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34/2021 So berühmt sein, dass es eine Spielfigur von einem gibt: Wie ist das? Seite 16 Kann dieses Stück Stoff die Welt ein bisschen besser machen? Der SeiDenSchal Vom Krieg, von einer Krise und dem Trost der Schönheit. Seite 6
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An einem seidenen Faden. Was verbindet den Krieg in Syrien, die Flüchtlingskrise in Libanon und die Folgen der Corona-Pandemie im Kanton Glarus? Ein Seidenschal. Text von Sacha Batthyany. Bilder von Claudia Klein (Schweiz) und Carmen Yahchouchi (Libanon) 6 NZZ am SoNNtag magaZiN 34/2021
A Al les hängt an einem Faden, einem Seiden- faden, der den Krieg auf eine bessere Zukunft; sie sehen die mit Schusslöchern übersäten Hochhausfassaden Kleiderkollektionen zu entwer- fen, am liebsten aus Seide. Auch Muntinga, in der Schweiz auf- Und als sie im Herbst 2020 die Mitbegründerin der Schwei- zer Nichtregierungsorganisa- in Syrien mit der Corona-Pan- vom Bürgerkrieg und ein paar gewachsen, studierte erst tion Swiss4Syria kennenlern- demie in Mitlödi, Glarus, 977 Kinder, die am Strassenrand Industriedesign, arbeitete in ten, Jessica Mor-Camenzind, Einwohner, verbindet. mit Eimern voller seifigem Los Angeles in einem Innen- fanden sie, wonach sie gesucht «Heute ist einer der schöns- Schmutzwasser vergeblich auf einrichtungsgeschäft für die hatten. «Wir wollten etwas Be- ten Tage seit langem», strahlt Autos warten, die am Rotlicht Menschen in Beverly Hills, die deutungsvolles», sagt Rahal Ahmad, ein kleiner Junge aus stehen, um ihre Windschutz- sich alles leisten können, bevor und strahlt: «Wir wollten Aleppo, der mit den Eltern vor scheiben zu putzen. Seit auch er in London in einer gemein- etwas, das bleibt.» Deshalb sind ein paar Jahren vor den Grana- das öffentliche Stromnetz in nützigen Organisation anheu- sie jetzt auf dieser Schotter- ten des syrischen Diktators Libanon zusammengebrochen erte, wo er Rahal kennenlernte. strasse irgendwo im Süden Bashar al-Asad geflohen ist und ist, funktionieren nicht einmal Die vergangenen 18 Monate Libanons und fahren an ver- nun in einem Flüchtlingslager die Ampeln. verbrachte das Designerduo, so schiedenen Flüchtlingslagern im Süden Libanons lebt. Zwischenverpflegung auf wie der Rest der Welt, corona- vorbei, die aus nur wenigen, «Es ist eine Katastrophe», der Autobahn, Kaffee und bedingt zu Hause. In Zeiten, in dann aus Hunderten im Wind sagt Hans Blesi, ein 73-jähriger Manoucheh, ein Fladenbrot. denen die Menschen ihre Tage flatternder Zelte bestehen, wild Mann aus Glarus, der in der Muntinga und Rahal haben in ausgebeulten Trainerhosen verteilt im ganzen Land wie grossen Halle seiner Fabrik eine anstrengende Woche vor vor ihren Laptops verbrachten Inseln eines Archipels. steht, draussen rauscht die mil- sich, sie besprechen die letzten und sich nur mit ausgeschalteter Zehn Jahre herrscht der chige Linth vorbei, und der auf Details, sie haben sich akri- Kamera über Zoom unterhiel- Krieg in Syrien bereits, vor dem seine Textildruckmaschinen bisch auf ihre Reise ins Krisen- ten, um die weissen Strähnen man in Europa die Augen ver- blickt, die rattern und laufen gebiet vorbereitet: Im Koffer- zu verbergen, haben es Designer schliesst, obwohl er uns alle be- sollten, aber stattdessen stehen raum liegen Schachteln voller glamouröser Abendkleider trifft. Seit die ersten Demons- sie alle still. Buntstifte und grosse Papier- schwer. Alle Modeschauen wur- tranten gegen den Machthaber Der Faden, der die unglei- rollen. den abgesagt, alle Events ver- Bashar al-Asad im März des chen Ortschaften umspinnt, Sie sind nicht zum ersten schoben. «Wir begannen uns Jahres 2011 auf die Strasse gin- beginnt sich an einem frühen Mal in Libanon. Roland Rahal zu hinterfragen», sagt Rahal. gen, sind nach Schätzungen der Dienstagmorgen abzuspulen, ist hier geboren und aufge- «Die vergangenen Jahre ging es Uno 600 000 Menschen gestor- es ist Mitte Mai in Beirut, blauer wachsen, bevor er nach Dubai uns darum, zu wachsen und ben. Die Hälfte der 22 Millio- Himmel über der Hauptstadt zog und dann nach London, unser Label bekannter zu ma- nen Syrer musste ihre Häuser Libanons. Die beiden Designer wo er als Journalist arbeitete, chen, aber das schien uns plötz- verlassen, fast sechs Millionen Michael Muntinga und Roland später als Marketingexperte, lich nicht mehr erstrebens- flohen ins Ausland. Allein in Rahal sind auf dem Weg in den bis er begann, hochwertige wert», sagt Muntinga. Libanon, dem Nachbarland, Süden des Landes, in die Nähe leben 1,5 Millionen syrische der Stadt Tyros, unweit der Flüchtlinge unter armseligs- Grenze zu Israel. Muntinga und Homs ten Verhältnissen, mehr als die Rahal sind die Gründer des Hälfte davon sind Kinder, die Modelabels Mourjjan, sie leben kein anderes Leben kennen als und arbeiten in Zürich, ihr Ate- Krieg und Flucht und Warte- lier befindet sich im ehemaligen rei auf ein besseres Leben, das Hotel Waldhaus am edlen Mittelmeer dann meist doch nicht kommt. Zürichberg, wo sich die Villen- LIBANON besitzer hinter blickdichten He- cken verstecken und man abge- sehen von ein paar Zwergchi- Beirut Beir Z Zwei Jahre nach Aus- bruch des Bürgerkrie- ges, im Frühling 2013, SYRIEN huahuas, die in Céline-Hand- beschlossen Jessica Mor und taschen vergessen gingen, und Tamer Amr, nicht mehr länger Damaskus dem Helikopter, der Notfälle tatenlos zuzusehen, und riefen ins nahe Kinderspital bringt, auf Facebook zu einer Kleider- nichts hört oder sieht, was Tyros spende für die syrischen Flücht- irgendwie irritieren könnte. Zürich ric linge in Libanon auf. Mor, eine Jetzt fahren die beiden Desi- Zürcherin mit libanesischer ISRAEL gner durch die Gegenwelt des Mutter, war nicht die Einzige, SC C HWEIZ Zürichbergs und blicken am Haifa Hai die aktiv wurde, damals woll- Hafen von Beirut auf die Stelle, Luz Luzern Luze Glar larru larus ru ten viele helfen, aber sie war wo vor einem Jahr eine Explo- Mitlö lö lödi eine der wenigen, die dran- sion den Häusern der Innen- blieben und weitermachten, stadt die Dächer wegriss und 50 km 25 5 km k auch nachdem der Krieg und dem Land die letzte Hoffnung das Elend aus den Schlagzeilen 8 nzz am sonntag magazin 34/2021
Auch Nader, 11, schaut in eine sehr ungewisse Zukunft. Flüchtlingslager im Süden Libanons. Die kleinen Modedesigner am Werk. Die Designer Muntinga und Rahal (r.) mit Jessica Mor von Swiss4Syria. 34/2021 NZZ am SoNNtag magaZiN 9
verschwanden. Damals, 2013, Wenn jemand also weiss, wie es als Mor begann, rechnete sie den Menschen auf den Strassen mit ein paar Kilo Schuhen und Libanons geht, den syrischen Pullovern, die sie in Koffern Müttern, die in sengender Son- nach Beirut mitnehmen wür- ne auf den Feldern des Bekaa- de, um sie zu verteilen. Doch Tals Früchte pflücken, wie den am Ende wurden es 40 Tonnen. verarmten Künstlern aus dem «Wir standen plötzlich vor Szeneviertel Gemmayzeh, dann Bergen von Jacken und Hosen ist es dieser Shibli. «Die Lage und organisierten einen Con- ist hochexplosiv. In wenigen tainer», erzählt Mor. Schnell Jahren hat sich ein perfek- aber merkte sie: Was die Kinder ter Sturm zusammengebraut: dringender brauchen als gute Finanzkrise, Währungskrise, Kleidung, ist gute Bildung. Regierungskrise, Flüchtlings- Heute unterstützt ihre Orga- krise, und dann war da noch nisation Swiss4Syria nicht nur die Explosion im Hafen», sagt Flüchtlingsfamilien, sie be- der Professor, der sich plötzlich treibt eine Schule im Süden und an seine Stirn fasst, weil er bei hilft psychisch und physisch der Aufzählung der Probleme, Handicapierten. 2019 gründete die sein Land in den Abgrund Mor mit einer befreundeten reissen, die Pandemie verges- Schweizlibanesin eine weitere sen hat. NGO, Swiss4Lebanon, um Not- leidenden in Beirut und auf dem Land unter die Arme zu greifen. Sie renovieren Wohnungen, die L Libanon ist ein Land ohne Regierung, ein Staat ohne Staat und durch die Explosion zerstört gleichzeitig ein Experiment: wurden, und verteilen neuer- Man kann zusehen, wie sich dings auch Essensrationen an eine Gesellschaft organisiert, Kennt nichts als Krieg und Vertreibung: Hadeel, 11. Menschen, die sich vor Mona- in der sich niemand um das ten zur Mittelschicht zählten, Gemeinwesen schert. Es gibt jetzt aber hungern müssen. zwar Menschen, die sich Poli- In Beirut, das vor Jahren als tiker nennen und Versprechen Party- und Kunstmetropole abgeben, sich um scheinbare galt, wo europäische Hipster, Selbstverständlichkeiten wie die von Berlin gelangweilt Rentensicherheit zu kümmern. waren, sich vor zerbeulten, Aber der in der Verfassung ver- crèmeweissen Mercedes-Taxis ankerte konfessionelle Proporz fotografierten, während sich führt dazu, dass Christen, Schi- die arabische High Society iten, Sunniten, Maroniten im Casino du Liban am Rou- und Drusen nur auf ihre eige- lette-Tisch zuzwinkerte, le- nen Vorteile blicken und sich ben neuerdings 60 Prozent sonst darin üben, die eigenen der Menschen in Armut. «Nie Taschen mit Staatsgeldern zu hätte ich es für möglich gehal- füllen und die jeweils anderen ten, dass wir Libanesen Essen Gruppen für alles verantwort- verteilen», sagt Rabih Shibli, lich zu machen, was schief- Professor an der Amerikani- läuft. So ist auch die Verantwor- schen Universität in Beirut und tung für die Hafenexplosion vor einer der Berater von Jessica einem Jahr nicht aufgearbeitet, Mors Organisation. weil sich die religiösen Clans Shibli ist Direktor des Insti- gegenseitig behindern. tuts für Civic Engagement and Früher seien sie nach jedem Community Service. Seine Stu- Rückschlag wieder aufgestan- denten arbeiten in sozialen Ein- den, hört man die Menschen richtungen, bauen Schulen für sagen. Die Libanesen gelten als Flüchtlingskinder, organisie- Experten für Desaster, als Welt- ren Frauenhäuser, mobile Toi- meister der Resilienz. Niemand letten und schreiben ihre Mas- sei so geübt darin, sich von ganz terarbeiten über ihre Einsätze. unten wieder hochzuziehen; es Kriegskinder: Eines malte ein Gewehr, gebeten, etwas Schönes zu malen. 10 NZZ am SoNNtag magaZiN 34/2021
war Teil dessen, was das Bei- getanzt, ist es heute dunkel. ruter Leben ausmachte, dieser Selbst dem Flughafen drohen Tanz am Rand des Vulkans. die Lichter auszugehen. Doch nun hat sich dieser Tanz Michael Muntinga und in Apathie verwandelt. «Wir Roland Rahal, die beiden leiden unter einer kollektiven Designer, stoppen vor einem Depression», das sagt eine Mut- unscheinbaren Haus an einer ter, die ihren Zwillingsbruder Kreuzung im Nirgendwo. Der verloren hat, weil er zu nahe am Süden des Landes ist in der Fenster stand, wo ihn die Split- Hand der radikalislamischen ter trafen, an diesem 4. August Hizbullah, man muss sich hier 2020, als 2750 Tonnen Ammo- etwas vorsichtig bewegen als niumnitrat in die Luft gingen. Fremder, nicht viel Aufmerk- «Seit der Explosion geht es ums samkeit erzeugen und die rich- nackte Überleben, Beirut ist tigen Leute kennen, sonst wird zum Dschungel verkommen», es gefährlich, sagt Professor sagt ein Barbesitzer mit John- Rabih Shibli von der Amerika- Lennon-Brille, der an seinem nischen Universität in Beirut. Tresen ins Leere schaut und «Wer in Libanon etwas bewir- nicht weiss, wie er die Miete ken will, der bewegt sich besser bezahlen soll. «Wir befinden unter dem Radar.» uns im freien Fall, und die Welt Muntinga und Rahal neh- sieht zu», sagt ein vom War- men ihre Papierrollen und Stifte ten ermüdeter Taxifahrer ohne aus dem Auto und gehen in den Kunden. zweiten Stock, wo sich eine Zu allen Übeln gesellte Schule befindet, in der Flücht- sich eine desaströse Finanz- lingskinder aus den umliegen- politik, die Kapital aus dem den Lagern unterrichtet werden Ausland mit abartig gross- Mitlödi, Kanton Glarus. Betriebsamkeit ist hier lange her. und die von Jessica Mors Orga- zügigen Zinsen anlockte, bis nisation Swiss4Syria finanziert das Konstrukt, das kollabie- wird. An den Wänden hängen ren musste, kollabierte: Die Kinderfotos, eine Schweizer Währung verliert seit Mona- Fahne, überall stehen kleine ten an Wert, die Preise sind Tische und Stühle, Muntinga explodiert, Ersparnisse und und Rahal gehen noch einmal Pensionsgelder haben sich in das Programm durch. Sie wer- Luft aufgelöst. Väter, die nicht den eine Woche lang mit Kin- wissen, wie sie ihren Kindern dern zeichnen und basteln, die die Schule bezahlen, Mütter, nie gelernt haben, sich kreativ die sich zwischen dem Kauf auszudrücken, und auch nie von Menstruationsbinden oder ermuntert wurden, aus sich Abendessen entscheiden, weil heraus etwas zu erarbeiten. In beides zu teuer ist – und ein ihren Workshops, die dreimal 70-jähriger Präsident der liba- im Jahr stattfinden, bringen nesischen Zentralbank, Riad sie palästinensische, syrische Salameh, der für das Desas- und libanesische Kinder zu- ter mitverantwortlich ist und sammen, die in dieser Region gerüchteweise Milliarden an Libanons auf engstem Raum Staatsgeldern aus seinem kri- und doch voneinander getrennt sengeschüttelten Land und sei- in ihren Gemeinschaften leben nen krisengeschüttelten Ein- und sich zum Teil heftig anfein- wohnern vorbei ins Ausland den, weil sie nichts anderes von transferierte. Natürlich in die ihren Eltern lernen. Schweiz. Aus den Zeichnungen der Wenn es Nacht wird in die- Flüchtlingskinder soll später ser Stadt, die einst vor Leben ein Seidenschal werden, den bebte, dann spürt man das Muntinga und Rahal entwer- Ausmass der Krise am ehes- fen und verkaufen wollen, um ten. Wo früher gelacht wurde, Jessica Mors Schule zu unter- debattiert, gebetet, geliebt und Werkhalle der letzten Glarner Textildruckerei. stützen. 34/2021 NZZ am SoNNtag magaZiN 11
E Et wa zur selben Zeit, als die beiden Desi- gner und Gründer von Sein Textilunternehmen Mit- lödi sei bei Händlern in Saudi- arabien und Innendesignern in Mourjjan nach neuen Projek- Japan und den USA ein Begriff. ten Ausschau hielten, im Mai «Es lief seit Jahren zwar nicht 2020, mitten im Lockdown, als mehr rosig, aber wir hatten kein Mensch der Welt an Desi- trotzdem noch 120 Mitarbei- gnermode dachte, erhielt Hans ter.» Bis Corona kam und alles Blesi, 73 Jahre alt, wohnhaft in wegbrach. Mitlödi, Kanton Glarus, den Wie sehr wir in einer glo- richterlichen Bescheid, dass balisierten Welt leben, merkt sein Textildruckunternehmen man eben nicht nur in Libanon, Konkurs sei und er die Tore wo syrische Flüchtlinge dank schliessen müsse. Spenden aus der ganzen Welt 47 Jahre lang war Hans Blesi überleben, während Iran, die Chef dieser Druckerei. Es ist Türkei, die USA und Russland die letzte im Tal. Sein ganzes über die Zukunft der Region Arbeitsleben verbrachte er in feilschen, sondern auch im diesen Hallen mit den Sieb- kleinen Mitlödi – alles hängt druckmaschinen und meter- mit allem zusammen, wie langen Förderbändern. Nach beim Domino: Weil der Hajj im dem Konkurs sei ein Glarner Corona-Jahr 2020 wegfiel, die Immobilienunternehmer einge- Pilgerfahrt der Muslime nach sprungen, der sicherstellt, dass Mekka, verlor Blesi einen gros- die laufenden Projekte weiter- sen Auftrag in Saudiarabien, geführt werden können. «Aber der ihn über die Runden ge- auf lange Sicht steht uns das bracht hätte. Auch andere Kun- Wasser bis zum Hals. Bis Ende den sprangen plötzlich ab, und Textilunternehmer Blesi: «Uns steht das Wasser bis zum Hals.» Jahr müssen wir einen Investor so stand Blesi vor dem Nichts, finden, sonst ist das hier alles als die Designer von Mourjjan für immer vorbei», sagt Blesi, bei ihm anriefen, sie würden ein drahtiger Mann, der aus- gerne einen Seidenschal dru- sieht wie ein etwas in die Jahre cken, den Flüchtlingskinder gekommener Skilehrer. aus Syrien entwerfen. Der Auf- trag rettet Blesi nicht aus dem E Ei nst gab es in der Region 28 Textilfabri- ken, Spinnereien und finanziellen Ruin, dafür ist die Stückzahl zu klein, und doch tat es gut, sagt er, angefragt Webereien, zwischen Linthal und gebraucht zu werden. «Wir und Ziegelbrücke entstand sind die Letzten unserer Art», Mitte des 19. Jahrhunderts eine so Blesi. «Wenn wir schlies- Fabrik nach der anderen. Man sen, sterben ein Handwerk und spricht vom «glarnerischen ein Stück Schweizer Industrie- Wirtschaftswunder», die Tex- geschichte.» tilindustrie bot über 10 000 Zurück in Libanon; die Arbeitsplätze, weltweit wurde Kinder sind am ersten Tag des die Qualität der Produkte ge- Workshops noch etwas verhal- lobt. Der schleichende Tod be- ten. Die Mädchen kichern, ein gann mit den mechanischen Junge meint, er habe noch nie Druckmaschinen und später in seinem Leben etwas ausge- mit der Digitalisierung. «Das malt, und fragt, ob das nicht Bedrucken von Kleidern wurde eine Sache für Mädchen sei? nach Asien verschoben, wo Am zweiten Tag sind alle ent- alles billiger ist. Uns blieben spannter, einige der libanesi- die Spezialanfertigungen, die schen und syrischen Teenager hochwertigen Dekostoffe», sagt freunden sich an, was sonst nur Blesi. «Unsere Maschinen kön- selten geschieht, und als Mun- nen Muster und Farbkombina- tinga sagt, sie sollen an etwas tionen kreieren, die kein digi- Schönes denken, das sie aus Werkbank, die bald für immer leer bleiben könnte. taler Drucker hinbekommt.» ihrem Alltag kennen, und es 12 NZZ am SoNNtag magaZiN 34/2021
dann auf die Papierrolle zeich- lebten jahrelang auf den Feldern mit Blesi, dem Chef des Textil- Süden. «Die Kinder waren nen, nimmt Mohammad, ein unter freiem Himmel, zogen von unternehmens, treffen und den sprachlos, als wir ihnen den Palästinenserjunge, einen di- einem Ort zum nächsten und Testdruck überprüfen. Und als Schal mit ihren Zeichnungen cken schwarzen Stift und malt lebten wie Wölfe, immer nur mit er das Stück Stoff, das einen überbrachten», erzählt er. Es sei ein Maschinengewehr. den Eltern, hatten nie Kontakt so langen Weg hinter sich hat, mittlerweile eine verschworene So geht das die ganze Woche, zu Lehrern und anderen Men- endlich in der Hand hält, sagt Gruppe geworden. Die gegen- es wird gesungen und vor allem schen, die sie beeinflussen.» Sie er: «Es ist mehr als ein Schal», seitigen Vorurteile hätten sich gezeichnet, und je mehr Stun- seien seelisch verwundet. Wenn und Blesi nickt. Eine Fahne der in Luft aufgelöst. «Einige der den vergehen, desto mehr öff- es Muntinga und Rahal gelänge, Hoffnung. palästinensischen, libanesi- nen sich diese Kinder, die viel sie trotz ihren Traumata wieder Mitte Juli fliegen Muntinga schen und syrischen Kinder zu viel Leid gesehen haben, etwas aufzurichten und ihnen und Rahal noch einmal nach sind Freunde geworden, sie und lassen ihre Gefühle raus, neue Ideen und Perspektiven Libanon für den zweiten Teil helfen sich aus und unterstüt- lachen, tanzen, sprechen von auf den Weg zu geben, dann sei ihres Workshops. Sie haben zen sich.» Was Libanons Eliten ihrer Flucht und ihren Träumen sehr viel erreicht. Mühe, ein Mietauto zu fin- nie gelang, eine Gemeinschaft und arbeiten weiter an ihren den, weil die meisten Anbieter zu bilden und nach höheren Zeichnungen, mal ganz chao- tisch, mal hochkonzentriert. «Wir wollen ihnen zeigen, wie D Die Kriegskinder seien für die Zukunft dieser Region entscheidend, schliessen mussten, zudem sind die Strassen teilweise gesperrt, «man kann stündlich zusehen, Werten zu streben, gelang den Kindern spielend. «Das ist das Schönste an dieser Arbeit», er- viel Potenzial in ihnen steckt, sagt Shibli. «Wir brauchen eine wie das Land den Bach hinunter zählt Muntinga. «Zu merken, wir wollen sie von innen stär- neue Elite, neue Lehrer, neue geht», sagt Muntinga. In Beirut dass es uns irgendwann gar ken und ihnen helfen in Bezie- Väter und Mütter, die Libanon herrsche nun Wassermangel, es nicht mehr braucht.» ■ hung zueinander zu treten», und die Nachbarländer in eine ist über 40 Grad heiss, aber die sagt Muntinga. «Wir sind keine neue Zeit lenken werden. Wenn Klimaanlagen springen nicht Psychotherapeuten, und wir aus den heutigen Jugendlichen an, weil der Strom fehlt. Als Soundtrack zu diesem Text empfiehlt Sacha BatthyaNy das haben auch nicht Monate Zeit.» fundamentalistische Hass- Wieder fahren die beiden Lied «Le Beirut» der grossen Der Workshop sei ein erster prediger werden, dann sehe Designer in die Schule im libanesischen Sängerin Fairouz. Funke in der Dunkelheit, aber ich für uns alle schwarz.» mit etwas Glück, sagt Muntin- Natürlich ist der Effekt eines ga, «entfacht er kleine Lichter solchen Workshops limitiert, in den Kindern, und sie begin- kein Malkurs kann ein Kind nen zu strahlen». von dessen Trauma befreien, 20. Mode SuiSSe ebenso wenig wie der Seiden- Wichtigste Plattform der Schweizer Modeszene S Seit der Explosion in Beirut im August 2020 wurden unzählige cari- schal die sterbende Textil- industrie in der Schweiz retten kann. Das wissen die Designer, tative Projekte gestartet und aber das Projekt setze Energien Hilfsorganisationen gegründet, frei, sagt Michael Muntinga, sagt Rabih Shibli von der Ameri- dieses Stück Stoff bringe Dinge kanischen Universität in Beirut, in Bewegung. «Wir haben in denn wo kein Staat vorhanden den Kindern ein paar Keime sei, müssten private Spieler ein- gepflanzt», sagt Roland Ra- springen. Manche dieser neuen hal im Atelier am Zürichberg, NGO hätten versucht, an Gelder ein Monat ist vergangen seit aus dem Ausland zu gelangen, dem Workshop in Libanon. Er um sich dann wieder aufzu- vermisse die Kinder, sagt er, lösen; manche Hilfsprojekte und er freue sich, sie bald wie- seien vielleicht gut gemeint, derzusehen. «Wir gaben ihnen aber wenig nachhaltig oder an so wenig, und sie machten so den Bedürfnissen der Menschen viel draus. In der Schweiz ist vorbeigeplant. «Was mir an den es umgekehrt: Die Menschen Designern von Mourjjan gefällt, haben alles, aber es bedeutet ist, dass sie den Kindern keine ihnen nichts.» Stifte in die Hand drücken, ein Ein paar Tage später sitzt An der Mode Suisse präsentieren Schweizer Foto: Walter PFeiFFer Modelabels, darunter Mourjjan, am 30. August bisschen Fotos machen und Muntinga am Steuer seines VW ihre Kollektionen in Zürich-Altstetten. Auch der dann wieder gehen, sondern Tiguan und fährt an der Rast- Seidenschal aus Libanon wird hier zum ersten Mal regelmässige Workshops veran- stätte Glarnerland vorbei nach öffentlich vorgestellt. Er ist über die Websites stalten, in denen sie sie lehren, Mitlödi. Gemeinsam mit Rahal mourjjan.com oder swiss4syria.com erhältlich. sich kreativ auszudrücken.» Es hat er die Zeichnungen der Kin- Die Schweizer Modeplattform feiert in diesem Jahr ihre Jubiläumsedition: modesuisse.com. seien Kinder, die Unbeschreib- der eingescannt und daraus ein liches erfahren hätten. «Manche Muster entworfen, er will sich 14 NZZ am SoNNtag magaZiN 34/2021
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