PRESS REVIEW Monday, June 14, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal

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PRESS REVIEW Monday, June 14, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal
PRESS REVIEW

         Daniel Barenboim Stiftung
Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal

         Monday, June 14, 2021
PRESS REVIEW Monday, June 14, 2021 - Daniel Barenboim Stiftung Barenboim-Said Akademie & Pierre Boulez Saal
PRESS REVIEW                                                        Monday, June 14, 2021

NZZ am Sonntag Magazin, DIVAN, DB
Es ist die Musik, die uns zu Menschen macht

General-Anzeiger, BSA
Festival verbindet Rheinseiten. Abschluss von Klassik-Konzerten in Rolandseck

Frankfurter Allgemeine Zeitung, DB
Daniel Barenboim, Christian Thielemann und Simone Young beziehen ihre Taktstöcke aus
Markneukirchen im Vogtland: Ein Besuch in der Werkstatt von Familie Hellinger

Berliner Morgenpost
Christoph Eschenbach dirigiert die Premiere von Webers „Freischütz“ zum 200-jährigen Jubiläum des
Konzerthauses Berlin

Berliner Morgenpost
Stefan Herheim zeigt Richard Wagners „Rheingold“ an der Deutschen Oper

Berliner Zeitung
Herbert Blomstedt und die Philharmoniker

Berliner Morgenpost
Berliner Philharmoniker planen Konzert vor 6000 Menschen

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Das Würzburger Mozartfest bietet „Idomeneo“ mit Christophe Rousset und Bruckner mit Andris
Nelsons
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Der Tagesspiegel
Ein Gespräch mit Berlins Kultursenator Klaus Lederer über Amanda Gor-man, Sahra Wagenknecht und
Fehler in der Corona-Politik – und was im Sommer für große kulturelle Events möglich sind

Frankfurter Allgemeine Zeitung
Ein Gespräch mit Raphael Gross vom Deutschen Historischen Museum über die neue Ausstellung

Der Tagesspiegel
Auf dem Weg zum Exilmuseum eröffnet am Anhalter Bahnhof die Open-Air-Ausstellung „Zu/Flucht“

Die Welt
Der Cellist Yo-Yo Ma und der Pianist Emanuel Ax machen seit vierzig Jahren zusammen Musik. Jetzt
haben sie Beethoven aufgenommen. So lebendig, wie sie reden

The New York Times
A Trailblazing Female Conductor Is Still Alone on the Trail
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Quelle:        NZZ am Sonntag Magazin vom 13.06.2021, S.20-21 (Wochenzeitung / Sonntag, Zürich)
Auch in:       1 weitere Quelle »
                                              Reichweite:    402.791                         Ressort:       Magazine
Auflage:       108.569                        Autor:         Text:                           Quellrubrik:   Zürich

           Der Homo musicus
           Wenn irgendetwas den Zusammenhalt der Menschen gefährdet, dann ist es der musiklose
           Zustand. Es ist die Musik, die uns zu Menschen macht.
           Text: Martin Helg                                  schen Immunabwehr. Das erste tech-                 mums bis zur ersten jungsteinzeitli-
           Was die Corona-bedingte musikali-                  nisch reproduzierte Tonerzeugnis fin-              chen Darmsaiten-Lyra und der ersten
           sche Mangelsituation betrifft, so naht             det sich dagegen erst auf den letzten              Glocke aus Metall um 1700 v. Chr. –
           allmählich Rettung. Noch reicht es                 Millimetern der evolutionären Zeit-                Stationen der Entwicklung vom No-
           zwar nicht für die Rolling Stones im               achse: ein knisterndes Kornett-Solo                madentum zur Sesshaftigkeit, die sich
           Letzigrund, aber seit bald zwei Wo-                aus dem Jahr 1878, eingefangen mit                 um musikalische Zentren herum ab-
           chen sind in der Schweiz wieder 300                einem Phonographen aus der Erfin-                  spielte.
           Personen zu Open-Air-Konzerten zu-                 derwerkstatt des Glühbirnenpioniers                   Am Anfang war die Musik! Min-
           gelassen und 100 zu Konzerten in In-               Thomas Edison. Alle früheren Gigs                  destens so sehr wie die Sprache macht
           nenräumen. Gut, sie müssen auf ihren               sind spurlos verklungen. Noch nicht                sie uns zu sozialen Wesen oder eher:
           Sitzplätzen stillhalten, wo das Wip-               einmal von Bachs Matthäuspassion,                  mehr noch als die Sprache. Denn wo
           pen, Hüpfen und Cruisen der ange-                  bis zur Wiederentdeckung durch Felix               jene durch ein langwieriges Trial-and-
           messenere Bewegungszustand wäre                    Mendelssohn hundert Jahre lang ver-                Error-Verfahren eine Verständigungs-
           (das skurrile Steifheitsgebot der klas-            gessen, wissen wir, wie sie wirklich               ebene erst etablieren muss, unter Ver-
           sischen Konzertkultur gehört längst                getönt hat (über Tempo und Dynamik                 meidung von Pannen, die die Gräben
           abgeschafft). Aber es ist doch – end-              hat sich der Meister spärlich ausgelas-            zwischen den Menschen ungewollt zu
           lich! – wieder ein Musikerlebnis in                sen); und vollends breitet sich der                vertiefen drohen, schafft die Musik Ge-
           Gesellschaft; denn was wir im Lock-                Mantel der Stille über die Musik, die              fühlsbrücken aus akustischem Stahl-
           down von den Streamingdiensten auf                 gar nie aufgeschrieben wurde – also                beton. Manche Teenager mögen sich
           unsere Heim-Akustikanlagen gespielt                die allermeiste.                                   beim Debattieren im Jugendklub ver-
           bekommen haben, war nur ein Ab-                       Niemand war vor 500 Millionen                   liebt haben, die meisten aber taten es
           klatsch dessen, was Musik zwischen                 Jahren mit dem Mikrofon zur Stelle,                danach beim Kissentanz zu "Hymn"
           Menschen vermag.                                   um die erste Sphärenmusik der Erd-                 von Barclay James Harvest oder "La-
                                                              geschichte aufzuzeichnen, den Ur-                  dy in Black" von Uriah Heep (ja, so
                                                              knall. Die neue Wissenschaft Astro-                war das einmal).
                                                              seismologie postuliert, dass Sterne                   Der Trumpf von Uriah Heep oder
                                                              aufgrund der Turbulenzen in ihren                  Jay-Z liegt in den akustischen Wellen,
                                                              äusseren Schichten schwingen und                   die sich auf körperliche Schwingun-
                                                              vibrieren – wie Musikinstrumente.                  gen (Atem, Herzschlag) übertragen
                                                              Und noch bevor der Urknall sich wis-               und verschiedene Körper gleich tak-
                                                              senschaftlich Gehör verschaffte, er-               ten. Das weist uns zwar noch nicht als
                                                              zählten kalifornische Frühbewohner                 Könige der Schöpfung aus: Biologen
                                                              von der Welterschaffung durch einen                haben einen ähnlichen Effekt auch für
                                                              Erdenschöpfer, der über einem Klum-                zirpende Grillenchöre nachgewiesen,
                                                              pen Lehm sang. "Im Anfang war das                  Physiker sogar für Pendeluhren, die,
                                                              Wort", schrieb der Apostel Johannes;               wenn sie auf derselben vibrierenden
                                                              doch "dieses Wort war vermutlich ge-               Regaloberfläche standen, sich nach
                                                              sungen wie die meisten heiligen                    und nach synchronisierten. Es zeugt
                                                              Schriften", so der Musikologe Michael              aber schon einmal von der einenden
                                                              Spitzer in seiner diese Woche auf                  Kraft der Musik, die sich unabhängig
                                                              Deutsch erscheinenden "Musikali-                   von Verstand und Kultur ihr Recht
                                                              schen Geschichte der Menschheit"                   verschafft.
                                                              (Riva-Verlag).                                        Im Takt vereint marschieren Ar-
                                                                 Später, schreibt Spitzer, sei die He-           meen in den Krieg, auf dem Sound-
           Foto: Jeff Kravitz / FilmMagic for Bonnaroo        rausentwicklung stabiler menschli-                 teppich ihrer Schmähgesänge wiegen
           Arts And Music Festival / Getty Images
                                                              cher Gesellschaften einhergegangen                 sich Fussballfans in die kollektive
              Das schicke Weiss der Mini-Kopf-                mit der Benutzung immer schwererer,                Ekstase. Wir jagen, tanzen, lieben zu
           hörer, über die wir Weltklänge unter               weniger tragbarer Musikinstrumente:                Musik, an grossen Liederfestivals wie
           Corona-Bedingungen in unsere Pri-                  von der aus der Speiche eines Gänse-               jenem in Estland hören Zehntausende
           vatklause leiten, ändert nichts daran,             geiers gefertigten Knochenflöte des                wochenlang nicht mehr auf mit dem
           dass wir auf Live-Musik program-                   Jungpaläolithikums (40 000 v. Chr.,                Singen. In Venezuela zielt das Musik-
           miert sind – die leider rasch wieder               ein Sensationsfund aus Schwäbisch                  programm "El Sistema" darauf ab,
           verstummten Balkonkonzerte waren                   Hall) über die Mammut- und Rinder-                 Kinder aus der Armut zu befreien und
           nicht zuletzt ein Reflex der biologi-              hörner des letzteiszeitlichen Maxi-                an die Mittelschicht heranzuführen –

                                                                                                                                                           4
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weltweit liebt man es für die mitreis-    le, für eine "europäische Idee", wur-    auf Hardrock gestimmten WG-Genos-
senden Acts seiner Riesen-Jugenden-       zelnd im Zeitalter der Empfindsam-       sin näherzukommen. Hier endet in
sembles. Und das West-Eastern Divan       keit mit seiner Anfälligkeit für kolo-   der Regel die häusliche Toleranz.
Orchestra unter Daniel Barenboim,         nialistische Irrwege (wovon die Idee     Denn was Musikpräferenzen betrifft,
das zu gleichen Teilen aus arabischen     zeugte, die 1977 nach fernen Planeten    so sind wir laut Melanie Wald-Fuhr-
und israelischen Musikern besteht, ist    entsandte "Voyager 1" mit vorwiegend     mann Gewohnheitstiere, und auch ei-
mit dem hoch entwickelten Beetho-         klassischen musikalischen Visitenkar-    nem Prokofjew – nicht anders als Me-
ven-/Brahms-Besteck gar um die Lö-        ten zu bestücken und der Widmung:        tallica – fehlt ab Konserve die "Aura"
sung des Nahostkonflikts bemüht.          "Für die Musikmacher – in allen Wel-     (Walter Benjamin), die Geschmacks-
    Hier zeigt sich nun doch etwas spe-   ten, zu allen Zeiten"; kein Wunder,      transformationen in Gang setzt.
zifisch Menschliches: Die Fähigkeit,      werden die Rückmeldungen der heute       Höchste Zeit also, dass endlich wieder
Tonfolgen in präzise rhythmische          23 Milliarden Kilometer von der Erde     Konzerte stattfinden! In aerosolhal-ti-
Muster zu ordnen, ist dem Homo sa-        entfernten Raumsonde immer spärli-       gen Umgebungen lässt es sich einfach
piens vorbehalten. Man sollte darob       cher).                                   besser Brücken bauen.
nicht allzu vorbehaltlos ins Schwär-          Ein allzu subjektives Universalis-       ■ Martin Helgs CD-Sammlung ist
men geraten. Skeptikerinnen wie die       mus-Konzept wirft seine Anhänger oft     während der Pandemie über das Fas-
jüngst in der "Zeit" zitierte Musikwis-   jäh in die Vereinzelung zurück. Das      sungsvermögen seines Regals hinaus-
senschafterin Melanie Wald-Fuhr-          mag im Kleinen der Klassik-Fan er-       gewachsen. Konzertbesuche sollen
mann halten die Vorstellung, Musik        fahren, der, sagen wir einmal, eine      ihm den Rückbau erleichtern.
sei eine universale Sprache der Gefüh-    Prokofjew-Tonspur wählt, um seiner
Alle weiteren Quellen: Neue Zürcher Zeitung Online
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                                                                                                                             5
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Quelle:        General-Anzeiger, Rhein-Ahr-Zeitung (G3520) vom 14.06.2021, S.16 (Tageszeitung / täglich ausser Sonntag, Bad Neuenahr-Ahrwei-
               ler)
Auflage:       12.097                          Reichweite:    26.009

           Festival verbindet Rheinseiten
           Abschluss von Klassik-Konzerten in Rolandseck
           ROLANDSECK. Das 16. Rolandseck-                     "Unserem Ziel der Völkerverständi-                    Uhr, Stücke von Rameau, Richard
           festival "Festival Pro – Aufbruch" ist              gung bleiben wir treu, bei dem es                     Strauss, Robert Schumann und Beet-
           für den 25. bis 27. Juni geplant. Das               letztlich um das Aufbrechen von                       hoven zu Gehör. Am Sonntagabend,
           Festival geht neue Wege, seit es 2019               Feindbildern geht: Stipendiatinnen                    18 Uhr, ist der Abschluss in Rolands-
           zum letzten Mal im Arp Museum rea-                  und Stipendiaten aus dem Nahen Os-                    eck auf der Festwiese zwischen dem
           lisiert wurde. Erstmals erlebte es im               ten von der Barenboim-Said-Akade-                     ehemaligen Hotel Rheingold Bellevue
           Vorjahr seine Eröffnung in Bad Hon-                 mie werden auch diesmal Gäste unse-                   und dem Rheinstrom. Schon 2020 bot
           nef und wurde an anderen neuen Or-                  res Festivals sein."                                  die Lage ein romantisches Open-Air-
           ten fortgesetzt. Es sei gelungen, den                  Am Freitag, 25. Juni, 20 Uhr, er-                  Flair. Auf dem Programm stehen dies-
           diesjährigen Konzertreigen "trotz aller             klingen zum Auftakt im Kursaal Bad                    mal Stücke von Bruch, Debussy, Stra-
           Wirrnisse in diesen merkwürdigen                    Honnef Werke von Beethoven, Debus-                    vinsky sowie Korngold, Piazzolla und
           Zeiten zu gestalten", so die Johannes-              sy, Schubert und Dvorak. Ebendort                     norwegische Musik, etwa mit Hardan-
           Wasmuth-Gesellschaft (JWG).                         folgt am Samstag, 26. Juni, 20 Uhr,                   ger Fiddle.
               Das Festival unter der künstleri-               ein gemeinsam mit dem Deutschland-                       Der Eintritt kostet 35 Euro, ermä-
           schen Leitung von Mihaela Martin                    funk Kultur veranstaltetes Konzert,                   ßigt 20 Euro, das Konzert in Rolands-
           soll auch in Zukunft die linke und                  bei dem die Komponistinnen Clara                      eck 30 Euro, ermäßigt 15 Euro. Vorbe-
           rechte Rheinseite verbinden. Die                    Schumann, Fanny Mendelssohn, Gali-                    stellung ist möglich per E-Mail an su-
           Spielstätten in Bad Honnef, Rolands-                na Ustvolskaya und Louise Farrenc                     sanne@gundelach-bonn.de und bei
           eck und in Bonn, insbesondere Bad                   tonangebend sind. In der Kleinen                      Bonnticket (eventuell plus Vorver-
           Godesberg, "bleiben im Zentrum un-                  Beethovenhalle in Bad Godesberg                       kaufs-Gebühr). gih
           serer Aktivität". Die JWG betont:                   kommen am Sonntag, 27. Juni, 11

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        F.A.Z. - Feuilleton                                                                                         Samstag, 12.06.2021

                                                Auf Biegen und Brechen
        Daniel Barenboim, Christian Thielemann und Simone Young beziehen ihre Taktstöcke
        aus Markneukirchen im Vogtland: Ein Besuch in der Werkstatt von Familie Hellinger.
        Von Jan Brachmann

        Takt­stö­cke! Wer braucht die jetzt noch? „Unsere Verkaufs­er­lö­se erzie­len wir doch nicht durch die
        großen Diri­gen­ten, sondern durch die klei­nen Orches­ter: Dorf­or­ches­ter, Blas­ka­pel­len, Thea­ter­di­ri­gen­-
        ten“, sagt Matthi­as Hellin­ger, als wir im Auto von Adorf im Vogt­land nach Mark­neu­kir­chen fahren, vor
        uns den Kamm des Erzge­bir­ges. Im ganzen Land hat die Musik seit Mona­ten geschwie­gen. Was den
        Betrieb ROHEMA während der Corona-Krise geret­tet hat, war die Ferti­gung von Schlag­werk für die
        musi­ka­li­sche Früh­erzie­hung und von Schlä­geln für Klang­scha­len im Esote­rik-Sorti­ment. „Man muss
        einen Riecher dafür haben. Das geht in der Corona-Zeit sehr gut weiter“, erzählt Hellin­ger, als wir durch
        den berühm­ten Instru­ment­bau­erort in Südwestsach­sen fahren, hinauf auf den Hügel, wo die neuen
        Ferti­gungs­hal­len mit hoch­mo­der­nen, compu­ter­ge­steu­er­ten Maschi­nen stehen.

        „Wir machen unge­fähr sechs­hun­dert verschie­de­ne Instru­men­te: Trom­mel­stö­cke, Pauken­schlä­gel,
        Klang­höl­zer, Mara­cas, Vibra­phon­schlä­gel, Besen, Shaker, Holz­trom­meln, Tambu­rins, Armbän­der,
        Klang­scha­len- und Gong­schlä­gel in verschie­de­nen Härten“, erläu­tert Hellin­ger das Tun seiner über
        drei­ßig Ange­stell­ten im Betrieb. „Die Takt­stock­fer­ti­gung ist gut für unser Image, aber umsatz­mä­ßig
        macht das nicht einmal fünf Prozent aus. Aller­dings ist es ein Allein­stel­lungs­merk­mal. Denn Takt­stock­-
        her­stel­ler wie uns gibt es nicht viele auf der Welt.“ ROHEMA steht für „Robert Hellin­ger Mark­neu­kir­-
        chen“, ein Fami­li­en­be­trieb in der fünf­ten Gene­ra­ti­on, der seit 1888 Trom­mel­stö­cke, Pauken­schlä­gel und
        eben auch Takt­stö­cke fertigt, „die ältes­te noch bestehen­de Takt­stock­fa­brik der Welt“, sagt eine geläu­fi­ge
        Inter­ne­t­en­zy­klo­pä­die, nicht ohne Zustim­mung der Geschäfts­füh­rer Maik und Tobias Hellin­ger.

        Was macht nun einen guten Takt­stock aus? „Das ist eine ziem­lich persön­li­che Sache“, schreibt Kent
        Nagano, derzeit Gene­ral­mu­sik­di­rek­tor der Hambur­gi­schen Staats­oper, in einer E-Mail an die F.A.Z.:
        „Es hat mit Balan­ce, Gewicht, Hand­kom­fort und vielem ande­ren zu tun.“ Der Kompo­nist und Diri­gent
        Peter Ruzi­cka bestä­tigt es, gleich­falls schrift­lich: „Entschei­dend ist wohl dessen spezi­fi­sches Gewicht
        und eine orga­nisch verlän­gern­de Lage zwischen Daumen und Mittel­fin­ger der rech­ten Hand bei aufge­-
        leg­tem Zeige­fin­ger.“ Der Takt­stock ist die Verlän­ge­rung der Hand. Als Regel gilt, dass er nicht wesent­-
        lich länger als der eigene Unter­arm sein sollte. Titus Engel meint eben­falls: „Die Balan­ce ist entschei­-
        dend. Der Takt­stock sollte leicht sein und gut in der Hand liegen, sodass ich ihn nicht als Gewicht wahr­-
        neh­me. Ich wechs­le ungern das Modell während einer Proben- und Konzert­pha­se, da bereits eine kleine
        Gewichts­än­de­rung eine Irri­ta­ti­on darstellt.“

        Im Sorti­ment von ROHEMA finden sich 26 verschie­de­ne Model­le aus den Mate­ria­li­en Holz, Fiber­glas
        und Karbon mit Grif­fen aus Holz oder Kork, in Längen zwischen 34 und 46,5 Zenti­me­tern und einem
        Gewicht von vier bis zu drei­ßig Gramm. Allein diese Auswahl zeigt, wie unter­schied­lich bei Diri­gen­ten
        das Empfin­den für einen guten Takt­stock ausfällt.

        Die Hellin­gers haben promi­nen­te Kunden: Daniel Baren­boim und Chris­ti­an Thie­le­mann bezie­hen ihre
        Takt­stö­cke direkt von hier, jeder etwa drei­ßig bis vier­zig Stück pro Jahr. Auch Simone Young, Naga­nos
        Vorgän­ge­rin in Hamburg, liebt eines der hier gefer­tig­ten Model­le, genau­so wie Zubin Mehta und Simon
        Rattle, die zwar nicht zu den Direkt­kun­den gehö­ren, aber in Fach­ge­schäf­ten auf das zurück­grei­fen, was
        in Mark­neu­kir­chen gemacht wird. „Daniel Baren­boim hat einen Stan­dard-Takt­stock aus unse­rem Sorti­-
        ment, aller­dings einen recht unge­wöhn­li­chen: das Modell ,Strauss‘. Er wollte eine beson­de­re Länge
        haben. Manche Diri­gen­ten kürzen den Takt­stock selbst, aber hier fragte uns seine Refe­ren­tin, ob wir ihn
        auf seine Länge von 43 Zenti­me­tern brin­gen könn­ten. Und das können wir.“

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        Matthi­as Hellin­ger ist ausge­bil­de­ter Drechs­ler­meis­ter; in Seif­fen, dem Zentrum des erzge­bir­gi­schen
        Kunst­hand­werks, hat er gelernt. „Takt­stö­cke zu machen war in unse­rer Firma immer schon Chef­sa­che.
        Mein Vater hatte viele Takt­stö­cke gemacht, mein Großva­ter auch schon. Früher war der Anteil der Takt­-
        stö­cke an unse­rer Gesamt­pro­duk­ti­on viel höher. Dass er jetzt nied­ri­ger ist, liegt aber nur daran, dass
        alles andere in unse­rem Sorti­ment so stark gewach­sen ist.“ Einen Takt­stock zu ferti­gen sei nicht das
        Schwie­rigs­te. Schlim­mer sei es, einen Pauken­schlä­gel zu nähen. „Vor den Frauen, die das machen, ziehe
        ich den Hut“, sagt Hellin­ger mit glaub­haf­ter Bewun­de­rung: „Wie genau die arbei­ten müssen! Mehre­re
        Lagen von Texti­li­en über­ein­an­der zu vernä­hen, über­all die Falten entfer­nen. Das geht so auf die Finger!
        Da ist ein Takt­stock einfa­cher zu machen.“

        Wie macht man also einen Takt­stock? Das sei eine Frage des rich­ti­gen Mate­ri­als, der rich­ti­gen Maschi­-
        ne­rie und beson­de­rer Fertig­kei­ten. Für die Holz­takt­stö­cke bevor­zugt Hellin­ger das Holz der Hain­bu­che,
        im Volks­mund auch „Weißbu­che“ genannt: „Es ist sehr hart und stabil, ohne starke Mase­rung. Das
        eignet sich gut für so etwas Dünnes. Wenn man da Eiche nähme oder etwas, das sehr bogig ist, geht die
        Stabi­li­tät verlo­ren. Viele nehmen Ahorn. Der ist noch etwas leich­ter. Aber die Ahorn­takt­stö­cke gehen
        noch schnel­ler kaputt. Sie sind weicher und neigen stär­ker zum Verzie­hen. Takt­stö­cke sollen aber nicht
        krumm sein. Das ist ja das A und O. Holz arbei­tet. Wenn Sie so einen Takt­stock auf die Heizung legen,
        wird der krumm. Es kann aber sein, dass er sich danach mit der Zeit wieder gera­de­zieht. Das Holz­stück
        muss auch fehler­frei sein. Wenn da Astan­sät­ze oder Verwach­sun­gen drin sind, brechen die Stöcke ruck,
        zuck.“

        Begon­nen wird die Ferti­gung mit unbe­säum­ten Pfos­ten, direkt vom Säge­werk, aber schon kammer­ge­-
        trock­net. Dann wird das Holz geho­belt, besäumt und zu Kanteln geschnit­ten. Aus den Kanteln werden
        Rund­stä­be gemacht, die dann in spezi­el­le Maschi­nen gespannt werden, mit einer Vorrich­tung, die dafür
        sorgt, dass die etwa fünf­zig Zenti­me­ter langen Holz­stä­be mit fünf Milli­me­ter Dicke nicht zerbre­chen:
        „Der Stab muss drei­tau­send Umdre­hun­gen pro Minute aushal­ten und dann konisch herun­ter­ge­dreht
        werden auf zwei Milli­me­ter an der Spitze.“

        Das sei tech­nisch die größte Schwie­rig­keit: die Stäbe gerade zu halten und sie beim Drehen nicht
        brechen zu lassen. „Deshalb haben viele Herstel­ler gar keine Holz­takt­stö­cke mehr im Sorti­ment. Die
        nehmen Karbon oder Fiber­glas. Die werden vorge­fer­tigt, und dann ist die Sache im Prin­zip erle­digt.
        Man muss am Ende nur noch die Kork­tei­le oder Holz­grif­fe auflei­men.“ Weil es sehr aufwen­dig ist, die
        Maschi­nen auf Takt­stock­fer­ti­gung einzu­stel­len, werden sie nur wenige Male im Jahr gedreht, dann aber
        in großer Zahl von mehre­ren tausend Stück. Im letz­ten Vor-Corona-Jahr, 2019, hat ROHEMA zwan­zig­-
        tau­send Takt­stö­cke produ­ziert und in alle Welt verkauft.

        Viele Diri­gen­ten ließen sich ihre Takt­stö­cke von begab­ten Hand­wer­kern oder schnit­zen­den Orches­ter­-
        war­ten machen. Henk Ummels in Amster­dam hat es zu eini­ger Berühmt­heit gebracht, auch Richard
        Horo­witz in New York gehör­te dazu. Inzwi­schen kaufen die meis­ten Diri­gen­ten ihre Takt­stö­cke in Musi­-
        ka­li­en­ge­schäf­ten. Kent Nagano bevor­zugt Fiber­glasstä­be der Marke Hamel. Peter Ruzi­cka – „Ich könnte
        mit keinem ande­ren Takt­stock vernünf­tig diri­gie­ren“ – hält es seit jeher mit einem „34,5 Zenti­me­ter
        langen Takt­stock aus weißla­ckier­tem Karbon mit nahezu rundem Kork­griff, gekauft in einem klei­nen
        Hambur­ger Musik­la­den“. Titus Engel gibt auch Fiber­glasstö­cke mit Kork­griff den Vorzug, hat aller­dings
        eine Kollek­ti­on in verschie­de­nen Längen, alle gekauft beim Berli­ner Musik­ge­schäft Riedel.

        Doch es gibt nicht wenige Diri­gen­ten, die an den zerbrech­li­chen Holz­stö­cken fest­hal­ten: Baren­boim,
        Thie­le­mann, Mehta, Rattle und Young gehö­ren dazu. Der Takt­stock für Chris­ti­an Thie­le­mann sei etwas
        ganz Beson­de­res, erzählt Hellin­ger. Thie­le­mann selbst sei auf ihn zuge­kom­men und habe darum gebe­-
        ten, einen Takt­stock zu entwi­ckeln, dessen Balan­ce­punkt nicht stan­dard­mä­ßig einen Zenti­me­ter,
        sondern zwei­ein­halb Zenti­me­ter nach dem Griff liege. Bei einer Länge von 47 Zenti­me­tern bedeu­te dies,
        dass man den Griff selbst durch eine kleine Metal­l­ein­la­ge beschwe­ren müsse. Aus diesem indi­vi­du­el­len
        Wunsch wird ein neues Modell für den Kata­log werden.

        Der Balan­ce­punkt wurde für alle Takt­stö­cke im ROHEMA-Sorti­ment 2006 fest­ge­legt: „Der liegt nämlich
        bei uns an der glei­chen Stelle, egal, ob der Stock aus Fiber­glas oder aus Holz ist. Man muss das Gewicht
        durch den Griff ausba­lan­cie­ren; deshalb haben wir beim Fiber­glasstock im Griff diese Messing­schei­be
        einge­ar­bei­tet. Ein Zenti­me­ter nach dem Griff ist opti­mal für den Balan­ce­punkt, weil man die Hand
        öffnen kann, ohne dass der Stock herun­ter­fällt. Die Diri­gen­ten sagen immer, nichts sei pein­li­cher, als
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        wenn einem auf dem Pult der Takt­stock aus der Hand falle. Entschei­dend ist das gefühl­te Gewicht: Bei
        einem Griff mit einge­ar­bei­te­ter Messing­schei­be ist das Gesamt­ge­wicht zwar höher, das gefühl­te Gewicht
        durch den glei­chen Balan­ce­punkt aber ähnlich. Je länger der Takt­stock nach vorn ist, desto mehr
        Gewicht braucht er hinten.“

        Titus Engel aller­dings findet es nicht mehr schlimm, wenn der Stock mal wegfliegt: „Am Anfang meiner
        Lauf­bahn war mir das pein­lich. Inzwi­schen ist mir klar gewor­den, dass es eigent­lich ein gutes Zeichen
        ist, nämlich für eine unver­krampf­te Takt­stock­hand. Ich bin mir sicher, dass eine der wich­tigs­ten Eigen­-
        schaf­ten eines guten Diri­gen­ten die Gelöst­heit der Bewe­gun­gen ist, denn die über­trägt sich auch auf die
        Musi­ker.“

        Man könnte auf die verwe­ge­ne Idee kommen, dass Takt­stö­cke ja Mikado-Stäb­chen sehr ähnlich sähen
        und es viel­leicht lukra­tiv wäre, auch die Spiele-Indus­trie zu belie­fern. Doch Hellin­ger winkt ab. Das
        habe er nie getan. Aber Ess-Stäb­chen für die Restau­rants in den großen Inter­ho­tels der DDR habe er vor
        der Wende gefer­tigt: „Davon wurden viele gebraucht, hinten eckig, vorne rund, rot-schwarz lackiert, mit
        Aufdruck, Zehn­tau­sen­de Stück.“ Vor dem Zwei­ten Welt­krieg seien dage­gen noch Geschenk­tak­t­stö­cke,
        für Jubi­lä­en oder Urauf­füh­run­gen, sehr gefragt gewe­sen: reich verziert, mit Elfen­bein­grif­fen, aus Eben­-
        holz gedreht, mit Perl­mutt-Einla­gen oder Silber. Diri­gie­ren habe man mit ihnen eigent­lich nicht
        gekonnt. Sie waren zu schwer. Seit den fünf­zi­ger Jahren ging die Nach­fra­ge immer mehr zurück.

        Aber Ende der neun­zi­ger Jahre musste ROHEMA 74000 Takt­stö­cke für Micro­soft ferti­gen. „Das war ein
        Ding!“, ruft Hellin­ger aus, ohne seine geruh­sa­me Heiter­keit zu verlie­ren: „Das lief über eine deut­sche
        Werbe-Agen­tur unter dem Slogan: ,Wir geben den Takt‘. Für uns war das eine Heraus­for­de­rung, plötz­-
        lich einen solchen Auftrag erfül­len zu müssen. Da woll­ten sie golde­ne haben für die obere Führungs­ebe­-
        ne, für die ganz einfa­chen Mitar­bei­ter welche aus Holz. Wir haben das geschafft, und das war für uns
        auch ein gutes Geschäft. Es waren welche aus Messing dabei. Die sind so schwer, mit denen kann man
        nicht diri­gie­ren. Ob dieje­ni­gen sich gefreut haben, die so etwas beka­men, weiß ich nicht.“

        Gibt es eigent­lich Lang­zeit­trends auf dem Takt­stock­markt? „Alte Takt­stö­cke waren lang. Der Trend geht
        zu immer kürze­ren Takt­stö­cken. Unser kürzes­ter ist 32 Zenti­me­ter lang; einen gibt’s noch mit 34 Zenti­-
        me­tern. Ich weige­re mich einfach, kürze­re Takt­stö­cke zu machen. Da kann man ja gleich einen Blei­stift
        nehmen!“, ruft Hellin­ger aus. „Bei den Ameri­ka­nern sind drei­ßig Zenti­me­ter schon die längs­ten. Sonst
        liegen die bei 26, manch­mal 24 oder 23 Zenti­me­tern. Ich mag das nicht! So ein kurzes Ding! Was soll
        ich damit bewe­gen?!“

        Matthi­as Hellin­ger dreht manch­mal auch Stimm­wir­bel für Nach­bau­ten alter Instru­men­te, aber Takt­stö­-
        cke macht er beson­ders gern. Wach­sen da nicht eigene Ambi­tio­nen, zu diri­gie­ren? „Ach, was! Niemals!
        Ich probier’s mal aus, um das Gefühl dafür zu krie­gen und den Balan­ce­punkt auszu­tes­ten, aber ich hab
        keine Ahnung vom Diri­gie­ren.“ Beschei­den­heit und Sach­kennt­nis finden bei ihm auf sympa­thi­sche
        Weise zusam­men.

        Stun­den­lang kann er Geschich­ten erzäh­len vom schö­nen, aber zu weichen Hain­bu­chen­holz aus der
        Rhein­ebe­ne, von der wach­sen­den Not, guten Kork für Griffe zu bekom­men, von den Schwie­rig­kei­ten,
        den Fami­li­en­be­trieb durch die DDR zu führen, von den Sorgen um das Ausster­ben der Instru­men­ten­-
        bau­er: „Es gibt in der jünge­ren Gene­ra­ti­on nur noch wenige, die weiter­ma­chen wollen. Ein guter Kolle­ge
        von mir macht Klari­net­ten und hat schon zwei­mal den Deut­schen Musik­in­stru­men­ten­preis gewon­nen.
        Er ist jetzt 53, aber niemand aus der Fami­lie hat Inter­es­se, seine Arbeit fort­zu­set­zen. Wenn er in Rente
        geht, ist der Betrieb am Ende. Wir haben zwar unsere Fach­hoch­schu­le für Instru­men­ten­bau, aber als
        Neuer in der Bran­che hast du es schwer und musst dir erst mal einen Namen machen. In einen aner­-
        kann­ten Betrieb hinein­zu­wach­sen ist viel einfa­cher. Wer es schafft, ohne Namen, ohne Histo­rie auf dem
        Markt neu einzu­stei­gen, vor dem ziehe ich den Hut! Denn das Geld kann man anders­wo sicher leich­ter
        verdie­nen.“

        Für Titus Engel ist der Takt­stock ein Zauber­stab: „Mir gefällt die Idee, als Diri­gent Klänge wie ein
        Zaube­rer zu erwe­cken. Es ist ein schö­nes Symbol für meinen wunder­ba­ren Beruf.“ Die Hellin­gers sorgen
        in der nächs­ten Gene­ra­ti­on dafür, dass die Zaube­rer die rich­ti­gen Uten­si­li­en in die Hände bekom­men.

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            KULTUR                                                                                    SEITE 12 | SONNTAG 13. JUNI 2021

            „Es ist für mich eine Art Debüt“
            Christoph Eschenbach dirigiert die Premiere von Webers „Freischütz“ zum 200-jährigen Jubiläum des Kon-
            zerthauses Berlin
            Von Volker Blech

            Auf dem Gendarmenmarkt werden 500
            Besucher die Liveübertragung von We-
            bers „Freischütz“ aus dem Großen Saal
            miterleben können, LED-Wände stehen
            neben der Freitreppe des Konzerthauses
            Berlin. Christoph Eschenbach (81) diri-
            giert am 18. Juni die Jubiläumsinszenie-
            rung, die auf den Tag genau 200 Jahre
            nach der Uraufführung der Oper am sel-
            ben Ort über die Bühne geht. Regie
            führt die katalanische Theatergruppe La
            Fura dels Baus, Chefdirigent Eschen-
            bach leitet sein Konzerthausorchester .
            Herr Eschenbach, seitlich und nicht in
            der Mitte der Bühne werden Sie als Di-                       Christoph Eschenbach, der Chefdiri-
            rigent platziert sein?                                       gent des Konzerthausorchesters, auf
                                                                         dem Gendarmenmarkt. Reto Klar / FFS
            Christoph Eschenbach Dieser „Frei-
            schütz“ spielt auch nicht nur auf der
            Bühne. Im Großen Saal sind alle Stühle herausgenommen, und das Regieteam La
            Fura dels Baus will den ganzen Raum zum Event machen. Ich finde es eine gute
            Idee. Das Konzerthausorchester sitzt zwischendrin. Ich stehe seitwärts, damit ich
            beide Seiten gut überblicken kann. Es gibt eine besondere Aufstellung für Orchester
            und Chor.
            Was ist Ihre erste Erinnerung an Webers „Freischütz“?
            Ich habe die Oper als Kind halb gesehen und halb gehört in einer Freilichtaufführung
            in Webers Geburtsstadt Eutin. Die Aufführung fand im Schlosspark statt und war
            halb verregnet. In der Wolfsschluchtszene passierte nicht wirklich viel. Wegen des
            Regens gab es kein Feuer und es konnten keine Kugeln gegossen werden. Es war
            eine zwiespältige Aufführung, aber in meinen Erinnerungen ist sie facetten- und
            farbreich geblieben.
            Wann haben Sie die Oper selbst das erste Mal dirigiert?
            Ich habe die Ouvertüre und die Arien von Agathe, Max oder Ännchen dirigiert, aber
            die ganze Oper bisher noch nicht. Es ist für mich jetzt eine Art Debüt, auch wenn ich
            die Musik sehr gut kenne.

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            Was ist Ihnen am „Freischütz“ als besonders wertvoll aufgefallen?
            Es ist die erste wirklich romantische Oper. Und das Stück ist dramaturgisch deutlich
            besser gebaut, wenn man es in Deutschland einmal mit Albert Lortzings „Wild-
            schütz“ oder „Zar und Zimmermann“ vergleicht. Die Mischung zwischen Drama
            und Lyrik ist bei Weber perfekt gelungen.
            Haben Sie eine Lieblingsfigur in der Oper?
            Agathe natürlich. Sie hat wunderbare Musik und ist gewissermaßen eine Unschuld
            vom Walde. Man kann mit ihr mitfühlen. Ihre zwei Arien sind herrlich. Ich glaube,
            die Figur der Agathe lag dem Weber besonders am Herzen.
            Der Wald spielte in der deutschen Frühromantik bei Weber eine besondere Rolle, im
            heutigen Naturschutzdenken gewinnt der Wald auf andere Weise wieder an Bedeu-
            tung. Das Regieteam will das Thema Klimaschutz aufgreifen.
            Ich halte sehr viel von der Idee, weil sie in die Problematik unserer Zeit passt. Die
            ökologische Komponente wird in der Regiearbeit deutlich hervortreten. Die Proble-
            matik des Waldsterbens und was der Mensch der Natur Schlimmes antut, soll darge-
            stellt werden.
            Lange Monate waren wir alle in Lockdowns festgehalten. Sie leben in Paris, sind
            aber Chefdirigent des Berliner Konzerthausorchesters. Wie haben Sie die internatio-
            nale Klassikwelt wahrgenommen?
            Ja, eben nicht. Es war vieles abgesagt oder verschoben worden, insbesondere für
            mich in Amerika von der New York Philharmonic bis zum Ravinia Festival. In Eu-
            ropa fand hingegen vieles kleinformatiger statt, wurde aber überwiegend nur ge-
            streamt. Es war kein Publikum zugelassen. Man hat überall Kompromisse über
            Kompromisse gemacht. Aber wir haben gute Aufführungen zustande gebracht. In
            Genf wollte ich kürzlich die Zweite von Mahler machen, was aber in der Pandemie
            wegen des Chors nicht ging. Dann gab es die Furcht, Bläser spielen zu lassen. Zum
            Schluss war es ein Streicherprogramm.
            Wie viele Musiker werden jetzt beim „Freischütz“ beteiligt sein?
            Das Orchester wird kaum verkleinert sein, weil wir ja den ganzen Raum zur Verfü-
            gung haben. Es sind 46 Orchestermusiker und -musikerinnen, 50 Sängerinnen und
            Sänger des Rundfunkchors und 13 Solisten. Dazu kommen drei Artisten. Aber da
            kein Publikum im Saal sein kann, wird die Musik aufgenommen und gesendet – im-
            merhin auch als Liveübertragung auf den Gendarmenmarkt.
            Haben Sie sich in den Lockdowns selber Livestreams anderer Orchester angeschaut?
            In Paris haben wir den Mezzo-Kanal, der sehr schöne Sachen überträgt. Aber es sind
            vor allem ältere Aufnahmen. Die Livestreams, die ich wahrgenommen haben, waren
            die von meinen eigenen Konzerten, die ich mir im Nachhinein angeschaut habe.

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            Es wird jetzt das 200-jährige Bestehen am Gendarmenmarkt gefeiert. Wann haben
            Sie erstmals etwas vom Schauspielhaus gehört?
            Das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt mit den beiden Kirchen nebenan ist einer
            der schönsten Plätze von Berlin. Das habe ich bereits früh wahrgenommen. Zum ers-
            ten Mal war ich in der 1980er-Jahren im Haus.
            Das war noch zu DDR-Zeiten. War man offen oder verschlossen Ihnen gegenüber?
            In der DDR-Zeit war ich mehr als Pianist beim Opernorchester engagiert. Hans Pi-
            schner, der langjährige Intendant der Staatsoper Unter den Linden, war ein sehr guter
            Freund meines leiblichen Vaters Heribert Ringmann gewesen. Der hat mich mehr-
            fach als Pianist engagiert. Ich habe auch die Kapelle dirigiert. Ich hatte schon eine
            Verbindung zur DDR und der Musik, die dort gemacht wurde.
            Was sind Ihre Jubiläumspläne im Konzerthaus?
            Wir planen vorsichtig. Unsere Planungen gehen zunächst bis Januar. Am 26. August
            machen wir ein Jubiläumskonzert zur Saisoneröffnung und am 29. August ein „Open
            Air für Berlin“.
            Livestream am 18. Juni um 19 Uhr auf Arte Concert und konzerthaus.de.

            Berliner Morgenpost: © Berliner Morgenpost 2021 - Alle Rechte vorbehalten.

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            Schöpfung mit Tiefsinn und Spott
            Der norwegische Regisseur Stefan Herheim zeigt Richard Wagners „Rheingold“ an der Deutschen Oper und
            bedient Cineasten ebenso wie Opernbildungsbürger

            Szene mit Alberich (Markus Brück) und als Rheintöchter Valeriia Savinskaia, Irene Roberts und Karis Tucker (v.l.). Bernd
            Uhlig

            Von Volker Blech

            Mit seinem Schöpfungsspaß überraschte Regisseur Stefan Herheim das Publikum in
            der Deutschen Oper. „Das Rheingold“ als Vorabend ist gewissermaßen der Urknall
            der Wagnerschen Tetralogie vom „Ring des Nibelungen“. In der Premiere am Sonn-
            abend wurde also ausgebreitet, was bis zur „Götterdämmerung“ auf der Bühne ver-
            handelt wird. Herheim geht mit fantasievollen Bildern an den Start, lässt den Asso-
            ziationen freien Lauf, manchmal überschlagen sie sich. Denn der norwegische Re-
            gisseur geht mit vertrauten Mythen und deutschen Befindlichkeiten spielerischer und
            respektloser um. Zu Beginn kommt eine Gruppe mit Koffern auf die Bühne, ein
            Bild, das im hiesigen Kollektivbewusstsein mit dem Holocaust verknüpft ist. Aber
            eigentlich handelt es sich nur um eine wandernde Gauklertruppe, in den Koffern sind
            ihre Kostüme. Einer schminkt sich zum Clown und wird zum bösen Alberich.

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            Von Zwergen, Riesen und Göttern handelt das Symbolspiel des Menschlichen. Wag-
            nerianern ist es heilig. Herheim schreckt vor der innewohnenden Klamotte nicht zu-
            rück. Tiefsinn und Spott liegen dicht beieinander. Der Komponist Richard Wagner
            wird bei Herheim leibhaftig ins Spiel eingebunden. Aber nicht als Göttervater Wo-
            tan, dem er sich nahe fühlte, auch nicht als stummer Erzähler am Rande, sondern als
            Alberichs kleiner, schmieriger Handlanger Mime, der ihm die Tarnkappe fertigen
            soll. Diesmal entsteht ein Stahlhelm, Herheim lässt die Nibelungen mit Hitlergruß
            herumtappen. Das düstere Nibelheim soll, wenn aus den Koffern Wertgegenstände
            wie eine goldene Menora geraubt werden, an Auschwitz erinnern. Es ist eine eigene
            Art der Wagner-Kritik.
            Donald Runnicles beschwört im Vorspiel das Naturhafte
            Donald Runnicles und sein Orchester der Deutschen Oper schließen sich dem szeni-
            schen Schöpfungsimpuls an. Das wird gleich zu Beginn hörbar, als die Wander-
            truppe zunehmend staunend, ja euphorisiert an den Bühnenrand tritt. Während an-
            dere Dirigenten im Vorspiel schon die drohenden Abgründe des Weltenepos aufwüh-
            len, will Sir Donald vor allem das Naturhafte entdecken. In der Leichtflüssigkeit er-
            innert es zunächst eher an Smetanas dahinströmende Moldau als an Wagners Rhein-
            Strudel.
            Über die zweieinhalb Stunden hinweg wird Runnicles gekonnt die Sänger durch die
            Handlung führen, dabei aber die Sehnsüchte und Abgründe, wie etwa die Melancho-
            lie im Auftritt der Erda, meiden. Was schade ist. Judit Kutasi singt großartig eine bo-
            denständige Mutter, die dem Souffleurkasten entsteigt, um Wotan zu zausen. Das
            Zusammenspiel zwischen Orchestergraben und Bühne ist hervorhebenswert, auch,
            weil Herheim zu den Regisseuren gehört, die ihre Geschichten glaubhaft ins Musika-
            lische zurückbinden können.
            Die ganze Schöpfung findet in und um einen Flügel in Bühnenmitte herum statt. Die
            Idee, das Instrument als geistigen Ursprungsort darzustellen, ist bereits alt und im-
            mer gefährlich. Es gibt nichts Schrecklicheres, als wenn ein Darsteller eine Taste an-
            schlägt und ein volles Orchester erklingt. In Bayreuth hat Barrie Kosky in seiner
            „Meistersinger“-Inszenierung das Haus Wahnfried, den Wohnsitz der Wagners, nebst
            Flügel auf die Bühne gestellt. Die herauskletternden Figuren sorgen für Komik. Bei
            Stefan Herheim wird der Flügel hingegen zu einer Art Wurmloch, das die Sänger,
            das Beutegold und das riesige weiße Tuch, auf welchem die Welten projiziert wer-
            den, ausspeit oder verschluckt. Das ist beeindruckend anzusehen. Beiläufig ahnt
            man, wie die Techniker bei dieser Premiere geschwitzt haben müssen, damit alles
            reibungslos über die Bühne ging.

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            Das Erfolgsgeheimnis von Herheims „Rheingold“ steckt in seiner Bilderflut, mit der
            er den Cineasten, den Computerspieler und auch den Opernbildungsbürger auf sinn-
            liche Weise herausfordert. Der verschlagene Feuergott Loge wird zum Mephisto, der
            den Wotan wie Goethes Faust verführt. Aber der Pakt mit dem Teufel wird von Her-
            heim historisch verortet. Dem Mephisto von Thomas Blondelle ist bis in die Körper-
            sprache hinein anzusehen, wie er sich in Gustav Gründgens „Faust“-Verfilmung ver-
            tieft hat. Die manchmal fast gespuckten Konsonanten im Gesang führen zurück in
            alte Darstellungswelten.
            Die Personenregie ist ebenso perfekt wie die Bilderflut. Markus Brück verkörpert
            einen gefährlichen Alberich-Clown, Derek Weltons Wotan singt angemessen statt-
            lich. Jacquelyn Stucker ist eine liebessüchtige Freia, Annika Schlichts Fricka ge-
            winnt als Singgöttin. Es war aber weniger der Abend der großen Wagner-Sänger,
            sondern mehr der charaktervollen Darstellung, die sich bis ins Stimmliche vollzog.
            Auf ungewöhnlich verführerische Weise können die drei Rheinschwestern (Valeriia
            Savinskaia, Irene Roberts und Karis Tucker) zu Beginn den Clown an der Nase her-
            umführen. Noch herrscht die Uraufgehobenheit des Menschen in der Natur. Diese
            Urlust wird bei Herheim in einer Orgie ausgelebt. Sie erstarrt, wenn Alberich den
            Ring über die Liebe stellt. Dann tritt die Kunst anstelle der Befriedigung, und das
            Spiel mit der Verkleidung aus den Koffern beginnt. Herheims „Ring des Nibelun-
            gen“ wird wohl von vielerlei unberechenbaren Kunstfiguren belebt, die durch die
            Menschheitsgeschichte flüchten. Man kann sich auf die erste komplette Zyklus-Auf-
            führung im November freuen. Aber es ist schwer zu sagen, ob in dieser Traumwelt
            am Ende alles aufgeht.

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               Mon­tag, 14. Ju­ni 2021, Ber­li­ner Zei­tung /

               Im Wortsinne gelassen
               Herbert Blomstedt und die Philharmoniker

                                      Herbert Blomstedt dirigiert. Monika Rittershaus

               PETER UEHLING

               H
                            erbert Blomstedt ist mit 94 Jahren der älteste noch wirkende Dirigent von Be‐
                            deutung. Vor zehn Jahren etwa war er der vielleicht größte Bruckner-Dirigent
                            seiner Zeit, der ein Monstrum wie die Fünfte Symphonie zu einem vielgestalti‐
                            gen Kosmos unter einem riesigen Bogen zusammenzwingen konnte. Bei seinem
               Konzert mit den Berliner Philharmonikern am Freitag – dem ersten vor Publikum seit dem
               einen im April im Rahmen des Pilotprojekts – dirigierte er kompaktere Werke von Jean Sibe‐

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               lius und Johannes Brahms. Man meint zu spüren, dass Blomstedt, noch einmal gravierend äl‐
               ter, sich nun weniger für riesige Bögen interessiert und mehr für die Vielgestaltigkeit.

               Sibelius’ Vierte Symphonie gilt als seine modernste. In ihr schießen die Impulse in verschie‐
               denste Richtungen, ohne dass der Komponist sich um ihre Einbindung in ein Ganzes zu sor‐
               gen scheint. Das Finale besteht aus energischen Anläufen, die immer wieder ins Leere gehen,
               unvermutet kommt mit dem Glockenspiel ein schier grotesk possierlicher Klang in die Musik,
               dramatisch kollidieren die Stimmen – aber am Ende fliegt das Stück in alle Richtungen aus‐
               einander – und Blomstedt lässt es fliegen.

               Brahms bemerkenswert wuchtig

               In vielem wirkt die Musik gar nicht mehr gestaltet, sondern im Wortsinne „gelassen“. Aus‐
               druck wird solistischer Initiative überlassen, wie etwa Ludwig Quandt im Cello-Solo zu Be‐
               ginn oder den von Wenzel Fuchs geblasenen Klarinetten-Stellen. Dabei gerät der Klang zu‐
               weilen aus der Proportion, mancher Blechbläser-Einsatz oder Paukenwirbel gar zu pathetisch
               – aber das ist nur die Konsequenz einer konsequent aus den formalen Klammern gelösten In‐
               terpretation des Moments.

               Das funktioniert in Brahms’ Dritter Symphonie so nicht, sie ist strukturell zu dicht geschnürt.
               Auch hier hat man den Eindruck, dass vieles von Blomstedt nicht groß justiert wurde, dieser
               Brahms klingt bemerkenswert wuchtig und immer wieder auch nicht sonderlich differenziert
               – und dann bemerkt man Blomstedts Eingreifen vor allem an Zartheiten, die einem schier
               den Atem verschlagen: Wie scheint die Masse des anfänglichen Riesenklangs im Übergang
               zum Seitensatz brüchig zu werden und plötzlich in schönsten Farben zu leuchten! Wie begin‐
               nen Nebenstimmen im Bläsersatz des Andante zu sprechen!

               Und schier unvergesslich wiederum die klangliche Zurücknahme im Finale kurz vor dem ab‐
               schließenden Bläserchoral: Der steht dann da, von den Wagner-artigen Streicherschleiern
               umgeben wie vom Licht eines Sonnenuntergangs, und wirft immer längere Schatten. „Ich bin
               verliebt in die Musik“, sagte Blomstedt im Interview mit den Philharmonikern – an Details wie
               diesen, aber auch dem Verzicht darauf, dem Werk einen eigenen Stempel aufzudrücken, kann
               man dieses Verliebtsein spüren.

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            Waldbühne
            Berliner Philharmoniker planen Konzert vor
            6000 Menschen
            Die Berliner Philharmoniker wollen in diesem Jahr wieder ihr
            traditionelles Konzert in der Waldbühne geben – vor mehr als
            6000 Besuchern. Das Konzert könne dank einer Genehmigung
            des Senats als Pilotprojekt am 26. Juni stattfinden, so das Or-
            chester am Freitag. Dafür seien aber personalisierte Tickets nö-
            tig, weshalb eine Umtauschaktion geplant ist. Wer bereits Karten
            hat, soll diese bis zum 18. Juni umtauschen. dpa

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        F.A.Z. - Feuilleton                                                                                        Montag, 14.06.2021

                         Sturmgepeitscht in einen kollektiven Rausch
             Das Würzburger Mozartfest bietet einen furiosen „Idomeneo“ mit Christophe Rousset und einen
                                    scharfkantigen Bruckner mit Andris Nelsons

        Das Mozart­fest mischt sich ins Würz­bur­ger Stadt­bild wie ein Grund­rau­schen, das einem erst auffie­le,
        wenn es plötz­lich verschwin­den würde. Es zeigt Flagge entlang der Innen­stadt­stra­ßen: sattes Granat­rot,
        tief und warm. Den Gedan­ken, in diesen schwie­ri­gen Wochen, wo Hoff­nung und Ernüch­te­rung so nahe
        beiein­an­der­lie­gen, just am Außen­wer­bungs­etat zu kürzen, haben die Inten­dan­tin Evelyn Meining,
        deren Vertrag gerade vorzei­tig bis 2029 verlän­gert wurde, und ihr klei­nes Team offen­bar nie gehabt
        oder schnell wieder verwor­fen. Auch wenn im hunderts­ten Jahr des Festes längst nicht so viele Hörer
        direkt dabei sein können, wie sonst zu erhof­fen gewe­sen wäre: Es geht darum, Leben­dig­keit zu bewei­-
        sen, da zu sein und Zeichen zu setzen mit dem, was eben möglich ist.

        Beispiels­wei­se der „Raum für Mozart“ in einem Laden­lo­kal, wo man dann aber nicht nur Wolf­gang
        Amadé in locker gereih­ten Bildern und Tafeln begeg­nen kann, sondern auch dem Jazz-Drum­mer Tobias
        Schir­mer, der aus Zivi­li­sa­ti­ons­ab­fäl­len wie Fahr­rad­spei­chen, Brems­schei­ben oder Topf­de­ckeln neue
        Instru­men­te montiert und vorführt: Aus Schrott wird Klang. Und da sind die Graf­fi­ti-Spray­er an einer
        Stra­ßen­mau­er zwan­zig Meter weiter, die heiter ein paar über­le­bens­gro­ße Mozart-Köpfe in den Stadt­-
        raum setzen – einan­der ähnlich, aber in Details schlau und witzig vari­iert, wie man das auch in seiner
        eige­nen Musik erfah­ren kann.

        Solches Hinein­ge­hen in den Alltag ist ohne­hin ein Prin­zip des vier­wö­chi­gen Festes. In diesem Jahr der
        Pande­mie aber trägt es viel­leicht auch Züge eines wider­stän­di­gen Trot­zes gegen alle Einschrän­kun­gen.
        Man meint ihn manch­mal bis in die Abend­pro­gram­me hinein zu hören: wenn das Klavier­duo Tal &
        Groet­huy­sen, das erste Mal nach sieben Mona­ten wieder vor Hörern aktiv, seine vertrau­ten Vier­hand­-
        stü­cke, schon hundert­fach mitein­an­der aufge­führt, mit solch andrän­gen­der Ener­gie präsen­tiert, dass
        die Zäsu­ren in Franz Schu­berts f-Moll-Fanta­sie wie schwar­ze Löcher zum Erschre­cken weit aufrei­ßen
        oder den Stücken des Festi­val­pa­trons alle Geschmei­dig­keit ausge­trie­ben und der harte Kern stren­ger
        Gedan­ken­ar­beit heraus­ge­schält wird. Oder wenn Andris Nelsons seine Inter­pre­ta­ti­on von Anton Bruck­-
        ners sechs­ter Sympho­nie mit den Bamber­ger Sympho­ni­kern (in deren heimi­scher Konzert­hal­le statt im
        vorge­se­he­nen Würz­bur­ger Dom, dessen Bespie­lung eben­falls den Corona-Restrik­tio­nen zum Opfer fiel)
        dies­mal ganz anders anlegt als in seiner doch noch ziem­lich frischen Einspie­lung mit dem Leip­zi­ger
        Gewand­haus­or­ches­ter – viel weni­ger samtig-füllig und klang­schwel­ge­risch, sondern mit scharf­split­te­rig
        kontu­rier­ten, gewalt­tä­tig blen­den­den Blech­blä­ser­sät­zen, tiefer Trau­rig­keit im Adagio und einem
        mutwil­lig heraus­for­dern­den Scher­zo: Musik, die unver­ar­bei­te­te Trau­ma­ta zu über­tö­nen versucht.

        Diesem auf Gott und die Welt gerich­te­ten Ringen hat der estni­sche Kompo­nist Jüri Rein­ve­re ein zehn­-
        mi­nü­ti­ges Stück des Sichaus­set­zens und tiefen Hinein­ver­sen­kens in die Klänge entge­gen­ge­stellt, so still
        und fragil oft, dass schon das Umwen­den der Noten­blät­ter fast zum Stör­fak­tor wird. „Maria Anna,
        wach, im Neben­zim­mer“, eines der beiden Auftrags­wer­ke des dies­jäh­ri­gen Festes, ist ein Nacht­bild um
        Mozarts ältere Schwes­ter, das „Nannerl“ – ihm nah und offen, dennoch in einer ande­ren Welt. Gril­len­-
        zir­pen, Ster­nen­ge­flim­mer, das Wehen des Windes in den Vorhän­gen oder die eige­nen tiefen Atem­zü­ge,
        viel­leicht auch träu­me­risch abge­sun­ke­ne Erin­ne­rungs­frag­men­te: Vieles wird in den oszil­lie­ren­den
        Klang­bän­dern dieser Urauf­füh­rung geöff­net, nichts herbei­ge­zwun­gen; Musik äußers­ter Diskre­ti­on, in
        der Außen- und Innen­welt zusam­men­flie­ßen und die von Nelsons und den Bamber­gern mit stau­nens­-
        wer­ter Deli­ka­tes­se leben­dig gemacht wurde.

        Kern­ort des Würz­bur­ger Mozart­fes­tes war von Beginn an der Kaiser­saal der Resi­denz. Hier nun gab es
        neben dem großen Hundert-Jahres-Jubi­lä­um noch ein klei­nes zu bege­hen, denn vor neun­zig Jahren, im
        Juni 1931, fand hier die erste konzer­tan­te Auffüh­rung einer Mozart-Oper statt: des „Idome­neo“. Das
        war inso­fern eine Großtat, weil diese wild­be­weg­te Seria des Fünf­und­zwan­zig­jäh­ri­gen damals noch als
https://zeitung.faz.net/webreader-v3/index.html#/467121/13                                                                              1/2
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