Zuckersüss - Das Geschäft mit unserer Gesundheit
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24.Mai 2021 Anna-Louisa Kummer Schano Ahmed Zuckersüss – Das Geschäft mit unserer Gesundheit Über 10 % der Schweizer Bevölkerung leiden an Typ 2 Diabetes und mehr als 40 % sind übergewichtig. Trotzdem steigt der Zuckeranteil in Lebensmitteln stetig an. Weder die Politik noch die Lebensmittelindustrie selbst unternimmt etwas dagegen. Im Gegen- teil, sie versuchen mit allen Mitteln, etwas gegen eine Zuckerreduktion in Nahrungs- mitteln zu unternehmen. Ein von dunklen Wolken überzogener Him- mel, Hagel, der an die Fensterscheibe Zucker ist nicht gleich Zu- schlägt, und ich liege auf meinem Bett und cker scrolle durch YouTube, um zu sehen, was Doch was genau ist denn jetzt Zucker? Gibt mir die Plattform empfehlen wird. Kurz ge- man in Google das Wort «Zucker» ein, so er- sagt, ein vollkommen normaler Nachmittag, blickt man als erstes die Definition von Wi- an dem man nichts zu tun hat. Plötzlich kipedia, welche besagt: halte ich jedoch inne und scrolle zurück, mit dem Ziel, nochmals zu lesen, was der Titel Als Zucker wird neben des vorherigen Videos war. Mir sticht das verschiedenen anderen Thumbnail ins Auge. Dieser zeigt gestapelte Zuckerarten ein süß Würfelzucker und verstreuten Kristallzu- schmeckendes, kristalli- cker. Mittendrin eine Miniaturversion der nes Lebensmittel bezeich- Schweizer Fahne und die Worte «Vier Wo- net, das aus Pflanzen ge- chen ohne Zucker». Der Titel des besagten wonnen wird und haupt- Videos von SRF DOK erzielt mit «Zucker – sächlich aus Saccharose Die süsse Droge» (1) den Effekt, den jeder besteht. (3) Titel erzielen sollte: Aufmerksamkeit. Was Die Definition beschreibt den Haushaltzu- hat denn Zucker mit Drogen zu tun? Drogen cker, den wir alle kennen. Doch unter Zu- sind doch LSD, Kokain, Marihuana und wei- cker fallen unter anderem auch Laktose, tere rauscherzeugende Substanzen. Doch Glucose und Stärke. Somit ist Zucker gleich- auch Tabak, Alkohol und Koffein gehören zu bedeutend mit Kohlenhydraten. Doch in den Drogen. Wenn man anfangs den Zu- dieser Reportage liegt unser Fokus – ge- sammenhang der aufgelisteten Substanzen nauso wie die SRF-Dokumentation (2) – auf erkennen konnte, so runzelt man spätesten Saccharose, welches ein Disaccharid aus bei Koffein die Stirn. Nichts destotrotz den zwei Monosacchariden Glukose und bleibt etwas gemein – die Sucht. Besitzt Zu- Fruktose ist (4). Auf gut Deutsch, der Haus- cker die gleiche Macht wie Drogen und löst haltszucker. Einfachheitshalber wird es fort- somit bei uns eine Sucht aus? Sind wir ab- laufend Zucker genannt. hängig von Zucker geworden? Mir fällt es schwer zu glauben, dass der Zu- cker, den ich Tag täglich in Form von Kaffees und Kuchen zu mir nehme, mit Drogen gleichgesetzt werden sollte, wie es in der SRF-Dokumentation dargestellt wird. Ich könnte doch sicher auf Zucker verzichten. Wie schwer kann das schon sein? Nun, der Entschluss steht fest, wir, Anna Kummer und Schano Ahmed, werden für
24.Mai 2021 Anna-Louisa Kummer Schano Ahmed zwei Wochen auf Zucker verzichten. Doch man die Hälfte dessen schon am Morgen zu zuerst: sich genommen. Zu bedenken ist auch, dass in dieser Rechnung der Zucker im Brot nicht Der Weg in den Super- mitgerechnet wurde. Man sollte den Müslis ebenfalls seine Beachtung schenken, denn markt auch denen wird oft Zucker zugesetzt. Grundsätzlich kann es für uns nicht so Durch die morgendliche Suche nach etwas schwer werden, es wird noch genug Essba- Essbarem wurde aussergewöhnlich viel Zeit res in diesen zwei Wochen geben. Wir wer- vergeudet, so bleibt einem nur noch der den nicht hungernd sterben, oder? Doch Griff zum Apfel – und sich zu sputen, um das trotzdem ist es gut, einen groben Überblick Tram rechtzeitig zu erreichen. über die zuckerlosen Nahrungsmittel zu ha- ben. Im nächstbesten Laden angekommen zeigt Anna auf eine Gurke: «Wir könnten die es- sen». Die Bemerkung wird nur von einem Lachen von Seitens Schano quittiert. «Wie wäre es mit dem Falafel-Wrap hier? » «Uh ja, der ist sicher fein. Lies mal was hin- ten drauf steht!» «Weizentortilla, welches aus Weizenmehl, Klassisches Frühstück (6) Wasser, Rapsöl und – Zucker besteht». Ein niedergeschlagener Blick wird gewech- selt. Das Gespräch der nächsten zehn Minu- ten wird davon geprägt sein, weshalb ein Die ersten Hürden In der ersten Woche gab es einige Schwie- salziges Gericht Zucker benötigt – doch rigkeiten. Eine davon war, wenn man sein dazu später mehr. eigenes Mittagessen vergessen hatte und «Gipfelis fürs Frühstück?» etwas Sättigendes ohne Zucker finden «Du bist manchmal echt dumm, in Gipfelis musste. Oder wenn alle im eigenen Umfeld ist mega viel Zucker». zuckerhaltige Lebensmittel assen, wie Ku- Okay, wir werden definitiv verhungern. chen, Glacé und Schokolade. Doch da die Probleme dessen klar sind, benötigt man Zwei Wochen lang ohne nicht weiter drauf einzugehen. Doch gab es Zucker eine Schwierigkeit, welche definitiv Auf- merksamkeit verdient. Der Start in den Tag Jetzt, da wir uns vom ersten Schock erholt Wie sich die Diätkultur sich in un- haben, können wir das Ganze mit ruhigem sere Psyche einmischt Kopf in Angriff nehmen. Verspürten wir das Gefühl von Trauer – Mo- Morgens bleibt uns der gewohnte Griff zum mente, wo alles einem zu viel war oder wir Konfitürenglas erspart. Wagt man einen einfach nicht wussten was gerade falsch lief Blick auf die Etikette, so sollte man sich erst – entstand das Verlangen nach Schokolade Mal hinsetzen. Das Verhältnis von Frucht oder Glacé. Auch wenn dies dem Klischee und Zucker ist eins zu eins. Wenn man be- etlicher Fernsehserien entspricht, wo je- denkt, dass man höchstens 10 % seines Ka- mand nach einer Trennung oder einem lorienbedarfs mit Zucker decken sollte, also schwer zu verkraftenden Ereignis nach der höchstens 25 Gramm pro Tag (5), so hätte
24.Mai 2021 Anna-Louisa Kummer Schano Ahmed riesigen Eispackung greift und heulend zu Energie wiederbekommen, so greift man essen beginnt, so hat es was Wahres dran. nochmals zum Zucker. So geht das den gan- Warum verlangt unser Körper nach Zucker, zen Tag weiter, wir nehmen Zucker zu uns, wenn wir traurig sind? doch fühlen wir uns anschliessend schlap- per und müder als zuvor. Es ist wie eine nicht endende Cosinusfunktion. Doch während des Zuckerverzichts gab es dieses Auf und Ab nicht und am Ende des Tages fühlten wir uns weniger ausgelaugt als normalerweise. Darüber hinaus blieben die gewohnten Kopfschmerzen aus. Nach zwei Wochen hatte unser Körper kaum noch das Verlangen nach Softgeträn- ken und Süssigkeiten. Es fühlte sich einfa- Emotionales Essen (7) cher an als am Anfang. Zudem haben wir bemerkt, dass wir um einiges weniger as- Zum einem setzt die Diätkultur, welche wir sen. Ein Blick auf die Waage zeigt auch die heutzutage von Kindheit an überall antref- Folge davon – zwei Kilogramm weniger in- fen, Eiscreme, Schokolade oder Ähnliches nerhalb zweier Wochen. mit einer Belohnung gleich. Die Rede ist von den sogenannten «Cheat Days» (8), an de- nen man essen kann, was man will, solange Die Zuckerlobby in der man in der Zeit davor und danach mit wi- Politik dersinnigen Methoden versucht, abzuneh- Nun fragten wir uns also; wieso hat es über- men. So entsteht die Denkweise, dass man all Zucker drin, wenn es angeblich so sich Ungesundes verdient hat, solange man schlecht für uns ist. In der Schule lernten wir vorher gelitten hat. einerseits immer, Zucker sei unser grösster Zum anderem erzeugen Disaccharide einen Feind und sogar Bananen wurden uns ver- schnellen Energieschub und somit einen boten, da sie angeblich zu viel Zucker ent- kurzweiligen Stimmungsaufheller. Doch ge- hielten. Andererseits kam nach jeder Nicke- nau so schnell wie unser Körper diesen Zu- lodeon-Folge Werbung für Süssgetränke cker aufnimmt, so wird er auch wieder ab- und Süssigkeiten oder uns wurde uns in der gebaut. Primarstufe an Sportanlässen gratis Rivella zur Erfrischung verteilt. Von wo kommen nun also diese Gegensätze? Ein auf und ab Nicht nur um die Stimmung zu verbessern, wird der Zucker ausgenutzt, auch wie im vorherigen Beispiel klargeworden ist, um schnell an Energie zu kommen. Im Vergleich zu unseren normalen Essver- halten und dem Zuckerverzicht ist uns auf- gefallen, dass wir das den ganzen Tag durchmachen; anfangs haben wir genug Energie für den Tag, anschliessend nehmen Werbung zwischen Kinderserien – Capri-Sun (9) wir Zucker zu uns und fühlen uns für kurze Um dies zu klären, setzten wir uns an den Momente voller Energie. Doch, sobald sie Computer und wurden nach kurzer Zeit anfängt zu schwinden, möchte man diese
24.Mai 2021 Anna-Louisa Kummer Schano Ahmed fündig – und das, was wir fanden, scho- ckierte uns: Im Parlament, das neulich ge- Alles ist voller Zucker gen eine Zuckersteuer gestimmt hat, sitzen Doch wieso benutzt die Lebensmittelin- vierzehn VertreterInnen der Zuckerlobby. dustrie so viel Zucker? Gibt es noch andere Sechs davon im Gesundheitskomitee (10), Gründe als billiger Füllstoff? Die Antwort ist (11). Das heisst nun, die Leute, die eigent- «ja», es gibt sie und sogar viele. lich für die Gesundheit der Schweizer Bevöl- Ein Grund ist, dass der Zucker Geschmacks- kerung, also von uns, zuständig sind, ma- verstärker ist und als Konservierungsmittel chen Geld damit, Zucker herzustellen und in vielen Fertigprodukten genutzt wird. Dies zu verkaufen. Doch es kommt noch besser; macht die Produkte nicht nur länger halt- um den Zucker noch billiger zu machen und bar, sondern konserviert auch deren Ge- damit attraktiver für die Hersteller als billi- schmack. Dadurch ist Zucker nicht nur in ges Füllmittel, subventioniert der Schweizer Süssigkeiten und Softdrinks enthalten, son- Staat den Anbau von Zuckerrüben, wodurch dern auch in zahlreichen anderen Produk- der Zuckerpreis stark sinkt. ten, in denen man es nie erwarten würde. Doch nicht nur wir waren schockiert, schon Diesen sogenannten «versteckten Zucker» mehrmals sprachen Journalisten die Politi- findet man nun also auch in Produkten wie ker darauf an. Tiefkühlpizzen, Fertiglasagnen und sogar in Dosengemüse wie Sauerkraut. Doch wie kann ich nun diesen «versteckten Zucker» umgehen? Dies ist leider nicht so einfach. Die Zuckerindustrie hat einen gan- zen einfachen Trick, um Zucker zu verber- gen. Sie nutzt etliche verschiedene Namen, die es dem Konsumenten oder der Konsu- mentin verunmöglichen herauszufinden, wie viel Zucker sich jetzt tatsächlich im Pro- dukt befindet. Die Zuckerlobby (10) Die «Zuckersucht» bzw. das Nichtwissen über Zucker widerspiegelt sich auch in un- serer Gesellschaft. Früher dachten wir im- Die Antwort der oberste Lebensmittelin- mer, die anderen würden ungesund essen, dustrie-Lobbyistin im Bundeshaus, FDP-Na- aber unser Umfeld würde sich gesund er- tionalrätin Isabelle Moret: «Zucker ist sicher nähren. Doch dann machten wir eine Um- nicht ungesund. Zu viel Zucker ist unge- frage mit den Leuten in unserem Umfeld sund», so Moret. Ihrer Meinung nach ist und was herauskam, war erstaunlich. 62 % nun also jeder selbst verantwortlich, wie nehmen täglich Zucker zu sich und 35 % da- viel Zucker man zu sich nimmt? Also auch von haben einen hohen Konsum von Zu- wir Kinder, die von klein auf mit Werbungen cker. So gut wie alle essen täglich Zucker zuckerhaltiger Lebensmittel bombardiert und davon im Übermass. Generell stellte werden und sogar in der Schule Zucker gra- sich heraus, dass die Menge an täglichem tis für uns zugänglich ist. Für uns hörte sich Zuckerkonsum enorm ist im Vergleich zur das nicht nach einem sehr wirksamen Kon- Menge an Obst und Gemüse, die im Laufe zept an, die Bevölkerung von zu viel Zucker der letzten Jahrzehnte immer kleiner ge- zu schützen. Und dies widerspiegelt sich worden ist. auch in den Zahlen des BAGs: Circa 41% der Schweizer Bevölkerung sind übergewichtig, das sind fast doppelt so viele Menschen wie noch vor 25 Jahren.
24.Mai 2021 Anna-Louisa Kummer Schano Ahmed Die Gemeinsamkeit von Was nun? Nun sind also die zwei Wochen vorbei. Wir Zucker und Kokain haben am eigenen Leib erfahren, wie es ist, Aber wieso macht uns Zucker so abhängig? auf Zucker zu verzichten. Wir haben ge- Mit dieser Frage beschäftigte sich auch der lernt, wie und wieso uns Zucker süchtig Neurowissenschaftler Bart Hoebel, als er macht und wie schlecht er für uns ist. Und seinen Ratten regelässig Zuckerwasser ver- nun? Wie hat sich unser Leben nach dem fütterte. Experiment verändert? «Nicht gross, würde ich sagen.», antwor- tete Schano auf diese Frage. Und in der Tat, es ist schwierig, ein komplett zuckerfreies Leben zu führen; nicht unmöglich, aber na- hezu. Am Mittag in der Mensa ein Menu es- sen, nach der Schule ein Eis kaufen oder einfach mal mit der Familie ins Restaurant gehen. Zucker ist allgegenwärtig und aus Kokain als Suchtmittel (12) unserer Gesellschaft kaum noch wegzuden- Als er dann die Zufuhr stoppte, zeigten die ken. Und wir sind selbst dafür verantwort- Ratten die gleichen Entzugserscheinungen lich, unseren Konsum zu reduzieren, auch wie bei Kokain und Morphin (13). Dies ist wenn die Politik alles tut, um dies zu verhin- einfach zu erklären: Zucker löst das Glücks- dern. hormon Serotonin aus, welches das gleiche Hormon ist, das bei der Einnahme von Ko- kain ausgeschüttet wird und so werden da- bei die gleichen Hirnregionen aktiviert. Literaturverzeichnis (1) https://www.youtube.com/watch?v=dLupxwRwYhw (2) https://de.wikipedia.org/wiki/Droge (3) https://de.wikipedia.org/wiki/Zucker (4) Baron, Diethard et al. (2018): Biologie Heute SII (5) https://www.foodspring.ch/magazine/wie-viel-zucker-am-tag-ist-erlaubt#Wie_viel_Zucker_am_Tag_ist_erlaubt (6) https://www.swrfernsehen.de/marktcheck/muesli-porridge-100.html (7) https://zenfoods.com/emotional-eating-stop/ (8) https://www.bbc.co.uk/food/articles/cheat_days (9) https://images.app.goo.gl/TTcND3RRcGmc69Qm6 (10) https://www.srf.ch/news/schweiz/suesse-macht-die-zuckerlobby-im-parlament (11) https://www.woz.ch/-9101 (12)https://www.google.com/url?sa=i&url=https%3A%2F%2Fwww.dhs.de%2Fsuechte%2Fillegale-drogen%2Fko- kain&psig=AOvVaw2LlfCh8Pf-xoSNfaqOujvh&ust=1621972917237000&source=images&cd=vfe&ved=0CAMQjB1qFwo- TCIixrJKO4_ACFQAAAAAdAAAAABAD (13) https://www.konzelmanns.de/blog/wiki/die-droge-zucker/
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