Vorsorgeanreize durch Ergänzungsleistungen zur GRV-Rente
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Vorsorgeanreize durch Ergänzungsleistungen zur GRV-Rente Wolfgang Buhl, Brigitte L. Loose Aktuelle Reformvorschläge zur Armutsvermeidung fokussieren in einer eher kurzfristig ausgerichteten Perspektive vor allem auf eine nachträgliche Behebung von Armut bzw. die „Reparatur“ von bereits ein- getretenen finanziellen Versorgungsdefiziten im Alter. Die dauerhafte Kompensation von in der Erwerbsphase entstandenen Einkommensdefiziten durch das System der Alterssicherung birgt jedoch nicht nur legitima- torische Risiken für das Alterssicherungssystem insgesamt, sondern ignoriert auch die von solchen Regelungen ausgehenden Anreize. Sofern man negative Vorsorgeanreize für Geringverdiener als mögliche Ursache von Altersarmut ansieht, sollten die entsprechenden Reformansätze gezielt darauf ausgerichtet werden, dieser Ursache entgegenzuwirken. 1. Reformdiskussion haben, ist zu erwarten, dass das Thema in der neuen Auch wenn Armut – gemessen an der Quote der Legislaturperiode erneut auf der Tagesordnung Grundsicherungsbeziehenden – im Alter aktuell in stehen wird. deutlich geringerem Maße auftritt als in der jüngeren Grundsätzlich geht es bei der Diskussion um die Ver- Bevölkerung1, wurde die Reformdiskussion in der meidung von Altersarmut – unabhängig von der Stär- 17. Legislaturperiode wesentlich von der Frage be- kung von Vorsorgeanreizen und dem Ziel, dass lang- stimmt, wie der Gefahr einer künftig zunehmenden jährig Versicherte im Alter über ein Einkommen jen- Altersarmut am besten begegnet werden könne. Im seits der Grundsicherung verfügen sollen – letztlich Hintergrund stand das bereits im Okto- um die Frage, wie eine bessere Verzah- ber 2009 im Koalitionsvertrag von CDU, nung des auf Beitragsäquivalenz beru- Wolfgang Buhl und henden Versicherungsprinzips in der CSU und FDP formulierte Regierungs- Brigitte B. Loose ziel, die Altersarmut zu bekämpfen . Im 2 Alterssicherung mit dem bedarfsorien- arbeiten im Bereich tierten Fürsorgeprinzip in der Grund- Rahmen des rd. zwei Jahre später vom Entwicklungsfragen Bundesministerium für Arbeit und So- sicherung erreicht werden kann. Die der Sozialen Sicher- zentrale Herausforderung stellt dabei ziales (BMAS) anberaumten „Renten- heit und Altersvor- dialogs“ begann eine kontroverse der sich in den unteren Einkommensbe- sorge der Deutschen reichen differenzierende Arbeitsmarkt Debatte um das vom Ministerium vor- Rentenversicherung dar, der die Gefahr birgt, dass aus nicht gelegte Konzept der Zuschussrente3. Bund. existenzsichernden Erwerbsverhältnis- Nach diesem Konzept sollte der durch sen eine nicht existenzsichernde Rente Beiträge erworbene Rentenanspruch im Alter resultiert. langjährig Versicherter – die zusätzlich vorgesorgt haben – angehoben werden, sofern er sonst geringer Mit Ausnahme der Konzepte für eine bedingungslose als 850 EUR/Monat wäre. Auf diese Weise sollten die Grundrente setzen die meisten derzeit diskutierten auf Beitragszahlungen beruhenden Leistungen der Reformvorschläge nach wie vor auf die grundlegende gesetzlichen Rentenversicherung (RV) gegenüber der Annahme, dass Alterssicherung aus Erwerbsarbeit Grundsicherung – die ohne jede Vorleistung bezogen und daraus finanzierter individueller Altersvorsorge werden kann – attraktiver gemacht werden. Wer viele erwächst – sei es in der gesetzlichen RV oder in der Jahre vorgesorgt hat, sollte im Alter mehr erhalten zweiten und/oder dritten Säule. Die daraus resultie- als derjenige, der das nicht getan hat und ihm sollte rende zentrale Schlüsselrolle des Erwerbssystems für der Gang zum Sozialamt erspart bleiben. die Alterssicherung insgesamt spielt hingegen in der Allerdings stellte sich der vom BMAS vorgelegte 1 Vgl. BMAS (2012): Lebenslagen in Deutschland. Der Vierte Reformvorschlag einer Zuschussrente – später vom Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Ministerium selbst modifiziert als „Lebensleistungs- 2 Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Der Koalitionsvertrag zwi- rente“ – nicht als konsens- oder mehrheitsfähig schen CDU, CSU und FDP; Punkt III. 8. des Koalitionsvertrags, heraus. Kritisiert wurden u. a. die fehlende Ziel- S. 84: www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/091026- genauigkeit, die systemfremde Vermischung von Ver- koalitionsvertrag-cducsu-fdp.pdf. 3 sicherungs- und Fürsorgeprinzip in der gesetzlichen Vgl. BMAS, Informationen für die Presse – Regierungsdialog RV und die mangelnde Kosteneffizienz der Reform- Rente, Stand 9. 9. 2011. 4 maßnahme4. So z. B. der Sozialbeirat, vgl. Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2011. Eine genereller Überblick Da jedoch alle in den neuen Bundestag gewählten über die Diskussion findet sich bei: Dünn, Stosberg (2013), Das Parteien in ihren Wahlprogrammen Maßnahmen zur „Rentenpaket“ – Rückblick und Vorschau. In: RVaktuell 6/2013, Vermeidung eines Anstiegs der Altersarmut gefordert S.119–126. 272 RVaktuell 10/2013
Frage der Altersarmutsvermeidung eine eher unter- Altersarmut ansieht, sollten die entsprechenden geordnete Rolle. So fokussieren die Reformvorschläge Reformansätze in diesem Sinne auch gezielt darauf der Parteien zur Armutsvermeidung in einer eher ausgerichtet werden, dieser Ursache entgegen zu kurzfristig ausgerichteten Perspektive auch auf eine wirken. Letztlich geht es also auch hier um ein mög- nachträgliche Behebung von Armut bzw. die „Repa- lichst effizientes Zusammenwirken von beitragsorien- ratur“ von bereits eingetretenen finanziellen Ver- tiertem Versicherungsprinzip und bedürftigkeits- sorgungsdefiziten im Alter – und zwar vor allem orientierter Grundsicherung. durch nicht beitragsorientierte Aufstockungen der gesetzlichen Rente. Die strategische Ausrichtung auf 2. Institutionelle Aufgabenteilung bei der eine vorsorgende Vermeidung von Altersarmut, die Einkommenssicherung im Alter darauf zielt, vorausschauend fürsorgebedürftige Im bestehenden System der Einkommenssicherung Alterseinkommenssituationen durch ursachenbezo- im Alter wirken verschiedene vorsorge- bzw. vorleis- gene Vorsorgemaßnahmen gar nicht erst entstehen tungsbezogene Alterssicherungssysteme und das für- zu lassen, können damit tendenziell in den Hinter- sorgeorientierte, vorleistungsunabhängige Grund- grund gedrängt werden. In Anbetracht der im Er- sicherungssystem mit ihren jeweils unterschiedlichen werbssystem vorhandenen alterssicherungsrelevan- Funktionen zusammen. Die gesetzliche RV – als ten Entwicklungs- und Veränderungspotenziale – etwa in Hinblick auf Art und Umfang der Erwerbsbeteili- größtes und wichtigstes Einzelsystem der Alterssiche- gung – besteht jedoch die Gefahr, dass eine solche rung – verfolgt mit dem Prinzip der Beitrags- bzw. Konzentration auf primär nachsorgende Reform- Teilhabeäquivalenz das Sicherungsziel der relativen maßnahmen in der gesetzlichen RV zu kurz greift. Einkommenskontinuität: Die Einkommensposition im Denn eine dauerhafte Kompensation von in der Alter soll sich an jener im Erwerbsleben orientieren. Erwerbsphase entstandenen Einkommensdefiziten Die Höhe der Rentenleistungen ist im Wesentlichen durch das System der Alterssicherung birgt nicht nur abhängig von der Dauer und Höhe der Beitragszah- hohe legitimatorische Risiken für das Alterssiche- lungen. Eine Mindestrente, die sich z. B. am Existenz- rungssystem insgesamt, sondern – z. B. im Fall nega- minimum eines Versicherten oder am Bedarf des tiver Vorsorgeanreize – auch erhebliche finanzielle Haushalts orientiert, gibt es nicht – wer im Erwerbsle- Folgerisiken für die Gesellschaft. ben wenig verdient und nur geringe Beiträge gezahlt hat, erhält im Alter nur eine entsprechend niedrige Es spricht deshalb – gerade auch vor dem Hinter- eigene Rente. Die RV verfügt somit nicht über Instru- grund von systemtheoretischen und ordnungspoli- mente, die einen absoluten Schutz vor Armut im Alter tischen Erwägungen – vieles für eine stärkere Be- gewährleisten können. rücksichtigung präventiver Optionen in der Debatte um die künftige Vermeidung von Altersarmut. Rische Die sozialstaatliche „Arbeitsteilung“ sieht vor, dass hat hierfür den zutreffenden Begriff der „ursachen- die Vermeidung von (Alters-)Armut durch das sub- adäquaten Strategie zur Vermeidung von Altersarmut sidiäre Fürsorgesystem der vorleistungsunabhängi- geprägt5. Sofern man, wie dies in der Diskussion um gen Grundsicherung geleistet wird, die über ein spe- die Zuschussrente anklingt, auch negative Vorsorge- ziell auf die Erfassung und passgenaue Deckung anreize für Geringverdiener als mögliche Ursache von individueller Bedarfe zugeschnittenes Instrumenta- rium verfügt. Mit der nachrangigen und subsidiären 5 Vgl. Rische (2011), in: Eichenhofer, Rische, Schmähl (Hrsg.), Grundsicherung besteht ein flächendeckendes und Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, S.1180 ff. zielgenaues System der Armutsvermeidung im Alter, Vgl. auch: Rische (2008): Bericht vor der Vertreterversamm- welches idealtypisch dann greift, wenn die Alters- lung der Deutschen Rentenversicherung Bund am 25. 6. 2008 einkommen – aus welchen Gründen auch immer – in Münster, www.deutscherentenversicherung.de/nn_4796/ nicht hinreichen, aus eigener Kraft Armut im Alter zu DRV/de/Inhalt/Presse/Reden/2008_w_drv_bund_25_6_muenster/ rede_rische. html. vermeiden. Im Zusammenspiel von beitragsäquiva- 6 lentem Versicherungsprinzip der gesetzlichen RV Vgl. Loose (2008): Die Suche nach armutsvermeidenden Ansät- zen in der Alterssicherung: Mehr Antworten als Fragen – Mehr und bedürftigkeitsorientiertem Fürsorgeprinzip der Lösungen als Probleme? In: RVaktuell 2/2008, S. 52–59; vgl. auch Grundsicherung konnte das Ausmaß der Altersarmut Thiede (2005): Alterssicherung muss sich lohnen – Ansätze für in den vergangenen Jahren auf einem sehr niedrigen einen besseren „Sozialhilfe break-even“ in der gesetzlichen Ren- Niveau begrenzt werden. tenversicherung, in: RVaktuell 12, S. 519–525. 7 Mit zunehmender Verbreitung von Arbeitslosigkeit Vgl.: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirt- schaftlichen Lage (2008) Jahresgutachten 2008/09: Die Finanz- und Ausdifferenzierung der Erwerbseinkommen im krise meistern – Wachstumskräfte stärken; Sechstes Kapitel, Niedrigeinkommensbereich gewinnen jedoch nega- Soziale Sicherung: Wider die Halbherzigkeit. S. 383, Ziffer 653. tive Vorsorgeanreize für Versicherte, deren zu erwar- Auf das Risiko, dass auf diese Weise Beitragszahlungen „Steuer- tende Alterssicherungsleistungen unter der mög- charakter“ annehmen können, weist der Sachverständigenrat lichen Grundsicherungsleistung liegen, an Bedeu- auch in seinem aktuellen Gutachten erneut hin. Vgl. Sachver- tung6. „Der Beitrag für das obligatorische Alterssiche- ständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage (2012) Jahresgutachten 2012/13: Stabile Architektur für Europa – rungssystem mutiert in der Wahrnehmung dieser Handlungsbedarf im Inland. Siebtes Kapitel, Soziale Sicherung: Versicherten immer mehr zu einer Zwangsabgabe Weiterhin Reformbedarf trotz guter Finanzlage, Ziffer 661. ohne Anspruch auf Gegenleistung“7. Um vor diesem RVaktuell 10/2013 273
Hintergrund den Risiken von Ausweichreaktionen der armut kaum geeignet ist – problemangemessen zu be- Versicherten in Schwarzarbeit und den steigenden wältigen, müsste die gesetzliche RV die individuellen Akzeptanzproblemen der gesetzlichen RV zu begeg- Bedarfe im Haushaltskontext erheben und dafür eine nen, muss sichergestellt werden, dass sich Altersvor- der Grundsicherung vergleichbare Verwaltungsinfra- sorge in jedem Fall lohnt, selbst wenn sie im Ergebnis struktur aufbauen. Ob ein solcher ineffizienter Auf- für sich genommen nicht existenzsichernd ist. Die bau von Doppelstrukturen mit dem Ziel zu rechtferti- Frage, wie das effektiv und effizient erreicht werden gen ist, dass langjährig versicherte Geringverdiener kann, scheint eine Schlüsselrolle bei der Lösung des „nicht in die Grundsicherung fallen, wie jemand, der Problems künftiger Altersarmut zu spielen. Es geht nichts dafür getan hat“9, ist fraglich. Naheliegender dabei sowohl um die Frage, welche Aufgaben in wäre es sicherlich, die auf Armutsvermeidung spezia- welchem Sicherungssystem dauerhaft am besten lisierte Grundsicherung so weiterzuentwickeln, dass gelöst werden können, als auch – damit zusammen- die Betroffenen – gleich ob langfristig in der RV ver- hängend – welche Rolle der Vorsorge und welche der sichert oder nicht – die Umstände der Inanspruch- Nachsorge zukommen, d. h., inwieweit Altersarmut nahme ihnen zustehender Leistungen nicht als „Zu- also präventiv vermieden oder aber nachträglich mutung“ empfinden. kompensiert werden soll. Es sind die an den jeweils unterschiedlichen Auf- 3. Ursachenadäquate Vermeidung von Altersarmut gaben orientierten grundverschiedenen Funktions- aufgrund negativer Vorsorgeanreize prinzipien der zwei Sicherungsinstitutionen „Grund- Im Grundsatz gibt es inzwischen einen breiten Kon- sicherungssystem“ und „Alterssicherungssystem“, sens dahingehend, dass es besser ist, die Entstehung die eine tendenzielle Verlagerung der Armutsvermei- von Altersarmut zu vermeiden als Altersarmut im dung in das System der gesetzlichen RV relativ in- nachhinein durch Transferzahlungen zu kompensie- effektiv machen. Am Beispiel der Zuschussrente sind ren. Deshalb sollte – im Sinne einer ursachenadäqua- die damit einhergehenden Probleme der fehlenden ten Strategie – frühzeitig bei den Ursachen für späte- Zielgenauigkeit in Bezug auf die zur Armutsvermei- re Altersarmut angesetzt werden, um auf diese Weise dung notwendige Höhe der Leistung und den davon Armut im Alter zu minimieren. Eine Reihe von Ur- erfassten Personenkreis deutlich geworden8: Unter sachen, die für die Betroffenen ein erhöhtes Armuts- bestimmten Voraussetzungen sollten niedrige Renten risiko im Alter zur Folge haben – und die sich als von langjährig Versicherten über das Grundsiche- Ansatzpunkt für entsprechende Maßnahmen eignen – rungsniveau auf maximal 850 EUR aufgestockt wer- sind heute schon klar erkennbar: Sicherungslücken den, um auf diese Weise den Bezug von Grundsiche- durch nicht sozialversicherungspflichtige Erwerbs- rungsleistungen zu vermeiden. Armut orientiert sich phasen, Langzeitarbeitslosigkeit, dauerhafte Beschäf- jedoch nicht an einem exakten Grenzwert, sondern tigung im Niedriglohnbereich sowie vorzeitige Invali- am Bedarf. Dementsprechend folgt auch die Bestim- dität. Geeignete Instrumente zur Minimierung der mung der Leistungshöhe durch die Grundsicherung daraus resultierenden Armutsrisiken werden seit dem für einen Haushalt ermittelten Bedarf zur Längerem diskutiert10. Deckung des sozio-kulturellen Existenzminimums. Die Regelbedarfe sind zwar bundeseinheitlich fest- Die zunehmend populäre These, dass sich Altersvor- gelegt, die im Bruttobedarf insgesamt enthaltenen sorge nicht lohnt, wenn dennoch im Alter Grundsiche- anerkannten Kosten der Unterkunft variieren jedoch rung bezogen werden muss, könnte eine weitere Ur- regional sehr stark. Auch Mehrbedarfe, die gerade sache für die Entstehung von Altersarmut sein bzw. bei älteren Menschen infolge eines schlechter wer- die übrigen Ursachen in ihrer Wirkung verstärken. denden Gesundheitszustandes relativ häufig auftre- Wenn etwa Versicherte mit niedrigen Erwerbsein- ten, werden bei der Grundsicherung berücksichtigt. kommen aufgrund einer solchen Einschätzung obli- So lag der für die Grundsicherung relevante Bedarf gatorische Vorsorge zu vermeiden suchen und/oder – also jener Betrag, auf den ein niedriges Einkommen mögliche zusätzliche Vorsorge bewusst unterlassen, älterer Menschen durch Leistungen der Grundsiche- wird unter Umständen die befürchtete Altersarmut rung im Alter und bei Erwerbsminderung aufgestockt durch gerade dieses Verhalten erst erzeugt: Aus wird – Ende 2011 im Bundesdurchschnitt bei 678 EUR im Monat. Dahinter stehen allerdings regional deut- 8 Vgl. Dünn, Stosberg (2013): Das „Rentenpaket“ – Rückblick und lich unterschiedliche Beträge: Während in Sachsen- Vorschau. In: RVaktuell 6/2013, S.119–126. Anhalt ein Bedarf von durchschnittlich 598 EUR 9 Das Zitat entstammt einem Artikel in der Süddeutschen ermittelt wurde, lag in der Stadt Wiesbaden der Zeitung vom 23. 3. 2012: Zuschussrente, Kombirente und durchschnittliche Wert bei 811 EUR im Monat. Vorsorgepflicht, von der Leyens Ideen gegen Altersarmut. Vgl.: www.sueddeutsche.de/geld/zuschussrente-kombirente- Eine einheitliche armutssichere Rentenhöhe könnte und-vorsorgepflicht-von-der-leyens-ideen-gegen-altersarmut- es insofern also ebenso wenig geben wie es eine ein- 1.1316164 aufgerufen am 12. 9. 2013. heitliche Höhe des „Grundsicherungsbedarfs“ gibt. 10 Rische (2011), a. a. O.; Vgl. auch Loose, Thiede (2006), Alters- Um das Problem fehlender Effektivität der Zuschuss- sicherung: Auch in Zukunft armutsfest? – Optionen der Armuts- rente in der gesetzlichen RV – die aufgrund der star- prävention in der Alterssicherung. In: RVaktuell 12/2006; ren Leistungsbemessung zur Behebung von Alters- S. 479–488. 274 RVaktuell 10/2013
dieser Sicht lohnt es sich vermeintlich nicht, während pflicht verschiebt sich: Wer lange eingezahlt hat, er- der Erwerbsphase Beiträge in ein Vorsorgesystem zu hält dann zwar unter Umständen mehr als derjenige, zahlen, da auch ohne diese Beitragszahlung das der das nicht getan hat; wer mehr eingezahlt hat, er- gleiche Alterseinkommen durch die Grundsicherung hält aber nicht mehr als derjenige, der weniger einge- erzielt würde. Durch die Beitragszahlung würde sich zahlt hat. Im ungünstigsten Fall erhält er sogar weni- zwar die eigene Alterssicherungsleistung erhöhen, ger, wenn er die versicherungsrechtlichen Vorausset- gleichzeitig würde sich aber die sonst mögliche zungen der Aufstockung nicht erfüllt. Lediglich die Grundsicherungsleistung in gleichem Maße ver- Zuschussrente nach dem Konzept des BMAS knüpft ringern. Das Zusammenspiel der vorleistungsbezoge- bei der Erhöhung der Rente an die Höhe der bereits nen Systeme der Alterssicherung und der fürsorge- erworbenen Anwartschaften an und erhöht diese um orientierten Grundsicherung impliziert insoweit einen bestimmten Prozentsatz, was aber zur Folge negative Vorsorgeanreize, die letztlich zu Altersarmut haben kann, dass die Rente bei besonders niedrigen führen. Rentenanwartschaften trotz langjähriger Versiche- Eine auf diese Ursachen von Altersarmut bezogene rung nicht den vermeintlich armutsfesten Betrag von präventive Strategie könnte darin bestehen, das 850 EUR/Monat erreicht. Hinzu kommt, dass auch bei Alterssicherungssystem so anzupassen, dass sich Vor- tatsächlicher Aufstockung der Rente auf diesen sorge auch für Personen lohnt, die möglicherweise Betrag die individuelle Bedarfsdeckung nicht sicher- aus der gesetzlichen RV und ggf. aus der Zusatzvor- gestellt ist (s. o.). Im Fall eines individuell höheren sorge kein Alterseinkommen oberhalb des Grund- Bedarfs müsste dieser doch noch von der Grundsiche- sicherungsniveaus erreichen bzw. das befürchten. rung gedeckt werden, und das Ziel, durch Eigenvor- sorge ein höheres Alterseinkommen zu generieren als 4. Was leisten die aktuellen Reformkonzepte zur das ohne Eigenvorsorge der Fall wäre, wird nicht Armutsvermeidung im Alter“ erreicht. 4.1 Modelle der Aufstockung von Renten der Ein weiteres wesentliches Manko der Rentenauf- gesetzlichen RV stockungsmodelle liegt darin, dass Versicherungs- und Fürsorgeprinzip miteinander vermischt werden. Die derzeit in allen Bundestagsparteien diskutierten Die Rente wird durch weitgehende Einkommens- Rentenaufstockungsmodelle erscheinen kaum geeig- prüfungen und -anrechnungen – in die auch die net, die konstatierten negativen Vorsorgeanreize zu Partnereinkommen einbezogen werden – zu einer beseitigen. Sie sehen im Fall langjähriger Versiche- bedarfsabhängigen Leistung gemacht. Das kann zum rung und Beitragszahlung eine Aufstockung niedriger einen dazu führen, dass zwei Institutionen – Grund- Renten auf einen bestimmten Grenzbetrag11 vor und sicherungsämter und Rentenversicherungsträger belohnen damit langjährige Versicherung und Bei- (RV-Träger) – die Einkünfte der Betroffenen nach tragszahlung; soweit eine langjährige Zusatzvorsorge unterschiedlichen Kriterien prüfen, und zum ande- zur Voraussetzung für die Aufstockung der Renten- ren dazu, dass das vermeintliche Stigma der Grund- ansprüche gemacht wird, können sie auch als ein sicherung im Alter – die ja selber u. a. auch einge- Anreiz zur Eigenvorsorge betrachtet werden. Sofern führt wurde, um den Bezug von Sozialhilfe im allerdings die Voraussetzungen hinsichtlich der erfor- Alter zu entstigmatisieren – auf die RV übertragen derlichen Versicherungs- bzw. Zusatzvorsorgezeiten wird. so hoch angesetzt werden, dass ihre Erfüllung kaum planbar erscheint, verfehlen Aufstockungsmodelle Mit den Aufstockungsmodellen werden also im Ergeb- ihren Vorsorgeanreiz: Die Aufstockung hat dann eher nis keine negativen Vorsorgeanreize reduziert, son- den Charakter einer bloßen nachträglichen Beloh- dern es wird die nachsorgende Armutsbekämpfung nung in der Form, dass das Einkommensdefizit der – für ausschließlich eine Teilgruppe der von Armut Betroffenen nicht vom Sozialamt, sondern von der betroffenen Rentenbezieher – in die gesetzliche RV gesetzlichen RV gedeckt wird. verlagert. Hinzu kommt, dass in den bislang vorgelegten Auf- stockungsmodellen die Höhe der Eigenvorsorge weit- 4.2 Freibetragsmodelle in der Grundsicherung gehend unerheblich ist. Es kommt im Grundsatz Die Zielsetzung, dass Menschen, die für ihr Alter vor- lediglich auf das Erreichen einer bestimmten Anzahl gesorgt haben, auf jeden Fall ein höheres Alters- an Vorsorgejahren in der gesetzlichen RV und in einkommen beziehen als jene, die dies nicht getan einem Zusatzsicherungssystem an. Sofern die Voraus- haben, kann auch durch entsprechende Modifika- setzungen für eine Aufstockung erfüllt sind, führt eine tionen der Grundsicherung realisiert werden. Das höhere Eigenvorsorge nicht zu einem höheren Alters- zeigt sich z. B. im Vorschlag einer Einführung von einkommen, da auf einen einheitlichen Betrag aufge- Freibeträgen für Alterssicherungsleistungen in der stockt wird. Das Legitimationsproblem der Beitrags- Grundsicherung, wie ihn z. B. der SoVD und Ver.di, aber auch eine Gruppe junger Abgeordneter aus der 11 Zu den Einzelheiten s.: Dünn, Stosberg (2013), Das „Ren- FDP und der Union formuliert haben. Darin wird vor- tenpaket“ – Rückblick und Vorschau. In: RVaktuell 6/2013, geschlagen, zumindest einen Teil der beitragserwor- S.119–126. benen Alterssicherungsleistungen von der Einkom- RVaktuell 10/2013 275
mensanrechnung in der Grundsicherung auszuneh- kommen oberhalb des grundsicherungsrelevanten men, so dass diejenigen, die (überhaupt) vorgesorgt Bedarfs liegt. Nach dem Modell von Ver.di/SoVD haben, durch entsprechende Freibeträge in der wären bei einem grundsicherungsrelevanten Bedarf Grundsicherung ein höheres Alterseinkommen er- von 680 EUR noch Personen mit Nettoalterseinkom- zielen würden, als diejenigen, die das nicht getan men von rd. 855 EUR (das entspricht einer Brutto- haben. Auf die Anzahl der Versicherungsjahre kommt rente von ca. 950 EUR) grundsicherungsberechtigt14. es in diesem Modell nicht an. Bei Umsetzung dieses Dieser „statistische Effekt“, wonach trotz Verbesse- Modells würde sich daher auch eine geringe oder rung der Leistungen für ältere Menschen mit niedri- eine im Lebensverlauf erst spät einsetzende Vorsorge gen Einkommen die Zahl der Grundsicherungs- lohnen. Ob sie sich immer lohnt, hängt allerdings von beziehenden, die ja auch als Indikator für Alters- der konkreten Ausgestaltung des Freibetragsmodells armut verwendet wird, steigt, ist sicherlich ein erheb- ab. liches Problem für eine Umsetzung derartiger Im Unterschied zum Ansatz der jungen Abgeordne- Modelle. ten, der nur Leistungen aus der privaten und betrieb- lichen Vorsorge von der Anrechnung ausnehmen 5. Vorsorgeanreize durch Ergänzungsleistungen zur will12, plädieren der SoVD und Ver. di für eine Berück- gesetzlichen RV sichtigung aller Alterssicherungsleistungen13, d. h. Die mit den bisher diskutierten Varianten der Frei- auch der obligatorisch erworbenen Leistungen aus betragsmodelle einhergehende Erhöhung der Anzahl der gesetzlichen RV. Leistungen bis zu einer Höhe der Grundsicherungsbeziehenden und damit der Ar- von 100 EUR sollen danach vollständig von der mutsquote ließe sich allerdings durch eine Modifikati- Anrechnung auf die Grundsicherung freigestellt on dieser Modelle verhindern, bei der die zusätzliche werden, über diesen Betrag hinausgehende Leis- Leistung nicht in einer Erhöhung der Grundsiche- tungen bis 200 EUR zu 50 % und darüber hinaus- rung, sondern in einer ergänzenden Leistung der Trä- gehende Leistungen bis 300 EUR noch zu 25 %. ger der (teilweise) freigestellten Alterssicherungsleis- Im Modell von Ver.di/SoVD lohnt sich damit vor allem tung bestünde. Eine solche „Ergänzungsleistung“ das Sparen für den Grundstock einer eigenen Vor- würden zudem die Attraktivität der Beitragszahlung sorge. Eigenvorsorge, die zu monatlichen Leistungen klarer erkennbar machen, weil sich durch die Bei- in Höhe von mehr als 300 EUR führt, würde dagegen tragszahlung nicht die Grundsicherung erhöhen tendenziell immer zum gleichen Alterseinkommen würde, sondern eine zusätzliche Leistung durch den führen. Träger erfolgt, an den die Beiträge gezahlt worden Nach den Freibetragsmodellen lohnt sich Altersvor- sind. sorge auch im Fall späterer Bedürftigkeit stets. Wer Diese modifizierte Form der Freibetragsmodelle ba- Vorsorge betrieben hat, erhält im Alter in jedem Fall siert grundsätzlich darauf, dass die RV (und ggf. die mehr als derjenige, der das nicht getan hat. Dieser Träger anderer Alterssicherungsleistungen) Bezie- Anreiz besteht unabhängig von der Frage, ob zusätz- hern von Leistungen der Grundsicherung monatlich liche versicherungsrechtliche Voraussetzungen er- eine Ergänzungsleistung in Höhe eines bestimmten füllt sind oder überhaupt noch erfüllt werden können, Prozentsatzes ihrer Rente (z. B. 10 %) zahlt, die nicht wie das bei den Aufstockungsmodellen der Fall ist. auf die Grundsicherung angerechnet würde. Voraus- Die Tatsache, dass sich bei den vorgeschlagenen Frei- setzung für die Ergänzungsleistung wäre also die vom betragsmodellen eine höhere Eigenvorsorge ggf. Grundsicherungsamt (z. B. mit der Bewilligung der nicht rentiert – wer mehr vorsorgt erhält nicht immer Grundsicherungsleistung) bestätigte Bedürftigkeit mehr –, liegt an der konkreten Ausgestaltung der des Rentenbeziehers. Eine zusätzliche Bedürftigkeits- Modelle. Freibetragsmodelle lassen sich auch so ge- prüfung durch die RV wäre nicht erforderlich. Die stalten, dass sich jede Vorsorge lohnt, indem z. B. der Höhe der Ergänzungsleistung wäre abhängig von der Freibetrag als prozentualer Anteil (von z. B. 10 % oder Höhe des Rentenanspruchs der Betroffenen und trüge 15 %) der Rente und ggf. weiterer Alterseinkünfte insofern dem Gedanken des Äquivalenzprinzips Rech- definiert würde, der bei der Prüfung des Grundsiche- nung. rungsanspruchs von der Einkommensanrechnung auszunehmen ist. 12 Vgl. Gemeinsames Positionspapier junger Abgeordneter der Ein ganz erheblicher Vorteil der Freibetragsmodelle Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP: Damit pri- gegenüber den Aufstockungsmodellen liegt darin, vate Vorsorge sich lohnt. www.sebastian-blumenthal.de/ dass Grundsicherung und gesetzliche RV nicht mit- files/sblumenthal/uploads/documents/20121001_damit_private_ vorsorge_sich_lohnt.pdf. Aufgerufen am 12. 9. 2013. einander vermischt werden. Die Armutsbekämpfung 13 (als Ausgleich von Einkommensdefiziten im Alter, Vgl. Sozialverband Deutschland (SoVD) 2013): Für eine lebens- standardsichernde gesetzliche Rente (www.sovd. de), oder Ver.di die trotz Vorsorgeanreizen entstanden sind) fände (2012): sopoaktuell Nr.12; Rentenzuschuss statt Zuschuss- weiterhin ausschließlich in der Grundsicherung statt. rente – ein Alternativmodell von ver.di und SoVD. Allerdings käme es zu einer Ausweitung der Anzahl 14 Wenn z. B. der individuelle Grundsicherungsbedarf 700 EUR der Menschen, die Grundsicherung beziehen: Durch beträgt und der Betroffene ein Einkommen von 800 EUR bezieht, die Berücksichtigung der Freibeträge wären auch von dem allerdings 175 EUR anrechnungsfrei bleiben, verbliebe Personen grundsicherungsberechtigt, deren Ein- ihm ein Grundsicherungsanspruch von 75 EUR. 276 RVaktuell 10/2013
Das Verfahren könnte dabei grundsätzlich folgender- nach geltendem Recht der Fall ist, weil die Gegen- maßen ablaufen: Der Versicherte beantragt zunächst überstellung von Bedarf und Einkommen auch für beim Grundsicherungsamt eine Grundsicherungsleis- diejenigen Personen erforderlich wäre, die bei über- tung. Das Grundsicherungsamt ermittelt – unter schlägiger Betrachtung der Bedarfs- und Einkom- Berücksichtigung der individuellen Umstände des menssituation nach geltendem Recht keinen Antrag Antragstellenden (Höhe der Wohnkosten, ggf. indivi- auf Grundsicherung stellen würden, weil sie davon duelle Sonderbedarfe, etc.) den Grundsicherungs- ausgehen, dass ihr Einkommen den Bedarf gering- bedarf und stellt die darauf anzurechnenden Einkom- fügig überschreitet. men der Betroffenen fest; bei dieser Einkommens- anrechnung bleibt ein prozentualer Anteil der Rente 5.1 Finanzierung der Ergänzungsleistungen (und ggf. weiterer Alterseinkünfte) ausgenommen. Das Volumen der Ergänzungsleistung würde neben Das Grundsicherungsamt zahlt anschließend den Be- dem gewählten Prozentsatz für den bei der Einkom- troffenen als Grundsicherungsleistung jenen Betrag mensanrechnung zu berücksichtigenden Freibetrag aus, der sich – wie nach geltendem Recht – ohne Frei- der Rente von der Anzahl der Grundsicherungsbezie- betrag bei der Einkommensanrechnung ergäbe und henden mit Rentenanspruch sowie der Höhe ihrer informiert den zuständigen RV-Träger von dem auf- Rente abhängen. (Hinzu kämen die Kosten für Ergän- grund der Freibetragsregelung entstandenen monat- zungsleistungsbezieher, deren Alterseinkommen lichen Anspruch der Betroffenen. Der RV-Träger geringfügig oberhalb ihres individuellen Grundsiche- überweist dann diese „Ergänzungsleistung“ mit der rungsbedarfs liegt.) Die Zahl der über 65-jährigen Rentenzahlung an die Betroffenen. Durch einen sol- Grundsicherungsbeziehenden, bei denen eine Alters- chen Ansatz würde sichergestellt, dass Menschen, die rente angerechnet wurde, lag Ende 2011 bei rd. Rentenansprüche in der gesetzlichen RV erworben 308 000 Personen, der durchschnittliche Anrech- haben, auch bei Grundsicherungsbedürftigkeit im nungsbetrag lag bei 339 EUR15. Die Zahl der 18- bis Alter auf jeden Fall – also auch in Regionen mit über- 65-jährigen Grundsicherungsbeziehenden mit einer durchschnittlichen Wohnkosten oder bei Menschen angerechneten Rente wegen Erwerbsminderung be- mit Sonderbedarfen – über ein höheres Einkommen trug im selben Jahr rd. 119 000, der durchschnittliche verfügen als Menschen, die keine Ansprüche in der Anrechnungsbetrag lag hier bei 380 EUR. Geht man gesetzlichen RV erworben haben. Das Ausmaß des beispielhaft davon aus, dass 10 % der jeweiligen Ren- über die Grundsicherungsleistung hinausgehenden tenleistungen bei der Einkommensanrechnung unbe- Einkommens würde sich dabei nach der Höhe der rücksichtigt bleiben und die daraus resultierenden selbst erworbenen Rentenansprüche richten. Beträge als Ergänzungsleistung ausgezahlt würden, Um „Überholvorgänge“ bei Personen, deren Einkom- käme man auf ein Volumen von rd. 180 Mio. EUR16 im men geringfügig oberhalb des individuellen Grund- Jahr. Hinzu kämen die Kosten der begrenzten Ergän- sicherungsbedarfs liegt, zu verhindern, bedürfte es zungsleistung für Rentner, deren Einkommen nur einer Sonderregelung, denn Rentenbezieher mit geringfügig über der Grundsicherungsgrenze liegt. Renten unter der Grundsicherungsgrenze, die eine Als vorbeugendes Instrument zur Vermeidung bzw. Ergänzungsleistung zur Rente erhielten, könnten da- Reduzierung von Altersarmut erfüllen die Ergän- durch ein höheres Gesamteinkommen erreichen als zungsleistungen eine gesamtgesellschaftliche Auf- Rentner, deren Renten geringfügig darüber liegen, gabe, ihre Finanzierung sollte deshalb systemgerecht die aber von einer solchen Regelung ausgeschlossen aus Steuermitteln erfolgen. wären: Da die Grundsicherungsämter bei der Ermitt- lung des Grundsicherungs- und des Ergänzungs- 6. Fazit betrages einen prozentualen Freibetrag von der Ein- Die nachsorgende Bekämpfung von Altersarmut kommensanrechnung ausnehmen, erhalten auch sollte nicht in die gesetzliche RV verlagert werden, Personen mit einer Rente knapp über dem Grund- sondern systemgerecht bei der Grundsicherung ver- sicherungsbedarf noch eine (geringe) Ergänzungs- bleiben. Im derzeitigen Alterssicherungssystem ange- leistung, so dass sie ein höheres Gesamteinkommen legte negative Vorsorgeanreize für Geringverdiener – Rente plus Ergänzungsleistung – erhalten als Perso- lassen sich im Rahmen einer ursachenadäquaten prä- nen mit einer geringeren Rente. ventiven Strategie zur Vermeidung von Altersarmut Die Grundsicherungsämter hätten allerdings bei Um- effizient vermeiden, wenn im Rahmen der Feststel- setzung eines solchen Reformansatzes mehr Bedarfs- lung des individuellen Grundsicherungsanspruchs und Einkommensprüfungen zu bearbeiten, als das bei der Anrechnung eigener Alterseinkommen Frei- beträge berücksichtigt werden. Die aus diesen Frei- 15 Grundsicherungsstatistik des Statistischen Bundesamts vom beträgen resultierenden Leistungen könnten als Er- 31.12. 2011. Tabelle G. 9.1 und A.8.1. gänzungsleistung durch die RV-Träger ausgezahlt 16 Als Richtwert für die Kosten einer Ergänzungsleistung in Höhe werden. Auf diese Weise würde deutlich, dass sich die von 10 % der Nettorente (Bruttorente abzüglich derzeit 10,25% Beitragszahlung zur gesetzlichen RV immer lohnt – Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge). Im Fall einer auf auch im Falle späterer Bedürftigkeit. den Bruttobetrag der Rente gezahlten Ergänzungsleistung wür- den sich die Kosten um die von Rentnern und RV-Trägern zu Um den Ansatz der Ergänzungsleistungen im Alters- zahlenden Sozialversicherungsbeiträge erhöhen. sicherungssystem der drei Säulen fruchtbar zu RVaktuell 10/2013 277
machen, könnte in einem weiteren Schritt über – oder anderer Formen der geförderten Vorsorge – eine vergleichbare Regelung in Bezug auf die in den unteren Einkommensgruppen durchaus be- Riester-Renten nachgedacht werden. Stellt doch günstigen und auf diese Weise nicht zuletzt zu einem die Tatsache, dass die Riester-Rente im Fall der geringeren Anstieg der künftigen Altersarmut bei- Grundsicherungsbedürftigkeit in vollem Umfang tragen. angerechnet wird, eines der Hauptargumente gegen den Abschluss dieser – für Geringverdiener mit 17 Vgl. Loose, Thiede (2012): Trägt die Riester-Rente zur Vermei- Kindern besonders stark geförderten – Form der dung von Altersarmut bei? In: Vogel, Motel-Klingebiel (Hrsg.): Vorsorge dar17. Die Einführung von Ergänzungs- Altern im sozialen Wandel: Die Rückkehr der Altersarmut?, leistungen könnte die Verbreitung der Riester-Rente S.161–174. 278 RVaktuell 10/2013
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