Skoliosis Projekt 2008 - Erfahrungsbericht von Kathrin Hug Christian Renfer Dr. Matthias Rießland

 
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Skoliosis Projekt 2008 - Erfahrungsbericht von Kathrin Hug Christian Renfer Dr. Matthias Rießland
Skoliosis Projekt 2008
Erfahrungsbericht
von
Kathrin Hug • Christian Renfer • Dr. Matthias Rießland

September 2009

© Hug, Renfer, Rießland                                  1
Skoliosis Projekt 2008 - Erfahrungsbericht von Kathrin Hug Christian Renfer Dr. Matthias Rießland
B ... wie Basil
S ... wie Skoliose Projekt 2008
W ... wie `Wedel´, Wirksamkeit,
       Wirtschaftlichkeit

Das Skoliose Projekt 2008 wurde konzipiert und durchgeführt von
Dr. Eilat Almagor, Anat Krivine, Nancy Aberle und Dr. med. Wolfgang
Steinmüller. Das Lehren und Lernen der beiden ausgewiesenen
Feldenkrais Trainerinnen Dr. Eilat Almagor und Anat Krivine sucht
ihresgleichen und basiert auf langjährigen Erfahrungen aus deren
Praxis in Israel, vielen internationalen Advanced Trainings und
Ausbildungen. Die durch sie präsentierte Form der Feldenkrais-
Methode soll die Wirkungsweise der Methode, gerade für Skoliose-
Betroffene, als einen fruchtbaren und wissenschaftlich fundierten
Weg offen legen.

Eine weitere Besonderheit an diesem Projekt war die Beteiligung und
das „Hand-in-Hand-Arbeiten“ zwischen Skoliose-Betroffenen,
Feldenkrais-Practitioner, Trainerinnnen und Organisatoren. Diese
Herausforderung wurde in professioneller Art und Weise vom Team
„Feldenkrais Post-Graduate Studies Zürich“ um Nancy Aberle und Dr.
med. Wolfgang Steinmüller ausgezeichnet gemeistert.

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Eine sehr ungewöhnliche Erfahrung aus dem Skoliose Projekt
2008 in Zürich

Basil   ist 37 Jahre alt und lebt seit seinem 7.
Lebensjahr in einem Heim für geistig und
körperlich behinderte Menschen. Er wurde
mehrfach geistig und körperlich behindert
geboren: er ist fast blind (kann vermutlich
Schatten sehen), hat eine Aphasie, Spastizität in
den Extremitäten und in der Folge Kontrakturen
in beiden Ellbogengelenken, weniger in den Knie-
und Fussgelenken, einen Klumpfuss rechts
(operiert) und leidet an einer angeborenen
Skoliose der Brust und Lendenwirbelsäule. Er
lernte erst mit 13 Jahren laufen. In seinem Alltag ist er auf volle
Unterstützung angewiesen. Seit 3 ½ Jahren (ab Januar 2006) bekommt er
regelmässig einmal pro Woche Feldenkrais Einzelstunden von Kathrin Hug.

Dank dem Willen der Heimleitung, der Eltern, Kathrin und den
Organisatoren war es möglich, dass Basil als Klient am Skoliose Projekt
2008 in Zürich teilnehmen konnte.

Eine Bedingung der Organisatoren war, dass          während des gesamten
Projektes die 3 gleichen FK LehrerInnen mit Basil arbeiteten. Dies waren
Kathrin Hug, Christiane Renfer, Matthias Rießland. Basil wurde jeden Tag
mit dem Zug von Thun nach Zürich und nach der Veranstaltung wieder
zurück gebracht. Eine enorme Leistung und engagierter Einsatz von Basil
und den BegleiterInnen. Jedoch ebenso ein nicht immer einfaches
Unterfangen, da z. B. Basil auf diesen Reisen auf die Idee kam, nicht mehr
aus dem Tram auszusteigen.

Skoliose Projekt 2008 – Während der drei jeweils fünftägigen Segmente
des Projektes wurden u. a. regelmässig Messungen mit den Klienten
durchgeführt, um festzustellen, wie und ob sich die Beweglichkeit der
Wirbelsäule verändert. ATMs, Vorträge, FIs und Demonstrationen regten
zum täglich Austauschen an. Zudem gab es Feedbackrunden zwischen
Klienten, Trainerinnen und Organisatoren. Alle Beteiligten erhielten nach
jedem Segment CDs mit den unterrichteten und simultan übersetzten
ATMs. Den Betroffenen wurde empfohlen zwischen den Segmenten mit den
ATMs auf den CDs zu arbeiten und FIs zu nehmen.

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In unserer Dreiergruppe stellte sich die Frage, wie wir Fortschritte, die
Basil machte, messen und dokumentieren können, da wir die üblichen
Messungen nur bedingt durchführen konnten. Basil kann sich nicht verbal
in Sprache, jedoch über Laute und Gestik, über seine Veränderungen
äussern. Dennoch versuchten wir, wie bei allen anderen Betroffenen auch
durchgeführt, seine Körpergrösse vor und nach den ATMs und FIs im
Stehen zu messen. Überraschender weise verstand Basil nach 2 Tagen,
wann und vor allem wohin er zur „Messstelle“ gehen musste. Wir staunten
über seine Art sich im Raum zu orientieren, Basil sieht fast nichts. Auch
konnten wir feststellen, dass er nach einer FI 3 cm grösser war. Zudem
wurde Basil beim Gehen mit Video aufgenommen. Hier war deutlich zu
sehen, dass er sein Gewicht gleichmässiger auf seinen Füsse verteilte, sein
Gewicht und seinen Körper besser balancierte. Dies bereitete ihm sichtlich
Freude. Während den ATMs lag Basil jeweils auf der Liege und nahm so an
der ATM teil, manchmal schlief er dabei ein und manchmal schien er
aufmerksam zu horchen. Basil sprach mit seinem Körper.

Wedel – Basils klopft, wenn er wach ist, mit einer
weichen Puppe oder einem Tuch, genannt Wedel,
rhythmisch auf seine Brust. Bei der FI muss er den
Wedel abgeben und bekommt ihn danach wieder,
wenn er ihn nicht schon selbst gefunden hatte. In
der Einzelarbeit bei Kathrin gibt er gleich zu Beginn
den Wedel freiwillig ab.

Während dem Projekt konnten wir feststellen, dass
Basil sehr empfindlich und empfindsam auf die
Qualität unserer Berührungen reagierte. Bei
Irritationen oder Unsicherheiten auf beiden Seiten, zeigte er sein
Unbehagen direkt, indem er wie verrückt nach seinem Wedel suchte,
Spannung aufbaute, sich wegdrehte oder sich nicht mehr einlassen
konnte. Je mehr wir einen Zugang zu Basil fanden und unsere Absicht
„klarer“ wurde, desto mehr horchte er nach innen, reduzierte sich seine
Muskelspannung und differenzierte Bewegungen wurden möglich. Wir
hatten deutlich die Empfindung mit seinem System im Dialog zu sein. Wir
haben gelernt uns auf Basil einzustellen und durften erleben, dass er vor
Freude jauchzte wenn er zu uns kam und nach einer gelungenen FI nicht
gleich den Wedel suchte.

Wir hielten es für angebracht, Basils Begleitperson in seinen Prozess zu
integrieren. Sie bekam parallel zu Basil eine Einzelstunde und nahm an
den öffentlichen ATMs teil. Denn die Entfaltung der Aufmerksamkeit durch

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die Feldenkrais-Methode sollte bei allen Beteiligten ermöglicht werden, so
unsere Idee.

Wirksamkeit – Auch wenn Basil vermutlich nie Worte sprechen und sein
Leben lang auf Hilfe angewiesen sein wird, so macht er, vor allem seit
Kathrin vor drei Jahren mit ihm angefangen hat zu arbeiten, kontinuierlich
kleine Fortschritte. Durch die Teilnahme am Skoliose Projekt hat Basil nach
Beobachtungen und Aussagen von seinen Betreuungspersonen und Kathrin
einen riesigen Entwicklungssprung gemacht. Die Einbindung der
Betreuungspersonen spielt unserer Meinung nach dabei eine wesentliche
Rolle. So hat Kathrin Basils Betreuer angeleitet, jeden morgen vor dem
Aufstehen, seine Zehen á la Feldenkrais zu bewegen, damit er ein besseres
Bewusstsein für seine Füsse und sein Balancieren des Gewichtes auf den
Füßen bekommen soll. Nach dem 2. Segment hatte Kathrin die Idee, Basil
zu Hause in seiner gewohnten Umgebung einmal die Woche eine ATM von
den Projektsegmenten anhören zu lassen. Das wird noch stets gemacht.
Ferner nimmt er seit November 08 einmal in der Woche an einer ATM
Gruppe für die Heimbewohner teil.

Basils Fortschritte seit der Teilnahme am Skoliose Projekt

Auf der sensomotorischen     Ebene: Basil gehe sicherer und länger. Habe
man ihn früher „anschieben“ oder mitziehen müssen, so brauche er heute
nur ganz wenig Führung, beziehungsweise gehe allein, wenn er sich
auskenne. Dadurch könne man ihn auch auf längere Ausflüge mitnehmen.

Auf der psychischen Ebene: Basil zeige mehr Lebensfreude. Früher sei er
morgens häufig nicht gerne aufgestanden, habe depressiv gewirkt. Nun
stehe er immer gerne auf und könne morgens auch seine Zehen selber
bewegen. Auch sein Selbstbewusstsein sei seither gewachsen: So komme
es vor, dass er Initiative zeige, z. B. selber zur Toilette zu gehen oder zu
versuchen, das Geschirr auf seine Art abzuräumen oder aufzustehen, um
sich ein Tuch zu holen. Er putze sich selber die Zähne (mit etwas
Nachhilfe), wasche sich selber die Hände und reagiere auf Aufforderungen,
so die Beobachtungen.

Kathrin stellt fest, dass   Lernerfolge nach Feldenkrais-Einzelstunden bei
Menschen mit geistigen und physischen Behinderungen schneller zu sehen
seien als bei Erwachsenen (wie auch bei der Arbeit mit Kleinkindern) und
das „wirklich“ Gelernte im Alltag integriert werde. Der Entwicklungsschub,
der durch die Teilnahme am Skoliose Projekt eintrat, spreche auch dafür,
periodisch intensiv zu arbeiten, um das System für Lernprozesse
empfänglich zu machen.

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Unsere Erfahrungen mit Basil verdeutlichen, dass Entwicklung eines
Menschen stets möglich ist. Voraussetzung ist, dass dafür entsprechende
(strukturelle, finanzielle und politische) Rahmenbedingungen geschaffen
werden.

Wirtschaftlichkeit        – Wie kann man diese Frage in diesem Kontext
beantworten?

Basil erbringt im üblichen Sinne keine gesellschaftliche Leistung, durch
seine Entwicklung wird die Arbeit der Betreuungspersonen jedoch
einfacher und leichter. Diese Arbeit unterstützt die Entwicklung und
Entfaltung behinderter Menschen und versetzt sie in die Lage, mit ihren
Betreuern Selbstverständliches gemeinsam neu zu entdecken!

Für weitere Fragen und Informationen stehen wir gerne zur
Verfügung:

Kathrin Hug, Balmweg 29, CH-3653 Oberhofen,
phone: +41 33 2431 934, mailto: tanzmithug@bluewin.ch

Christina Renfer, Limmattalstr. 209, CH-8049 Zürich,
phone +41 78 771 12 82, mailto: info@feldenkrais-renfer.ch

Dr. Matthias Rießland, Karlstr. 74, D-64285 Darmstadt,
phone +49 6151 42 13 55, mailto: kontakt.riessland@mac.com

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