2017 2018 DEUTSCHE STAATSPHILHARMONIE - RHEINLAND PFALZ - Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz
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DEUTSCH E 2017
STA ATSP H I LHAR MON I E
R H EI N L AN D-P FALZ 2018
2
DEUTSCHE
STAATSPHILHARMONIE
RHEINLAND-PFALZ
Die Deutsche Staatsphilharmonie
Rheinland-Pfalz mit Sitz in
Ludwigshafen am Rhein wurde
1919 in Landau gegründet.
Heute besteht das Orchester aus
88 Musikerinnen und Musikern
und hat sich zu einer führenden
musikalischen Größe entwickelt.
In der Trägerschaft des
Landes Rheinland-Pfalz
1
GENERALMUSIKDIREKTOR KARL-HEINZ STEFFENS
SPIELZEIT 2017/2018
INHALTSVERZEICHNIS
GRUSSWORTE KAMMERMUSIK
Seite 4 Minister Prof. Dr. Konrad Wolf Seite 58 So um 5 – Kammermusik
Seite 5 Intendant Prof. Michael Kaufmann
BESONDERE PROJEKTE
IM GESPRÄCH Seite 60 Musikvermittlung – Lebensbegleiter
Seite 6 Karl-Heinz Steffens und Soziale Verantwortung
Prof. Michael Kaufmann
ZUKUNFTSMUSIK
SCHWERPUNKTE Seite 62 Partnerschaft Erich Kästner-Schule
Seite 10 Das Metropolregion Sommer-Musikfest Seite 64 Für die Kleinsten
MODERN TIMES
Seite 65 U27
Seite 14 Artist in Residence: Albrecht Mayer
Seite 66 Kinderkonzerte
Seite 16 Komponist im Portrait: HK Gruber
Seite 18 Ein roter Faden: Wiener Schule(n) DAS ORCHESTER
Seite 22 KathedralKlänge: Bruckner in den Domen Seite 68 Das ganze Jahr ein Fest
Seite 24 Musikfest Speyer: Haydn & Wagner Seite 70 Orchestermitglieder
Seite 28 Klassik(er) im Capitol
Seite 30 Kulturzentrum dasHaus Ludwigshafen KONZERTKALENDER 2017/2018
Seite 32 RHEINLAND-PFALZ EXCELLENT! Seite 72 Die Konzerte chronologisch
Seite 34 Nachwuchsförderung 2.0
HINWEISE
REIHEN UND ABOS Seite 84 Team und Impressum
Seite 38 Philharmonische Konzerte im Seite 85 CD-Produktionen
Pfalzbau Ludwigshafen Seite 86 Register und Bildnachweise
Seite 40 Mannheimer Meisterkonzerte Seite 87 Philharmonischer Wein
Seite 42 Heidelberger Meisterkonzerte Seite 88 Tickets und Service
Seite 44 Mainzer Meisterkonzerte Seite 89 Veranstaltungsorte und
Seite 46 Konzertreihe der Stadt Ludwigshafen Ticketinformationen
und der BASF SE
REISEFREUDIGE STAATSPHILHARMONIE:
DIE SPIELORTE
Seite 48 Speyer und Worms
Seite 50 Neustadt/Weinstraße und Landau
Seite 52 Zweibrücken und Pirmasens
Seite 54 Kaiserslautern und Trier,
Karlsruhe und Wörth am Rhein
Herzlich willkommen zur Saison 2017/2018
LIEBE MUSIKFREUNDINNEN, LIEBE MUSIKFREUNDE,
das 500. Jubiläum der Reformation gibt Anlass, auf die Die Wahrnehmung des bislang Unbekannten birgt
besondere Beziehung Martin Luthers zur Musik hin- die Möglichkeit, Verbindendes zu entdecken. Verbin-
zuweisen. Luther nennt die Musik eine Gabe Gottes. dendes erhält deshalb auch in dieser Saison einen
Hätte er in unserer Zeit gelebt, wäre er gewiss auch ein eigenen Stellenwert: Der Pianist und Dirigent Frank
großer Verehrer der sinfonischen Musik geworden. Die Dupree, in der vergangenen Saison Artist in Residence,
Entwicklung dieser Gattung der Instrumentalmusik zeigt seine Verbundenheit zur Deutschen Staatsphil-
blieb ihm leider verschlossen. harmonie und präsentiert unter dem Titel CONNECT
IT! den Zusammenklang von Jazz und Klassik; das
Für uns sind die Vielfalt und der Reichtum der Sin-
Festival MODERN TIMES gastiert in den Spielorten
fonik ein Geschenk, das wir in vielen Konzertsälen
Ludwigshafen, Mannheim und Heidelberg und verbin-
unseres Landes und darüber hinaus wahrnehmen kön-
det damit die Städte der Metropolregion Rhein-Neckar
nen. Die Deutsche Staatsphilharmonie leistet hierzu
unter künstlerischen Aspekten.
einen wichtigen Beitrag. Als einziges ausschließlich
sinfonische Orchester in der Metropolregion Rhein- Diese Spielzeit 2017/18 wird aber auch geprägt sein von
Neckar und in Rheinland-Pfalz übernimmt sie die der Erfahrung des Letztmaligen. Die Reihe BRUCKNER
Aufgabe eines Kulturträgers und Kulturvermittlers. IN DEN DOMEN findet mit einem Konzert im Speyerer
Mit ihren Konzerten, Festivals und Reihen stellt sie Dom am Tag der Deutschen Einheit ihren Abschluss;
dabei immer wieder unter Beweis, dass die sinfonische für Karl-Heinz Steffens ist die Spielzeit 2017/18 die
Musik durch individuelle Interpretationen Neues und letzte als Chefdirigent. Ihm gilt mein ganz besonderer
Vielschichtiges zu bieten hat. Dank für das gegenüber der Deutschen Staatsphilhar-
monie erbrachte Engagement. Unter seiner Leitung hat
Als Bestandteil der europäischen Musiktradition ist die
sich das Orchester zu einem exzellenten, bundesweit
Instrumentalmusik aber auch prädestiniert, Brücken
wahrgenommenen Klangkörper entwickelt.
zu anderen Kulturen zu bauen und sich den Strö-
mungen der Zeitgeschichte zu öffnen. Hier hat sich Ich wünschen Ihnen, liebe Musikfreundinnen und
die Deutsche Staatsphilharmonie einen Namen ge- Musikfreunde, viel Vergnügen und entspannende
macht, indem sie sich dem Thema BEGEGNUNG DER Stunden bei den Konzerten der Deutschen Staatsphil-
KULTUREN schon seit zwei Spielzeiten mit eigenen harmonie.
Formaten zuwendet. Auch in dieser Spielzeit wird es
wieder Begegnungen zwischen unserer eigenen Kultur
und fremden Welten geben.
Konrad Wolf
Minister für Wissenschaft,
Weiterbildung und Kultur
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LIEBE MUSIKFREUNDE, VEREHRTES PUBLIKUM,
mit großer Freude stellen wir Ihnen unsere Spielzeit großes Privileg für die Musiker des Orchesters und für
2017/2018 vor und laden Sie herzlich ein, dabei zu sein, das Publikum. Und so selbstverständlich wie bei ihm,
wenn sich im Trierer Dom am 26. August der Vorhang der virtuos die Musikgeschichte von Vivaldi bis Ravel,
zu dieser Saison hebt – der dann bereits neunten, zu- Strauss und Gruber durchschreitet, gestaltet sich die
gleich leider aber auch letzten Saison unseres wunder- Spielzeit Ihrer Staatsphilharmonie auch insgesamt:
baren Generalmusikdirektors Karl-Heinz Steffens, mit neben den vielen Abonnements-Konzerten finden sich
dem die Staatsphilharmonie eine bemerkenswerte besondere Programm-Schwerpunkte bei MODERN
künstlerische Entwicklung genommen hat. National wie TIMES und dem MUSIKFEST SPEYER. Und so glück-
international hat sich große Anerkennung eingestellt lich wir sind, dass wir unsere erfolgreiche Zusammen-
und selbstverständlich werden wir Karl-Heinz Steffens arbeit mit dem CAPITOL in Mannheim fortsetzen
im Sommer 2018 gebührend feiern und verabschieden. können, so gut ist es, dass wir mit dem Veranstaltungs-
zentrum dasHaus in Ludwigshafen einen neuen Part-
Glücklicherweise ist beim Durchblättern des Spielzeit-
ner gewonnen haben. Besonders scheint mir zudem,
hefts nichts von Abschied zu spüren, im Gegenteil er-
noch vor dem Abschluss unserer landesweiten Ko-
wartet Sie wieder ein attraktives und facettenreiches
operation zu KATHEDRALKLÄNGE: BRUCKNER IN
Angebot. Als Sinfonie- und Konzertorchester, das die
DEN DOMEN eine neue Landes-Perspektive durch die
große Region zwischen Mainz und Karlsruhe, Heidel-
Zusammenarbeit mit der VILLA MUSICA, der bedeu-
berg und Trier bespielt, sind wir wieder mit großar-
tenden Landes-Ausbildungseinrichtung für junge Spit-
tigen Dirigenten und Solisten unterwegs, um die
zenmusiker, ankündigen zu können. Was wir da entwi-
Musik zu den Menschen zu bringen. Denn so wichtig
ckeln, ist einfach RHEINLAND-PFALZ EXCELLENT!
es auch wäre, einen zentralen Konzertsaal für diese
große Region zu erstellen, in dem unser Orchester So leistet die Staatsphilharmonie mit 60 verschiedenen
auch sein zu Hause nehmen könnte, so bedeutend ist Programmen in über 120 Konzerten an 22 Spielstätten
der Auftrag, den wir durch unsere vielen kleinen auch in der Saison 2017/2018 wesentliche Beiträge zur
Konzertreisen zu unseren Publikümern erfüllen. kulturellen Versorgung sowohl in Rheinland-Pfalz wie
in der Metropolregion Rhein-Neckar, strahlt als guter
Einen besonderen Schwerpunkt legen wir in dieser
Botschafter weit über die Region hinaus. Dass wir die
Spielzeit auf die große Musikstadt Wien und laden Sie
positive Entwicklung des Orchesters sehr wesentlich
zu ausgiebigen Klangreisen ein. Oder besser gesagt, wir
unserem wunderbaren Publikum und der grundsätz-
laden Sie zu Reisen in mehrere Wien ein, um Ihnen drei
lichen Förderung durch das Land Rheinland-Pfalz
Musik-Epochen vom 18. bis zum 21. Jahrhundert vorzu-
verdanken, hat uns bei der Planung für die vor uns
stellen: Von Joseph Haydn, Mozart und Beethoven führt
liegende Spielzeit motiviert und ist uns eine Verpflich-
der Weg über Brahms, Bruckner und Mahler weiter zu
tung für die Zukunft – wie es unser großer Wunsch ist,
Schönberg und Webern – um letztlich bei HK Gruber
dass Sie uns weiter auf diesem Weg begleiten.
anzukommen, dem wir unser Komponisten-Portrait
widmen und der sich so herrlich über die kategorisie- Ich freue mich, wenn wir Sie immer wieder bei
renden Konventionen der „ernsten Neuen Musik“ hin- unseren Konzerten Willkommen heißen können!
wegsetzt, wie das wohl nur ein Wiener Komponist kann.
Einen besonderen Glanz erhält die Spielzeit 2017/2018
auch durch die vielen Konzerte, die wir unserem Artist
in Residence Albrecht Mayer verdanken. Mit einem der
führenden Instrumentalisten der Welt eine so inten-
sive Zusammenarbeit entwickeln zu dürfen, ist ein Prof. Michael Kaufmann
Intendant der Deutschen Staatsphilharmonie
Rheinland-Pfalz
5
Spielzeitkonzept
VON KINDLICHER FREUDE,
GEMEINSAMEN WEGSTRECKEN
UND EINEM URVIECH
Dem Rheingold nahe zu sein, Michael Kaufmann: Für unser Gespräch zur Spielzeit
2017/2018 sind wir unterwegs auf dem Rhein, zwischen
vier Spielzeiten nach dem schon legen- Ludwigshafen und Mannheim – und obwohl wir hier
dären RING HALLE-LUDWIGSHAFEN, gemütlich sitzen, fällt mir der Anfang nicht ganz leicht:
Neben der Vorfreude auf die kommende Saison und die
das war der Wunsch von Karl-Heinz vielen schönen Konzerte spielt auch eine Rolle, dass es
Deine letzte Spielzeit ist, dass sich in die Vorfreude doch
Steffens, um das Gespräch zu auch eine gewisse Wehmut mischt, denn Deine Zeit mit
seiner letzten Spielzeit als General- der Staatsphilharmonie war eine sehr erfolgreiche Zeit für
das Orchester. Wollen wir trotzdem mit dem Ausblick
musikdirektor und Chefdirigent der beginnen? Es müsste ja ganz nach Deinem Geschmack
sein, dass wir mit unserem BRUCKNER-ZYKLUS wieder in
Staatsphilharmonie zu führen. Doch von den Domen des Landes zu Gast sind, die schon traditio-
Wehmut keine Spur: Karl-Heinz Steffens nellen Konzerte bei Deinem Festival in Friedberg spielen
und dann sofort zu MODERN TIMES übergehen.
bricht wieder auf zu neuen Ufern,
Karl-Heinz Steffens: Eigentlich bekommt die Vorfreude
verordnet sich und seinem Orchester auf die nächste, letzte gemeinsame Saison nochmal eine
einen Energieschub par excellence. Die ganz neue Qualität, wenn man bedenkt, was wir in den
vergangenen Jahren so alles anbieten konnten.Vieles von
Zeit zu nutzen ist sein Credo. dem hat das Orchester extrem herausgefordert, aber es hat
sich doch wirklich gelohnt. Die Verortung der Staatsphil-
harmonie im großen Spannungsfeld von Bach bis heute,
die beherzte Herangehensweise an immer neue inhaltliche
Herausforderungen haben unsere geimeinsame Arbeit
in den vergangenen Jahren bestimmt und finden sich
selbstverständlich auch in unserer letzten gemeinsamen
Saisonplanung wieder. Natürlich wird der Bruckner-
Zyklus fertiggemacht, aber dann geht es ja direkt wieder
zu MODERN TIMES.
Karl-Heinz Steffens (links) ist MK: Dass wir – gemeinsam mit vielen Partnern, wie
seit August 2009 Chefdirigent etwa den Dom-Musiken und den Kathedralklängen – alle
der Deutschen Staatsphilharmonie Bruckner-Sinfonien in den großen Kathedralen von Rhein-
Rheinland-Pfalz und zudem
seit August Musikdirektor der land-Pfalz spielen und damit die agile und beständig in
Norwegischen Nationaloper Oslo. Bewegung befindliche Staatsphilharmonie mit den ältesten
Darüber hinaus ist er regelmäßig bei Kulturdenkmalen des Landes verbinden, war einer Deiner
führenden Sinfonieorchestern und
Opernhäusern zu Gast. großen Träume. Nun rundet sich der Zyklus, wenn wir
beim Moselmusikfest die Zweite und im Speyerer Dom die
Michael Kaufmann (rechts) über- Neunte aufführen werden.
nahm die Intendanz der Deutschen
Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz
im Dezember 2011.
6
Kolumnentitel
KHS: Wir haben uns intensiv mit allen 9 Brucknersinfo- solch einem Plan auch die Einbeziehung eines Saales,
nien beschäftigt und hatten dabei viel Freude. Diese herr- eines richtigen Zuhauses für das Orchester gehören, aber
lich spirituellen Räume unserer rheinland-pfälzischen den haben wir nunmal nicht. Daher fand ich es nur
Dome bieten ja für die beeindruckenden Klanggebäude richtig, auch in die wichtigen Ausstrahlungsorte des Landes
Bruckners die richtige und wesensverwandte Darstellungs- zu gehen. Und dazu gehören eben entschieden auch die
möglichkeit. Wir freuen uns auf die noch verbleibende Kathedralen. Wenn man die Arbeit und die Existenz eines
Zweite und den großen Abschluss mit der Neunten und Orchesters betrachtet, muss man ja auch in großem Maße
seinem Te deum! die Faktoren Aufführungsort und Publikum mit einbezie-
hen. Nur im Zusammenspiel dieser 3 Faktoren kann ein
MK: Es ist ja eine bemerkenswerte Konstante Deiner Kunstwerk und seine Wirkung beurteilt werden. Da sind
Arbeit mit dem Orchester, dass Du in Zyklen Entwick- wir schon sehr froh, dass wir diese wichtigen Räume in
lungen für den Klangkörper insgesamt, aber auch für die Rheinland-Pfalz haben.
Musiker individuell betrieben hast: auf Beethoven folgte
der RING Halle-Ludwigshafen, dann Bruckner. Mit Bruck- MK: Für mich könnte ja dann der Sprung zu MODERN
ner haben wir uns über immerhin drei Spielzeiten mit TIMES kaum größer sein: Britten, Strawinsky, Schönberg,
dann 10 Konzerten beschäftigt, weil wir den inoffiziellen Berio, Zimmermann, Ligeti, HK Gruber.
Auftakt im Herbst 2014 ja mit der 9. Sinfonie bestritten
haben. KHS: Wir haben zu unserem gemeinsamen Abschluss
nochmals nachgedacht und eine Art Summe der letzten
KHS: Ich habe ja von Anfang an mit einem klaren Plan Jahre zusammengestellt. Mit Zimmermann haben wir die
an der Entwicklung des Klangkörpers gearbeitet. Erst die erste Ausgabe von MODERN TIMES 2013 eröffnet und Ò
Arbeit an den Beethovensinfonien bis hin zu Bruckner
und zuletzt auch zu Mahler. Normalerweise würde zu
7
Ò auch unsere doch recht erfolgreiche Aufnahmetätigkeit Komponieren für Neue-Musik-Spezialisten entzieht und
hat ein Jahr später damit begonnen. Schönberg als Urvater damit wunderbar zu unserem Wunsch passt, die „Neue
der Neuen Musik, Ligeti als wichtiger Neuerer nach 1950 Musik“ einem breiteren Publikum zugänglich zu machen,
– sie alle kommen nochmal zu Wort. Zusammen mit zum anderen, weil wir damit unser Komponistenportrait
neuen Entdeckungen eines HK Gruber oder dem bei uns der kommenden Saison mit einem großen Konzertstück
bis jetzt noch nicht erschienen Skrijabin ist die Bandbreite für Orchester eröffnen.
mal wieder sehr vielfältig und lädt das Publikum zu span-
nenden musikalischen Zeitreisen ein. KHS: Ja, Wien. Zweimal wurde hier die Kunstmusik revo-
lutioniert. Nun sorgen Leute wie HK Gruber dafür, dass
MK: Wir haben ja dem Festival diesmal in Anlehnung die Gegenwartsmusik wieder vom hohen Ross der elitären
an das Werk von Skrijabin den Titel „Poème de l’Extase“ „Neue Musik“-Darstellung wegkommt. Und sich wieder
gegeben. Dabei wird ja bei den fünf Konzerten deutlich, hin zu den Menschen öffnet, dahin, wo die Musik einst ja
dass Extase sich sehr unterschiedlich äußern kann und, hergekommen ist. Wir freuen uns da sehr auf diese Begeg-
dass da nicht immer ein augenscheinlicher „Aufruhr“ nungen mit HK Gruber. Er ist ja ein wahres Kraftfeld, die-
erkennbar sein muss. Wenn man bei Wikipedia nachsieht, ser Mann. Irgendwie ein Urviech.
steht da auch, man sei „aus dem Bereich seiner vertrauten
Umwelt und des normalen Wahrnehmungsvermögens MK: Eine ganz besondere Prägung erhält die Saison auch
herausgetreten.“ Es klingt vielleicht ein wenig plakativ, dadurch, dass das Publikum – und natürlich auch das
aber gilt das nicht für viele Werke der gesamten Musik- Orchester – drei Epochen der „Wiener Schule“ begegnen:
literatur und deshalb erst recht für ein Musikfest, das sich Haydn, Mozart und Beethoven werden eine große Rolle
dem Wunsch verschrieben hat, spannende Einblicke in spielen, Schönberg haben wir schon angesprochen
die Musik des zwanzigsten, auch des einundzwanzigsten und nun kommt HK Gruber als einer der international
Jahrhunderts zu geben? anerkanntesten lebenden Komponisten, als Vertreter der
3. Wiener Schule dazu.
KHS: Extase ist der Ausnahmezustand, der Zustand, der
über die alltägliche Realität hinausgeht. Das hat ja grund- KHS: Wir haben vor 9 Jahren mit Haydn, Mozart und
sätzlich etwas mit Kunst zu tun. Kunst ist nicht gemacht Beethoven begonnen. Nun wird sich der Kreis wieder
um uns in die Realität zurückzudrücken, sondern um uns schließen. Ich freue mich sehr auf diese Wiederbegeg-
aus ihr zu entheben. Ich persönlich glaube fest an diese nungen nach einer sehr schönen und fruchtbaren Zeit der
Funktion von Kunst. Claude Debussy hat einmal geschrie- Zusammenarbeit mit der Staatsphilharmonie. Und als
ben, dass das berühmte Lächeln der Mona Lisa vielleicht ein Kontrapunkt, der – wie immer in der Musik – die
nie existiert hat – aber durch die Hand Leonardos ist es ganze Sache weitertreibt, kommt HK Gruber dazu – eine
unsterblich geworden. weitere Würdigung der aktuellen Musikszene Wiens,
denn unser erstes Komponistenportrait hatten wir ja, mit
MK: Ich kann da ja recht freimütig einräumen, dass ich es Kurt Schwertsik, einem anderen Vertreter der 3. Wiener
ganz wunderbar finde, dass wir beim Schlusskonzert von Schule, gewidmet.
MODERN TIMES das von Simon Rattle und den Wiener
Philharmonikern in Auftrag gegebene und uraufgeführte MK: Einen Gang durch die Jahrhunderte unternimmt
„Dancing in the Dark“ von HK Gruber präsentieren. Zum auch unser Artist in Residence Albrecht Mayer, mit dem
einen, weil sich HK Gruber in allen seinen Werken dem Dich ja auch die gemeinsame Zeit bei den Berliner Phil-
harmonikern verbindet.
8Michael Kaufmann
und Karl-Heinz Steffens
KHS: Albrecht war ja ein sehr geschätzter Kollege bei den diese zur Verfügung stehende Zeitausdehnung eines
Berliner Philharmonikern. Er hat eine großartige Musiker- Musikstücks gestaltet, wie man aber auch die Fragen, die
karriere hingelegt und er hat viel zu sagen. Er spielt nicht man sich über Jahre hinweg gestellt hat, immer wieder
nur begnadet Oboe, sondern dirigiert auch und kann neu in den Konzerten beantworten muss, so werden wir
Musik wunderbar kommunizieren, was dem Orchester auch jetzt nach 9 Jahren der gemeinsamen Wegstrecke
sicher auf die unterschiedlichste Weise zu Gute kommen wieder die Suche in den kommenden Monaten in den
wird. Dass er von den venezianischen Meistern bis zu Mittelpunkt stellen. Dass wir dabei auf viele gemeinsame
Richard Strauss, Maurice Ravel und eben auch HK Gruber Konzerte und Programme zurückblicken, ist natürlich
zu erleben ist, darauf freuen wir uns sehr. ein Teil der Grundlage unserer heutigen Suche. Ich bin
gespannt, welche Antworten wir
jetzt, nach den letzten Jahren
finden werden.
MK: Dass wir mit gewisser Weh-
mut auf Deinen Abschied zum
Ende der Saison schauen, hatte
ich ja schon angesprochen, doch
ist viel stärker das Gefühl der
Dankbarkeit für Dein großes
Engagement, das das Orchester
neu ertüchtigt, es zu neuem
Selbstwert und zu einer national
wie international lange nicht
gekannten Wertschätzung geführt
hat. Blättert man durch das Spiel-
zeitheft kommt die Freude dazu,
dass wir noch viele große Konzert-
erlebnisse mit Dir vor uns haben
und der Abschied noch Zeit hat.
Überwiegt für Dich denn auch die
MK: Deine achte und leider auch letzte Spielzeit scheint Vorfreude auf Deine immerhin 31 Konzerte mit Deinem
so auch eine Art Resümee Deiner Arbeit mit der Staats- Orchester und auch für Dein Publikum?
philharmonie zu sein, ein: Schaut her, die sinfonische
Musik ist lebendig! Eine Einladung, neugierig zu sein und KHS: Ich freue mich eigentlich immer auf jedes Konzert
neugierig zu bleiben für Neues und Bekanntes – eine Ein- wie ein Kind. Die Neugier, wie es wohl heute sein wird,
ladung, die für Musiker wie Publikum gleichermaßen gilt. was wir gemeinsam erfahren werden beim Musizieren,
wird bei mir niemals weniger. Deswegen empfinde ich
KHS: Wir alle sind Teil eines lebendigen Prozesses. Die eine große Lust auf alle diese 31 Konzerte – und auch ein
Zeit, auch die eines Dirigenten und Orchesters bewegt bisschen Stolz auf das, was wir gemeinsam geschafft
sich unaufhaltsam, gerade in unserem Metier. Die Musik haben. Ò
ist ja eine Kunst innerhalb der Zeit. Und so, wie man
9Die Abbildung zeigt die amerikanische
Tänzerin Loïe Fuller (1862 – 1928), sie machte
vor allem von 1892 bis 1899 in den Pariser
Folies Bergère Furore. Mit ihren effektvollen
Schleiertänzen wie „La Serpentine“ oder
„Le Poème de l’Extase“ „Le Papillon“ inspirierte sie zahlreiche Künstler
Alexander Skrjabin 1904/1906 wie Toulouse-Lautrec und Rodin.
(Fotografie, Musée d‘Orsay, Paris.)
10Kolumnentitel
POÈME DE
L’EXTASE
Der Gedanke von Vielfalt ist naturgemäß Violinkonzerts. Es stammt aus der Feder Benjamin Text: Matthias Henke
Brittens und belegt einmal mehr, wie sehr Musik helfen
nicht einfach. Es gibt ja nicht nur die
kann, Krisen zu überstehen, mögen sie persönlicher
eine Vielfalt, sondern Vielfalten: die Vielfalt oder politischer Natur sein. Immerhin reagierte Britten
mit seinem Werk auf den Ausbruch des Zweiten Welt-
der Natur, eine solche der Lebensalter,
kriegs. So darf man die teilweise wirklich anrührende
der Ethnien oder Religionen und Welt- Melodik als Zeichen der Trauer deuten. Allerdings ver-
harrt letztere nicht bei sich selbst, sondern sie kann auch
anschauungen. Die Vielfalten insgesamt,
in den Kampfmodus umschalten, marschhaft aufbegeh-
aber auch jede einzelne für sich wirklich rend, von perkussiven Klängen begleitet. Kurz nach Ende
des Zweiten Weltkriegs, genauer gesagt im Juni 1945,
wahrzunehmen ist schwierig ...
A
gelangte Brittens Oper Peter Grimes zur Uraufführung,
eine mysteriöse Kriminalgeschichte um einen Fischer,
llzu leicht gehen wir, die Menschen der sich der zwei seiner Lehrlinge ermordet haben soll. Als Kom-
gerade findenden Digitalzeit, in der Flut von mentator des schaurigen Geschehens tritt das Meer auf.
Informationen unter. Um dem Dilemma zu Von dessen erhabener Unergründlichkeit und seinen
entkommen, können uns Projekte helfen, die auf Drohgebärden erzählen orchestrale Zwischenspiele, die
einer exemplarischen, kenntnisreichen Auswahl beru- der Komponist später zu einer Konzertmusik zusam-
hen. Im Idealfall bügeln sie die Unterschiede, die oft menstellte: den Four Sea Interludes. Aus der grandiosen
beschworene Diversity, nicht kurzerhand weg, son- Natur in die nicht minder grandiose City führt uns die
dern sehen sie als bereichernde Varianten. Zu solchen London Symphony von Ralph Vaughan Williams. Seit 1914,
klug ausbalancierten Vorhaben zählen zweifelsohne die dem Jahr ihrer Uraufführung, weiß sie das Publikum
MODERN TIMES: immer dem Publikum zugewandt zu begeistern: eine Sinfonie von Mahler’schen Dimen-
und gut für Überraschungen. sionen und Tiefen, aber auch eine Liebeserklärung an
eine Stadt. Deren Energieschüben, dem Mahlwerk ihrer
Die MODERN TIMES, die 2017 unter dem Motto Klänge kann man nur standhalten, rät uns die London
Poème de l’Extase (nach Alexander Skrjabins gleich- Symphony, wenn man sich während der Morgenstunden
namiger Komposition, MODERN TIMES 5) über die oder auf stillen Plätzen innerlich zu sammeln vermag.
Bühne gehen, beweisen diese Qualität erneut, wenn sie
hochkarätige Werke, exzellente Interpreten und ausge- Schaut man auf das Programm des zweiten Konzerts
suchte Spielorte in ein knisterndes Dreiecksverhältnis (MODERN TIMES 2) möchte man den verzweifelten
bringen. Den Solistenreigen eröffnet der nicht einmal Ruf „Stoppt den Brexit“ ausstoßen. Britannien zeigt sich
30-jährige, gleichwohl mit zahlreichen Preisen geehrte hier von einer seiner feinsten Seite. Zunächst einmal in
Geiger Ray Chen (MODERN TIMES 1). Die Kostbarkeit Gestalt des Tenors Ian Bostridge, dessen vielbejubelte
seines Instruments, einer „The Macmillan“ genannten Deutung der „Winterreise“ selbst die hartgesottensten
Stradivari, entspricht dem Rang des programmierten Schubert-Fans zittern lässt. Dann aber in Form des Ò
11CORNELIA FROBOESS
RAY CHEN JANICE DIXON
IAN BOSTRIDGE
DANIEL GAUTHIER
Programmes selbst. Eindrucksvoll unterstreicht es die ins Mark treffen. Denn es geht in dem epochalen Werk
Eigenständigkeit der „insularen“ Musik. Zu deren Profil nicht um weniger als die Frage, wie wir unser Dasein
gehört ein ausgeprägtes Traditionsbewusstsein, das sich sinnvoll gestalten wollen. Sind wir bereit, wegen einiger
gleich in der Eröffnungsnummer offenbart. Sie basiert Euros, das uns Liebste, unseren Kern, aufzugeben? Wie
auf einem Thema des englischen Renaissance-Kompo- der Soldat seine Geige? Strawinskys nüchterne Musik
nisten Thomas Tallis: einer Melodie für eine Dichtung entlastet uns nicht, im Gegenteil, sie verschärft die
von Matthew Parker, des Erzbischofs von Canterbury. Frage. Eine gewisse Tristesse durchwirkt auch die 1930
Sakrale Würde strahlt denn auch die Fantasy aus, die komponierte Hot-Sonate für Altsaxofon und Klavier von
Ralph Vaughan Williams dem Andenken seines kolle- Erwin Schulhoff. Ja, ihr dritter Satz, lamentoso unterti-
gialen Ahnen widmete. Der religiösen Sphäre bleibt telt, ist eine Art Klagegesang, bei dem sich das Saxofon
auch das zweite Werk verbunden: die Evening Hymn, ein der menschlichen Stimme annähern muss – für einen
Abendlied des großen Henry Purcell. Benjamin Britten Musiker vom Rang eines Daniel Gauthier ein leichtes
hat den innigen Gesang bearbeitet – eine Art Verbeu- Unterfangen. Tanzrhythmen am Schluss der Sonate,
gung vor dem Barockkomponisten, der mit King Arthur Märsche und Tänze in der Geschichte vom Soldaten – von
und anderen Bühnenwerken musikalische Weltliteratur körperhaften Bewegungsmustern lebt auch das dritte
schuf, aber auch die Bitte, dereinst bei Gott die letzte Werk des Konzerts: Strawinskys Pulcinella Suite, die zu
Ruhe zu finden. Den denkbar krassesten Gegensatz zu Beginn der 1920er Jahre aus der Taufe gehoben wurde.
diesem frommen Wunsch bilden die Texte, die Brittens Seinerzeit empfand man diese Adaption barocker Tänze
1940 uraufgeführtem Liederzyklus Les Illuminations als Sensation, wegen der Kürze der einzelnen Nummern,
zugrunde liegen: Gedichte des jugendlichen Genies Ar- aber auch wegen des antiromantischen Klangbildes.
thur Rimbaud, die in atemberaubendem Tempo ebenso
atemberaubende Bilder aufblitzen lassen. „Ich allein Reinhold Friedrich, der Solist der MODERN TIMES 4,
besitze den Schlüssel zu dieser wilden Parade“, so lautet ist von der Trompete gefesselt, jedenfalls präsentiert
mottohaft und kühn der Eingangsvers. Nicht weniger er sich so auf seiner Homepage. Sie zeigt ihn und sein
kühn ist das anfängliche Motto von Arnold Schönbergs Instrument, beide fest umschlungen von einem dicken
Kammersinfonie op. 9, ein aufsteigender Quartenakkord. Hanfseil. Aber natürlich ist er, der an der Musikhoch-
Ihn könnte man als klingendes Emblem der Moderne schule Karlsruhe lehrt, auch ein fesselnder Trompeter
bezeichnen, stellt er doch die althergebrachte Terzord- – gerade so einer, wie er für eine Aufführung von Bernd
nung infrage. Dennoch bezieht sich auch die Kammer- Alois Zimmermanns packendem Trompetenkonzert aus
sinfonie auf Religiöses. Der Quartenakkord verbindet dem Jahr 1954 gebraucht wird. Denn die Komposition
nämlich alle Details des Werkes und sorgt derart für ist ein unmissverständliches Statement gegen Rassis-
einen Zusammenhang des Ganzen, der Schönbergs mus. Es basiert auf dem Gospelsong „Noboy Knows the
mystischer Himmelsvorstellung entsprach. Trouble I See“ und mutet wie ein verzweifelter Kampf
zwischen der Trompete, die jazzhaft frei agiert, und dem
Cornelia Froboess, die Schauspielerin, der die Worte wun- bedrohlich agierenden Orchester, das sie zu zermalmen
dersam gehorchen, gibt dem Publikum der MODERN droht, an. Politisch ebenso brisant wie aktuell ist Luci-
TIMES 3 die Ehre: mit Igor Strawinskys 1917 vollende- ano Berios Sinfonia, die während der heißen Jahre am
ter Geschichte vom Soldaten. Was wie ein – gelegentlich Ende der 1960er-Dekade entstand. Zu einer Zeit, als sich
gar komisches – Märchen wirkt, muss uns eigentlich die europäische Zivilgesellschaft neu erfand, als man
12REINHOLD FRIEDRICH
GUSTAV RIVINIUS
mehr Demokratie, mehr Mitbestimmung in Fabriken
wie Universitäten wagte. Die Sinfonia trägt dem in zwei-
facher Hinsicht Rechnung. Einerseits lässt sie mithilfe
entsprechender Zitate (Mahler, Schönberg, Debussy) das
20. Jahrhundert Revue passieren, mit all seinen Brüchen
und Katastrophen. Andererseits knüpft sie an Aktuelles
2017
an, indem sie dokumentarisch agiert und gesampelte MODERN TIMES 1 MODERN TIMES 3 MODERN TIMES 5
Klangbilder von Studentenunruhen einspielt. „London am Rhein“ „HOT!“ „Poème de l’Extase“
15. September 2017 23. September 2017 1. Oktober 2017
Ludwigshafen, Mannheim, Capitol Mannheim, Rosengarten
Die Aufhebung von Gestern und Heute, von hier und Konzertsaal im Pfalzbau Karl-Heinz Steffens, Dirigent Karl-Heinz Steffens, Dirigent
Karl-Heinz Steffens, Dirigent Daniel Gauthier, Saxophon Gustav Rivinius, Violoncello
jetzt spielt auch eine tragende Rolle bei den Wer-
Ray Chen, Violine Cornelia Froboess, Sprecherin HK Gruber
ken der MODERN TIMES 5. Den Anfang macht HK Benjamin Britten Igor Strawinsky Dancing in the Dark
Grubers vielschichtiges Orchesterwerk Dancing in the Four Sea Interludes op. 33a, Pulcinella Suite Bernd Alois Zimmermann
Dark, dessen Titel als Link zu dem gleichnamigen aus der Oper „Peter Grimes“ Erwin Schulhoff Konzert für Violoncello
Benjamin Britten Hot Sonate und Orchester in Form
Song des Tänzers und Sängers Fred Astaire verstanden Violinkonzert d-Moll, op. 15 eines „Pas de trois“
Igor Strawinsky
werden muss. Gleichzeitig aber erzählt der Komponist Ralph Vaughan Williams Die Geschichte vom Soldaten György Ligeti
auch „Wiener G’schichten“, setzt er die Traditionslinie Sinfonie Nr. 2 Concert Românesc
„A London Symphony“ MODERN TIMES 4 für Orchester
Mahler-Berg fort. Weite Wege legte auch Bernd Alois „Nobody knows“ Alexander Skrjabin
Zimmermann in seinem klangbunten Cellokonzert MODERN TIMES 2 29. September 2017 Le Poème de l’Extase
Pas de trois (1965/66) zurück, das in dem Solisten „An Evening Hymn“ Heidelberg, Stadthalle op. 54
22. September 2017 Karl-Heinz Steffens, Dirigent
Gustav Rivinius einen kongenialen Partner findet. Als Weinheim, Peterskirche Reinhold Friedrich, Trompete
Ballettmusik gedacht, lädt uns der erste Abschnitt „in 24. September 2017 Janice Dixon, Gesang
Ludwigshafen, Friedenskirche Vokalensemble
ein Tal der Träume“ ein, während der letzte zu einem
Karl-Heinz Steffens, Dirigent SCHOLA HEIDELBERG
Blues führt, dem Zimmermann die drollige Überschrift lan Bostridge, Tenor „Nobody knows“ –
„Die Fee, das Violoncello und der Kontrabass“ gab. Ralph Vaughan Williams 4 Spirituals
Fantasy on a theme by Bernd Alois Zimmermann
Mit einer überraschenden „Fülle des Wohllauts“ wartet
Thomas Tallis Nobody knows de trouble
auch Györgi Ligetis Concerto Românesc auf, ein Früh- Henry Purcell I see, Konzert für Trompete
werk des Komponisten, dem er, Bartók vergleichbar, Evening Hymn und Orchester in C-Dur
(Bearbeitung von MODERN TIMES
rumänische Volkslieder zugrunde legte. Von solcher Luciano Berio wird gefördert durch
Benjamin Britten) Sinfonia für 8 Singstimmen
Bodenständigkeit ist das groß besetzte, 1908 uraufge- die Stiftung Deutsche
Benjamin Britten und Orchester Staatsphilharmonie
führte Poème de l’Extase von Alexander Skrjabin mei- Les llluminations op. 18 Rheinland-Pfalz.
lenweit entfernt. Das monumentale Werk verleiht den Arnold Schönberg
Eine Kooperation der
Kammersinfonie Nr. 1 E-Dur,
MODERN TIMES 2017 sein Motto. Der Komponist op. 9 Deutschen Staatsphilharmonie
wollte sich in seiner mystischen Tondichtung ins All Rheinland-Pfalz mit der
LUKOM und dem
aufschwingen und so zu neuen Stufen des Bewusstseins Stadtmarketing Mannheim.
Foto:
gelangen – ein sinnlich nachvollziehbares Rauscher- Das russische Theater-
lebnis, das mit Nietzsches Idee des Übermenschen ein- Kabarett „Der Blaue Vogel“
am Kurfürstendamm in Berlin
herging. Die MODERN TIMES 2017: ein klingender
in den 1920er Jahren.
Garten von erstaunlicher Artenvielfalt.
13Artist in Residence: Albrecht Mayer
ALBRECHT
MAYER
Albrecht Mayer ist Solo-Oboist der
Berliner Philharmoniker und forscht für seine
Soloprojekte nach unbekannten Werken.
Bei gleich zwei Konzerten werden Sie
den herausragenden Instrumentalisten
nicht nur an der Oboe, sondern auch als
Dirigenten erleben können.
Text: Stefan Keim
D ie Oboe ist nicht gerade das Trauminstru-
ment von Kindern und Jugendlichen. Auch
Albrecht Mayer hat erst Klavier und Block-
flöte gespielt. Dann legte plötzlich sein Vater zwei
Oboen auf den Küchentisch und verkündete, Albrecht
und sein Bruder sollten nun dieses Instrument lernen.
Es fehlten nämlich Oboisten im Bamberger Jugend-
orchester, wahrscheinlich aus oben erwähntem Grund.
So begann nicht nur eine große Musikerkarriere,
sondern eine Liebesgeschichte zwischen Mensch und
Instrument. Heute gilt Albrecht Mayer neben dem auf
zeitgenössische Stücke spezialisierten Heinz Holliger
als wichtigster deutscher Oboist.
Seit 25 Jahren ist Mayer bei den Berliner Philharmo-
nikern. Er hat noch Karajan erlebt, danach Claudio
Abbado, Sir Simon Rattle und natürlich die vielen
großen Gastdirigenten. Rund hundert Konzerte spielt
er mit dem Orchester im Jahr. Fast ebenso viele ge-
staltet er als Solist und hat mit seinem klaren und
kraftvollen, vielschichtigen und variablen Ton eine
Menge Fans gewonnen. Im Barock galt die Oboe als
das Instrument, das der menschlichen Stimme am
nächsten kommt. Wenn Albrecht Mayer spielt, singt,
spricht, lacht und schreit die Oboe. Sie kann durch
die spezielle Atemtechnik, mit der ein Oboist in sein
14„Singen mit der Oboe –
schwebend, warm und sinnlich.“
Mundstück bläst, längere Melodiebögen spielen als die wurde. Und Richard Strauss antwortete auf die Frage,
meisten anderen Instrumente. Das vermittelt oft Ruhe, ob er mal daran gedacht habe, ein Oboenkonzert zu
Gelassenheit, Frieden. Lieder ohne Worte heißt eine schreiben, schlicht „Nein.“ Dann schrieb er doch eins,
berühmte CD Albrecht Mayers mit Werken Johann krank, alt und deprimiert, am Ende des Zweiten Welt-
Sebastian Bachs. „Solche Musik kann man nur schrei- kriegs, doch die Musik ist lebendig und hoffnungsvoll.
ben,“ sagt der Oboist, „wenn man tief in sich Liebe
fühlt.“ Da sind natürlich spitzzüngige Musikkritiker Albrecht Mayer geht weiter auf die Suche und fordert
gleich mit ironischen Titeln wie „Kuschelrocker der auch Komponisten auf, neue Werke für die Oboe zu
Klassik“ am Start. Zumal Albrecht Mayer mit seinen schreiben. Das komische Ding, das vor gut 40 Jahren auf
Händel-Transskriptionen New Season sogar wochen- dem Küchentisch lag, ist für den Familienvater längst
lang in den Pop-Charts war. Doch es ist wohl kaum zum Lebenspartner geworden. Bereits im Alter von 51
ein Vorwurf, wenn jemand es schafft, klassische Musik Jahren hat Mayer historische Verdienste um die Oboe
über die Grenzen der Eingeweihten hinaus populär erworben. Und bewiesen, dass sie ein echtes Traum-
zu machen. Außerdem kann niemand Albrecht Mayer instrument sein kann.
vorwerfen, sich auf dem bekannten Repertoire auszu-
ruhen. Das ist nämlich für die Oboe nicht besonders
groß. Mayer befindet sich ständig auf der Suche nach
neuen Stücken, recherchiert in Archiven, jede CD hat
einen jahrelangen Vorlauf. Mancher zuvor unbekannte Artist in Residence 2017/2018: Albrecht Mayer – Konzertüberblick
Komponist wie der Mozart-Zeitgenosse Ludwig August Die detaillierten Programme der jeweiligen Termine finden Sie im Konzertkalender ab Seite 72.
Lebrun wurde durch Mayer wiederentdeckt. Außerdem
arrangiert er Stücke für Oboe und Orchester, die für 26. Oktober 2017 4. Januar 2018 14. Februar 2018
Villingen-Schwenningen, Mainz, Rheingoldhalle 15. Februar 2018
eine andere Besetzung gedacht waren. Mit solchen Franziskaner Konzerthaus 4. MAINZER Ludwigshafen, BASF-
Werken von Mozart und Ravel beginnt er seine Resi- Joseph Bastian, Dirigent MEISTERKONZERT Feierabendhaus
Albrecht Mayer, Oboe Albrecht Mayer, Oboe KONZERTREIHE DER
denz bei der Staatsphilharmonie und konzertiert mit
Werke von O. Messiaen, Shunske Sato, Violine STADT LUDWIGSHAFEN
dem herausragenden Klangkörper gleich im Rahmen W. A. Mozart, M. Ravel und und Leitung UND DER BASF SE –
von vier Konzerten in Villingen-Schwenningen, Kai- F. Schubert 4. SINFONIEKONZERT
Werke von A. Vivaldi
serslautern, Karlsruhe und Mannheim. G. Sammartini, G. Castrucci 16. Februar 2018
27. Oktober 2017 und A. Marcello Wörth am Rhein, Festhalle
Kaiserslautern, Fruchthalle Karl-Heinz Steffens, Dirigent
Hinter fast allen Stücken, die Albrecht Mayer in 28. Oktober 2017 1. Februar 2018 Albrecht Mayer, Oboe
Karlsruhe, Konzerthaus Neustadt, Saalbau Werke von E. Elgar und
dieser Spielzeit aufführen wird, stehen interessante
1.SINFONIEKONZERT 2. Februar 2018 R. Strauss
Geschichten. Das Oboenkonzert von Alessandro Mar- Mannheim, Rosengarten,
29. Oktober 2017
cello – heute eines der Standards für das Instrument – Mannheim Rosengarten Musensaal
1. MANNHEIMER 3. MANNHEIMER
ist nur deshalb noch bekannt, weil Johann Sebastian
MEISTERKONZERT MEISTERKONZERT
Bach es für das Cembalo umgearbeitet hat (und es 3. Februar 2018
Joseph Bastian, Dirigent
für ein Werk Vivaldis hielt). Edward Elgar wollte mit Albrecht Mayer, Oboe Pirmasens, Festhalle
Oboe Soliloquy eigentlich eine Suite für Oboe und Werke von O. Messiaen, Albrecht Mayer, Dirigent
W. A. Mozart, M. Ravel und und Oboe
Orchester schreiben, beendete aber nur den zweiten
F. Mendelssohn Bartholdy Werke von HK Gruber,
Satz, der erst 33 Jahre nach seinem Tod aufgeführt J. Haydn und L. van Beethoven
15Komponistenportrait: HK Gruber
HK GRUBER
Servus, Nali!
Der österreichische Komponist und Dirigent HK Gruber bei den Weltklasseorchestern in Los Angeles, Wien
oder Berlin reißenden Absatz findet. Grubers Opern
ist einer der originellsten Köpfe in der zeitgenössischen
werden auch bei den Bregenzer Festspielen gespielt.
Musik und weltweit bei den größten Orchestern gefragt. Im Und selbst als Chansonnier ist der 1943 als „Heinz
Karl Gruber“ in Wien geborene Allrounder Kult. So hat
Januar 2018 begeht er seinen 75. Geburtstag. Die Staats- er Hanns Eisler und damit einem absoluten Lieblings-
komponisten das Song-Projekt Roaring Eisler gewidmet.
philharmonie feiert ihn in der Saison 2017/2018 mit dem
Und das schrille Pandämonium Frankenstein!! für Chan-
ihm zugedachten Komponistenportrait, das eine spannende sonnier und Orchester ist seit der 1978 von Simon Rattle
geleiteten Premiere weltweit auf Erfolgskurs.
Konzertserie mit illustren Gästen verspicht.
A
Mit dem Orchesterwerk Dancing in the Dark, das Rattle
Text: Guido Fischer n das Jahr 1966 kann sich HK Gruber noch 2003 mit den Wiener Philharmonikern aus der Taufe
lebhaft erinnern. Schließlich markierte es gehoben hat, eröffnet nun die Staatsphilharmonie
einen Wendepunkt in seinem Musikerdasein. unter Chefdirigent Karl-Heinz Steffens quasi die
Gruber hatte bis dahin in dem Neue Musik-Ensemble Gruber-Festspiele 2017/18. Eine ganze Saison lang ehrt
„die reihe“ als Kontrabassist die neuesten Avantgarde- das Orchester einen Musiker, ohne den die Musik(szene)
Werke von Boulez, Cage, Stockhausen & Co. gespielt. der Gegenwart einfach nur ärmer, farbloser, langweili-
Doch als es ihm nun ebenfalls kompositorisch in den ger wäre. Dementsprechend facettenreich fällt auch die
Fingern juckte, gab ihm 1966 sein enger Freund und musikalische Bandbreite der insgesamt sechs Konzerte
Wiener Komponistenkollege Kurt Schwertsik den Rat: aus, in denen das diesjährige Komponistenportrait
„Schreibe die Musik, die du hören möchtest.“ Für HK Gruber in den Mittlepunkt stellt. In Dancing in the
Gruber war das der Tipp fürs Leben. Denn seitdem Dark taucht sogar ein Trauer-Foxtrott auf. Pulsierenden
schert er sich so gar nicht um musikalische Dogmen Drive besitzt Busking für die schräge Besetzung Trom-
und Doktrinen. „Ich bin geradezu militant offen, was pete, Akkordeon, Banjo und Streichorchester. Und nicht
die verschiedenen Richtungen betrifft“, lautet vielmehr nur bei dem herrlich burlesken Schlagzeugkonzert
Grubers Credo. Seit 1966 komponiert er ganz offiziell Rough Music ist rhythmisch schwer was los. Bei der bitter-
tonal – was damals in der Neuen Musik-Szene natür- bösen Strauß-Parodie Charivari – Ein österreichisches
lich noch heftiges Naserümpfen auslöste. Und von wem Journal muss schon mal ein Schlagwerker zwischen
hat sich der von seinen Freunden und Bewunderern zehn Pauken hin- und herhecheln. Während die Deut-
nur „Nali“ genannte Komponist nicht alles inspirieren sche Erstaufführung von Northwind Pictures dem Kon-
lassen. Spuren von Beethoven und den Beatles lassen zertmeister durchaus Schuhplattler-Können abverlangt.
sich da im Gruber-Kanon genauso ausmachen wie von Welches Werk aber auch immer selbst von prominenten
Strauß und Strawinsky, von Gershwin und Frank Zappa. Gästen wie Star-Oboist Albrecht Meyer, Schlagzeuger
Dank diesem riesigen Klangspektrum ist über vier Jahr- Alexej Gerassimez und selbstverständlich dem Meister
zehnte hinweg ein Werkkatalog entstanden, der mit sei- höchstpersönlich dirigiert und gespielt wird – stets ist
nen sinnlichen und unterhaltsamen, frech raffinierten klar: HK Gruber schreibt Musik, die nicht nur er hören
und subversiven Vorzeichen und Zügen nicht nur längst möchte, sondern eigentlich jeder.
16„Unterhaltung heißt
kommunizieren. Es scheint,
‚U-Musik‘ ist diejenige, die
anspricht und ‚E-Musik‘ die,
die keinen interessiert, weil sie
kommunikationsunfähig ist.
Diese Kategorisierung ist
ganz unsinnig, denn letzlich
ist alle Musik verpflichtet zu
kommunizieren.“
HK Gruber
Komponistenportrait HK Gruber – Konzertüberblick
Die detaillierten Programme finden Sie im Konzertkalender ab Seite 72.
SO 1. Oktober 2017 1. Februar 2018 22. März 2018
Mannheim, Rosengarten Neustadt, Saalbau Worms, Das Wormser
MODERN TIMES 5 2. Februar 2018 23. März 2018
Karl-Heinz Steffens, Mannheim, Kaiserslautern,
Dirigent Rosengarten Fruchthalle
Gustav Rivinius, Cello 3. MANNHEIMER 24. März 2018
HK Gruber MEISTERKONZERT Mannheim,
Dancing in the Dark 3. Februar 2018 Rosengarten
Bernd Alois Pirmasens, Festhalle 4. MANNHEIMER
Zimmermann Albrecht Mayer, MEISTERKONZERT
Konzert für Violoncello Dirigent und Solist Elias Grandy, Dirigent
und Orchester in Form Jeroen Berwaerts,
HK Gruber
eines „Pas de trois“ Trompete
Charivari
György Ligeti
Joseph Haydn Ludwig van Beethoven
Concert Românesc
Konzert für Oboe und Sinfonie Nr. 7 A-Dur,
Alexander Skrijabin
Orchester E-Dur op. 92
Le Poème de l’Extase
Ludwig van Beethoven HK Gruber
op. 54
Sinfonie Nr. 5 c-Moll, Busking
op. 67 „Schicksals- Ludwig van Beethoven
6. Dezember 2017
sinfonie“ Sinfonie Nr. 8 F-Dur,
7. Dezember 2017
op. 93
Ludwigshafen, BASF-
14. März 2018
Feierabendhaus
15. März 2018
KONZERTREIHE DER
Ludwigshafen, BASF-
STADT LUDWIGSHAFEN
Feierabendhaus
UND DER BASF SE
KONZERTREIHE DER
3. Sinfoniekonzert
STADT LUDWIGSHAFEN
HK Gruber, Dirigent UND DER BASF SE
Matthias Schorn, Klarinette 5. Sinfoniekonzert
HK Gruber Elim Chan, Dirigentin
Northwind Pictures Alexej Gerassimez,
(Deutsche Erstaufführung) Schlagzeug
Carl Maria von Weber
Johannes Brahms
Konzert für Klarinette
Tragische Ouvertüre für
Nr. 2 Es-Dur, op. 74
Orchester d-Moll, op. 81
Ludwig van Beethoven
HK Gruber
Sinfonie Nr. 8 F-Dur, op. 93
Rough Music
Johannes Brahms
Sinfonie Nr. 2 D-Dur,
op. 73
17Themenkreis
Wien, Ausstellungs- Vertreter der
gebäude der Secession: Ersten Wiener Schule
Ausschnitt aus dem Joseph Haydn,
Beethovenfries von Wolfgang Amadeus Mozart,
Gustav Klimt Ludwig van Beethoven
„Die Poesie“ (1901) und Franz Schubert
(v. o.)
18EIN ROTER FADEN
WIENER
SCHULE(N)
Text: Matthias Henke und einen ‚bäuerlichen’ Dreher. Sie symbolisieren die WIENER SCHULE
2017/2018
drei Schichten der damaligen Gesellschaft. Weil sie
K
(Auswahl)
aber verschiedene Taktarten haben, gehen sie nicht
aiser Joseph II., Sohn der beliebten Maria konform, knirscht es im Gebälk, entsteht eine Span- 28. August 2017
Trier, Hohe Domkirche
Theresia, auch als Mozart-Kaiser bekannt, nung, könnte man sagen, die sich wenig später in der Bruckner
gilt zu Recht als Monarch der Aufklärung. Er Französischen Revolution löste. Doch betreibt Mozart
22. September 2017
schaffte die Leibeigenschaft ab und die Folter, organi- in seinem Bühnenstück kein politisch-plattes Agitprop. Weinheim, Peterskirche
sierte die Verwaltung des Habsburger Riesenreiches neu Dergleichen bezeugt jedenfalls sein betörendes Duett 24. September 2017
Ludwigshafen,
und entmachtete die Klöster. Gleichzeitig hing er aber Don Giovanni/Zerlina (auf Deutsch: „Reich mir die Friedenskirche
okkulten Vorstellungen an, die uns aus heutiger Sicht Hand“), das in der Hitparade männlicher Verführungs- Schönberg
seltsam fremd anmuten. kunst unbestreitbar einen vorderen Platz einnimmt. 1. Oktober 2017
Mannheim, Rosengarten
Gruber
Er begründete mit dem vom Volk so getauften Nar- Nicht so opulent, in der Haltung vielleicht ein wenig
renturm eine innovative Anstalt für seelisch Erkrankte, distinguierter, kommt uns Joseph Haydn entgegen. 3. Oktober 2017
Speyer, Kaiserdom
die zuvor unter grausamsten Umständen eingesperrt Aus dem niederösterreichischen Rohrau gebürtig, ge- Bruckner
wurden. Jetzt hatten sie in Sachen Tageslicht und langte er schon als Kind nach Wien, um hier bis 1750
6. Oktober 2017
Hygiene bessere Bedingungen. Aber der Kaiser wollte als Chorknabe an St. Stephan zu wirken. Dann stand Pirmasens, Festhalle
die Bedauernswerten auch noch heilen. Er ließ sich zu er quasi auf der Straße, um von hier aus seinen ganz Mozart & Beethoven
diesem Zweck auf dem Dach des Narrenturms einen eigenen Weg zu gehen und zum meistgespielten Kom- 7. Oktober 2017
kleinen, wetterfesten Verschlag errichten. Hier betete ponisten seiner Zeit aufzusteigen. Wie aber gelang ihm Ludwigshafen, Pfalzbau
er fortan zu den Gestirnen – in der Hoffnung, die gött- dies? Vor allem durch den Gebrauch des Paradoxen, Beethoven
liche Ordnung werde die Verwirrten heilen, wenn er der nicht wenig an das Gebaren Josephs II. erinnert. 17. Oktober 2017
als kaiserliche Antenne fungiere und die himmlischen Mannheim, Capitol
Man denke nur an Haydns „Militärsinfonie“ und ihren
Beethoven
Ströme an die Patienten weiterleite. zweiten Satz. Er beginnt romanzenhaft, im unange-
strengten C-Dur. Dann aber bricht die Gewalt herein, 1. Dezember 2017
Kaiserslautern, Fruchthalle
Die beiden Seiten des Kaisers, hier die Vernunft, dort die eine von Trommeln begleitete Soldatesca, als wolle der 3. Dezember 2017
Mystik, hier das Sachliche, dort die Emotion, eine sol- Komponist auf die kriegerischen Gräuel seiner Zeit ver- Mannheim, Rosengarten
Haydn & Beethoven
che Verbindung von Gegensätzen ist weitgehend auch weisen. Von Gegensätzen ist auch Haydns Vertonung
für die Musik der Kaiserstadt kennzeichnend, selbst der Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreutze 6. Dezember 2017
7. Dezember 2017
wenn deren Urheber längst nicht alle aus Wien stam- geprägt. An der Oberfläche wirkt sie eher anmutig, Ludwigshafen,
men. Der in Salzburg geborene Wolfgang Amadeus leicht verständlich, aber ihr Inneres ist ebenso kom- BASF-Feierabendhaus
Beethoven & Gruber
Mozart etwa sprach in seinen Werken immer den plex wie Bachs Matthäuspassion. Und erst sein Schüler,
ganzen Menschen an, das Gefühl ebenso wie den Ver- der aus Bonn übersiedelte Ludwig van Beethoven! Er 21. Dezember 2017
Ludwigshafen, Pfalzbau
stand, aber immer wieder auch den Körper. Blicken übte sich in dem Spagat, Musik und Philosophie zu 22. Dezember 2017
wir auf die berühmte Ballszene seiner Opera buffa verbinden. So entstanden seine „Ideen-Sinfonien“. Die Karlsruhe, Konzerthaus
23. Dezember 2017
Don Giovanni. Hier schichtet er mit genialem Gespür dritte huldigte dem Helden, die sechste dem Wesen der Mainz, Rheingoldhalle
für soziale Gegebenheiten drei Tänze übereinander, Natur und die siebte den menschlichen Bewegungsmu- Beethoven
das ‚adelige’ Menuett, den ‚bürgerlichen’ Kontratanz stern. Stellte sich Beethoven, vereinfacht gesagt, dem
19Roter Faden: Wiener Schule(n)
Johannes Brahms,
Anton Bruckner
und Gustav Mahler
(v. l.)
Hier und Jetzt, suchte Franz Schubert wie viele seiner
Generation nach dem „hoffnungsgrünen Land“, also
nach einer (demokratischen) Gesellschaftsform, in
der er sich aufgehoben fühlte. Von dieser unstillbaren
WIENER SCHULE Sehnsucht nach Weite erzählen seine beiden Lieder-
2017/2018
zyklen Die schöne Müllerin und Winterreise, aber auch
(Auswahl)
seine große C-Dur-Sinfonie, die man als permanenten
19. Januar 2018 Grenzübertritt deuten könnte. Nicht von ungefähr
Worms, Das Wormser
21. Januar 2018 rühmte Robert Schumann ihre „himmlischen Längen“.
Ludwigshafen, Pfalzbau
Mozart
Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert – gern etikettiert
1. Februar 2018 man sie als Wiener Klassiker, ja als ERSTE WIENER
Neustadt, Saalbau
2. Februar 2018 SCHULE – in dem Sinn, dass sie voneinander lernten,
Mannheim, Rosengarten
3. Februar 2018
ohne das Eigene zu verleugnen. Das Männerquartett
Pirmasens, Festhalle hatte die Messlatte freilich hoch gelegt. Die nachfol-
Haydn, Beethoven genden Generationen blickten ehrfürchtig zu ihnen
& Gruber
hinauf, vor allem in Sachen Sinfonie. So brauchte
22. Februar 2018 der überaus selbstkritische Johannes Brahms, der
Landau,
Jugendstil-Festhalle Wahlwiener aus Hamburg, 14 Jahre, ehe er um 1875
23. Februar 2018
Ludwigshafen, Pfalzbau
seine erste Sinfonie vollendete. Vor allen den Wagne-
24. Februar 2018 rianern galt er aber als ein ewig gestriger, dessen Werk Vertreter der Zweiten
Mainz, Rheingoldhalle Wiener Schule:
klassizistische Züge trug. Äußerlich betrachtet hatten
Mahler Arnold Schönberg
sie vielleicht Recht. So beschränkte er sich zeitlebens (Max Oppenheimer,
14. März 2018 1909), Anton Webern
15. März 2018
auf einen eher kleinen, klassischen Orchesterapparat
(Max Oppenheimer,
Ludwigshafen, und in seinen Sinfonien auf das seit Haydn übliche 1908/10) und
BASF-Feierabendhaus
Viersatzmodell. Allerdings trug ihm seine feinsinnige Alban Berg,
Brahms & Gruber
Motivarbeit die Bewunderung Arnold Schönbergs ein, (Lilly Steiner, 1930)
22. März 2018
Worms, Das Wormser
der ihn als Progressiven betrachtete. Anton Bruckner
23. März 2018 hingegen orientierte sich voller Ehrfurcht an Richard
Kaiserslautern, Fruchthalle
24. März 2018 Wagner und erweiterte die sinfonische Architektur
Mannheim, Rosengarten dermaßen, dass man seine Werke als Klangkathedralen
Beethoven & Gruber
gotischen Ausmaßes betrachtete. Gustav Mahler wie-
derum bröselte die sinfonische Struktur sozusagen auf,
auch weil er das Ende (s)einer Ära ahnte: den durch
den Ersten Weltkrieg besiegelten Zerfall der Donaumo-
narchie. Dennoch sind seine Werke von einer überwäl-
tigenden Schönheit, wenn auch einer schwermütigen.
20Kolumnentitel
Vertreter der
1918
Dritten Wiener Schule:
Friedrich Cerha,
war die Erfolgstory der Habs- Darmstadt weiter, und vergaß dabei nicht selten die Kurt Schwertsik und
burger beendet. Aus einem sinnliche Seite der Musik, den Ausdruck. Nun tra- HK Gruber (v. l.)
Reich, das sich von Polnisch ten aber solche Komponisten auf den Plan, die das
Galizien bis zum Mittelmeer erstreckte, das 140 Milli- Wiener Espressivo nicht missen wollten, die in ihren
onen Untertanen gezählt hatte, war die Erste Republik Werken keine abstrakten Gebilde sahen, sondern eine WIENER SCHULE
2017/2018
Österreich geworden, ein Rumpfstaat mit rund 7 Milli- Musik schreiben wollten, die direkt und auditiv erfahr-
(Auswahl)
onen Einwohnern. Die führenden Komponisten trotz- bar ist – Komponisten, die bezeichnenderweise auch
9. April 2017
ten den Umbrüchen. Unter Berufung auf Beethoven exzellente Praktiker waren. Der Urwiener Friedrich Mannheim, Capitol
und Brahms bildete sich um Arnold Schönberg ein Cerha gehörte zu ihnen, seines Zeichens Geiger und Beethoven
Kreis jüngerer Komponisten, die sogenannte ZWEITE Dirigent. Oder aber sein Kollege Kurt Schwertsik, der
27. April 2018
WIENER SCHULE. Ihre hochrangigen Vertreter, Anton jahrelang als Hornist der Wiener Symphoniker wirkte. Ludwigshafen, Pfalzbau
Webern etwa oder Alban Berg, erkannten einerseits Nicht von ungefähr war ihm schon 2013 das Kompo- 29. April 2018
Pforzheim,
das Potenzial ihrer Vorgänger. Andererseits waren sie nistenportrait der Staatsphilharmonie gewidmet, zählt Congresszentrum
aber auch kühn und selbstbewusst genug, über deren es doch zu seinen liebenswerten Vorzügen, ein aus- Beethoven & Mahler
Errungenschaften hinauszugehen und die eigenen geprägt musikalischen Humor zu haben. Wem sonst 17. Mai 2018
Neustadt, Saalbau
Klänge umzusetzen – ungeachtet der reaktionären fiele es ein, ein Divertimento macchiato für Trompete 18. Mai 2018
Schmähungen, die sich kübelweise über sie ergossen. und Orchester zu komponieren? Cerha und Schwertsik Ludwigshafen, Pfalzbau
Als Paradebeispiel für die Zweipoligkeit der Wiener gehören zu den Ahnherrn einer DRITTEN WIENER 20. Mai 2018
Mainz, Rheingoldhalle
Musik kann Schönbergs Kammersinfonie Nr. 1 dienen. SCHULE, die den Wert ihrer Musik weniger an the- Haydn, Mozart
Rein klanglich kann man sie als eine raffinierte Archi- oretischen Gedankengängen festmacht, sondern am & Beethoven
tektur wahrnehmen, die unter dem Dach ihrer Einsät- klingenden Resultat – so wie der viele Jahre jüngere
zigkeit die vier Sätze der klassischen Sinfonie ineinan- HK Gruber, der Dirigent und Chansonnier, dem das Das gesamte Konzert-
der verschachtelt. Beschäftigt man sich aber näher mit Komponistenportrait der kommenden Spielzeit gilt. programme finden Sie
im Konzertkalender
ihr, kommt man zu der Erkenntnis, dass Schönberg Frei von allen Scheuklappen ließ/lässt er sich von nahe- ab Seite 72.
hier ein klingendes Abbild seiner Himmelsvorstellung zu sämtlichen musikalischen Genres inspirieren. Von
geben wollte: Auch das kleinste Element, dachte er, entsprechenden Filmen, von Rough Music, vom poli-
müsse sich im Großen spiegeln, alles solle eins sein. tischen Lied, von Tanzmusik (etwa dem Bossa nova)
Seine Kammersinfonie verbindet demnach physisches oder von Versen seines Landsmannes H.C. Artmann
und metaphysisches Erleben, Sachlichkeit und Gefühl. (so in seinem Pandämonium Frankenstein!!). Der Titel
von Grubers jüngstem Bühnenwerk, Wiener Geschich-
Der Zweite Weltkrieg nahm seinen Lauf. Das 1000-jäh- ten nach Ödon von Horváth, eignet sich aber auch
rige Reich brach jämmerlich zusammen. Der Führer und bestens, um den roten Faden zu beschreiben, der das
seine willigen Vollstrecker hatten die neuartige Musik Programm der Spielzeit 2017/18 wie dargestellt durch-
aus Wien unterjocht. Die junge Generation konnte nun wirkt. Verfolgt man ihn konsequent, werden diese Ge-
aber nicht umhin, wieder bei Schönberg und seinen schichten zur Geschichte. So können wir auf packende
Schülern anzusetzen. Sie entwickelte deren Verfahren, Weise von Ereignissen erfahren, die unser kulturelles
vor allem im Kontext der Internationalen Ferienkurse Gedächtnis wesentlich geprägt haben.
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