Weidemast - ein Produktionssystem mit Zukunft
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36 TIER Weidemast – ein Produktionssystem mit Zukunft Lohnende Bioabsatzkanäle für Kälber aus Milchbetrieben sind rar. Der Verkauf an konventionelle Mäster ist nicht nachhaltig und widerspricht dem Tierwohlanspruch der Biobranche. Einen Lösungsweg zeigt die Schweizer Bioweidemast auf. Sie holte Handelsgrößen wie Migros, Aldi und Lidl mit ins Boot. Von Verena Bühl und Franz J. Steiner Eine erfolgreiche Vermarktung von Weidemasttieren über die Ladentheken und hatte gerade einen Alpbetrieb dazu- Bioochsen und -rindern aus Weide- von Migros, Aldi, Lidl sowie Metzgerei- gepachtet. Die anspruchsvollen Böden haltung, die ohne Kraftfutter gemästet en. Die Fidelio-Biofreiland AG beliefert waren für schwere Tiere wenig geeignet, wurden – dass das möglich ist, beweist Fachgeschäfte und Restaurants. Etwa und der Arbeitsaufwand für die Milch- seit gut zwei Jahrzehnten das Schweizer 800 Betriebe zählen zu den Produzen- produktion wurde schlicht zu hoch. Auf Produktionssystem der Bioweidemast, ten. Die Migros-Partnerbetriebe sind in der Suche nach einer Lösung für seinen aus dem verschiedene Label hervorge- der IG Bio Weide-Beef organisiert, die Betrieb stand Meinrad Steiner vor der gangen sind. Unter dem Namen „Bio nicht nur die Preisverhandlungen führt, Entscheidung, entweder die Vertragsauf- Weide-Beef“ vertreibt die Migros, der sondern zum Beispiel auch Weiterbil- zucht von Rindern für Milchviehbetrie- größte Schweizer Lebensmitteleinzel- dungen für Mitglieder anbietet. be aus- oder einen neuen Betriebszweig händler, seit 1999 den Löwenanteil des aufzubauen. Seine Entscheidung fiel auf Rindfleischs aus der Bioweidemast. Vor die Weidemast mit zugekauften Abset- Kurzem sind auch Aldi (unter dem La- Weidemast – ein Wagnis? zern. Die damalige staatliche Milchkon- bel „Bio Weiderind“) sowie Lidl („Bio tingentierung erleichterte das Wagnis, Organic Weiderind“) als weitere große Den Stein ins Rollen gebracht hat 1997 denn das eigene Milchkontingent durfte Player auf dem Schweizer Lebensmit- ein Landwirtschaftsbetrieb in der Zen- an einen Partnerbetrieb vermietet wer- telmarkt in den Verkauf von Biowei- tralschweiz. Milchproduzent Meinrad den, der im Gegenzug die Kälber aufzog derindfleisch eingestiegen. Aktuell geht Steiner bewirtschaftete damals überwie- und im Alter von circa 150 Tagen an jede Woche das Fleisch von circa 200 gend steile oder flachmoorige Flächen den Mastbetrieb verkaufte.
5 | 2021 37 Bei der Suche nach Absatzwegen für bis nach dem Abtränken auf dem Ge- Schlachtqualität entspricht nach EU- ihre Bioweiderinder und -ochsen fand burtsbetrieb deren Gesundheit. Damit ROP etwa R bis E. die Familie Steiner mit Eric Meili vom geht einher, dass der Antibiotikaeinsatz FiBL Schweiz, dem Vermarkter Li- für diese Tiere erheblich unter demjeni- Wenn ab 2022 für Schweizer Biobetrie- nus Silvestri AG und dem Abnehmer gen für Kälber liegt, die während ihrer be die Kraftfutterlimitierung auf fünf Hermann Blaser von der Migros Ost- Tränkephase den Betrieb wechseln. Prozent verschärft wird (bei gleichzeitig schweiz die richtigen Partner. Letzte- eingeschränkter Fütterung von Mais- re war interessiert daran, nachhaltig Ein entscheidender Faktor der Weide- und anderen Ganzpflanzensilagen), wer- erzeugtes Rindfleisch anzubieten, und mast ist die Auswahl geeigneter Rassen. den die Karten bei der Rassenwahl noch Hermann Blaser war überzeugt, genau Meinrad Steiner erzielte die besten Er- einmal neu gemischt. Der sich bereits das in der Weidemast gefunden zu ha- gebnisse mit Original Schweizer Braun- abzeichnende Trend hin zu Tieren, die ben. vieh und Simmentaler, für die steilen Raufutter effizienter verwerten können, Alpflächen waren leichtere Tiere wie könnte sich dann auch auf Milchvieh- Grauvieh und Hinterwäldler ideal. Die betrieben mit einem steigenden Einsatz Nachhaltig und Realität auf den meisten Milchbetrie- von Zweinutzungsrassen fortsetzen. ressourcenschonend ben sind jedoch milchleistungsbetontere Kühe. Hier bringt wiederum eine Be- Die Weidemast erweist sich als ausge- legung mit geeigneten Maststieren wie Wer bezahlt die Kälberaufzucht? sprochen nachhaltiges Produktions- Limousin den großen Vorteil des He- system, insbesondere wenn Alpweiden terosiseffekts: Die Kälber zeichnen sich Im Jahr 2009 wurde die Milchkontin- und Flächen mitgenutzt werden, die für durch eine überdurchschnittliche Leis- gentierung in der Schweiz aufgehoben, schwere Tiere nicht geeignet sind. Auf tung aus. was die Frage der kostendeckenden Käl- Kraftfutter wird verzichtet, im Winter beraufzucht mit sich brachte. Die Basis werden die Tiere mit Heu und Grassi- Spätestens im Alter von 26 bis 30 Mona- der Bioweidemast, das Abtränken auf lage gefüttert. Diese effiziente Nutzung ten (je nach Label) müssen die Tiere den dem Geburtsbetrieb, wurde praktisch betriebseigener Ressourcen mit einer Ausmastgrad erreicht haben. Das ange- aufgegeben. Die Milchbauern verkauf- hohen Fleischleistung je Hektar Weide- strebte Schlachtgewicht für Bio Weide- ten ihre Kälber im Alter von drei Wo- fläche ist sowohl der reinen Milchvieh- Beef liegt aktuell bei 260 bis 280 (max. chen an einen konventionellen Mäster haltung als auch der Mutterkuhhaltung 320) Kilogramm mit einer Fettabde- und die Bioweidemäster mussten sich mit intensiven Mastrassen überlegen und ckung von 2 bis 3, für das Bioweiderind daher neu aufstellen. Einige stiegen auf darf für sich in Anspruch nehmen, na- von Aldi Schweiz bei 310 Kilogramm Mutterkuhhaltung um, die anderen hezu klimaneutral zu produzieren. Nicht (schwerere Tiere werden angenommen, kauften vermehrt Absetzer aus der Mut- zuletzt fördert die Aufzucht der Kälber jedoch mit Abzügen). Die erwünschte terkuhhaltung zu.
38 TIER Dank leichterer Tiere eignet sich die Bioweidemast besonders gut für Damit die Tiere innerhalb von 26 bis 30 Monaten den Ausmastgrad die Nutzung steiler Alpflächen und anspruchsvoller Böden. erreichen können, ist ein gutes Weide- und Futtermanagement Alle Fotos © Franz J. Steiner unerlässlich. Um die ursprüngliche Idee der Weide- Gründen ist es in jedem Fall notwendig, der Marktwert der auf dem Aufzuchtbe- mast mit Aufzucht auf dem Geburtsbe- Bullenkälber für die Weidemast früh zu trieb eingesetzten Milch. trieb wieder aufzunehmen, betreute das kastrieren. FiBL von 2018 bis 2020 ein Projekt für Es besteht die Hoffnung, dass mit einer Aldi Schweiz, aus dem das Label „Bio Herausfordernd für die Produzenten ist größeren Anzahl an Biomilchbetrieben Weiderind“ hervorging. Der sehr er- es, eine gleichmäßige Lieferung über in Zukunft mehr Kälber auf Milchvieh- folgreiche Markteinstieg stimmt hoff- das ganze Jahr zu gewährleisten. Erfah- betrieben aufgezogen werden. Weil im nungsvoll. Zurzeit fehlen noch Plätze rungsgemäß sind die Tageszunahmen Schweizer Biolandbau das Spermasexing für die Aufzuchtkälber. Die Bioweide- im Winter besser als im Sommer, das nicht erlaubt ist, setzen Milchbetriebe mäster stehen außerdem zunehmend in heißt, es gibt oft mehr fette Tiere im zunehmend auf fleischigere Milchrassen, Konkurrenz mit Intensivmästern, die Spätwinter bis Frühling und nur knapp deren Kälber sich auch gut für die Wei- wegen der sinkenden Milchkuhbestän- gedeckte Tiere im Sommer und Herbst. demast eignen. de auch auf Biobetrieben Kälber suchen Schlachtreife Tiere für den Spätsommer und gute Preise zahlen. Die Nachfrage zu produzieren, ist nicht einfach. Die Die Zuverlässigkeit der Abnehmer er- nach Bioweidefleisch kann daher aktuell Rinder und Ochsen müssen auf guten laubt es den Bioweidemastbetrieben, nicht gedeckt werden. Weiden gehalten werden und immer langfristige Partnerschaften mit Milch- genügend Gras zur Verfügung haben. viehbetrieben, aber auch mit Mutter- Tiere für Sommerschlachtungen bedeu- kuhhaltern einzugehen, denen ein Ab- Fette Rinder, magere Ochsen? ten damit grundsätzlich mehr Aufwand, satz ihrer Kälber garantiert werden kann. sind also teurer in der Produktion. Übers Ohne ein gutes Weidemanagement und Jahr gesehen lässt sich ein knappes Fut- gezielte Fütterung besteht bei der Wei- terangebot im Sommer mit geringeren K U R Z Z U S A M M E N G E FA S S T demast die Gefahr, dass Rinder verfet- Tageszunahmen durch das „kompensa- ten oder Ochsen unter ihrer möglichen torische Wachstum“ während der Win- Die Weidemast von Rindern und Och- Mastleistung bleiben. Meinrad Steiner terfütterung ausgleichen – vorausgesetzt, sen ohne Kraftfuttereinsatz hat sich in teilte seine Masttiere für die Winter- es steht ihnen dann im Stall genügend der Schweiz als ressourceneffizientes Be- fütterung in Gewichtsgruppen ein. Die gutes Futter zur Verfügung. triebskonzept für Biobetriebe etabliert. jüngsten Tiere und die in der Ausmast Für Milchbetriebe eröffnet sie die Chan- bekamen das beste Futter, die mittle- ce, die Kälber aufzuziehen und im Sinne ren Gruppen die weniger gute Qualität Eine Gleichung, die aufgeht des Tierwohls in die Biomast zu geben. (Ökoheu). Neben der getrennten Fütte- Zu den Erfolgsfaktoren zählen geeigne- rung von Rindern und Ochsen hilft auch Das Produktionssystem Bioweidemast te Rassen, ein gutes Futtermanagement die Auswahl fleischbetonter Rassen, um ist eine Gleichung, die sehr gut aufgehen und zuverlässige Marktpartner. Verfettung zu vermeiden. Bei optima- kann – aber auch eine mit vielen Vari- lem Management können die meisten ablen. Zu den entscheidenden Faktoren Tiere bereits zum Ende des Alpsommers einer wirtschaftlichen Produktion zählen Verena Bühl und Franz J. Steiner, in den Schlachthof geliefert werden. Tränker- und Absetzerpreise, die erziel- Departement Nutztierwissenschaften, Aus arbeits- und sicherheitstechnischen baren Schlachterlöse sowie nicht zuletzt FiBL Schweiz
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