20 persönliche Geschichten zum Frauentag - Steffi Buchli - business uzh

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20 persönliche Geschichten zum Frauentag - Steffi Buchli - business uzh
#10, 6. März 2020 – CHF 4.90

Steffi Buchli                                          Birgit Steinegger

                      20 persönliche
                       Geschichten
                      zum Frauentag

Karin Keller-Sutter                                  Florence Schelling
20 persönliche Geschichten zum Frauentag - Steffi Buchli - business uzh
«Derzeit fahren
alle auf Sicht»
Die Schweiz hat eine Autoindustrie. Niemand kennt diese unterschätzte
Branche so gut wie Anja Schulze, 46. Die Professorin der Uni Zürich über
Corona-Folgen, E-Mobilität und darüber, wieso sie selber den ÖV nutzt.

66 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE
20 persönliche Geschichten zum Frauentag - Steffi Buchli - business uzh
oder auf dem Umweg über Deutsch-
                                                   fakt.                                land, wo die Produkte in Komponenten

                                                  574
                                                                                        einfliessen. Umgekehrt ist China auch
                                                                                        ein wichtiger Beschaffungsmarkt. Man
                                                                                        sieht hierbei, dass bereits Engpässe
                                              UNTERNEHMEN                               auftreten. Neun von zehn Schweizer
                                               zählen laut der
                                                                                        Betrieben sind KMU, für die Kleinen
                                             dritten Swiss-CAR-
                                              Studie von 2018                           kann es schneller heikel werden.
                                                zur Schweizer                           Ist die Schweizer Autoindustrie
                                                Autoindustrie.                         ­bereits vom Brexit angeschlagen?
                                                                                        Nein, es ist eher so: Hustet Deutschland,

                                                34 000
                                                                                        hustet die Schweiz mit. Vier Fünftel
                                                                                        der Betriebe liefern nach Deutschland.
                                               MITARBEITER                              Dahinter folgen Ost- und West­europa,
                                             leben von der Auto­                        China, die USA. Dagegen ist Grossbri-
                                               industrie – wohl­                        tannien unbedeutender. Ergo hat der
                                                 gemerkt ohne
                                                                                        Handelskonflikt USA versus China Aus-
                                                Autoimporteure
                                                 oder Garagen                           wirkungen, weniger der Brexit.
                                                  ­gerechnet.                           Bis zu Ihrer ersten Studie 2008 war
                                                                                        quasi unbekannt, dass die Schweiz

                                                 12,3                                   eine namhafte Autoindustrie hat.
                                                                                        Haben die Reaktionen überrascht?
                                                                                        Ja, denn das hat schon einiges bewirkt.
                                                MILLIARDEN
                                               Franken Umsatz                           Überrascht hat das damals viele – auch
                                                 generiert die                          uns, als bei der Präsentation dieser ers-
                                               Schweizer Auto­                          ten Studie unser Hörsaal an der ETH
                                             industrie im Inland.
                                                                                        Zürich komplett überfüllt war. Ausge-
                                                                                        rechnet im Jahr nach dieser Veröffent-
                                                                                        lichung ging es für die Autoindustrie
                                                                                        furchtbar in den Keller. Der Bundesrat
                                                                                        hat dann Konjunkturprogramme auf-
                                             Anja Schulze im                            gesetzt – darunter eins für die Auto­
                                             St. Galler Kultur­                         industrie. Ich könnte mir vorstellen,
                                             zentrum Lokremise.                         dass unsere Studie dazu beitrug.
                                             Die Professorin
                                             der Uni Zürich lebt                        Wieso fristet die Branche öffentlich
                                             im nahen Teufen AR.                        dennoch ein Schattendasein?
                                                                                        Weil es keinen Schweizer Fahrzeug­
                                                                                        volumenhersteller gibt. So ist diese
                                                                                        Branche wenig präsent. Zudem sind
                                                                                        es meist Zulieferer, was für den Auto-
T E X T T I M O T H Y P FA N N K U C H E N                                              käufer unsichtbar bleibt. Da steht ja
F O T O S FA B I E N N E B Ü H L E R                                                    nicht analog zu «Intel inside» auf
                                                                                        dem Computer «Autoneum inside» auf
Frau Schulze, zurzeit hätte in Genf          Delle im Absatz ausgleicht, wenn die       dem Auto, wenn die Akustik- und Wär-
der Autosalon stattfinden sollen. Er         Menschen ihre Häuser wieder verlas-        medämmung aus Winterthur stammt.
wurde aber wegen des Coronavirus             sen dürfen – oder bleibt. Das Ganze        Und die Unternehmen sind sehr diver-
abgesagt. Wie gross ist der Schaden?         drückt auf die Kauflaune. Es kommt         sifiziert und liefern in verschiedene
Der Salon dient den Autoherstellern          auch darauf an, ob China in dem Fall       Industrien. Georg Fischer oder Sika
dazu, Modelle und sich selbst zu             mit Subventionen den Absatz ankur-         etwa: Oft ist unbekannt, dass solche
präsentieren. Jetzt bleibt abzuwarten,       belt. In Europa heisst es abwarten.        Firmen auch eine Autosparte haben.
ob sich der Wechsel vom realen zum           Die Schweiz ist ja ein wichtiger Auto-     Wagen wir uns mal ans Klischee:
virtuellen Salon negativ auf das Kauf-       zulieferer. Gefährdet Corona das?          Als Frau in der Autobranche …
verhalten auswirkt. Ich denke aber, das      Das hängt davon ab, wie lange die Krise    … (lacht) machte ich persönlich in fast
dürfte sich in Grenzen halten.               dauert. Derzeit fahren wegen Corona        20 Jahren nie negative Erfahrungen,
Wie trifft Corona die Autoindustrie?         alle auf Sicht. Für die Schweiz ist die    obschon die Branche eindeutig män-
Die Absätze in China sind deutlich ein-      Lieferkette entscheidend. China ist        nerdominiert ist. Das liegt vielleicht
gebrochen. Die Frage ist, ob sich die        durchaus ein Absatzmarkt, ob direkt        auch daran, dass ich nicht aus der Bran-

                                                                                                      SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 67
20 persönliche Geschichten zum Frauentag - Steffi Buchli - business uzh
Könnten Sie sich vorstellen,
                                                                                         auf ein Elektroauto umzusteigen?
                                                                                         Sicher, zumal ich meist Kurzstrecken
                                                                                         fahre. Eine Frage der Gewöhnung: Bald
                                                                                         wird man so sicher sein darin, wie weit
                                                                                         der Akku reicht, wie man heute weiss,
                                                                                         wie weit der Tank reicht. Wir haben
                                                                                         eine Solaranlage auf dem Dach, eine
                                                                                         Batterie im Keller – warum nicht?
                                                                                         Skeptisch macht mich anderes.
                                                                                         Was macht Sie denn skeptisch?
                                                                                         Ich frage mich, warum die Politik
                                                                                         zeitweise so stark nur in genau diese
                                                                                         Richtung drückt, etwa in China. So
                                                                                         stark, dass es aussah, als ob man Was-
                                                                                         serstoff den Hahn zudrehen würde,
                                                                                         obwohl er ein ideales Speichermedium
                                                                                         wäre. Denn bei allen Umwandlungs-
                                                                                         verlusten könnte zum Beispiel immer
«Hustet Deutschland, hustet die Schweiz                                                  noch mehr des im Sommer über­

mit. Vier Fünftel der Schweizer Autoindustrie                                            schüssigen Stroms aus erneuerbaren
                                                                                         Energien sinnvoll genutzt werden.
liefern nach Deutschland»                                                                Aber im Moment dreht sich das, der
                                                                                         Hahn geht wieder auf. Vielfalt ist der
ANJA SCHULZE                                                                             bessere Weg.
                                                                                         Von hiesigen Zulieferern entwickeln
                                                                                         und bauen 42 Prozent Antriebsteile.
che, sondern von der Forschungsseite,      Auto tun kann, dauert es noch. Wobei          Klappt der Wandel zur E-Mobilität?
also von aussen, komme.                    mir persönlich schlecht wird, wenn ich        Alle schauen, was man im Bereich
Wieso kamen Sie zur Automobil-             beim Mitfahren hinten lese (lacht).           Elektromobilität machen könnte: 2013
wirtschaft als Forschungsgebiet?           Sie begrüssen autonome Autos?                 hatten nur sieben Prozent der mit An-
Ich komme ja aus der Betriebswirt-         Es dauert, aber es wird kommen. Es hat        trieben beschäftigten Schweizer Unter-
schaftslehre, genauer aus dem Techno-      ja auch Vorteile, an die man auf den          nehmen ihre wichtigsten Produkte
logie- und Innovationsmanagement,          ersten Blick nicht denkt. Im hohen Al-        dem Elektroantrieb zugeordnet, 2018
und die Autobranche ist höchst inno-       ter lässt die Aufmerksamkeit nach, da         schon 19 Prozent. Noch ist es eher eine
vativ: Da bewegt sich was. Vor Elek­tro­   könnten ältere Menschen wieder mobil          Evolution statt Revolution. Nach wie
mobilität und autonomem Fahren be-         sein. Die Abnahme der Verkehrstoten           vor zieht der Markt für Elektromobi­
kam ich manchmal zu hören, in dieser       hängt auch an Assistenzsystemen.              lität mässig. Aber klar ist: Business as
Branche passiere nicht mehr viel.                                                        usual reicht nicht mehr. Im Moment
Heute behauptet das niemand mehr.                                                        geht es der Schweizer Autoindustrie
Leiden Sie mit, wenn es Ihrem For-                                                       noch gut. Sie ist innovativ, und die Mit-
schungsobjekt mal schlechter geht?                                                       tel für den Wandel wären vorhanden.
In erster Linie ist es mein Forschungs-                   das ist.                       Jetzt bleibt abzuwarten, wie viel dieser
feld als Wissenschaftlerin, aber ich                                                     Mittel Corona auffrisst.
gebe zu: Natürlich leide ich mit.                       ANJA SCHULZE                     Sie werden im Abspann des aktuellen
Fahren Sie selbst eigentlich gerne               Nach dem Diplom (Uni Erlangen-­         Schweizer Kinofilms «Jagdzeit»
Auto – und falls ja, was für eins?               Nürnberg, D) geht die in Dresden        erwähnt. Wieso denn – lockt es Sie
                                             geborene Deutsche Anja Schulze, 46,
Ich habe einen Volvo und bin kein ein-                                                   nach Hollywood?
                                                1999 in die Schweiz, promoviert an
geschworener Autofan, aber das Fah-           der Uni St. Gallen summa cum laude         (Lacht.) Nein. In dem sehr eindrückli-
ren macht mir Spass. In Deutschland            zur Dr. oec. HSG und gründet Swiss        chen Film über die Schattenseiten der
auf der Autobahn fahre ich gerne sehr           CAR (Swiss Center for Automotive         Welt des Managements geht es um eine
schnell. In der Schweiz fahre ich lieber       Research). An der ETH Zürich habi­        Autozulieferfirma in der Schweiz. Ich
mit dem ÖV.                                  litiert sie, und seit 2014 ist die Mutter   habe hier der Regisseurin Sabine Boss
                                             einer Tochter Professorin für Techno-
Um Bussen zu vermeiden?                                                                  und ihrer Drehbuchautorin bei der
                                              logie- und Innovations-Management
Nein, weil der ÖV hier hervorragend           an der Uni Zürich. Die Direktorin von      Hintergrundrecherche über das Setting
ausgebaut ist und ich dann arbeiten          Swiss CAR ist heute Schweizerin und         und die Industrie Red und Antwort ge-
kann – bis ich das im selbstfahrenden         lebt mit ihrem Partner in Teufen AR.       standen.

                                                                                                        SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 69
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