Anwendung von Zwang in der Intensivmedizin - Universität ...
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Zurich Open Repository and Archive University of Zurich Main Library Strickhofstrasse 39 CH-8057 Zurich www.zora.uzh.ch Year: 2021 Anwendung von Zwang in der Intensivmedizin Jöbges, Susanne ; Biller-Andorno, Nikola Abstract: Zwangsbehandlungen in der Medizin umfassen Maßnahmen, die gegen eine aktuelle oder frühere Willensäußerung der betroffenen Person durchgeführt werden. Hierunter fällt auch die Über- windung manifestierter Widerstände z. B. bei nicht einwilligungsfähigen Patienten. Zwang gibt es nicht nur in der Psychiatrie, sondern kann auch auf der Intensivstation ausgeübt werden. Im Spannungsfeld zwischen intensivmedizinischer Behandlung, Fürsorge und Patientenwille besteht ein hohes Risiko für Zwangsbehandlungen sowie freiheitseinschränkende Maßnahmen. Häufig ist dem Team dieses moralis- che Spannungsfeld nur zum Teil bewusst. Vom Patienten wird Zwang als Kontrollverlust beschrieben und kann als traumatisierend, entwürdigend und stressauslösend wahrgenommen werden. Die Heraus- forderung für das Team einer hochspezialisierten Intensivstation besteht darin, den Patienten in seiner Individualität zu sehen und so weit wie möglich einzubinden. Um Zwang auf Intensivstation zu vermei- den und dem individuellen Patienten gerecht zu werden, muss die Problematik zuallererst wahrgenommen werden. Hilfreich zur Vermeidung von Zwang auf einer Intensivstation können Ausbildungskonzepte, eine ethische Reflexion im Team (Teamkultur), Supervision und psychologische Begleitung für Patienten und das Team sowie klinikinternen Standards sein. Diese Arbeit beschreibt Ursachen, verschiedene Formen und Häufigkeiten von Zwangsbehandlungen auf der Intensivstation sowie juristische Vorgaben. Es wird eine Annäherung versucht, welche intensivmedizinischen Maßnahmen mit der Ausübung von Zwang ein- hergehen können und wie Zwang von Patienten und dem Team wahrgenommen wird. DOI: https://doi.org/10.1007/s00063-021-00800-9 Other titles: Use of coercive measures in the intensive care unit Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich ZORA URL: https://doi.org/10.5167/uzh-201648 Journal Article Published Version The following work is licensed under a Creative Commons: Attribution 4.0 International (CC BY 4.0) License. Originally published at: Jöbges, Susanne; Biller-Andorno, Nikola (2021). Anwendung von Zwang in der Intensivmedizin. Medi- zinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin, 116(3):205-209. DOI: https://doi.org/10.1007/s00063-021-00800-9
Medizinische Klinik Intensivmedizin und Notfallmedizin Leitthema Med Klin Intensivmed Notfmed S. Jöbges · N. Biller-Andorno https://doi.org/10.1007/s00063-021-00800-9 Institut für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte (IBME), Universität Zürich, Zürich, Schweiz Eingegangen: 12. November 2020 Angenommen: 7. Februar 2021 © Der/die Autor(en) 2021 Anwendung von Zwang in der Redaktion U. Janssens, Eschweiler Intensivmedizin Hintergrund Juristische Vorgaben in Maßnahme zur Verfügung“ stehen Deutschland und Oft wird bei dem Thema Ausübung von 4 dass der „zu erwartende Nutzen Zwang in der Medizin zunächst an die Die Freiheit von äußerlichem Zwang als der ärztlichen freiheitsbeschränken- Psychiatrie gedacht. Dort setzt man sich einem Menschenrecht findet ihre Ent- den Maßnahme die zu erwartenden seit längerem u. a. in Form von Richt- sprechung im Grundgesetz Art. 2 Abs. 2, Beeinträchtigungen deutlich über- linien und empirischen Studien mit der Satz 2, in dem konstatiert wird: „(2) Je- wiegt“. „Die Einwilligung in die Thematik auseinander [1, 2]. Eine Gefahr der hat das Recht auf Leben und kör- ärztliche freiheitsbeschränkende besteht darin, dass Zwang im Bereich der perliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Maßnahme bedarf der Genehmigung Intensivmedizin häufig nicht als solcher Person ist unverletzlich. In diese Rechte des Betreuungsgerichts.“ [6]. wahrgenommen wird und damit einer darf nur auf Grund eines Gesetzes einge- kritischen Reflexion unzugänglich bleibt. griffen werden.“ [3]. Weiterhin, legt das Herausforderung Zugleich wird auch in der Intensivme- GrundgesetzArt. 104 fest, dass Menschen Intensivstation dizin der Respekt vor der Patientenau- „weder seelisch noch körperlich miss- tonomie durchaus hoch gewichtet und handelt werden“ dürfen sowie dass eine Intensivmedizinische Therapien mit Ein- versucht, die Vorstellungen nichturteils- richterliche Anordnung über „die Zuläs- satz von invasiven und intensiven Be- fähiger Patienten soweit wie möglich in sigkeit und Fortdauer einer Freiheitsent- handlungsverfahren kommen bei lebens- die Behandlung einzubeziehen. ziehung“ notwendig ist [4]. Speziell für bedrohlichen Erkrankungen mit Organ- die Anwendung von körperlicher Fixie- versagen oder -dysfunktion zum Ein- Bedeutung des Begriffs Zwang rung eines Patienten hat das Bundesver- satz. Häufig entwickeln Patienten bedingt fassungsgericht im Jahr 2018 entschie- durch die schwere Erkrankung, die inten- Der Begriff „Zwang“ (mittelhochdeutsch den: „Die Fixierung eines Patienten stellt sivmedizinischen Maßnahmen und me- wanc, dwanc, twanc) umfasst verschie- einen Eingriff in dessen Grundrecht auf dikamentösen Therapien ein Delir, auch dene Bedeutungen: Zwang als Beschrän- Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in in Kombination mit Aggressivität, das kung oder Beeinflussung des freien Wil- Verbindung mit Art. 104 GG) dar.“ [5]. einen erheblichen Einfluss auf den aku- lens wird unterschieden vom inneren Für eine allgemeine stationäre Versor- ten und langfristigen Krankheitsverlauf Zwang, vom juristischen Zwang sowie gung legt § 1906a, Bürgerliches Gesetz- haben kann [7, 8]. Patienten beschreiben von Zwangsstörungen im Sinne einer buch (BGB), Kriterien für eine Einwil- das Durchführen schmerzhafter Proze- psychischen Erkrankung. ligung in freiheitsbeschränkenden Maß- duren, das Umgeben sein von Appara- Die hier beschriebene Problematik nahmen durch einen Betreuer fest [6]. ten und Lärm und Schlafmangel in einer betrifft Zwang als Überwindung des Hierzu gehören Vermischung von Realität und Fiktion freien Willens bzw. die Überwindung 4 das „Patientenwohl“; [9, 10]. In diesem Kontext einer ein- des „natürlichen Willens“ einer Person 4 eine „fehlende Einsichtsfähigkeit des geschränkten Fähigkeit zur autonomen im Rahmen einer intensivmedizinischen Patienten“; Entscheidung werden Maßnahmen als Behandlung. Unter „natürlichem Wil- 4 der nach „§ 1901a zu beachtenden Zwang gewertet, wenn sie den natürli- len“ werden Willensäußerungen von Wille des Betreuten“; chen Willen eines Menschen überwinden nichteinwilligungsfähigen Menschen 4 ein „Versuch einer ernsthaften Über- [11]. verstanden [1]. Diese Äußerungen in zeugung in die Notwendigkeit der Um dem Patienten in der für ihn kri- Therapiekonzepte einzubinden, erfor- ärztlichen Maßnahmen“; senhaften Situation der Erkrankung und dert ein hohes Maß an Fürsorge. 4 der Umstand, dass keine Alternativen der ggf. resultierenden Urteils- und Ein- bzw. „keine weniger belastende willigungsunfähigkeit gerecht zu werden, sind Stellvertreterlösungen etabliert [6]. Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
Leitthema Tab. 1 Maßnahmen und möglicher Zwang auf der Intensivstation auf der Intensivstation, geben diese auch Zwang als Überwindung des Maßnahmen Mögliche Manifestation auf der Inten- Einschränkungen der individuelle Frei- Willens sivstation heit durch Umgebung und Monitoring Direkte oder unmittelbare Ein- „Physical re- Jede Form von Fixierung und bewegungsein- an [19]. Diese Einschränkung wird auch flussnahme straint“ und schränkenden Maßnahmen als „environmental restraint“ beschrie- „Chemical re- Therapien (Physiotherapie, Mobilisation) ben [18]. straint“ Medikamentöse Ruhigstellung Mittelbarer Zwang durch Um- „Environmental Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch gebung mit Einschränkung der restraint“ Monitoring/Geräte Merke. Medikamentöse freiheitsbe- Bewegung Umgebung (Lärm, Licht, Präsenz und Interak- schränkende Maßnahmen (= „chemical tion) restraints“) sind Medikamente, die mit Faktoren, die zu einem Gefühl „Psychological Abhängigkeit, Schmerzen, Angst dem Ziel eingesetzt werden, den Pa- des Ausgeliefertseins füh- restraint“ Endpersonalisierter Umgang tienten ruhigzustellen, oder ihn daran ren können (erlebte Zwangs- Mangelnde Kommunikation hindern, sich fortzubewegen. Somit sind situation) Indirekte – direkte Drohung diese Maßnahmen genehmigungspflich- tige freiheitsentziehende Maßnahmen Ursachen für Zwanganwendung Merke. Körperliche freiheitsbeschrän- [1, 2]. kende Maßnahmen und Prozeduren Für eine Einordnung einer Medi- „Zwang anzuwenden bedeutet, eine (= „physical restraints“), die die freie kamentengabe als freiheitsentziehende Maßnahme durchzuführen, obwohl die Bewegung des Körpers durch Fixierun- Maßnahme ist die Indikation, also der davon betroffene Person durch Wil- gen oder angrenzend einschränkende Zweck der Medikamentengabe, entschei- lensäußerung oder Widerstand kundtut Maßnahmen einschränken [15], können dend. So ist der Einsatz von Medika- oder früher kundgetan hat, dass sie damit neben einer Fixierung durch Gurte auch menten im Rahmen eines Heilzwecks, nicht einverstanden ist“ [11]. Bettgitter, umgebendes Monitoring oder wie z. B. im Rahmen einer Behand- strukturelle Abläufe sowie abgeschlos- lung eines Delirs auf der Intensivstation, »einesDenMenschen natürlichen Willen überwindende sene Räumlichkeiten, denen der Patient sich nicht entziehen kann, umfassen. anders zu bewerten, als die medikamen- töse Ruhigstellung eines „nervenden“ Die in 34 europäischen Ländern Patienten. Auch die S3-Leitlinie Anal- Maßnahmen werden als Zwang durchgeführte PRICE-Studie zeigte ei- gesie, Sedierung und Delirmanagement gewertet ne Anwendung von medikamentösen in der Intensivmedizin empfiehlt, un- oder mechanischen Fixierungen auf In- nötige Sedierungen zu vermeiden, da tensivstationen bei im Mittel 33 % der sich der Behandlungserfolg hierdurch Im Rahmen einer intensivmedizinischen Patienten. Auffallend sind hier die gro- verschlechtert [8]. Behandlung gibt es Situationen, in denen ßen innereuropäischen Unterschiede. Zwang z. B. durch Medikamentengabe So wurde z. B. in Großbritannien und Merke. Weniger offensichtlich als kör- oder Fixierung notwendig erscheint. Portugal kein Patient fixiert. Demge- perliche oder medikamentöse Freiheits- Freiheitseinschränkende Maßnahmen genüber waren in Italien alle beatmeten einschränkungen sind psychologische werden oft mit der Intention eingesetzt, Patienten fixiert [16]. Fixierungen von freiheitseinschränkende Maßnahmen den deliranten, agitierten Patienten zu 76 % der beatmeten Patienten sind in (= „psychological restraints“). Hierzu schützen [7]. Solche freiheitseinschrän- einer Studie aus Kanada beschrieben zählen Maßnahmen mit psychischer kenden Maßnahmen erreichen ihr Ziel, [13]. Eine allgemeine Übersicht über Einflussnahme, wie Drohungen, Fehl- den Patienten zu schützen, häufig nicht. fixierende Maßnahmen in Deutschland oder Falschinformationen und Manipu- Im Gegenteil, in Studien hat sich ge- ergab bei 11,8 % der Patienten (inklusive lation [1, 2, 11], die eine Vorenthaltung zeigt, dass fixierende Maßnahmen zu Intensivstation) freiheitseinschränkende von Privilegien und Aktivitäten beinhal- vermehrten Extubationen durch Patien- fixierende Maßnahmen [17]. ten [18]. ten sowie zu einem erhöhten Bedarf an Ins Augenmerk genommen werden Die Einschränkung der individuellen sedierenden Medikamenten führen [12, solltenauchMaßnahmen, die unter„phy- Freiheit der eigenen Lebensgestaltung 13]. Ebenso sind Todesfälle im Rahmen sical psychological restraint“ – sich einer als einer der bedeutendsten Werte der nicht korrekt angewandter Fixierungen Situation nicht entziehen können und westlichen Zivilisation im Rahmen einer beschrieben [14]. dem Team ausgeliefert sein – gefasst wer- intensivmedizinischen Behandlung wird Beschränkung von Freiheitsrechten den [18]. Zwang ist nicht immer gleich- von vielen Patienten als unangenehm auf Intensivstation kann in vielfälti- zusetzen mit Gewalt. Auch mittelbare beschrieben [20, 21]. Das Gefühl der ger Form entstehen. In . Tab. 1 sind Gewalt, wie verschlossene Türen, Ein- Hilflosigkeit, der Verletzlichkeit und des zwangerzeugende Maßnahmen zusam- schränkung der Bewegungsfreiheit und Ausgeliefertseins bestimmt die eigene mengefasst. Monitoring, können vom Patienten als Wahrnehmung und wird als Kontroll- Zwang wahrgenommen werden. Befragt verlust thematisiert [22]. So berichten man Patienten über ihre Erfahrungen Patienten, dass die Einschränkung und Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
Zusammenfassung · Abstract Unfähigkeit, grundlegende Aktivitäten Med Klin Intensivmed Notfmed https://doi.org/10.1007/s00063-021-00800-9 selbst auszuführen, das Gefühl auslöste © Der/die Autor(en) 2021 „no longer a civilized being“ zu sein [23]. Das Erleiden von Schmerzen mit S. Jöbges · N. Biller-Andorno dem Gefühl der Hilflosigkeit und Ver- Anwendung von Zwang in der Intensivmedizin letzung der körperlichen Integrität kann in einer unzureichenden Wahrnehmung Zusammenfassung und Kommunikation durch das Team Zwangsbehandlungen in der Medizin Um Zwang auf Intensivstation zu vermeiden umfassen Maßnahmen, die gegen eine und dem individuellen Patienten gerecht zu begründet sein [19, 24]. Ebenso kann das aktuelle oder frühere Willensäußerung der werden, muss die Problematik zuallererst Gefühl, nicht ernst genommen zu wer- betroffenen Person durchgeführt werden. wahrgenommen werden. Hilfreich zur Ver- den, eine aggressive Kommunikation mit Hierunter fällt auch die Überwindung meidung von Zwang auf einer Intensivstation indirekten oder direkten Androhungen manifestierter Widerstände z. B. bei nicht können Ausbildungskonzepte, eine ethische oder das Nichtdurchführen von Maß- einwilligungsfähigen Patienten. Zwang Reflexion im Team (Teamkultur), Supervision gibt es nicht nur in der Psychiatrie, sondern und psychologische Begleitung für Patienten nahmen Patienten in Angst versetzen kann auch auf der Intensivstation ausgeübt und das Team sowie klinikinternen Standards [21, 25]. werden. Im Spannungsfeld zwischen sein. Diese Arbeit beschreibt Ursachen, intensivmedizinischer Behandlung, Fürsorge verschiedene Formen und Häufigkeiten Stresssituation für den und Patientenwille besteht ein hohes Risiko von Zwangsbehandlungen auf der Inten- für Zwangsbehandlungen sowie freiheits- sivstation sowie juristische Vorgaben. Es Patienten wird eine Annäherung versucht, welche einschränkende Maßnahmen. Häufig ist dem Team dieses moralische Spannungsfeld intensivmedizinischen Maßnahmen mit der In Verbindung mit freiheitseinschrän- nur zum Teil bewusst. Vom Patienten wird Ausübung von Zwang einhergehen können kenden Maßnahmen werden in der Zwang als Kontrollverlust beschrieben und und wie Zwang von Patienten und dem Team Psychiatrie Trauma und Retraumatisie- kann als traumatisierend, entwürdigend und wahrgenommen wird. rung, Stress, Angst, das Gefühl, ignoriert stressauslösend wahrgenommen werden. Die Herausforderung für das Team einer Schlüsselwörter zu werden, Kontrollverlust und Dehu- hochspezialisierten Intensivstation besteht Persönliche Autonomie · Freiheit · Entschei- manisierung beschrieben [26]. Ähnliche darin, den Patienten in seiner Individualität zu dungsfindung · Klinische Ethik · Rechtliche Wahrnehmungen werden von Patienten sehen und so weit wie möglich einzubinden. Aspekte nach intensivmedizinischem Aufent- halt geschildert. So können freiheits- einschränkende Maßnahmen ein Bau- Use of coercive measures in the intensive care unit stein im Potpourri von Ursachen und Wirkungen der Kurz- und Langzeit- Abstract Coercive treatment in medicine includes specialized medical care. In order to avoid folgen einer intensivmedizinischen Be- coersion in the ICU and to do justice to the measures taken against a current or handlung und eines „post-intensive care previous expression of the will of the person individual patient, the focus must shift to syndrome“ (PICS) sein [8]. Patienten in concerned. It can include overcoming building awareness. Models that have been der Ausnahmesituation „Intensivstation“ manifested resistance, especially in patients shown to improve awareness such as the sind von guter Kommunikation abhän- who no longer have the capacity to consent. ethical reflection within the team, supervision Even though coercive measurements are and psychological support for patients and gig. Wenn Patienten sich mangelhaft internal hospital standards have also been common in psychiatry, they are also used oder falsch informiert fühlen, kann der in intensive care units (ICU). Use of coercive shown to reduce coercive measurements Eindruck entstehen, als Gegenstand und measurements in the ICU has always been taken. The aim of this paper is to describe nicht als Mensch behandelt zu werden a conflict between providing best medical causes, different methods and frequencies [27]. care and restriction of free will/patient will. of coercive measures used in the ICU. Legal Medical staff is generally only partially aware aspects are also taken into account. This of the moral conflict of these measures. paper attempts to identify which procedures Rechtfertigende Gründe für However, patients have described coercion undertaken in the ICU can be associated with Zwang auf der Intensivstation as an active loss of free will which they coercive measurements and how coercion is experience to be dehumanizing, stressful experienced by patients and the team. Ziel einer intensivmedizinischen Be- and traumatizing. The challenge in the ICU is to focus on the individual needs of Keywords handlung ist es, den Patienten durch Personal autonomy · Freedom · Decision the patients and involve them as much as eine kritische Phase schwerer krank- possible while providing high-quality, highly making · Clinical ethics · Legal aspects heits- oder unfallbedingter körperlicher Beeinträchtigungen zu bringen. Auf Sei- te des Teams liegen das Wissen und vielfältige menschliche und technische Möglichkeiten. Demgegenüber steht ein kritisch kranker Patient, der oft nicht vollständig oder gar nicht einwilligungs- fähig ist. Das intensivmedizinische Team Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
Leitthema übernimmt das „Kommando“ nicht nur Mögliche Lösungsansätze Indikation für Vitalparameter, sondern häufig auch für den Entscheidungsprozess des Pa- Patientenwille Neben der Einbindung des Patienten- tienten [28]. Hier besteht die Gefahr willens bedarf es besonderer Aufmerk- von paternalistischen Entscheidungen, Ein selbstbestimmtes Leben und Ent- samkeit hinsichtlich der Indikation und wenngleich diese vom Team durch Wis- scheiden unter den Bedingungen einer der Verhältnismäßigkeit der angewand- sen und Fürsorge begründet werden. schweren Erkrankung und intensivme- ten freiheitseinschränkenden Maßnah- Nur in Ausnahmesituationen, wie dizinischer Behandlung ist nur sehr be- men. Wenn Alternativen ohne Zwang Notfällen oder Gefährdungssituationen, grenzt möglich. Aber auch eingeschränkt nicht erreichbar sind, muss reflektiert ist es erlaubt, Behandlungen ohne Ein- oder nicht einwilligungsfähige Patienten und dokumentiert werden, mit welcher willigung des Patienten aufgrund des sind nicht willenlos. Patienten beschrei- Maßnahme am wenigsten in die Rechte mutmaßlichen Willens durchzuführen ben sowohl als verletzend wahrgenom- des Patienten eingegriffen wird [2]. [2, 11]. mene Situationen, als auch Dankbarkeit, Wichtig erscheint es, jene Freiheits- da ihnen geholfen wurde. Diese Ambi- einschränkungen zu erkennen, die we- »Einwilligung Behandlungen ohne des Patienten sind valenz macht die große Gefahr von Aus- übung von Zwang in einem Abhängig- niger offensichtlich sind, jedoch für den Patienten eine Form von Zwangsmaß- keitsverhältnis mit dem Risiko, die kör- nahmen darstellen [18]. Eine individuel- nur in Ausnahmesituationen perliche und seelische Integrität des An- le Reflexion über den Patienten als Per- erlaubt deren zu verletzen, deutlich [1, 11]. son, die Indikation und das Therapieziel sowie ein Teamgeist, der sich dieser ethi- Inwieweit freiheitseinschränkende Maß- »Individualität Der Patient ist in seiner zu sehen und schen Probleme bewusst ist, sind essenzi- elle Bausteine einer Intensivtherapie, die nahmen im Sinne von Zwang, also ge- darauf zielt, Zwang zu vermeiden. Um gen den Willen des Patienten, zum Errei- einzubinden Zwang und den daraus resultierenden chen des Therapiezieles notwendig sind, Stress für den Patienten und das Team bedarf immer einer individuellen ethi- Die Herausforderung für das Team ei- zu minimieren, sind Schulungskonzepte, schen Reflektion und muss auf die Wie- ner hochspezialisierten Intensivstation spezifische Räume für Reflexionen und derherstellung der selbständigen Lebens- besteht darin, den Patienten in seiner eine Teamsupervision zu implementie- führung gerichtet sein. Die Maßnahmen Individualität zu sehen und einzubinden. ren. müssen indiziert, geeignet und angemes- Über eine empathische Kommunikation sen sein und sollten keinen Schaden zu- und Teilhabe am Entscheidungsprozess Fazit für die Praxis fügen. Sie sollten auf Zustimmung stoßen kann eine Einbindung des Patienten in können, sobald der Patient wieder ein- den Entscheidungsprozess, wie sie von 4 Zwang als Überwindung des Willens willigungsfähig ist [1]. vielen Patienten gewünscht wird, erreicht eines Patienten kann in vielfältiger werden [28]. Den Patienten zu infor- Form während eines Intensivaufent- „Moral stress“ im Team mieren, ihm zuzuhören, ihn als Person halts entstehen. wahrzunehmen und an Entscheidungen 4 Hierzu gehören freiheitseinschrän- Freiheitseinschränkende fixierende/ teilhaben zu lassen, stärkt die individuelle kende Maßnahmen, wie physische medikamentöse Maßnahmen werden Unabhängigkeit des Patienten [20]. Der Ein-/Beschränkungen, Einschrän- häufig durch Pflegende angewendet [7]. Patient wird vom Behandlungsobjekt kungen durch die Umgebung, me- Sich zwischen Maßnahmen zum Schutz zum Partner [28]. dikamentöse und psychologische vor selbstinduziertem Schaden, also der Möglicherweise lassen sich freiheits- Einschränkungen. Eigengefährdung des Patienten und der einschränkende Maßnahmen oder die 4 Für Zwangsbehandlung existieren Würde und dem Respekt vor dem Pa- Wahrnehmung von Zwang im Rahmen juristische Vorgaben und medizinet- tienten, entscheiden zu müssen, kann einer intensivmedizinischen Behandlung hische Richtlinien. Teammitglieder außerordentlich belas- nicht immer vermeiden. Etablierte Kon- 4 Das Erleben von Zwang kann Ein- ten [29]. Diese moralischen Konflikte zepte zur Delirbehandlung, zum Um- fluss auf den Verlauf während und („moral stress“), d. h., wenn sich Team- gang mit Aggressivität und zur Anwen- nach einer intensivmedizinischen mitglieder davon abgehalten fühlen, dung freiheitseinschränkender Maßnah- Behandlung haben. im Interesse des Patienten zu handeln, men können helfen, Zwang und dessen 4 Das Spannungsfeld zwischen in- sollten benannt und konstruktiv in ei- Wahrnehmung auf der Intensivstation zu tensivmedizinischer Behandlung/ ne wertschätzende Teamperformance minimieren [2, 8]. Fürsorge und eigenen moralischen eingebracht werden [30]. Werten kann den einzelnen Mit- arbeiter und das Team signifikant belasten. Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin
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