"Amerika ist wieder im Aufbruch!" - Bilanz und Ausblick nach 100 Tagen Biden-Regierung - Konrad-Adenauer ...
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Quelle: © Evelyn Hockstein, Reuters. „Amerika ist wieder im Aufbruch!“ Bilanz und Ausblick nach 100 Tagen Biden-Regierung Paul Linnarz Auslandsinformationen online
Die Gräben zwischen Republikanern und Demokraten sind immer noch tief. US-Präsident Joe Biden lässt sich davon nicht aufhalten. Im Kampf gegen die Pandemie und für neue A rbeits- plätze, beim Klimaschutz und in der Außenpolitik will er zeigen, wozu eine schlagkräftige Demokratie mit moralischem Führungs anspruch in der Lage ist. Eine Herkulesaufgabe. Über 220 Millionen verabreichte Impfdosen, die beispiellosen finanziellen Wohltaten sollen 1.400 US-Dollar an finanzieller Unterstützung „Corporate America und die reichsten ein Prozent für jeden der 160 Millionen Anspruchsberech- der Amerikaner“ tragen. „Ich werde Leuten, die tigten, 800.000 Anmeldungen zur Kranken- weniger als 400.000 Dollar verdienen, keine versicherung in nur drei Monaten, 1,3 Millionen Steuererhöhung auferlegen“, versprach der Präsi- neue Arbeitsplätze und mehr als sechs Prozent dent Ende April im Kongress.2 Aber nicht nur die prognostiziertes Wirtschaftswachstum in die- Abgeordneten und Senatoren will er von seinen sem Jahr – die bisherige Bilanz von US-Präsident Positionen überzeugen. Joe Biden ist beeindruckend. Selbstbewusst ver- sicherte er im Kapitol: „Amerika ist wieder im „Geschrei beenden“ Aufbruch!“ Kaum vier Wochen im Amt, stand Joe Biden Ein gigantisches Hilfs- und Konjunkturpaket für sein erstes Town Hall Meeting auf der Bühne. (American Rescue Plan) mit einem Gesamt- CNN hatte dafür rund 50 ausgewählte Gäste ins volumen von 1,9 Billionen US-Dollar hat der ehrwürdige Pabst Theater in Milwaukee einge- Kongress bereits verabschiedet. Das ist aber nur laden. „Einige der Fragesteller hier haben für der Anfang. Nach Ende seiner ersten 100 Tage ihn gestimmt. Einige haben es nicht getan“, ver- im Amt warb Biden eindringlich auch für den sicherte Moderator Anderson Cooper in seiner American Jobs Plan und den American Families Begrüßung. Für „Uncle Joe“ kein Thema: „Hallo, Plan um die Zustimmung der Abgeordneten und Leute! Wie geht‘s euch?“ Die joviale Begrüßung Senatoren. Gesamtvolumen: weitere 4,1 Billi- ist Programm. In der Bürgerversammlung ver- onen US-Dollar. Darin enthalten: milliarden- meidet Biden abfällige Bemerkungen über seine schwere Investitionen in die Infrastruktur, in politischen Gegner. Kein einziger Pauschalangriff neue Stromnetze und die erneuerbaren Energien. gegen die Medien und ihre „Fake News“. „Wenn „Es gibt einfach keinen Grund, warum die Flügel Sie wollen, bleibe ich noch, wenn das hier vorbei für Windkraftanlagen nicht in Pittsburgh statt in ist, und vielleicht können wir ein paar Minuten Peking gebaut werden können.“1 reden und sehen, ob ich Ihnen helfen kann“, bie- tet der Präsident einer Frau aus Oak Creek an, Eine halbe Million Ladestationen für Elektro deren Sohn trotz Vorerkrankung noch keine Imp- autos sollen mit staatlicher Förderung entstehen. fung erhalten hat. Die Frau ist keine Demokratin. Biden will den Mindestlohn auf 15 US-Dollar pro Die Town Hall applaudiert. Stunde anheben und ärmeren Familien bei den Kosten für die Kinderbetreuung unter die Arme Biden will der Präsident für alle Bürgerinnen und greifen. Die Prämien für die Krankenversiche- Bürger sein. „Die nächsten vier Jahre möchte ich rung sollen auf ein für alle Bürgerinnen und sicherstellen, dass alles, was in den Nachrichten Bürger erschwingliches Niveau gesenkt werden. steht, das amerikanische Volk ist. Ich bin es leid, Biden will die Gewerkschaften stärken, damit über Trump zu reden. Es ist vorbei.“ Mit „gan- Arbeiter und Angestellte ohne Hochschulab- zer Seele“, hatte der Präsident schon bei seinem schluss ausreichend verdienen. Den Aufwand für Amtsantritt am 20. Januar versprochen, wolle Nr. 29 (Mai 2021) 2
er „Amerika vereinen“.3 Im Pabst Theater in hat Biden gleich nach seinem Amtsantritt fest- Milwaukee beteuert er erneut, die „Fransen an gelegt, dass Unternehmen einen größeren Anteil beiden Enden“ müssten „zusammengebracht“ ihrer Komponenten künftig in den U SA herstel- werden. „Ohne Konsens kann man in unserem len müssen (Buy American). Pragmatismus soll System nicht funktionieren, es sei denn durch ideologische Grabenkämpfe ersetzen. „Es gibt Machtmissbrauch auf der Exekutivebene.“4 nicht viele republikanische oder demokratische Die politischen Gräben seien aber keineswegs Straßen und Brücken“, witzelte Biden, als er im unüberwindbar. Die US-Gesellschaft sei, so Februar vor Senatoren beider Parteien um Unter- Biden, nicht annähernd so gespalten, wie es dar- stützung für sein geplantes milliardenschweres gestellt würde. „Gehen Sie raus und schauen Sie Infrastrukturprogramm warb.8 Die Ziele der sich um und sprechen Sie mit den Leuten.“ Administration müssen nach seinen Worten mit den Werten der Vereinigten Staaten im Ein- Es gibt sie also, immer noch, die gemeinsamen klang stehen. Wenn die U SA ihre „eigenen Fun- Werte über alle parteipolitischen Differenzen damente festigen“, seien sie weltweit „ein viel hinweg. Davon ist der Präsident überzeugt. Er glaubwürdigerer Partner“, versicherte der Prä- „glaubt zu wissen“, was die Ziele sind, „die wir sident mit Blick auf den geplanten Demokratie- lieben, die uns als Amerikaner definieren“. Beim gipfel.9 Amtsantritt benannte er sie: „Chancen und Mög- lichkeiten (opportunity), Sicherheit, Freiheit, Nach dieser politischen Architektur hat das Würde, Respekt, Ehre. Und, ja, die Wahrheit.“ Weiße Haus sieben Prioritäten für die nächsten Biden appellierte an alle Amerikaner, sich „nicht vier Jahre formuliert: die Bewältigung der Folgen als Gegner, sondern als Nachbarn“ zu sehen, von COVID-19, den Klimaschutz, die Bekämp- und sich „gegenseitig mit Würde und Respekt“ fung von Rassismus und der Benachteiligung von zu behandeln. „Wir können unsere Kräfte bün- Minderheiten, die Ankurbelung der Wirtschaft, deln, das Geschrei beenden und die Temperatur die Gesundheitsfürsorge, eine Neuregelung senken.“ Biden lud seine politischen Gegner der Einwanderungspolitik sowie die Wieder- ein, ihm zuzuhören. „Und wenn Sie immer noch herstellung der Rolle und Geltung Amerikas anderer Meinung sind, dann soll es so sein. (…) weltweit. Außen- und Innenpolitik sind dabei Das Recht, friedlich zu widersprechen, innerhalb untrennbar miteinander verwoben. „Eine klare der Leitplanken unserer Republik, ist vielleicht Linie“ gebe es dazwischen nicht mehr, erklärte die größte Stärke unserer Nation.“ Meinungsver- der Präsident im Außenministerium. „Jede schiedenheiten dürften, so der Präsident, aber Aktion im Ausland müssen wir so vornehmen, nicht zur Spaltung führen.5 dass wir die amerikanischen Arbeiterfamilien im Blick behalten.“10 Darüber hinaus treibt die „Keine Trennlinien“ zwischen den Biden-Administration ihre Prioritäten mit einem politischen Prioritäten whole-of-government-Ansatz voran. Gemeint ist, dass die verschiedenen Ministerien und Regie- Besondere Eile ist in der aktuellen Notsituation rungsbehörden auf unterschiedlichen Ebenen ohnehin zwingend. Im politischen Kalender aber übergreifend Lösungen entwickeln müssen. Das geben die Zwischenwahlen im nächsten Jahr das ist nicht neu: Gerade zur Abwendung von aku- Tempo vor. Der Präsident muss Ergebnisse erzie- ten Gesundheitsrisiken für die US-Bevölkerung len, und zwar schnell. Gegenüber Abgeordneten wurde schon früher interdisziplinär gearbeitet. der Demokratischen Partei im Repräsentanten- Biden dehnt den Ansatz aber auch auf andere haus mahnte er, die Bewältigung aller Heraus- Prioritäten aus. So müssen sich mit dem Klima- forderungen der letzten Monate sei „dringlich schutz jetzt auch das Verteidigungsministerium geworden – dringend, dringend, dringend“.6 und die Sicherheitsbehörden auseinandersetzen. Innen- wie außenpolitisch zählt für ihn, was den Interessen und Zielen aller Bürgerinnen und Die Geschwindigkeit und Entschlossenheit, mit Bürger dient. Per Durchführungsverordnung7 der Biden und seine Regierungsmannschaft 3 Auslandsinformationen online
seit Januar auf allen Feldern losmarschiert sind, den ersten Zwischenwahlen herbe Niederlagen signalisieren deutlich, dass „Einheit“ und „Ver- einstecken müssen, und trotzdem wurden die söhnung“ nicht unbedingt mit größerer Kom- Präsidenten nach zwei Jahren wiedergewählt. promissbereitschaft einhergehen. Zwar hat sich Dennoch zahlten sie mit dem Verlust der Kon- der Tonfall seit dem Regierungswechsel deut- gressmehrheit einen hohen Preis: Roosevelts lich verbessert. Politische Gegner im Inland und New Deal-Politik geriet nach den Midterms 1938 Verbündete im Ausland finden auch bei unter- ins Stocken. Die Clinton-Administration und die schiedlichen Meinungen den nötigen Respekt. republikanische Mehrheit im Kongress standen Das heißt aber keineswegs, dass die US-Regie- sich nach den Zwischenwahlen 1994 in Haus- rung in vielen strittigen Fragen der letzten Jahre haltsfragen unversöhnlich gegenüber. Mindes- automatisch größeres Entgegenkommen an den tens ebenso hart traf es Barack Obama. Dessen Tag legen wird. Zwar mögen die Bürgerinnen und Wahl fiel in die Zeit der globalen Finanzkrise. Bürger deutlich mehr gemeinsame Werte teilen Noch 2009 schrumpfte die Wirtschaftsleistung als oft dargestellt; in Sachfragen bleibt die Bevöl- der U SA im Vergleich zum Vorjahr um 2,8 Pro- kerung aber gespalten. Noch tiefere Gräben tren- zent. Die Arbeitslosenquote lag im August 2009 nen die beiden politischen Lager im Kongress. bei 9,7 Prozent, der höchste Wert seit 1983. Seit Beginn der Rezession Ende 2007 hatten die USA Die Zeit, „etwas Großes zu tun“ fast sieben Millionen Arbeitsplätze verloren, mehr als in allen anderen Krisenzeiten seit dem Bereits im November nächsten Jahres müssen Zweiten Weltkrieg. Schlimmer konnte es eigent- die Demokraten bei den Zwischenwahlen ihre lich nicht kommen – bis Corona ausbrach. knappen Mehrheiten im Senat und im Reprä- sentantenhaus verteidigen. Im Senat kommt die Aus der Krise vor gut zehn Jahren haben die Partei nur mit der Stimme der Vizepräsidentin Demokraten gelernt. Zur Ankurbelung der Wirt- auf eine absolute Mehrheit; im Repräsentanten- schaft hatte sich die Obama-Administration haus liegen die Demokraten derzeit nur noch mit damals mit dem Kongress auf ein finanzielles sechs Sitzen vorne. Sollte es den Republikanern Hilfs- und Konjunkturpaket ARRA (American gelingen, die Sitzverteilung in einer oder sogar Recovery and Reinvestment Act) in Höhe von in beiden Kammern des Kongresses für sich zu 787 Milliarden US-Dollar verständigt. Für die entscheiden, dürfte der US-Administration für erforderliche Mehrheit waren die Demokraten die Verabschiedung dringender Gesetze und im Senat auf die Stimmen von mindestens drei die Ratifizierung internationaler Abkommen, Republikanern angewiesen. Diese unterstützten bei wichtigen Personalentscheidungen und der das Vorhaben erst nach zähen Verhandlungen Bewilligung finanzieller Mittel die erforderliche und einer deutlichen Reduzierung des Gesamt- Zustimmung fehlen. Für Biden wäre eine Nieder- volumens. lage bei den Midterms insofern ein herber Schlag. Ohne Mehrheit im Kongress wäre er darauf ange- Die Demokraten bewerten den mühsamen wiesen, seine politischen Ziele mit präsidialen Abstimmungskompromiss über ARRA als den Durchführungsverordnungen voranzutreiben. wichtigsten Grund für ihre krachende Nieder- Diese Executive Orders können von jedem Nach- lage bei den Zwischenwahlen 2010. Das Hilfs folger im Weißen Haus aber problemlos rückgän- paket habe bei der Bewältigung der globalen gig gemacht werden. Finanzkrise sicherlich geholfen, aber eben nicht schnell und auch nicht umfangreich genug, um Natürlich bedeuten eine Niederlage bei den Zwi- vom Wähler goutiert zu werden. Als Präsident schenwahlen und ein Divided Government nicht, Obama das Gesetz Mitte Februar 2009 in Den- dass nach der darauffolgenden Präsidentschafts- ver unterzeichnete, stand sein damaliger Vize- wahl zwangsläufig auch die Regierung wechselt. präsident Joe Biden hinter ihm.11 Fast auf den Schon unter Franklin D. Roosevelt, Bill Clinton Tag genau zwölf Jahre später in Milwaukee, bei und Barack Obama hatten die Demokraten bei seinem ersten Town Hall Meeting als Präsident, Nr. 29 (Mai 2021) 4
ist Biden davon überzeugt, dass die Kompro- künftig wieder die „moralische Führung“ über- misse bei A RRA die Ankurbelung der Konjunk- nehmen zu wollen.13 „Ein amerikanischer Präsi- tur „zwischen sechs Monate und eineinhalb dent, der nicht die Werte der Vereinigten Staaten Jahre verlangsamt“ hätten. Heute, gut ein Jahr widerspiegelt, ist untragbar.“14 Bereits Anfang nach Ausbruch der Coronapandemie und ange- Februar versprach Biden, „unser Land ist sicherer sichts von Herausforderungen, die noch weit- und stärker, wenn wir nicht nur mit dem Beispiel reichender sind als nach der Krise vor einem unserer Macht, sondern mit der Macht unseres Jahrzehnt, „können wir nicht zu viel ausgeben“, Beispiels führen“.15 um die Wirtschaft „in ein oder zwei, drei oder vier Jahren wachsen zu lassen.“ Jetzt sei es an Kaum gesagt, teilte Joe Biden in einem Inter- der Zeit, „etwas Großes zu tun“, fordert Biden.12 view die Einschätzung, dass Präsident Putin „ein Und nichts spricht nach seinen ersten 100 Tagen Killer“ sei, und verhängte weitere Sanktionen im Amt dafür, dass sich der Präsident bei diesem gegen Russland.16 „Die Zeiten, in denen sich die Ansatz vom Widerstand der Republikanischen Vereinigten Staaten angesichts der aggressiven Partei und ihrer Anhänger aufhalten lässt. Zu Handlungen Russlands – Einmischung in unsere groß ist das Risiko, bei den Midterms 2022 erneut Wahlen, Cyberangriffe, Vergiftung seiner Bürger – die Quittung zu bekommen für zu viel Kompro- zurücklehnen, sind vorbei.“17 Im Falle Chinas missbereitschaft und Halbherzigkeit. will Washington keineswegs akzeptieren, dass „Xinjiang, Hongkong, Taiwan, Cyberangriffe Werte und „moralische Führung“ auf die Vereinigten Staaten und wirtschaftliche Nötigung gegenüber unseren Verbündeten“ eine Für Bidens Außenpolitik wäre ein Divided Govern „interne Angelegenheit“ der Volksrepublik seien. ment im Falle einer Niederlage der Demokraten Daraufhin entgegnete Yang Jiechi, Direktor des bei den Zwischenwahlen weniger problematisch Büros der Zentralen Kommission für auswärtige als auf der innenpolitischen Bühne. Denn über Angelegenheiten, bei einem Treffen mit US- den Abzug aus Afghanistan, die Kritik am wach- Außenminister Antony Blinken in Anchorage: senden Einfluss Chinas oder an North Stream 2 „Die Vereinigten Staaten selbst repräsentieren besteht im Kongress parteiübergreifend breiter nicht die internationale öffentliche Meinung, und Konsens. In sicherheitspolitischen Krisen und die westliche Welt auch nicht.“ Überdies hätten bei unmittelbarer Bedrohung der US-amerika- die USA „nicht die Qualifikation zu sagen, dass nischen Interessen belässt der Kongress dem sie mit China aus einer Position der Stärke spre- Präsidenten traditionell ohnehin weitreichende chen wollen“.18 Handlungsspielräume und jeder Abgeordnete, der sich in solchen Fällen gegen die öffentliche Die Beziehungen zu ihren Verbündeten bezeich- Meinung auf seine verbrieften Mitspracherechte net Biden als das „größte Kapital“ der USA, „und (z. B. War Powers Resolution, 1973) beruft, würde mit Diplomatie zu führen bedeutet, wieder Schul- wohl seine Wiederwahl riskieren. Biden will aber ter an Schulter mit unseren Verbündeten und nicht nur im Krisenfall Stärke zeigen. wichtigen Partnern zu stehen“.19 Schon in seiner Antrittsrede hatte der Präsident angekündigt, Die U SA machen jetzt wieder Verhandlungsange- „unsere Allianzen (zu) reparieren“.20 Auch von bote und sitzen mit am Tisch. Die Rückkehr zum ihren engsten Partnern werden die Vereinigten Pariser Klimaschutzabkommen, die Unterstüt- Staaten aber klare Signale nicht nur beim Klima- zung der Weltgesundheitsorganisation und ande- schutz fordern. So erkennt Biden zwar an, dass rer multilateraler Foren, die Verlängerung des North Stream 2 für die europäischen Verbün- New Start-Abkommens, die Beibehaltung ihrer deten „ein kompliziertes Thema“ sei. Er selbst Truppenpräsenz in Deutschland und das klare ist seit langem gegen die Pipeline aus Russland. Bekenntnis zur N ATO sind dafür bedeutsame „Aber das ist immer noch ein Thema, das im Spiel Wegmarken. Der eigentliche Unterschied zur ist.“21 Es war auch kein Zufall, dass mit Premier- Vorgängerregierung besteht aber darin, weltweit minister Yoshihide Suga der erste Staatsgast im 5 Auslandsinformationen online
Weißen Haus Ende April aus Japan kam. Die Vergrößert hat sich auch die Differenz nach enge Zusammenarbeit zwischen Washington Ausbildungsniveau. Für die Zustimmungswerte und Tokio sei entscheidend, „um die Zukunft der von Clinton, Bush und Obama spielte nach den (Indopazifik-)Region zu sichern, damit sie frei ersten 100 Tagen im Amt fast keine Rolle, ob und offen und wohlhabend bleibt“.22 Insbeson- die Umfrageteilnehmer ein Hochschulstudium dere was China und Nordkorea angeht, lieferten abgeschlossen hatten oder geringer qualifiziert Biden und Suga ein sehr einmütiges Bild. waren. Trump wurde hingegen von 45 Prozent der Befragten ohne akademischen Abschluss, Jünger, weiblicher, gebildeter, diverser – aber nur von 36 Prozent der Collegeabsolventen aber weiterhin gespalten befürwortet, also neun Prozentpunkte Unter- schied. Für Biden ist diese Differenz auf jetzt 13 Unter Berücksichtigung einer ganzen Reihe an Prozentpunkte gestiegen, mit großem Vorsprung Umfragen findet Joe Biden nach den ersten 100 bei den Akademikern. Der US-Präsident findet Tagen im Amt in der US-Bevölkerung durch- unter weiblichen Befragten (62 Prozent) über- schnittlich etwa 54 Prozent Zustimmung. Seit dies deutlich mehr Zuspruch als unter männli- seiner Amtseinführung am 20. Januar hat sich chen (49 Prozent). Bei Trump war es umgekehrt. dieser Wert praktisch nicht verändert. Donald Weitaus besser als sein Vorgänger schneidet Trump fand bei seinem Amtsantritt 2017 44 Pro- Biden auch unter der schwarzen (89 bzw. 13 zent Zustimmung und rutschte innerhalb seiner Prozent) und der hispanischen (73 bzw. 22 Pro- ersten 100 Tage leicht auf 42 Prozent ab. Mehr zent) Bevölkerungsminderheit ab. Unter den Zuspruch als Biden und Trump fand anfänglich weißen US-Amerikanern fand Trump hingegen Barack Obama. Dessen Popularität hatte danach höhere Zustimmungswerte als sein Nachfolger aber stark gelitten.23 (53 bzw. 45 Prozent). Das Alter der Befragten spielt ebenfalls eine Rolle: Für Biden gilt, je Biden ist im Vergleich zu anderen Ex-Präsiden- jünger die Umfrageteilnehmer, desto höher die ten weder besonders beliebt noch überaus unbe- Zustimmungswerte. Bei Trump war auch das liebt. Bemerkenswert ist stattdessen, dass seine genau umgekehrt.24 Aber wie bewerten die Zustimmungswerte innerhalb der ersten 100 US-Amerikaner die Politik der neuen Regierung Tage im Amt sehr konstant geblieben sind. Seit drei Monate nach Amtsantritt? dem Zweiten Weltkrieg gab es keinen US-Präsi- denten mit stabileren Umfragewerten. Schon im Dazu hat Mitte April das Pew Research Center Wahlkampf fiel auf, dass sich Biden weder deut- seine Umfrageergebnisse präsentiert: Bidens lich verbessern konnte noch verschlechtert hatte. Wunsch, das „Geschrei zu beenden“, kommt in den eigenen Reihen demnach gut an. Über 70 Pro- Noch auffälliger aber sind die Unterschiede zent der Demokraten meinen, der Ton und die Art zwischen den Zustimmungswerten unter den des Präsidenten hätten die politische Debatte in Anhängern der Demokraten und der Republi- den USA positiv beeinflusst. Nur drei Prozent sind kaner. Nach den Ergebnissen einer Mitte April gegenteiliger Meinung. Unter den Anhängern der von Gallup veröffentlichten Umfrage wird Joe Republikaner wird der Politikstil der neuen Regie- Biden von 96 Prozent der Demokraten positiv rung hingegen von über 60 Prozent der Befragten bewertet, aber nur von zehn Prozent der Repu- negativ bewertet. Mit 72 Prozent ist die Missbil- blikaner. Die Differenz nach parteipolitischer ligung unter konservativen Republikanern sogar Anhängerschaft ist mit 86 Prozentpunkten bei noch höher. Demgegenüber teilen 21 Prozent der Biden noch deutlich größer als bei Trump. Bei gemäßigten Republikaner die positive Einschät- den Umfrageteilnehmern, die sich weder zu den zung der meisten Demokraten. Demokraten noch zu den Republikanern zählen (Unabhängige), findet Biden 55 Prozent Zustim- Umfrageteilnehmer, die entweder republikanisch mung, 17 Prozent mehr als Donald Trump, aber wählen oder (als Unabhängige) in diese Rich- etwas weniger als Barack Obama. tung tendieren, gehen aber auch mit der eigenen Nr. 29 (Mai 2021) 6
Partei hart ins Gericht. Nur 55 Prozent bewerten während von den Anhängern der Republikaner die Arbeit führender Vertreter der Republikaner nur 19 Prozent diese Einschätzung teilen. Noch im Kongress positiv. Die befragten Demokraten unterschiedlicher ist das Meinungsbild bei der sind mit ihren eigenen Parteiführern in beiden Gewichtung von „Waffengewalt“. 73 Prozent Kammern des Parlaments deutlich zufriedener der Demokraten, aber nur 18 Prozent der Repu- (84 Prozent). blikaner sehen darin ein besonderes Problem. „Gewaltverbrechen“ im Allgemeinen, auf der Zuspruch bei Corona und einer Prioritätenliste der Pew-Umfrage insgesamt Außenpolitik „für mehr Jobs“ immerhin an dritter Stelle, werden hingegen von den Republikanern (52 Prozent) als ein größeres Am besten schneidet die Biden-Administration Problem betrachtet als von den Demokraten (44 bei der Pandemiebekämpfung ab. Rund zwei Prozent). Das Gleiche gilt für die „illegale Ein- Drittel aller Amerikaner schätzen sie als erfolg- wanderung“, Platz 4 auf der Prioritätenliste der reich ein. Fast neun von zehn Demokraten haben Pew-Umfrage. Sie wird von den Republikanern ihr Häkchen hinter „gut“ oder „ausgezeichnet“ (72 Prozent) deutlich kritischer eingeschätzt als gemacht. Auch unter den Republikanern ist eine von den Demokraten (29 Prozent).25 knappe Mehrheit (55 Prozent) mit dem Impfpro- gramm und den Maßnahmen zur Eindämmung Die Frage, wie die US-Bevölkerung zur Wieder- der Neuinfektionen einverstanden. 67 Prozent herstellung der Rolle und Geltung Amerikas aller Befragten unterstützen auch den im März weltweit steht, wurde in der Umfrage vom April vom Kongress verabschiedeten American Res- nicht gestellt. Dafür liegt von Pew aber eine Aus- cue Plan. Das Hilfs- und Konjunkturpaket findet gangsposition vor, die nur wenige Tage nach dem unter den Demokraten 93 Prozent Zustimmung. Amtsantritt veröffentlicht wurde.26 Demnach hat- Von den Republikanern stehen immerhin 35 Pro- ten 60 Prozent der Amerikaner nach dem Regie- zent, allen voran Anhänger der Partei mit nied- rungswechsel Vertrauen in die Außenpolitik von rigerem Einkommen (55 Prozent), hinter dem Präsident Biden. Das war deutlich mehr als die historisch beispiellosen Programm, obwohl im Vorschusslorbeeren, mit denen Donald Trump Kongress nicht ein einziger Vertreter der Grand anfänglich bedacht wurde (46 Prozent). Old Party dafür gestimmt hatte. Darüber hinaus ähnelt das Bild dem über die Müsste die US-Bevölkerung darüber entscheiden, Einschätzung zum Politikstil der neuen Regie- welche der vom Weißen Haus formulierten poli- rung. Während fast 90 Prozent der D emokraten tischen Schwerpunkte in welcher Reihenfolge positive Erwartungen damit verbanden, wie zu gewichten sind, stünde eine für alle Men- sich Biden auf der weltpolitischen Bühne posi- schen „bezahlbare Gesundheitsfürsorge“ nach tionieren würde, hatten im Januar unter den der Pew-Umfrage ganz oben auf der Liste, auch Republikanern nur 27 Prozent Vertrauen in die wenn die Anhänger der Republikaner (40 Pro- außenpolitischen Fähigkeiten des neuen Präsi- zent) dem Thema deutlich weniger Bedeutung denten. Die Haltung der konservativen Repub- beimessen als die Demokraten (69 Prozent). likaner war mit 17 Prozent noch viel kritischer. Gleich an zweiter Stelle taucht dann ein Thema Demgegenüber brachten die gemäßigten Anhän- auf, das für Präsident Biden („wir können nicht ger der Partei Joe Biden deutlich mehr Wohlwol- zu viel ausgeben“) derzeit keine Priorität hat: len entgegen (42 Prozent). das „staatliche Haushaltsdefizit“. Zwar sind die horrenden Staatsschulden nur für 31 Prozent der Abgesehen von den großen Unterschieden bei Demokraten ein Problem, aber immerhin für 71 der Beurteilung des Präsidenten und seiner Prozent der Republikaner. Auch beim Thema außenpolitischen Fähigkeiten, liegen die Mei- „Rassismus“ gehen die Meinungen weit ausein- nungen der Republikaner und der Demokraten ander: Unter den befragten Demokraten sehen über die Sachthemen der internationalen Zusam- 67 Prozent darin ein „sehr großes Problem“, menarbeit viel näher beieinander als bei den 8 Auslandsinformationen online
innenpolitischen Herausforderungen. Eine Aus- selbst in der Pennsylvania Avenue 1600 ange- nahme ist die „globale Bewältigung des Klima- kommen, in keinem Bereich seiner innen- und wandels“. 70 Prozent der befragten Demokraten außenpolitischen Agenda. Er wird nicht müde, bewerten das Thema als langfristige „Top-Prio- seine Kernbotschaften auf allen Plattformen so rität“, aber nur 14 Prozent der Republikaner. oft wie möglich zu wiederholen. Besonders wichtig ist den Umfrageteilnehmern parteiübergreifend, dass die Außenpolitik der Zu den sieben Schwerpunkten seiner Präsident- Biden-Regierung die „Jobs der amerikanischen schaft sind auf der Internetseite des Weißen Arbeiter schützen“ müsse. Ganz unten auf der Hauses nach nur drei Monaten bereits über 170 Prioritätenliste steht – ebenfalls parteiübergrei- Stellungnahmen, Durchführungsverordnungen, fend – die „Förderung der Demokratie in anderen Gesprächsprotokolle, Fact Sheets und Reden Ländern“. veröffentlicht. Die Regierung produziert unter Hochdruck immer neue Mitteilungen, obwohl Insgesamt findet eine enge Zusammenarbeit das Führungspersonal für die Ministerien und mit den Verbündeten breite öffentliche Unter- Behörden noch immer nicht komplett ist. Erst stützung. Mehrheitlich (64 Prozent) vertritt die Ende April hat das Weiße Haus erneut eine lange Bevölkerung die Auffassung, dass die U SA dafür Liste an Kandidaten zur Bestätigung an den Senat auch zu Kompromissen bereit sein müssen. Ein weitergeleitet. Aspekt, der mit Blick auf die wichtige Wähler- gruppe der Millennials und der Gen Z noch Über- Die größte Herausforderung dürfte für den zeugungsarbeit kosten dürfte, besteht darin, dass Präsidenten in den kommenden Wochen und jüngere Amerikaner der Frage, ob die USA von Monaten darin bestehen, angesichts der knap- anderen Ländern respektiert werden, nach den pen Mehrheiten seiner Partei im Kongress die Umfrageergebnissen weniger Bedeutung bei- eigenen Reihen geschlossen zu halten. Hier ver- messen als ältere Generationen. Insgesamt sind langt aktuell vor allem die Einwanderungspolitik 34 Prozent der Befragten der Meinung, dass die viel Verhandlungsgespür. Im Senat ist Biden für eigenen Interessen des Landes im Verhältnis zu die Verabschiedung der meisten Gesetze über- anderen Staaten ausschlaggebend sind. dies auf die Unterstützung einiger Republikaner angewiesen. Als größte Herausforderung für das Bloß nicht „zu bescheiden“ Ausland zeichnet sich in der Zusammenarbeit mit den USA das Tempo ab, mit dem Washington Während seiner ersten 100 Regierungstage hat seine Agenda vorantreibt und von seinen Part- Biden nichts falsch gemacht. Die stabilen Zustim- nern passende Lösungsvorschläge erwartet. mungswerte in den Umfragen bestätigen das. Vor allem profitiert er derzeit natürlich vom Erfolg des Impfprogramms und vom American Rescue Paul Linnarz ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad- Plan. Aus seiner Zeit als Vizepräsident während Adenauer-Stiftung für die USA in Washington, D.C. der globalen Finanzkrise vor gut zehn Jahren hat er aber nicht nur für das jetzige Hilfsprogramm seine Lehren gezogen. Damals, erzählte Biden kürzlich den demokratischen Abgeordneten im Kongress, habe er Barack Obama wiederholt dazu aufgefordert: „Sag den Leuten, was wir getan haben.“ Obama sei aber „zu bescheiden“ gewesen, seine Leistungen für die Bewältigung der Finanzkrise stärker hervorzuheben. „Wir haben keine Zeit. Ich werde keine Siegesrunde drehen“, habe ihm der Ex-Präsident damals ent- gegnet.27 Diese Auffassung teilt Biden, nunmehr Nr. 29 (Mai 2021) 9
1 Weißes Haus 2021: Remarks by President Biden 24 Jones, Jeffrey M. 2021: Biden Sparks Greater in Address to a Joint Session of Congress, Rede, Party, Education Gaps Than Predecessors, Gallup, 28.04.2021, in: https://bit.ly/3el9rr5 [29.04.2021]. 15.04.2021, in: https://bit.ly/3tnUwkn [29.04.2021]. 2 Ebd. 25 Pew Research Center 2021: Biden nears 100-day 3 Weißes Haus 2021: Inaugural Address by President mark with strong approval, positive rating for vaccine Joseph R. Biden, Jr., Rede, 20.01.2021, in: rollout, 15.04.2021, in: https://pewrsr.ch/2RsEWGP https://bit.ly/2RrsCGQ [29.04.2021]. [29.04.2021]. 4 Weißes Haus 2021: Remarks by President Biden 26 Pew Research Center 2021: Majority of Americans in a CNN Town Hall with Anderson Cooper, Confident in Biden’s Handling of Foreign Policy as Rede, 16.02.2021, in: https://bit.ly/3nRrOqQ Term Begins, 24.02.2021, in: https://pewrsr.ch/ [29.04.2021]. 3xQFjM8 [29.04.2021]. 5 Weißes Haus 2021, N. 3. 27 Weißes Haus 2021, N. 6. 6 Weißes Haus 2021: Remarks by President Biden at the House Democratic Caucus Virtual Issues Confe rence, Rede, 03.03.2021, in: https://bit.ly/3vKRtEy [29.04.2021]. 7 Weißes Haus 2021: Executive Order on Ensuring the Future Is Made in All of America by All of America’s Workers, 25.01.2021, in: https://bit.ly/ 2SwpDxq [29.04.2021]. 8 Weißes Haus 2021: Remarks by President Biden Before Meeting with Senators on the Critical Need to Invest in Modern and Sustainable American Infrastrucutre, Rede, 11.02.2021, in: https://bit.ly/ 2QQpNiQ [29.04.2021]. 9 Weißes Haus 2021: Remarks by President Biden on America’s Place in the World, Rede, 04.01.2021, in: https://bit.ly/2RyjOij [29.04.2021]. 10 Ebd. 11 C-Span 2009: American Recovery and Reinvest- ment Act Signing, 17.02.2009, in: https://bit.ly/ 3xTWZqm [29.04.2021]. 12 Weißes Haus 2021, N. 4. 13 Weißes Haus 2021, N. 9. 14 Weißes Haus 2021, N. 4. 15 Biden, Joseph 2021: Remarks by President Biden to Department of Defense Personnel, Rede, 10.02.2021, in: https://bit.ly/2QOIuDv [29.04.2021]. 16 Gittleson, Ben 2021: Biden talks Cuomo, Putin, migrants, vaccine in ABC News exclusive interview, ABC News, 17.03.2021, in: https://abcn.ws/3h6gkyw [29.04.2021]. 17 Weißes Haus 2021, N. 9. 18 Außenministerium der Vereinigten Staaten 2021: Secretary Antony J. Blinken, National Security Advi- sor Jake Sullivan, Director Yang And State Councilor Wang At the Top of Their Meeting, 18.03.2021, in: https://bit.ly/33m0kjC [29.04.2021]. 19 Weißes Haus 2021, N. 9. 20 Weißes Haus 2021, N. 3. 21 Weißes Haus 2021: Remarks by President Biden on Russia, Rede, 15.04.2021, in: https://bit.ly/ 3b65u7O [29.04.2021]. 22 Weißes Haus 2021: Remarks by President Biden and Prime Minister Suga of Japan Before Bilateral Meeting, Rede, 16.04.2021, in: https://bit.ly/ 3uBsiUs [29.04.2021]. 23 FiveThirtyEight 2021: How popular/unpopular is Joe Biden?, in: https://53eig.ht/3elEiUs [29.04.2021]. 10 Auslandsinformationen online
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