"Die Umverteilung soll massvoll, aber signifikant sein" - Birseck ...
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9.7.2019 Google & Co.: Fast 130 Länder ringen um neue Steuerregeln «Die Umverteilung soll massvoll, aber signifikant sein» Fast 130 Länder ringen derzeit um neue Steuerregeln für internationale Konzerne. Der Schweiz drohen hohe Verluste. Einer der Verantwortlichen der Pariser OECD erklärt, weshalb es für die Schweiz trotzdem gescheiter ist mitzumachen. Hansueli Schöchli 8.7.2019, 05:30 Uhr Die Sache klingt technisch, doch es geht um Milliarden. Unter der Ägide des globalen Ländervereins OECD steht derzeit eine Umverteilung der Gewinnsteuergelder internationaler Konzerne zur Debatte. Den Anstoss gaben grosse Schwellenländer und grosse westeuropäische Staaten, welche einen angemessenen Teil der Firmensteuern von amerikanischen «Digitalkonzernen» wie Google, Facebook und Amazon forderten; diese Firmen haben im Ausland viele Kunden, aber oft keine physische Präsenz und zahlen an vielen Orten wenig bis gar keine Gewinnsteuern. Die Diskussion hat sich seit den Anfängen aber stark ausgeweitet; nun geht es um eine generelle Umverteilung des Steuersubstrats von internationalen Unternehmen. Offiziell stehen derzeit drei Vorschläge zur Diskussion. Gemäss dem ersten Vorschlag sind Teile der Gewinne von Internet-Suchmaschinen, sozialen Netzwerken und anderen Online-Plattformen den Herkunftsländern der Nutzer zuzuteilen. Viel breiter ist der zweite Vorschlag; demnach soll es für alle internationalen Firmen mit immateriellen Gütern wie etwa Markenrechten eine Umverteilung von Steuersubstrat in Richtung der Absatzmärkte geben. Eine nochmals deutlich stärkere Umverteilung der Gewinnsteuern zugunsten der Absatzmärkte steht im dritten Vorschlag zur Diskussion. Parallel läuft zudem die Diskussion über ein globales Minimum für die Gewinnsteuerbelastung. https://www.nzz.ch/wirtschaft/google-fast-130-laender-ringen-um-neue-steuerregeln-ld.1494051 1/6
9.7.2019 Google & Co.: Fast 130 Länder ringen um neue Steuerregeln Was am Ende bei diesen Diskussionen herauskommt, ist noch offen. Der Schweizer Finanzminister Ueli Maurer sagte vergangene Woche an der Generalversammlung des Wirtschaftsverbands Swissholdings in Bern, dass die Schweiz derzeit mit Einbussen bei den Gewinnsteuern von 1 bis 5 Mrd. Fr. pro Jahr rechne. Das ist noch eine sehr wacklige Schätzung, doch sie illustriert die Bedeutung des Dossiers. Was also läuft hier ab? Einen Eindruck der Lage offeriert im Gespräch der in der OECD für das Dossier zuständige Achim Pross. Der Deutsche ist Leiter der OECD-Abteilung für internationale Zusammenarbeit und Steuerverwaltung. Aus Schweizer Sicht sind die OECD-Diskussionen intransparent und undemokratisch. Wie läuft der Entscheidungsprozess? Die Schweiz hat ein Interesse an den OECD-Diskussionen, weil sonst die Diskussionen anderswo stattfinden, zum Beispiel in Form von unilateralen Massnahmen gewisser Länder oder in der EU. Der Prozess in der OECD ist nicht undemokratisch. Ohne Konsens funktioniert es bei uns nicht. Richtig ist, dass die Zeitvorgabe der G-20-Länder, die bis Ende 2020 eine Lösung wollen, sehr ambitioniert ist. Aber die Alternative, sich nicht zu beteiligen, wäre nicht besser. Für die Schweiz ist es deshalb auch richtig, sich in die Diskussionen einzubringen. Der Geist der OECD ist einem schweizerischen Gedanken nicht unähnlich, weil auch die OECD nur funktionieren kann, wenn die Märkte offen bleiben. Aber gemäss Aussenwahrnehmung läuft es in der OECD etwa wie folgt: Wenn die Amerikaner, ein paar grosse Europäer und einzelne grosse Schwellenländer etwas wollen, kann der Rest der Welt nur noch über das Kleingedruckte streiten. Richtig oder falsch? Wahrscheinlich falsch, mit einer Fussnote. Wenn viele grosse Länder ein Thema haben, dann ist es sehr schwierig für ein kleines Land, sich dem entgegenzusetzen. Solche Themen fallen aber nicht vom Himmel, sondern bauen sich langsam auf. Wenn man die Diskussion verfolgt wie die Schweiz, sieht man schon im Vorfeld, wo sich welche Meinungen bilden. Da kann sich die Schweiz auch schon im Vorfeld einbringen. Und sie macht das auch. Aber ist es nicht so, dass die Grossen ein ganz anderes Gewicht haben? Wenn Sie ein G-7-Staat sind, können Sie mit der G-7 etwas zusammen machen. Das Gleiche gilt für die G-20 oder die EU. Wenn Sie da überall nicht drin sind, müssen Sie schneller laufen oder höher springen, um mitzuziehen. Das ist die Realität. https://www.nzz.ch/wirtschaft/google-fast-130-laender-ringen-um-neue-steuerregeln-ld.1494051 2/6
9.7.2019 Google & Co.: Fast 130 Länder ringen um neue Steuerregeln Bilden jene Länder, die eine Umverteilung des Steuersubstrats nicht nur bei eng definierten Digitalunternehmen wollen, die klar überwiegende Mehrheit? Inzwischen sagt ein grosser Teil der Staaten, dass man etwas machen muss und dass Reformen breiter sein sollten, als man anfangs noch gedacht hat. Wird es wie von der G-20 gewünscht bis Ende 2020 zu einem Konsens kommen? Ich muss natürlich grundoptimistisch sein, sonst würde ich diesen Job gar nicht machen. Die technischen Schwierigkeiten in vielen Detailfragen sind nicht zu unterschätzen. Was uns optimistisch stimmt, ist der Brustton der Finanzminister der G-20, die nun glaubwürdig eine globale Lösung will. Also der politische Wille ist da, aber dieser braucht auch einen technischen Unterbau. Wie sieht der Zeitplan genau aus? Wir werden versuchen, bis Ende 2019 die Eckpunkte zu haben, wie wir Elemente der drei zur Diskussion stehenden Vorschläge verschmelzen können. Dann würden sich die 129 beteiligten Länder im Januar 2020 treffen und diese Richtung gutheissen. Dann geht die Arbeit weiter, bis die Konsenslösung Ende 2020 stehen sollte. Die Schweiz rechnet derzeit mit Einbussen von 1 bis 5 Mrd. Fr. pro Jahr, was etwa 5 bis 25% der jährlichen Erträge aus der Gewinnsteuer entspräche. Eine dänische Studie rechnet für skandinavische Länder mit Bruttoeinbussen von etwa 20%. Sind das realistische Schätzungen für relativ kleine innovative Volkswirtschaften? Die Schätzung der dänischen Studie ist sicher zu hoch, weil selbst jener Vorschlag, der Gewinne aus immateriellen Wirtschaftsgütern umverteilen will, Güter aus dem Bereich Forschung und Entwicklung ausklammert. Ich glaube zudem nicht, dass wir einen Konsens haben werden, bei dem ein erheblicher Anteil der Bemessungsgrundlage mit einem Federstrich in Drittstaaten exportiert wird. Man muss einen Ausgleich finden, was schwierig ist. Die Umverteilung soll «massvoll, aber signifikant» sein, so dass Länder bereit sind, diesen Preis für eine stabile Steuerrechtsordnung zu investieren. Geplant ist auch eine globale Mindestbesteuerung. Ist der Eindruck richtig, dass damit vor allem die Zustimmung Deutschlands zu einer Umverteilung des Substrats gekauft werden soll? https://www.nzz.ch/wirtschaft/google-fast-130-laender-ringen-um-neue-steuerregeln-ld.1494051 3/6
9.7.2019 Google & Co.: Fast 130 Länder ringen um neue Steuerregeln Dies war ursprünglich ein deutsch-französischer Vorschlag. Es ging im Grunde um die Sicherstellung, dass internationale Grossunternehmen eine Mindeststeuer zahlen – egal, wo sie sitzen und wie sie operieren. Die Meinung ist jetzt klar, dass man die Verteilung des Steuersubstrats und die Mindestbesteuerung im Paket anschaut. Die fiskalischen Auswirkungen hängen bei beiden Themen noch von vielen Details ab. Bei der Mindestbesteuerung kommt es zum Beispiel auch darauf an, ob Sie eine Mindestvorgabe für jedes Land der Tätigkeit eines Unternehmens machen oder eine Verrechnung über alle ausländischen Einkünfte zulassen. Das ist noch offen. Wo wird der Mindeststeuersatz liegen? Ich weiss es nicht. Sie können verschiedene Vergleichsgrössen nehmen. Wenn Sie in der EU sind, liegt der niedrigste Satz bei 9%. Es gibt verschiedene andere diskutierte Sätze in der EU, zum Beispiel 10%, 12,5%, den in den USA verwendeten Satz von 13% oder den deutschen Körperschaftssteuersatz von 15%. Aber was am Schluss herauskommt, ist noch offen. Ist nicht einmal klar, ob es ein einstelliger oder zweistelliger Satz sein wird? Noch ist kein Satz beschlossen. In Produkt- und Dienstleistungsmärkten haben Kartelle einen schlechten Ruf, weil sie in der Regel zu höheren Preisen führen. Warum ist die OECD bei den Steuern für ein Kartell? Wir haben einen sehr grossen Anteil von Mitgliedstaaten, die bezüglich der Besteuerung von ausländischen Tochtergesellschaften unzufrieden sind. Es soll keinem Land der Gewinnsteuersatz vorgeschrieben werden, aber zur Diskussion steht eine koordinierte Regelung für die Aufrechnung von tief besteuerten Auslandgewinnen im eigenen Land. Die Alternative wäre, dass jeder seine eigenen Aufrechnungen macht. Ist es nicht schönfärberisch, zu sagen, dass niemandem ein Steuersatz vorgeschrieben werde – denn faktisch entspricht doch die Mindestbesteuerung einer Vorschrift? Natürlich hat ein globaler Mindeststeuersatz Auswirkungen auf die betroffenen Länder. https://www.nzz.ch/wirtschaft/google-fast-130-laender-ringen-um-neue-steuerregeln-ld.1494051 4/6
9.7.2019 Google & Co.: Fast 130 Länder ringen um neue Steuerregeln Die Schweiz befürchtet, dass ein Mindeststeuersatz, wenn er einmal beschlossen ist, künftig nur noch nach oben gehen wird. Zuerst sind es vielleicht 8 oder 12%, bald werden es 15 oder 20% sein. Ist das realistisch? Ich verstehe das. Die Gewinnsteuersätze gingen aber in den letzten zwanzig Jahren nur nach unten. Ich weiss nicht, ob man mit einem Mindeststeuersatz nun in die Gegenrichtung laufen wird. Die Gewinnsteuererträge in Prozent der Wirtschaftsleistung sind kaum gesunken – und dies auch ohne globalen Mindestsatz. Die Gewinnsteuererträge sind erstaunlich stabil. Das muss mit einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage zu tun haben. Wie können Sie sicherstellen, dass nach Einigung auf einen Mindeststeuersatz die Länder nicht versuchen, dies durch Veränderung der Bemessungsgrundlage zu umgehen? Für die Definition einer einheitlichen Bemessungsgrundlage gehen wir von den handelsrechtlichen Bestimmungen in den Ländern aus. Diese sind einander ähnlicher als die steuerrechtlichen Vorschriften. Ein paar Änderungen wird es aber noch brauchen. Wird die OECD Abschätzungen über die wirtschaftlichen Folgen und auch über die Gewinne oder Verluste der einzelnen Länder liefern? Im Herbst soll eine wirtschaftliche Folgeabschätzung vorliegen. Aber wir werden nicht konkrete Schätzungen über Gewinne oder Verluste aller 129 beteiligten Länder machen. Wir können Illustrationen liefern, wie man so etwas durchrechnen kann. Die Daten liegen bei den Ländern; sie kennen ihre Lage selber am besten. Werden letztlich nicht alle betroffenen Länder ihre Haltung davon abhängig machen, welche Gewinne oder Verluste sie erwarten? Absolut. Niemand ist unterwegs, weil er für andere etwas Gutes tun will. Aber es gibt Leute mit einem kürzerfristigen oder längerfristigen Horizont. Man muss auch das alternative Szenario durchrechnen: Was kostet es die Schweiz, wenn sie nichts macht bzw. wenn es kein global koordiniertes System gibt und stattdessen ein ungeordnetes System einzelstaatlicher Massnahmen? Doch geht es letztlich nicht um ein Nullsummenspiel – was die einen gewinnen, verlieren die anderen? https://www.nzz.ch/wirtschaft/google-fast-130-laender-ringen-um-neue-steuerregeln-ld.1494051 5/6
9.7.2019 Google & Co.: Fast 130 Länder ringen um neue Steuerregeln Es geht um eine Umverteilung von Steuersubstrat. Es sollte aber auch zu einem hoffentlich einfacheren System führen, das mehr Rechtssicherheit bringt, die Märkte offen hält und etwas Druck aus dem System nimmt. Das würde positive volkswirtschaftliche Effekte haben. So sollen die Steuermilliarden der Firmen global umverteilt werden Fast 130 Länder ringen derzeit um eine Umverteilung der Gewinnsteuern internationaler Firmen. Für die Schweiz steht viel auf dem Spiel. Hansueli Schöchli / 8.7.2019, 05:30 Ueli Maurer stimmt die Schweiz auf härtere Zeiten ein Finanzminister Ueli Maurer warnt vor Milliardeneinbussen als Folge des kommenden Umbaus globaler Regeln für die Firmensteuern. Der finanzielle Spielraum des Bundes für Ausgabensteigerungen oder Steuersenkungen wird enger. Hansueli Schöchli / 19.6.2019, 06:00 Digitalsteuer: Der Fiskus in der Populismusfalle Müssen die internationalen Steuerregeln an die Digitalisierung der Wirtschaft angepasst werden? Und falls ja: wie? Diese Fragen versucht die OECD derzeit zu klären. Die Folgen könnten weit über die Welt von Google und Facebook hinausreichen. René Höltschi / 7.3.2019, 07:00 Copyright © Neue Zürcher Zeitung AG. Alle Rechte vorbehalten. Eine Weiterverarbeitung, Wiederveröffentlichung oder dauerhafte Speicherung zu gewerblichen oder anderen Zwecken ohne vorherige ausdrückliche Erlaubnis von Neue Zürcher Zeitung ist nicht gestattet. https://www.nzz.ch/wirtschaft/google-fast-130-laender-ringen-um-neue-steuerregeln-ld.1494051 6/6
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