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Forschung 20 Jahre Bologna und Beschäftigungsfähigkeit – Eine qualitative Studie zu Einflussmöglichkeiten der Hochschulausbildung auf die Resilienz von Absolventinnen und Absolventen Meike Nicolaus, Stephanie Duchek Kernziel der vor 20 Jahren geschlossenen „Bologna“-Erklärung ist unter anderem die Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit von Hochschulabsolventinnen und -absolventen. Vor dem Hintergrund einer komplexen und dynamischen Arbeitswelt überrascht es kaum, dass in diesem Zusammenhang Resilienz als eine zentrale Fähigkeit künftiger Fach- und Führungskräfte zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die Forschung zum Thema „Resilienz im Hochschulkontext“ beschäftigt sich jedoch meist mit der Reduzierung von Studienabbrecherquoten und weniger mit Resilienzentwicklung für die spätere Arbeitswelt. Somit findet sich auch keine umfassende Darstellung der verschiedenen hochschulseitigen Einflussbereiche auf Resilienz. Diese Lücke soll mit unserem Beitrag geschlossen werden. Aufbauend auf den Ergebnissen eines systematischen Literaturreviews wurden 25 Experteninterviews mit Hochschulmit- gliedern verschiedener Bereiche, mit denen Studierende1 im Laufe des Studiums in Kontakt kommen, durchgeführt und inhaltsanalytisch ausgewertet. 1 Bologna und Beschäftigungsfähigkeit – Anforderungen einer „neuen“ Arbeitswelt an Hochschulabsolventinnen und -absolventen 1.1 Beschäftigungsfähigkeit im Fokus der europäischen Hochschulausbildung Vor nunmehr 20 Jahren unterzeichneten damals 30 europäische Staaten die sogenannte „Bologna“-Erklärung, deren zentrales Ziel neben der Vereinheitlichung und Verkürzung der akademischen Ausbildung in Europa sowie der Sicherstellung des Studienerfolgs die Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit („Employability“) von Hochschulabsolven tinnen und -absolventen ist (BMBF, 2016; Eurydice, 2015). Die Europäische Kommission beschreibt Beschäftigungsfähigkeit unter anderem kompetenzorientiert als ein Bündel von zentralen relevanten (am Arbeitsmarkt benötigten und nachgefragten) sowie übertragbaren (nicht mit bestimmten Berufen in Zusammenhang stehenden) Leistungsmerkmalen im Sinne von Fähigkeiten, Vor- stellungen und persönlichen Eigenschaften, die es den Absolventen ermöglichen, eine 1 Im Rahmen dieses Beitrags wird der Begriff Studierende auch im Sinne künftiger Absolventinnen und Absolventen verwendet. 56 Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020
Bologna, Beschäftigungsfähigkeit und Resilienz Beschäftigung zu finden und in ihren gewählten Berufen erfolgreich zu sein bzw. sich im Arbeitsmarkt zu bewegen (Eurydice, 2015). Schindler (2004) ergänzt diese kompetenzorientierte Sichtweise der Bedeutung von „Employability“ für Arbeitgeber und Unternehmen um den Aspekt der Bereitschaft zu Mobilität bspw. durch Ortswechsel und zu Flexibilität im Hinblick auf die Anforderungen der Erwerbstätigkeit im Sinne des Anspruchsniveaus sowie auf die Art des Beschäftigungsverhältnisses bspw. durch das Eingehen vorübergehender Beschäftigungsverhältnisse. 1.2 Herausforderungen für Hochschulabsolventinnen und -absolventen beim Eintritt ins Berufsleben Den Hochschuleinrichtungen wird im Rahmen dieser Definitionen und der Bologna- Zielsetzung „Employability“ die Aufgabe zugeschrieben, beschäftigungsfähige Absolventinnen und Absolventen hervorzubringen und dabei den Anforderungen des Arbeitsmarkts Rechnung zu tragen (Eurydice, 2015). Diese Aufgabe stellt in einer globalisierten Arbeitswelt, die in einem hohen Maß geprägt ist durch Dynamik, Unsicherheit und Komplexität, eine besondere Herausforderung dar. Das Qualitätsniveau der Anforderungen an Fach- und Führungskräfte hat sich massiv gewandelt und erfordert „neue“ individuelle Fähigkeiten. So führen die genannten Merkmale der globalisierten Arbeitswelt zu einem höheren Stressniveau und fordern von Hochschulabsolventinnen und -absolventen eine umfassende berufliche Hand- lungskompetenz (Brüggemann, 2010), die neben den Fertigkeits-, Wissens- und Qualifikationsbündeln, die bisher vorwiegend im Hochschulstudium vermittelt wurden, auch Schlüsselkompetenzen im Umgang mit Stress umfasst. Unter Zugrundelegung der zuvor genannten, kompetenzorientierten Definition von Employability ist eine dieser Fähigkeiten, die seit Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnen, die persönliche Resilienz. Sie wird allgemein verstanden als die „Fähigkeit, Herausforderungen bis hin zu eskalierenden Krisen zu begegnen, sie zu meistern, dabei die Funktionsfähigkeit zu behalten, sich anzupassen, um letztlich mitunter sogar gestärkt daraus hervorzugehen und auf künftige Herausforderungen besser vorbereitet zu sein“ (Hoffmann, 2016, S. 1). Resilienz kann somit im heutigen Arbeitsumfeld die „Employability“ erhöhen und die Gefahr von Burnout-Erkrankungen reduzieren. Zudem rangiert der Eintritt ins Berufsleben entwicklungspsychologisch am Übergang zur Phase „Frühes Erwachsenenalter“ und ist per se mit besonderen Heraus- forderungen verbunden (vgl. Petermann & Schultheiß, 2013; Levinson, 1986). Durch verkürzte bildungspolitische Entwicklungszeiten verschiebt sich dieser Übergang in die Selbstbestimmtheit mehr und mehr in jüngere Altersstufen. Lag das Durchschnitts- Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020 57
Forschung alter von Absolventinnen und Absolventen eines Erststudiums in Deutschland im Jahr 2003 noch bei 30.3 Jahren, sank es in 2006 bereits auf 27.7 Jahre. Und so setzt sich der Trend der Verjüngung fort: 2017 betrug das Durchschnittsalter 23.9 Jahre (Statistisches Bundesamt, 2005; Statistisches Bundesamt, 2019). Gleichzeitig ver- zeichnete die AOK in ihrem Fehlzeitenreport 2017 in der Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen insgesamt ca. 148 Arbeitsunfähigkeitstage pro 1 000 Mitglieder aufgrund einer Burnoutdiagnose (WldO, 2018). Die Ursachen liegen unter anderem in den bereits beschriebenen Herausforderungen der modernen Arbeitswelt und dem damit ver- bundenen, belastungsinduzierten Stresserleben, aber auch im Wunsch jüngerer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Generationen Z und Y nach sinnstiftender und erfüllender Arbeit (u. a. Hardering, 2018). Zusammenfassend lässt sich ein Stresserleben beim Übergang vom Studium in den Beruf auf mehreren Ebenen erkennen (u. a. Förster & Duchek, 2017; Hardering, 2018): ■ Persönlich: Eintritt als junge Erwachsene bzw. junger Erwachsener in einen neuen Lebensabschnitt als entwicklungspsychologischer Prozess mit sozioökonomischen und individuellen Auswirkungen wie dem Verlassen des Elternhauses oder dem Gründen einer Familie. ■ Beruflich: Eintritt in einen Fach- und Aufgabenbereich (Job) in einer globalen, dynamischen und von digitaler Transformation geprägten Arbeitswelt und Konfrontation mit bspw. neuen Arbeitsformen wie selbstorganisiertem Arbeiten und agiler Teamarbeit unter hohem Zeit- und Wettbewerbsdruck und sich ständig ändernden Bedingungen (Routineabstinenz). ■ Gesellschaftlich: Wandel des Wertegefüges jüngerer Generationen bspw. durch die Suche nach Sinnstiftung in Arbeit und Unternehmen und dem Wunsch nach einer Work-Life-Balance. 1.3 Resilienzforschung im Hochschulkontext Es finden sich derzeit nur wenige Studien, die sich mit Resilienz und Resilienzförderung im Hochschulkontext beschäftigen, wovon wiederum die meisten die Reduzierung von Studienabbrecherquoten und ein erfolgreiches Bestehen des Studiums im Blick haben (u. a. Meyer, Walkmann & Rahn, 2018). Einen wichtigen Bereich der Resilienz- forschung im Hochschulkontext stellen die sogenannten MINT-Studien dar, da hier die Studienabbrecherquoten besonders hoch ausfallen und wesentlichen Einfluss auf den Fachkräftemangel in den technisch-innovativen Wirtschaftsbereichen haben (vgl. u. a. Heublein & Schmelzer, 2018). Doch angesichts der Tatsache, dass vor allem bei kauf- männischen Fach- und Führungsaufgaben immer mehr Hochschulabsolventinnen und -absolventen der Wirtschaftswissenschaften den Weg ins Berufsleben finden (Becker, 2012; Statistisches Bundesamt, 2018) und viele Führungskräfte im Laufe ihres Berufs- 58 Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020
Bologna, Beschäftigungsfähigkeit und Resilienz lebens einen Burnout erleiden, scheint es notwendig, auch ein besonderes Augenmerk auf die hochschulseitige Resilienzförderung in diesem Bereich zu legen. Weitere Resilienzstudien im Hochschulkontext fokussieren sich auf einen bestimmten Aspekt, wie bspw. den Einfluss des Lehrpersonals. Eine umfassende Darstellung der ver- schiedenen hochschulseitigen Einflussbereiche auf die Resilienz von Studierenden bzw. Absolventinnen und Absolventen entlang der „Reise“ des Studierenden durch das Studium (im Sinne einer „Student Journey“) findet sich aktuell nicht. Vor dem Hintergrund der genannten veränderten Kontextbedingungen ist deshalb die Frage zu stellen, welche hochschulseitigen Faktoren Resilienz fördern können und wie die Hochschulen die persönliche Resilienz ihrer Studierenden entwickeln und fördern können, damit diese nach dem erfolgreichen Abschluss ihres Studiums den ver- änderten Anforderungen in der Arbeitswelt adäquat begegnen. Die Zielsetzung der Untersuchung ist demnach eine möglichst umfassende Identi- fizierung hochschulseitiger Einflussbereiche auf die Resilienz von Studierenden im Sinne individueller und situativer Risiko- und Schutzfaktoren sowie darauf aufbauend die Entwicklung eines geeigneten Rahmenmodells. 2 Resilienz als notwendige Schlüsselkompetenz von Fach- und Führungskräften 2.1 (Un-)Einigkeit über den Resilienzbegriff „Es besteht weitestgehend Einigkeit über den Ursprung des Wortes „Resilienz“ vom lateinischen „resilire“, das so viel bedeutet wie zurückspringen, zurückprallen oder abprallen“ (Schmidthermes, 2009, S. 11). In der Enzyklopädie der Psychologie ist Resilienz ganz allgemein beschrieben als „die Fähigkeit […], relativ unbeschadet mit den Folgen belastender Lebensumstände umzugehen und Bewältigungskompetenzen entwickeln zu können“ (Scheithauer, Petermann, Meyer & Hayer, 2005, S. 510f.). Ein Blick auf die Debatte um einen einheitlichen Resilienzbegriff zeigt aber, dass dieser nicht so klar ist, wie er zunächst erscheint. Ob es sich bei Resilienz um eine Eigen- schaft, eine Fähigkeit, einen Prozess oder ein Prozessergebnis handelt, darüber diskutiert die Resilienzforschung nach wie vor. Zudem übt Wieland (2011) Kritik an einer mangelnden Abgrenzung der Resilienzförderung von anderen ressourcen- orientierten Strategien sowie an Immunisierungshoffnungen und möglichen anti- sozialen Tendenzen durch Resilienzförderung. Da sich folgende Resilienz-Charakteristika übereinstimmend in den Werken unter- schiedlicher Autoren wiederfinden, können diese als Konsens in der aktuellen Resilienz- forschung gewertet werden (vgl. hierzu Duchek & Nicolaus, 2019): ■ Resilienz ist ein dynamischer Anpassungs- und Entwicklungsprozess. Demnach ist Resilienz kein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal, sondern die hierfür erforder- Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020 59
Forschung lichen Kompetenzen können im Laufe des Lebens in Interaktion mit der Umwelt erlangt werden. ■ Resilienz ist eine variable (situationsabhängige) Größe. Es zeigt sich, dass Resilienz eine flexible und den jeweiligen Anforderungen einer Situation anpassbare Wider- standsfähigkeit darstellt. In Abhängigkeit von der Situation sowie dem Erfahrungs- wissen und vorhandenen Fähigkeiten kann die Ausprägung von Resilienz variieren. Dies bedeutet, dass auch resiliente Menschen kurzfristig psychische Beein- trächtigungen in negativ belasteten Lebensphasen und -umständen erleben können, denn gerade Entwicklungsübergänge (sog. Lebensphasenwechsel), wie bspw. der Eintritt ins Berufsleben, stellen hierbei besonders kritische Perioden dar. ■ Resilienz ist eine domänenspezifische Größe. Eine Übertragbarkeit von Resilienz von einem Lebens- bzw. Kompetenzbereich auf andere Bereiche kann nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden. Ein Mensch, der im privaten Kontext ein hohes Maß an Resilienz zeigt, bspw. in der Gestaltung sozialer Beziehungen, muss im beruflichen Kontext nicht zwingend in gleichem Maße resilientes Verhalten zeigen. 2.2 Eine Modifizierung des Risiko- und Schutzfaktorenmodells Die „Kauai-Studie“ (1955–1987) von Werner & Smith (Werner, 2008) legte den Grund- stein für eine Vielzahl von Studien zu Risiko- und Schutzfaktoren der Resilienz mit dem Fokus auf die (frühe) Kindheit. Das Modell von Risiko- und Schutzfaktoren ist der Versuch, Resilienz in umfassenderen theoretischen Kontexten zu verorten. Demnach beschreiben Risikofaktoren zumeist umgebungsbezogene Bedingungen bzw. Merkmale, die beim Individuum die Wahrscheinlichkeit positiver Verhaltensweisen senken und die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Störung oder negativer Konsequenzen im Vergleich zu einer unbelasteten Kontrollgruppe erhöhen. Schutz- faktoren (auch protektive Faktoren, Ressourcen) hingegen wird eine risikomildernde bzw. gesundheitsfördernde Wirkung zugesprochen. Sie sind dafür notwendig, dass sich der Prozess der Resilienz ereignen kann (Schmidthermes, 2009). Bis heute besteht jedoch in der wissenschaftlichen Literatur eine Kontroverse darüber, was genau Schutzfaktoren ausmacht und wie das Zusammenwirken von Risiko- und Schutz- faktoren zu betrachten ist. Lösel & Bender (2008) und Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff (2015) stellen unter anderem die Frage, ob Schutz- und Risikofaktoren wirklich klar voneinander zu trennen oder als Kontinuum zu betrachten sind. Da das Modell der Risiko- und Schutzfaktoren dennoch in der Resilienzforschung all- gemeine Anerkennung erfährt, soll es auch den Bezugsrahmen dieses Beitrags bilden, jedoch in der prozessfokussierten Betrachtung nach Cooper, Flint-Taylor & Pearn (2013). Resilienz wird demnach als Prozess verstanden, der auf individuellen und situativen 60 Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020
Bologna, Beschäftigungsfähigkeit und Resilienz Faktoren beruht und zu positiven Resilienzergebnissen (z. B. einem positiven Lebens- gefühl) führt (siehe Abb. 1). Abbildung 1: Resilienzmodell nach Förster & Duchek (2017), basierend auf Cooper et al. (2013) Individuelle Faktoren Situative Faktoren Persönlichkeitsmerkmale und Interaktion Externe Unterstützung Resilienzressourcen und Ressourcen Resilienz (Prozess) Anwendung und Ausweitung der vorhandenen Resilienzressourcen, z.B. Selbstvertrauen gewinnen durch das Managen neuer Verantwortlichkeiten Resilienz (Ergebnis) Effektiv bleiben trotz Unsicherheit; zuversichtlich bezüglich des Wachsens an Herausforderungen und Errungenschaften 2.3 Resilienzfaktoren künftiger Fach- und Führungskräfte Die eingangs beschriebenen geänderten Anforderungen einer „neuen“ Arbeitswelt erfordern gerade von Menschen in Fach- und Führungspositionen ein hohes Maß an persönlicher Resilienz, um dem stetig wachsenden Stresslevel im Arbeitsumfeld in adäquater Weise begegnen zu können (vgl. Förster & Duchek, 2017). Den Führungskräften kommt zusätzlich eine besondere Bedeutung zu, denn ihr eigenes resilientes Handeln und Verhalten hat wesentlichen Einfluss auf die Leistung und Resilienz des betreuten Teams und seiner einzelnen Mitglieder (vgl. Avey, Avolio & Luthans, 2011; Meneghel, Salanova & Martínez 2016). In Anlehnung an das modifizierte Modell der Risiko- und Schutzfaktoren typologisieren Förster & Duchek (2017) die Resilienzfaktoren von Führungskräften folgendermaßen: ■ Individuelle Resilienzfaktoren umfassen persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten. Begegnen Führungskräfte ihrer Führungsverantwortung in gewissem Maße ent- spannt mit der Bereitschaft bei Bedarf loszulassen und sind sie bereit aus Erfahrungen zu lernen und ihr Verhalten anzupassen, dann erhöht dies ihre persön- liche Resilienz als Führungskraft. Ebenso wird diese gestärkt durch kognitive Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020 61
Forschung Fähigkeiten, z. B. rationales und strukturiertes Denken bzw. Handeln, und berufs- bezogene Kompetenzen. ■ Situative Resilienzfaktoren finden sich im privaten und beruflichen Umfeld der Führungskraft, privat vor allem in einem stabilen Umfeld und der Möglichkeit, sich zu erholen und im Arbeitsumfeld durch ein gutes Arbeitsklima und der Möglichkeit, sich mit anderen Fach- und Führungskräften zu den Herausforderungen des Arbeits- alltags auszutauschen. 3 Aktuelle Studien zu Einflussmöglichkeiten der Hochschulausbildung auf die Resilienz von Absolventinnen und Absolventen Im Vergleich zu Untersuchungen im Kindesalter sind Untersuchungen zu den resilienz- beeinflussenden Faktoren in Schulen und insbesondere in Hochschulen ungleich seltener. Mittels eines systematischen Literaturreviews konnten Duchek & Nicolaus (2019) einen aktuellen Überblick geben über Studien, die einen Schwerpunkt haben in der Untersuchung von hochschulseitigen Einflussmöglichkeiten auf die Resilienz von Studierenden (siehe Abb. 2). Sie identifizierten in den Studien folgende Schutz- faktoren: ■ Ein individueller Schutzfaktor ist das Commitment zur Hochschule, das durch ein hohes Verbundenheitsgefühl mit der Universität und eine hohe wahrgenommene soziale Unterstützung während des Studiums die persönliche Resilienz der Studierenden und späteren Absolventinnen und Absolventen fördern kann. ■ Situative hochschulseitige Schutzfaktoren zeigen sich in vier Bereichen: (1) Lehrver- anstaltungen, vor allem durch interaktive didaktische Methoden und selbst- gesteuertes Lernen sowie Lehrinhalte mit Bezug zum Thema Resilienz, (2) freiwillige Zusatzkurse in Form von gezielten Resilienzprogrammen über einen Zeitraum von mindestens drei Wochen, (3) humorvolle und respektvolle Lehrende, die fordern und fördern, und (4) soziale Unterstützung sowie gute akademische Integration durch Peers, vorbereitende Kurse und unterschiedliche Partizipationsmöglichkeiten im Hochschulleben, wie bspw. persönliches Gremienengagement. 62 Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020
Bologna, Beschäftigungsfähigkeit und Resilienz Abbildung 2: Einflussmöglichkeiten der Hochschule auf die Resilienz von Studierenden aus Duchek & Nicolaus (2019) Individuelle Faktoren Hochschule auf die Resilienz von Hochschulabsolventen Ausprägung der Resilienz der Hochschulabsolventen Commitment zur Hochschule Resilienzprozess – Anwendung und Ausweitung der Möglichkeiten der Einflussnahme seitens der vorhandenen Resilienzressourcen Situative hochschulseitige Faktoren Lehrveranstaltungen (Lehrinhalte + Lehrmethoden) Angebot freiwilliger Zusatzkurse (Resilienzprogramme) Lehrende (intrapersonal + interpersonal Soziale Unterstützung & Partizipation (Peer Groups + Akademische Integration) 4 Hochschulseitige Einflussfaktoren auf die Resilienz entlang der Student Jour- ney – eine Interviewstudie 4.1 Offene Fragen aus dem systematischen Literaturreview Die systematische Betrachtung des aktuellen Forschungsstands ermöglicht einen ersten strukturierten Überblick über mögliche Einflussbereiche der Hochschulausbildung auf die Resilienz von Studierenden. Eine umfassende Darstellung hochschulseitiger Ein- flussmöglichkeiten kann die stark fragmentierte Forschung jedoch nicht leisten. Der vorliegende Artikel soll daher folgende Forschungsfrage beantworten: Welche hochschulseitigen Einflussbereiche auf die Resilienz von Studierenden lassen sich entlang der „Reise“ des Studierenden durch das Studium im Sinne einer „Student Journey“ identifizieren? Um die Forschungsfrage detailliert beantworten zu können, wurde sie in die folgenden Leitfragen gesplittet: ■ Welche Phasen durchlaufen Studierende von der Vorentscheidungsphase bis zur regulären Exmatrikulation und auf welche hochschulseitigen Kontaktpunkte treffen sie dabei? Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020 63
Forschung ■ Inwieweit haben diese Kontaktpunkte Einflussmöglichkeiten auf die Resilienz der Studierenden im Sinne von Risiko- und Schutzfaktoren? ■ Gibt es ferner Besonderheiten der Hochschulform bspw. hinsichtlich Studien- organisation, didaktischer Konzepte oder Einbindung der Studierenden, die mög- licherweise Einfluss auf die Resilienz der Studierenden haben? 4.2 Interviews mit hochschulseitigen Expertinnen und Experten Um die Ergebnisse des systematischen Literaturreviews zu überprüfen und zu ergänzen wurde eine qualitative Studie mittels leitfadengestützter Experteninterviews mit hoch- schulseitigen Kontaktpunkten der Studierenden durchgeführt. Die empirische Unter- suchung fokussierte sich dabei auf die deutsche Hochschullandschaft mit einem besonderen Augenmerk auf den Bereich der Wirtschaftswissenschaften. Die Rekrutierung der Expertinnen und Experten erfolgte entlang der verschiedenen Phasen des Studiums („Student Journey“) nach dem Schneeballprinzip, bis eine theoretische Sättigung (u. a. Lamnek, 2005) eintrat. Vor dem Hintergrund vereinheit- lichter Studienabschlüsse wurden Expertinnen und Experten von staatlichen Uni- versitäten, Fachhochschulen und Dualen Hochschulen interviewt, die Aufschluss darüber geben können, welche Einflussmöglichkeiten die Hochschule auf die persön- liche Resilienz von Studierenden nehmen kann. Zu Beginn der Interviews wurde ein einheitliches Verständnis von Resilienz geschaffen und den Interviewten eine Definition von (hochschulseitigen) Kontaktpunkten gegeben. Insgesamt wurden 25 Expertengespräche2 in Form von leitfadengestützten Interviews geführt (vgl. u. a. Gläser & Laudel, 2010). Diese haben den Vorteil, im Rahmen fester Themengebiete (Leitfragen) genug Raum zu lassen für eine freie Beantwortung durch den Interviewpartner. Die durchschnittlich ca. 50-minütigen Interviews fanden im Zeitraum von März bis Juli 2018 statt und erfolgten persönlich oder telefonisch. Da die Expertinnen und Experten gleichzeitig Funktionsträger und Kontaktpunkte sind, wurden die Fragen im Interviewleitfaden differenziert gestellt, um tiefergehendes Wissen und einen 360°-Blick zu generieren, z. B. „Inwieweit kann durch Ihre Funktion/ Stelle bzw. Ihre Aufgaben die persönliche Resilienz der Studierenden positiv beeinflusst 2 Einige der Kontaktpunkte bzw. Funktionsbereiche haben von Hochschule zu Hochschule unterschiedliche Bezeichnungen bei ähnlichem Aufgabenportfolio, z. B. Lehrstuhlinhaberinnen und -inhaber (UNI) und Studiengangsleiterinnen und -leiter (DHBW), andere sind nicht an allen Hochschulen in gleicher Weise vorhanden, wie bspw. das „Zentrum für Managementsimulation (Planspielzentrum)“, das „Zentrum für empirische Forschung“ und der „Qualitätszirkel“ der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW). Da sich gerade die Dualen Hochschulen in der Hochschulorganisation deutlich von Fachhochschulen und Uni- versitäten unterscheiden, wurden neben vier Expertinnen und Experten aus acht Funktionsbereichen der Technischen Universität Dresden sowie der Universität Stuttgart und zwei Expertinnen und Experten aus vier Funktionsbereichen der Fachhochschulen Pforzheim und Heilbronn insgesamt 19 Expertinnen und Experten aus 14 Funktionsbereichen der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) interviewt. 64 Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020
Bologna, Beschäftigungsfähigkeit und Resilienz werden? Wie kann das aussehen?“ Auf Grund der Tatsache, dass einige der Expertinnen und Experten in ihrer Hochschullaufbahn bereits mehrere unterschiedliche Funktionen innehatten, wurden diese zu allen ihren Funktionsbereichen und möglichem Resilienz- einfluss befragt. Die nach Dresing & Pehl (2018) verschriftlichten 1 219 Minuten Audiomaterial wurden transkribiert und mit Hilfe von MAXQDA18® inhaltsanalytisch ausgewertet. Zur Codierung der vorliegenden Informationen wurde ein Kategoriensystem deduktiv mittels „Strukturierung“ und induktiv mittels „Zusammenfassung“ gebildet (vgl. Mayring, 2015). Aus diesem Grund entwickelte sich das Kategoriensystem im Laufe der Bearbeitung weiter. Die finalen Kategorien wurden in einem Codebuch definiert, um so einen multipersonalen Diskurs zu ermöglichen. Die zentralen Kategorien waren dabei: ■ Phasen des Studiums ■ Kontaktpunkte zwischen Studierenden und Hochschule entlang der Phasen ■ Resilienzeinfluss der Kontaktpunkte/Funktionsträgerinnen und Funktionsträger ■ Besondere organisationale Rahmenbedingungen der Hochschulform ■ Weitere relevante Aspekte aus den Interviews 5 Eine Vielzahl an Möglichkeiten, doch mit welchen Effekten? 5.1 Die „Student Journey“ – das Studium als Dienstleistungsprozess zur Resilienzförderung Um einen möglichst umfassenden Überblick über die hochschulseitigen Einfluss- bereiche auf die Resilienz von Studierenden zu erlangen und vor dem Hintergrund, dass Bildung und somit auch das Studium an Hochschulen eine Dienstleistung darstellt, lehnt sich das diesem Beitrag zu Grunde liegende theoretische Konzept dem der Customer Journey aus dem Marketing (vgl. Bruhn, 2016) an. Es dient vor allem im Online Marketing dazu, die Kontaktpunkte zwischen Unternehmen und (potenziellem) Käufer entlang des Kauf(entscheidungs)prozesses service- und erfolgsorientiert zu gestalten. Im Rahmen der Untersuchung der hochschulseitigen Einflussmöglichkeiten dient es vor allem dazu, zunächst die hochschulseitigen Kontaktpunkte möglichst umfassend zu identifizieren, auf die ein Studierender während seines Studiums trifft, und deren Einflussmöglichkeiten auf die Resilienz künftiger Absolventinnen und Absolventen einzuschätzen. Kontaktpunkte im Marketing können direkter oder indirekter, persönlicher oder medial vermittelter Natur sein (Kreutzer, 2014). Im Rahmen des vorliegenden Artikels wurden die Kontaktpunkte in mittelbare und unmittelbare unterschieden, verbunden mit dem Gedanken, dass es Kontaktpunkte gibt, auf die nicht jeder Studierende unmittelbar trifft, die jedoch trotzdem einen wichtigen Beitrag zur Resilienzförderung leisten können. Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020 65
Forschung Abbildung 3: Entwicklung einer „Student Journey“ Vorkaufsphase Nutzungsphase Nachkaufphase Phasen der Customer Journey nach Bruhn 2016, S. 72 Informations-/ Entscheidungs- Nutzungsphase Bindungsphase phase Vorüberlegungen zu den Phasen der Student Journey Informations-, Bewerbungs- & Wartephase Akklimatisie- Studienhaupt- Studien- Orientierungs- & Zulassungs- rungs- & phase (Grund- abschluss- & Bin- Entscheidungs- phase Integrations- und Haupt- (Neu-)orientier- dungs- phase phase studium) rungsphase phase 1 2 3 4 5 6 Vor dem Während des Nach dem Studium Studiums Studium Interviewbasierte Phasen der Student Journey Eigene Darstellung in Anlehnung an Bruhn, 2016, S. 72. Mit Hilfe der Experteninterviews konnten die „Student Journey“ und ihre (Teil)Phasen entwickelt und die besonderen Fragestellungen identifiziert werden, mit denen sich die hochschulseitigen Kontaktpunkte hinsichtlich der Resilienzförderung von (künftigen) Studierenden konfrontiert sehen (siehe Abb. 3): ■ „Informations-, Orientierungs- und Entscheidungsphase (Phase 1)“ – Die Phase vor dem potenziellen Beginn eines Studiums, in der sich die Interessentin bzw. der Interessent für die künftige Hochschule sowie einen Studiengang entscheidet. Diese beginnt meist schon in der Schulzeit. Hochschulseitige Kontaktpunkte, wie bspw. die (Fach-)Studienberatung, sind gefragt, Interessentinnen und Interessenten dahingehend zu beraten, dass die geeignete Hochschule und der geeignete Studien- gang gefunden werden, um eine möglichst hohe Identifikation mit beidem sicher- zustellen. ■ „Bewerbungs- und Zulassungsphase (Phase 2)“ – Die Phase, in der sich Interessentinnen und Interessenten an der Hochschule bewerben und die Zulassung gemäß den jeweiligen Zulassungsvoraussetzungen der Hochschule geprüft und, bei positivem Ergebnis, durchgeführt wird. In dieser Phase sehen sich vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Prüfungs- und Immatrikulationsamts potenziellen Studierenden gegenüber, die gleichsam die Relevanz des Zulassungs- prozesses verstehen und akzeptieren müssen und denen trotzdem die Angst vor den Konsequenzen eines möglicherweise negativen Ergebnisses (Ablehnung) genommen werden sollte. 66 Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020
Bologna, Beschäftigungsfähigkeit und Resilienz ■ „Wartephase (Phase 3)“ – Die Phase vor dem eigentlichen Beginn des Studiums, nachdem die Bewerbung/Zulassung erfolgt ist. Künftige Studierende treten hier vor allem an die (Fach-)Studienberatung heran, um zu klären, wie die Wartephase individuell am besten genutzt werden kann, um bspw. fachliche Defizite auszu- gleichen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter treffen auf unterschiedliche Persön- lichkeiten und können diese individuell fördernd und fordernd unterstützen. ■ „Akklimatierungs- und Integrationsphase (Phase 4)“ – Die Phase des Studienein- gangs, die zumeist das erste Semester umfasst. Neben der akademischen Integration, die zumeist von den Lehrkräften gestaltet wird, findet in dieser Phase vor allem die soziale Integration statt. So sehen sich bspw. Fachschaften, Studierendenvertretungen und die Kommilitonen der Aufgabe gegenüber, neue Studierende in den Hochschulalltag zu integrieren und ein schnelles Einfinden sicherzustellen, um den Gemeinschaftssinn zu fördern. ■ „Studienhauptphase (Grund- und Hauptstudium) (Phase 5)“ – Die Phase des eigent- lichen Studienverlaufs, zumeist geprägt durch Lehrveranstaltungen und Prüfungs- leistungen, aber auch durch Praxissemester bzw. Praxisphasen. Die Heraus- forderungen für die hochschulseitigen Kontaktpunkte in dieser Phase liegen vor allem darin, die Studierenden in Eigenverantwortung („fordern“) zu bringen und ihnen gleichsam bei ihren individuellen Problemen und Fragestellungen unter- stützend zur Seite zu stehen („fördern“). ■ „Studienabschluss- und (Neu-)Orientierungsphase (Phase 6)“ – Die Phase, in der die Abschlussprüfungen und Abschlussarbeiten zu absolvieren sind und künftige Absolventinnen und Absolventen ihre berufliche bzw. akademische und private Zukunft planen. Das individuelle Stresslevel der Studierenden ist in dieser Phase tendenziell höher als in den anderen Phasen, da es neben dem erfolgreichen Absolvieren des Studiums für die meisten Studierenden auch um eine berufliche oder akademische Neuorientierung geht. Die hochschulseitigen Kontaktpunkte sind gefragt, die Studierenden in dieser Zeit vor allem als Berater, Coaches und/oder Mentoren zu unterstützen. 5.2 Die Kontaktpunkte entlang der „Student Journey“ und ihr Resilienzeinfluss Grundsätzlich hat die Hochschule in allen Phasen Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Resilienz im Sinne der Gestaltung von Schutzfaktoren, denn in allen Phasen sind mögliche Kontaktpunkte zwischen Studierenden und Hochschule gegeben. Da der Studierende nicht in jeder Phase auf alle Kontaktpunkte trifft, kann deren spezi- fische Möglichkeit zur Einflussnahme variieren. Die Expertinnen und Experten wurden um ihre Einschätzung gebeten, ob sie einem Kontaktpunkt einen hohen, mittleren oder niedrigen (neutralen) Beitrag zur Resilienzförderung zusprechen (siehe Abb. 4). Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020 67
68 Informations-, Bewerbungs- & Wartephase Akklimatisie- Studienhaupt- Studien- Orientierungs- & Zulassungs- rungs- & phase (Grund- abschluss- & Entscheidungs- phase Integrations- und Haupt- (Neu-)orientier- Hochschulseitige Kontaktpunkte phase phase studium) rungsphase Forschung 1 2 3 4 5 6 Eigene Darstellung. Betreuende von wissenschaftlichen Arbeiten Erstsemesterveranstaltungen Lehrstuhlinhaber einfluss Professoren/Professorinnen Dozentinnen/Dozenten Senat Studiengangsleitung (DH) Kontaktpunkte Lehre Wissenschaftl. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Zentren für Forschung und Lehre Bibliotheksschulungen (Fach-)Studienberatung Hochschulsport Informationstage an Schulen Praktikantenamt Prüfungs- und Immatrikulationsamt Qualitätszirkel (DH) Sekretariate Kontaktpunkte Service Studentenwerk (Unterstützungsangebote) Vertrauensprofessoren Vertrauensprofessorinnen Fachschaft/Studierendenvertretung rende punkte Studie- Kommilitoninnen und Kommilitonen/Kurs Kontakt- RE = Möglichkeit zum Einfluss auf persönliche Resilienz; hoher RE; mittlerer RE Abbildung 4: Phasen des Studiums, hochschulseitige Kontaktpunkte und Resilienz- Die Grafik bildet die Kontaktpunkte (Bereiche: Lehre, Service, Studierende) entlang der Phasen des Studiums ab, denen die Experten eine mittlere (dunkelgrau) oder hohe Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020
Bologna, Beschäftigungsfähigkeit und Resilienz (hellgrau) Möglichkeit zur Beeinflussung der persönlichen Resilienz von Studierenden zusprechen: ■ Kontaktpunkte Lehre sind bspw. wissenschaftliche Mitarbeitende, Lehrstuhl- inhaberinnen und -inhaber, Professorinnen und Professoren sowie Studiengangs- leitungen, die durch den unmittelbaren Kontakt zu Studierenden vor allem fachlichen und inhaltlichen Support im Sinne eines Forderns und Förderns, aber auch durch Einflussnahme auf das Curriculum und Lehrpersonal resilienzförderlich wirken können. ■ Kontaktpunkte Service sind bspw. die (Fach-)Studienberatung, das Praktikantenamt, das Prüfungs- und Immatrikulationsamt, die Sekretariate, aber auch Einrichtungen wie das Studentenwerk, die vor allem durch die Vermittlung von Ansprech- partnerinnen und -partnern und Unterstützungsangeboten resilienzförderlich wirken können. ■ Kontaktpunkte Studierende umfassen die Fachschaften bzw. Studierendenver- tretungen, die sich für die Belange der Studierenden einsetzen, sowie Kommilitoninnen und Kommilitonen bzw. Kursteilnehmende, die vor allem im unmittelbaren Kontakt die Studierenden als Peers unterstützen und so die Resilienz der bzw. des Einzelnen beeinflussen können. Kontaktpunkte, denen die Interviewten eine niedrige bzw. keine Möglichkeit zur Beein- flussung der persönlichen Resilienz zusprechen, sind die allgemeine Verwaltung, das Auslandsamt, der Förderverein sowie Prüferinnen und Prüfer ohne Lehrauftrag. Diese bleiben in der Grafik unberücksichtigt. Dennoch können diese Ergebnisse, vor allem mit Blick auf die Institution Auslandsamt, kritisch diskutiert werden, da diese Ein- richtung Studierenden unterstützend zur Seite steht, die ein Auslandssemester oder einen akademischen Auslandsaufenthalt planen. Eine weitere Einrichtung, der die Interviewten indirekt hohe Einflussmöglichkeiten zusprechen, zu der die Studierenden jedoch weder mittelbar noch unmittelbar Kontakt haben, sind Zentren für die nichtakademische Weiterbildung, die bspw. Lehrcoachings und didaktische Seminare für Lehrende oder Servicemanagement für Sekretariate anbieten. Aus der Grafik geht weiterhin hervor, ■ dass die Hochschule grundsätzlich in allen Phasen des Studiums Einflussmöglich- keiten auf die Resilienz (potenzieller) Studierender hat, ■ dass die häufigsten Kontakt- und somit Einflussmöglichkeiten zwar in den Phasen 4 bis 6 bestehen, jedoch die Bedeutung der Kontaktmöglichkeiten in den Phasen 1 bis 3 hinsichtlich ihrer Resilienzförderlichkeit nicht unterschätzt werden darf, bspw. mit der (Fach-)Studienberatung oder auf Informationsveranstaltungen. Hier ver- Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020 69
Forschung weisen die Expertinnen und Experten auf die hohe Bedeutung der Qualität der Kontakte. ■ dass der Einfluss der hochschulseitigen Kontaktpunkte auf die Resilienz (potenzieller) Studierender unterschiedlich ausgeprägt ist, bspw. hoch (Professorinnen und Professoren, Praktikantenamt), mittel (Sekretariate) und niedrig/neutral (Allgemeine Verwaltung, Fördervereine). 5.3 Hohe Bedeutung von unmittelbaren Kontaktpunkten und eigenem Engagement der Studierenden Wesentliche Bedeutung für die Resilienzförderung im Sinne sozialer Unterstützung sprechen die Expertinnen und Experten vor allem den unmittelbaren Kontaktpunkten und hierbei besonders der Qualität der Kontakte zu. Als Aspekte guter Qualität sehen die Interviewten u. a. die Intensität (Häufigkeit und Dauer) des Kontakts, den wert- schätzenden und respektvollen Umgang mit den Studierenden sowie eine gute Balance aus Fördern und Fordern bei den Anliegen und Herausforderungen, mit denen sich Studierende an die Kontaktpunkte wenden. Dies zeigt sich bspw. beim unmittelbaren Kontaktpunkt der Studiengangsleitung, dem verschiedene Expertinnen und Experten der DHBW eine hohe Bedeutung zusprechen. „Bei dem [Studiengangsleiter] sehe ich das stark gegeben. Weil ich glaube, da der Kontakt im Studium relativ eng ist. Er sicherlich das Arbeitspensum so ein Stück weit steuert […]. Und auch einfach Vorbild sein kann. […] Oder eben bei wenig Betreuung und kein Ohr für die Studis haben […] wahrscheinlich eher negativ fördert, dass Überforderung entstehen kann.“ (DHBW, Lehrende, Interview 20, Zeile 56–59). Immer wieder betonen die Interviewten auch die Bedeutung einer „Begegnung auf Augenhöhe“ durch Peers wie bspw. in der Fachschaft bzw. Studierendenvertretung für die Resilienz von Studierenden: „[…] Weil […] von Student zu Student lässt es sich einfacher reden als von Student zu Studienberatung oder zum Dozent. Und Studenten untereinander können sich auch ganz anders beraten. Und Probleme werden vielleicht auch anders wahrgenommen und kann man schon dazu beitragen […], Unstimmig- keiten, Probleme besser zu klären und somit, ja, vielleicht einen kleinen Frust, der in dem Studenten aufgetreten ist, auch hilfreich […] beseitigen.“ (UNI, Sekretariat, Inter- view 13, Zeile 47–50). Mehrere Expertinnen und Experten betonten, dass es Gremien und Einrichtungen gibt, die ihre Möglichkeit, die Resilienz von Studierenden zu beeinflussen, dadurch in besonderem Maße entfalten können, dass sich die Studierenden selbst engagieren, wie bspw. im Senat oder den Fachschaften und Studierendenvertretungen, oder der (pro)aktiven Inanspruchnahme durch die Studierenden bedürfen, wie bspw. bei Zentren für Forschung und Lehre oder bei den Vertrauensprofessorinnen und -professoren. 70 Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020
Bologna, Beschäftigungsfähigkeit und Resilienz Durch das aktive Engagement von Studierenden in Hochschulgremien lassen sich Resilienzfaktoren, wie Kommunikationsfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Lösungsorientierung und Kompromissbereitschaft lernen bzw. „trainieren“. Das zeigt sich in Expertenaussagen wie „[…] ich glaube auch, dass das einfach ein positives Erlebnis sein kann, da drin zu sein und das Gefühl zu haben, ich kann auch diese Hochschule ein bisschen mitgestalten und habe da zu anderen Studis Kontakt […] Und da [in der Studierendenvertretung/Fachschaft] kommt man mit Leuten aus anderen Kursen, anderen Fakultäten zusammen und stellt zusammen was auf die Beine. Das könnte ich mir auf jeden Fall vorstellen, dass das einen positiven Einfluss hat.“ (DHBW, Hochschulkommunikation, Interview 18, Zeile 79–80). Im Sinne einer guten sozialen und akademischen Integration sprechen die Expertinnen und Experten hochschulseitigen Erstsemesterveranstaltungen und freiwilligen Zusatz- kursen, wie z. B. Vorbereitungskursen, ein hohes Maß an Resilienzförderlichkeit zu. Da diese Angebote zumeist freiwillig sind, hängt die tatsächliche Förderlichkeit einzig von der Inanspruchnahme durch den Studierenden ab. Das gilt ebenso für einige der nur mittelbaren Kontaktpunkte, wie z. B. das Studierendenwerk. Einige der Expertinnen und Experten bemerken zudem eine zunehmende Passivität der Studierenden. Diese zeigt sich auch bei der Nutzung des an allen befragten Hoch- schulen angebotenen Hochschulsportprogramms, das mit Angeboten wie Yoga, Mannschaftssport und gemeinsamen Lauftrainings durchaus zur Stärkung der inneren Balance beitragen kann, doch eben nur, wenn diese auch aktiv genutzt werden: „Also wenn ich das [den Hochschulsport] tatsächlich dann aktiv wahrnehme, und mich auch in so Gruppen dann beispielsweise einbringe, also durchaus als positiver Effekt. Weil gerade wenn man vielleicht in eine neue Stadt kommt, sich ganz neu einfinden muss, und da dann einfach, ja, einen neuen Freundeskreis darüber vielleicht aufbauen kann, ist das für die eigene Persönlichkeit auf jeden Fall hilfreich und förderlich.“ (UNI, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Interview 3, Zeile 165–170). Gründe für die zunehmende Passivität der Studierenden sehen einige der Interviewten in der hohen Taktung des Studiums, will die Regelstudienzeit eingehalten werden, aber auch im veränderten Wertegefüge der Studierenden jüngerer Generationen (vgl. Kapitel 1), bspw. durch die hohe Bedeutung der Work-Life-Balance im Studium. „Aber es ist eine Gratwanderung. […] Ich sehe auch, die Studierenden werden […] immer anspruchsvoller, das merkt man auch so über die Zeit hinweg, wie sich das entwickelt hat und da muss man auch aufpassen, dass man auch nicht zu viel macht, und zwar nicht aus Faulheit unsererseits, sondern im Sinne, oder im Interesse der Studierenden. Damit die eben diese Möglichkeit, was eigentlich Sinn eines Studiums ist, so ein bisschen diese Selbstständigkeit […] das Wachsen, dass wir das auch noch hin- kriegen.“ (DHBW, Studiengangsleitung, Interview 2, Zeile 210–214). Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020 71
Forschung 5.4 Risiko- oder Schutzfaktor? Bedeutung der Persönlichkeitsstruktur und Hochschulwahl Ob es sich um einen Risiko- oder Schutzfaktor handelt, hängt nach Meinung diverser Interviewter in hohem Maße vom „Person-University-Fit“ ab, d. h. inwiefern persön- liche Bedürfnisstruktur und die gewählte Hochschulform harmonieren. Die Frage, ob beispielsweise hohe gestalterische Freiheitsgrade als Merkmal vieler Universitäten einen Risiko- oder Schutzfaktor darstellen, hängt wesentlich von der Persönlichkeits- und Bedürfnisstruktur der Studierenden ab. Zudem zeigen sich in einigen Punkten Ambivalenzen hinsichtlich der Wirkung als Schutz- oder Risikofaktor, bspw. bei Lehr- veranstaltungen in kleineren Gruppen an Dualen Hochschulen und Fachhochschulen. Diese können einen Schutzfaktor auf Grund einer höheren sozialen Integration dar- stellen, aber auch einen Risikofaktor, da durch die mangelnde Anonymität im Kursver- band ein höherer Leistungsdruck besteht. Auch gilt es die Persönlichkeits- und Bedürfnisstruktur der Studierenden bei der Studien- und Hochschulwahl zu berück- sichtigen. 5.5 Zusammenfassung der Ergebnisse aus systematischem Literaturreview und Experteninterviews Auf Basis des systematischen Literaturreviews von Duchek & Nicolaus (2019) und den geführten Experteninterviews lassen sich zusammenfassend folgende hochschul- seitige Einflussmöglichkeiten auf die persönliche Resilienz von Studierenden identi- fizieren (siehe Abb. 5): 72 Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020
Bologna, Beschäftigungsfähigkeit und Resilienz Abbildung 5: Ergebnissynthese der hochschulseitigen Einflussfaktoren Hochschulseitige Kontaktpunkte Faktoren/Einflussbereiche Betreuende von Individuelle Faktoren wissenschaftlichen Arbeiten Commitment zur Erstsemesterveranstaltungen Hochschule Lehrstuhlinhaber (Pro-)Aktive Kontaktpunkte Lehre Inanspruchnahme Resilienzprozess – Anwendung und Ausweitung der vorhandenen Resilienzressourcen Professoren/Professorinnen Ausprägung der Resilienz der Hochschulabsolventen und Hochschulabsolventinnen Dozentinnen/Dozenten Person-University-Fit Senat (Studienwahl) Studiengangsleitung (DH) Wissenschaftl. Mitarbeiter Hochschulseitige Faktoren und Mitarbeiterinnen Über die Phasen der „Student Journey“ Lehrinhalte/ Zentren für Forschung und Lehre Lehrmethoden (Curriculum) Bibliotheksschulungen Lehrende (Fach-)Studienberatung (intrapersonal + interpersonal) Hochschulsport Informationstage an Schulen Angebot (freiwillige) Kontaktpunkte Service Praktikantenamt Zusatzkurse (Akademische Integration Prüfungs- und Immatrikulationsamt + Resilienzprogramme) Qualitätszirkel (DH) Soziale Unterstützung Sekretariate (Peer Groups + direkte Kontaktpunkte) Studentenwerk (Unterstützungsangebote) Partizipation Vertrauensprofessoren (Teilhabe Vertrauensprofessorinnen + Gremienengagement) Kontaktpunkte Studierende Fachschaft/ Studierendenvertretung Studienorganisation (Freiheitsgrade) Kommilitoninnen u. Kommilitonen/Kurs Eigene Darstellung in Anlehnung an Duchek & Nicolaus (2019). Aus der Grafik lässt sich deutlich erkennen, dass es ein unterschiedliches Maß der Einflussmöglichkeit der hochschulseitigen Kontaktpunkte auf die individuellen und situativen Resilienzfaktoren gibt. Beispielsweise haben viele der hochschulseitigen Kontaktpunkte die Möglichkeit, „Soziale Unterstützung“ als situativen Faktor und „Commitment zur Hochschule“ als individuellen Faktor zu stärken und so resilienz- förderlich zu wirken. Hingegen gibt es weniger Kontaktpunkte, die Einfluss nehmen können auf Lehrinhalte und Lehrmethoden als situative Faktoren, z. B. die Lehrstuhlinhabenden, Professorinnen und Professoren, Studierendenvertretungen, und auf den Person-University-Fit als individuellen Faktor, wie z. B. die (Fach-)Studien- Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020 73
Forschung beratung. Zudem gibt es Kontaktpunkte, die aufgrund einer höheren potenziellen Kontakthäufigkeit entlang der Student Journey (siehe Abb. 4) und durch die Aufgaben in ihrem Funktionsbereich eine größere Möglichkeit zur direkten Einflussnahme auf die Resilienz von Studierenden haben (können). Als Beispiele seien hier das Prüfungs- und Immatrikulationsamt und wiederum die (Fach-)Studienberatung, aber auch die Studiengangsleitung der DHBW genannt. 5.6 Erste Implikationen für die Hochschulausbildung Aus den dargestellten Untersuchungsergebnissen können erste Handlungs- empfehlungen für Hochschulen abgeleitet werden (vgl. u. a. Duchek & Nicolaus, 2019; Ahles, Köstler, Vetter & Wulff, 2016; Müller-Christ, Tegeler & Zimmermann, 2018; Linde, 2016; Fahr, 2017; Borg-Laufs, 2017; Roßmanith & Szczyrba, 2017). ■ Möglichkeiten, um Commitment zur Hochschule zu erzeugen: Die Verbundenheit mit der Hochschule kann durch einen respektvollen Umgang des Lehrpersonals mit den Studierenden gefördert werden. Ebenso sind Aktivitäten von Kommilitoninnen und Kommilitonen für Studierende (Mentorenprogramme o. ä.) denkbar. ■ Möglichkeiten, um die Passfähigkeit Studierender-Hochschulform zu optimieren: Durch Maßnahmen der Studienberatung, wie Onlinetests zu persönlichen Interessen und Fähigkeiten, die Teilnahme an Orientierungstests, Workshops und individuellen Studienberatungsgesprächen und Kennenlernangeboten zum Hochschulalltag lässt sich die Passgenauigkeit zwischen Studierendem und der Hochschule bzw. Hoch- schulform erhöhen. ■ Möglichkeiten, resilienzfördernde Lehrveranstaltungen und Zusatzkurse zu gestalten: Freiwillige Zusatzkurse zum Thema „Förderung der persönlichen Resilienz“ können ebenso einen Beitrag leisten wie die interaktive Gestaltung des didaktischen Konzepts bspw. durch den Einsatz von Theaterstücken, Experimenten, Planspielen und Ähnlichem. Zudem kann mittels E-Learning-Angeboten das selbstgesteuerte Lernen unterstützt und gefördert werden. Lehrcoachings können zudem dabei helfen, die fachlich-methodischen und didaktischen Kompetenzen der Lehrenden zu verbessern. ■ Möglichkeiten zur nichtakademischen Weiterbildung von Lehrkräften anbieten: Spezielle Angebote, bspw. „Die Lehrkraft als Coach“ oder „Die resiliente Lehrkraft“, können durch Lehrkräfte genutzt werden und somit Einfluss auf die Resilienz von Studierenden nehmen. ■ Möglichkeiten, die akademische Integration zu erhöhen: Durch das Angebot von Vorkursen, begleitenden Prüfungsvorbereitungskursen und Tutorenprogrammen kann die Belastung durch inhaltliche Herausforderungen innerhalb des Studiums gesenkt werden. Diese Maßnahmen erscheinen vor allem in der „Akklimatisierungs- 74 Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020
Bologna, Beschäftigungsfähigkeit und Resilienz und Integrationsphase“ besonders wichtig, da hier die Gefahr des Studienabbruchs mit am höchsten ist. ■ Möglichkeiten zur sozialen Unterstützung anbieten: Viele Hochschulen kooperieren mit Psychotherapeutischen Beratungsstellen (PBS), die den Studierenden in schwierigen Situationen zur Seite stehen. Die Hochschulen können zudem durch ein „Vertrauenslehrer-“ bzw. „Vertrauensstudenten-Programm“ soziale Unter- stützung für Studierende anbieten. Um die soziale Integration vor allem zu Beginn des Studiums zu verbessern, sind Erstsemesterveranstaltungen und die Begleitung durch „Erstsemestercoaches“ ebenso ein denkbarer Ansatz wie Peer-Group-Nach- hilfe-Programme und semesterübergreifende Projektwochen. Die Qualität der Kontakte zu hochschulseitigen Ansprechpartnern wie Professorinnen und Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder auch Studiengangsekretariaten können einerseits durch feste Sprechzeiten und regel- mäßige eigeninitiierte Gespräche, aber auch durch den wertschätzenden und respektvollen Umgang miteinander gefördert werden. ■ Möglichkeiten zur Partizipation schaffen: Studierende können Partizipation in vielen Bereichen erfahren, bspw. in der Mitgestaltung der Vorlesungen, in der Mitglied- schaft in Studierendenvertretungen und Hochschulgremien. ■ Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Studienorganisation: Durch die Einrichtung gewisser Freiheitsgrade bei der Gestaltung des Studiums und damit einhergehend ein gewisses Maß an Selbstverantwortung und Selbstorganisation bei Modulwahl, Vorlesungsplänen und durch flexiblere Prüfungstermine kann es, möglicherweise sogar hochschulformunabhängig, gelingen, die Resilienz von Studierenden zu erhöhen. 6 Relevanz des Themas, Grenzen der Studie und Ausblick Dieser Artikel verdeutlicht differenziert, warum es in Zeiten zunehmend dynamischer und komplexer Arbeitswelten notwendig ist, sich mit dem Thema Resilienzförderung in der Hochschulausbildung zu beschäftigen und welche Verpflichtung den Hoch- schulen im Sinne der Bologna-Zielsetzung „Employability“ obliegt, Studierende (besonders die der Wirtschaftswissenschaften) adäquat auf die Herausforderungen der heutigen Arbeitswelt vorzubereiten. Er gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zu möglichen Resilienzfaktoren in der Hochschulausbildung. Zu betonen sei nochmals, dass der Fokus des Artikels nicht auf der Untersuchung der Resilienzförderung zur Verringerung von Studienabbrecherquoten liegt, sondern sich an den Bedarfen der Unternehmen ausrichtet, resiliente Absolventinnen und Absolventen im Arbeitsmarkt vorzufinden, die den eingangs beschriebenen Heraus- forderungen gewachsen sind. Zu den wesentlichen empirischen Erkenntnissen gehört zunächst die Entwicklung einer Student Journey, die, in Anlehnung an das im Marketing Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020 75
Forschung etablierte Modell der Customer Journey, die „Reise des/der Studierenden“ durch das Studium beschreibt und dabei wichtige hochschulseitige Kontaktpunkte differenziert aufzeigt sowie deren Einflussmöglichkeiten auf die Entwicklung und Förderung der Resilienz von Studierenden bewertet. Des Weiteren gelingt es, auf Basis eines systematischen Literaturüberblicks und der anschließenden qualitativen Interview- studie mit hochschulseitigen Expertinnen und Experten ein Modell der Risiko- und Schutzfaktoren zu entwickeln, das im Hochschulkontext künftig Anwendung finden kann. Ob die identifizierten hochschulseitigen Einflussbereiche einen Risiko- oder Schutzfaktor darstellen, hängt dabei entscheidend von ihrer Gestaltung durch die Hochschule und dem Person-University-Fit ab. Die Forschungsfragen nach den Einflussmöglichkeiten der Hochschule entlang der Student Journey konnten, bereits mit ersten Hinweisen bezüglich unterschiedlicher deutscher Hochschulformen, beantwortet werden. Was aktuell fehlt, ist eine studierendenseitige Überprüfung der identifizierten Einflussmöglichkeiten und deren Ausprägung, was bedeutet, dass eine umfassende Evaluierung der vorliegenden Ergebnisse nur durch eine empirische Erhebung bei Studierenden unterschiedlicher Hochschulformen (UNI, FH, DH) möglich ist, um folgende Forschungsfragen beantworten zu können: (1) Wie resilient sind deutsche Hochschulabsolventinnen und -absolventen (der Wirtschaftswissenschaften) wirklich? (2) Welche der identifizierten Kontaktpunkte und Einflussbereiche nehmen einen förderlichen Einfluss auf die persön- liche Resilienz und in welchem Ausmaß? (3) Wie müssen Hochschulen das Studium gestalten, um Absolventinnen und Absolventen beschäftigungsfähig im Sinne der Resilienz auszubilden? Ein Fokus dieser Untersuchung sollte darauf liegen, den situativen Faktor „Soziale Unterstützung“ gründlicher zu betrachten und bspw. den Zusammenhang zwischen Kontakthäufigkeit und Qualität des Kontakts und Resilienzförderlichkeit zu untersuchen. Des Weiteren sollte der Versuch unternommen werden, zu analysieren, welche Gewichtung den individuellen und situativen Faktoren zur Resilienzförderlichkeit zugeschrieben werden kann. Wirkt bspw. „Soziale Unter- stützung“ stärker als das „Angebot (freiwilliger) Zusatzkurse“? Wie groß ist bspw. der Einfluss eines hohen Person-University-Fit auf die Resilienz der Studierenden? Dieser Artikel und das darin entwickelte Risiko- und Schutzfaktorenmodell mag einen Grundstein für die Resilienzforschung im Hochschulkontext vor dem Hintergrund der Bologna-Zielsetzung „Employability“ legen, doch die Studienergebnisse des systematischen Literaturüberblicks im ersten Teil dieses Artikels sind hinsichtlich ihrer Aussagekraft ebenso zu überprüfen wie die Einschätzungen der hochschulseitigen Expertinnen und Experten aus der qualitativen Interviewstudie im zweiten Teil dieses Artikels. Dies könnte durch eine quantitative Längsschnittstudie über mehrere Mess- zeitpunkte zu Beginn, in der Mitte und am Ende des Studiums der Wirtschaftswissen- schaften unter Berücksichtigung der verschiedenen deutschen Hochschulformen und 76 Beiträge zur Hochschulforschung, 42. Jahrgang, 1-2/2020
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