Wirtschaftspolitik und wirtschaftliche Mitbestimmung in der Corona-Krise - David Mum - Gewerkschaft GPA Bildung
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Wirtschaftspolitik und wirtschaftliche Mitbestimmung in der Corona-Krise David Mum Stand: 24.05.2020
Themen • Ausmaß des wirtschaftlichen Einbruchs • Auswirkungen am Arbeitsmarkt • Unterschiedliche Betroffenheiten • Lehren/Erkenntnisse • Wirtschaftspolitische Reaktionen • Kosten für die Republik • Gewerkschaftliche Forderungen 3
Corona Wirtschaftskrise • Schärfster Einbruch der Weltwirtschaft seit dem 2. WK • Keine “klassische“ konjunkturelle Wirtschaftskrise • Andere Ursachen: Schockfrieren der Wirtschaft • Eine atypische Krise – sie trifft andere Sektoren als sonst • Normal: – konjunktursensible Bereiche Exportindustrie, Investitionen • Jetzt: – Dienstleistungen, Handel, Tourismus, … Industrie – V.a. personalintensive Branchen getroffen • Privater Konsum nicht konjunkturstabilisierend 4
Krisen • Krisen als Teil des Kapitalismus – Nachfrageeinbruch (z.B. nach kreditfinanzierter Spekulation) – Angebotsschock (z.B. Ölpreisanstieg, Verknappung) – Bereinigungskrise – Kapitalverwertungskrise • Corona: 2020: Angebots- und Nachfrageschock! – Keine Nachfrage nach Reisen, … – Kein Angebot, weil Sperren der Betriebe, des Flugverkehrs, Störung der Lieferketten,.. 5
Wachstum des BIP-real seit 1995 Wachstum BIP real Aufschwung 2016 – 2018 Erholung nach Einbruch 4 3,6 3,6 3,4 3,5 3,7 2,7 2,9 2,5 2,4 2,3 2,1 2,2 2,1 Corona- 1,9 1,8 2 1,7 1,5 1,7 Krise 1,3 0,9 1,0 0,7 0,7 0 0 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 IWF WIFO Mai pessimist. WIFO Mai -2 Sparpolitik und Stagnation -4 -3,8 -5,2 -6 Finanz- und Wirtschaftskrise -7 -8 -7,5 Quelle: WIFO – Prognose, 05/20 6
Arbeitslosigkeit 1980 bis 2020 Vorgemerkte Arbeitslose 600 000 500 000 400 000 300 000 200 000 100 000 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 März 2020 Vorgemerkte Arbeitslose Quelle: AMS, Arbeitsmarktlage seit 1946, inkl. April 2020 Quelle: AMS 05/2020 13
Arbeitslose Personen April 2020 18.085 Arbeitskräfteüberlassung 48.395 4.477 Gesundheit- und Sozialwesen 12.466 68.523 Beherbergung und Gastronomie 114.656 14.788 Verkehr und Lagerei 30.292 27.152 Handel 69.981 19.182 Bau 36.326 14.963 Herstellung von Waren 37.416 0 20.000 40.000 60.000 80.000 100.000 120.000 140.000 Veränderung zum Vorjahr absolut Bestand Quelle: BMASK 05/2020 14
Arbeitslose nach Bildung Arbeitslose Personen April 2020 48,20% Personen mit akademischer Ausbildung 11.470 35.284 73,40% Personen mit höherer Ausbildung 25.111 59.345 70,50% Personen mit mittlerer Ausbildung 11.422 27.623 83,00% Personen mit Lehrausbildung 74.402 163.991 74,00% Personen mit max. Pflichtschulausbildung 97.246 228.738 0 50.000 100.000 150.000 200.000 250.000 prozuentuelle Zunahme Veränderung zum Vorjahr absolut Bestand 16
Arbeitslose nach Alter Arbeitslosigkeit nach Altersgruppen 54,90% Ältere (50 Jahre und älter) 53.500 150.862 82,80% Haupterwerbsalter (25 bis 49 Jahre) 140.526 310.175 109,20% Jugendliche (unter 25 Jahre) 31.952 61.216 0 50.000 100.000 150.000 200.000 250.000 300.000 350.000 Steigerung Zuwachs Stand Quelle: BMASK 05/2020 17
Entwicklung der Beschäftigung im April gegenüber Vorjahresmonat Angestellte und BeamtInnen ArbeiterInnen Wirtschaftsklasse unbekannt 4,5% -6,3% Exterritoriale Organisationen und Körperschaften -2,4% -7,6% Private Haushalte mit Hauspersonal; Herstellung von Waren… -1,0% -6,0% Erbringung von sonstigen Dienstleistungen -4,8% -22,3% Kunst, Unterhaltung und Erholung -7,9% -23,8% Gesundheits- und Sozialwesen 0,5% 5,5% Erziehung und Unterricht -1,6% -14,6% Öffentliche Verwaltung, Verteidigung; Sozialversicherung -0,2% -2,0% Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen -4,3% -19,3% Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen… 0,6% -14,0% Grundstücks- und Wohnungswesen 1,2% -8,0% Erbringung von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen -0,1% -12,8% Information und Kommunikation 3,6% -7,4% Gastgewerbe / Beherbergung und Gastronomie -14,7% -43,2% Verkehr und Lagerei -1,9% -10,9% Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen -2,0% -6,4% Baugewerbe / Bau -1,1% -6,9% Wasserversorgung; Abwasser- und Abfallentsorgung… 3,3% -0,7% Energieversorgung 0,1% -0,4% Verarbeitendes Gewerbe / Herstellung von Waren 0,0% -3,8% Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden -0,4% -5,9% Land- und Forstwirtschaft, Fischerei -2,2% -7,7% -0,9% insg. -11,8% -50,0% -40,0% -30,0% -20,0% -10,0% 0,0% 10,0% 20
Kurzarbeit & Arbeitslosigkeit • Kurzarbeit: – Ca 1,3 Mio Menschen, 12 Mrd. bereitgestellt – Staat übernimmt großen Teil der Personalkosten – 80 – 90 % Nettoersatzrate, volle Beitragsgrundlage Sozialversicherung – Nach Kurzarbeit hoffentlich wieder Vollzeitbeschäftigung, selber Arbeitsplatz • Arbeitslosigkeit: – 55 % Nettoersatzrate – Geringere Pensionsansprüche (70 % des Beitragsgrundlage des Erwerbseinkommens) – Risiko Langzeitarbeitslosigkeit – Kleiner Familienhärtefonds, Notstandshilfe in Höhe Arbeitslosengeld bezahlt (1.3. bis 30.9., verlängerbar bis 31.12.) • Geplant: – Neustartbonus, 28 Wochen, bei mind. 20 Stunden Aufstockung auf 80% des KV Gehalts oder Gehalt davor 21
Wen die Krise wie trifft Analyse von Kalleitner und Schiestl vom Institut für Wirtschaftssoziologie der Uni Wien • Instrumente wirken, erreichen aber nicht alle ! • Einkommenseinbußen sind ungleich verteilt. – Einkommenseinbußen vor allem bei Personen, die bereits vor der Krise ein niedriges Haushaltseinkommen hatten. – Breite Bevölkerungsschichten sind in Kurzarbeit, die hilft vor allem mittleren Einkommensgruppen – Personen in Home-Office finden sich vor allem in höheren Einkommensschichten. Diese mussten nur geringe Einnahmeeinbußen verzeichnen. – Ohne weiteres Gegensteuern kann die Coronakrise also zu einer Erhöhung der Ungleichheit führen. Analyse von Kalleitner und Schiestl: https://viecer.univie.ac.at/coronapanel/corona-blog/corona-blog- 22 beitraege/blog07/ (15.04.2020)
Home Office steigt mit Bildung Analyse von Kalleitner und Schiestl: https://viecer.univie.ac.at/coronapanel/corona-blog/corona-blog- beitraege/blog07/ (15.04.2020) 23
Umfrage unter Familien SORA für Moment Institut (Quelle: https://www.momentum-institut.at/news/oesterreichs-familien-strampeln-durch-die-corona-krise-jede-zweite- stark-belastet?_ga=2.102320833.1703008913.1590223568-690878358.1588830248 ; 25.05.2020) 24
Lehren aus der Krise • Pandemie hat Ursache nicht im Neoliberalismus • Aber verheerende Auswirkungen schon • Solidarische Gesellschaften können mit Krise besser umgehen • Öffentliche Einrichtungen, v.a. öffentliches Gesundheitssystem • Sozialstaat sichert Existenzen • Arbeitsrechtliche Absicherung – Geht man krank arbeiten? 27
Gegensteuern • Wirtschaftspolitische Maßnahmen – Ohne Staat geht es nicht – Kurzarbeit 1,3 Mio. Menschen – Stabilisierung von Beschäftigung – Hilfen für Unternehmen: Stundungen, Garantien, Umsatzersatz – Ziel: Erhalt wirtschaftlicher Substanz, sonst dauernde Wohlfahrtsverluste – Öffentlicher Konsum und öff. Investitionen sind enorm wichtig! – 1 Mrd. Euro kann 20.000 Arbeitsplätze finanzieren 28
Resilienz hilft in der Krise • Ist soziale Absicherung unabhängig von Finanzmärkten? • Haben Unternehmen stabile KerneigentümerInnen/Aktionäre - oder Streubesitz und Gefahr von Übernahmen • Aktienmärkte seit Finanzkrise 2009 in Höhenflug, jetzt enorme Einbrüche – S&P 500 Index Verfünffachung von März 2009 bis Mitte Februar 2020. – das nominelle BIP stieg in den USA 2009 bis 2019 um ca. 50 %! – Heuer Einbruch um ein Drittel 30
S&P 500 Quelle: https://www.finanzen.net/index/s&p_500 ; 23.5.2020 31
Corona Maßnahmenpaket • Corona Hilfsfonds 28 Mrd. Euro – Corona Hilfsfonds 15 Mrd. Euro • COFAG Kreditgarantien und Zuschüsse – Kurzarbeit 10 Mrd. (12) Euro – Härtefallfonds 2 Mrd. Euro – Sonst. 1 Mrd. Euro • Steuerliche Maßnahmen (insb. Stundungen) 10 Mrd. Euro • Kreditgarantien und Haftungen 9 Mrd. Euro Quelle: AK 37
EU EZB • Aussetzen EU-Defizit- und Schuldenregelungen • Quantitative Easing QE • EZB kauft Staatsanleihen – keine Eurokrise – niedrige Zinsen für Staatsschulden • Nov 2019: APP unbefristetes Wertpapierankaufprogramm (APP Asset Purchase Programme) 20 Mrd. € pro Monat – 2020 um 120 Mrd. aufgestockt • PEPP Pandemic Emergency Purchase Programme von 750 Mrd. Euro 18.3. beschlossen bis Jahresende – Abweichung des Ankaufvolumens von regionalen Quoten und Anlageklassen des APP möglich • Zinssatzunterschiede (Spreads) gesenkt • frühestens im Jahr 2023 eine Erhöhung der Leitzinssätze erwartet (WIFO) 38
Quantitative Easing – nicht inflationstreibend Quelle: OeNB, 20.4.2020 39
Gemeinsame Lösungen ? • Die Corona Krise ist keine Prüfung für “brave“ Budgetpolitik • Corona Bonds / Euro Bonds – Getrennte Finanzierungen ermöglichen Spekulationen gegen einzelne Staaten – Gemeinsame Anleihen verhindern das und ermöglichen günstigere Finanzierung • Merkel-Macron-Plan – 500 Milliarden Euro Fonds – Zuschüsse an notleidende Staaten, die nicht in Form von Krediten zurückgezahlt werden müssen. 500 Mrd. Euro gemeinsam von EU aufgenommen – Dagegen „Sparsame Vier" (Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark) Kredite statt Zuschüsse – Neu: EU-Kommission plant Wiederaufbaufonds von rund 750 Milliarden Euro. 500 Milliarden nichtrückzahlbare Zuschüsse an bedürftige Staaten, 250 Milliarden zinslose Darlehen. 40
Entspannung nicht durch Sparpolitik sondern EZB Politikwechsel
Staatsschuldenquote Österreich Coronakrise 90 85 Finanzkrise 80 75 70 65 60 55 50 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 43
Finanzierung • 1. Steuererhöhungen ? • 2. Staatsverschuldung – Staat borgt sich Geld (Staatsanleihen) auf Finanzmärken • 3. Monetäre Staatsfinanzierung – Geld wird geschaffen und Staat zur Verfügung gestellt • Gegenwärtig Mischung aus 2 und 3 • Schuldenbremse wäre jetzt ein Killer 44
Österreich Neu starten • Arbeitslosigkeit auf Niveau 2019 reduzieren • Sozialökolog. Umbau - Investitionsprogramm – Öff. Verkehr, Thermische Sanierung • Öffentlich finanzierte Beschäftigung in Bereichen mit Bedarf: Gesundheit, Pflege, Bildung • Arbeitszeitverkürzung • Nein zu prekärer Beschäftigung • Keine Steuergeschenke für Lobbies (z.B. KöSt-Senkung, Abschaffung Aktienkursgewinnbesteuerung) • EU Goldene Investitionsregel • Beitrag der Reichen • kritische Infrastruktur und Technologieunternehmen vor "Ausverkauf" schützen 59
Forderungen • Erhöhung des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe auf 70% Nettoersatzrate • Corona 1000er für Systemerhalter*innen – aber v.a. faire Bezahlung! • Konsum direkt mittels Gutscheine forcieren – – Durch eine soziale Staffelung könnten pro Person bis zu 1.000 Euro zur Verfügung gestellt werden • Chance 45: – über 45 Jahren die länger als zwei Jahre arbeitslos waren, sollen langfristig Arbeitsplätze geschaffen werden. • proaktive Qualifizierungs- und Ausbildungsoffensive – Branchen mit hoher Arbeitslosigkeit oder Änderungsbedarf – Fachkräftestipendium 100 Mio. Euro und das Qualifizierungsgeld 360 Mio. Euro bereitgestellt werden. – Arbeitsstiftungen 60
Forderungen • Kurzarbeit verlängern • Ausbau der Überbetrieblichen Lehrausbildung – Jugendarbeitslosigkeit verdoppelt – 60.000 junge Menschen unter 25 Jahren sind arbeitslos. – 7.500 Lehrstellen fehlen – ÖGJ: Corona -Not-Ausbildungsfonds: 140 Mio. Betriebe unterstützen, die trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten wegen der Corona-Krise Lehrlinge ausbilden wollen. • Kooperationen zwischen wachsenden und schrumpfenden Unternehmen (Klimawandel) • Schaffung einer staatlichen Abwicklungsgesellschaft. – Unternehmen, bei denen eine Finanzierungsunterstützung nicht reicht, müssen in eine Staatsholding übergeführt werden und dort abgewickelt oder rekapitalisiert werden 61
Beitrag der Reichen • Millionärssteuer: Erbschafts- und Vermögenssteuer Vermögen ab 1 Mio. Euro • Befristete Vermögensabgabe ab 10 Mio. Euro Nettovermögen – 2 % ab 10 Mio., 3% ab 100 Mio., 4% ab 1 Mrd. • KESt auf Dividenden auf 35% • Spitzensteuersatz ab 1 Mio. Euro auf 75% 62
Perspektive • Wir werden weiter einen starken Staat brauchen – Nein zu Austerität! – Abhängigkeiten überwinden – z.B. 24 Stundenpflege, Medikamentenversorgung • Nicht Institutionen schwächen, mit denen man Krisen meistern kann • Widerhochfahren der Unternehmen • Herausforderung: Bleibende Veränderungen verändern auch Wirtschaftsstruktur – z.B. weniger internationaler Tourismus? – Weniger Geschäftsreisen – weniger Flüge – Mehr online Handel ? – Mehr Home Office ? 65
Weitere Infos • http://www.kompetenz-online.at/ • https://awblog.at/ • https://www.moment.at/ 66
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