Schleichende Nationalisierung Der Kreml - Internationale Politik
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Schleichende Nationalisierung Titelthema Schleichende Nationalisierung Der Kreml hat die gesetzlichen Grundlagen für ein rein russisches Internet geschaffen. Es geht darum, die Kontrolle zu erlangen. Von Philipp Dietrich und Alena Epifanova R ussland hat mit einem Gesetz über trolle seit den ersten Tagen des Internets das sogenannte „souveräne Inter- errichtet wurde, ist der russische Staat net“ weltweit für Schlagzeilen ge- aktuell zu dieser Herkulesaufgabe nicht sorgt. Die im November 2019 abgesegneten imstande. Eine russische „Great Firewall“, neuen Regulierungen dürften weitreichen- die das russische Netz vom globalen In- de Folgen für das russische, aber auch ternet abschirmt, ist noch außer Reich- das globale Internet haben. Ziel der russi- weite. Allerdings versucht die Regierung, schen Regierung ist es, das bislang noch „digitale Souveränität“ auf drei Ebenen weitgehend freie Internet unter staatliche gleichzeitig zu erreichen: Kontrolle der Kontrolle zu bringen. Russland zeichnet Infrastruktur, zentralisierte Verwaltung damit quasi seine Staatsgrenze in die digi- sowie Priorisierung inländischer Software tale Sphäre ein und schafft einen eigenen und Internetdienste. Rechtsraum für das nationale Segment im Cyberspace. Das Land entkoppelt sich vom Entkopplung wird nicht einfach global vernetzten Internet. Der Blick zurück zeigt, dass das russi- Die aufgeregten Reaktionen aus dem sche Internet seit Beginn der 1990er Jah- Ausland auf die Gesetzesänderung sind re Stück für Stück in das globale Internet nicht verwunderlich, denn bislang gibt eingebunden wurde. Über die Jahre hat es keinen Präzedenzfall, bei dem ein voll- sich so ein komplexes Gewebe an Netzin- Philipp Dietrich ständig ins Internet integrierter Staat ein frastruktur über das gesamte Land ge- studiert Politik- nationales Parallelsystem aufbaut, das völ- legt, mit unzähligen Knotenpunkten und wissenschaften, lig unabhängig vom internationalen Netz Verbindungen zum Ausland. Russland Geschichte, Wirt- schaft, Recht und operieren können soll. In einem solchen ist ein fester Bestandteil des globalen In- Soziologie am „souveränen Internet“ wäre der Staat die ternets geworden. Und auch im Land ist Sciences Po Paris zentrale Instanz, die die vollständige Kon- das Internet angekommen: Schätzungen und an der Higher School of Econo- trolle über den Informationsfluss ausübt. gehen davon aus, dass bereits fast 80 Pro- mics in Moskau Anders als China, wo die staatliche Kon- zent der Bevölkerung Zugang zum Netz (HSE). IP • März/April 2020 | 37
Titelthema Der kühle Krieger haben. Die infrastrukturelle Verflechtung Dies wird mit den drei Kernmaßnahmen Russlands mit dem globalen Internet er- der Gesetzesänderung verfolgt: schwert dabei eine zentralisierte Kontrolle 1. Internetanbieter werden verpflichtet, und macht eine vollständige Abschaltung staatlich vorgegebene Geräte „zur Ge- – wie b eispielsweise im Iran – nahezu fahrenabwehr“ in ihren zentralen Kno- unmöglich. tenpunkten zu installieren. Es steht zu Iran ist nur über wenige Knotenpunkte befürchten, dass mit diesen obligatori- ans Ausland angebunden. Falls auch nur schen Bauteilen Deep Packet Inspection eine dieser Verbindungsstellen ausfällt (DPI) gemeint ist, eine Technologie, die oder gekappt wird, droht die gesamte Inter- massenhaft Nutzerdaten auslesen, be- netverbindung des Landes zusammenzu- stimmte Nutzeranfragen verlangsamen brechen. Daher nennt man diese Knoten- oder gar blockieren kann. punkte auch „choke points“ („Engpässe“). 2. Eine Zentralverwaltung aller Telekom- Das Internet in Russland ist auch stark munikationsnetze wird eingerichtet, die von internationalen Internetunterneh- im „Gefahrenfall“ die komplette Kon men und ihren Diensten abhängig – zum trolle über den russischen Internetver- Beispiel von sozialen Netzwerken, Such- kehr übernehmen kann. maschinen, Finanzdienstleistungen und 3. Ein nationales russisches Domain-Na- Software as a Service (SaaS). Die US-Un- men-System (DNS) soll ab 2021 einge- ternehmen Google und Facebook gehören führt werden, das vollständig auf einer auch in Russland zu den meistgenutzten eigenen Infrastruktur basiert, d.h. aus Internetdiensten. Da ihre Nutzerdaten aber eigenen Root-Servern und Domain nicht in Russland gespeichert werden, hat- namen. Die Agentur Roskomnadsor te der KGB-Nachfolger FSB auf die Daten wird die Regeln für die Nutzung des bis zur jüngsten Gesetzesänderung nur nationalen DNS festlegen. sehr begrenzten Zugriff. Die Gesetzesänderungen sind vage for- muliert und müssten durch weitere Regie- Überwachung des Datenverkehrs rungsverordnungen ausgeführt werden, Dies soll sich nun grundlegend ändern: um tatsächlich angewendet werden zu Die Gesetzesänderungen, die im Novem- können. Im Ergebnis könnte dies zu star- ber 2019 in Kraft getreten sind, sollen ker staatlicher Überwachung und Zensur den russischen Behörden zentralisierte in Russland führen. Der Austausch von Befugnisse über das Internet geben. Ros regierungskritischen Informationen in- komnadsor, der föderale Dienst für die nerhalb der Zivilgesellschaft könnte viel Aufsicht im Bereich der Kommunikation, leichter eingedämmt werden. Aus Sicht Informationstechnologie und Massenkom- der russischen Regierung leuchtet dies ein, munikation, soll den Datenverkehr auf der Infrastrukturebene überwachen, steuern Alena Epifanova und gegebenenfalls abschalten. Die einzi- ist Programm- mitarbeiterin im ge Möglichkeit jedoch, staatliche Kontrolle Massenproteste sollen sich tatsächlich durchzusetzen, besteht darin, Robert Bosch- Zentrum für die Abhängigkeit von ausländischen Ser- bei den Parlaments- und Prä- Mittel- und Ost- europa, Russland vern und Diensten nach und nach abzu- sidentschaftswahlen 2021 bauen – und ein technisch souveränes und Zentralasien bei der DGAP. nationales Internet aufzubauen. und 2024 nicht wiederholen 38 | IP • März/April 2020
Schleichende Nationalisierung Titelthema denn gesellschaftlicher Druck baut sich vor allem im Internet auf: Regierungskritische Aktivisten und Videoblogger wie Alexei Nawalny oder Juri Dud erreichen mit ihren Videos und Social-Media-Posts ein Millio- nenpublikum, berichten über Korruption, Vetternwirtschaft und Machtmissbrauch und untergraben laufend die Legitimität des Regimes. Spätestens im Zuge der Massendemons- trationen nach den Wahlfälschungen 2011 wurde dieses Mobilisierungspotenzial deutlich. Damals rief die Opposition über das Internet zu Demonstrationen auf, de- Bild nur in nen sich Tausende Menschen anschlossen. Solche Proteste sollten sich aus Kreml-Sicht nach den kommenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2021 beziehungs- Printausgabe weise 2024 nicht wiederholen. Die geplante Zentralisierung des Internets soll für sol- che Fälle die Möglichkeit schaffen, das In- ternet schnell und effektiv einzuschränken verfügbar oder abzuschalten. Zudem ermöglichen die DPI-Systeme die Priorisierung des „traffic“, das heißt die Be- vorzugung oder Behinderung bestimmter Datenströme. So könnte der Abruf mancher Webseiten so verlangsamt werden, dass Nutzer zu anderen Angeboten wechseln – beispielsweise nicht länger Facebook ver- wenden, sondern die russische Plattform Vkontakte (VK). So werden potenziell auch Unterneh- Big Brother is watching you: Die geschlossene Infrastruktur eines eigenstän- digen Datennetzes, perfekt kontrollierbar, ist der Traum vieler Autokraten. men benachteiligt – und könnten dadurch unter staatlichen Druck und indirekte Kon- trolle kommen. Regierungsnahe Unterneh- Überwachung sehr groß sein. Somit macht men würden wiederum von der Priorisie- sich Russland zu einem unberechenbaren rung profitieren, weil ihre Daten schneller Partner für ausländische Unternehmen, übermittelt werden. Da die technischen die im Land geschäftlich aktiv sind oder Eigenschaften der Geräte zur „Gefahren- dort investiert haben. abwehr“, die installiert werden müssen, Mit den Kontrollmechanismen an der nicht definiert werden, und die Installati- Grenze und der Einführung eines DNS on und Anwendung völlig intransparent versucht die Regierung, das Internet in sind, dürften auch hier die Gefahren des Russland immer weiter zu isolieren. Sobald staatlichen Machtmissbrauchs und der alle Schaltstellen der Internetinfrastruktur IP • März/April 2020 | 39
Titelthema Der kühle Krieger zwischen Russland und dem Ausland un- und Messenger-Dienste, soziale Netzwerke ter Kontrolle der Behörden sind, können und Zahlungssysteme. Dadurch könnten leicht „choke points“ kreiert und Russland vielfältige Nutzerdaten leichter überwacht perspektivisch komplett vom globalen werden. Und es dürfte dazu führen, dass Internet abgekoppelt werden. die Qualität der russischen Software ab- Der Aufbau einer eigenen russischen fällt, da sie nicht mehr im Wettbewerb mit DNS und die Trennung russischer Web- internationalen Anbietern steht. seiten vom internationalen DNS würden In seiner Rede zur Lage der Nation im wahrscheinlich dazu führen, dass sie im Januar 2020 forderte Präsident Wladimir Rest der Welt nicht mehr verfügbar wären Putin, dass bei allen „sozial relevanten in- und russische Nutzer nicht mehr Zugriff ländischen Internetdiensten“ für die Nut- auf nichtrussische Webseiten hätten. Das zer kein Datenverbrauch mehr berechnet Internet würde zum „Splinternet“ zersplit- werden sollte. Eine Liste solcher Dienste tern, und nicht nur der technische Zusam- und das Verfahren soll die Regierung zu- menhalt zwischen Russland und dem Rest sammen mit der Präsidialadministration der Welt stünde auf dem Spiel. bestimmen. Auch wenn wiederum völlig offen ist, „Made in Russia“ wird bevorzugt um welche Dienste es konkret geht, ist die Doch unter dem souveränen Internet Strategie dahinter eindeutig: Russische versteht der russische Staat nicht nur die Nutzer sollen vor allem russische, besser Kontrolle der Internetinfrastruktur und die überwachbare Internetdienste nutzen. Da zentrale Verwaltung des Internets. Lang- internationale Unternehmen wie Google, fristig sollen ausländische Dienste durch Facebook und Co. nicht verboten werden russische Programme ersetzt werden. Ge- können, würden sie schlicht so erheblich mäß einer Regierungsrichtlinie soll bis benachteiligt, dass Nutzer sie verlassen 2021 der Anteil der inländischen Software und sich stattdessen – scheinbar freiwillig in Behörden und Kommunalverwaltungen – in ein Netz begeben, in dem der Staat sowie in staatlichen Unternehmen mehr größtmögliche soziale Kontrolle ausüben als 50 Prozent betragen. Derzeit verwen- kann. den Staatsunternehmen gerade einmal zu Auf allen Ebenen ist damit eine schlei- 10 Prozent Software aus Russland. chende Nationalisierung des Internets in Im Dezember 2019 wurde ein weiteres Richtung eines vollkommen souveränen Gesetz verabschiedet, das die obligato- russischen Netzes zu beobachten. Ob Russ- rische Vorinstallation von inländischer land dieses ambitionierte Ziel erreicht, Software auf Smartphones, Tablets, Com- bleibt noch offen, da die technische Um- puter und Smart TVs aller Gerätehersteller setzung äußerst schwierig ist. Die Entwick- vorschreibt. Bei der Auswahl der Software lung kann jedoch einen Präzedenzfall für ist für den Gerätehersteller entscheidend, andere nichtdemokratische Länder schaf- dass sie einen russischen Rechteinhaber fen, die mehr Kontrolle über die Informati- hat und in Russland vertrieben wird. Wel- onen ihrer Gesellschaften anstreben – und che Softwaretypen laut Gesetz bereits ab letztlich über die Gesellschaften selbst. dem 1. Juli 2020 vorinstalliert werden müs- Wie schon in China weitet sich also sen, ist noch offen. Höchstwahrscheinlich der „digitale Autoritarismus“ in Russland geht es dabei um Internet-Suchmaschinen, aus – mit Folgen, die den Europäern nicht Antivirus-Programme, Kartenprogramme gleichgültig sein können. 40 | IP • März/April 2020
Sie können auch lesen