Ausweisungspflicht und Schutzregime nach Fauna-Flora-Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Dr. Andreas Fisahn/ Dr. Wolfram Cremer Ausweisungspflicht und Schutzregime nach Fauna-Flora-Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie Die Umsetzung des sog. Fauna-Flora-Habitat Richtlinie, im folgenden FFH-RL[1] schafft für das deutsche Naturschutzrecht verschiedene Probleme. Dazu gehört insbesondere die Abgleichung des Schutzregimes der Schutzgebietskategorien des deutschen Naturschutzes an diejenigen der Richtlinien. Diese Probleme werden inzwischen ausführlich diskutiert.[2] Aus dem Problemkomplex sollen an dieser Stelle nur zwei spezielle Fragen erörtert werden. Zum einen wird untersucht, ob die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, bestimmte Gebiete als Vogelschutzgebiete und/oder als FFH-Schutzgebiete auszuweisen. Zweitens stellt sich die Frage, welches Schutzregime nach Verabschiedung der FFH-RL für Vogelschutzgebiete gilt. Für beide Komplexe ergeben sich aus der Lappel-Bank Entscheidung des EuGH[3] neue Gesichtspunkte. 1. Regelungen zur Schutzgebietsausweisung nach der FFH-RL Die Vorschriften der FFH-RL zur Errichtung eines europäischen Schutzgebietssystems „Natura 2000“ sehen im Überblick folgendes Verfahren vor: Die Mitgliedstaaten reichen bei der Kommission eine Liste von Gebieten[4] ein, die als Schutzgebiete im Rahmen von "Natura 2000" in Betracht kommen. Die Kommission entwickelt aus den Vorschlägen der Mitgliedstaaten den "Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung". Die Kommission stellt mithin aus den vorgeschlagenen Gebieten nach sachlichen Kriterien eine Liste von Gebieten zusammen, die das ökologische Netz "Natura 2000" bilden sollen. Diese Liste geht zurück an die Mitgliedstaaten, die verpflichtet sind, die Gebiete der Liste so schnell wie möglich als Schutzgebiete auszuweisen. Diese Schutzgebiete unterliegen den besonderen Schutzvorschriften der Richtlinie. Die Schutzvorschriften der Mitgliedstaaten müssen demnach mindestens das Schutzniveau erreichen, das die Richtlinie vorgibt. Kommt die Kommission zu der Auffassung, daß ein Mitgliedstaat seine Listen nicht sachgemäß
zusammengestellt hat, weil wichtige Gebiete oder Gebiete mit besonders schützenswerten Arten nicht aufgeführt werden, ist gemäß Art.5 FFH-RL ein "bilaterales Konzertierungsverfahren" zwischen Mitgliedstaaten und Kommission einzuleiten.[5] Grundsätzlich steht es im Ermessen der Mitgliedstaaten, welche Gebiete sie in ihre Vorschlagsliste für die Kommission aufnehmen. In den Anhängen der Richtlinie werden aber Kriterien aufgestellt, die bei der Auswahl der Gebiete berücksichtigt werden müssen - m.a.W. es können nicht "irgendwelche" Gebiete vorgeschlagen werden; durch die Kriterien wird gleichsam eine „Ermessensreduzierung nach oben“ vorgenommen, der allerdings gegenüber einer „Ermessensreduzierung nach unten“ in Form von Vorschlagspflichten wenig Bedeutung beizumessen ist. Vorzuschlagen sind Gebiete, die besonders schützenswert sind. Das wiederum richtet sich danach, ob dieses Gebiet schützenswerte natürliche Lebensräume oder schützenswerte Tiere und Pflanzen beheimatet. Als schützenswerte Lebensräume nennt die Richtlinie "natürliche Lebensräume von gemeinschaftlichem Interesse", die dadurch gekennzeichnet werden, daß sie vom Verschwinden bedroht sind, ein geringes natürliches Verbreitungsgebiet haben oder typische Merkmale alpiner, atlantischer, kontinentaler makaronesischer oder mediteraner biogeographischer Regionen aufweisen. (Art.1 c). Diese abstrakte Definition wird im AnhangAbs.1zur Richtlinie durch eine Liste "natürlicher Lebensräume von gemeinschaftlichem Interesse" konkretisiert. Entsprechend enthält Anhang II zur Richtlinie eine Liste von Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse, die entsprechend rubriziert sind. Eine weitere Unterscheidung ist wichtig. Innerhalb der Listen der Anhänge sind bestimmte Arten und Lebensraumtypen als "prioritäre Arten" oder "prioritäre Lebensräume" besonders gekennzeichnet. Für diese prioritären Arten und Lebensraumtypen kommt der Gemeinschaft definitionsgemäß (Art 1 d) und h) besondere Verantwortung zu. Die Unterscheidung hat Bedeutung für das bilaterale Konzertierungsverfahren und das Schutzniveau der Gebiete. Die Mitgliedstaaten müssen zwar Gebiete mit prioritären Lebensräumen und prioritären Arten (prioritäre Gebiete) bevorzugt in ihre Listen aufnehmen, was sich schon aus deren besonderen Schutzwürdigkeit ergibt. Die Gebietsauswahl beschränkt sich aber nicht auf die Gebiete mit prioritären Arten oder Lebensräumen, sondern muß sich an allen aufgelisteten schützenswerten Lebensraumtypen sowie den Tier- und Pflanzenarten orientieren. In die Gebietsauswahl müssen (so der Anhang III) Überlegungen zur Quantität und Qualität der schützenswerten Lebensräume und Arten in den auszuwählenden Gebieten einfließen.
Beachten müssen die Mitgliedstaaten bei ihrer Gebietsauswahl außerdem das in Art.3 FFH- RL formulierte Ziel, nämlich ein "kohärentes europäisches Netz besonderer Schutzgebiete" zu schaffen. Die Vernetzung der Schutzgebiete ist nach den Vorgaben der Richtlinie notwendig, um den genetischen Austausch wildlebender Arten und ihre Wanderung zu ermöglichen. Diese sehr differenzierten und speziellen Kriterien, die bei der Gebietsauswahl berücksichtigt werden müssen, schränken offenkundig den Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bei der Aufnahme eines Gebietes in die Vorschlagsliste erheblich ein. Die Vorschlagslisten müssen gemäß Art.4 FFH-RL mit Informationen über das Vorkommen von Lebensräumen und Arten in den vorgeschlagenen Gebieten bei der Kommission eingereicht. Die Kommission soll daraufhin - im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten - anhand der Vorschlagslisten den Entwurf einer Liste von Gebieten mit gemeinschaftlicher Bedeutung erstellen. Dabei sind die Gebiete mit prioritären Arten und Lebensräumen besonders zu berücksichtigen, die Kommission kann aber solche Gebiete auch unberücksichtigt lassen und andere Gebiete in ihren Listenentwurf aufnehmen. Das gilt trotz des leicht mißverständlichen Wortlautes der Richtlinie. Dort heißt es in Art.4 Abs. 2: Auf der Grundlage der festgelegten Kriterien "erstellt die Kommission ... aus den Listen der Mitgliedstaaten den Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, in der die Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) oder einer oder mehreren prioritären Art(en) ausgewiesen sind." Diese Formulierung kann nicht dahingehend interpretiert werden, daß in den Listenentwurf der Kommission nur Gebiete mit prioritären Lebensraumtypen oder Arten aufgenommen werden. "Ausgewiesen" ist hier im Sinne von "besonders gekennzeichnet zu verstehen", nicht im Sinne von "aufgenommen". Die prioritären Gebiete werden also gegenüber den anderen nur besonders gekennzeichnet. Das ergibt sich schon aus den Begriffsbestimmungen der Richtlinie. Ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung - und solche finden sich im Listenentwurf der Kommission - ist danach eines, das "in signifikantem Maße dazu beiträgt, einen natürlichen Lebensraumtyp des Anhangs I oder eine Art des Anhangs Abs. 2 in einem günstigen Erhaltungszustand zu bewahren" (Art.1 k). Für prioritäre Gebiete - und nur für solche - sieht die Richtlinie bei Streitigkeiten zwischen der Kommission und einem Mitgliedstaat „in Ausnahmefällen“ ein bilaterales Konzertierungsverfahren vor. Wenn die Kommission nämlich feststellt, daß die Vorschlagsliste eines Mitgliedstaates ein prioritäres Gebiet nicht enthält, der Schutz dieses Gebietes nach den wissenschaftlichen Daten der Kommission für den Fortbestand der
prioritären Art oder des prioritären Lebensraumtyps aber unerläßlich ist, nimmt die Kommission Verhandlungen mit dem Mitgliedstaat über die Einstellung des Gebiets in die Liste auf. Dazu sollen gemäß Art.5 FFH-RL zunächst die wissenschaftlichen Daten abgeglichen und versucht werden, den Streit gütlich beizulegen. Bleiben Meinungsverschiedenheiten bestehen, „übermittelt die Kommission dem Rat einen Vorschlag über die Auswahl des Gebietes als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung“ (Art. 5 Abs.2). Gem. Art. 5 Abs.3 „beschließt (der Rat) einstimmig innerhalb von drei Monaten ab dem Zeitpunkt, zu dem er mit diesem Vorschlag befaßt worden ist“. Das Regelungskonstrukt des Art. 5 FFH-RL wirft verschiedene Probleme auf. Da das bilaterale Konzertierungsverfahren nur für prioritäre Gebiete vorgesehen ist, bleibt zum einen offen, welche Regelung für Gebiete gilt, in denen hinsichtlich der Qualität und Quantität wichtige - aber nicht prioritäre Lebensräume oder Arten - vorhanden sind, insbesondere ob ein Mitgliedstaat auch verpflichtet werden kann oder ist, solche Gebiete in seine Vorschlagsliste aufzunehmen und schließlich als Gebiet von gemeinschaftlichem Interesse auszuweisen. Desweiteren stellt sich die Frage, ob der Mechanismus des bilateralen Konzertierungsverfahrens mit abschließender einstimmiger Ratsentscheidung die ausschließliche Möglichkeit darstellt, die Schutzgebietsausweisung eines prioritären Gebietes gegenüber einem Mitgliedstaat zu erzwingen. In Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH zur Vogelschutzrichtlinie wäre alternativ auch vorstellbar, daß die Aufnahme von Gebieten in das Schutzgebietssystem "natura 2000" aus der FFH-RL folgt und im Klagewege, insbesondere nach Art. 169 EGV wegen Verletzung der Pflichten aus einer Richtlinie festgestellt werden kann. Schließlich könnte auch die in Art. 5 Abs.3 FFH-RL vorgesehene Ratsentscheidung justiziabel sein und deren Nichtigkeit auf dem Wege der Nichtigkeitsklage nach Art. 173 EGV - ggfs. auch durch Untätigkeitsklage gem. Art. 175 EGV - geltend gemacht werden. Die Beantwortung dieser Fragen muß zunächst zurückgestellt werden, da vorher ein genauerer Blick auf die Regelungen der Vogelschutzrichtlinie zu werfen ist. Ist ein Gebiet als Gebiet von gemeinschaftlichem Interesse in den Listenentwurf der Kommission aufgenommen worden, muß der Mitgliedstaat dieses Gebiet so schnell wie möglich unter Schutz stellen, d.h. als Schutzgebiet ausweisen. Sobald ein Gebiet in den Listenentwurf der Kommission aufgenommen wurde, unterliegt es dem Schutzregime der FFH-RL, unabhängig davon, ob der betroffenen Mitgliedstaat das Gebiet schon formell ausgewiesen hat. Die Ausweisung hat also eher deklaratorischen Charakter. In welcher Form oder mit welcher Bezeichnung das Gebiet ausgewiesen wird, gibt die Richtlinie nicht vor. Das
steht also im Ermessen des Mitgliedstaates. Entscheidend ist, daß das von der Richtlinie vorgeschriebene Schutzniveau eingehalten wird. Nicht explizit geregelt wird durch die Habitatrichtlinie der Schutz des Gebietes zwischen Meldung an die Kommission und Aufnahme in die Liste. In dieser Zwischenzeit könnten der Mitgliedstaat, oder eine Gebietskörperschaft des Mitgliedstaates aber Maßnahmen ergreifen, die zu einer erheblichen Verschlechterung des Gebietes führen. Das könnte soweit gehen, daß die Aufnahme des gemeldeten Gebietes in die Liste obsolet wird, weil die Verschlechterung so erhebliche Auswirkungen hat, daß ein Schutz des Gebietes nicht mehr sinnvoll ist. Man wird aber aus der Loyalitätspflicht des Art.5 EGV eine Vorverlagerung des Schutzes ableiten können, der ein Verbot erheblicher Verschlechterungen während der Zwischenzeit beinhaltet.[6] Art. 5 EGV konstituiert allgemeine Grundpflichten der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaftsorgane. Die Norm auferlegt den Mitgliedstaaten drei Handlungspflichten (Abs. 1) und eine Unterlassungspflicht (Abs. 2). Dabei folgt aus der Existenz dieser besonderen Vorschrift, daß die Vertragserfüllungs- und die Unterlassungspflicht aus Art. 5 EGV nicht lediglich deklaratorischer Natur sind, sondern darüber hinausgehende Pflichten begründen.[7] Nach der Rechtsprechung des EuGH besteht die Unterlassungspflicht der Mitgliedstaaten, keine „Maßnahmen zu ergreifen oder aufrechtzuerhalten, welche die praktische Wirksamkeit des Vertrages beeinträchtigen könnten“.[8] Aus diesen Vorgaben des Gerichtshofs läßt sich hinsichtlich der FFH-RL ableiten, daß mitgliedstaatliche Maßnahmen, die zu einer erheblichen Verschlechterung eines Gebiets führen, welches der Mitgliedstaat bei der Kommission angemeldet hat, mit Art. 5 Abs. 2 EGV nicht im Einklang stehen. Die Unterlassungsverpflichtung des Art. 5 Abs. 2 EGV bezieht sich nämlich nicht ausschließlich auf die im Primärrecht niedergelegten Ziele der Gemeinschaft, sondern verlangt zudem auch die Berücksichtigung zukünftiger Entwicklungen des Gemeinschaftsrechts. Der Gerichtshof hat insoweit ausgeführt, daß die Mitgliedstaaten aufgrund des Art. 5 Abs. 2 EGV nicht nur die uneingeschränkte und einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten haben, sondern auch die Wirksamkeit der zu dessen Vollzug ergangenen oder zu treffenden Maßnahmen nicht beeinträchtigen dürfen.[9] Diese Formulierung verdeutlicht, daß - wenn auch in engen Grenzen, auch zukünftig zu treffende Maßnahmen der Gemeinschaft dem Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 2 EGV nicht entzogen sind.[10] Im Hinblick auf die Frage, ob die Mitgliedstaaten in dem Zeitraum zwischen Meldung eines Gebiets und Aufnahme des Gebiets in die Liste verpflichtet sind, Verschlechterungsmaßnahmen zu unterlassen, lassen sich darüberhinaus Parallelen zur Seefischereientscheidung des EuGH ziehen. In diesem Urteil hat der Gerichtshof - wenn auch für den Bereich der ausschließlichen
Zuständigkeit der Gemeinschaft - festgelegt, daß in einer Situation, in der die Kommission dem Rat Vorschläge unterbreitet hat, die den Ausgangspunkt eines abgestimmten gemeinschaftlichen Vorgehens darstellen, Art. 5 EGV den Mitgliedstaaten - obgleich die Vorschläge vom Rat nicht angenommen worden waren - besondere Handlungs- und Unterlassungspflichten auferlegt.[11] Im vorliegenden Zusammenhang stellt die Meldung eines Gebiets durch die Mitgliedstaaten den Ausgangspunkt eines abgestimmten Vorgehens zwischen den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen dar, welches in Anwendung der Grundsätze der Seefischerentscheidung nicht durch einseitige (Verschlechterungs- )Maßnahmen der Mitgliedstaaten unterlaufen werden darf.[12] Das muß vorliegend sogar erst recht gelten, weil es an einer ablehnenden, das Verfahren unterbrechenden Entscheidung (der Listenvorschläge) eines Gemeinschaftsorgans - anders als die Ablehnung des Rats im Seefischereifall - fehlt. 2. Die Verpflichtung zur Ausweisung von Vogelschutzgebieten Die Vogelschutzrichtlinie (im folgenden Vogelschutz-RL)[13] enthält neben der Verpflichtung, Lebensräume und Flächen für Vögel zu schaffen und zu schützen, besondere artenschutzrechtliche Verbote, die beispielsweise das Fangen und Töten von Vögeln oder die Zerstörung ihrer Brutstätten betreffen. Hinsichtlich der Verpflichtung, besondere Schutzgebiete für Vögel zu schaffen, unterscheidet die Vogelschutz-RL zwischen einem allgemeinen Schutzregime nach Art.3 zur Erhaltung "sämtlicher wildlebender Vogelarten" in der EU (Art.1) und einem strengerem Schutzregime nach Art.4 für besonders schützenswerte, weil z.B. vom Aussterben bedrohte oder sehr seltene Arten. Um die nötige Klarheit zu schaffen, welche Vögel besonders schützenswert sind und deshalb unter das Schutzregime des Art.4 fallen, werden im Anhang I der Richtlinie die Arten, die dem strengeren Schutzregime unterfallen sollen, wiederum enumerativ aufgelistet. Neben den dort genannten Vögeln unterliegen aufgrund der Regelung des Art.4 Abs.2 die regelmäßig auftretenden aber nicht in Anhang I aufgelisteten Zugvögel dem strengen Schutzregime. Da es aber um Schutzgebiete geht, unterliegen die Feuchtwiesen, die den Zugvögeln zum Aufenthalt dienen, dem strengen Schutz des Art.4 Vogelschutz-RL. Der allgemeine Schutz nach Art.3 verlangt, daß die Mitgliedstaaten alle "erforderlichen Maßnahmen" treffen, um eine ausreichende Vielfalt und eine flächenmäßig ausreichende
Größe der Lebensräume europäischer Vogelarten zu erhalten oder herzustellen. Solche von Art.3 der Richtlinie geforderten Maßnahmen können insbesondere die Einrichtung von Schutzgebieten oder die ökologische Gestaltung der Lebensräume der Vögel sein. Der strenge Schutz nach Art.4. verpflichtet die Mitgliedstaaten "insbesondere die für die Erhaltung dieser Arten zahlen- und flächenmäßig geeignetesten Gebiete zu Schutzgebieten" zu erklären. Während also nach Art.3 die Ausweisung eines Schutzgebietes eine mögliche Schutzmaßnahme für Vögel sein kann, verlangt Art.4 I, daß für den Schutz der besonders schützenswerten Vögel geeignete Flächen zwingend zu Schutzgebieten deklariert werden. Dabei bleibt nach dem Wortlaut der Richtlinie den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum bei der Auswahl und Ausweisung der Gebiete. Außerdem werden die Mitgliedstaaten durch Art.4 Abs.4 verpflichtet, innerhalb und außerhalb der Schutzgebiete die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um eine Verschmutzung und Beeinträchtigung der Lebensräume sowie eine Belästigung der Vögel zu vermeiden. 3. Ermessensreduktion bei der Gebietsauswahl in der Rechtsprechung des EuGH Der EuGH hat die die Vogelschutz-RL in einer konsequenten Rechtsprechung sehr naturschutzfreundlich[14] ausgelegt und damit ein strenges Schutzregime erst etabliert. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Leybucht-Entscheidung[15] vom 28.2.1991 und die Santona-Entscheidung[16] vom 2.8.1993. Im letztgenannten Urteil hat der EuGH klargestellt, daß die Gebote der Art.3 und 4 Vogelschutz-RL nicht erst gelten, wenn die Erhaltung wildlebender Vogelarten konkret gefährdet ist; die Pflichten der Richtlinie sind insofern nicht am Ergebnis, Erhalt der Vögelvielfalt, orientiert. Vielmehr werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Lebensräume als solche wegen ihres ökologischen Wertes zu erhalten, zu unterhalten oder herzustellen. Die Pflichten bestehen bevor eine Verringerung des Bestandes oder die Gefahr des Aussterbens bestimmter Arten konkret auftritt[17] Der EuGH unterscheidet das Schutzregime des Art.4 explizit von demjenigen des Art.3, insbesondere gelten dessen Ausnahmen nicht für die durch Art.4 geschützten Vögel bzw. Gebiete. Dieser Auffassung wurde oben bei der Vorstellung der Richtlinie gefolgt. Die Entscheidungsfreiheit der Mitgliedstaaten, Gebiete im Rahmen des Art.4 als Vogelschutzgebiete auszuweisen oder dies zu unterlassen, schränkt der EuGH stark ein. Zwar verfügten die Mitgliedstaaten über einen bestimmten Ermessensspielraum bei der Auswahl
der Schutzgebiete aber die Einstufung der Gebiete müsse nach bestimmten ornithologischen Kriterien erfolgen. Dazu gehörten das Auftreten der unter den Anhang I fallenden Vogelarten einerseits und die Einstufung eines Lebensraumes als Feuchtgebiet für Zugvögel andererseits. Diese Verpflichtung, ornithologische Kriterien bei der Einstufung zu beachten, konkretisierte der EuGH in der Santona-Entscheidung dahingehend, daß Spanien seine Verpflichtung aus Art.4Abs.1und Abs.2 Vogelschutz-RL nicht erfüllt hatte, weil es die Marisma von Santona nicht vollständig und unwiderruflich unter Schutz gestellt hatte. Dabei war unbestritten, daß das Gebiet sowohl Vögel der Liste beheimatet wie als Sumpfgebiet von Zugvögeln genutzt wird[18]. Im Ergebnis entnimmt der EuGH dem Wortlaut der Vorschrift eine Ausweisungspflicht für bestimmte Gebiete. Diese Rechtsauffassung hat der EuGH in der Lappel-Bank Entscheidung[19] bestätigt. In beiden Entscheidungen bleibt aber unklar, wie groß die Bedeutung (Qualität und Quantität) des Gebietes für das Schutzziel der Richtlinie sein muß, um eine Verpflichtung des Mitgliedstaates zur Ausweisung des Gebietes oder jedenfalls eine weitgehende Ermessensreduzierung des Mitgliedstaates anzunehmen. In der Lappel-Bank wie in der Santona-Entschiedung war die besondere Bedeutung der Gebiete für den Vogelschutz - soweit aus den Urteilen ersichtlich - weitgehend unbestritten. In der Lappel-Bank Entscheidung hat der EuGH die Verpflichtung, bestimmte Gebiete als Vogelschutzgebiete auszuweisen, angenommen, obwohl die FFH-RL schon in Kraft war. Das stellt deshalb ein Problem dar, weil gemäß Art.7 FFH-RL die Vogelschutzgebiete dem Schutzregime des Art.6 FFH-RL unterworfen werden. Der EuGH hat in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des Art.7 klargestellt, daß das Schutzregime der FFH-RL nun auch für die Vogelschutzgebiete gilt. Davon sind aber nicht die Kriterien berührt, nach denen ein Gebiet als Vogelschutzgebiet unter Schutz gestellt werden muß. Diese sind weiterhin ausschließlich der Vogelschutz-RL zu entnehmen.[20] Das hat zur Folge, daß die Verpflichtung zur Ausweisung von Vogelschutzgebieten unabhängig von der FFH-RL, insbesondere von den Ausnahmen in deren Schutzregime, erfolgen muß. Von zentraler Bedeutung ist insoweit, daß wirtschaftliche Interessen, die nach der FFH-RL einen Grund für eine Ausnahmegenehmigung darstellen können, bei der Entscheidung über die Ausweisung eines Vogelschutzgebietes nicht berücksichtigt werden dürfen. Dies wird in der Santona- wie in der Lappel-Bank Entscheidung sehr deutlich.
Schon in der Leybucht-Entscheidung[21] hat der EuGH unmißverständlich festgestellt, daß die Verpflichtung zur Ausweisung eines Gebietes als Vogelschutzgebiet nicht aufgrund einer Abwägung mit wirtschaftlichen Interessen beseitigt werden kann. Im Rahmen der Verpflichtung aus Art.4 könnten insbesondere "wirtschaftliche und freizeitbedingte Interessen" keine Abweichung von der Schutzverpflichtung der Richtlinie begründen. Ausnahmen von der Schutzpflicht des Art.4 seien nur erlaubt, wenn "höhere allgemeine Interessen" den ökologischen Zielen der Richtlinie entgegenstehen. Als solche höheren Interessen kämen nur der Schutz von Leben und Gesundheit von Menschen und eine Verbesserung der ökologischen Bilanz in Betracht.[22] An diese Ausführungen knüpft der EuGH in der Santona-Entscheidung ausdrücklich an. Das Gericht bleibt bei seiner Auffassung, daß wirtschaftliche Interessen bei der Entscheidung über die Schutzgebietsausweisung nicht berücksichtigt werden dürfen.[23] In der Lappel-Bank Entscheidung führt der EuGH aus: Art.3 Vogelschutz-RL begründe gegenüber Art.4 eine eigenständige Schutzvorschrift. Beide Vorschriften seien unabhängig voneinander. Deshalb könne die (über einen Verweis auf Art.2) nach Art.3 zulässige Abwägung mit wirtschaftlichen Interessen und Interessen der Erholung bei der Ausweisung eines Schutzgebietes nach Art.4 nicht berücksichtigt werden. Unmißverständlich erklärt der EuGH, daß ein Mitgliedstaat nicht berechtigt sei, die in Art.2 Vogelschutz-RL genannten wirtschaftlichen Erfordernisse bei der Auswahl und Abgrenzung eines besonderen Schutzgebietes gemäß Art.4Abs.1und Abs.2 der Richtlinie zu berücksichtigen. Wirtschaftliche Erfordernisse könnten auch nicht als Gründe des Gemeinwohls angesehen werden, die Vorrang vor den mit der Richtlinie verfolgten Umweltbelangen haben, womit an die Formulierung der Leybucht-Entscheidung angeknüpft wird. Dann bleibt es dabei, daß sie bei der Auswahl und Abgrenzung eines Vogelschutzgebietes nicht berücksichtigt werden dürfen.[24] Der EuGH hatte sich in der Lappel-Bank Entscheidung außerdem mit Frage auseinander zu setzen, ob die Ausnahmen vom Schutzregime der Habitat-Richtlinie bei der Auswahl eines Vogelschutzgebietes berücksichtigt werden dürfen. Diese Frage stellt sich aufgrund des Verweises in Art.7 FFH-RL. Zu den Ausnahmegründen vom Schutzregime der FFH-RL gehören auch wirtschaftliche und soziale Interessen. Der EuGH unterscheidet jedoch konsequent, die Verpflichtung zur Ausweisung eines Gebiets einerseits und dessen Schutzregime, bzw. Gründe für mögliche Ausnahmen von den Schutzvorschriften andererseits. Die Ausnahmegründe gelten erst für das schon deklarierte Vogelschutzgebiet
und können bei der Auswahl und Grenzbestimmung noch nicht berücksichtigt werden. Das begründet der EuGH überzeugend damit, daß die Ausnahmen vom Schutzregime nach der FFH-RL nur in einem komplizierten Verfahren zugelassen werden dürfen. der Gerichtshof hat somit einen gewissen Verfahrensschutz etabliert. Die materiellen Gründe, die nach dem Verfahren zu Beschränkungen des Schutzes führen können, dürfen demnach bei der Auswahl des Gebietes nicht „vorweggenommen“ werden. Für die Anfangsphase der Klassifizierung eines Schutzgebiets als besonderes Schutzgebiet nach Art.4Abs.1und Abs.2 Vogelschutz-RL, führt der EuGH aus, habe die Vorschrift der FFH-RL keine Änderung eingeführt. Folglich habe die Klassifizierung von Gebieten als besondere Schutzgebiete auch im Geltungsbereich der Habitatrichtlinie in jedem Fall anhand der Kriterien zu erfolgen, die nach Art.4Abs.1und Abs.2 Vogelschutz-RL gelten.[25] 4. Das Schutzregime der Habitat-Richtlinie Die Mitgliedstaaten werden durch Art.6 FFH-RL zunächst verpflichtet, positiv alle notwendigen Erhaltungsmaßnahme für ein Schutzgebiet des Natura 2000-Netzes zu treffen und negativ jede Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und Habitate der Arten sowie Störungen der geschützten Arten zu vermeiden. Die Richtlinie statuiert also ein umfassendes Verschlechterungsverbot. Wie zumeist bei radikalen Geboten gibt aber es eine Reihe von Ausnahmen. Dabei unterscheidet die Richtlinie zwischen prioritären und den anderen Gebieten. Allgemein gilt: Pläne und Projekte, die ein Natura 2000 Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten, bedürfen vor ihrer Genehmigung oder Verabschiedung einer Verträglichkeitsprüfung. Sie müssen auf ihre Verträglichkeit mit dem Erhaltungsziel des Gebietes geprüft werden. Ergibt die Verträglichkeitsprüfung keine Beeinträchtigung des Gebietes, können die zuständigen Behörden nach Anhörung der Öffentlichkeit dem Plan oder dem Projekt zustimmen. Sind Beeinträchtigungen zu erwarten, kann der Plan oder das Projekt nur aus "zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses" genehmigt werden. Zu diesen zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses gehören bei nicht-prioritären Gebieten auch soziale und wirtschaftliche Interessen. Diese Interessen müssen die Interessen des Naturschutzes überwiegen, sie müssen in einen Abwägungsprozess einbezogen werden. Kommt man dabei zu dem Ergebnis, daß die zwingenden Gründe des öffentlichen Interesses
überwiegen, ist vor der Genehmigung eine Prüfung von Alternativlösungen vorgeschrieben. Wenn aus der Sicht des Naturschutzes günstigere Alternativlösungen nicht vorhanden sind, ist die Genehmigung mit Ausgleichsmaßnahmen zu verbinden. Über diese Ausgleichsmaßnahmen ist die Kommission zu informieren.[26] 5. Schutz der prioritären Gebiete Bei prioritären Gebieten werden die "zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses" durch Art.6 Abs.4 Unterabs.2 eingeschränkt. Hier können als Gründe, die eine Beeinträchtigung rechtfertigen, nur die Gesundheit der Menschen, die öffentliche Sicherheit oder positive Auswirkungen auf die Umwelt geltend gemacht werden. Andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses dürfen erst nach einer Stellungnahme der Kommission geltend gemacht werden. Diese Bestimmung in Art.6 Abs.4 Unterabs.2 ist in ihrer Verfahrensdimension eindeutig. Während die Naturschutzbelange bei nicht-prioritären Natura-2000 Gebieten durch interne Entscheidungsfindung des Mitgliedstaates "weggewogen" werden können, bedarf die Entscheidungsfindung im Falle von prioritären Gebieten einer externen Mitwirkung, nämlich einer Stellungnahme der Kommission, wenn "andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses" geltend gemacht werden. Hier wird keine Zustimmung, sondern nur eine Stellungnahme[27] der Kommission gefordert. Trotzdem wird eine Hürde in das Verfahren eingebaut, die erstens die zeitliche Ebene (Verzögerung), zweitens die politische Ebene (politisches Gewicht der Stellungnahme) und drittens die Kontrollebene betrifft. Die Kommission kann ihre Kontrollfunktion bei Informationspflichten des Mitgliedstaates besser wahrnehmen. Nicht eindeutig ist nach dem Wortlaut der Richtlinie, ob im Rahmen des Art.6 Abs.4 Unterabs.2 wirtschaftliche und soziale Interessen als zwingende Gründe des überwiegenden öffentliches Interesses in die Abwägung eingestellt werden dürfen. Es gibt nach dem Wortlaut ebensowenig einen ausreichenden Anhaltspunkt für einen Umkehrschluß zu Art.6 Abs.4 Unterabs.1, der die wirtschaftlichen und sozialen Interessen ausdrücklich zu den öffentlichen Interessen zählt, wie für einen Analogieschluß. Eine allgemeine Begriffsdeduktion hilft nicht weiter, weil der Vorschrift offensichtlich ein spezielles Begriffsverständnis zugrunde liegt.[28]
Ein Anhaltspunkt für die Auslegung findet sich aber in Art.16 Abs.1 Nr.c) FFH-RL. Danach darf von den Artenschutzvorschriften nur abgewichen werden im Interesse der Volksgesundheit, der öffentlichen Sicherheit, bei positiven Folgen für die Umwelt oder aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art. Hier finden sich die gleichen Ausnahmegründe wie in Art.6 für prioritäre Arten. Allerdings wird ausdrücklich erklärt, daß auch wirtschaftliche und soziale Gründe als zwingende Gründe in Betracht kommen. Das läßt die Auslegung zu, daß wirtschaftliche und soziale Interessen nur dann als öffentliche Interessen geltend gemacht werden können, wenn dies der Normtext ausdrücklich zuläßt. Da das bei den Abwägungsgründen in Art.6 Abs.4 Unterabs.2 nicht der Fall ist, dürfen die wirtschaftlichen und sozialen Interessen nicht in die Abwägung eingestellt werden. Diese Auslegung läßt sich durch die Santona- und Leybucht-Entscheidung erhärten. Wie oben dargelegt, hat es der EuGH in diesen Entscheidungen abgelehnt, wirtschaftliche und soziale Interessen als höhere Interessen des Allgemeinwohls bei der Entscheidung über Schutzgebietsausweisungen i.R.d. Vogelschutz-RL zu berücksichtigen. Wirtschaftliche Interessen, hatte der EuGH in der Santona-Entscheidung außerdem ausgeführt, könnten weder im Rahmen des Art.4Abs.1und Abs.2, also bei der Auswahl und Grenzbestimmung des Gebietes, noch im Rahmen des Art.4 Abs.4, also bei der Beurteilung der getroffenen Schutzmaßnahmen, berücksichtigt werden. Bei der Beurteilung der Schutzmaßnahmen schränkte der EuGH den Ermessensspielraum des Mitgliedstaates noch weiter ein als bei der Auswahl des Gebietes. Bei der Auswahl der Gebiete verfüge der Mitgliedstaat zwar über einen gewissen Ermessensspielraum doch stehe ihm dieser Ermessensspielraum im Rahmen von Art.4 Abs.4 Vogelschutz-RL nicht mehr zu. Es bestehe kein Ermessensspielraum, die Fläche des Gebietes zu verringern oder zu verändern. Wenn bei der Auswahl des Gebietes wirtschaftliche Interessen nicht in die Abwägung einbezogen werden dürfen, könne dies bei der Beeinträchtigung des Gebietes, für die ein verringerter Ermessensspielraum bestehe, erst recht nicht gelten.[29] Wirtschaftliche und soziale Interessen sind danach keine Gesichtspunkte, die als höhere Interessen die Schutzvorschriften in Vogelschutzgebieten „wegwägen“ könnten. Diese Auslegung läßt sich zwanglos auf das Schutzregime der FFH-RL-Vorschriften übertragen. Als Gründe des öffentlichen Interesses können wirtschaftliche und soziale Gesichtspunkte den grundsätzlichen Schutz der FFH-RL nur dann überwinden, wenn die Richtlinie das ausdrücklich vorschreibt.[30]
Im Hinblick auf den Ausschluß wirtschaftlicher Gründe läßt sich begrifflich auch an die Rechtsprechung des Gerichtshofs anknüpfen, der im Kontext der Beschränkung der Grundfreiheiten einer Rechtfertigung lediglich aufgrund legitimer Allgemein(wohl)interessen anerkennt und wirtschaftliche Gesichtspunkte insoweit nicht als Allgemein(wohl)interessen („zwingende Erfordernisse“ i.S. der Cassis - Rechtsprechung - akzeptiert).[31] Die Rechtfertigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten aufgrund wirtschaftlicher Gesichtspunkte hat der Gerichtshof lediglich insoweit anerkannt, als mit anderen Schutzgütern zusammenfielen, die als im Allgemeininteresse liegend zu qualifizieren sind.[32] An diese Differenzierung zwischen Allgemeininteressen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten läßt sich im Hinblick auf den Begriff des öffentlichen Interesses einerseits und der wirtschaftlichen andererseits in der FFH-RL anknüpfen. Öffentliche Interessen im Sinne der Richtlinie sind wie die Allgemein(wohl)interessen im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs Interessen, die jedenfalls eine Rechtfertigung aufgrund wirtschaftlicher Gesichtspunkte ausschließen. Gegen diese Gleichsetzung von Allgemein(wohl)interesse und öffentlichem Interesse läßt sich auch nicht einwenden, daß die Begrifflichkeiten nicht vollständig identisch sind. Anders als in der deutschen Fassung der FFH-RL und der deutschen Terminologie des Gerichtshofs sind die jeweiligen Begrifflichkeiten bspw. in der englischen Fassung identisch. So heißt es in Art.6Abs.1FFH- RL „overriding public interest“ und der Gerichtshof verlangt zur Einschränkung der Grundfreiheiten „an imperative reason of public interest“[33]. Zudem läßt sich öffentliches Interesse nur unter Heranziehung der Interessen der Allgemeinheit, des allgemeinen Wohls definieren. Das schließt es selbstverständlich nicht aus, daß auch wirtschaftspolitische Zielvorstellungen im Interesse des Allgemeinwohls liegen können. Sie werden allerdings häufig lediglich im lang- oder mittelfristigen Allgemeinwohlinteresse liegen, während sie kurzfristig und unmittelbar nur im Interesse einzelner (Unternehmen) liegen. Nur wenn sich wirtschaftliche Zielvorstellungen unmittelbar in einem sonstigen Allgemeinwohlinteresse realisieren, kann die Beeinträchtigung eines durch die FFH-RL geschützten Gebiets gerechtfertigt werden, allerdings nicht unter Bezugnahme auf die wirtschaftlichen Gründe, sondern nur unter Heranziehung der sonstigen Allgemein(wohl)interessen. Auch die unterschiedlichen Intentionen, die der Beseitigung der Beschränkungen der Grundfreiheiten (Binnenmarktintegration) einerseits und der FFH-RL andererseits zugrunde liegen, schließen es nicht aus, die Allgemein(wohl)interessen im Hinblick auf die Grundfreiheiten und die öffentlichen Interessen im Hinblick auf die FFH-RL gleichmäßig auszulegen. Während es in der ratio der Binnenmarktintegration liegt, wirtschaftliche Gründe
als Rechtfertigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten auszuschließen, weil andernfalls Schutzmaßnahmen möglich wären, die mit der Zielsetzung der Binnenmarktintegration (Öffnung der Märkte und die Herstellung unverfälschten Wettbewerbs) unvereinbar wären, läßt sich eine solche Antinomie mit Blick auf die naturschutzrechtlichen Intentionen der FFH- RL zwar nicht ziehen. Die ambitionierten Ziele der FFH-RL, verstärkt durch das in Art. 130 r Abs. 2 Satz 1 EGV angestrebte hohe umweltrechtliche Schutzniveau, würden nämlich unterlaufen, wenn sogar Eingriffe in prioritäre Gebiete am Maßstab wirtschaftlicher Interessen gewogen werden dürften. Andernfalls bestünde wegen eines den Mitgliedstaaten bei der Abwägung einzuräumenden weiten Entscheidungsspielraums[34] - insbesondere im Bereich wirtschaftspolitischer Entscheidungen - die Gefahr, daß die naturschutzrechtlichen Belange hinter den wirtschaftspolitischen Zielsetzungen der Mitgliedstaaten in nahezu jedem Einzelfall zurückstehen müssen. Der Gerichtshof räumt sich bei der Überprüfung ökonomisch-politischer Entscheidungen nämlich nur eine eingeschränkte Kontrollbefugnis im Sinne einer Offensichtlichkeits- und Willkürkontrolle ein.[35] Die Einstellung wirtschaftlicher Gesichtspunkte in den Abwägungsprozeß im Kontext der FFH-RL würde die primär zuständigen Mitgliedstaaten folglich mit einer weitgehend kontrollfesten Einschätzungsprärogative ausstatten. Der Schutz der prioritären Gebiete wäre dieser Argumentation zufolge in doppelter Hinsicht ein besonderer: Wirtschaftliche und soziale Gesichtspunkte dürfen bei einer Ausnahmegenehmigung für Pläne und Projekte nicht in die Abwägung eingestellt werden. Bei den anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses wäre die Stellungnahme der Kommission erforderlich. 6. Prioritäre Gebiete nach der Lappel-Bank Entscheidung In der Lappel-Bank Entscheidung stellte sich das Problem, daß das Schutzregime der FFH-RL an die Stelle der Schutzvorschriften der Vogelschutzgebiete treten soll. Gemäß Art.7 FFH-RL gelten die Schutzvorschriften des Art.6 Abs.2-4 FFH-RL auch für Vogelschutzgebiete. Das Mißliche ist bei dieser Verweisung, daß Art.6 Abs.4 sowohl das Schutzregime für prioritäre wie für nicht-prioritäre Gebiete enthält. Es stellt sich damit die Frage, ob Vogelschutzgebiete als prioritäre Gebiete oder als nicht-prioritäre Gebiete zu behandeln sind. Hinsichtlich der Ausweisungspflicht ist der EuGH - wie gesehen - bei seiner bisherigen Auslegung der Vogelschutz-RL geblieben. Hinsichtlich des Schutzregime hat der EuGH in
einem obiter dictum seine dargestellte strenge Auslegung der öffentlichen Interessen aber modifiziert. Er vertritt dort die Auffassung, daß Art.4 Abs.4 Vogelschutz-RL durch Art.6 FFH-RL dahingehend geändert wurde, daß ein Verfahren eingeführt wurde, das es den Mitgliedstaat aus zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses erlaubt, einen Plan oder ein Projekt zu genehmigen, das das Schutzgebiet beeinträchtigt. Das führe - wie gesehen - zu keiner Veränderung in der Phase der Auswahl und Klassifizierung der Vogelschutzgebiete. Das schließe jedoch nicht aus, daß wirtschaftliche Erfordernisse anschießend, in einer zweiten Phase der Genehmigung von nachteiligen Eingriffen, im Rahmen des dargestellten Verfahrens nach der FFH-RL berücksichtigt werden können. Wörtlich formuliert der EuGH: "Die wirtschaftlichen Erfordernisse können in dieser Phase (der Gebietsausweisung) keine Berücksichtigung als zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses finden, was jedoch, wie die Kommission zu Recht ausgeführt hat, nicht ausschließt, daß sie danach im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 6 Absätze 3 und 4 der Habitatrichtlinie berücksichtigt werden können.".[36] Der EuGH sieht, so muß man dieses obiter dictum wohl interpretieren, die Belange des Vogelschutzes durch das Verfahren nach Art.6 FFH-RL ausreichend geschützt, so daß in diesem Rahmen wirtschaftliche Interessen als zwingende Gründe des öffentlichen Interesses angeführt werden dürfen. Der EuGH ist wohl der Auffassung, daß der Verweis in Art.7 FFH- RL eine gesetzgeberische Korrektur des strengen Schutzregimes bedeutet, das er selbst für Vogelschutzgebiete nach Art.4Abs.1Und Abs.2 Vogelschutz-RL etablierte.[37] Aus diesem obiter dictum ergibt sich erstens, daß wirtschaftliche und soziale Interessen in die Abwägung bei Beeinträchtigungen von Vogelschutzgebieten eingestellt werden können. Zweitens umfassen die zwingenden Gründe des öffentlichen Interesses in Art.6 Abs.4 Unterabs.2 FFH-RL auch wirtschaftliche und soziale Interessen, d.h. die öffentlichen Interessen werden in beiden Unterabsätzen von Art.6 analog ausgelegt. Daraus folgt, daß wirtschaftliche und soziale Interessen auch in die Abwägung eingestellt werden können, wenn es um Beeinträchtigungen der prioritären Gebiete geht. Die prioritären Gebiete unterscheiden sich dann von den nicht-prioritären Gebieten hinsichtlich der Eingriffsbefugnis nur noch durch die zusätzliche Verfahrenshürde, die durch das Erfordernis einer Stellungnahme der Kommission geschaffen wurde. Aus der Sicht verfahrensrechtlich orientierter Rechtstraditionen mag diese Auslegung des Art.6 FFH-RL überzeugend sein. Die Vorschrift statuiert einen umfangreichen
Verfahrensschutz, der gegenüber starren materiellrechtlichen Vorgaben den Vorteil der Flexibilität hat und die Möglichkeit schafft, regionale Besonderheiten zu berücksichtigen. Aus der Sicht der deutschen eher materiell-rechtlich orientierten deutschen Rechtsfindung bedeutet diese Wendung des EuGH allerdings in letzter Konsequenz eine Verschlechterung des Schutzes von Natura-2000-Gebieten und daraus folgend der Vogelschutzgebiete. Das gilt besonders angesichts der aktuellen Tendenz der deutschen Rechtsetzung Verfahrensschutz in Form von Beteiligungsrechten abzubauen und wirtschaftliche Interessen in der Abwägung stärker zu berücksichtigen.[38] Unabhängig von solchen nationalen Besonderheiten vermag die (beiläufig geäußerte) Auslegung des EuGH angesichts der oben dargelegten systematischen Auslegung der öffentlichen Interessen innerhalb der FFH-RL nicht zu überzeugen. Dem Sinn und Zweck der Unterscheidung von nicht-prioritären und prioritären Arten in der Richtlinie scheint diese Auslegung, die zu einer Nivellierung des materiellen Schutzniveaus für beide führt, ebenfalls zu widersprechen. Ob der EuGH die in dem obiter dictum vertretene Auffassung weiter verfolgt, muß angesichts dieser Schwierigkeiten weiterhin als nicht abschließend geklärt behandelt werden. 7. Schutz der Vogelschutzgebiete nach der Habitatrichtlinie Für das Schutzregime der Vogelschutzgebiete reduziert sich, wenn man das obiter dictum des EuGH weiter denkt, das Problem, ob diese Gebiete als prioritär oder als nicht-prioritäre Gebiete behandelt werden, auf die Frage, ob bei beeinträchtigenden Maßnahmen eine Stellungnahme der Kommission erforderlich ist oder nicht. Die Kommission hält eine Stellungnahme mindestens dann für erforderlich, wenn ein Vogelschutzgebietes beeinträchtigt werden soll, in dem prioritäre Arten oder Lebensraumtypen i.S.d. Habitatrichtlinie vorkommen. So begründete sie ihre Stellungnahme zum geplanten Ostsee-Autobahnbau, der durch ein Vogelschutzgebiet im Tal zwischen Trebel und Recknitz führt, damit, daß dort prioritäre Lebensraumtypen vorhanden seien.[39] Daraus könnte man schließen, daß sie eine Stellungnahme nicht für erforderlich hielte, wenn "nur" Vögel betroffen wären; m.a.W., daß eine Stellunganahme nur dann erforderlich ist, wenn in einem Vogelschutzgebiet außerdem prioritäre Lebenraumtypen oder Arten zu finden sind.[40]
Ob der EuGH dieser Auffassung folgen wird, scheint höchst fraglich. Nachdem er in der Santona-Entscheidung zu der Auffassung kam, der Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bei der Beeinträchtigung eines Vogelschutzgebietes sei kleiner als bei der Ausweisung eines Gebietes, weshalb wirtschaftliche und soziale Interessen eine Beeinträchtigung nicht rechtfertigen könnten, ist zu hoffen, daß er nun den - nach dem obiter dictum - übrig gebliebenen Verfahrensschutz für Vogelschutzgebiete nicht beschneidet. Anders ausgedrückt: wenn der EuGH seine Auffassung, die er in der Lappel-Bank-Entscheidung formulierte, weiter verfolgt, dürfen nun wirtschaftliche Interessen bei der Beeinträchtigung von Vogelschutzgebieten in die Abwägung eingestellt werden. Dann ist aber nicht zu erwarten, daß er die Etablierung eines strengen Schutzregimes in der Leybucht- und Santona- Entscheidung nun vollständig umkehrt und die "kleine Hürde", Stellungnahme der Kommission, als Verfahrensschutz auch noch abbaut und die Vogelschutzgebiete als nichtprioritäre Gebiete i.S.d. FFH-RL behandelt. Die Stellungnahme der Kommission zur Ostseeautobahn muß aber nicht im obigen Sinne interpretiert werden. Weil prioritäre Lebensraumtypen betroffen waren, mußte nicht entschieden werden, ob auch bei Beeinträchtigungen von Vogelschutzgebieten, in denen keine prioritären Arten oder Lebensraumtypen der FFH-RL-Anhänge vorkommen, eine Stellungnahme der Kommission erforderlich wäre. Die Frage muß auch nach dieser Stellungnahme als offen behandelt werden. 8. Nochmals zur Auswahlpflicht der natura 2000 Gebiete Es wurde oben die Frage aufgeworfen,ob der Mechanismus des bilateralen Konzertierungsverfahrens mit abschließender einstimmiger Ratsentscheidung die ausschließliche Möglichkeit darstellt, die Schutzgebietsausweisung eines prioritären Gebietes gegenüber einem Mitgliedstaat zu erzwingen. In Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH zur Vogelschutz-RL wäre alternativ auch vorstellbar, daß die Pflicht zur Aufnahme von Gebieten in das Schutzgebietssystem "natura 2000" aus der FFH-RL folgt und im Klagewege nach Art. 169 EGV, Art.170 oder Art.177 wegen Verletzung der Pflichten aus einer Richtlinie festgestellt werden kann. Die Beantwortung dieser Frage bereitet vor allem deshalb Schwierigkeiten, weil Art.4 FFH-RL einerseits unmißverständlich die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Erstellung einer Liste von möglichen Schutzgebieten nach detailliert festgelegten naturwissenschaftlichen Kriterien festschreibt, andererseits aber die Art. 5 Abs.2, Abs.3 FFH-RL bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedstaat und Kommission das
erwähnte bilaterale Konzertierungsverfahren - ggfs. mit abschließender Einscheidung des Rates - vorsehen. Eine Gesamtschau der genannten Bestimmungen der Richtlinie läßt mehrere denkbare Lösungen zu, die aber alle auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten stoßen. 1. Lösung: Denkbar ist, daß Art.4 FFH-RL konkrete Pflichten der Mitgliedstaaten normiert, bestimmte Gebiete in ihre nationale Vorschlagsliste aufzunehmen. Dafür spricht, daß die Vorschriften mindestens ebenso präzise und eindeutig sind, wie die Normen der Vogelschutz- RL, die der EuGH - wie dargestellt - als konkrete Pflichten verstanden hat. Das bilaterale Konzertierungsverfahren und das Entscheidungsrecht des Rates nach Art.5 FFH-RL können als ausschließliches Verfahren verstanden werden, in dem die Pflichten aus Art.4 FFH-RL gegenüber den Mitgliedstaaten durchgesetzt werden können. Eine Klage vor dem EuGH wäre dadurch ausgeschlossen. Das hieße aber, die Klagebefugnisse aus dem EGV werden durch Art.5 FFH-RL modifiziert, weder die Kommission noch ein anderer Mitgliedstaat oder ein Gericht des betroffenen Mitgliedstaates können den EuGH anrufen, um die Verletzung der Pflicht aus Art.4 FFH-RL feststellen zu lassen. Durch untervertragliche Rechtsnormen können die Bestimmungen des EGV, konkret Art.169, 170, 177 aber nicht verdrängt oder faktisch suspendiert werden. Klagebefugnisse oder Vorlagepflichten und -rechte aus dem EGV können nicht durch eine Richtlinie geändert werden. Die Konstruktion scheidet deshalb als rechtlich unzulässig aus. 2. Lösung: Als zweite denkbare Alternative kommt deshalb in Betracht, daß Art.4 FFH-RL keine selbständigen Pflichten enthält, bestimmte Gebiete für „Natura 2000“ vorzuschlagen. Die Pflicht eines Mitgliedstaates, ein Gebiet in die nationale Vorschlagsliste aufzunehmen, würde vielmehr erst durch eine (einstimmige) Ratsentscheidung begründet. Der Rat stellte die Pflichten nicht fest, sondern würde sie durch seine Entscheidung erst schaffen.Nach dieser Konzeption existierten zwar die genannten Klagemöglichkeiten wegen Verletzung von Art.4 FFH-RL - d.h. die Rechte aus dem EGV würden nicht angetastet - die Klage hätte aber keine Erfolgsaussichten, weil Art.4 FFH-RL keine Pflichten zur Ausweisung bestimmter Gebiete statuierte. Genauer: es könnte zwar die Pflicht eingeklagt werden, überhaupt eine nationale Vorschlagsliste bei der Kommission einzureichen. Es gäbe aber keinerlei Pflichten und damit keinerlei Kontrollmöglichkeiten hinsichtlich der Gebiete, die ein Mitgliedstaat für Natura 2000 vorschlägt. Eine solche Pflicht kann erst durch einstimmigen Beschluß des Rates geschaffen werden. Diese Konstruktion ist zwar nicht von vornherein rechtswidrig, wirft aber doch einige Probleme auf:
(1) Obwohl die Formulierungen in Art.4 FFH-RL eindeutige Handlungsanweisungen enthalten, wäre die Vorschrift weitgehend unverbindlich. Trotz ähnlicher Formulierungen und gleicher Systematik enthielte die Vogelschutz-RL verbindliche Pflichten mit einer weitgehenden Ermessensreduzierung der Mitgliedstaaten bei der Gebietsauswahl. Die FFH- RL enthielte nur „Handlungsvorschläge“. (2) Das bilaterale Konzertierungsverfahren und das angenommene Letztentscheidungsrecht des Rates sind stumpfe Schwerter, auch wenn es darum geht, die Aufnahme eines Gebietes mit prioritären Arten oder Lebensraumtypen in die nationale Vorschlagsliste zu erzwingen. Da der Beschluß des Rates einstimmig erfolgen muß, liegt die letzte Entscheidung bei dem Mitgliedstaat, der zur Ausweisung eines Gebietes veranlaßt werden soll. Es bleibt nur die Kunst der Überzeugung, die angesichts des vorangegangenen Konzertierungsverfahrens kaum fruchten wird, oder der „politische Kuhhandel“. Gegen diese Kritik läßt sich auch nicht einwenden, daß sie lediglich rechtspolitischer Natur sei, ihr mithin für die Auslegung der Richtlinie keinerlei Bedeutung bezumessen sei, da es möglicherweise gerade beabsichtigt war, daß Schwert stumpf zu schmieden, um dem Naturschutz keine starke Stellung zu verschaffen. Zu Ende gedacht ist die Konstruktion nämlich nicht nur rechtspolitisch fragwürdig, sondern hinsichtlich der Gesamtkonzeption der FFH-RL geradezu widersinnig. Es bleibt die Frage, welchen Zweck die feinsinnig differenzierten Vorschriften der Richtlinie haben, wenn den Mitgliedstaaten daraus letztlich keine durchsetzbaren Pflichten erwachsen. (3) Folgt man der These, wonach der FFH-RL bereits im Hinblick auf die Ausweisung prioritären Gebiete - vorbehaltlich einer Ratsentscheidung - jede Verbindlichkeit fehlt, müßte dies wohl erst recht für die übrigen schützenswerten Arten gelten. Während die Pflicht, Gebiete mit prioritären Lebensraumtypen und Arten auszuweisen, immerhin noch vom Rat statuiert werden könnte, wäre die Zusammenstellung der übrigen schützenswerten Arten in den Anhängen rechtlich bedeutungslos, da keine Pflicht der Mitgliedstaaten bestünde, nach diesen Kriterien auszuwählen. Der Sinn großer Teile der Richtlinie läßt sich mit dieser Konstruktion schwerlich erklären. (4) Schließlich stellt sich die Frage nach dem Rechtscharakter der Ratsentscheidung. Ist der Rat in seiner Entscheidung völlig frei oder durch die Vorschriften der FFH-RL gebunden. 3. Lösung: Die gegen die 2. Lösung vorgebrachten Argumente beruhten auf der Annahme, daß auch der Rat bei einer Entscheidung nach Art. 5 Abs.3 FFH-RL nicht durch die Vorschriften der FFH-RL gebunden ist, also völlig frei über die Ausweisungspflicht
entscheiden kann. Damit ist die Frage nach dem Rechtscharakter der Ratsentscheidung und einer etwaigen Bindung des Rates bei der Entscheidungsfindung aufgeworfen. Das Verhältnis von Art.4 zu Art.5 FFH-RL könnte so verstanden werden, daß der Rat zwar die Pflichten aus der Richtlinie erst konstituiert, seine Entscheidung aber nicht völlig frei, sondern - in bestimmtem Umfang - gebunden, d.h. durch die Vorschriften der Richtlinie vorstrukturiert wäre. Plastischer formuliert lautet die Frage: Darf der Rat bzgl. eines nach allen wissenschaftlichen Erkenntnissen prioritären Gebiets den Vorschlag der Kommission ablehnen bzw. umgekehrt bei einem Gebiet, das nach validen wissenschaftlichen Erkenntnissen kein prioritäres Gebiet darstellt, dem Vorschlag der Kommission zustimmen. Lehnt man die völlige Freiheit der Ratsentscheidung ab, würde diese Konzeption die zur 2. Lösung geäußerten Bedenken - im Hinblick auf die fehlenden Rechtspflichten - ausräumen. Es folgten jedenfalls hinsichtlich der Gebiete mit prioritären Arten und Lebensraumtypen konkrete Pflichten aus der Richtlinie, die sich in der Gebundenheit der Ratsentscheidung realisierten. (1) Die Pflichten hinsichtlich der übrigen schützenswerten Arten und Lebensraumtypen bleiben hinsichtlich ihrer Durchsetzbarkeit allerdings weiterhin im Dunkeln. (2) Hinsichtlich dieser Konzeption fragt sich wieter, welche Bindungen (Ermessensreduzierungen) der Rat bei seiner Entscheidungsfindung zu beachten hat. Die Aufgabe des Rates kann sich kaum darin erschöpfen, die sich aus Art. 4 der FFH-RL ergebenden Ausweisungsverpflichtungen der Mitgliedstaaten zu ermitteln und dementsprechend zu entscheiden. In einem solchen Verständnis wäre die Ratsentscheidung eine vollständig gebundene Exekutiventscheidung, die ausschließlich zu ermitteln hätte, ob sich der Entscheidungsspielraum des Mitgliedsstaaates in concreto auf Null reduziert hat und demzufolge eine Pflicht zur Ausweisung besteht. Eine solche buchstäblich exekutive Funktion des Rates ohne jeglichen Entscheidungsspielraum wird der gemeinschaftsrechtlichen Konzeption des Rates als Organ mit zumindest gewissem (politischen) Entscheidungsspielraum nicht gerecht.[41] (3) Der Unterschied zwischen einer konstitutiven Feststellung von existierenden Pflichten und einer Feststellung der Existenz von Pflichten ist nur ein graduell begrifflicher. Sobald der Rat rechtlich bestehende Pflichten mit Letztentscheidungskompetenz feststellen soll, handelt man sich die Probleme ein, die bezüglich der 1.Lösung erörtert wurden. Anders ausgedrückt: die Konstruktion einer konstitutiven aber gebundenen oder vorstrukturierten Entscheidung legt
Sie können auch lesen