Eschenbach (81) diri- giert am 18. Juni die Jubiläumsinszenie- rung, die auf den Tag genau 200 Jahre nach der Uraufführung der Oper am sel- ben Ort über die Bühne geht. Regie führt die katalanische Theatergruppe La Fura dels Baus, Chefdirigent Eschen- bach leitet sein Konzerthausorchester . Herr Eschenbach, seitlich und nicht in der Mitte der Bühne werden Sie als Di- Christoph Eschenbach, der Chefdiri- rigent platziert sein? gent des Konzerthausorchesters, auf dem Gendarmenmarkt. Reto Klar / FFS Christoph Eschenbach Dieser „Frei- schütz“ spielt auch nicht nur auf der Bühne. Im Großen Saal sind alle Stühle herausgenommen, und das Regieteam La Fura dels Baus will den ganzen Raum zum Event machen. Ich finde es eine gute Idee. Das Konzerthausorchester sitzt zwischendrin. Ich stehe seitwärts, damit ich beide Seiten gut überblicken kann. Es gibt eine besondere Aufstellung für Orchester und Chor. Was ist Ihre erste Erinnerung an Webers „Freischütz“? Ich habe die Oper als Kind halb gesehen und halb gehört in einer Freilichtaufführung in Webers Geburtsstadt Eutin. Die Aufführung fand im Schlosspark statt und war halb verregnet. In der Wolfsschluchtszene passierte nicht wirklich viel. Wegen des Regens gab es kein Feuer und es konnten keine Kugeln gegossen werden. Es war eine zwiespältige Aufführung, aber in meinen Erinnerungen ist sie facetten- und farbreich geblieben. Wann haben Sie die Oper selbst das erste Mal dirigiert? Ich habe die Ouvertüre und die Arien von Agathe, Max oder Ännchen dirigiert, aber die ganze Oper bisher noch nicht. Es ist für mich jetzt eine Art Debüt, auch wenn ich die Musik sehr gut kenne. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/955/articles/1369274/12/1 1/3
14.6.2021 Berliner Morgenpost Was ist Ihnen am „Freischütz“ als besonders wertvoll aufgefallen? Es ist die erste wirklich romantische Oper. Und das Stück ist dramaturgisch deutlich besser gebaut, wenn man es in Deutschland einmal mit Albert Lortzings „Wild- schütz“ oder „Zar und Zimmermann“ vergleicht. Die Mischung zwischen Drama und Lyrik ist bei Weber perfekt gelungen. Haben Sie eine Lieblingsfigur in der Oper? Agathe natürlich. Sie hat wunderbare Musik und ist gewissermaßen eine Unschuld vom Walde. Man kann mit ihr mitfühlen. Ihre zwei Arien sind herrlich. Ich glaube, die Figur der Agathe lag dem Weber besonders am Herzen. Der Wald spielte in der deutschen Frühromantik bei Weber eine besondere Rolle, im heutigen Naturschutzdenken gewinnt der Wald auf andere Weise wieder an Bedeu- tung. Das Regieteam will das Thema Klimaschutz aufgreifen. Ich halte sehr viel von der Idee, weil sie in die Problematik unserer Zeit passt. Die ökologische Komponente wird in der Regiearbeit deutlich hervortreten. Die Proble- matik des Waldsterbens und was der Mensch der Natur Schlimmes antut, soll darge- stellt werden. Lange Monate waren wir alle in Lockdowns festgehalten. Sie leben in Paris, sind aber Chefdirigent des Berliner Konzerthausorchesters. Wie haben Sie die internatio- nale Klassikwelt wahrgenommen? Ja, eben nicht. Es war vieles abgesagt oder verschoben worden, insbesondere für mich in Amerika von der New York Philharmonic bis zum Ravinia Festival. In Eu- ropa fand hingegen vieles kleinformatiger statt, wurde aber überwiegend nur ge- streamt. Es war kein Publikum zugelassen. Man hat überall Kompromisse über Kompromisse gemacht. Aber wir haben gute Aufführungen zustande gebracht. In Genf wollte ich kürzlich die Zweite von Mahler machen, was aber in der Pandemie wegen des Chors nicht ging. Dann gab es die Furcht, Bläser spielen zu lassen. Zum Schluss war es ein Streicherprogramm. Wie viele Musiker werden jetzt beim „Freischütz“ beteiligt sein? Das Orchester wird kaum verkleinert sein, weil wir ja den ganzen Raum zur Verfü- gung haben. Es sind 46 Orchestermusiker und -musikerinnen, 50 Sängerinnen und Sänger des Rundfunkchors und 13 Solisten. Dazu kommen drei Artisten. Aber da kein Publikum im Saal sein kann, wird die Musik aufgenommen und gesendet – im- merhin auch als Liveübertragung auf den Gendarmenmarkt. Haben Sie sich in den Lockdowns selber Livestreams anderer Orchester angeschaut? In Paris haben wir den Mezzo-Kanal, der sehr schöne Sachen überträgt. Aber es sind vor allem ältere Aufnahmen. Die Livestreams, die ich wahrgenommen haben, waren die von meinen eigenen Konzerten, die ich mir im Nachhinein angeschaut habe. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/955/articles/1369274/12/1 2/3
14.6.2021 Berliner Morgenpost Es wird jetzt das 200-jährige Bestehen am Gendarmenmarkt gefeiert. Wann haben Sie erstmals etwas vom Schauspielhaus gehört? Das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt mit den beiden Kirchen nebenan ist einer der schönsten Plätze von Berlin. Das habe ich bereits früh wahrgenommen. Zum ers- ten Mal war ich in der 1980er-Jahren im Haus. Das war noch zu DDR-Zeiten. War man offen oder verschlossen Ihnen gegenüber? In der DDR-Zeit war ich mehr als Pianist beim Opernorchester engagiert. Hans Pi- schner, der langjährige Intendant der Staatsoper Unter den Linden, war ein sehr guter Freund meines leiblichen Vaters Heribert Ringmann gewesen. Der hat mich mehr- fach als Pianist engagiert. Ich habe auch die Kapelle dirigiert. Ich hatte schon eine Verbindung zur DDR und der Musik, die dort gemacht wurde. Was sind Ihre Jubiläumspläne im Konzerthaus? Wir planen vorsichtig. Unsere Planungen gehen zunächst bis Januar. Am 26. August machen wir ein Jubiläumskonzert zur Saisoneröffnung und am 29. August ein „Open Air für Berlin“. Livestream am 18. Juni um 19 Uhr auf Arte Concert und konzerthaus.de. Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2021 - Alle Rechte vorbehalten. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/955/articles/1369274/12/1 3/3
14.6.2021 Berliner Morgenpost KULTUR SEITE 10 | MONTAG 14. JUNI 2021 Schöpfung mit Tiefsinn und Spott Der norwegische Regisseur Stefan Herheim zeigt Richard Wagners „Rheingold“ an der Deutschen Oper und bedient Cineasten ebenso wie Opernbildungsbürger Szene mit Alberich (Markus Brück) und als Rheintöchter Valeriia Savinskaia, Irene Roberts und Karis Tucker (v.l.). Bernd Uhlig Von Volker Blech Mit seinem Schöpfungsspaß überraschte Regisseur Stefan Herheim das Publikum in der Deutschen Oper. „Das Rheingold“ als Vorabend ist gewissermaßen der Urknall der Wagnerschen Tetralogie vom „Ring des Nibelungen“. In der Premiere am Sonn- abend wurde also ausgebreitet, was bis zur „Götterdämmerung“ auf der Bühne ver- handelt wird. Herheim geht mit fantasievollen Bildern an den Start, lässt den Asso- ziationen freien Lauf, manchmal überschlagen sie sich. Denn der norwegische Re- gisseur geht mit vertrauten Mythen und deutschen Befindlichkeiten spielerischer und respektloser um. Zu Beginn kommt eine Gruppe mit Koffern auf die Bühne, ein Bild, das im hiesigen Kollektivbewusstsein mit dem Holocaust verknüpft ist. Aber eigentlich handelt es sich nur um eine wandernde Gauklertruppe, in den Koffern sind ihre Kostüme. Einer schminkt sich zum Clown und wird zum bösen Alberich. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/956/articles/1369448/10/1 1/3
14.6.2021 Berliner Morgenpost Von Zwergen, Riesen und Göttern handelt das Symbolspiel des Menschlichen. Wag- nerianern ist es heilig. Herheim schreckt vor der innewohnenden Klamotte nicht zu- rück. Tiefsinn und Spott liegen dicht beieinander. Der Komponist Richard Wagner wird bei Herheim leibhaftig ins Spiel eingebunden. Aber nicht als Göttervater Wo- tan, dem er sich nahe fühlte, auch nicht als stummer Erzähler am Rande, sondern als Alberichs kleiner, schmieriger Handlanger Mime, der ihm die Tarnkappe fertigen soll. Diesmal entsteht ein Stahlhelm, Herheim lässt die Nibelungen mit Hitlergruß herumtappen. Das düstere Nibelheim soll, wenn aus den Koffern Wertgegenstände wie eine goldene Menora geraubt werden, an Auschwitz erinnern. Es ist eine eigene Art der Wagner-Kritik. Donald Runnicles beschwört im Vorspiel das Naturhafte Donald Runnicles und sein Orchester der Deutschen Oper schließen sich dem szeni- schen Schöpfungsimpuls an. Das wird gleich zu Beginn hörbar, als die Wander- truppe zunehmend staunend, ja euphorisiert an den Bühnenrand tritt. Während an- dere Dirigenten im Vorspiel schon die drohenden Abgründe des Weltenepos aufwüh- len, will Sir Donald vor allem das Naturhafte entdecken. In der Leichtflüssigkeit er- innert es zunächst eher an Smetanas dahinströmende Moldau als an Wagners Rhein- Strudel. Über die zweieinhalb Stunden hinweg wird Runnicles gekonnt die Sänger durch die Handlung führen, dabei aber die Sehnsüchte und Abgründe, wie etwa die Melancho- lie im Auftritt der Erda, meiden. Was schade ist. Judit Kutasi singt großartig eine bo- denständige Mutter, die dem Souffleurkasten entsteigt, um Wotan zu zausen. Das Zusammenspiel zwischen Orchestergraben und Bühne ist hervorhebenswert, auch, weil Herheim zu den Regisseuren gehört, die ihre Geschichten glaubhaft ins Musika- lische zurückbinden können. Die ganze Schöpfung findet in und um einen Flügel in Bühnenmitte herum statt. Die Idee, das Instrument als geistigen Ursprungsort darzustellen, ist bereits alt und im- mer gefährlich. Es gibt nichts Schrecklicheres, als wenn ein Darsteller eine Taste an- schlägt und ein volles Orchester erklingt. In Bayreuth hat Barrie Kosky in seiner „Meistersinger“-Inszenierung das Haus Wahnfried, den Wohnsitz der Wagners, nebst Flügel auf die Bühne gestellt. Die herauskletternden Figuren sorgen für Komik. Bei Stefan Herheim wird der Flügel hingegen zu einer Art Wurmloch, das die Sänger, das Beutegold und das riesige weiße Tuch, auf welchem die Welten projiziert wer- den, ausspeit oder verschluckt. Das ist beeindruckend anzusehen. Beiläufig ahnt man, wie die Techniker bei dieser Premiere geschwitzt haben müssen, damit alles reibungslos über die Bühne ging. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/956/articles/1369448/10/1 2/3
14.6.2021 Berliner Morgenpost Das Erfolgsgeheimnis von Herheims „Rheingold“ steckt in seiner Bilderflut, mit der er den Cineasten, den Computerspieler und auch den Opernbildungsbürger auf sinn- liche Weise herausfordert. Der verschlagene Feuergott Loge wird zum Mephisto, der den Wotan wie Goethes Faust verführt. Aber der Pakt mit dem Teufel wird von Her- heim historisch verortet. Dem Mephisto von Thomas Blondelle ist bis in die Körper- sprache hinein anzusehen, wie er sich in Gustav Gründgens „Faust“-Verfilmung ver- tieft hat. Die manchmal fast gespuckten Konsonanten im Gesang führen zurück in alte Darstellungswelten. Die Personenregie ist ebenso perfekt wie die Bilderflut. Markus Brück verkörpert einen gefährlichen Alberich-Clown, Derek Weltons Wotan singt angemessen statt- lich. Jacquelyn Stucker ist eine liebessüchtige Freia, Annika Schlichts Fricka ge- winnt als Singgöttin. Es war aber weniger der Abend der großen Wagner-Sänger, sondern mehr der charaktervollen Darstellung, die sich bis ins Stimmliche vollzog. Auf ungewöhnlich verführerische Weise können die drei Rheinschwestern (Valeriia Savinskaia, Irene Roberts und Karis Tucker) zu Beginn den Clown an der Nase her- umführen. Noch herrscht die Uraufgehobenheit des Menschen in der Natur. Diese Urlust wird bei Herheim in einer Orgie ausgelebt. Sie erstarrt, wenn Alberich den Ring über die Liebe stellt. Dann tritt die Kunst anstelle der Befriedigung, und das Spiel mit der Verkleidung aus den Koffern beginnt. Herheims „Ring des Nibelun- gen“ wird wohl von vielerlei unberechenbaren Kunstfiguren belebt, die durch die Menschheitsgeschichte flüchten. Man kann sich auf die erste komplette Zyklus-Auf- führung im November freuen. Aber es ist schwer zu sagen, ob in dieser Traumwelt am Ende alles aufgeht. Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2021 - Alle Rechte vorbehalten. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/956/articles/1369448/10/1 3/3
14.6.2021 https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937904/14-15 Montag, 14. Juni 2021, Berliner Zeitung / Im Wortsinne gelassen Herbert Blomstedt und die Philharmoniker Herbert Blomstedt dirigiert. Monika Rittershaus PETER UEHLING H erbert Blomstedt ist mit 94 Jahren der älteste noch wirkende Dirigent von Be‐ deutung. Vor zehn Jahren etwa war er der vielleicht größte Bruckner-Dirigent seiner Zeit, der ein Monstrum wie die Fünfte Symphonie zu einem vielgestalti‐ gen Kosmos unter einem riesigen Bogen zusammenzwingen konnte. Bei seinem Konzert mit den Berliner Philharmonikern am Freitag – dem ersten vor Publikum seit dem einen im April im Rahmen des Pilotprojekts – dirigierte er kompaktere Werke von Jean Sibe‐ https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937904/14-15 1/2
14.6.2021 https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937904/14-15 lius und Johannes Brahms. Man meint zu spüren, dass Blomstedt, noch einmal gravierend äl‐ ter, sich nun weniger für riesige Bögen interessiert und mehr für die Vielgestaltigkeit. Sibelius’ Vierte Symphonie gilt als seine modernste. In ihr schießen die Impulse in verschie‐ denste Richtungen, ohne dass der Komponist sich um ihre Einbindung in ein Ganzes zu sor‐ gen scheint. Das Finale besteht aus energischen Anläufen, die immer wieder ins Leere gehen, unvermutet kommt mit dem Glockenspiel ein schier grotesk possierlicher Klang in die Musik, dramatisch kollidieren die Stimmen – aber am Ende fliegt das Stück in alle Richtungen aus‐ einander – und Blomstedt lässt es fliegen. Brahms bemerkenswert wuchtig In vielem wirkt die Musik gar nicht mehr gestaltet, sondern im Wortsinne „gelassen“. Aus‐ druck wird solistischer Initiative überlassen, wie etwa Ludwig Quandt im Cello-Solo zu Be‐ ginn oder den von Wenzel Fuchs geblasenen Klarinetten-Stellen. Dabei gerät der Klang zu‐ weilen aus der Proportion, mancher Blechbläser-Einsatz oder Paukenwirbel gar zu pathetisch – aber das ist nur die Konsequenz einer konsequent aus den formalen Klammern gelösten In‐ terpretation des Moments. Das funktioniert in Brahms’ Dritter Symphonie so nicht, sie ist strukturell zu dicht geschnürt. Auch hier hat man den Eindruck, dass vieles von Blomstedt nicht groß justiert wurde, dieser Brahms klingt bemerkenswert wuchtig und immer wieder auch nicht sonderlich differenziert – und dann bemerkt man Blomstedts Eingreifen vor allem an Zartheiten, die einem schier den Atem verschlagen: Wie scheint die Masse des anfänglichen Riesenklangs im Übergang zum Seitensatz brüchig zu werden und plötzlich in schönsten Farben zu leuchten! Wie begin‐ nen Nebenstimmen im Bläsersatz des Andante zu sprechen! Und schier unvergesslich wiederum die klangliche Zurücknahme im Finale kurz vor dem ab‐ schließenden Bläserchoral: Der steht dann da, von den Wagner-artigen Streicherschleiern umgeben wie vom Licht eines Sonnenuntergangs, und wirft immer längere Schatten. „Ich bin verliebt in die Musik“, sagte Blomstedt im Interview mit den Philharmonikern – an Details wie diesen, aber auch dem Verzicht darauf, dem Werk einen eigenen Stempel aufzudrücken, kann man dieses Verliebtsein spüren. https://epaper.berliner-zeitung.de/webreader-v3/index.html#/937904/14-15 2/2
14.6.2021 Berliner Morgenpost KULTUR SEITE 9 | SAMSTAG 12. JUNI 2021 Waldbühne Berliner Philharmoniker planen Konzert vor 6000 Menschen Die Berliner Philharmoniker wollen in diesem Jahr wieder ihr traditionelles Konzert in der Waldbühne geben – vor mehr als 6000 Besuchern. Das Konzert könne dank einer Genehmigung des Senats als Pilotprojekt am 26. Juni stattfinden, so das Or- chester am Freitag. Dafür seien aber personalisierte Tickets nö- tig, weshalb eine Umtauschaktion geplant ist. Wer bereits Karten hat, soll diese bis zum 18. Juni umtauschen. dpa Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2021 - Alle Rechte vorbehalten. https://emag.morgenpost.de/titles/bmberlinermorgenpost/10120/publications/954/articles/1368677/9/5 1/1
14.6.2021 https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467121/13 F.A.Z. - Feuilleton Montag, 14.06.2021 Sturmgepeitscht in einen kollektiven Rausch Das Würzburger Mozartfest bietet einen furiosen „Idomeneo“ mit Christophe Rousset und einen scharfkantigen Bruckner mit Andris Nelsons Das Mozartfest mischt sich ins Würzburger Stadtbild wie ein Grundrauschen, das einem erst auffiele, wenn es plötzlich verschwinden würde. Es zeigt Flagge entlang der Innenstadtstraßen: sattes Granatrot, tief und warm. Den Gedanken, in diesen schwierigen Wochen, wo Hoffnung und Ernüchterung so nahe beieinanderliegen, just am Außenwerbungsetat zu kürzen, haben die Intendantin Evelyn Meining, deren Vertrag gerade vorzeitig bis 2029 verlängert wurde, und ihr kleines Team offenbar nie gehabt oder schnell wieder verworfen. Auch wenn im hundertsten Jahr des Festes längst nicht so viele Hörer direkt dabei sein können, wie sonst zu erhoffen gewesen wäre: Es geht darum, Lebendigkeit zu bewei- sen, da zu sein und Zeichen zu setzen mit dem, was eben möglich ist. Beispielsweise der „Raum für Mozart“ in einem Ladenlokal, wo man dann aber nicht nur Wolfgang Amadé in locker gereihten Bildern und Tafeln begegnen kann, sondern auch dem Jazz-Drummer Tobias Schirmer, der aus Zivilisationsabfällen wie Fahrradspeichen, Bremsscheiben oder Topfdeckeln neue Instrumente montiert und vorführt: Aus Schrott wird Klang. Und da sind die Graffiti-Sprayer an einer Straßenmauer zwanzig Meter weiter, die heiter ein paar überlebensgroße Mozart-Köpfe in den Stadt- raum setzen – einander ähnlich, aber in Details schlau und witzig variiert, wie man das auch in seiner eigenen Musik erfahren kann. Solches Hineingehen in den Alltag ist ohnehin ein Prinzip des vierwöchigen Festes. In diesem Jahr der Pandemie aber trägt es vielleicht auch Züge eines widerständigen Trotzes gegen alle Einschränkungen. Man meint ihn manchmal bis in die Abendprogramme hinein zu hören: wenn das Klavierduo Tal & Groethuysen, das erste Mal nach sieben Monaten wieder vor Hörern aktiv, seine vertrauten Vierhand- stücke, schon hundertfach miteinander aufgeführt, mit solch andrängender Energie präsentiert, dass die Zäsuren in Franz Schuberts f-Moll-Fantasie wie schwarze Löcher zum Erschrecken weit aufreißen oder den Stücken des Festivalpatrons alle Geschmeidigkeit ausgetrieben und der harte Kern strenger Gedankenarbeit herausgeschält wird. Oder wenn Andris Nelsons seine Interpretation von Anton Bruck- ners sechster Symphonie mit den Bamberger Symphonikern (in deren heimischer Konzerthalle statt im vorgesehenen Würzburger Dom, dessen Bespielung ebenfalls den Corona-Restriktionen zum Opfer fiel) diesmal ganz anders anlegt als in seiner doch noch ziemlich frischen Einspielung mit dem Leipziger Gewandhausorchester – viel weniger samtig-füllig und klangschwelgerisch, sondern mit scharfsplitterig konturierten, gewalttätig blendenden Blechbläsersätzen, tiefer Traurigkeit im Adagio und einem mutwillig herausfordernden Scherzo: Musik, die unverarbeitete Traumata zu übertönen versucht. Diesem auf Gott und die Welt gerichteten Ringen hat der estnische Komponist Jüri Reinvere ein zehn- minütiges Stück des Sichaussetzens und tiefen Hineinversenkens in die Klänge entgegengestellt, so still und fragil oft, dass schon das Umwenden der Notenblätter fast zum Störfaktor wird. „Maria Anna, wach, im Nebenzimmer“, eines der beiden Auftragswerke des diesjährigen Festes, ist ein Nachtbild um Mozarts ältere Schwester, das „Nannerl“ – ihm nah und offen, dennoch in einer anderen Welt. Grillen- zirpen, Sternengeflimmer, das Wehen des Windes in den Vorhängen oder die eigenen tiefen Atemzüge, vielleicht auch träumerisch abgesunkene Erinnerungsfragmente: Vieles wird in den oszillierenden Klangbändern dieser Uraufführung geöffnet, nichts herbeigezwungen; Musik äußerster Diskretion, in der Außen- und Innenwelt zusammenfließen und die von Nelsons und den Bambergern mit staunens- werter Delikatesse lebendig gemacht wurde. Kernort des Würzburger Mozartfestes war von Beginn an der Kaisersaal der Residenz. Hier nun gab es neben dem großen Hundert-Jahres-Jubiläum noch ein kleines zu begehen, denn vor neunzig Jahren, im Juni 1931, fand hier die erste konzertante Aufführung einer Mozart-Oper statt: des „Idomeneo“. Das war insofern eine Großtat, weil diese wildbewegte Seria des Fünfundzwanzigjährigen damals noch als https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467121/13 1/2
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