Überholspur nach Moskau Frankreich

Die Seite wird erstellt Lea Hohmann
 
WEITER LESEN
Überholspur nach Moskau Frankreich
Titelthema                  Der kühle Krieger

Überholspur nach Moskau Frankreich
läuft Deutschland in der Russland-Politik
den Rang ab. Aber nur gemeinsame Initia-
tiven haben eine Chance auf Erfolg.
Von Liana Fix

                             W
                                       enn derzeit über Russland-Poli-     läuft Deutschland den Rang ab, zumindest
                                       tik gesprochen wird, dann geht      scheint es so. Ist es da auch für Berlin an
                                       es vor allem um Paris. Seit einem   der Zeit, seine Russland-Politik zu modifi-
                             halben Jahr bestimmt Frankreichs Präsi-       zieren? Hat Deutschland vielleicht zu lange
                             dent Emmanuel Macron die Agenda. Im           an seinem bisherigen „Post-2014“-Ansatz
                             August lud er Wladimir Putin zu einem         gegenüber Moskau festgehalten?
                             bilateralen Treffen in Fort Brégançon vor        Traditionell war in Europa stets
                             dem G7-Gipfel ein, gefolgt von einem Aus-     Deutschland die treibende Kraft in den Be-
                             tausch auf Ministerebene zwischen Paris       ziehungen zu Russland. Die deutsch-rus-
                             und Moskau. Auch das jüngste Treffen          sische Sonderbeziehung blühte nach der
                             im Normandie-Format fand im Dezember          Wiedervereinigung und dem Ende des
                             2019 in Paris statt. Und im November 2020     Kalten Krieges auf. Der Beginn der 2000er
                             jährt sich die „Charta von Paris für ein      Jahre unter Kanzler Gerhard Schröder und
                             neues E­ uropa“ zum 30. Mal – ein Anlass,     Putin gilt einigen als die „goldene Zeit“ in
                             den Macron für Gespräche über eine neue       den Beziehungen zwischen Berlin und
                             europäische Sicherheitsarchitektur nutzen     Moskau. Vor allem bei den Mittelosteuro-
                             möchte. Paris, Paris, Paris: Frankreich ist   päern hat diese Nähe jedoch nicht selten
                             auf der Überholspur nach Moskau.              für Misstrauen gesorgt: Deutschland hat
                                Für die deutsche Russland-Politik ist      es in dieser Zeit gerne der EU überlassen,
                             das eine neue und ungewohnte Situation.       Kritik an Russland zu üben.
                             Seit dem Beginn des Ukraine-Konflikts vor        In der französischen Politik spielte
                             sechs Jahren hat Berlin Europas Haltung       Russland dagegen immer dann eine Rol-
Liana Fix                    gegenüber Russland bestimmt und in der        le, wenn Frankreich sich seiner Groß-
ist Programm-                EU für Zusammenhalt und einen hart er-        machtambitionen wieder bewusst wurde.
leiterin im Bereich          worbenen Konsens gesorgt. Dieser wird         Das war im Georgien-Krieg 2008 der Fall,
Internationale
Politik der Körber-­         nun von Frankreich aufgebrochen und           als der damalige Präsident Nicolas Sarkozy
Stiftung.                    versuchsweise neu justiert. Frankreich        – stellvertretend für die Europäer, aber in

52 | IP • März/April  2020
Überholspur nach Moskau Frankreich
Überholspur nach Moskau                         Titelthema

französischer Mission – den Waffenstill-      sogar zu Hochzeiten des Kalten Krieges zu-
stand zwischen Tiflis und Moskau verhan-      verlässig funktioniert. Deshalb gilt es bis
delte. Im Ukraine-Konflikt überließ dann      heute als ein stabilisierender Faktor in den
Frankreich Deutschland die Führung:           Ost-West-Beziehungen. Für die Kritiker ist
François Hollande strebte weder nach          Nord Stream 2 die Gretchenfrage, an der
Nähe zu R­ ussland noch nach französischer    sich ein ernstzunehmender Wandel deut-
Großmacht. Bei Macron ist nun das gleiche     scher Russland-Politik festmachen ließe.
Muster wie bei Sarkozy erkennbar. Er folgt    Zweifelsohne hat Berlin die politischen
der Devise Charles de Gaulles: Frankreich     Konsequenzen eines Weiterbaus massiv
kann nicht Frankreich sein ohne Grandeur.     unterschätzt: Das Merkelsche Argument,
Und dazu gehört ein positives Verhältnis      ein russisches Gasmolekül bleibe ein rus-
zur anderen Großmacht auf dem Konti-          sisches Gasmolekül, egal ob es über die
nent: Russland.                               Ukraine oder die Ostsee komme, hat den
   Bis zum Ukraine-Konflikt wurde deut-       US-Senat nicht überzeugt. Die Pipeline
sche Russland-Politik von drei Prinzipien     wird nun voraussichtlich von Russland
geleitet: Aussöhnung, Einbindung und          selbst zu Ende gebaut werden müssen.
Annäherung. Im Grunde war es das Ost-            Deutsche Russland-Politik besteht also
politik-Credo in vielen Variationen: von      derzeit aus wenig mehr als Sanktionen
„Wandel durch Handel“ über „Annähe-           auf der einen und Nord Stream 2 auf der
rung durch Verflechtung“ (Frank-Walter        anderen Seite, gepaart mit einer bemüh-
Steinmeier 2006) bis zur „Modernisie-         ten Aufrechterhaltung des politischen
rungspartnerschaft“. Je länger Berlin an      Dialogs, der oft zu Frustration führt – ob
diesem Ansatz festhielt, desto lauter wurde   beim Petersburger Dialog oder der Hohen
der Vorwurf deutscher Naivität gegenüber      Arbeitsgruppe für Sicherheitspolitik auf
Russland. Die Krim-Annexion und der ver-      Ebene der Staatssekretäre. Die Gegen-
deckte Krieg in der Ostukraine führten zu     sätzlichkeit der Ansätze aus der Zeit vor
einer Zäsur und einer kurz- und mittelfris-   und nach 2014 macht diese Politik für die
tigen Neuausrichtung: Russland-Politik        europäischen Nachbarn zudem nur sehr
bestand nun vor allem daraus, die „Stel-      schwer nachvollziehbar. Kurz: Berlin tritt
lung zu halten“ und die gemeinsamen           in der Russland-Politik auf der Stelle. Was
europäischen Positionen zu verteidigen:       fehlt, ist eine langfristige Strategie.
die Sanktionen zu verlängern, die Abma-          Russland ist bereits jetzt nur noch auf
chungen von Minsk umzusetzen und einen        Platz 13 (nach Gesamtumsatz 2018) der
Ausverkauf der Ukraine – insbesondere in      wichtigsten Handelspartner Deutsch-
einem „grand bargain“ zwischen Trump          lands, und unter den jetzigen Bedingun-
und Putin – zu verhindern.                    gen besteht wenig Wachstumspotenzial.
   Gleichzeitig blieb eine Pfadabhängig-      Es ist daher unklar, auf welcher Basis
keit zur Russland-Politik vor 2014 beste-
hen: Trotz aller politischen und wirt-
schaftlichen Zweifel hielt Berlin am Bau
der Nord Stream 2-Pipeline fest. Aus Sicht
                                              Für Berlin ging es vor allem
der Befürworter galt es, nicht auch noch      darum, die „Stellung zu hal­
die letzte Säule der deutsch-russischen
Sonderbeziehung zu opfern. Schließlich
                                              ten“ und die gemeinsamen
habe das Gasgeschäft mit der ­Sowjetunion     Positionen zu verteidigen
                                                                                             IP • März/April  2020   | 53
Titelthema                  Der kühle Krieger

                             sich die deutsch-russischen Beziehungen          Nur geeint kann die EU kon­
                             in den nächsten zehn bis 15 Jahren ent-
                             wickeln werden. Gleichzeitig macht sich          struktiv auf Russland ein­
                             seit Langem eine „Russland-Müdigkeit“            wirken oder destruktiver
                             in Berlin bemerkbar. So setzt die deutsche
                             EU-Ratspräsidentschaft mit einem EU-Chi-         ­Politik etwas entgegensetzen
                             na-Gipfel und einem EU-Afrika-Gipfel ganz
                             andere Prioritäten. Selbst ein Gipfel zur
                             Östlichen Partnerschaft hat es nicht auf         notwendig. Auch wenn es selten eine ge-
                             die deutsche Agenda geschafft, sondern           meinsame Interessenslage gibt: Eine Ko-
                             wird im Juni in Brüssel stattfinden.             operation in diesen Fragen ist sachlich un-
                                 Es scheint, als ob in der Russland-Politik   umgänglich. Eine darüber hinausgehende
                             die Hoffnung auf eine positive Veränderung       geopolitische Annäherung („alignment“)
                             der Beziehungen abhandenge­kommen ist.           mit Russland à la Macron ist jedoch abwe-
                             Es ist das Ende einer strategischen Partner-     gig. Russland und China bleiben jeweils für
                             schaft; gleichzeitig schreckt die deutsche       sich alleinstehende Herausforderungen.
                             Politik davor zurück, Russland als strate-          Deutschland kann nicht wie Frank-
                             gischen Gegner zu sehen, wie von einigen         reich einen Großmachtansatz gegenüber
                             europäischen Mitgliedstaaten gefordert           Russland verfolgen. Aber gleichzeitig
                             wird. Ein solcher Ansatz wäre der deut-          sollte Berlin die Russland-Politik nicht
                             schen Öffentlichkeit kaum zu vermitteln.         völlig der Initiative Macrons überlassen,
                             Für sie ist Russland emotional besetzt. Die      sondern Themenfelder identifizieren, in
                             Deutschen befürworten laut einer Umfra-          denen es gemeinsam mit Frankreich aktiv
                             ge der Körber-Stiftung durchgängig mehr          die r­ usslandpolitische Agenda vorantrei-
                             Zusammenarbeit mit Russland. Zudem ist           ben kann.
                             „Decoupling“, oder auch „Entflechtung“,             Die fünf Russland-Prinzipien der ehe-
                             alles andere als ein populäres Konzept           maligen EU-Außenbeauftragten Federica
                             in der deutschen Außenpolitik, die auf           Mogherini vom März 2016 – die Umsetzung
                             den Grundprinzipien der multilateralen           von Minsk, die Stärkung der Beziehungen
                             ­Kooperation und Zusammenarbeit beruht.          zu den Nachbarn Russlands, Resilienz,
                              Und Russland ist aus vielen internationa-       selektive Kooperation und zivilgesell-
                              len Politikfeldern mittlerweile nicht mehr      schaftliche Zusammenarbeit mit Russland
                              wegzudenken.                                    – haben ihre Gültigkeit nicht verloren, aber
                                 Macron setzt auf Großmächtekooperati-        sie benötigen eine Überprüfung. So wäre
                              on: Er möchte eine gemeinsame Front mit         ein Austausch mit Russland über europä-
                              Russland bilden, um in einer von ameri-         ische Sicherheit im Interesse Frankreichs
                              kanisch-chinesischer Rivalität geprägten        – in vollem Bewusstsein, dass Russland
                              Weltordnung zu bestehen. Europa werde           unter anderem wegen seiner Verletzung
                              sich als Großmacht nicht behaupten kön-         des INF-Vertrags Teil des Problems euro-
                              nen, wenn es mit seinem großen Nachbarn         päischer Sicherheit ist, und nur begrenzt
                              auf dem Kontinent nicht auskomme, so            Teil der Lösung.
                              Macron. Der deutsche Ansatz ist sehr viel          Macron hat recht damit, das Thema
                              pragmatischer: Der Dialog mit Russland –        Rüstungskontrolle und strategische Sta-
                              vor allem bei internationalen Krisen wie        bilität hoch auf die französisch-russische
                              Libyen, Syrien oder Iran – bleibt dringend      „Agenda des Vertrauens und der Sicher-

54 | IP • März/April  2020
Überholspur nach Moskau                          Titelthema

heit“ unter Leitung des Diplomaten Pierre      Einigkeit vor Großmacht. Ohne die Un-
Vimont gesetzt zu haben. Und er hat recht      terstützung der Europäer wird Macrons
mit dem Argument, dass europäische Si-         Russland-Politik kaum Erfolg haben – und
cherheit nicht über die Köpfe der Europäer     die Skepsis in Mittelosteuropa ist groß.
hinweg zwischen den USA und Russland           Macrons Besuch in Warschau war ein
entschieden werden kann, so wie es mit         erster Schritt zur Vertrauensbildung, dem
dem Ende des INF-Vertrags geschehen ist.       ­weitere folgen müssen. Nur geeint kann
Dabei ist allerdings Augenmaß geboten:          die EU konstruktiv auf Russland einwirken
Das russische Angebot eines Moratoriums         und destruktiver Politik gegebenenfalls
für die Stationierung nuklearer Mittel-         ­etwas entgegensetzen.
streckenraketen, über das Macron gerne              Realistischerweise muss man allerdings
reden möchte, ist ein wenig hilfreicher          akzeptieren, dass die Aussicht auf Verän-
Vorschlag, wenn NATO-Partner davon               derungen innerhalb Russlands gering ist.
ausgehen, dass eben solche bereits von           Die jetzt in Windeseile in Moskau erarbei-
russischer Seite stationiert worden sind.        teten Verfassungsänderungen deuten auf
Insgesamt kann Deutschland bei diesem            eine Kontinuität der Herrschaftsform und
Thema jedoch gemeinsam mit Frankreich            der herrschenden Eliten nach 2024 hin,
einen sinnvollen Beitrag leisten.                dem Ende von Putins aktueller Amtszeit.
    Macron hat außerdem bereits angekün-         Ob der russische Präsident das „kasachi-
digt, an den Feierlichkeiten zum 75. Jahres-     sche Nachfolgemodell“ wählt, bei dem er
tag des Endes des Zweiten Weltkriegs im          im Hintergrund als graue Eminenz die Ge-
Mai 2020 in Moskau teilzunehmen. Solche          schicke lenkt, oder ein alternatives Modell
symbolischen Gesten machen einen wichti-         findet – verlassen wird er die politische
gen Teil der französischen Russland-­Politik     Bühne aller Voraussicht nach nicht. Umso
aus. Sollte sich die Bundeskanzlerin ent-        wichtiger ist es für die EU, ihre Prinzipi-
scheiden, es Macron gleichzutun, wird sie        en für die Zusammenarbeit mit Russland
auf einem schmalen Grat wandeln müssen           zu überprüfen und langfristig auszurich-
zwischen Gedenken einerseits und Zurück-         ten. Das können weder Frankreich noch
weisung von russischem Geschichtsrevisi-         Deutschland allein erreichen. 
onismus andererseits. Die Politisierung von
Geschichte zum Zwecke der Konstruktion
einer positiven russischen Großmachtidee
und der Rehabilitierung der Stalin’schen
Führung hat in der Rede Präsident Putins
kurz vor Jahresende einen neuen Höhe-
punkt erreicht. Auch Geschichtspolitik
ist damit ein Feld, in dem Deutschland –
­idealerweise gemeinsam mit Frankreich
 – klare Haltung zeigen sollte.
    Russland-Politik kann nur gemeinsam
 in Europa und nicht in einem französi-
 schen Solo gestaltet werden. Deutschland
 sollte die Rahmenbedingungen der neuen
 französischen Russland-Initiative mitde-
 finieren: Inklusivität geht vor Ambition,

                                                                                               IP • März/April  2020   | 55
Sie können auch lesen