Bildung 2020 Forderungen der bayerischen Industrie- und Handelskammern an die Landespolitik - IHK München
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Bildung 2020 Forderungen der bayerischen Industrie- und Handelskammern an die Landespolitik Industrie- und Handelskammern in Bayern
Inhalt Inhalt Seite Bayern – Bildung macht stark 3 Kinderkrippen und Kindergärten 4 Allgemeinbildende Schulen 5 Berufsschulen 2020 7 Weiterbildung 2020 9 Hochschulen 2020 10 Impressum 11 2
Bildung macht stark Bayern – Bildung macht stark Bayern ist eines der wirtschaftlich stärksten Bundesländer. Die Landespolitik hat dem Thema Bildung mehr Gewicht Um diese Stärke trotz einer alternden Bevölkerung und ab- eingeräumt. Die eingeleiteten Umstrukturierungen sind ein nehmender Jahrgangskohorten bei Kindern und Jugendlichen guter Anfang. Um zukunftsfähig zu bleiben, brauchen zu bewahren und auszubauen, braucht Bayern ein exzellentes wir mehr als Qualitätsstandards, Ganztagsschulen oder Bildungswesen. Es geht darum, alle Talente optimal zu entwi- verkürzte Studiendauern. Wir benötigen auch regelmäßige ckeln und die vorhandenen Potenziale auszuschöpfen. Kein Leistungsvergleiche über die Ländergrenzen hinaus. Es gibt in Jugendlicher darf verloren gehen oder aufgegeben werden. Bayern viele Initiativen und Projekte zur Verbesserung der Die sich deutlich abzeichnende Lücke an Fachleuten auf dem Bildungsqualität. Was fehlt ist eine Evaluierung der Ergebnisse Arbeitsmarkt lässt sich nicht mehr vermeiden, aber durch und die Überführung erprobter und erfolgreicher Ansätze in gezielt und strategisch getätigte Bildungsinvestitionen doch den Bildungsalltag in den Schulen und Universitäten. Bildung spürbar in ihren Auswirkungen begrenzen. Bayern ist mit ist das zentrale Handlungsfeld, die Priorität der Landespolitik. seinem Bildungssystem auf einem guten Weg. Allerdings ist Die bayerischen IHKs haben konkrete Gestaltungsvorschläge das Tempo, mit dem die Steigerung der Leistungsfähigkeit entwickelt und die eigenen Strategien entsprechend ausgerich- erfolgt, in anderen Bundesländern deutlich höher als in Bayern. tet. Die einzelnen Kapitel des vorliegenden Forderungspapiers So nimmt Bayern im Dynamikranking des Bildungsmonitors beschreiben Maßnahmen, die höchste Qualität an Kindergär- 2009 nur Platz 14 ein und konnte Platz 4 im Bestandsranking ten, Schulen und Hochschulen fördern. Denn es gilt: „Wer auch bei den Ergebnissen 2009 nicht verbessern. aufhört besser zu werden hört auf gut zu sein.“ Die bayerischen Industrie- und Handelskammern wollen ihren Beitrag leisten, Die Auswirkungen sind für die Wirtschaft spürbar. Die Betriebe Veränderungsprozesse begleiten und gemeinsam mit der Politik stellen eine abnehmende Ausbildungsfähigkeit der Schulab- die Zukunft des Freistaates sichern. gänger fest und sie beklagen wachsende Defizite beim Schul- wissen und bei den sozialen und persönlichen Kompetenzen. Diese Entwicklung hat viele Ursachen. Unser Bildungssystem hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu wenig auf die Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft eingestellt. Es leidet unter einer zu geringen Praxisorientierung und fehlender Die neun bayerischen IHKs bilden den Innovationskraft, aber auch einer zu knappen finanziellen Bayerischen Industrie- und Handels- Ausstattung. Die bayerischen Investitionen in Schulbildung von kammertag Kindern und Jugendlichen liegen mit 4.400 € je Grundschüler um rund 500 € unter dem OECD-Schnitt. Der Anteil der Bildungsausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) • IHK Aschaffenburg beträgt derzeit rund 4,8 %, während z. B. Spitzenreiter wie • IHK für Oberfranken Bayreuth USA, Südkorea oder Dänemark über 7 % investieren. Der Bildungsgipfel hat zwar mit dem Ziel geendet, 10 % des BIP für • IHK zu Coburg Bildung und Forschung einzusetzen, doch die konkreten • IHK für München und Oberbayern Finanzierungsvereinbarungen stehen noch aus. • IHK Nürnberg für Mittelfranken Die Folge: Zu viele junge Leute bringen in Schule und Studium • IHK für Niederbayern in Passau keine ausreichenden Leistungen, verlassen die Schule ohne Abschluss oder scheitern in weiterführenden Schulen bzw. im • IHK Regensburg für Oberpfalz / Kelheim Studium. • IHK Schwaben • IHK Würzburg-Schweinfurt Die Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems muss zügig, nachhaltig und konsequent verbessert werden. Ohne den Motor „Bildung und Wissen“ bleiben wirtschaftliche Lei- stungskraft, Wachstum und Beschäftigung, Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auf der Strecke. Bayern setzt damit nicht nur einen entscheidenden Standort- faktor, sondern auch seinen internationalen wirtschaftlichen Spitzenrang aufs Spiel. 3
Kinderkrippen und Kindergärten Kinderkrippen und Kindergärten Situation Zielsetzung Nie lernen Kinder leichter und schneller als in den ersten Ein mehrjähriger Kindergartenbesuch schafft einen Wissenszu- Lebensjahren. Was hier versäumt wird, kann später kaum mehr wachs von etwa einem Dreivierteljahr Schulunterricht. Ziel nachgeholt werden. Der Volksmund bringt das auf den Punkt: muss deshalb sein, in Bayern flächendeckend ein ausreichendes „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“. Kinder- Angebot an Ganztags-Kinderkrippen und Kindergärten zu krippen und Kindergärten sind deshalb wichtige Frühförderein- schaffen, die kindliche Anlagen und Leistungspotenziale we- richtungen. Sie ergänzen die Erziehung im Elternhaus, helfen cken, Benachteiligungen ausgleichen und den Eltern die Ver- wirksam beim Ausgleich von Benachteiligungen, vermitteln einbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Die täglichen soziale Fähigkeiten, wecken Selbstvertrauen und Begabungen. Öffnungszeiten müssen bedarfsgerecht gestaltet sein und die Trotzdem haben 17 % der Jugendlichen in Deutschland wäh- Betreuungsangebote durchgängig zur Verfügung stehen. Ver- rend der Kindheit nur ein Jahr oder noch kürzer den Kinder- hältnismäßig geringe Investitionen in frühkindliche Bildung garten besucht. Oftmals erschweren Organisationsmängel die ersparen später hohe Kosten, die durch Schul- und Studien- Vereinbarkeit von Familie und Beruf. abbrüche, Nachqualifizierung und Sozialaufwendungen ent- stehen. Kindergärten brauchen Bildungspläne und frühpäda- gogische Lehr- und Lernkonzepte. Im Vorschuljahr muss der Folgen Kindergartenbesuch verpflichtend sein. Weil Krippen- und Kindergartenplätze fehlen oder nicht bedarfsgerecht zur Verfügung stehen, bleiben in den ersten Die anspruchsvolle Arbeit der Erzieher erfordert eine qualifi- Lebensjahren wichtige Lernpotenziale ungenutzt. Kinder zierte pädagogische Ausbildung. Neben dem an Fachschulen aus bildungsfernen oder sozial problematischen Familien und ausgebildeten Personal muss jeder Kindergarten auch über Kinder mit Migrationshintergrund erfahren in dieser wichtigen wissenschaftlich qualifizierte Elementarlehrer verfügen. Lernen Phase oft Benachteiligungen, die später kaum mehr auszuglei- im Kindergarten muss systematischer erfolgen als heute. Die chen sind. Lernpotenziale, die Kinder schon in den ersten Lebensjahren 4
Allgemeinbildende Schulen haben, dürfen nicht länger verschenkt werden. Es geht vor Forderungen allem darum, aus den Spielsituationen und der Erfahrungswelt der Kinder heraus Lernsituationen und Projekte zu gestalten. • Schaffung eines ausreichenden Angebots an Kinder- Dieser Ansatz hat in der Praxis derzeit noch zwei Schwächen: krippen und Kindergärten Erstens besteht die Gefahr von Beliebigkeit, wenn für das Ler- • Familienfreundliche Öffnungszeiten und ganzjährige nen allein die Beobachtungen und Erfahrungen der Kinder Betreuungsangebote der vorschulischen Einrichtungen in ihrem direkten Lebensumfeld aufgegriffen werden. Zweitens wird zudem von den Erziehern eine Selektion vorgenommen, • Einführung eines verpflichtenden, kostenlosen welche Themen es denn „wert“ sind, aufgegriffen zu werden. Kindergartenjahres für alle Kinder Der Kindergarten muss aber Schulreife sichern. Dafür brauchen • Definition von Bildungsstandards, die über die reine Kinder auch Lernangebote, die ihren unmittelbaren Lebenshori- Betreuung hinaus die Stärken der Kinder erkennen zont erweitern. und früh individuell fördern Jedes Kind muss am Ende der Kindergartenzeit in der Lage sein, • Klare Schwerpunktsetzung zum Thema Werte- aktiv am Schulunterricht teilzunehmen. Dies gilt erst recht für erziehung Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund. • Ausnutzung der ersten Lebensjahre für frühkindliche Sprachkompetenzentwicklung Wichtig ist zudem bereits in dieser frühen Phase eine systema- • Nutzung der kindlichen Neugier und Entdeckungslust tische Werteerziehung, die sich in der Schule fortsetzt. für die Erfahrung von naturwissenschaftlich- technischen Phänomenen • Ausbau der Kindergärten zu Frühfördereinrichtungen und entsprechende Reform der Erzieherausbildung sowie Ergänzung mit wissenschaftlich qualifiziertem Personal • Enge Zusammenarbeit zwischen Kindergärten und Grundschulen, um einen sanften und erfolgreichen Übergang zu gewährleisten • Einschulung entsprechend der individuellen Schulreife Allgemeinbildende Schulen Situation In vielen Bereichen des allgemeinbildenden Schulwesens herrscht können, fehlen den einzelnen Schulen Entscheidungsspielräu- Mangel: Es gibt zu wenig Personal- und Sachausstattung, zu we- me. Ein hohes Maß an Reglementierungen behindert flexible nig Freiräume für die einzelnen Schulen, zu wenig konsequente und individuelle Lösungen vor Ort. Auch ist offensichtlich, dass Modernisierung des Schulsystems. Viele Modellversuche liefern die differenzierten Anforderungen nicht mehr alleine durch die neue Erkenntnisse, die dann aber nur sehr zögerlich umgesetzt Lehrkräfte zu bewältigen sind, sondern nur mehr im Team mit werden. Auf der anderen Seite binden zu viele ungeeignete Kin- Fachwissenschaftlern und Fachpraktikern, Sozialpädagogen und der an weiterführenden Schulen Personal und Finanzen, die an Erziehern. Dazu gehören neue Formen des Lernens mit Ganztags- anderer Stelle im Schulsystem dringend benötigt würden. angeboten, differenzierten Lerngruppen und Praxisprojekten. Die Folge: Über den Schulerfolg entscheidet weniger die Intelli- genz eines Kindes als vielmehr seine soziale Herkunft. Wertvolle Folgen Potenziale gehen so verloren, Chancengleichheit kann nicht Die Grundschule soll Benachteiligungen ausgleichen, Bega- gewährleistet werden. bungen fördern und die Entscheidung für die passende Schul– laufbahn vorbereiten. Diesem Anspruch kann sie nur unzurei- Das Schulwesen hat Mühe, mit dem Tempo Schritt zu halten, chend gerecht werden. Wenn der Elternwille mehr zählt als der in dem sich Wirtschaft und Gesellschaft verändern. Schüle- Sachverstand der Lehrkräfte, sind überzogener Übertrittsdruck rinnen und Schüler brauchen durch die Schule nicht mehr nur und falsche Schullaufbahnentscheidungen unausweichlich. Lernbegleitung, sondern zunehmend Lebensbegleitung. Um den veränderten Erwartungen und Problemen gerecht werden zu 5
Allgemeinbildende Schulen Die Weiterentwicklung der Hauptschule zur Mittelschule war ein Abitur zu kommen, als ein Facharbeiter- oder Handwerkerkind. guter und notwendiger Schritt. Die Mittelschule hat ein klares Das Schulsystem muss so weiterentwickelt werden, dass Le- Profil (Berufsorientierung, individuelle Förderung, Ganztagsange- benschancen von den Talenten der Kinder abhängen und nicht bot, mittlerer Schulabschluss). Für die Wirtschaft ist die Mittel- von ihrer Herkunft. Kleine Lerngruppen, individuelle Betreuung, schule unverzichtbar: 38 % aller Schüler in der 8. Klasse sind Förderunterricht, Ganztagsklassen und Schulsozialarbeit sind Hauptschüler und ebenso etwa die Hälfte der Auszubildenden. zentrale Voraussetzungen, um dieses Ziel zu erreichen. Die Mittelschüler haben – auch wegen der rückläufigen Schulab- gängerzahlen – beste Berufsaussichten. Wichtiges Erfolgselement ist hier die Ausgestaltung der Über- gänge – vom Kindergarten in die Schule, von einer Schulart zur Bleibt die Hoffnung, dass mit der neuen Mittelschule auch die anderen, von der Schule in den Beruf bzw. ins Studium. Fast die Ergebnisse besser werden: Pro Jahr verlassen in Bayern über Hälfte der Gymnasiasten kommen nicht zum Abitur, rund 30 % 8.000 Jugendliche — vorwiegend Hauptschüler — die Schule der Studierenden nicht zu einem Studienabschluss. In allen ohne Abschluss. Etwa 20 % aller Schulabgänger gehören zur Schularten wissen erschreckend viele Schüler der Abgangs- sogenannten „Risikogruppe“, die mit 15 Jahren nicht in der Lage klassen nicht, wie sie sich in Bezug auf Beruf oder Studium sind, richtig zu lesen, zu schreiben und zu rechnen. Der Weg entscheiden sollen. Eltern und Kinder müssen frühzeitig und in die Arbeits- und Perspektivlosigkeit ist damit vorgezeichnet: konsequent darauf vorbereitet werden, nicht den höchst mög- Neben hohen Kosten entsteht hier auch ein nicht zu unterschät- lichen, sondern den passendsten Schul- und Berufsabschluss zender sozialer Sprengstoff. anzustreben. Hauptproblem in allen weiterführenden Schulen ist der hohe Anteil nicht geeigneter Schüler. Sie binden große Ressourcen, die Forderungen für die Förderung der begabten Schüler nicht mehr zur Verfü- gung stehen. • Verbesserte finanzielle und personelle Ausstattung des Schulsystems In allen Schularten erschweren mangelnder Praxisbezug und eine • Konsequente Orientierung an Bildungsstandards unzureichende Berufsorientierung den Schülern eine fundierte und Einführung bundesweit vergleichbarer Schulab- Zukunftsplanung. Die hohe Zahl von Schul-, Ausbildungs- und schlussprüfungen zumindest in den Kernfächern Studienabbrüchen ist zu einem erheblichen Teil darauf zurückzu- führen. • Stärkung des Praxis- und Lebensbezugs im Unterricht • Intensivierung der mathematisch-naturwissenschaft- Die wenig attraktive Gestaltung der mathematisch-naturwis- lichen Grundbildung und Stärkung der Fremdspra- senschaftlichen Fächer ist eine der Ursachen für den Mangel an chenkompetenz Interessenten für technische Berufe sowie natur- und ingenieur- wissenschaftlich orientierte Studiengänge, bis hin zum Lehrkräf- • Einführung einer qualifizierten Berufsorientierung / tenachwuchs in den einschlägigen Fächern. Studienorientierung und Berufsvorbereitung • Systematischer Einsatz von weiterem Fachpersonal zur intensiveren und individuelleren Begleitung von Zielsetzung Schülern Schule und Elternhaus haben die Aufgabe, Kinder aufs Leben • Ausbau der Bildungsberatung und -information für vorzubereiten, das heißt, sie mit Werten, Wissen und Können so Schüler und Eltern auszustatten, dass ihnen ein aktives, eigenverantwortliches, wirtschaftlich selbstständiges Leben in der Gemeinschaft mög- • Verstärkte Einbeziehung der Eltern in die Erziehungs- lich ist. Dazu müssen die Schulen mehr als bisher die Kinder und Bildungsverantwortung dort abholen, wo sie stehen. Nicht Auslese, sondern individuelle • Stärkung der Eigenverantwortung der Schule bei Förderung muss das zentrale Ziel werden – die Förderung von gleichzeitiger Öffnung und Rechenschaftspflicht Benachteiligten genauso wie die Förderung von Hochbegabten. Dazu gehört die bewusstere Wahrnehmung des Erziehungsauf- • Auf- und Ausbau eines bedarfsorientierten und trags, den die bayerische Verfassung den Schulen übertragen qualitativ hochwertigen Ganztagesangebots an allen hat, und ein Verständnis von Bildung, das auch Ausbildung Schularten beinhaltet – das heißt die Vorbereitung auf das spätere Berufs- • Schaffung reibungsloser Übergänge zwischen den leben. Schularten (auf- und absteigend) Nach wie vor hängt der Schulerfolg eines Kindes in hohem Maße • Lehrkräfte mit einer Reform der Lehrerbildung fit von seiner sozialen Herkunft, seinem Wohnort und seiner Natio machen für die veränderten und gestiegenen An- und nalität ab. Ein Akademikerkind hat viermal mehr Chancen, zum Herausforderungen 6
berufsschulen 2020 Berufsschulen 2020 Situation Folgen Etwa 60 % der Schulabsolventen durchlaufen eine Berufs- Die Zahl der Ausbildungsstellen steigt, aber die demografische ausbildung im dualen System. Die Unternehmen bieten eine Entwicklung führt bis 2020 zu einem Rückgang der Schulab- Ausbildung an, die unmittelbar am Bedarf des Arbeitsmarktes gänger um ca. 20 %, die Anforderungen in der Berufsausbil- orientiert ist. Rund 340 Ausbildungsberufe mit differenzierten dung steigen weiter an. Wird der Anteil der ausbildungsreifen Anforderungsprofilen stehen für unterschiedlich qualifizierte Schulabgänger nicht deutlich erhöht, entsteht ein markanter Bewerber – vom Schulabbrecher ohne Abschluss bis zum Abitu- Fachkräftemangel. Dadurch wird das Wirtschaftswachstum ge- rienten – zur Wahl. bremst und das Gleichgewicht der sozialen Sicherungssysteme und somit die gesamte gesellschaftliche Balance gefährdet. Anders als im weiterführenden schulischen oder akade- mischen Bereich ist der Zugang zu einem Ausbildungsberuf Für die Attraktivität eines Ausbildungsberufs ist es maßgeblich, nicht mit einem Numerus clausus versehen. Er setzt aber dass die Berufsschule in erreichbarer Nähe zum Ausbildungs- Ausbildungsreife voraus, d. h. ein Mindestmaß an grundle- platz liegt. Neue, zukunftsträchtige Berufe mit einer entspre- genden kognitiven, sozialen und persönlichen Kompetenzen. chenden Zahl an zusätzlichen Ausbildungsplätzen werden sich Allerdings verlassen rund 20 % der Schulabgänger die allge- nur etablieren können, wenn ein weiteres Auseinanderdriften meinbildenden Schulen ohne diese Voraussetzungen. Man- der Standorte von Ausbildungsbetrieben und Berufsschulen gelnde Ausbildungsreife ist für die Mehrzahl der bayerischen vermieden wird. Ausbildungsbetriebe nach wie vor das größte Hemmnis bei der Besetzung ihrer Ausbildungsplätze. Zielsetzung Die Industrie- und Handelskammern arbeiten an einer Weiter- entwicklung der betrieblichen Berufsausbildung, die die Aus- bildung flexibler gestaltet und Betriebe und Auszubildende mit mehr Wahlmöglichkeiten ausstattet. Vorgesehen ist im ersten 7
Berufsschulen 2020 Forderungen • Mehr Eigenständigkeit und Verantwortung der Berufs- schulen bei Führung, Lehrerauswahl und Unterrichts- organisation, eigenes Budget • Einsatz von mehr Lehrern, Abbau des Unterrichts- ausfalls, leistungsadäquate Bezahlung auch im Referendariat • Mehr differenzierte Förderung schwacher Schüler, koordiniert mit ausbildungsbegleitenden Hilfen der Arbeitsagenturen • Inhaltliche und zeitliche Flexibilisierung des Unter- richtsangebots in Abstimmung mit den Ausbildungs- betrieben • Orientierung der Schulstandorte an der regionalen betrieblichen Ausbildungsstruktur • Mehr gemeinsame Beschulung von Auszubildenden verwandter Berufe, insbesondere in allgemein- bildenden Fächern und gemeinsamen fachlichen Kernkompetenzen • Bildung schulischer Kompetenzzentren nur für Kurs- Teil der Ausbildung die Vermittlung gemeinsamer Kernkompe- angebote im Bereich der profilgebenden tenzen für eine Berufsgruppe, im zweiten Teil die Vermittlung Kompetenzen spezialisierter, profilgebender Kompetenzen über wählbare Module. Dabei werden das Berufsprinzip und neutrale, bundes- • Aufbau eines internetgestützten Lernangebots, wobei einheitliche Prüfungen als Qualitätsmerkmale des dualen Sys- sich die Präsenzphasen an der Berufsschule auf An- tems beibehalten (siehe IHK-Modell „Dual mit Wahl“). Dieses wendung und Wiederholung beschränken Modell soll schon jetzt bestehende Gemeinsamkeiten innerhalb • Gleichbehandlung staatlicher und kommunaler Be- von Berufsgruppen verstärken und Ausbildung und Beschulung rufsschulen bei Standortentscheidungen für Fachklas- auch in Zeiten sinkender Berufsschülerzahlen standortnah sen, Sprengelzwang nur soweit Kompetenzzentren realisierbar machen. Begleitend dazu sollte über alle Berufe nicht vorhanden sind. hinweg das Fremdsprachenangebot gestärkt werden. Mit Blick auf die Internationalisierung gilt dies vor allem für Englisch. • Aktive Unterstützung durch das Kultusministerium Für die Berufsschulen streben die IHKs eine Reihe von Verbes- zugunsten einer verstärkten Anrechnung und damit serungen an: Die einzelnen Berufsschulen erhalten durch die Anerkennung der Mitwirkung von Berufsschullehrern Übertragung von mehr Autonomie zusätzliche Flexibilität als in den IHK-Prüfungsausschüssen Partner im dualen System. Der Schülerrückgang der nächsten Jahre wird nicht zum Personalabbau, sondern zur Qualitätsver- besserung an den Berufsschulen einbezogen. Das Internet wird intensiv genutzt – es bietet den Berufsschu- len neue Gestaltungsmöglichkeiten selbstgesteuerten und standortunabhängigen Lernens, insbesondere bei profilge- benden Kompetenzen und spezialisierten Modulen. Den dualen Partnern Schule und Betrieb wurden vom Berufsbil- dungsgesetz paritätisch besetzte Prüfungsausschüsse auferlegt; die verstärkte Mitwirkung der Berufsschullehrer in diesen Prüfungsausschüssen sichert die Qualität der Prüfungen. Die Mitwirkung der Lehrer entspricht der Logik des dualen Systems und intensiviert zugleich die Kooperation zwischen betrieb- lichen Ausbildern und Berufsschullehrern. 8
Weiterbildung 2020 Weiterbildung 2020 Situation Folgen Die Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland verharrt auf dem Zwischen 2010 und 2035 geht in Deutschland die Zahl der niedrigen Niveau von 2003. Die Teilnahmequote an Weiterbil- Erwerbstätigen um acht Millionen zurück. Die Konsequenz ist dung mit 44 % liegt dabei deutlich unter dem europäischen ein deutlicher Fachkräftemangel und damit eine Hemmung von Durchschnitt. Besonders dramatisch ist, dass lediglich 30 % Wachstumsdynamik und Wettbewerbsfähigkeit. Zwar profitiert der Personen mit einem niedrigen Schulabschluss und geringer Bayern gegenüber der Mehrheit der deutschen Bundeslän- beruflicher Qualifikation an Weiterbildungsmaßnahmen teil- der zunächst von Zuwanderungen aus dem In- und Ausland, nehmen1. Mit Blick auf die Altersstruktur der Bevölkerung ist gleichwohl übersteigt die Nachfrage nach qualifizierten Mitar- es auch alarmierend, dass die Altersgruppe der über 50- jäh- beitern das Angebot deutlich. rigen nur zu einem geringen Anteil Weiterbildungsmaßnahmen wahrnimmt. Zielsetzung Der Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland verändert Für den nachträglichen Erwerb von Qualifikationen müssen sich unaufhaltsam. Immer weniger Junge wachsen nach und deutliche Anreize geschaffen werden. Eigenverantwortliche die Erwerbstätigen scheiden erheblich früher als im internatio- Weiterbildung muss für alle Beschäftigtengruppen so erstre- nalen Vergleich aus dem Erwerbsleben aus. Gleichzeitig leistet benswert werden, dass die Investition von Freizeit und eigenen sich Bayern eine große Gruppe unqualifizierter Arbeitskräfte, finanziellen Mitteln wieder selbstverständlich wird. Die Förde- die im Fall der Arbeitslosigkeit kaum Vermittlungschancen am rung von Weiterbildung muss direkt dem Nutzer der Bildungs- Arbeitsmarkt haben. angebote zugute kommen. Stichworte wie Bildungssparen und Bildungsscheck weisen in die richtige Richtung, ein deutlich spürbarer steuerlicher Bildungsbonus wäre wertvoll. Eine nachhaltige, professionelle Marketingkampagne ist in diesem Zusammenhang unerlässlich. 1 TNS Infratest Sozialforschung, Adult Education Survey 2007 9
Hochschulen 2020 Das duale Bildungssystem und die Hochschulausbildung sind Forderungen gleichwertig. Auf unterschiedlichen Wegen sind Vorbereitung und Einstieg in berufliche Tätigkeiten und in die Arbeitswelt • Schaffung von Anreizen für eigenverantwortliche möglich. Innerhalb dieser Systeme gibt es für die jeweils Weiterbildung (Bildungssparen, Bildungsprämie, leistungsstärksten Absolventen weiterführende oder zusätz- steuerliche Entlastung) liche Qualifikationen. Auf dieser Basis muss auch im europä- • Ausbau von Förderprogrammen für den nachträg- ischen Gestaltungsraum eine angemessene Eingruppierung der lichen Erwerb von Qualifikationen (z. B. das Wege- speziellen deutschen Qualifikationsstufen eingefordert werden. bauprogramm der Arbeitsagenturen) Um die Gleichwertigkeit und das hohe Niveau der beruflichen Bildung auch international zu dokumentieren, müssen die • Feststellung der grundsätzlichen Gleichwertigkeit Abschlüsse der beruflichen Weiterbildung mit der Bezeichnung von dualem Bildungssystem und Hochschulausbildung „Bachelor Professional“ versehen werden. • Konsequenter Abbau aller Bildungsbarrieren, die die Durchlässigkeit des Bildungssystems behindern, Die Durchlässigkeit des Bildungssystems und die gegenseitige bundeseinheitliche Regelung in Bezug auf die Anrech- Anerkennung der Gleichwertigkeit von beruflicher Bildung und nung von beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten Hochschulbildung muss konsequent durchgesetzt werden. Mit auf ein Studium der Hochschulrechtsänderung ist Bayern jetzt vorangegan- gen. Nun müssen Strukturen geschaffen werden, die beruflich • Ausbau von Verbundstudiengängen und berufsbeglei- Qualifizierten zielgerichtete Weiterbildung und praxisorientierte tenden Bildungsmaßnahmen im Hochschulbereich Hochschulstudiengänge neben ihrer beruflichen Tätigkeit er- • Angemessene Eingruppierung der speziellen deut- möglichen. In der beruflichen Aus- und Weiterbildung erbrachte schen Qualifikationsstufen im europäischen Gestal- Leistungen müssen auf Hochschulstudiengänge vollständig tungsraum angerechnet werden, um einen barrierefreien Wechsel zwischen den verschiedenen Bildungsbereichen zu ermöglichen. Außerdem ist eine bundesweit einheitliche Hochschulzugangsregelung nach bayerischem Vorbild anzustreben. Mit Blick auf die enorme Wichtigkeit des Themas „Lebenslanges Lernen“ bieten die bayerischen IHKs seit langem für ihre Mit- gliedsunternehmen und deren Fach- und Führungskräfte eine neutrale Weiterbildungsberatung. Der Beratungsbedarf betrifft längst alle Bevölkerungsgruppen. Daher muss die Weiterbil- dungsberatung und gegebenenfalls die Weiterbildungsförde- rung gerade für derzeit bildungs- und erwerbsferne Menschen ausgebaut werden. Hochschulen 2020 Situation In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Hochschulabsol- gebraucht. Seit 2007 werden an den bayerischen Hochschulen venten langsam, aber kontinuierlich gestiegen. Diese Entwick- Studiengebühren verlangt. Studierende und Wirtschaft erwar- lung gilt es zu verstetigen. Mit der Umsetzung des Bologna- ten mit Recht, dass die Verwendung dieser Mittel zu spürbaren Prozesses haben die Hochschulen wie Universitäten aktuell Verbesserungen in der Hochschulorganisation führt. auf Bachelor- und Masterstudiengänge umgestellt. Ob sich hierdurch eine Steigerung der Zahl und Qualität der Hoch- Durch das bisher vergleichsweise hohe Niveau des bayerischen schulabsolventen erreichen lässt, ist bisher noch offen. Abiturs sind unsere Abiturienten beim Zugang zu den Nume- rus-Clausus-Studienfächern benachteiligt. Mit der Umstellung Die finanzielle Ausstattung der Hochschulen stagniert trotz auf das achtjährige Gymnasium und dadurch bedingte doppelte steigender Studentenzahlen. Schwerpunkt der Mittelverwen- Abiturjahrgänge wurde das noch verstärkt. dung sind vielerorts Forschung und Eliteförderung. Für die Wirtschaftskraft Bayerns werden nicht nur Exzellenzcluster, sondern auch das breite Mittelfeld der Studierenden dringend 10
Hochschulen 2020 | Impressum Folgen Forderungen Nachdem derzeit mehrere Bundesländer auf das achtjährige Gymnasium umstellen, ist in den kommenden Jahren mit einer • Erhöhung des Anteils von Hochschulabsolventen erheblich höheren Nachfrage nach Studienplätzen zu rechnen. pro Jahrgang langfristig auf über 25 % Werden die Hochschulkapazitäten nicht sehr rasch massiv aus- • Bereitstellung ausreichender Finanzmittel an den gebaut, droht den bayerischen Abiturienten ein erschwerter bayerischen Hochschulen, um die Ausbildungsqualität Hochschulzugang und der bayerischen Wirtschaft eine em für alle Studierenden zu sichern pfindliche Qualifikationslücke. Knappe Finanzmittel und die aktuelle Konzentration auf die Eliteförderung bergen zudem die • Schaffung von mehr Freiräumen zur Erhöhung der Gefahr, dass für die Mehrheit der Studierenden nicht genug Autonomie der Hochschulen Mittel zur Verfügung stehen. Hohe Zulassungsbeschränkungen • Förderung von berufsbegleitenden Studienangeboten zu Masterstudiengängen gefährden die Weiterqualifizierung. insbesondere für Studierende, die aus der beruflichen Bildung kommen Zielsetzung • Schaffung einheitlicher Regelungen für die Anrech- Das Qualifikationsniveau in Bayern kann für die Zukunft nur nung von beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten dann nachhaltig erhöht werden, wenn neben einer Steigerung auf ein Studium der Studentenzahl auch die Durchlässigkeit zwischen beruf- • Entwicklung eines Konzeptes für die Einbeziehung der licher Bildung und Hochschulen ausgebaut und abgesichert Kompetenzebenen in Anrechnungsverfahren wird. Für die Hochschulen gilt es, den Bereich der nebenberuf- lichen Qualifizierung zu verstärken. Dazu müssen die föderalis- tischen Strukturen durch bundesweit einheitliche Regelungen ersetzt werden. Neben der Elite muss auch das breite Potenzial an bayerischen Hochschulen optimal gefördert werden. Neue Möglichkeiten sind durch Kombinationsmodelle beruflicher Bildung und Hochschule auszubauen und verstärkt berufsbe- gleitende Studienangebote zu schaffen. Erbrachte Bildungs- leistungen müssen im beruflichen wie im Hochschulkontext anerkannt werden – im ersten Schritt auf nationaler und in der Folge auf europäischer Ebene. Um eine Transparenz von Bildungsleistungen zu erreichen, müssen die mit dem Bologna- Prozess und der Diskussion um den europäischen und natio- nalen Qualifikationsrahmen verbundenen Reformbemühungen weiter gehen. Die Herausforderung besteht darin, Kompetenzen zu definieren, einheitliche Regelungen festzusetzen und in den nationalen Bildungssystemen konsequent und qualitativ hochwertig umzusetzen. Impressum Hochschulen müssen unternehmerischer werden und neue Herausgeber: Mittel für den Hochschulhaushalt verstärkt über Eigeninitia- Bayerischer Industrie- und Handelskammertag e. V. tive und leistungsbezogene Mittelverteilung generieren. Mehr Balanstraße 55-59 Autonomie an den Hochschulen ist eine Grundvoraussetzung für 81541 München Telefon: 089 5116-0 Wettbewerb und exzellente Leistung. Die neuen Berechtigungen E-Mail: ihkmail@muenchen.ihk.de für den Hochschulzugang von Absolventen des beruflichen Bil- Internet: www.muenchen.ihk.de dungsweges dürfen nicht durch praxisfremde Auswahlverfahren der Hochschulen konterkariert werden. Gegebenfalls müssen pro- Verantwortlich: Dr. Josef Amann, pädeutische Brückenangebote geschaffen oder starres Festhalten Bayerischer Industrie- und Handelskammertag e. V. an Vollzeitstudiengängen der Hochschulen konterkariert werden. Gestaltung: Word Wide KG, München Fotos: S.1: micromonkey, Andres Rodriguez, Marco2811, djama, yuryimaging©Fotolia; S.4: michaeljung©Fotolia; S.7: Robert Kneschke©Fotolia; S.8: goodluz©Fotolia; S.9: lightpoet©Fotolia Druck: K. Fell GmbH, Am Kirchenhölzl 12, 82166 Gräfelfing September 2012, überarbeitete Auflage 11
Industrie- und Handelskammern in Bayern Balanstraße 55 - 59 | 81541 München | Tel. 089 5116-0 E-Mail: ihkmail@muenchen.ihk.de | Internet: www.muenchen.ihk.de
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