Neu erschienen - Max-Planck-Gesellschaft
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Neu erschienen Wütender Weckruf Michael Schrödl, Unsere Natur stirbt, Warum jährlich bis zu 60 000 Tierarten verschwinden und das verheerende Auswirkungen hat 221 Seiten, Verlag Komplett Media, München 2018, 18,00 Euro Irgendwie ist es merkwürdig. Selbst in Ki- Aber auch von allen anderen geschätzten me der Weltbevölkerung oder die Tatsa- nofilmen, die einen Weltuntergang ankün- 1,5 Millionen Tierarten werden bis 2050 je- che, dass immer mehr Flächen mit Park- digen, geht es zum Schluss doch meist gut des Jahr ein bis zwei Prozent verloren ge- plätzen und Neubauten versiegelt wer- aus. Auf so ein Happy End würde Michael hen. Viele davon werden zudem ausster- den. Die größte Gefahr geht nach Michael Schrödl eher nicht setzen. Er befürchtet ben, ohne dass sie je entdeckt wurden. Schrödls Ansicht von der industriellen ein wirkliches Ende der Erde – wenn alles Schrödl hat aber nicht nur Angst, dass Landwirtschaft aus. Dazu kommt, dass je- so weitergeht wie bisher. Der Forscher ihm die Objekte seiner Arbeit ausgehen. des Jahr bis zu zehn Millionen Hektar Tro- malt das Szenario eines sechsten großen Er warnt vor einer globalen biologischen penwald als Lebensraum verloren gehen; Artensterbens in der Erdgeschichte, wenn Krise, einer „Biokalypse“, die das Ende der sie werden zum Zweck der landwirtschaft- die Tropenwälder brennen, die Korallenrif- Zivilisation bedeuten kann und auch uns lich Nutzung gerodet. fe immer mehr ausbleichen und die Insek- in Europa nicht verschonen wird. So macht Am Ende seines Buchs stellt der Autor ten nacheinander sterben. Und er hat er klar, dass – anders als in Kinofilmen – den Lesenden ein Worst-Case-Szenario Angst, dass mit der schwindenden Vielfalt eine Art, die einmal ausgestorben ist, vor. In einer Art Countdown – beginnend auch die Lebensgrundlage von uns Men- nicht wieder zurückkommt. Mit gravieren- mit dem Hitzesommer 2018 – führt er an schen zerstört wird. den Folgen für die Natur. Einige Verluste einzelnen Beispielen vor Augen, was bis Denn es sind nicht gerade wenige Ar- kompensiert der Mensch schon jetzt mit 2050 alles passieren kann, wenn Klima- ten, die gerade verschwinden, jedes Jahr erfinderischen Lösungen. Beispielsweise wandel, Artensterben und Versorgungs- gehen weltweit zwischen 20 000 und sollen fliegende Roboterdrohnen fehlen- krise zusammenwirken. 60 000 unter. Schrödl macht das nicht nur de Honigbienen ersetzen. In China wer- Das Arten- und Insektensterben ist traurig, sondern so wütend, dass er ein den mittlerweile Blüten per Hand be- derzeit ein Thema vieler aktueller Bücher. Buch darüber geschrieben hat. Von Berufs stäubt oder in den USA mobile Bienen- Aber keines ist so emotional geschrieben. wegen ist der Artenforscher der Zoologi- trucks zu den Feldern gefahren. Der Artenforscher macht deutlich: Wenn schen Staatssammlung München so etwas Aber diese Hilfsmittel versagen auf es einen glücklichen Ausgang für die Zivi- wie ein Standesbeamter für Tierarten. Dauer. So sind etwa Wildbienen, von de- lisation geben soll, müssen sofort wirk- Denn in seinem Job als Taxonom ordnet er nen es in Deutschland mehr als 500 Arten same Maßnahmen starten. Einige davon neu entdeckte Arten in ein natürliches gibt, wichtige Spezialisten. Sie haben ei- stellt er vor, etwa den Schutz naturnaher Register ein. In diesem Stammbaum des gene Vorlieben für bestimmte Blüten. Ei- Lebensräume wie Moore, Auen, Wälder, Lebens steht, wer mit wem verwandt ist nige von ihnen sind vorzugsweise zu Zei- Mangroven oder Korallenriffe, Umstellung und wer nicht. Oder wer die Vorfahren ten aktiv, die andere wiederum zu kalt auf biologische Landwirtschaft und weg sind oder die Nachfahren. oder zu feucht finden. Noch funktioniert von den fossilen Energieträgern. Das Werk Michael Schrödl liebt seine Arbeit, aber ein Sicherheitsnetz der Natur: Wenn ein- ist trotz Faktenfülle kein nüchternes Sach- am liebsten entdeckt und ordnet er Schne- zelne Arten aussterben, erledigen andere buch. Es ist eher ein wütender Weckruf, cken. Wenn Gartenbesitzer über die schlei- deren Aufgaben mit. Nimmt die Vielfalt mit dem der Autor auch mit drastischen migen Plagegeister schimpfen, sieht er hier hingegen ab, funktioniert dieser Prozess Worten aufrütteln und zu Taten anspor- Tiere, die den Angriffen der Menschen nicht mehr – bis schließlich ganze Ökosys- nen will. Katja Engel schlau trotzen. In Deutschland – so rechnet teme zusammenbrechen. er – werden von den etwa 330 Weichtier- Ursachen sind nach Meinung des Au- arten weniger als 40 Prozent überleben. tors nicht nur der Klimawandel, die Zunah- 78 MaxPlanckForschung 1 | 19
Im Sinkflug Peter Berthold, Konrad Wothe, Unsere einzigartige Vogelwelt, Die Vielfalt der Arten und warum sie in Gefahr ist 224 Seiten, Frederking & Thaler Verlag, München 2019, 29,99 Euro Die Letzten ihrer Art lautete der Titel eines werdenden Vögeln präsentieren Berthold rapp, Steinsperling und Schlangenadler. In Buchs aus dem Jahr 1992. Der Science-Fic- und Wothe die ganze Pracht unserer heimi- einer von Intensivlandwirtschaft und fort- tion-Autor Douglas Adams – berühmt durch schen Vogelwelt. Kurze Begleittexte infor- schreitender Bebauung dominierten Um- sein Werk Per Anhalter durch die Galaxis – mieren über den aktuellen Bestand und die welt sind inzwischen sogar die früher un- unternimmt darin eine Weltreise zu vom Bedrohung der einzelnen Arten. Nicht zu- verwüstlichen Spatzen gefährdet. Aussterben bedrohten Tierarten. Eine da- letzt das Kapitel über die vom Aussterben So ist der Band eine Hommage an die von sind die Kakapos auf Neuseeland. Von bedrohten Vögel macht den Ernst der Lage Formen-, Farben- und Verhaltensvielfalt dem „größten, fettesten und flugunfähigs- deutlich: Wer in Deutschland noch Sumpf- der Vögel und eine Mahnung zugleich. Viel ten Papageien der Welt“ (Adams) lebten bei ohreulen (50 Brutpaare), Alpenstrandläufer Zeit bleibt nicht mehr, den katastrophalen Erscheinen des Buchs nur noch weniger als (10) oder Rotkopfwürger (3) kennenlernen Trend der vergangenen Jahrzehnte umzu- 50 Exemplare. will, muss sich beeilen – es sind bereits die kehren. Ein massives Umsteuern ist nötig, Spätestens 30 Jahre später ist das Letzten ihrer Art. damit Bertholds Buch nicht zum Abgesang Artensterben unter den Vögeln auch in Manche Vögel hingegen, und das mag auf die heimische Vogelwelt wird. Die Deutschland angekommen. Waren es im man kaum glauben, sind „im Aufwind“. wachsenden Bestände von Wanderfalke, vergangenen Jahrhundert noch einige we- Dazu gehören beispielsweise Seeadler, Uhu Storch oder auch Seeadler in Deutschland nige, besonders auffällige Arten wie Wan- und Wanderfalke, die dank strenger Arten- zeigen, dass Schutzmaßnahmen erfolg- derfalken oder Weißstorch, deren Rück- schutzmaßnahmen vor dem Aussterben be- reich sein können. gang besonders ins Auge fiel, sind heute wahrt werden konnten. Der Bienenfresser Die eingangs erwähnten neuseeländi- längst Allerweltsarten wie Star, Lerche wiederum profitiert von den steigenden schen Kakapos machen da Mut: Nach dem und Rebhuhn betroffen. Sogar um die Am- Temperaturen in Deutschland. Und andere Tiefstand hat sich ihre Zahl auf inzwischen sel muss man sich inzwischen sorgen. verdanken ihr Vorkommen komplett dem – immer noch höchst bedrohte – 150 Tiere Der Ornithologe und ehemalige Direk- Menschen, wie etwa der Halsbandsittich. verdreifacht. Dazu waren allerdings jahre- tor am Max-Planck-Institut für Ornitholo- In den 1960er-Jahren entkamen einige Vö- lange künstliche Fütterung, Kükenauf- gie in Radolfzell, Peter Berthold, beklagt gel der Gefangenschaft und bauten in Köln zucht per Hand sowie mehrere Umsied- den teils dramatischen Rückgang an Vö- eine kleine Kolonie auf. Heute leben mehre- lungsaktionen notwendig. Bleibt zu hof- geln in seinen Veröffentlichungen schon re Zehntausend Exemplare dieser ursprüng- fen, dass es in Deutschland so weit nicht seit Jahren. Nun legt er gemeinsam mit lich aus Afrika und Asien stammenden Pa- kommen muss. Harald Rösch dem Naturfotografen Konrad Wothe ein pageien in Deutschland. Buch vor, das den Verlust nicht in Zahlen, Diese Ausreißer können jedoch nicht sondern in Bildern fasst. Zierliche Gold- darüber hinwegtäuschen, wie schlecht es hähnchen, schillernde Blauracken, leuch den allermeisten Vögeln in Deutschland tende Pirole, majestätische Greifvögel – geht. Von 300 Millionen Exemplaren im der Band zeugt von der Vielfalt und Schön- Jahr 1800 sind Peter Berthold zufolge noch heit unserer heimischen Vögel und gibt rund 60 Millionen übrig. Es gibt also heute eine Ahnung davon, welch ein Verlust das mehr Menschen als Vögel im Land. Vielen Verschwinden dieser Tiere wäre. Arten könnte schon in 10 oder 20 Jahren ein Beginnend mit in Deutschland bereits ähnliches Schicksal blühen wie den hierzu- ausgestorbenen Arten bis hin zu häufiger lande bereits ausgestorbenen Arten Wald- 1 | 19 MaxPlanckForschung 79
Neu erschienen Programmierte Intelligenz Lukas Brand, Künstliche Tugend, Roboter als moralische Akteure 152 Seiten, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2018, 16,95 Euro Der Titel Künstliche Tugend ist provokant. Autor meint, er könne utilitaristische und und gerade auch auf die jüngste philoso- Denn das Buch von Lukas Brand handelt regelbasierte Begründungen für eine mo- phische Diskussion um moralische Ma- im Kern davon, die aristotelische Tugend ralische KI, die er als unzulänglich einstuft, schinen eingeht. Das macht in den sechs ethik auf Roboter zu übertragen. Der Au- mit einer 2400 Jahre alten Psychologie Kapiteln einen guten Teil des Werks aus tor will damit einen Beitrag für eine zu- überwinden. und ist erhellend. Brand führt die gegen- künftige Maschinenethik leisten, denn er Brand räumt zwar ein, dass die Ver- wärtigen Schwierigkeiten der KI fast durch- geht davon aus, dass in absehbarer Zeit in- nunft des Menschen nach Aristoteles mit weg auf die Problemstellungen des „Imita- telligente Roboter im Umgang mit Men- dem Körper unvermischt sei, dennoch tion Game“ von Alan Turing zurück. In der schen dazu befähigt werden müssen, mo- meint er: „Diese Verbindung von mentalen aristotelischen Seelenlehre aber eine Lö- ralisch zu urteilen und zu handeln – oder, Prozessen mit dem physischen Körper des sung für die fundamental unbeantwortba- in Brands Worten, „auch in moralischen Menschen lässt sich auf die Verbindung re Frage gefunden zu haben, ob Maschi- Dilemmasituationen auf autonome Weise von Software und Hardware eines Robo- nen moralische Akteure sein könnten und ethisch verantwortbare Entscheidungen“ ters übertragen“ – eine entsprechende Ma- damit das Kriterium für eine „künstliche zu treffen. schine könne die „Seelenfähigkeit“ des Tugend“ erfüllen, kann nicht überzeugen. Das ist eine steile These. Sie wird je- Denkens besitzen, die für den Menschen Leider muss noch angemerkt werden, doch kaum in Europa und Deutschland ver- wesentlich sei. Am Ende bleibt aber die dass das Buch von Lukas Brand von treten. So schrieb jüngst Bundestagspräsi- Vereinigung von KI und Roboterkörper ein Rechtschreibfehlern strotzt. Wenn heute dent a.D. Norbert Lammert in der Frank- Dualismus und die Intelligenz, vom Men- eine Veröffentlichung nicht mehr von furter Allgmeinen Zeitung über die schen in den künstlichen Körper einge- Lektoren begleitet ist, so hätte der Autor künstliche und die menschliche Intelligenz: setzt, programmiert. selbst – wenn nicht mit KI, so doch mit „KI trifft keine Entscheidungen, sie setzt sie Der Autor muss einräumen, dass es bis dem einfachen Korrekturprogramm einer um.“ Ähnlich, aber philosophisch tief be- jetzt noch keine „vollkommen autonomen, üblichen Textsoftware – die meisten Feh- gründet, äußert sich Julian Nida-Rümelin universalen, künstlich intelligenten, ge- ler korrigieren können. Oder sollte es im gemeinsamen Buch mit Nathalie Wei- schweige denn künstlich moralischen Ak- etwa so sein, dass eine KI das Buch Künst- denfeld unter dem Titel Digitaler Humanis- teure“ gibt. Er meint aber, in den heute liche Tugend verfasst hat? Und, um die Le- mus. Demnach bleiben Moral und Tugend schon vorhandenen Beispielen von KI sei ser in Sicherheit zu wiegen, den Text ab- eine zutiefst menschliche Angelegenheit. sein Ansatz potenziell enthalten und künf- sichtlich mit etlichen Fehlern gespickt Anders Lukas Brand: Vererbung, Sozia tig durchaus im Bereich des Möglichen. Ei- hat, um ein allzu menschliches Machwerk lisation, Gewöhnung und eigene Mühe nig sind sich viele Experten darin, dass zu suggerieren? Peter M. Steiner würden im Ergebnis die „Seele“ eines Men- künstliche Intelligenz in schmalen Kompe- schen ausmachen, die autonomes Han- tenzbereichen erfolgreich sein wird und deln und entsprechende Verantwortung dann auch besser als ein Mensch. Doch im begründen. Auf Roboter – die verkörperte aristotelischen Sinne ist das Ganze mehr KI – übertragen, soll die Kombination aus als die Summe seiner Teile: Wer nur eine Hard- und Software menschliche Leistun- Tugend hat, hat keine; wer aber eine wirk- gen dann reproduzieren können, wenn der lich hat, besitzt die ganze Tugend. Roboter ein „künstliches neuronales Netz- Am stärksten ist das Buch dort, wo der werk“ mit „Deep Learning“ verbinde. Der Autor über die Geschichte der KI referiert 80 MaxPlanckForschung 1 | 19
Evolution in Echtzeit Jonathan B. Losos, Glücksfall Mensch, Ist Evolution vorhersagbar? 384 Seiten, Carl Hanser Verlag, München 2018, 26,00 Euro Als gegen Ende des 18. Jahrhunderts die ten Experten, die Evolution verlaufe viel zu zieht er los, um Echsen zu fangen und zu ersten ausgestopften Schnabeltiere nach langsam, als dass man sie in Echtzeit beob- vermessen. Es gelingt ihm, schnelle, adap- England kamen, suchten Forscher stun- achten könne. tive Evolution in freier Wildbahn nachzu- denlang nach versteckten Nähten, um den Heute gibt es etliche Arbeiten, die das weisen – damals eine Sensation, mit der er Betrug aufzudecken. Ein Eier legendes Säu- Gegenteil zeigen, darunter die legendäre im Fachblatt Nature landet. getier mit Entenschnabel und Schwimm- Langzeitstudie des Amerikaners Richard Was den Reiz des Buchs ausmacht, ist flossen? Das konnten nur chinesische Lenski. Seit drei Jahrzehnten untersucht er vor allem der lockere und witzige Plauder- Händler gewesen sein, die diese Kreatur Escherichia-coli-Bakterien im Labor. Dazu ton, zusammen mit den vielen Erlebnisbe- zusammengeflickt hatten! Das Schnabel- lassen er und seine Mitarbeiter zwölf Po- richten und Anekdoten. Der Autor schafft tier ist tatsächlich einzigartig. Evolutionä- pulationen, die alle von einer einzigen es damit, dass seine Begeisterung gleich zu re Unikate aber gibt es öfter – Elefanten Mutterzelle abstammen, unter denselben Anfang auf den Leser überspringt. Wissen- etwa, Giraffen oder Chamäleons. Anderer- Bedingungen getrennt voneinander wach- schaftliche Zusammenhänge präsentiert er seits existieren Arten, die sich in bestimm- sen. So können die Forscher das Band der klar und verständlich, sodass auch Laien ten Merkmalen verblüffend ähneln, ob- Evolution quasi zwölfmal abspielen. den Text mit Gewinn lesen. Ein weiterer wohl sie nicht miteinander verwandt sind: Mehrere Zehntausend Bakteriengene- Pluspunkt sind die schönen Illustrationen. Wissenschaftler sprechen von Konvergenz. rationen hat das Team schon verfolgt, und Ein wenig irreführend ist der deutsche Wirbeltiere und Tintenfische etwa ent- viele Populationen entwickeln sich tat- Titel Glücksfall Mensch, da es nur am Ran- wickeln sich seit vielen Hundert Millionen sächlich ganz ähnlich. Manchmal aber ent- de um Menschen geht. Kein Wunder, denn Jahren getrennt, haben aber Augen, die steht etwas radikal Neues – etwa ein noch um Evolution in Echtzeit zu beobachten, nach demselben Prinzip funktionieren. nie da gewesener Stoffwechselweg, den studieren Forscher gern schnelllebige Or- Kaffee-, Tee- und Kakaopflanzen gehören erst das Zusammentreffen mehrerer zufäl- ganismen, um darüber nicht alt und grau zu unterschiedlichen Familien, produzie- liger Mutationen hervorbrachte. zu werden. ren jedoch allesamt Koffein zur Insekten- Eine klare Vorhersage ist also nicht Trotzdem streift Jonathan B. Losos auch abwehr. Die Evolution kommt offenbar möglich, und so bleibt Jonathan B. Losos die großen Fragen zu unserer eigenen Exis- immer wieder auf dieselben Lösungen. seinen Lesern eine endgültige Antwort tenz: Was wäre etwa passiert, wenn der As- Sind manche Entwicklungen also doch schuldig. Dafür diskutiert er die Kontrover- teroid zum Ende der Kreidezeit die Dinosau- vorhersagbar? se „Zufall versus Determinismus“ eingängig rier nicht ausgelöscht hätte? Gäbe es uns Eine viel diskutierte Frage, der Jonathan und mit viel Sachkenntnis. Streckenweise Menschen dann überhaupt? Laut dem ka- B. Losos in seinem Buch nachgeht. Losos hat das Buch seine Längen, vor allem die nadischen Paläontologen Dale Russell wo- ist seit seiner Jugend ein Reptilien-Nerd Passagen über die Laborexperimente. Umso möglich als grüne, geschuppte „Dinosauri- und hat es mit seiner Leidenschaft für die kurzweiliger sind dafür die Geschichten den“, die uns verblüffend gleichen. Und viel- Schuppentiere bis zur Harvard-Professur über Losos’ eigene Forschung. leicht hätte ja einer von ihnen ein ähnlich gebracht. Seit mehreren Jahrzehnten er- Man hat das Gefühl, mit dabei zu sein, lesenswertes Buch geschrieben. Elke Maier forscht er Eidechsen der Gattung Anolis. wenn er als junger Wissenschaftler auf die Der Wissenschaftler gilt als Vorreiter der Bahamas reist und anstatt Strand, Cocktail experimentellen Evolutionsforschung – ei- und Hängematte eine Absteige mit riesi- ner Fachrichtung, die lange nicht ernst ge- gen Flugschaben vorfindet. Seinem Enthu- nommen wurde: Seit Charles Darwin glaub- siasmus tut das keinen Abbruch, und so 1 | 19 MaxPlanckForschung 81
Neu erschienen Briefe aus der Fremde Stefan Frankenberger, ... Deine Lise, Die Physikerin Lise Meitner im Exil Audiobuch mit Booklet (2 CDs), Spieldauer 1:37 h, Buchfunk Verlag, Leipzig 2018, 25,00 Euro Lise Meitners 50. Todestag und ihr 140. atomkerns führte. Hahn konnte die Zer- Diese Texte sind heute eine unschätzbare Geburtstag gaben im Jahr 2018 Anlass für fallsprodukte in seinem Berliner Labor Quelle für die historische Forschung, aus verschiedene Veranstaltungen und Neu- zwar chemisch sauber nachweisen, tat der Stefan Frankenberger kenntnisreich erscheinungen zu Leben und Werk der sich aber schwer, eine physikalische Erklä- schöpft. Unterlegt mit freien Jazzimprovi- Spitzenphysikerin. Stefan Frankenberger rung zu finden, und bat Meitner um Hilfe. sationen und gelesen von erfahrenen geht mit seinem Audiobuch neue Wege. Der Briefwechsel dokumentiert diese Er- Schauspielern – darunter Elisabeth Orth Seine Hörcollage konzentriert sich auf eignisse lückenlos und liefert dem Hör- vom Wiener Burgtheater als Lise Meitner –, Meitners eigene Wahrnehmung ihrer buch einen spannungsreichen Plot, dessen entfalten sie auch emotionale Kraft und schwedischen Exiljahre von 1938 bis 1945 Ende der Autor mit dem Abwurf der ersten öffnen einen frischen Blick auf das Thema. anhand von Briefen, die sie nach ihrer Atombombe auf Hiroshima setzt. Professionell gelesen, werden auch die phy- Flucht aus Deutschland mit Freunden und Frankenbergers Textauswahl illustriert sikalischen Fakten der Kernspaltung, die Kollegen wechselte. aber auch Meitners entbehrungsreichen der Briefwechsel enthält, für Laien nach- Briefe waren für Meitner in dieser Zeit Alltag, ihre Niedergeschlagenheit und vollziehbar. Einziges Manko ist das fehlen- so etwas wie die Nabelschnur zu einer ver- Selbstzweifel angesichts der Tatsache, de Quellenverzeichnis in dem ansonsten in- lorenen Alltagsnormalität, die bis dahin ganz auf andere Menschen angewiesen haltsreichen und schön bebilderten Book- durch ihre Arbeit am Kaiser-Wilhelm-In und wissenschaftlich weit zurückgewor- let, das auch eine umfassende Darstellung stitut für Chemie in Berlin dominiert war. fen zu sein. Ebenso vermitteln die ausge- von Meitners Biografie enthält. Brieflich hatte sie auch Anteil an Otto wählten Texte ein Bild des Alltags im natio Interessante Denkanstöße zur Bedeu- Hahns und Fritz Straßmanns Entdeckung nalsozialistischen Deutschland während tung der Quanten- und Atomphysik, an der Kernspaltung im Dezember 1938. Die des Kriegs, da Frankenberger auch Briefe deren Entwicklung Lise Meitner Anteil Physikerin war im Juli desselben Jahres von für Meitner wichtigen Zeitgenossen hatte, für das abendländische Denken lie- überstürzt vor den antisemitischen Verfol- wie Max Planck oder Max von Laue verar- fert das Hintergrundgespräch zwischen gungen aus Berlin geflohen. beitet hat. Spürbar ist zudem die wachsen- dem Autor und dem Physiker und Wissen- Ihre Kollegen arbeiteten derweil wei- de Spannung zwischen den Freunden, die schaftsphilosophen Herbert Pietschmann. ter am gemeinsam begonnenen Projekt Meitners Frage nach der Mitschuld der in Insgesamt eine gelungene Annäherung an der Erzeugung von Transuranen, was im Deutschland Gebliebenen am Nationalso- die Wissenschaftsgeschichte. Dezember 1938 zur Spaltung des Uran zialismus aufgeworfen hatte. Susanne Kiewitz Weitere Empfehlungen D David Christian, Big History, Die Geschichte der Welt – vom Urknall bis zur Zukunft der Menschheit, 384 Seiten, Carl Hanser Verlag, München 2018, 25,00 Euro D Hans-Ulrich Keller, Kosmos Himmelsjahr 2019, Sonne, Mond und Sterne im Jahreslauf, 304 Seiten, Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart 2018, 17,99 Euro D Norbert Sachser, Der Mensch im Tier, Warum Tiere uns im Denken, Fühlen und Verhalten oft so ähnlich sind, 256 Seiten, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018, 20,00 Euro 82 MaxPlanckForschung 1 | 19
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