Welche Rolle spielen Auswahlverfahren für soziale Herkunfts- und Geschlechterunterschiede beim Zugang zum Medizinstudium? - BMBF-Fachtagung ...
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Welche Rolle spielen Auswahlverfahren für soziale Herkunfts- und Geschlechterunterschiede beim Zugang zum Medizinstudium? Claudia Finger Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung BMBF-Fachtagung, 21.11.2019, Berlin
Überblick • Erste Ergebnisse des DFG-geförderten Projekts “Soziale Ungleichheit beim Zugang zu prestigereichen Studienfächern: Das Zusammenspiel von Bewerbungsstrategien und Auswahlverfahren“ • https://www.wzb.eu/de/forschung/dynamiken-sozialer- ungleichheiten/ausbildung-und-arbeitsmarkt/projekte/soziale- ungleichheit-beim-zugang-zu-prestigereichen-studienfaechern • Fokus der Präsentation: Einfluss von Tests als Auswahlinstrument auf Männer/Frauenanteil unter Bewerber*innen für medizinische Studiengänge 2
Auswahlverfahren und Zugangschancen • Bildungsinstitutionen, so auch Hochschulen – fungieren als Gatekeeper und beeinflussen Übergänge im Bildungssystem – können dadurch potentiell zu sozial ungleich verteilten Zugangschancen beitragen • Indirekte Wirkung: Definition von Kriterien / Verfahren, die… – …abschrecken oder anziehen: Antizipation und Bewerbungsentscheidungen (e.g., Hoxby & Avery 2013, Roderick et al. 2011) – …mehr oder weniger gut erfüllt werden können (z.B. ungleich verteilte Ressourcen, Bildungsbiographien, “shadow-eduction”) (e.g., Alon 2009, Erikson & Jonsson 1996) – …Bewerbungsstrategien fördern (“navigation skills”) (Berggren 2007, Buchmann et al. 2010, Hoxby & Avery 2013, McDonough 1997, Reay et al. 2001) • Direkte Wirkung: Auswahl von Bewerber_innen mit bestimmten Merkmalen (z.B. in Interviews) (vgl. Karabel 2005, Zimdars et al. 2009) 3
Zugangsbarrieren zum Studium in Deutschland? • Kaum Forschung zum deutschen Kontext: – Selektion im stratifizierten Schulsystem – vergleichsweise homogenes Hochschulsystem – Übergang von Studienberechtigten = “undramatisch” (Teichler 2005: 319) • Aber: Stärkung der Gatekeeping-Rolle von deutschen Hochschulen in letzten Jahrzehnten (vgl. Heine et al. 2008, Wissenschaftsrat 2004) • Ausgeprägte Varianz in den Zugangsbarrieren nach Fach (Finger et al. 2018, Gehlke et al. 2018) medizinische Studiengänge: besonders selektiv (bundesweit zulassungsbeschränkt, Zulassungswahrscheinlichkeit: 20%) 4
Bisherige Zulassung zum Medizinstudium Quote I: 20% Quote II: 20% Quote III: 60% Abitur- Wartezeit „Auswahlverfahren der Hochschulen“ (AdH): durchschnitt Neben Abiturnote weitere Verfahren / Kriterien: Test, Interviews, Berufserfahrung, Schulfächer, (circa 1,0) (circa 14 Preise etc. Semester) Varianz zwischen Hochschulen und über Zeit Bewerbung Bewerbung Bewerbung 0-6 Bewerbungen pro Quote 1 Berlin 1 1 Berlin 2 München 2 2 München 3 Heidelberg 3 3 Heidelberg 4 4 4 Leipzig 5 5 5 Hamburg 6 6 6 Hannover 5
Geplante Änderungen der Zulassung zum Medizinstudium Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2017 + Beschluss der KMK 2018 Verfahrensänderung: Abiturbestenquote wird von 20 auf 30% erhöht Abschaffung der Wartezeitquote Einführung einer Eignungsquote (10%) AdH-Quote: neben der Abiturnote müssen mindestens zwei weitere Kriterien berücksichtigt werden; fachspezifischer Studieneignungstest als verbindliches Kriterium Eignungstests gewinnen an Relevanz Potentielle Auswirkungen auf Zugangschancen? 6
Tests: zunehmend wichtiges Verfahren zur Auswahl von Medizinstudierenden .8 Anteil Programme mit Test .7 Beeinflussen Tests den Frauen/Männeranteil unter Bewerber*innen für (und Zugelassenen zu) medizinischen Studiengängen? .6 - Wettbewerbsorientierung - Schulleistung - Annahme: Test erhöhen Anteil an Männern (insbesondere mit mittlerer Schulleistung) .5 12 14 16 18 Bewerbungsjahr Quelle: Dokumente der SfH 2012-2018, eigene Zusammenstellung 7
Hoher Frauenanteil an Medizinstudierenden Anteil Frauen im ersten Semester, 1971 - 2011 Medizin Gesamt 8
Daten: 1) Bewerbungsregister der Stiftung für Hochschulzulassung Wintersemester 2012-2018 Medizin Zahnmedizin Tiermedizin Pharmazie Total N Bewerber*innen 303.901 45.363 32.138 28.475 409.877 N Studienplätze 63.701 10.596 7.461 13.016 94.774 Bewerbung pro Platz 4,8 4,3 4,3 2,2 4,3 N Studiengänge 35 29 5 22 91 (Hochschulen) N Jahre 7 7 7 7 7 N 245 203 35 154 637 Studiengänge*Jahre 2) institutioneller Datensatz: Auswahlgrenzen, Auswahlverfahren, weitere Studiengangsmerkmale 9
Methoden • Sample: Bewerber*innen der AdH-Quote, Ausschluss von Bewerber*innen mit sehr hohen Zulassungschancen in anderen Quoten (sehr gute Abiturnote, sehr lange Wartezeit) • Umwandeln der Datenstruktur: Erstellen eines aggregierten Datensatzes auf Studiengagsebene (z.B. Frauenanteil, Durchschnittsnote pro Studiengang) • Analyseeinheit: 35 medizinische Studiengänge über 7 Jahre (245 Jahr-Programm-Kombinationen) • Analysestrategie: – Studiengang-fixed effects nutzt Varianz innerhalb eines Studiengangs über die Zeit (kontrolliert für zeitkonstante, unbeobachtete Merkmale) – Zeitveränderliche Kontrollvariablen (z.B. Studiengebühren, weitere Auswahlverfahren) – Jahr-fixed effects (kontrolliert für allgemeine Zeittrends) 10
Unabhängige Variable: Anwendung von Tests zur Studierendenauswahl .8 Anteil Programme mit Test .6 .5 .7 12 14 16 18 Bewerbungsjahr Quelle: Dokumente der SfH 2012-2018, eigene Zusammenstellung 11
Abhängige Variable: Männeranteil an Bewerbungen pro Studiengang Quelle: SfH Bewerbungsregister 2012-2018, eigene Berechnung 12
Durchschnittsnote von männlichen und weiblichen Bewerbungen pro Studiengang Quelle: SfH Bewerbungsregister 2012-2018, eigene Berechnung 13
Multivariate Ergebnisse: Program-Jahr Fixed Effects abhängige Variable Test Anteil Männer 0.013*** (0.003) Tests erhöhen Leistungs-Quintile 1 -0.039*** (0.011) Männeranteil unter 2 0.006 (0.012) Bewerbungen leicht 3 0.017** (0.008) 4 0.023** (0.008) Insbesondere im Leistungs-Quintile 5 -0.007 (0.007) mittleren Anteil Männer Q1 0.008* (0.005) Schulleistungsspektrum 2 0.015* (0.009) 3 0.027*** (0.006) 4 0.009** (0.004) Anteil Männer Q5 0 Enthält Program-Jahr FE, zeitveränderliche Kontrollvariablen Quelle: SfH Bewerbungsregister 2012-2018, eigene Berechnung 14
Limitationen & nächste Schritte Effekt von Tests auf Geschlechterkomposition nicht sehr stark Schwaches “Treatment”?: im derzeitigen Verfahren sind Tests in der Regel chancensteigernde, aber nicht verpflichtende Kriterien Steigende Effekte durch vermehrte Anwendung nach Verfahrensrefrom? Weitere, wichtige Ungleichheitsdimension: soziale Herkunft Zugang zum Medizinstudium hochgradig sozial selektiv Tragen Tests dazu bei, dies zu verschärfen? (z.B. durch soziale Ressourcen, kostenintensive Vorbereitungskurse) Bisheriger Fokus: Unterschiede in der Bewerbungswahrscheinlichkeit Einfluss von Tests auf Unterschiede in den Zulassungschancen (durch Unterschiede in Testleistung)? direkte Wirkung Auch wenn sich hierbei keine Unterschiede zeigen, können Ungleichheiten indirekt (über Bewerbungsentscheidungen) entstehen! 15
Vielen Dank! claudia.finger@wzb.eu 16
Literatur • Alon, S. (2009). The evolution of class inequality in higher education: Competition, exclusion, and adaptation. American Sociological Review, 74(5), 731-755. • Berggren, C. (2007). Broadening recruitment to higher education through the admission system: gender and class perspectives. Studies in Higher Education, 32(1), 97-116. • Buchmann, C., Condron, D.J. & Roscigno, V.J. (2010). Shadow education, American style: test preparation, the SAT and college enrollment. Social Forces, 89(2), 435-461. • Erikson, R. & Jonsson, J.O. (1996). Introduction: Explaining class inequality in education: the Swedish test case. In R. Erikson & J.O. Jonsson (Hrsg.), Can education be equalized?: The Swedish case in comparative perspective. Boulder, CO: Westview Press, 1-64. • Finger, C., Fitzner, C. & Heinmüller, J. (2018). Von wegen „einfach Einschreiben“. Wie Hochschulen Ihre Studierenden auswählen. WZBrief Bildung, Berlin: WZB. • Gehlke, A., Hachmeister, C.-D., Hüning, L. & de Vries, L. (2017). Im Blickpunkt: Der Numerus Clausus (NC) im Wintersemester 2017/18. Was man über den Numerus Clausus (NC) wissen muss und wo es die meisten frei zugänglichen Studiengänge gibt. Gütersloh: CHE gemeinnütziges Centrum für Hochschulentwicklung. • Heine, C., Didi, H.-J., Haase, K. & Schneider, H. (Hrsg.) (2008). Profil und Passung. Studierendenauswahl in einem differenzierten Hochschulsystem. HIS: Forum Hochschule, 14/2008. Hannover: HIS. • Hoxby, C. & Avery, C. (2013). The missing “one-offs”: the hidden supply of high-achieving, low-income students. Brookings Paper on Economic Activity, Spring 2013. Washington: Brookings Institution Press, 1-65. • Karabel, J. (2005). The chosen: the hidden history of admission and exclusion at Harvard, Yale, and Princeton. Boston: Houghton Mifflin. • Teichler, U. (2005). Hochschulstrukturen im Umbruch – eine Bilanz der Reformdynamik seit vier Jahrzehnten. Frankfurt am Main: Campus. • McDonough, P.M. (1997). Choosing Colleges: How Social Class and Schools Structure Opportunity. Albany: State University of New York Press. • Reay, D., Davies, J., David, M. & Ball, S.J. (2001b). Choices of degree or degrees of choice? Class, 'race' and the higher education choice process. Sociology, 35(4), 855-874. • Roderick, M., Coca, V. & Nagaoka, J. (2011). Potholes on the road to college: High school effects in shaping urban students’ participation in college application, four-year college enrollment, and college match. Sociology of Education, 84(3), 178-211 • Wissenschaftsrat (2004). Empfehlungen zur Reform des Hochschulzugangs. Berlin. • Zimdars, A., Sullivan, A. & Heath, A. (2009). Elite higher education admission in the arts and sciences: is cultural capital the key? Sociology, 43(4), 648-666.
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