Ausgewählte Aspekte der Stellungnahme der ESMA zum geplanten Listing Act der Europäischen Kommission - Glade Michel Wirtz

 
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Ausgewählte Aspekte der Stellungnahme der ESMA zum geplanten Listing Act der Europäischen Kommission - Glade Michel Wirtz
22. Februar 2022

Ausgewählte Aspekte der Stellungnahme der ESMA zum
geplanten Listing Act der Europäischen Kommission
•   Mit ihrem "Listing Act" verfolgt die EU-Kommission das Ziel, kleinen und mittelgroßen Un-
    ternehmen den Zugang zum Kapitalmarkt zu erleichtern. Nunmehr hat sich die ESMA im
    Rahmen des Konsultationsverfahrens zu einzelnen Fragen und Vorschlägen im Zusammen-
    hang mit dem Listing Act geäußert – insbesondere zu markmissbrauchsrechtlichen Themen.

•   Die ESMA bekräftigt erneut, dass sie keinen großen Bedarf sieht, den Begriff der Insiderin-
    formation anzupassen. Insbesondere lehnt sie die Einführung einer "Insiderinformation
    light" ab. Aus ihrer Sicht können auch kurzfristige Preisausschläge die Kursrelevanz begrün-
    den.

•   Auch bei weiteren Themen wie Managers' Transactions und Insiderlisten sieht die ESMA
    progressive Änderungsvorschläge kritisch.

Hintergrund

Die Europäische Kommission führt derzeit eine Konsultation zur Identifikation des bestehenden
Anpassungsbedarfs an bereits bestehenden Rechtsakten bezüglich börsennotierter Gesellschaf-
ten (insbesondere ProspektVO, Marktmissbrauchsverordnung, MiFID II, Transparenz-RL und
Listing Directive) durch. Hintergrund ist, dass insbesondere kleinen und mittelgroßen Unter-
nehmen der Zugang zum Kapitalmarkt nachhaltig erleichtert werden soll (sog. "Listing Act").

Mit der Konsultation soll bei den Stakeholdern in Erfahrung gebracht werden, welche Anforde-
rungen an die Börsennotierung den größten Aufwand verursachen und wie es möglich wäre,
diesen ohne Beeinträchtigung der Marktintegrität zu verringern. Dabei sollen u.a. auch die De-
finition der Insiderinformation und die Anforderungen an die Selbstbefreiung auf den Prüfstand
gestellt werden. Die ESMA hat in dem Konsultationsverfahren Mitte Februar 2022 zu dem ge-
planten Listing Act Stellung genommen (ESMA32-384-5357). Die Konsultationsfrist endet am
25. Februar 2022.

Dieser Blog-Beitrag fasst relevante Aussagen der ESMA zur MAR zusammen und beleuchtet
diese insbesondere unter dem Blickwinkel der Emittenten. Im Anschluss wird darüber hinaus
ein kurzer Ausblick gegeben.
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Art. 7 MAR - Begriff der Insiderinformation

Im Rahmen der Konsultation hat sich die ESMA erneut mit der Frage beschäftigt, ob hinsichtlich
des Begriffs der Insiderinformation Anpassungsbedarf besteht (vgl. dazu bereits die Äußerung
zur Insiderinformation in dem ESMA-Report zum MAR-Review, S. 56). Immer wieder gibt es
Stimmen, wonach die derzeitige Definition des Begriffs der Insiderinformation zu weitgehend
sei; insbesondere sei es für Emittenten – so z.B. bei gestreckten Geschehensabläufen – nicht
ohne Weiteres möglich, eine Insiderinformation als solche zu identifizieren. Zudem berge die
jetzige Definition das Risiko, dass sich Marktteilnehmer auf eine Information stützen, die noch
nicht den für eine Anlageentscheidung notwendigen Reifegrad erreicht habe:

        "According to stakeholders, the current definition of inside information may raise
        problems, notably (i) for the issuer, the problem of identification of when the infor-
        mation becomes "inside information" and (ii) for the market, the risk of relying on
        published information which is not yet mature enough to make investment decisions."

        Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 39.

Nichtsdestotrotz kommt die ESMA erneut zu dem Schluss, dass gegenwärtig hinsichtlich des
Begriffs der Insiderinformation kein Anpassungsbedarf bestehe und bestätigt damit ihre bereits
in ihrem MAR Review dargestellte Auffassung:

        "ESMA, however, considers that the current definition of inside information "strikes a
        good balance between being sufficiently comprehensive to cater for a variety of market
        abuse behaviours, and sufficiently prescriptive to enable market participants, in most
        cases, to identify when information becomes inside information" and recommended
        to leave the definition unchanged."

        Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 39.

Zugleich erklärt sie aber – wie schon im MAR Review vorgeschlagen – dass Leitlinien zu der
Definition der Insiderinformation herausgeben werden könnten:

        "ESMA however acknowledged that clarifications were sought by stakeholders both on
        the general interpretation of certain paragraphs of Article 7 of MAR (for instance, as
        regards intermediate steps, or the level of certainty needed to consider the information
        as precise), and on concrete scenarios. Therefore, ESMA stands ready to issue guid-
        ance on the definition of inside information under MAR."

        Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 39.

Darüber hinaus weist die ESMA darauf hin, dass sie eine Anpassung der Definition des erhebli-
chen Kursbeeinflussungspotentials als wenig zielführend erachtet. Dabei geht sie auch auf die
Problematik kurzfristiger Preisausschläge versus langfristige Fundamentalwertbetroffenheit ein.

        "The Commission asks whether the respondents support some proposed changes or
        clarifications to the current definition of "inside information" under MAR, among others,
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         whether the definition of inside information with a significant price effect should be
         refined to clarify that "significant price effect" means "information a rational investor
         would be likely to consider relevant for the long-term fundamental value of the
         issuer and use as part of the basis of his or her investment decisions".

         ESMA would like to stress the risks connected with such proposal.

         While the proposal seems to have been designed with the public disclosure obligation
         in mind, one should not forget that insider dealing can also occur through use of infor-
         mation with a short-term price impact. Therefore, given the unique definition of
         inside information, the proposal would end up limiting insider dealing to information
         with long term effects on the price. To give an example, dividend announcements
         usually have a significant effect on the price of the issuer's financial instruments, with-
         out necessarily having an influence on the long-term fundamental value of the issuer."

         Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 40.

Art. 17 Abs. 4 MAR - Aufschub der Veröffentlichung einer Insiderinformation

Emittenten können gemäß Art. 17 Abs. 4 MAR die Veröffentlichung einer Insiderinformation
ausnahmsweise aufschieben, wenn (i) ein berechtigtes Aufschubinteresse und (ii) keine Irre-
führung der Öffentlichkeit vorliegt sowie (iii) die Vertraulichkeit der Information gewährleistet
ist.

Diesbezüglich führt die ESMA aus, dass jegliche Klarstellung in Bezug auf den Aufschub der
Veröffentlichung stets auch den Begriff der Insiderinformation als solche beträfe. Dennoch ge-
stand sie bereits in ihrem Abschlussbericht zum MAR-Review zu, dass es Auslegungsprobleme
bzw. Anwendungsschwierigkeiten (u.a. hinsichtlich des Merkmals der Irreführung der Öffent-
lichkeit) geben könne. Sie habe daher eine Überarbeitung ihrer Guidelines in Angriff genom-
men:

         "Article 17(4) of MAR allows, under specified conditions, to delay the disclosure of
         inside information. The regime of delayed disclosure of inside information is intimately
         interconnected with the definition of inside information. Any clarifications provided on
         delayed disclosures would thus have de facto an impact on when the information has
         to be considered as inside information.

         Some stakeholders underline that there are currently interpretative challenges around
         the conditions to delay disclosure, especially in relation to when the delay is not likely
         to mislead the public. ESMA in its final report acknowledged the existence of interpre-
         tative challenges, but did not consider it necessary to amend the conditions for the
         application of the delay finding them reasonable and aligned with the overall market
         abuse regime. However ESMA engaged into revising its guidelines on delay in the dis-
         closure of inside information."

         Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 41.
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Art. 19 MAR - Managers' Transactions

Führungskräfte von Emittenten sind grundsätzlich verpflichtet, Transaktionen mit Finanzinstru-
menten des Emittenten zu melden (Art. 19 Abs. 1 MAR). Die gleiche Verpflichtung trifft Perso-
nen, die mit den Führungskräften eng verbunden sind (wie zum Beispiel Ehegatten). Darüber
hinaus treffen die Führungskräfte (nicht hingegen deren eng verbundene Personen) in bestimm-
ten Zeitfenstern des Kalenderjahres (regelmäßig vor der Finanzberichterstattung) gemäß
Art. 19 Abs. 11 MAR Handelsverbote (sog. Closed Periods).

Auch diesbezüglich hat sich die ESMA im Rahmen der Konsultation geäußert. Sie teilte mit, dass
zwar nach der Konsultation ein Großteil der Teilnehmer der Auffassung gewesen sei, dass der
derzeitige Schwellenwert von EUR 5.000 zu niedrig bemessen sei. Dennoch empfiehlt sie eine
Anhebung dieses Schwellenwerts nicht. Damit widerspricht sie dem Großteil der Teilnehmer der
Konsultation; auch in den Abschlussberichten der Technical Expert Stakeholder Group ("TESG")
und des Capital Markets Union High-Level Forum ("CMU HLF") wurde vorgeschlagen, den
Schwellenwert für Managers' Transactions zu erhöhen. Einige Aufsichtsbehörden in Ländern wie
Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Dänemark haben den Schwellenwert ohnehin
bereits – wie in der MAR optional vorgesehen – auf EUR 20.000 angehoben.

Die TESG vertritt zudem die Auffassung, dass eine Liste der im Sinne des Art. 19 Abs. 1 MAR
in enger Beziehung zu Führungskräften stehenden Personen obsolet sei, weil diese in keinem
Verhältnis zu den möglichen Vorteilen stehe:

         "Finally, the TESG holds that the requirement to keep a list of closely associated per-
         sons should be repealed, as it entails costs that are disproportionate to the benefits
         offered."

         Final report of the Technical Expert Stakeholder Group (TESG) on SMEs, Mai 2021, S. 31.

Nach Auffassung der ESMA sei es sinnvoll, zunächst weitere Informationen darüber zu sam-
meln, inwieweit die gegenwärtigen Anforderungen die Emittenten belasten:

         "In order for the Commission to strike the right balance between the burden associated
         with these requirements and the specific need for an efficient supervision of the integ-
         rity of the financial markets it is useful to gather quantitative data on how much those
         requirements weight on issuers."

         Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 42.

Art. 18 MAR - Insiderlisten

Emittenten und deren Dienstleister sind nach Art. 18 Abs. 1 MAR verpflichtet, Personen mit
Zugang zu Insiderinformationen in einer Insiderliste zu erfassen. Insiderlisten stellen aus Sicht
der ESMA ein elementares Instrument zur Verhinderung und Aufklärung von Verstößen gegen
die MAR dar.
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Im Hinblick auf die Pflicht zur Führung von Insiderlisten hat die ESMA lediglich geringfügige
Anpassungen der derzeitigen Regelung vorgeschlagen, da diese für die zuständigen Behörden
nach wie vor ein wichtiges Instrument bei Ermittlungen wegen Marktmissbrauchs darstellen
würden:

          "In light of the fact that national competent authorities consider the insider lists to be
          a key tool in market abuse investigations, in its final report on the review of the Market
          Abuse Regulation, ESMA did not suggest extensive alleviations to the insiders list rules,
          proposing only minor adaptations to the current regime."

          Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 46.

Auch insoweit widerspricht die ESMA der TESG, die die Kosten für das Führen der Insiderlisten
als zu hoch bewertet und daher empfohlen hat, die Verpflichtung zur Führung einer Insiderliste
für Emittenten mit einer Marktkapitalisierung von unter EUR 1 Mrd. aufzuheben sowie den In-
halt der Insiderlisten weiter zu vereinfachen.

Auch gegenüber einer Vereinfachung dahingehend, dass nur die für die Identifizierung "wesent-
lichsten Informationen" in die Insiderliste aufzunehmen sind, äußert sich die ESMA ablehnend.
Sie stellt insbesondere auch fest, dass nicht eindeutig sei, worauf genau sich die Beschränkung
auf die wesentlichsten Informationen bezöge:

          "The Commission asks whether the insider list regime should be simplified for all issu-
          ers, "to ensure that only the most essential information for identification purposes is
          included".

          ESMA notes that it is not clear if the concept of "most essential information" refers to
          a proposed subcategory of inside information, with only that one to be included in the
          insider list, or whether the reference is rather to the information about the persons
          included in the insider list, which should be limited to the most essential ones to iden-
          tify them."

          Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 46 f.

Art. 11 MAR – Market Sounding

Bereits im Jahr 2020 empfahl die ESMA in ihrem Abschlussbericht zum MAR-Review, den der-
zeitigen Anwendungsbereich der Market Sounding-Regelungen unverändert zu lassen. Statt-
dessen sollten Möglichkeiten zur Vereinfachung des Verfahrens gesucht werden. An dieser Ein-
schätzung hält die ESMA auch heute noch fest:

          "The public consultation carried out by ESMA in 2020 for the MAR review final report
          confirmed stakeholders' concerns on the complexity of the market sounding regime
          and their request to reduce the scope of the market sounding regime. Nonetheless,
          ESMA recommended to keep the current scope of the market sounding regime
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          unchanged and rather look into ways to simplify the market sounding procedures
          (ESMA final report paragraphs 6.3.3 and ff.)."

          Stellungnahme der ESMA im Konsultationsverfahren zum Listing Act (ESMA32-384-5357) S. 47.

Ausblick

Die Konsultationsfrist zum Listing Act der EU-Kommission läuft noch bis zum 25. Februar 2022.
Betrachtet man die vorstehend zusammengefassten Äußerungen der ESMA, wäre es überra-
schend, wenn es zu umfangreichen Änderungen der MAR (Level 1) bzw. der delegierten und
Durchführungsrechtsakte (Level 2) kommen wird. Die bereits angekündigten Ergänzungen der
Q&As und Leitlinien zu einzelnen Bestimmungen der MAR (Level 3) dürften aber bald erfolgen.

Kontakt

                                           DR. MARCO SUSTMANN
                                           Partner

                                           Telefon: +49 211 20052-270
                                           E-Mail: m.sustmann@glademichelwirtz.com

                                           DR. ALEXANDER RETSCH
                                           Partner

                                           Telefon: +49 211 20052-140
                                           E-Mail: a.retsch@glademichelwirtz.com

                                           DR. FELIX BANGEL
                                           Associate

                                           Telefon: +49 211 20052-430
                                           E-Mail: f.bangel@glademichelwirtz.com
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