Saison 2019 / 2020 BASF-Kulturprogramm - Kammermusik - BASF.com
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Saison 2019 / 2020 BASF-Kulturprogramm Kammermusik vision string quartet Jakob Encke, Violine Daniel Stoll, Violine Sander Stuart, Viola Leonard Disselhorst, Violoncello Freitag, 17. Januar 2020, 20.00 BASF-Feierabendhaus
Programm Ludwig van Beethoven (1770 – 1827) Streichquartett Nr. 15 a-Moll op. 132 Assai sostenuto. Allegro Allegro ma non tanto Canzona di ringraziamento (Heiliger Dankgesang eines Genesenden an die Gottheit, in der lydischen Tonart). Molto adagio Alla Marcia. Assai vivace Allegro Grażyna Bacewicz (1909 – 1969) Streichquartett Nr. 4 (1951) Andante. Allegro moderato Andante Allegro giocoso Dauer: ca. 75 min. Keine Pause. 3
vision string quartet Ludwig van Beethoven 2012 gegründet, hat sich das vision string quartet „Im Grunde muss jeder der viere ein Paganini sein innerhalb kürzester Zeit in der internationalen Streich- und dabei nicht nur den eigenen Part beherrschen, quartett-Szene etabliert. Mit ihrer einzigartigen Fähig- sondern die der drei anderen auch, sonst ist kein keit zwischen dem klassischen Streichquartett-Reper- Auskommen ... es steht an der Grenze des Spielbaren toire, ihren Eigenkompositionen und Arrangements und war zu seiner Zeit einfach nicht spielbar. Die aus den Bereichen Jazz, Pop und Rock zu „wandeln“, erbarmungslose Gleichgültigkeit eines Entstiegenen stellen die vier jungen Musiker aus Berlin die klassi- gegen das Irdisch-Technische gehört für mich zum sche Konzertwelt auf den Kopf. Allerbelustigsten. ‚Was geht mich Ihre verdammte Geige an!‘ sagte er zu einem, der sich beklagte.“ Dies Die Konzertformate des vision string quartets sind lässt Thomas Mann seinen deutschen Tonsetzer vielseitig: Das Streichquartett, das sich zugleich als Adrian Leverkühn im Doktor Faustus über Beethovens Band versteht, spielt in den klassischen Konzert- Streichquartett op. 132 in a-Moll sagen. Unspielbar sälen wie der Elbphilharmonie, Kammermusiksaal und unverständlich scheint es und doch sind es der Berliner Philharmonie, Gewandhaus Leipzig, gerade diese Qualitäten, die Leverkühn entzücken, Tonhalle Düsseldorf und der Wigmore Hall London. und die auch für Manns ganz persönliches Drama Sie wirken in Ballettkooperationen unter John Neumeier stehen: künstlerische Entrücktheit versus bürgerliche mit, spielen Konzerte im Licht- und Videodesign von Existenz. Folkert Uhde im Berliner Radialsystem oder der Elbphil- harmonie und „Dunkelkonzerte“ in völliger Finsternis. Seit der Rezension der Erstaufführung in der Allge- meinen musikalischen Zeitung steht dieses Streich- Anfang 2016 gewann das Quartett beim Felix quartett quasi exemplarisch für die Ratlosigkeit des Mendelssohn Bartholdy-Wettbewerb in Berlin den Publikums dem Beethovenschen Spätwerk gegenüber: 1. Preis sowie alle Sonderpreise. Große Wellen schlug der Erfolg beim Concours de Genève 2016, der mit „Was unser musikalischer Jean Paul hier gegeben dem 1. Preis und allen vier Sonderpreisen endete. hat, ist abermals gross, herrlich, ungewöhnlich, über- 2018 wurde dem Ensemble mit dem Kammermusik- raschend und originell, muss aber nicht nur öfters preis der Jürgen Ponto-Stiftung einer der höchst- gehört, sondern ganz eigentlich studirt werden. (...) dotierten Musikpreise verliehen. Der vorherrschende düstere Charakter des Ganzen, eine, bey der mannigfaltigsten Ausarbeitung nicht zu Ihr Kammermusikstudium absolvierten die vier beseitigende Einförmigkeit in dem sehr langen Adagio Musiker beim Artemis Quartett in Berlin sowie bei (...), freylich aber auch die unerträgliche Hitze in dem Günter Pichler, dem Primarius des Alban Berg niedrigen, gedrängt vollen Saale, mochten die Ursache Quartetts, an der Escuela Superior de Música Reina seyn, wesshalb dieses jüngste Geisteskind des uner- Sofía Madrid. Heime Müller, Eberhardt Feltz und schöpflich fruchtbaren Meisters nicht jene allgemeine Gerhard Schulz waren weitere Impulsgeber. Zu den Sensation machte ...“ Kammermusikpartnern zählen Jörg Widmann, Eckart Runge, Haiou Zhang, Edicson Ruiz, Avi Avital, Nils Der Opuszahl nach ist es das vierte, der Ent- Mönkemeyer und das Quatuor les Dissonances. stehungszeit (1824 – 1825) nach das zweite der fünf 4 5
heute als „späte Streichquartette“ Beethovens be- Im starken Gegensatz zum a-Moll des ersten zeichneten Werke des Komponisten. Wie das Es-Dur- Satzes steht der zweite Satz in hellem A-Dur. Der Quartett op. 127 und das B-Dur-Quartett op. 130 ist Dur-Kontrast erlaubt ein Vorziehen des Scherzos an es dem Fürsten Nikolaus von Galitzin gewidmet. die zweite Stelle. In ihm ist das Episodenhafte, das im Nach zwei privaten Aufführungen am 9. und 11. Sep- Divertimento durchaus zu finden wäre, besonders tember 1825 im Gasthaus „Zum Wilden Mann“ in Wien spürbar. Populäre Zitate darf man im Trioteil eines bestritt das Schuppanzigh-Quartett auch die öffent- Scherzos durchaus erwarten, Beethoven verschach- liche Erstaufführung am 6. November 1825 in Wien. telt hier ein Stück bordunierter Volksmusik in Dreh- leiermanier mit einem Tänzchen, das er bereits 1790 Ungewöhnlich ist die Fünfsätzigkeit des Werks, in einer Sammlung von „12 Deutschen“ benutzt hatte. denn seit Haydn, der gut ein halbes Jahrhundert zuvor die Gattung des Streichquartetts aus der Taufe Erst der dritte Satz, der „Heilige Dankgesang eines hob, hat das Streichquartett wie die Sinfonie vier Genesenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart“, Sätze. Hier aber gruppieren sich um den Adagio- erklärt gewissermaßen rückwirkend formale und Kernsatz jeweils zwei rasche Sätze. Damit steht es inhaltliche Strategien des ersten Satzes. Die archaisch formal in der Nähe des Divertimentos, bei dem ein anmutende Kontrapunktik des beinahe als Sonaten- zentraler ruhiger Teil von Tanzsätzen flankiert wird. hauptsatz komponierten Allegro und dessen vokal Im merkwürdigen Querstand zu dieser eher unter- geprägte Motivik erklären sich durch die religiöse haltsamen Gattung stehen freilich inhaltliche Aspekte, Aussage des Herzstücks der Komposition und der die gewagte Harmonik und die exzentrische Klang- damit verbundenen Hinwendung zu liturgischer lichkeit des Quartetts. Natürlich ist eine Erweiterung Musik. Dementsprechend beginnt der dritte Satz mit der kompositorischen Mittel, wie das Publikum es einem Choral, einem Element der Liturgik, mit dem wohl bei Beethoven erwarten durfte, zu beobachten. sich Beethoven, wie seine Aufzeichnungen belegen, Im ersten Satz beispielsweise sind dies die Auswei- über Jahre beschäftigt hatte und dessen „Heilige tung des Tonumfangs der Streichinstrumente und Tiefe“ für ihn der Ausdruck des romantischen Ideals eine Spreizung der Stimmführung. Die langsame schlechthin war. „Man höre blos einen simplen Choral! Einleitung des Satzes befremdet durch den Rückgriff welche Kraft! welche der Kirche und der Religion auf kontrapunktische Kompositionstechniken und er- anständige Würde! welche Hoheit des Ausdrucks!“, scheint gleichzeitig durch ihr Beharren auf ein kreisen- schrieb bereits Johann Philipp Kirnberger, mit dessen des Motiv aus zwei Halbtonschritten (a-gis, f-e) merk- musiktheoretischen Werken Beethoven zweifellos ver- würdig tastend. Ferner ist die Vorstellung des Haupt- traut war, in seiner Kunst des reinen Satzes in der themas im so genannten durchbrochenen Satz auf Musik. verschiedene Instrumente verteilt, was es weniger Der Rückgriff auf eine Kirchentonart ist sicher greifbar erscheinen lässt. Analog dazu findet der ebenfalls als ein Symbol für die religiöse Haltung des erste Satz nicht zur Tonika, was einen Ausdruck von Satzes zu werten, andererseits bietet die lydische Rastlosigkeit hinterlässt, der bereits Musikforscher Skala dem Verfasser interessantes kompositorisches des 19. Jahrhunderts an „ewig ins Sieb schöpfende Material, das Herausforderungen für ungewohnte Danaiden“ oder „den Stein fruchtlos emporwälzenden melodische und harmonische Fortschreitungen in Sisyphus“ gemahnte. 6 7
sich birgt. Die Originalität der Choralverarbeitung Grażyna Bacewicz Beethovens basiert auf der Anlehnung an Bachsche „Die Natur, die mir in ihrer Huld die Gabe der Kom- Traditionen, der Einwebung kontrapunktischer Passa- position geschenkt hat, gab mir dazu etwas, das die gen, dem ungestörten Entfalten einfacher Choral- Kultivierung dieser Gabe gestattet. Ich habe nämlich melodik und dem Verzicht auf Melismatik. Vom einen kleinen, unsichtbaren Motor, dank dessen ich Klangreichtum der Orgel inspiriert verlegt Beethoven in zehn Minuten mache, wofür andere eine Stunde beispielsweise den Choral quasi vierfüßig ins hohe brauchen,“ schreibt Grażyna Bacewicz, „dank seiner Violinregister und entlockt dem Streichquartett damit laufe ich, anstatt zu gehen, ich kann fünfzehn Briefe in ganz neue Sounds. einer halben Stunde schreiben, sogar mein Puls geht Im vierten Satz treffen ein seltsam heiter-pointierter bedeutend schneller als bei anderen, und ich wurde Marsch in A-Dur und ein kurzes Più Allegro aufein- schon im siebenten Monat geboren.“ ander. Vermutlich um den dritten Satz als Zentrum Und dies am 5. Februar 1909 als drittes von vier der Komposition zu manifestieren, hat Beethoven Kindern ihrer Eltern Maria und Vincas Bacewicz in hier zwei kurze Sätze zu einem zusammengefasst. Lodz. Der aus Litauen stammende Vater arbeitete Es folgt das Appassionato-Finale in a-Moll, das auf als Lehrer, die Mutter entstammte einer wohlhaben- die drängend-bewegten Finalsätze der Romantiker den polnischen Familie mit adeligem Hintergrund. in dieser Tonart vorausweist. Nicht nur das Tor zur Wie ihre Geschwister erhielt auch Grażyna schon Romantik hat Beethoven hier wie so oft in den späten früh Unterricht auf Violine und Klavier sowie in Musik- Quartetten weit aufgestoßen – auch Werke des theorie. An der Lodzer Musikschule nahm sie Kom- 20. Jahrhunderts speisen sich aus Beethovens positionsunterricht bei Kazimierz Sikorski, der später Neuauslotung barocker Ausdrucksmittel und kühner auch ihr Kompositionslehrer am Warschauer Konser- Harmonik. vatorium wurde. Ab 1928 studierte Bacewicz dort auch Violine bei Józef Jarzębski und Klavier. Nach dem Diplom besuchte sie 1932 und 1933 die Kom- positionsklasse von Nadia Boulanger an der École Normale de Musique in Paris – den Einflüssen dieser Schule bleibt Bacewicz in zahlreichen ihrer Werke verbunden. Die Geigerin gilt heute als eine der bedeutendsten polnischen Komponistinnen ihrer Zeit. Bis in die fünf- ziger Jahre hinein stand sie als Solistin auf Konzert- bühnen in vielen Ländern Europas und trug dadurch wesentlich zur Verbreitung polnischer Musik bei. Ihre Popularität ebnete ihr den Weg als Komponistin, der zwischenzeitlich durchaus geprägt war von politischen Ressentiments. 8 9
Ihr Streichquartett Nr. 4 komponierte sie 1951 im Late-Night-Lounge Auftrag des polnischen Komponistenverbands für 17. Januar 2020, 22.00, BASF-Gesellschaftshaus den Concours International pour Quatuor à Cordes in Lüttich. Das Werk wurde am 21. September 1951 Das vision string quartet spielt Eigenkompositionen vom Quatuor Municipal de Liège uraufgeführt und und Arrangements aus den Bereichen Jazz, Pop gewann den 1. Preis. und Rock. Parallelen zu Beethovens a-Moll-Quartett sind insbe- sondere in der langsamen Einleitung unüberhörbar. Melodik, Harmonik und Klangfülle verweisen auf die Romantik, Rhythmik und Ausdrucksstärke tragen Veranstaltungshinweis neoklassizistische Züge. Ferner weist das dreisätzige 28. Januar 2020, 20.00, BASF-Feierabendhaus Quartett Einflüsse der polnischen Volksmusik auf, „Night Music“ wobei im zweiten Thema des ersten Satzes auch Anna Prohaska, Sopran Anleihen an spanische Folklore aufscheinen. In seiner Ensemble 1700 Struktur mit zwei kontrastierenden Themen bezieht Dorothee Oberlinger, Blockflöte & Leitung sich der erste Satz auf die klassische Sonatenhaupt- satzform. Der zweite Satz ist klassisch langsam, melodiös und volkstümlich, während der dritte Satz einen ausdrucksstarken Kontrast bietet und ein leb- haftes Rondo mit einem polnischen Tanz, dem Oberek, als Refrain ist. Die belgische Kritik zeigt sich von Bacewiczs Wett- bewerbsbeitrag beeindruckt: „Der elegischen Einfüh- rung folgen fantastische Themen, die sich bald mit anderen musikalischen Gedanken vermischen und den Atem beschleunigen. Diese ruhige Meditation und das logisch aufgebaute Fugato offenbaren außergewöhnliche mentale Qualitäten und ein wahr- haftes musikalisches Temperament. Auch hier ist es Beethoven, der in den Sinn kommt, diesmal aus seinen letzten Quartetten, insbesondere im Rondo, wo sich ein polnischer Volkstanz mit reflexiven Epi- soden verbindet.“ Heike Fricke 10
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