Blended Counseling in der Suchtberatung

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Blended Counseling in der Suchtberatung
RAUCHSTOPP - DIGITALISIERUNG - PRÄVENTION

                      Blended Counseling in der
                      Suchtberatung
2018-6                In der Suchtberatung sind das persönliche Gespräch sowie die Mailbera-
Jg. 44                tung als Beratungsformate etabliert. Dass darüber hinaus die Kombination
S. 21 - 26
                      von digitalen Medien und Präsenzberatung gewinnbringend sein kann, zeigt
                      ein Projekt der Fachhochschule Nordwestschweiz in Kooperation mit zwei
                      Suchtfachstellen und Infodrog. In der Mehrzahl der evaluierten Fallverläufe
                      wurde ein Nutzen auf Klientenseite dokumentiert. Zugleich wurde deut-
                      lich, dass die Umsetzung von Blended Counseling im Hinblick auf Technik,
                      Datenschutz sowie die Medienkompetenz der Beratenden voraussetzungs-
                      voll ist.

                      MARTINA HÖRMANN
                      Prof. Dr., Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, Institut Beratung, Coaching und Sozialmanagement ICSO,
                      CH-4600 Olten, Tel. +41 (0)62 957 20 73, martina.hoermann@fhnw.ch, www.blended-counseling.ch
                      PATRICIA FLAMMER
                      Lic. phil, ICSO, Tel. +41 (0)62 957 28 16, patricia.flammer@fhnw.ch
                      ALEXANDRA TANNER
                      MSc, Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW, Institut für Kooperationsforschung- und Entwicklung,
                      CH-4600 Olten, Tel. +41 (0)62 957 23 92, alexandra.tanner@fhnw.ch
                      DOMINIK TSCHOPP
                      Lic. phil., Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, CH-4132 Muttenz, Tel. +41 (0)61 228 50 21,
                      dominik.tschopp@fhnw.ch
                      DANIA AEBERHARDT
                      MSc, ICSO, Tel. +41 (0)62 957 22 44 2, dania.aeberhardt@fhnw.ch

Einleitung                                     haben. Will professionelle Beratung im            Beratungskontakt zu gewährleisten.
                                               21. Jahrhundert weiterhin an der Le-                  Inwieweit die Kombination von digi-
«Ich könnte mir Chats auch in der Bera-        benswelt der KlientInnen andocken, so             taler Beratung und Präsenzberatung im
tung vorstellen. Aber dann müsste es ein       gilt es, neue Modelle zu entwickeln und           Beratungsprozess gewinnbringend ist,
separater Chat sein, der auch einfach zu
                                               Beratung dadurch zukunftsfähig zu ge-             untersuchte das Projekt «Face-to-Face
bedienen ist. Wenn es zu kompliziert ist,
finde ich es nicht gut.»                       stalten.                                          und mehr – neue Modelle für Medien-
(Klientin Suchtberatung)                            Neben der Präsenzberatung mittels            nutzung in der Beratung».
                                               eines Gesprächs von Angesicht zu An-
Digitale Kommunikationsmedien ha-              gesicht haben sich – gerade auch im               Blended Counseling – Beratung vor
ben in den letzten Jahren die Alltags-         Suchtbereich – weitere Formate entwi-             Ort und auf Distanz in Kombination
kommunikation stark verändert. Die             ckelt, die neue Möglichkeiten bieten. So          In Anlehnung an den Begriff des Blended
Mobilität und die breite Verfügbarkeit         konnten über die anonyme Mailberatung             Learning umfasst Blended Counseling in
von Smartphones führen dazu, dass Be-          bei SafeZone erfolgreich neue Zugänge             unserem Verständnis die systematische,
ratungsanliegen verstärkt auch über            zur Beratung geschaffen werden (BAG                konzeptionell fundierte, passgenaue
digitale Medien an Beratende gelangen.         2018). Relativ jung ist die Idee, die Face-       Kombination digitaler und analoger
Zudem hat eine derart beschleunigte            to-Face-Beratung (F2F) mit medienge-              Kommunikationskanäle in der Beratung
Kommunikation auch Auswirkungen auf            stützten Formaten im Beratungsprozess             (Hörmann 2014; Flammer & Hörmann
die Beratung, da sich die Erwartungen          als Blended Counseling zu verknüpfen              2018). Dahinter steht die Idee, dass eine
von KlientInnen an mögliche berateri-          und so neue Potenziale zu generieren.             Kombination der Vorteile verschiedener
sche Kommunikationskänale und an               Dabei gilt es, dieselben hohen Standards          digitaler Medien mit der Präsenzbera-
die Schnelligkeit der Antwort verändert        an Fachlichkeit und Vertraulichkeit im            tung für den Beratungsprozess förderlich

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sein kann. So zeigt die anonyme Mail-         beratung weiterzuentwickeln. Im Projekt     Angestrebte bzw. fokussierte Impactfaktoren
beratung, dass schambesetzte Themen           wurde insbesondere der erste Strang         Es wird geklärt, welche Ziele mit dem
wesentlich schneller und offener an-           bearbeitet.                                 Blended Counseling-Szenario angestrebt
gesprochen werden, als in der Beratung                                                    werden.
von Angesicht zu Angesicht.                   Face-to-Face und mehr – neue
     Zugleich zeigte sich bei der Befra-      Modelle für Mediennutzung in der            Vorüberlegungen im Hinblick auf die Wahl
gung von Fachkräften, dass Beratende          Beratung                                    des digitalen Mediums
bereits situativ und teilweise als Reak-      Ziel des Projektes war es, in Koopera-      – Welche Medien sollen im Beratungs-
tion auf Impulse von KlientInnen «blen-       tion der Hochschule für Soziale Arbeit        prozess verwendet werden oder zur
ded» beraten (Hörmann 2018; Hörmann           FHNW, der Hochschule für Angewandte           Verfügung stehen?
& Schenker 2016). Dies erfolgt bisher         Psychologie FHNW und Praxispartnern         – Wie wird dies begründet?
jedoch zumeist ohne systematische kon-        ein Modell für Blended Counseling zu
zeptionelle Fundierung.                       entwickeln und zu erproben. Im Zeit-           Ein Szenario ist mehr als «roter
     Im Hinblick auf die Konkretisierung      raum von April 2017 bis Dezember 2018       Faden» der Überlegungen zu verstehen
von Blended Counseling liegen zwi-            wurden dazu in enger Zusammenarbeit         und weniger als konkrete Handlungsan-
schenzeitlich einige Überlegungen vor         mit Fachkräften und Leitungen der Zür-      weisung.
(Weiss 2013; Engelhard & Reindl 2016;         cher Fachstelle für Alkoholprobleme und
Hörmann 2018). Allen Überlegungen             der Berner Gesundheit sowie Infodrog        Szenario «Beratung von temporär anwesen-
gemeinsam ist die Betonung des poten-         zunächst zwölf Blended-Counseling-Sze-      den KlientInnen»
ziellen Nutzens, der sich aus der Kom-        narien für die Suchtberatung entwickelt.    Dieses Szenario zielt auf KlientInnen,
bination verschiedener Kanäle in der          Ausgewählte Szenarien wurden an-            welchen ein persönliches Erscheinen
Beratung generieren lässt:                    schliessend über einen Zeitraum von         in der Beratungsstelle nicht möglich
– So soll der Zugang zur Beratung ver-        drei Monaten erprobt und begleitend         ist. Dafür kann es verschiedene Gründe
   bessert werden, indem verschiedene         evaluiert. Im Januar 2019 werden die        geben:
   und möglichst vielfältige Zugänge ge-      Ergebnisse des Projektes auf www.blen-      – Örtliche Distanz, z. B. ein Klient, der
   schaffen werden.                            ded-counseling.ch veröffentlicht.               sich vorübergehend im Ausland be-
– Zudem soll die Passgenauigkeit zwi-             Ein Szenario ist sozusagen die Skizze      findet oder eine Klientin mit einge-
   schen Anliegen und Beratungsangebot        eines idealtypischen Beratungsverlaufes        schränktem Bewegungsradius
   verbessert werden, indem beide Sei-        mit kombiniertem Medieneinsatz. Da-         – Zeitliche Einschränkungen bzw. man-
   ten frühzeitig und ohne grossen Auf-       bei werden wesentliche konzeptionelle          gelnde Passung der möglichen Zeit-
   wand prüfen können, inwieweit das          Aspekte vorab konkretisiert. Um zu             fenster, z. B. bei berufstätigen Klien-
   Anliegen an der «richtigen Stelle» ist.    verdeutlichen, was für die Szenarienent-       tInnen oder deren Angehörigen oder
– Während der Beratung soll der Ein-          wicklung wesentlich war, wird zunächst         bei Eltern mit Betreuungspflichten
   bezug digitaler Medien eine Intensi-       der Aufbau und die Funktion eines Sze-      – Körperliche oder psychische Ein-
   vierung der Beratung in bestimmten         narios beschrieben und anschliessend           schränkungen, z. B. Angststörung,
   Phasen des Prozesses ermöglichen.          das Szenario «Temporär anwesende Per-          welche das Verlassen des Hauses be-
– Dies soll zu einer Stabilisierung der Be-   sonen beraten» exemplarisch skizziert.         grenzen
   ratungsbeziehung und in Folge dessen
   auch zu einer Verringerung von Kon-        Aufbau und Funktion eines                       Zielgruppe sind KlientInnen, zu
   taktabbrüchen beitragen.                   Szenarios                                   denen bereits ein Kontakt besteht, die
– Im Kontext der Nachsorge sollen die         Beschreibung KlientIn oder Angehörige/r     also zuvor bereits in einer F2F-Beratung
   Möglichkeiten eines unkomplizierten        Hier wird konkretisiert, bei welcher Art    waren. Für das Blended Counseling
   und kurzen Beratungskontaktes ver-         von KlientIn und in welcher fachlichen      sollten in diesem Szenario neben dem
   bessert werden, was zu einer verbes-       Ausgangslage ein Einsatz dieses Szena-      F2F-Gespräch potenziell Mailkontakt
   serten Rückfallprophylaxe beitragen        rios als hilfreich erachtet wird.           (über HIN1 oder ProtonMail), Messenger
   soll.                                                                                  (Threema) und Telefon zur Verfügung
                                              Potenzielle Kommunikationskanäle            stehen.
    Grundsätzlich ist Blended Counse-         Drei Aspekte werden unterschieden:
ling von zwei Richtungen her denkbar:         – Mit welchen digitalen Medien ist das      Als Ziele waren insbesondere fokussiert:
zum einen kann die klassische F2F-Be-           Gegenüber vertraut?                       – Ein erweiterter Zugang zur Beratung
ratung durch den Einbezug digitaler           – Welche digitalen Medien werden von          auch für KlientInnen mit begrenzter
Medien in den Beratungsprozess in ein           KlientInnenseite präferiert?                zeitlicher, örtlicher Verfügbarkeit.
Blended Counseling weiterentwickelt           – Welche digitalen datenschutzkonfor-       – Die Stabilisierung der Beratungsbezie-
werden. Zum anderen ist es auch denk-           men Medien sind in der Beratungs-           hung auch bei Abwesenheiten.
bar, etablierte Onlineformate durch eine        stelle bzw. Suchtfachstelle verfügbar?    – Die Möglichkeit der Intensivierung
Möglichkeit des Wechsels in die Präsenz-                                                    des Beratungsprozesses.

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SUCHTMAGAZIN ——— 06/2018

– Die Gewährleistung von Beratungs-           tungsperson bei der Erprobung von         bei den Telefonkontakten weniger her-
  stringenz trotz begrenzter zeitlicher       Blended Counseling?                       vorgehoben. Die Ergebnisse zeigen eine
  und örtlicher Verfügbarkeit der Klien-    – Welche Gelingens-/Erfolgsfaktoren         Tendenz auf, dass ein Telefonkontakt
  tInnen.                                     tragen dazu bei, dass mittels Blended     ähnlich wie ein F2F-Kontakt verläuft,
– Der effiziente Einsatz von Ressourcen.        Counseling die adressierten Ziele er-     während eine E-Mail eher für einen kur-
                                              reicht werden können?                     zen Informationsaustausch verwendet
    In der Regel wird bereits zu Beginn                                                 wird. Bei den E-Mailkontakten zeigt sich,
die Medienpräferenz des Klienten bzw.           Die qualitativen Daten wurden an-       dass das Schreiben für die KlientInnen
der Klientin erfragt, um diese ggf. be-     schliessend inhaltsanalytisch mittels der   als Instrument für eine Selbstreflexion
rücksichtigen zu können. Als mögliche       Software MAXQDA nach Kuckartz (2012)        dient und in belastenden Situationen
Kriterien für die Medienwahl bzw. den       analysiert und ausgewertet.                 eine Entlastung bringen kann.
Medienwechsel im Prozess wurden                 Das Datenmaterial besteht aus 19
folgende Vorüberlegungen angeführt:         verschiedenen Fällen mit 106 Beratungs-     Einflussfaktor Medienkompetenz
synchrone Medien sind dann vorzuzie-        kontakten, die von insgesamt zehn Be-       und Mediennutzungsverhalten
hen, wenn (laufende) Unsicherheiten         raterInnen in den beteiligten Suchtfach-    Des Weiteren bestätigen die Ergebnisse,
bzw. Klärungen auf Beziehungs- oder         stellen dokumentiert wurden. Während        dass das individuelle Mediennutzungs-
inhaltlicher Ebene ausschlaggebend sind.    dieser sukzessiven Dokumentation jedes      verhalten der KlientInnen einen we-
Der Einsatz von asynchronen Medien          individuellen Blended Counseling-Fall-      sentlichen Einfluss auf die Medienwahl
ist möglich, wenn der Klient bzw. die       verlaufs wurden F2F-, Telefon-, E-Mail-     im Beratungsprozess hat. Auch die
Klientin einigermassen psychisch stabil     und Messenger-Kontakte dokumentiert.        jeweiligen Fähigkeiten von KlientInnen
sind. Bei der Medienwahl gilt es darüber                                                in Bezug auf ihre Medienaffinität und
hinaus die Art der Einschränkung (zeit-     Stabilisierung des                          Schreibkompetenz wurden als not-
lich, örtlich, physisch, psychisch etc.)    Beratungsprozesses auch unter               wendige Voraussetzung beschrieben. In
und den Grad der Einschränkung zu be-       schwierigen Bedingungen                     Einzelfällen musste aufgrund fehlender
rücksichtigen.                              Als zentrales Ergebnis der Evaluation       Kompetenzen auf eine mediengestützte
    In diesem Szenario ist im Beratungs-    wird in den Falldokumentationen deut-       Beratung verzichtet werden.
prozessverlauf ein flexibler Medienein-      lich, dass ergänzende Beratungskontakte
satz besonders sinnvoll, der eng an den     über Telefon, E-Mail und Messenger              Für die beratenden Personen bedeu-
Bedürfnissen des Gegenübers ausgerich-      dazu führen, dass im Beratungsprozess       tet ein schriftlicher Beratungskontakt
tet ist und zugleich durch die konzeptio-   mehr Kontinuität entstehen kann. Es         eine Abweichung vom gewohnten Be-
nellen Vorüberlegungen beratungsfach-       wird beschrieben, dass diese Bera-          ratungsprozess. Vereinzelt wurde dies
lich fundiert ist.                          tungskontakte helfen können, dass der       als Herausforderung beschrieben, dazu
                                            Beratungsprozess eher aufrechterhal-        wurde im Speziellen fehlende Übung
Ausgewählte                                 ten bleibt als bei Beratungen, die aus-     beim Schreiben erwähnt.
Evaluationsergebnisse                       schliesslich F2F durchgeführt werden.           Die Evaluationsergebnisse zeigen
Leitfragen und methodisches                 Ein weiteres Motiv für den Wechsel auf      Tendenzen auf, dass bei drohendem Ab-
Vorgehen im Rahmen der Evaluation           einen mediengestützten Kommunika-           bruch einzelne KlientInnen das Telefon
Vor diesem Hintergrund wurde für die        tionskanal im Beratungsprozess ist – wie    nicht abnehmen, jedoch auf E-Mail und
nachfolgend dargestellte Evaluation der     im Szenario «Temporär anwesende Per-        Chats reagieren. Auch zeigen die Ergeb-
Frage nachgegangen, welche Motive für       sonen beraten» beschrieben – eine ein-      nisse, dass einige KlientInnen als ergän-
eine Medienwahl bzw. einen Medien-          geschränkte Mobilität der KlientInnen.      zende Kommunikationskanäle zu F2F
wechsel im Beratungsprozess aus Sicht       Es kommt oft vor, dass aus gesundheit-      das Telefon, andere das E-Mail wählen
der Fachkräfte zum Tragen kommen.           lichen Gründen ein F2F-Termin nicht         und wiederum andere sich über beide
Dafür wurde eine qualitative Analyse von    wahrgenommen werden kann, weshalb           Medien beraten lassen.
Beratungsverläufen durchgeführt. Der        dann stattdessen ein E-Mail- oder Tele-         Eine Fallanalyse zeigt, dass der
Fragekatalog orientierte sich an folgen-    fonkontakt stattfindet. Dazu gehören         Messenger dazu dienen kann, in einer
den zentralen Leitfragen:                   auch weitere Gründe von Seiten der          Krisensituation dringende Anliegen
– Welche Kommunikationskanäle wur-          KlientInnen, wie «viel zu tun» bei der      rasch zu klären. Im Gegensatz dazu wird
  den im Fallverlauf benutzt und aus        Arbeit oder Ferienabwesenheiten.            beschrieben, dass eine F2F-Beratung für
  welchen Gründen?                               Der meistgenannte Beweggrund für       nicht akute Situationen gewählt wird.
– Was und wer veranlasste zu Medien-        einen Beratungskontakt über E-Mail          Dazu gehören auch Mehrpersonenge-
  wechseln im Fallverlauf (Motive, Zie-     ist, dass die KlientInnen ihrer Fachkraft   spräche, die im Rahmen unseres Projek-
  le)?                                      zwischen F2F-Beratungen über ihr aktu-      tes nicht mediengestützt durchgeführt
– Welche beratungsfachlichen Heraus-        elles Befinden Feedback geben können.        wurden. Die F2F-Beratung wurde zudem
  forderungen stellen sich der Bera-        Interessanterweise wurde dieser Aspekt      dann präferiert, wenn Zielvereinbarun-

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gen besprochen wurden. F2F-Kontakte        chenden Werkzeugen und Plattformen             Sicherheitsstandards gerecht werden,
dienen den BeraterInnen in den Sucht-      vor einer Herausforderung. Von Klien-          aber auch flexibel und rasch zum Ein-
fachstellen auch dazu, sich einen Ein-     tInnen häufig genutzte Medien wie z. B.         satz kommen konnten (z. B. ProtonMail
druck über den Gesundheitszustand der      (unverschlüsselte) E-Mails oder Mes-           für den gesicherten E-Mail-Kontakt und
Klientin oder des Klienten zu verschaf-    senger-Dienste wie WhatsApp bieten auf         Threema als Alternative zu WhatsApp).
fen und die gemeinsame Beziehung zu        der einen Seite nicht die Vertraulichkeit,     Dieses Vorgehen erlaubte es, mit über-
stärken.                                   welche ein Beratungssetting erfordert.         schaubaren Investitionen in die Ausstat-
                                           Auf der anderen Seite sind KlientInnen         tung Blended-Counseling-Szenarien zu
Fazit der Fachkräfte                       teilweise nicht bereit, zusätzliche Tools      erproben.
Von den Fachkräften wurde der gezielte     zu installieren und zu nutzen, gerade              Einzeltools, welche nicht spezifisch
und auch legitimierte Einsatz von Blen-    auch, wenn dies technisch anspruchsvoll        für Beratungszwecke entwickelt wur-
ded Counseling als sehr positiv erlebt.    oder mit Kosten verbunden ist. Hier er-        den, sind nicht in jedem Fall geeignet,
E-Mail- und Telefonkontakte bieten aus     gibt sich ein Dilemma zwischen lebens-         um in Organisationen zum Einsatz zu
ihrer Sicht einen Gewinn für die Klien-    weltlicher Erreichbarkeit und Vertrau-         kommen. Bei der kombinierten Ver-
tInnen und können bei hoher Auslastung     lichkeitsstandards. Sichere Werkzeuge          wendung solcher Einzeltools kann es im
durch F2F-Termine die beratende Person     und Plattformen bieten jedoch auch die         Beratungsverlauf zu einem Medienbruch
entlasten. Diese muss die Schreibkom-      Chance, Vertrauen zu wecken und so die         kommen, da nicht nur das Medium ge-
petenz und Medienaffinität der Klientin      KlientInnen von einer Nutzung zu über-         wechselt wird, sondern auch eine andere
bzw. des Klienten einschätzen lernen,      zeugen. Immer häufiger ist es zudem der         technische Lösung zum Einsatz kommt.
um dann zu entscheiden, ob Blended         Fall, dass ein hoher Datenschutz nicht             Integrierte Plattformen, welche
Counseling auch erfolgreich umgesetzt      mit Einbussen bei der Benutzerfreund-          mehrere Werkzeuge in einer Plattform
werden kann. Ein Lösungsansatz, um         lichkeit einhergeht.                           vereinen und idealerweise für den Bera-
die bisher fehlenden Erfahrungswerte           Bei der Auswahl der Tools wurde im         tungskontext entwickelt wurden, können
bei der Verwendung von Blended Coun-       vorliegenden Projekt so vorgegangen,           solche Brüche potentiell verringern. Ein
seling auszugleichen, könnte nach Ein-     dass die BeraterInnen der Partner-             Nachteil solcher Plattformen könnte auf
schätzung der Fachkräfte darin liegen,     organisationen einerseits sichere Tools        der anderen Seite allenfalls sein, dass
bei Fallbesprechungen vorliegende          genutzt haben, welche in den Organisa-         die einzelnen Werkzeuge der Plattform
E-Mails im Team zu besprechen.             tionen bereits vorhanden waren (z. B.          den Bedürfnissen der Organisation nicht
    Die qualitative Fallanalyse konnte     die Plattform HIN als Werkzeug für die         gänzlich entsprechen. Auf jeden Fall zie-
aufzeigen, dass Blended Counseling von     verschlüsselte E-Mail-Kommunikation).          hen sie entsprechende Vorarbeiten und
den an der Evaluation beteiligten Fach-    Zum anderen wurden gezielt einzelne            Investitionen nach sich.
kräften begrüsst und insgesamt positiv     Werkzeuge recherchiert, welche hohen
bewertet wurde.

Technische Lösungen: Tools,                                                    Datenschutznachweis
                                                                                Tools/Plattformen
Plattformen
Die Gestaltung von Blended-Counse-
ling-Szenarien setzt technische Infra-          Verschlüsselung Inhalte                                     relevante gesetzliche
strukturen und Standards voraus. Dabei             und Datentransfer                                             Grundlagen

müssen unter anderem technische
Sicherheitsstandards berücksichtigt                                              Datenschutz
werden. Zentral dabei ist die Einhaltung
                                               Sichere Serverinfrastruktur                              Öffentliche oder zivilrechtliche
aktueller Datenschutzbestimmungen.            /Serverstandort Toolanbieter                                    Vertragsbeziehung
Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die
Benutzerfreundlichkeit, um Ratsuchen-
den einen niederschwelligen Zugang zur                                          Nutzereinbindung
                                                                                  /Transparenz
Beratung zu ermöglichen (Risau 2009).
    Organisationen stehen bei der Aus-
wahl und Implementierung von entspre-      Abb. 1: Relevante Datenschutzaspekte – ein Framework für Blended Counseling.

                                                                24
SUCHTMAGAZIN ——— 06/2018

Datenschutz                                    genen Daten gestützt auf jeweiliges         – KlientInnen: Hier gilt es zu klären,
Grundsätzlich lassen sich im Umgang            Recht umgehen (betrifft z. B. Spei-            welche (potenziell) Nutzenden in wel-
mit vertraulichen Daten im Beratungs-          cherorte, Löschfristen, Aufbewah-             cher Form von Blended Counseling
kontext gesetzliche Rechte und Pflichten        rungspflicht). Die Zustimmung der              profitieren könnten.
aus der Bundesverfassung (Grund-               Nutzenden ist einzuholen.                   – Beratungsfachliche Dimension: Diese
rechte), dem Zivilgesetzbuch (Melde-         – Nutzereinbindung: Ratsuchende sind            nimmt den Beratungsprozess selbst in
rechte, –pflichten), dem Strafgesetzbuch        auf potentielle Sicherheitsrisiken im         den Blick.
(Amtsgeheimnisverletzung) und der              Umgang mit digitalen Medien und auf         – Organisationale Dimension: Hier wer-
Strafprozessordnung (Anzeigerecht,             schützende Verhaltensmassnahmen               den die organisational notwendigen
-pflicht) ableiten. Ergänzend werden im         hinzuweisen. Dies kann z. B. mittels          Rahmenbedingungen analysiert.
Umgang mit personenbezogenen Daten             Angabe des informativen Links zur
das kantonale oder das eidgenössische          Melde- und Analysestelle Informa-           Aus organisationaler Sicht ist es für eine
Datenschutzrecht bedeutsam. Dies ist           tionssicherung MELANI erfolgen.2            gelingende Umsetzung von Blended Coun-
                                                                                           seling notwendig, dass:
abhängig davon, ob eine Suchtbera-           – Sichere Serverinfrastruktur: Effekti-
                                                                                           – Leitung und Fachebene dahinterstehen
tungsstelle eine öffentliche Aufgabe            ver Schutz von gespeicherten Daten            und das Vorhaben tragen
im Auftrag des Kantons und/oder von            erfordert eine sichere Serverinfra-         – Frühzeitig die technischen Grundlagen
Kommunen wahrnimmt oder ob es sich             struktur. Liegt der Serverstandort in         sowie personelle Ressourcen, Verfüg-
                                                                                             barkeit geklärt werden
um zivilrechtliche Vertragsbeziehungen         der Schweiz, bedeutet dies die aus-
                                                                                           – IT-Support für Mitarbeitende vorhan-
handelt.                                       schliessliche Anwendung Schweizer             den ist
     Damit digitale Beratung die Vertrau-      Rechts. Dies bietet eine Kontrollmög-       – Genügend Handlungsspielraum für die
lichkeit gewährleisten kann, sind aus          lichkeit und ist haftungsrechtlich be-        Fachmitarbeitenden für kreative Lö-
                                                                                             sungen vorhanden ist
Sicht von Datenschutz und Datensicher-         deutsam.
                                                                                           – Nicht zu viele verschiedene Tools ein-
heit verschiedene technische Anforde-                                                        bezogen werden
rungen an digitale Tools zu berücksichti-        Bei der organisationalen Implemen-        – Tools und Technik funktionieren
gen (Wenzel 2018):                           tierung von Blended Counseling ist zen-       Aussagen der Praxispartner im Projekt
– Verschlüsselter Datentransfer: Es ist      tral, dass relevante Datenschutzaspekte
   eine sichere Ende-zu-Ende-Verschlüs-      (siehe Abbildung 1) geklärt und berück-           Wie die Ergebnisse im vorliegenden
   selung notwendig, die nicht umgangen      sichtigt werden, damit die Vertraulich-       Projekt zeigen, bietet Blended Coun-
   werden kann, auch nicht vom exter-        keit in vergleichbarem Rahmen gewähr-         seling zahlreiche Potenziale für die
   nen Toolanbieter selbst.                  leistet ist, wie bei der F2F-Beratung. Dies   Weiterentwicklung der Suchtberatung.3
– Verschlüsselung der gespeicherten In-      erfordert im Umgang mit eingesetzten          Zugleich sollten die ermittelten Heraus-
   halte: Beratungsinhalte müssen ver-       Medien und dabei anfallenden Daten            forderungen von Anfang an mitgedacht
   schlüsselt gespeichert werden und der     eine klare Regelung, welche aktuellen         werden. AdressatInnen stehen sicheren
   Zugriff darf nur passwortgeschützt         Datenschutzbestimmungen entspricht.           Tools teilweise ambivalent gegenüber, da
   und nur den berechtigten Personen         Für den Einsatz der verwendeten Tools         diese noch wenig vertraut und deshalb
   möglich sein.                             sind entsprechende Datenschutznach-           zunächst mit Aufwand verbunden sind.
– Offener Quellcode der Software: Wün-        weise zu erbringen. Zum Gelingen trägt        Hier ist es Aufgabe der Beratenden, für
   schenswert ist ein offen verfügbarer       neben geeigneter technischer Lösungen         die Wichtigkeit der Vertraulichkeit als
   Quellcode der Software, denn dies er-     bzw. Tools auch bei, dass die Beratungs-      unabdingbarem Beratungsstandard – ge-
   laubt dessen externe Überprüfung.         fachkräfte für damit einhergehende Da-        rade bei Suchtthemen – zu werben. Das
– Transparenz: Es ist in Nutzungsbe-         tenschutzfragen sensibilisiert sind und       derzeitige Spannungsfeld zwischen der
   stimmungen oder anderer geeigneter        bei Bedarf geschult werden.                   notwendigen NutzerInnenfreundlichkeit
   Form darzulegen, wer die Vertrags-                                                      auf der einen Seite und der Gewährleis-
   partner im Beratungsangebot sind,         Ausblick                                      tung beraterischer Vertraulichkeit auf
   wie die vertragliche Konstellation        Für eine gelingende Umsetzung von             der anderen Seite wird sich nicht ad hoc,
   aussieht (z. B. bei Vertragsdreieck mit   Blended Counseling in die Praxis gilt es      sondern nur schrittweise lösen lassen,
   externem Toolanbieter) und wie die        jeweils drei Dimensionen in den Blick zu      auch unterstützt von neuen technischen
   Verantwortlichen mit personenbezo-        nehmen:                                       Entwicklungen.

                                                                 25
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Engelhardt, E./Reindl, R. (2016): Blended Coun-    Hörmann, M. (2014): Die beraterische Nutzung
   seling – Beratungsform der Zukunft? Re-           von Telefon, E-Mail und SMS im Sozial-           Endnoten
   sonanzen – E-Journal für biopsychosoziale         dienst. ZESO – Zeitschrift für Sozialhilfe       1
                                                                                                        HIN – Health Info Net: www.hin.ch
   Dialoge in Psychotherapie, Supervision und        4(14): 26-27.                                    2
                                                                                                        www.melani.admin.ch/melani/de/home/
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                                                                                                        Der Schlussbericht zum Projekt mit Hand-
Flammer, P./Hörmann, M. (2018): Flexibel und         Weinheim und Basel: Beltz Juventa.                 lungsempfehlungen für die Praxis ist ab
   passgenau beraten – Blended Counseling.         Risau, P. (2009): Die Wahl der Technik. Stan-        Januar 2019 verfügbar unter:
   ZESO – Zeitschrift für Sozialhilfe 3(18): 16-     dards und Anforderungen an technische Lö-          www.blended-counseling.ch
   18.                                               sungen zur Online-Beratung. S. 201–211 in:
Hörmann, M. (2018): Blended Counseling. Me-          S. Kühne/G. Hintenberger (Hrsg.), Handbuch
   diennutzung und Potenzialeinschätzung in          Online-Beratung. Göttingen: Vandenhoeck &
   Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit. Sozi-       Ruprecht.
   ale Arbeit 67(6): 202-209.

                                                                         26
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