Vorsorgeanreize durch Ergänzungsleistungen zur GRV-Rente

 
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Vorsorgeanreize durch Ergänzungsleistungen
zur GRV-Rente
Wolfgang Buhl, Brigitte L. Loose

Aktuelle Reformvorschläge zur Armutsvermeidung fokussieren in einer eher kurzfristig ausgerichteten
Perspektive vor allem auf eine nachträgliche Behebung von Armut bzw. die „Reparatur“ von bereits ein-
getretenen finanziellen Versorgungsdefiziten im Alter. Die dauerhafte Kompensation von in der Erwerbsphase
entstandenen Einkommensdefiziten durch das System der Alterssicherung birgt jedoch nicht nur legitima-
torische Risiken für das Alterssicherungssystem insgesamt, sondern ignoriert auch die von solchen Regelungen
ausgehenden Anreize. Sofern man negative Vorsorgeanreize für Geringverdiener als mögliche Ursache
von Altersarmut ansieht, sollten die entsprechenden Reformansätze gezielt darauf ausgerichtet werden,
dieser Ursache entgegenzuwirken.

1. Reformdiskussion                                       haben, ist zu erwarten, dass das Thema in der neuen
Auch wenn Armut – gemessen an der Quote der               Legislaturperiode erneut auf der Tagesordnung
Grundsicherungsbeziehenden – im Alter aktuell in          stehen wird.
deutlich geringerem Maße auftritt als in der jüngeren      Grundsätzlich geht es bei der Diskussion um die Ver-
Bevölkerung1, wurde die Reformdiskussion in der            meidung von Altersarmut – unabhängig von der Stär-
17. Legislaturperiode wesentlich von der Frage be-         kung von Vorsorgeanreizen und dem Ziel, dass lang-
stimmt, wie der Gefahr einer künftig zunehmenden           jährig Versicherte im Alter über ein Einkommen jen-
Altersarmut am besten begegnet werden könne. Im            seits der Grundsicherung verfügen sollen – letztlich
Hintergrund stand das bereits im Okto-                                   um die Frage, wie eine bessere Verzah-
ber 2009 im Koalitionsvertrag von CDU,                                   nung des auf Beitragsäquivalenz beru-
                                              Wolfgang Buhl und          henden Versicherungsprinzips in der
CSU und FDP formulierte Regierungs-           Brigitte B. Loose
ziel, die Altersarmut zu bekämpfen . Im
                                   2                                     Alterssicherung mit dem bedarfsorien-
                                              arbeiten im Bereich        tierten Fürsorgeprinzip in der Grund-
Rahmen des rd. zwei Jahre später vom          Entwicklungsfragen
Bundesministerium für Arbeit und So-                                     sicherung erreicht werden kann. Die
                                              der Sozialen Sicher-       zentrale Herausforderung stellt dabei
ziales (BMAS) anberaumten „Renten-            heit und Altersvor-
dialogs“ begann eine kontroverse                                         der sich in den unteren Einkommensbe-
                                              sorge der Deutschen        reichen differenzierende Arbeitsmarkt
Debatte um das vom Ministerium vor-           Rentenversicherung         dar, der die Gefahr birgt, dass aus nicht
gelegte Konzept der Zuschussrente3.           Bund.                      existenzsichernden Erwerbsverhältnis-
Nach diesem Konzept sollte der durch
                                                                         sen eine nicht existenzsichernde Rente
Beiträge erworbene Rentenanspruch
                                                           im Alter resultiert.
langjährig Versicherter – die zusätzlich vorgesorgt
haben – angehoben werden, sofern er sonst geringer         Mit Ausnahme der Konzepte für eine bedingungslose
als 850 EUR/Monat wäre. Auf diese Weise sollten die        Grundrente setzen die meisten derzeit diskutierten
auf Beitragszahlungen beruhenden Leistungen der            Reformvorschläge nach wie vor auf die grundlegende
gesetzlichen Rentenversicherung (RV) gegenüber der         Annahme, dass Alterssicherung aus Erwerbsarbeit
Grundsicherung – die ohne jede Vorleistung bezogen         und daraus finanzierter individueller Altersvorsorge
werden kann – attraktiver gemacht werden. Wer viele        erwächst – sei es in der gesetzlichen RV oder in der
Jahre vorgesorgt hat, sollte im Alter mehr erhalten        zweiten und/oder dritten Säule. Die daraus resultie-
als derjenige, der das nicht getan hat und ihm sollte      rende zentrale Schlüsselrolle des Erwerbssystems für
der Gang zum Sozialamt erspart bleiben.                    die Alterssicherung insgesamt spielt hingegen in der

Allerdings stellte sich der vom BMAS vorgelegte           1
                                                              Vgl. BMAS (2012): Lebenslagen in Deutschland. Der Vierte
Reformvorschlag einer Zuschussrente – später vom              Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung.
Ministerium selbst modifiziert als „Lebensleistungs-      2
                                                              Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Der Koalitionsvertrag zwi-
rente“ – nicht als konsens- oder mehrheitsfähig               schen CDU, CSU und FDP; Punkt III. 8. des Koalitionsvertrags,
heraus. Kritisiert wurden u. a. die fehlende Ziel-            S. 84: www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/091026-
genauigkeit, die systemfremde Vermischung von Ver-            koalitionsvertrag-cducsu-fdp.pdf.
                                                          3
sicherungs- und Fürsorgeprinzip in der gesetzlichen           Vgl. BMAS, Informationen für die Presse – Regierungsdialog
RV und die mangelnde Kosteneffizienz der Reform-              Rente, Stand 9. 9. 2011.
                                                          4
maßnahme4.                                                    So z. B. der Sozialbeirat, vgl. Gutachten des Sozialbeirats zum
                                                              Rentenversicherungsbericht 2011. Eine genereller Überblick
Da jedoch alle in den neuen Bundestag gewählten               über die Diskussion findet sich bei: Dünn, Stosberg (2013), Das
Parteien in ihren Wahlprogrammen Maßnahmen zur                „Rentenpaket“ – Rückblick und Vorschau. In: RVaktuell 6/2013,
Vermeidung eines Anstiegs der Altersarmut gefordert           S.119–126.

272 RVaktuell 10/2013
Frage der Altersarmutsvermeidung eine eher unter-                      Altersarmut ansieht, sollten die entsprechenden
geordnete Rolle. So fokussieren die Reformvorschläge                   Reformansätze in diesem Sinne auch gezielt darauf
der Parteien zur Armutsvermeidung in einer eher                        ausgerichtet werden, dieser Ursache entgegen zu
kurzfristig ausgerichteten Perspektive auch auf eine                   wirken. Letztlich geht es also auch hier um ein mög-
nachträgliche Behebung von Armut bzw. die „Repa-                       lichst effizientes Zusammenwirken von beitragsorien-
ratur“ von bereits eingetretenen finanziellen Ver-                     tiertem Versicherungsprinzip und bedürftigkeits-
sorgungsdefiziten im Alter – und zwar vor allem                        orientierter Grundsicherung.
durch nicht beitragsorientierte Aufstockungen der
gesetzlichen Rente. Die strategische Ausrichtung auf                   2. Institutionelle Aufgabenteilung bei der
eine vorsorgende Vermeidung von Altersarmut, die                          Einkommenssicherung im Alter
darauf zielt, vorausschauend fürsorgebedürftige
                                                                       Im bestehenden System der Einkommenssicherung
Alterseinkommenssituationen durch ursachenbezo-
                                                                       im Alter wirken verschiedene vorsorge- bzw. vorleis-
gene Vorsorgemaßnahmen gar nicht erst entstehen
                                                                       tungsbezogene Alterssicherungssysteme und das für-
zu lassen, können damit tendenziell in den Hinter-
                                                                       sorgeorientierte, vorleistungsunabhängige Grund-
grund gedrängt werden. In Anbetracht der im Er-
                                                                       sicherungssystem mit ihren jeweils unterschiedlichen
werbssystem vorhandenen alterssicherungsrelevan-
                                                                       Funktionen zusammen. Die gesetzliche RV – als
ten Entwicklungs- und Veränderungspotenziale – etwa
in Hinblick auf Art und Umfang der Erwerbsbeteili-                     größtes und wichtigstes Einzelsystem der Alterssiche-
gung – besteht jedoch die Gefahr, dass eine solche                     rung – verfolgt mit dem Prinzip der Beitrags- bzw.
Konzentration auf primär nachsorgende Reform-                          Teilhabeäquivalenz das Sicherungsziel der relativen
maßnahmen in der gesetzlichen RV zu kurz greift.                       Einkommenskontinuität: Die Einkommensposition im
Denn eine dauerhafte Kompensation von in der                           Alter soll sich an jener im Erwerbsleben orientieren.
Erwerbsphase entstandenen Einkommensdefiziten                          Die Höhe der Rentenleistungen ist im Wesentlichen
durch das System der Alterssicherung birgt nicht nur                   abhängig von der Dauer und Höhe der Beitragszah-
hohe legitimatorische Risiken für das Alterssiche-                     lungen. Eine Mindestrente, die sich z. B. am Existenz-
rungssystem insgesamt, sondern – z. B. im Fall nega-                   minimum eines Versicherten oder am Bedarf des
tiver Vorsorgeanreize – auch erhebliche finanzielle                    Haushalts orientiert, gibt es nicht – wer im Erwerbsle-
Folgerisiken für die Gesellschaft.                                     ben wenig verdient und nur geringe Beiträge gezahlt
                                                                       hat, erhält im Alter nur eine entsprechend niedrige
Es spricht deshalb – gerade auch vor dem Hinter-
                                                                       eigene Rente. Die RV verfügt somit nicht über Instru-
grund von systemtheoretischen und ordnungspoli-
                                                                       mente, die einen absoluten Schutz vor Armut im Alter
tischen Erwägungen – vieles für eine stärkere Be-
                                                                       gewährleisten können.
rücksichtigung präventiver Optionen in der Debatte
um die künftige Vermeidung von Altersarmut. Rische                     Die sozialstaatliche „Arbeitsteilung“ sieht vor, dass
hat hierfür den zutreffenden Begriff der „ursachen-                    die Vermeidung von (Alters-)Armut durch das sub-
adäquaten Strategie zur Vermeidung von Altersarmut                     sidiäre Fürsorgesystem der vorleistungsunabhängi-
geprägt5. Sofern man, wie dies in der Diskussion um                    gen Grundsicherung geleistet wird, die über ein spe-
die Zuschussrente anklingt, auch negative Vorsorge-                    ziell auf die Erfassung und passgenaue Deckung
anreize für Geringverdiener als mögliche Ursache von                   individueller Bedarfe zugeschnittenes Instrumenta-
                                                                       rium verfügt. Mit der nachrangigen und subsidiären
5
    Vgl. Rische (2011), in: Eichenhofer, Rische, Schmähl (Hrsg.),      Grundsicherung besteht ein flächendeckendes und
    Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung, S.1180 ff.           zielgenaues System der Armutsvermeidung im Alter,
    Vgl. auch: Rische (2008): Bericht vor der Vertreterversamm-        welches idealtypisch dann greift, wenn die Alters-
    lung der Deutschen Rentenversicherung Bund am 25. 6. 2008          einkommen – aus welchen Gründen auch immer –
    in Münster, www.deutscherentenversicherung.de/nn_4796/
                                                                       nicht hinreichen, aus eigener Kraft Armut im Alter zu
    DRV/de/Inhalt/Presse/Reden/2008_w_drv_bund_25_6_muenster/
    rede_rische. html.                                                 vermeiden. Im Zusammenspiel von beitragsäquiva-
6                                                                      lentem Versicherungsprinzip der gesetzlichen RV
    Vgl. Loose (2008): Die Suche nach armutsvermeidenden Ansät-
    zen in der Alterssicherung: Mehr Antworten als Fragen – Mehr       und bedürftigkeitsorientiertem Fürsorgeprinzip der
    Lösungen als Probleme? In: RVaktuell 2/2008, S. 52–59; vgl. auch   Grundsicherung konnte das Ausmaß der Altersarmut
    Thiede (2005): Alterssicherung muss sich lohnen – Ansätze für      in den vergangenen Jahren auf einem sehr niedrigen
    einen besseren „Sozialhilfe break-even“ in der gesetzlichen Ren-   Niveau begrenzt werden.
    tenversicherung, in: RVaktuell 12, S. 519–525.
7                                                                      Mit zunehmender Verbreitung von Arbeitslosigkeit
    Vgl.: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirt-
    schaftlichen Lage (2008) Jahresgutachten 2008/09: Die Finanz-      und Ausdifferenzierung der Erwerbseinkommen im
    krise meistern – Wachstumskräfte stärken; Sechstes Kapitel,        Niedrigeinkommensbereich gewinnen jedoch nega-
    Soziale Sicherung: Wider die Halbherzigkeit. S. 383, Ziffer 653.   tive Vorsorgeanreize für Versicherte, deren zu erwar-
    Auf das Risiko, dass auf diese Weise Beitragszahlungen „Steuer-    tende Alterssicherungsleistungen unter der mög-
    charakter“ annehmen können, weist der Sachverständigenrat          lichen Grundsicherungsleistung liegen, an Bedeu-
    auch in seinem aktuellen Gutachten erneut hin. Vgl. Sachver-
                                                                       tung6. „Der Beitrag für das obligatorische Alterssiche-
    ständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage
    (2012) Jahresgutachten 2012/13: Stabile Architektur für Europa –   rungssystem mutiert in der Wahrnehmung dieser
    Handlungsbedarf im Inland. Siebtes Kapitel, Soziale Sicherung:     Versicherten immer mehr zu einer Zwangsabgabe
    Weiterhin Reformbedarf trotz guter Finanzlage, Ziffer 661.         ohne Anspruch auf Gegenleistung“7. Um vor diesem

                                                                                                    RVaktuell 10/2013 273
Hintergrund den Risiken von Ausweichreaktionen der       armut kaum geeignet ist – problemangemessen zu be-
Versicherten in Schwarzarbeit und den steigenden         wältigen, müsste die gesetzliche RV die individuellen
Akzeptanzproblemen der gesetzlichen RV zu begeg-         Bedarfe im Haushaltskontext erheben und dafür eine
nen, muss sichergestellt werden, dass sich Altersvor-    der Grundsicherung vergleichbare Verwaltungsinfra-
sorge in jedem Fall lohnt, selbst wenn sie im Ergebnis   struktur aufbauen. Ob ein solcher ineffizienter Auf-
für sich genommen nicht existenzsichernd ist. Die        bau von Doppelstrukturen mit dem Ziel zu rechtferti-
Frage, wie das effektiv und effizient erreicht werden    gen ist, dass langjährig versicherte Geringverdiener
kann, scheint eine Schlüsselrolle bei der Lösung des     „nicht in die Grundsicherung fallen, wie jemand, der
Problems künftiger Altersarmut zu spielen. Es geht       nichts dafür getan hat“9, ist fraglich. Naheliegender
dabei sowohl um die Frage, welche Aufgaben in            wäre es sicherlich, die auf Armutsvermeidung spezia-
welchem Sicherungssystem dauerhaft am besten             lisierte Grundsicherung so weiterzuentwickeln, dass
gelöst werden können, als auch – damit zusammen-         die Betroffenen – gleich ob langfristig in der RV ver-
hängend – welche Rolle der Vorsorge und welche der       sichert oder nicht – die Umstände der Inanspruch-
Nachsorge zukommen, d. h., inwieweit Altersarmut         nahme ihnen zustehender Leistungen nicht als „Zu-
also präventiv vermieden oder aber nachträglich          mutung“ empfinden.
kompensiert werden soll.
Es sind die an den jeweils unterschiedlichen Auf-        3. Ursachenadäquate Vermeidung von Altersarmut
gaben orientierten grundverschiedenen Funktions-            aufgrund negativer Vorsorgeanreize
prinzipien der zwei Sicherungsinstitutionen „Grund-      Im Grundsatz gibt es inzwischen einen breiten Kon-
sicherungssystem“ und „Alterssicherungssystem“,          sens dahingehend, dass es besser ist, die Entstehung
die eine tendenzielle Verlagerung der Armutsvermei-      von Altersarmut zu vermeiden als Altersarmut im
dung in das System der gesetzlichen RV relativ in-       nachhinein durch Transferzahlungen zu kompensie-
effektiv machen. Am Beispiel der Zuschussrente sind      ren. Deshalb sollte – im Sinne einer ursachenadäqua-
die damit einhergehenden Probleme der fehlenden          ten Strategie – frühzeitig bei den Ursachen für späte-
Zielgenauigkeit in Bezug auf die zur Armutsvermei-       re Altersarmut angesetzt werden, um auf diese Weise
dung notwendige Höhe der Leistung und den davon          Armut im Alter zu minimieren. Eine Reihe von Ur-
erfassten Personenkreis deutlich geworden8: Unter        sachen, die für die Betroffenen ein erhöhtes Armuts-
bestimmten Voraussetzungen sollten niedrige Renten       risiko im Alter zur Folge haben – und die sich als
von langjährig Versicherten über das Grundsiche-         Ansatzpunkt für entsprechende Maßnahmen eignen –
rungsniveau auf maximal 850 EUR aufgestockt wer-         sind heute schon klar erkennbar: Sicherungslücken
den, um auf diese Weise den Bezug von Grundsiche-        durch nicht sozialversicherungspflichtige Erwerbs-
rungsleistungen zu vermeiden. Armut orientiert sich      phasen, Langzeitarbeitslosigkeit, dauerhafte Beschäf-
jedoch nicht an einem exakten Grenzwert, sondern         tigung im Niedriglohnbereich sowie vorzeitige Invali-
am Bedarf. Dementsprechend folgt auch die Bestim-        dität. Geeignete Instrumente zur Minimierung der
mung der Leistungshöhe durch die Grundsicherung          daraus resultierenden Armutsrisiken werden seit
dem für einen Haushalt ermittelten Bedarf zur            Längerem diskutiert10.
Deckung des sozio-kulturellen Existenzminimums.
Die Regelbedarfe sind zwar bundeseinheitlich fest-       Die zunehmend populäre These, dass sich Altersvor-
gelegt, die im Bruttobedarf insgesamt enthaltenen        sorge nicht lohnt, wenn dennoch im Alter Grundsiche-
anerkannten Kosten der Unterkunft variieren jedoch       rung bezogen werden muss, könnte eine weitere Ur-
regional sehr stark. Auch Mehrbedarfe, die gerade        sache für die Entstehung von Altersarmut sein bzw.
bei älteren Menschen infolge eines schlechter wer-       die übrigen Ursachen in ihrer Wirkung verstärken.
denden Gesundheitszustandes relativ häufig auftre-       Wenn etwa Versicherte mit niedrigen Erwerbsein-
ten, werden bei der Grundsicherung berücksichtigt.       kommen aufgrund einer solchen Einschätzung obli-
So lag der für die Grundsicherung relevante Bedarf       gatorische Vorsorge zu vermeiden suchen und/oder
– also jener Betrag, auf den ein niedriges Einkommen     mögliche zusätzliche Vorsorge bewusst unterlassen,
älterer Menschen durch Leistungen der Grundsiche-        wird unter Umständen die befürchtete Altersarmut
rung im Alter und bei Erwerbsminderung aufgestockt       durch gerade dieses Verhalten erst erzeugt: Aus
wird – Ende 2011 im Bundesdurchschnitt bei 678 EUR
im Monat. Dahinter stehen allerdings regional deut-      8
                                                              Vgl. Dünn, Stosberg (2013): Das „Rentenpaket“ – Rückblick und
lich unterschiedliche Beträge: Während in Sachsen-            Vorschau. In: RVaktuell 6/2013, S.119–126.
Anhalt ein Bedarf von durchschnittlich 598 EUR           9
                                                              Das Zitat entstammt einem Artikel in der Süddeutschen
ermittelt wurde, lag in der Stadt Wiesbaden der               Zeitung vom 23. 3. 2012: Zuschussrente, Kombirente und
durchschnittliche Wert bei 811 EUR im Monat.                  Vorsorgepflicht, von der Leyens Ideen gegen Altersarmut.
                                                              Vgl.: www.sueddeutsche.de/geld/zuschussrente-kombirente-
Eine einheitliche armutssichere Rentenhöhe könnte
                                                              und-vorsorgepflicht-von-der-leyens-ideen-gegen-altersarmut-
es insofern also ebenso wenig geben wie es eine ein-          1.1316164 aufgerufen am 12. 9. 2013.
heitliche Höhe des „Grundsicherungsbedarfs“ gibt.        10
                                                              Rische (2011), a. a. O.; Vgl. auch Loose, Thiede (2006), Alters-
Um das Problem fehlender Effektivität der Zuschuss-           sicherung: Auch in Zukunft armutsfest? – Optionen der Armuts-
rente in der gesetzlichen RV – die aufgrund der star-         prävention in der Alterssicherung. In: RVaktuell 12/2006;
ren Leistungsbemessung zur Behebung von Alters-               S. 479–488.

274 RVaktuell 10/2013
dieser Sicht lohnt es sich vermeintlich nicht, während           pflicht verschiebt sich: Wer lange eingezahlt hat, er-
der Erwerbsphase Beiträge in ein Vorsorgesystem zu               hält dann zwar unter Umständen mehr als derjenige,
zahlen, da auch ohne diese Beitragszahlung das                   der das nicht getan hat; wer mehr eingezahlt hat, er-
gleiche Alterseinkommen durch die Grundsicherung                 hält aber nicht mehr als derjenige, der weniger einge-
erzielt würde. Durch die Beitragszahlung würde sich              zahlt hat. Im ungünstigsten Fall erhält er sogar weni-
zwar die eigene Alterssicherungsleistung erhöhen,                ger, wenn er die versicherungsrechtlichen Vorausset-
gleichzeitig würde sich aber die sonst mögliche                  zungen der Aufstockung nicht erfüllt. Lediglich die
Grundsicherungsleistung in gleichem Maße ver-                    Zuschussrente nach dem Konzept des BMAS knüpft
ringern. Das Zusammenspiel der vorleistungsbezoge-               bei der Erhöhung der Rente an die Höhe der bereits
nen Systeme der Alterssicherung und der fürsorge-                erworbenen Anwartschaften an und erhöht diese um
orientierten Grundsicherung impliziert insoweit                  einen bestimmten Prozentsatz, was aber zur Folge
negative Vorsorgeanreize, die letztlich zu Altersarmut           haben kann, dass die Rente bei besonders niedrigen
führen.                                                          Rentenanwartschaften trotz langjähriger Versiche-
Eine auf diese Ursachen von Altersarmut bezogene                 rung nicht den vermeintlich armutsfesten Betrag von
präventive Strategie könnte darin bestehen, das                  850 EUR/Monat erreicht. Hinzu kommt, dass auch bei
Alterssicherungssystem so anzupassen, dass sich Vor-             tatsächlicher Aufstockung der Rente auf diesen
sorge auch für Personen lohnt, die möglicherweise                Betrag die individuelle Bedarfsdeckung nicht sicher-
aus der gesetzlichen RV und ggf. aus der Zusatzvor-              gestellt ist (s. o.). Im Fall eines individuell höheren
sorge kein Alterseinkommen oberhalb des Grund-                   Bedarfs müsste dieser doch noch von der Grundsiche-
sicherungsniveaus erreichen bzw. das befürchten.                 rung gedeckt werden, und das Ziel, durch Eigenvor-
                                                                 sorge ein höheres Alterseinkommen zu generieren als
4. Was leisten die aktuellen Reformkonzepte zur                  das ohne Eigenvorsorge der Fall wäre, wird nicht
   Armutsvermeidung im Alter“                                    erreicht.
4.1 Modelle der Aufstockung von Renten der                       Ein weiteres wesentliches Manko der Rentenauf-
    gesetzlichen RV                                              stockungsmodelle liegt darin, dass Versicherungs-
                                                                 und Fürsorgeprinzip miteinander vermischt werden.
Die derzeit in allen Bundestagsparteien diskutierten
                                                                 Die Rente wird durch weitgehende Einkommens-
Rentenaufstockungsmodelle erscheinen kaum geeig-
                                                                 prüfungen und -anrechnungen – in die auch die
net, die konstatierten negativen Vorsorgeanreize zu
                                                                 Partnereinkommen einbezogen werden – zu einer
beseitigen. Sie sehen im Fall langjähriger Versiche-
                                                                 bedarfsabhängigen Leistung gemacht. Das kann zum
rung und Beitragszahlung eine Aufstockung niedriger
                                                                 einen dazu führen, dass zwei Institutionen – Grund-
Renten auf einen bestimmten Grenzbetrag11 vor und
                                                                 sicherungsämter und Rentenversicherungsträger
belohnen damit langjährige Versicherung und Bei-
                                                                 (RV-Träger) – die Einkünfte der Betroffenen nach
tragszahlung; soweit eine langjährige Zusatzvorsorge
                                                                 unterschiedlichen Kriterien prüfen, und zum ande-
zur Voraussetzung für die Aufstockung der Renten-
                                                                 ren dazu, dass das vermeintliche Stigma der Grund-
ansprüche gemacht wird, können sie auch als ein
                                                                 sicherung im Alter – die ja selber u. a. auch einge-
Anreiz zur Eigenvorsorge betrachtet werden. Sofern
                                                                 führt wurde, um den Bezug von Sozialhilfe im
allerdings die Voraussetzungen hinsichtlich der erfor-
                                                                 Alter zu entstigmatisieren – auf die RV übertragen
derlichen Versicherungs- bzw. Zusatzvorsorgezeiten
                                                                 wird.
so hoch angesetzt werden, dass ihre Erfüllung kaum
planbar erscheint, verfehlen Aufstockungsmodelle                 Mit den Aufstockungsmodellen werden also im Ergeb-
ihren Vorsorgeanreiz: Die Aufstockung hat dann eher              nis keine negativen Vorsorgeanreize reduziert, son-
den Charakter einer bloßen nachträglichen Beloh-                 dern es wird die nachsorgende Armutsbekämpfung
nung in der Form, dass das Einkommensdefizit der                 – für ausschließlich eine Teilgruppe der von Armut
Betroffenen nicht vom Sozialamt, sondern von der                 betroffenen Rentenbezieher – in die gesetzliche RV
gesetzlichen RV gedeckt wird.                                    verlagert.
Hinzu kommt, dass in den bislang vorgelegten Auf-
stockungsmodellen die Höhe der Eigenvorsorge weit-               4.2 Freibetragsmodelle in der Grundsicherung
gehend unerheblich ist. Es kommt im Grundsatz                    Die Zielsetzung, dass Menschen, die für ihr Alter vor-
lediglich auf das Erreichen einer bestimmten Anzahl              gesorgt haben, auf jeden Fall ein höheres Alters-
an Vorsorgejahren in der gesetzlichen RV und in                  einkommen beziehen als jene, die dies nicht getan
einem Zusatzsicherungssystem an. Sofern die Voraus-              haben, kann auch durch entsprechende Modifika-
setzungen für eine Aufstockung erfüllt sind, führt eine          tionen der Grundsicherung realisiert werden. Das
höhere Eigenvorsorge nicht zu einem höheren Alters-              zeigt sich z. B. im Vorschlag einer Einführung von
einkommen, da auf einen einheitlichen Betrag aufge-              Freibeträgen für Alterssicherungsleistungen in der
stockt wird. Das Legitimationsproblem der Beitrags-              Grundsicherung, wie ihn z. B. der SoVD und Ver.di,
                                                                 aber auch eine Gruppe junger Abgeordneter aus der
11
     Zu den Einzelheiten s.: Dünn, Stosberg (2013), Das „Ren-    FDP und der Union formuliert haben. Darin wird vor-
     tenpaket“ – Rückblick und Vorschau. In: RVaktuell 6/2013,   geschlagen, zumindest einen Teil der beitragserwor-
     S.119–126.                                                  benen Alterssicherungsleistungen von der Einkom-

                                                                                              RVaktuell 10/2013 275
mensanrechnung in der Grundsicherung auszuneh-            kommen oberhalb des grundsicherungsrelevanten
men, so dass diejenigen, die (überhaupt) vorgesorgt       Bedarfs liegt. Nach dem Modell von Ver.di/SoVD
haben, durch entsprechende Freibeträge in der             wären bei einem grundsicherungsrelevanten Bedarf
Grundsicherung ein höheres Alterseinkommen er-            von 680 EUR noch Personen mit Nettoalterseinkom-
zielen würden, als diejenigen, die das nicht getan        men von rd. 855 EUR (das entspricht einer Brutto-
haben. Auf die Anzahl der Versicherungsjahre kommt        rente von ca. 950 EUR) grundsicherungsberechtigt14.
es in diesem Modell nicht an. Bei Umsetzung dieses        Dieser „statistische Effekt“, wonach trotz Verbesse-
Modells würde sich daher auch eine geringe oder           rung der Leistungen für ältere Menschen mit niedri-
eine im Lebensverlauf erst spät einsetzende Vorsorge      gen Einkommen die Zahl der Grundsicherungs-
lohnen. Ob sie sich immer lohnt, hängt allerdings von     beziehenden, die ja auch als Indikator für Alters-
der konkreten Ausgestaltung des Freibetragsmodells        armut verwendet wird, steigt, ist sicherlich ein erheb-
ab.                                                       liches Problem für eine Umsetzung derartiger
Im Unterschied zum Ansatz der jungen Abgeordne-           Modelle.
ten, der nur Leistungen aus der privaten und betrieb-
lichen Vorsorge von der Anrechnung ausnehmen              5. Vorsorgeanreize durch Ergänzungsleistungen zur
will12, plädieren der SoVD und Ver. di für eine Berück-      gesetzlichen RV
sichtigung aller Alterssicherungsleistungen13, d. h.      Die mit den bisher diskutierten Varianten der Frei-
auch der obligatorisch erworbenen Leistungen aus          betragsmodelle einhergehende Erhöhung der Anzahl
der gesetzlichen RV. Leistungen bis zu einer Höhe         der Grundsicherungsbeziehenden und damit der Ar-
von 100 EUR sollen danach vollständig von der             mutsquote ließe sich allerdings durch eine Modifikati-
Anrechnung auf die Grundsicherung freigestellt            on dieser Modelle verhindern, bei der die zusätzliche
werden, über diesen Betrag hinausgehende Leis-            Leistung nicht in einer Erhöhung der Grundsiche-
tungen bis 200 EUR zu 50 % und darüber hinaus-            rung, sondern in einer ergänzenden Leistung der Trä-
gehende Leistungen bis 300 EUR noch zu 25 %.              ger der (teilweise) freigestellten Alterssicherungsleis-
Im Modell von Ver.di/SoVD lohnt sich damit vor allem      tung bestünde. Eine solche „Ergänzungsleistung“
das Sparen für den Grundstock einer eigenen Vor-          würden zudem die Attraktivität der Beitragszahlung
sorge. Eigenvorsorge, die zu monatlichen Leistungen       klarer erkennbar machen, weil sich durch die Bei-
in Höhe von mehr als 300 EUR führt, würde dagegen         tragszahlung nicht die Grundsicherung erhöhen
tendenziell immer zum gleichen Alterseinkommen            würde, sondern eine zusätzliche Leistung durch den
führen.                                                   Träger erfolgt, an den die Beiträge gezahlt worden
Nach den Freibetragsmodellen lohnt sich Altersvor-        sind.
sorge auch im Fall späterer Bedürftigkeit stets. Wer      Diese modifizierte Form der Freibetragsmodelle ba-
Vorsorge betrieben hat, erhält im Alter in jedem Fall     siert grundsätzlich darauf, dass die RV (und ggf. die
mehr als derjenige, der das nicht getan hat. Dieser       Träger anderer Alterssicherungsleistungen) Bezie-
Anreiz besteht unabhängig von der Frage, ob zusätz-       hern von Leistungen der Grundsicherung monatlich
liche versicherungsrechtliche Voraussetzungen er-         eine Ergänzungsleistung in Höhe eines bestimmten
füllt sind oder überhaupt noch erfüllt werden können,     Prozentsatzes ihrer Rente (z. B. 10 %) zahlt, die nicht
wie das bei den Aufstockungsmodellen der Fall ist.        auf die Grundsicherung angerechnet würde. Voraus-
Die Tatsache, dass sich bei den vorgeschlagenen Frei-     setzung für die Ergänzungsleistung wäre also die vom
betragsmodellen eine höhere Eigenvorsorge ggf.            Grundsicherungsamt (z. B. mit der Bewilligung der
nicht rentiert – wer mehr vorsorgt erhält nicht immer     Grundsicherungsleistung) bestätigte Bedürftigkeit
mehr –, liegt an der konkreten Ausgestaltung der          des Rentenbeziehers. Eine zusätzliche Bedürftigkeits-
Modelle. Freibetragsmodelle lassen sich auch so ge-       prüfung durch die RV wäre nicht erforderlich. Die
stalten, dass sich jede Vorsorge lohnt, indem z. B. der   Höhe der Ergänzungsleistung wäre abhängig von der
Freibetrag als prozentualer Anteil (von z. B. 10 % oder   Höhe des Rentenanspruchs der Betroffenen und trüge
15 %) der Rente und ggf. weiterer Alterseinkünfte         insofern dem Gedanken des Äquivalenzprinzips Rech-
definiert würde, der bei der Prüfung des Grundsiche-      nung.
rungsanspruchs von der Einkommensanrechnung
auszunehmen ist.                                          12
                                                               Vgl. Gemeinsames Positionspapier junger Abgeordneter der
Ein ganz erheblicher Vorteil der Freibetragsmodelle            Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP: Damit pri-
gegenüber den Aufstockungsmodellen liegt darin,                vate Vorsorge sich lohnt. www.sebastian-blumenthal.de/
dass Grundsicherung und gesetzliche RV nicht mit-              files/sblumenthal/uploads/documents/20121001_damit_private_
                                                               vorsorge_sich_lohnt.pdf. Aufgerufen am 12. 9. 2013.
einander vermischt werden. Die Armutsbekämpfung           13
(als Ausgleich von Einkommensdefiziten im Alter,               Vgl. Sozialverband Deutschland (SoVD) 2013): Für eine lebens-
                                                               standardsichernde gesetzliche Rente (www.sovd. de), oder Ver.di
die trotz Vorsorgeanreizen entstanden sind) fände              (2012): sopoaktuell Nr.12; Rentenzuschuss statt Zuschuss-
weiterhin ausschließlich in der Grundsicherung statt.          rente – ein Alternativmodell von ver.di und SoVD.
Allerdings käme es zu einer Ausweitung der Anzahl         14
                                                               Wenn z. B. der individuelle Grundsicherungsbedarf 700 EUR
der Menschen, die Grundsicherung beziehen: Durch               beträgt und der Betroffene ein Einkommen von 800 EUR bezieht,
die Berücksichtigung der Freibeträge wären auch                von dem allerdings 175 EUR anrechnungsfrei bleiben, verbliebe
Personen grundsicherungsberechtigt, deren Ein-                 ihm ein Grundsicherungsanspruch von 75 EUR.

276 RVaktuell 10/2013
Das Verfahren könnte dabei grundsätzlich folgender-                  nach geltendem Recht der Fall ist, weil die Gegen-
maßen ablaufen: Der Versicherte beantragt zunächst                   überstellung von Bedarf und Einkommen auch für
beim Grundsicherungsamt eine Grundsicherungsleis-                    diejenigen Personen erforderlich wäre, die bei über-
tung. Das Grundsicherungsamt ermittelt – unter                       schlägiger Betrachtung der Bedarfs- und Einkom-
Berücksichtigung der individuellen Umstände des                      menssituation nach geltendem Recht keinen Antrag
Antragstellenden (Höhe der Wohnkosten, ggf. indivi-                  auf Grundsicherung stellen würden, weil sie davon
duelle Sonderbedarfe, etc.) den Grundsicherungs-                     ausgehen, dass ihr Einkommen den Bedarf gering-
bedarf und stellt die darauf anzurechnenden Einkom-                  fügig überschreitet.
men der Betroffenen fest; bei dieser Einkommens-
anrechnung bleibt ein prozentualer Anteil der Rente                  5.1 Finanzierung der Ergänzungsleistungen
(und ggf. weiterer Alterseinkünfte) ausgenommen.                     Das Volumen der Ergänzungsleistung würde neben
Das Grundsicherungsamt zahlt anschließend den Be-                    dem gewählten Prozentsatz für den bei der Einkom-
troffenen als Grundsicherungsleistung jenen Betrag                   mensanrechnung zu berücksichtigenden Freibetrag
aus, der sich – wie nach geltendem Recht – ohne Frei-                der Rente von der Anzahl der Grundsicherungsbezie-
betrag bei der Einkommensanrechnung ergäbe und                       henden mit Rentenanspruch sowie der Höhe ihrer
informiert den zuständigen RV-Träger von dem auf-                    Rente abhängen. (Hinzu kämen die Kosten für Ergän-
grund der Freibetragsregelung entstandenen monat-                    zungsleistungsbezieher, deren Alterseinkommen
lichen Anspruch der Betroffenen. Der RV-Träger                       geringfügig oberhalb ihres individuellen Grundsiche-
überweist dann diese „Ergänzungsleistung“ mit der                    rungsbedarfs liegt.) Die Zahl der über 65-jährigen
Rentenzahlung an die Betroffenen. Durch einen sol-                   Grundsicherungsbeziehenden, bei denen eine Alters-
chen Ansatz würde sichergestellt, dass Menschen, die                 rente angerechnet wurde, lag Ende 2011 bei rd.
Rentenansprüche in der gesetzlichen RV erworben                      308 000 Personen, der durchschnittliche Anrech-
haben, auch bei Grundsicherungsbedürftigkeit im                      nungsbetrag lag bei 339 EUR15. Die Zahl der 18- bis
Alter auf jeden Fall – also auch in Regionen mit über-               65-jährigen Grundsicherungsbeziehenden mit einer
durchschnittlichen Wohnkosten oder bei Menschen                      angerechneten Rente wegen Erwerbsminderung be-
mit Sonderbedarfen – über ein höheres Einkommen                      trug im selben Jahr rd. 119 000, der durchschnittliche
verfügen als Menschen, die keine Ansprüche in der                    Anrechnungsbetrag lag hier bei 380 EUR. Geht man
gesetzlichen RV erworben haben. Das Ausmaß des                       beispielhaft davon aus, dass 10 % der jeweiligen Ren-
über die Grundsicherungsleistung hinausgehenden                      tenleistungen bei der Einkommensanrechnung unbe-
Einkommens würde sich dabei nach der Höhe der                        rücksichtigt bleiben und die daraus resultierenden
selbst erworbenen Rentenansprüche richten.                           Beträge als Ergänzungsleistung ausgezahlt würden,
Um „Überholvorgänge“ bei Personen, deren Einkom-                     käme man auf ein Volumen von rd. 180 Mio. EUR16 im
men geringfügig oberhalb des individuellen Grund-                    Jahr. Hinzu kämen die Kosten der begrenzten Ergän-
sicherungsbedarfs liegt, zu verhindern, bedürfte es                  zungsleistung für Rentner, deren Einkommen nur
einer Sonderregelung, denn Rentenbezieher mit                        geringfügig über der Grundsicherungsgrenze liegt.
Renten unter der Grundsicherungsgrenze, die eine                     Als vorbeugendes Instrument zur Vermeidung bzw.
Ergänzungsleistung zur Rente erhielten, könnten da-                  Reduzierung von Altersarmut erfüllen die Ergän-
durch ein höheres Gesamteinkommen erreichen als                      zungsleistungen eine gesamtgesellschaftliche Auf-
Rentner, deren Renten geringfügig darüber liegen,                    gabe, ihre Finanzierung sollte deshalb systemgerecht
die aber von einer solchen Regelung ausgeschlossen                   aus Steuermitteln erfolgen.
wären: Da die Grundsicherungsämter bei der Ermitt-
lung des Grundsicherungs- und des Ergänzungs-                        6. Fazit
betrages einen prozentualen Freibetrag von der Ein-
                                                                     Die nachsorgende Bekämpfung von Altersarmut
kommensanrechnung ausnehmen, erhalten auch
                                                                     sollte nicht in die gesetzliche RV verlagert werden,
Personen mit einer Rente knapp über dem Grund-
                                                                     sondern systemgerecht bei der Grundsicherung ver-
sicherungsbedarf noch eine (geringe) Ergänzungs-
                                                                     bleiben. Im derzeitigen Alterssicherungssystem ange-
leistung, so dass sie ein höheres Gesamteinkommen
                                                                     legte negative Vorsorgeanreize für Geringverdiener
– Rente plus Ergänzungsleistung – erhalten als Perso-
                                                                     lassen sich im Rahmen einer ursachenadäquaten prä-
nen mit einer geringeren Rente.
                                                                     ventiven Strategie zur Vermeidung von Altersarmut
Die Grundsicherungsämter hätten allerdings bei Um-                   effizient vermeiden, wenn im Rahmen der Feststel-
setzung eines solchen Reformansatzes mehr Bedarfs-                   lung des individuellen Grundsicherungsanspruchs
und Einkommensprüfungen zu bearbeiten, als das                       bei der Anrechnung eigener Alterseinkommen Frei-
                                                                     beträge berücksichtigt werden. Die aus diesen Frei-
15
     Grundsicherungsstatistik des Statistischen Bundesamts vom       beträgen resultierenden Leistungen könnten als Er-
     31.12. 2011. Tabelle G. 9.1 und A.8.1.                          gänzungsleistung durch die RV-Träger ausgezahlt
16
     Als Richtwert für die Kosten einer Ergänzungsleistung in Höhe   werden. Auf diese Weise würde deutlich, dass sich die
     von 10 % der Nettorente (Bruttorente abzüglich derzeit 10,25%   Beitragszahlung zur gesetzlichen RV immer lohnt –
     Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge). Im Fall einer auf    auch im Falle späterer Bedürftigkeit.
     den Bruttobetrag der Rente gezahlten Ergänzungsleistung wür-
     den sich die Kosten um die von Rentnern und RV-Trägern zu       Um den Ansatz der Ergänzungsleistungen im Alters-
     zahlenden Sozialversicherungsbeiträge erhöhen.                  sicherungssystem der drei Säulen fruchtbar zu

                                                                                                  RVaktuell 10/2013 277
machen, könnte in einem weiteren Schritt über         – oder anderer Formen der geförderten Vorsorge –
eine vergleichbare Regelung in Bezug auf die          in den unteren Einkommensgruppen durchaus be-
Riester-Renten nachgedacht werden. Stellt doch        günstigen und auf diese Weise nicht zuletzt zu einem
die Tatsache, dass die Riester-Rente im Fall der      geringeren Anstieg der künftigen Altersarmut bei-
Grundsicherungsbedürftigkeit in vollem Umfang         tragen.
angerechnet wird, eines der Hauptargumente gegen
den Abschluss dieser – für Geringverdiener mit        17
                                                           Vgl. Loose, Thiede (2012): Trägt die Riester-Rente zur Vermei-
Kindern besonders stark geförderten – Form der             dung von Altersarmut bei? In: Vogel, Motel-Klingebiel (Hrsg.):
Vorsorge dar17. Die Einführung von Ergänzungs-             Altern im sozialen Wandel: Die Rückkehr der Altersarmut?,
leistungen könnte die Verbreitung der Riester-Rente        S.161–174.

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