Gene Drives Die neue Gentechnik zum Umbau der Evolution von Mareike Imken und Benny Haerlin - Kritischen Agrarbericht
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Gentechnik Gene Drives Die neue Gentechnik zum Umbau der Evolution von Mareike Imken und Benny Haerlin Gene-Drive-Organismen sind die vielleicht gefährlichste Anwendung der Gentechnik, die bisher ent- wickelt wurde: Mit Hilfe des sog. CRISPR/Cas-Verfahrens sollen Tiere und Pflanzen, die sich sexuell fortpflanzen, so manipuliert werden, dass sie eine neue Eigenschaft an nahezu alle Nachkommen weitervererben – selbst wenn diese Eigenschaft der Art schadet. Wird ein solcher Organismus in die Umwelt freigesetzt, löst er eine gentechnische Kettenreaktion aus, die das Genom einer ganzen Art global verändern kann. Weil sich damit auch Eigenschaften verbreiten lassen, die eine weitere Vermehrung unterbinden, lassen sich mit Gene Drives Pflanzen- und Tierarten ausrotten. Eine Frei- setzung von Gene-Drive-Organismen fand bisher noch nicht statt. Solche Freisetzungen könnten je- doch die Welt verändern: Sie bergen bisher nicht gekannte Gefahren und Risiken und stellen uns vor vollkommen neue ethische Herausforderungen. Der nachfolgende Beitrag berichtet über den Stand der Entwicklung und Anwendung dieser neuen Form von Gentechnik, benennt die kaum kontrol- lierbaren Risiken und zeigt die Notwendigkeit auf, bei der anstehenden fachlichen wie politischen Auseinandersetzung das Vorsorgeprinzip als entscheidenden Maßstab zu stärken. Normalerweise setzen sich Mutationen nur dann Projekt in Burkina Faso. Die Ausrottung der Malaria langsam in einer Population durch, wenn sie dem übertragenden Anopheles-Mücke mittels Gene Drive Überleben ihrer Träger zuträglich sind. Gene Drives ist das Paradebeispiel, auf das Betreiber und Förderer setzen diese natürlichen Regeln der Evolution außer der Technologie die Debatte über Risiken und Nutzen Kraft: Sie erhöhen die Chance der Vererbung einer gerne zuspitzen. Die Stechmücke ist so bereits zu ei- Eigenschaft von 50 Prozent auf nahezu 100 Prozent. ner Art Wappentier der neuen Technologie geworden. Vererbt wird dabei nicht allein die neue, womöglich Durch Freisetzung einer Gene-Drive-Mücke der Art schädliche Eigenschaft, sondern auch der genetische Anopheles gambiae, die ausschließlich sterile weibli- Bauplan des CRISPR/Cas-Konstruktes, das die Mani- che Nachkommen hervorbringt, soll in einer ganzen pulation in allen folgenden Generationen wiederholt Region gelingen, was im Labor im Jahr 2018 erstmals (siehe Kasten). Gene Drives setzen damit eine gen- demonstriert wurde: Die Population bricht innerhalb technische Kettenreaktion in Gang. von sieben bis elf Generationen zusammen. Mangels Nachdem 2015 erstmals das Funktionieren eines Überträger, so die Theorie, lässt sich auf diese Art auch CRIPSR/Cas-basierten Gene Drives im Labor an der Malariaerreger Plasmodium ausrotten. Frühestens Fruchtfliegen demonstriert wurde, ist dies inzwischen im Jahr 2024, spätestens jedoch in zehn Jahren, so die mit einer Reihe von weiteren Versuchstieren gelun- beteiligten Forscherteams, soll es soweit sein. Erste gen. In die Natur wurden Gene Drives bisher noch Freisetzungsversuche mit gentechnisch markierten nicht freigesetzt; zumindest ist darüber bisher nichts Mücken fanden als Vorbereitung bereits im Jahr 2019 bekannt. in Burkina Faso statt. Anopheles-Mücken sind nicht die einzigen »Todes- Anwendungsfelder von Gene Drives kandidaten«. Eine Vielzahl von Infektionen, die durch Tiere übertragen werden, könnten durch Ausrottung Malariabekämpfung ihrer Übertragungsorganismen bekämpft werden. Konkrete Vorbereitungen dafür laufen jedoch bei dem Dies ist auch in der Vergangenheit bereits erfolgreich von der Gates-Stiftung finanzierten »Target Malaria«- exerziert worden. Allerdings ohne den Einsatz gen- 305
Der kritische Agrarbericht 2020 technischer Methoden. Denkbar wäre es auch, mittels welch enormes kommerzielles Potenzial die Forscher Gene Drive diese Tierarten durch gentechnisch verän- darin sehen. In der Patentschrift der Gene Drive derte Varianten zu ersetzen, die sich dann nicht mehr Entwickler Esvelt und Smidler 4 spielt die »landwirt- zur Übertragung der Krankheit eignen. schaftliche Sicherheit und Nachhaltigkeit« eine ent- scheidende Rolle. Sie benennt über hundert Beikräu- Artenschutz durch Ausrottung ter und mehr als 300 landwirtschaftliche Schädlinge, Ebenfalls auf Ausrottung bestimmter Tierarten beru- denen durch Gene Drives künftig beizukommen sei. hen die Strategien einzelner Forschergruppen und Na- Ebenso benennt sie nicht weniger als 186 Herbizide, turschutzorganisationen, die damit die ursprüngliche Insektizide, Fungizide und sonstige Giftstoffe, gegen Fauna und Flora vor invasiven Arten schützen wol- deren Wirkung wilde Arten per Gene Drive wieder len, die von Menschen eingeschleppt wurden und nun »sensibilisiert« werden könnten, sollten sich dagegen die ursprünglichen Ökosysteme massiv verändern. resistente Varianten herausgebildet haben. Die Naturschutzorganisation Island Conservation US-amerikanische Anbauvereinigungen wie die und die Forschungsvereinigung Genetic Biocontrol of kalifornischen Kirschenbauern lassen bereits heute Invasive Rodents (GBIRd) beispielsweise halten Gene daran forschen, wie ein Gene Drive ihren »Lieblings- Drives für ein effektives und kostengünstiges Instru- schädlingen«, etwa der Kirschessigfliege, den Garaus ment gegen invasive Nagetiere, die den Artenreichtum machen könnte. Die Großen der Agrarindustrie halten auf Inseln bedrohen, auf die sie eingeschleppt wurden. sich dagegen bisher – fast schon auffällig – zurück: Der In Neuseeland wurde die Anwendung der Technolo- Imageschaden für Firmen wie Bayer oder Syngenta gie innerhalb des nationalen Artenschutzprogramms könnte groß sein, ebenso jedoch für die Technologie, bereits erörtert. Angesichts dessen warnte allerdings die ja zunächst einmal »Leben« und »Arten« retten soll. selbst einer der Gene-Drive-Erfinder, Kevin Esvelt, Eine zentrale technische Herausforderung sowohl vor vorschnellen Freisetzungen und der Anwendung für die künftige Sicherheitsdiskussion als auch für von Gene-Drive-Organismen im Naturschutz.1 denkbare Geschäftsmodelle mit Gene Drives ist, ob, Die Idee, Gene-Drive-Organismen gegen invasive wie und wenn ja, wie verlässlich die Ausbreitung von Arten einzusetzen, stellt den Naturschutz vor grund- Gene-Drive-Organismen zeitlich und räumlich be- sätzliche Fragen. Seit 2016 wird darüber bei der Welt- grenzt werden kann. Auch hierfür gibt es zwar erste naturschutzorganisation IUCN diskutiert. Auf ihrer Patentanmeldungen,5 doch nicht einmal die Anmel- nächsten Mitgliederversammlung im Juni 2020 in der selbst, allen voran erneut Kevin Esvelt, behaupten Marseille könnte es zur Abstimmung darüber kom- bisher, dass diese zuverlässig funktionieren. men. Grundlage für die Positionierung wäre ein von Sollte dies sich ändern, wäre eine Vielzahl von land- der IUCN in Auftrag gegebener Wissenschaftsbericht 2 wirtschaftlichen Anwendungen denkbar, die jeweils zur Bewertung der synthetischen Biologie für den Ar- nur für einen begrenzten Zeitraum die Population tenschutz. Dieser steht dem Einsatz solcher Techno- von Insekten, Würmern und auch kleinen Säugetie- logien wie Gene-Drive-Systemen für den Artenschutz ren zum Zusammenbruch bringen oder auch nur die offen gegenüber. Hunderte zivilgesellschaftliche Orga- Verbreitung der jeweiligen »Zielorganismen« massiv nisationen appellierten an die IUCN, den einseitigen reduzieren könnten. Ebenso wäre es denkbar, die Bericht, in dem sich vor allem Befürworter der Gen- Übertragung von Krankheiten auf Nutztiere durch technik durchsetzen konnten, nicht zur Grundlage ih- bestimmte Parasiten und Insekten zu unterbinden rer Politik zu machen, sondern die Risiken der Tech- oder zu reduzieren. Sollte es gelingen, den krank- nologie mit einem weiteren Bericht zu analysieren, der heitsübertragenden Organismen nur ihre Fähigkeit sich stärker an dem Vorsorgeprinzip orientiert. Auch zur Übertragung zu nehmen, wären derartige Gene unter den Mitgliedsorganisationen und -behörden des Drives möglicherweise deutlich weniger umstritten IUCN wächst das Unbehagen über den möglichen als solche, die ihr Ziel nur durch Ausrottung der Or- Durchmarsch der »Gene-Drive-Lobby«. ganismen und ihrer Populationen erreichen. Ebenso wie die »Re-Sensibilisierung« resistenter Neue Wunderwaffe industrieller Landwirtschaft Beikräuter wären auch Strategien denkbar, die pflanz- Während über Malaria und Mäuse intensiv berichtet lichen oder tierischen »Schädlingen« eine neue Ver- wird, ist der auf die Dauer vielfältigste und mögli- wundbarkeit aufzwingen, die zu ihrer chemischen cherweise auch profitabelste Anwendungsbereich von Bekämpfung genutzt werden könnte, ohne dass die Gene Drives, die Landwirtschaft, bisher kein Thema, Pestizide sonstigen Schaden anrichten. Der Phanta- über das die Befürworter der Gene-Drive-Technologie sie sind kaum Grenzen gesetzt.6 Die Entwicklung von in Wissenschaft und Wirtschaft öffentlich gerne reden. Bienenstämmen, die nur bestimmte Blüten bestäuben Ein Blick in die Patentschriften3 der beiden Erfin- oder auch der Einbau von Selbstvernichtungsmecha- dergruppen der neuen Technologie zeigt allerdings, nismen in gentechnisch veränderte Nutzpflanzen, um 306
Gentechnik deren Auskreuzung zu verhindern, gehören zu derar- gion vernichtet werden, mit horrenden Folgen für die tigen Vorstellungen. Landwirtschaft. Vor diesem Hintergrund ist es alar- Dass Gene Drives in der Rinder-, Schafs-, Schwei- mierend, dass nun ausgerechnet das Forschungsins- ne- und Geflügelzucht erhebliche Vereinfachungen titut des US-amerikanischen Militärs (DARPA) einer erzielen könnten, liegt auf der Hand. Sie könnten bei- der größten Finanziers der Gene-Drive-Forschung ist. spielsweise das millionenfache Duplizieren einzelner Auch viele Experten bei der UN-Biowaffenkonvention Exemplare ersetzen, das heute zum Erhalt und zur sehen Gene Drives sehr kritisch. Vermehrung eines einmal erreichten Zuchterfolges eingesetzt wird. Eine neue Ära der Gentechnik Einsatz als Biowaffe Gene Drives markieren ein neues Konzept im gen- Gene Drives könnten schließlich auch als Biowaffen technischen Umgang mit der Natur. Sollte bislang die gegen Pflanzen, Tiere und Menschen eingesetzt wer- Auskreuzung gentechnisch veränderter Organismen den. Genauso, wie im Zuge der Malariabekämpfung mit wilden Artverwandten möglichst verhindert wer- ganze Mückenpopulationen mit Hilfe von Gene Dri- den, gilt bei Gene-Drive-Organismen das Gegenteil: ves ausgerottet werden sollen, könnten beispielsweise Erklärtes Ziel ist die möglichst totale Auskreuzung auch wichtige Nutzinsekten in einer bestimmten Re- und Veränderung bzw. Ausrottung ganzer Populatio- Katharina Kawall Die Funktionsweise von Gene Drives Gene Drives sind gentechnische Methoden, die eingesetzt ben. Es können aber auch bestimmte Eigenschaften der werden sollen, um eine Eigenschaft in wilden Populati betroffenen Art verändert werden, damit sie nicht mehr in onen zu verändern oder neu einzubringen. Dabei wird der Lage sind, z. B. die Erreger der Malaria zu übertragen. durch die Gene Drives die natürliche Vererbung eines Zum anderen können neue Eigenschaften zusammen Gens an die Nachkommen von 50 Prozent umgangen und mit der Erbanlage der »Genschere« in das Erbgut des auf 100 Prozent erhöht. Gene Drives werden schon viele Zielorganismus eingebracht werden, die sich dann in der Jahre im Labor getestet und entwickelt. Ältere Metho gesamten Population ausbreiten. Eine Voraussetzung für den, die für Gene Drives eingesetzt werden, basieren auf die Gene-Drive-Technik ist, dass sich die zu verändernde »egoistischen«, genetischen Elementen wie beispielsweise Art geschlechtlich fortpflanzt. Gene Drives funktionieren Medea, das bisher im Labor nur bei Fruchtfliegen erfolg also nicht in Bakterien und Viren und kaum bei Pflanzen, reich getestet wurde. Die Entwicklung der »Genschere« die sich vor allem vegetativ vermehren. Außerdem eignen CRISPR/Cas als biotechnologisches Werkzeug vor wenigen sich für die Anwendung von Gene Drives besonders Arten Jahren hat auch die Forschung rund um Gene Drives mit relativ kurzen Generationszyklen. Im Labor wurden beschleunigt. bereits CRISPR/Cas-basierte Gene Drives erfolgreich bei Bei Gene Drives, die auf dem CRISPR/Cas-System basie Mücken7, Mäusen8 und Fruchtfliegen9 getestet, Freiset ren, wird der genetische Code des CRISPR/Cas-Konstruktes zungsversuche in der Umwelt wurden bislang jedoch noch selbst mit im Erbgut der Keimzellen eines Organismus ver keine durchgeführt. ankert. In der nächsten Generation öffnet CRISPR/Cas das Studien haben gezeigt, dass schnell Resistenzen ge- Erbgut der Nachkommen an einer bestimmten Stelle, um genüber dem Gene Drive in einer Population auftreten dort die gentechnische Anlage erneut einzubauen. Dieser und somit die Ausbreitung innerhalb der Population Vorgang gleicht einem genetischen Kopiermechanismus, verhindern können.10 Wissenschaftler kombinieren nun der die gewünschten Veränderungen immer auf beide beispielsweise mehrere Gene Drives, um damit die Resis Kopien eines festgelegten Ziel-Gens überträgt. Die Ver tenzentwicklung zu verzögern. breitung der neuen Eigenschaften geschieht auf diese Art sehr viel schneller, als es natürlicherweise möglich wäre, Dr. Katharina Kawall und kann damit ganze Arten verändern oder ausrotten. bis Ende 2017 am Max-Planck-Institut Die Veränderungen, die durch Gene Drives bewirkt wer für Infektionsbiologie in Berlin. Seit 2018 den können, sind vielfältig: Zum einen kann der Einbau L eiterin der Fachstelle für Gentechnik und Umwelt (FGU) in München. der »Genschere« wichtige Erbanlagen schädigen, sodass die Nachkommen in ihrer Entwicklung eingeschränkt sind Frohschammerstr. 14, 80807 München und beispielsweise nur männliche Nachkommen überle info@fachstelle-gentechnik-umwelt.de 307
Der kritische Agrarbericht 2020 nen und Arten. Objekte der gentechnischen Verände- den Materials oder die flächendeckende Verbreitung rung sind nicht mehr Kulturpflanzen des Menschen, von Plastikmüll bis hin zum Ozonloch und zur Erd- die häufig ohnehin nur mit dessen Hilfe überlebens- erhitzung ist der Menschheit bereits so manches ge- fähig sind, sondern wildlebende Organismen, über lungen. Einige der Disruptionen kamen überraschend, deren Biologie, Funktion und Verhalten in verschie- vieles wurde vorhergesehen und dennoch nicht unter- denen Ökosystemen oft wenig bekannt ist. Die vom lassen. Das Alleinstellungsmerkmal der Gene Drives Menschen bereits stark geschädigten Ökosysteme wäre es allerdings, derartige Veränderungen in die werden zum Objekt der gentechnischen Manipula DNA von Organismen und den globalen »Code des tion. Es handelt sich um eine disruptive Innovation, Lebens«, den viele Organismen auf unterschiedliche die weder kontrollier- noch rückholbar ist. Art miteinander austauschen, gewissermaßen mit Ge- Mangels Kontrollmöglichkeiten und Rückholbar- walt einzubrennen. Die Disruption fände ausgerech- keit sind Gene-Drive-Organismen nicht vereinbar mit net an der Stelle statt, an der sich die Entwicklungs- dem Vorsorgeprinzip, der Grundlage des weltweiten, prinzipien und die Anpassungsfähigkeit des Lebens europäischen und auch deutschen Umwelt- und Na- und seiner Fortpflanzung manifestieren. turschutzrechtes. Im schlimmsten Falle könnte bereits Solch fundamentale Eingriffe mag man grundsätz- der Ausbruch eines einzelnen Gene-Drive-Organis- lich ablehnen oder unter bestimmten Bedingungen mus’ aus dem Labor zur Ausrottung oder unwieder- doch für vertretbar halten. Es bedürfte dafür jedenfalls bringlichen Veränderung einer Art und zum Zusam- eines Entscheidungsmechanismus, der der zeitlichen menbruch ganzer Ökosysteme führen. und räumlichen Ausdehnung der Wirkung dieses Ein- Es gibt eine Menge Fragezeichen in Bezug auf die griffes gerecht wird. Machbarkeit von Gene-Drive-Strategien. Sowohl in- nerhalb der Zelle, als auch innerhalb der Populatio- ■■ Wie also könnte die Menschheit darüber entschei- nen bilden sich gegen einen derart massiven Angriff den, ob eine Tier- oder Pflanzenart ausgerottet unvermeidlich Resistenzen heraus. werden soll? Im Falle des CRISPR/Cas-Mechanismus, der dem ■■ Wie könnte sie darüber befinden, ob eine sich Gene Drive seine Turboeigenschaft verleiht, scheint möglicherweise global ausbreitende Eigenschaft die RNA-Sonde, die mit angeblich höchster Präzision in eine Insektenart oder Nagetierfamilie einführt die einzig richtige Stelle identifiziert, an der ein Dop- werden darf oder nicht? pelstrangbruch verursacht werden soll, die Achilles- ■■ Bedürfte es eines einstimmigen Beschlusses der ferse des Systems. Verändert sich die DNA-Sequenz, UNO-Vollversammlung? auf die die Sonde »abgerichtet« ist, auch nur leicht, ■■ Müssten indigene Gemeinden, wie in ähnlich ge- kann sie dem Doppelbruch entkommen. Umgekehrt lagerten Fällen auch, eine besondere Stimme dabei kommt es auch immer wieder zu Doppelstrangbrü- haben? chen an Stellen, die nicht das Ziel der Operation wa- ■■ Wie würden künftige Generationen berücksichtigt? ren. Sollte der ursprüngliche Gene Drive im Laufe sei- ner weiteren Evolution in der Natur seine ursprüng- Mit Sicherheit würde wohl eine deutliche Mehrheit lichen Eigenschaften verändern, könnte er gar in der Menschheit diese Entscheidungen nicht ein paar artverwandte Organismen eindringen und dort neue Superreichen wie Bill Gates und Warren Buffett über- Kettenreaktionen auslösen. lassen wollen, welche über die Bill & Melinda Gates Vor den vielen technischen Detailfragen zur Funk- Foundation gegenwärtig nicht nur die Forschung an tionsfähigkeit und den damit verbundenen Risiken Gene Drives massiv vorantreiben, sondern zudem und Nebenwirkungen sollten wir uns jedoch eine Millionen US-Dollar in die Beeinflussung der wis- grundsätzlichere Frage stellen: Ist die Menschheit senschaftlichen und öffentlichen Meinungsbildung wirklich reif, klug und weise genug, in den Gang der darüber investieren. Auch der US-Agentur für fortge- Evolution auf derart unwiederbringliche Art und Wei- schrittene Wehrforschungsprojekte (DARPA), nach se einzugreifen? Was spricht dafür und was dagegen, der Gates Stiftung der zweitgrößte Investor in Gene dass die Wirkungen derartiger Umprogrammierun- Drives, würden wohl nur wenige diese Entscheidung gen nicht nur einzelner Organismen, sondern ganzer überlassen wollen. Arten und Ökosysteme auf lange Sicht und unter al- len möglichen denkbaren Umweltbedingungen tat- Gene Drives auf der globalen Agenda sächlich ausreichend vorhergesehen und abgeschätzt werden können? Die Biodiversitätskonvention (CBD) ist das Abkom- Gene Drives wären keineswegs der erste disruptive men der Vereinten Nationen, das sich mit all diesen Eingriff des Menschen in die Natur. Von der Ausrot- Fragen befassen muss. Auf ihrer 14. Vertragsstaaten- tung tausender Arten über die Ausbreitung strahlen- konferenz im November 2018 in Sharm el Sheik ge- 308
Gentechnik hörten Gene Drives zu den umstrittensten Themen. linien für die Umweltrisikoprüfung für gentechnisch Angesichts nicht zu überwindender Meinungsver- veränderte Insekten notwendig machen. Im Frühjahr schiedenheiten konnten sich die Delegierten nicht auf 2020 will die EFSA eine erste Zusammenfassung ge- ein globales Moratorium einigen. Der Kompromiss, sammelter Erkenntnisse präsentieren. Ein Auftrag zur den sie verabschiedeten, fordert die Anwendung des Anpassung der eigentlichen Leitlinien für die Risiko- Vorsorgeprinzips, vorherige Risikobewertungen so- bewertung von gentechnisch veränderten Insekten für wie die Berücksichtigung und vorherige informierte die Umwelt steht jedoch noch unter dem Vorbehalt Zustimmung (prior informed consent) »möglicherwei- der Beauftragung durch die Europäische Kommission. se betroffener« lokaler und indigener Gemeinschaften. Ein Anfang, aber keine Lösung. Politische Ziele Die kommende 15. Vertragsstaatenkonferenz der CBD in China im Oktober 2020 wäre womöglich Das Ziel der kritischen zivilgesellschaftlichen Ausein- der letzte Moment, völkerrechtlich verbindliche andersetzung mit der gewaltigen Herausforderung der Vereinbarungen zu treffen, bevor die Gene-Drive- Gene-Drive-Technologie ist es, die Bundesregierung Forschung umsetzungsreif ist. Wird es bei der COP und auch die Europäische Union hinter ihre Forde- 15 gelingen, ein Moratorium für diese Technologie rung nach einem europäischen Freisetzungsverbot für zu beschließen, um Zeit für ihre technische wie po- zeitlich und räumlich nicht rückholbare Gene-Drive- litische Regulierung zu gewinnen? Wird das spezielle Organismen sowie nach einem globalen Moratorium Biosicherheitsprotokoll der CBD die Erarbeitung von und der Einrichtung eines globalen Entscheidungsfin- Leitlinien für die Risikobewertung von Gene-Drive- dungsgremiums zum Einsatz von Gene-Drive-Orga- Organismen beschließen, eine nationalstaatliche An- nismen zu bringen. Bevor einfach Fakten geschaffen passung von Sicherheitsstandards in Forschungslabo- werden, könnten so zunächst riskante und verfrühte ren an Risiken durch die fraglichen neuen Organis- Freisetzungen von Gene-Drive-Mücken in Afrika ver- men fordern, oder Haftungsfragen bei auftretenden hindert werden. So könnte auch ausreichend Zeit und Schäden vertiefen? Raum gewonnen werden für eine demokratische und Die Verhandlungen in Kunming fallen in die Zeit breite gesellschaftliche Debatte sowie die rechtliche der deutschen Ratspräsidentschaft der Europäischen Einordnung, die Risikobewertung und Regulierung Union, die dort eine wichtige Rolle spielen wird. Die der Technologie. Zeit drängt, zunächst in Deutschland und innerhalb Auf der COP15 der Biodiversitätskonvention im der EU klare Positionen zum Einsatz von Gene Drives Oktober 2020 ist das vordringliche Ziel, die Biosicher- zu beziehen. Auf Nachfrage von »Save Our Seeds« be- heit zu einer wichtigen Säule des neuen globalen Bio- kannten sich bisher SPD, Grüne und Linke zu einem diversitätsrahmens zu machen, der dort beschlossen Moratorium, die CDU bezeichnete den Vorschlag als werden soll. Dabei geht es darum, das Vorsorgeprinzip prüfenswert. FPD und AfD positionierten sich bisher prominent zu verankern und einen Auftrag zur Erar- nicht. Indes hat der Deutsche Bundestag sein Büro beitung gemeinsamer Leitlinien für die Technologie- für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) damit beauf- und Risikobewertung von Gene-Drive-Organismen tragt, offene ökologische, ethische und regulatorische zu beschließen, der auch sozioökonomische Auswir- Fragen rund um die Risiken und Handlungsoptio- kungen und ethische Fragestellungen miteinbezieht. nen sowie Alternativen zur Gene-Drive-Technologie bis Ende 2021 zu beantworten.11 Eine Mehrheit der Landesregierungen setzte im Sommer 2019 für die Folgerungen & Forderungen Forschung an Gene Drives gegen den Vorschlag der Bundesregierung in der Gentechniksicherheitsverord- ■■ Gene-Drive-Organismen sind eine globale Heraus nung durch, dass solche Experimente nur unter der forderung und bedürfen globaler Regelungen. Sicherheitsstufe 3 (von vier) durchgeführt werden sol- ■■ Wir brauchen ein Moratorium, eine globale öffent len. Die Agrarministerien der Bundesländer fordern liche Debatte und verbindliche internationale Regeln. die Bundesregierung dazu auf, Gene Drives erneut auf ■■ Zeitlich und räumlich nicht kontrollierbare Frei die Tagesordnung der CBD und des Biosicherheits- setzungen von Gene-Drive-Organismen sind grund protokolls in China zu setzen. sätzlich zu verbieten. Die Europäische Kommission hat ebenfalls erste ■■ Ebenso die gentechnische Manipulation ganzer Schritte zur Evaluierung von Gene Drives eingeleitet. Arten und Ökosysteme. Sie beauftragte die Europäische Behörde für Lebens- ■■ Das Jahr 2020 ist der letzte Zeitpunkt, zu dem Bun mittelsicherheit (EFSA) damit, eine Einschätzung ab- desregierung und Europäische Union hierfür die zugeben, ob die von Gene Drives ausgehenden Risiken Weichen stellen können. für die Umwelt eine Anpassung der aktuellen Leit 309
Der kritische Agrarbericht 2020 Richtungsweisend für die kommenden CBD- 5 WO/2018/049287 – K. M. Esvelt, J. Min and C. Noble (2018): Beschlüsse wird auch die Positionierung der IUCN Methods and compounds for gene insertion into repeated chromosome regions for multi-locus assortment and daisy zur Rolle der Synthetischen Biologie (einschließlich field drives. Harvard College 2018. – WO/2017/196858 – dies.: GDO) im Naturschutz sein. Die Bill & Melinda Gates Methods to design and use gene drives. Harvard College 2017. Foundation verfügt über großen Einfluss und ist bes- 6 Zu möglichen Anwendungen von Gene Drives in der Landwirt tens vernetzt. Die mit ihr verbundenen Gene-Drive- schaft siehe auch den Bericht der ETC Group und Heinrich Forschergruppen sind mit ihrem Expertenwissen in Böll Foundation: Forcing the farm. How gene drive organisms could entrench industrial agriculture and threaten food sove internationalen Gremien wie IUCN und CBD gefragt. reignity. 2018 (www.etcgroup.org/sites/www.etcgroup.org/ Wird es der deutschen, europäischen und globalen files/files/etc_hbf_forcing_the_farm_web.pdf). Zivilgesellschaft gelingen, gegen diese sehr zielstre- 7 K. Kyrou et al.: A CRISPR-Cas9 gene drive targeting doublesex bige finanzielle und kommunikative Übermacht eine causes complete population suppression in caged Anopheles gambiae mosquitoes. In: Nature Biotechnology 36/11 (2018), kritische gesellschaftliche, wissenschaftliche und po- pp. 1062-1066. DOI:10.1038/nbt.4245. litische Gene-Drive-Debatte anzustoßen? Ob es ge- 8 H. A. Grunwald et al.: Super-Mendelian inheritance mediated lingt, Entscheidungsträger/-innen auf allen Ebenen by CRISPR-Cas9 in the female mouse germline. In: Nature die Tragweite ihrer Beschlüsse zu Gene Drives nahe- 566/7742 (2019), pp. 105-109. DOI:10.1038/s41586-019-0875-2. zubringen, wird eine der größten Herausforderungen 9 V. M. Gantz and E. Bier: Genome editing. The mutagenic chain reaction: a method for converting heterozygous to homo rund um die Gentechnik im Jahr 2020 werden. zygous mutations. In: Science 348/6233 (2015), pp. 442–444. DOI:10.1126/science.aaa5945. 10 R. L. Unckless, A. G. Clark and P. W. Messer: Evolution of resis Das Thema im Kritischen Agrarbericht tance against CRISPR/Cas9 gene drive. In: Genetics 205/2 X X Katharina Kawall: Die neuen Gentechnikverfahren. Eine Bewer (2017), pp. 827-841. DOI:10.1534/genetics.116.197285. tung aus naturwissenschaftlicher Sicht. In: Der kritische Agrar 11 Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag bericht 2019, S. 290–297. (TAB): Informationen zur Untersuchung: Gene Drives – Tech X X Stefanie Hundsdorfer: Präzise, sicher und unentbehrlich!? Argu nologien zur Verbreitung genetischer Veränderungen in Popu mente von Befürwortern der neuen Gentechnikverfahren auf lationen (www.tab-beim-bundestag.de/de/untersuchungen/ dem Prüfstand. In: Der kritische Agrarbericht 2019, S. 298–304. u50000.html). X X Christoph Then: Gentechnik, die keine sein soll ... Wie die Indus trie versucht, neue Gentechnik-Verfahren bei Pflanzen und Tie ren als konventionelle Züchtung einzustufen. In: Der kritische Agrarbericht 2016, S. 277–282. Mareike Imken Leiterin der »Stop Gene Drives«-Kampagne von Save Our Seeds in der Zukunftsstiftung Landwirtschaft. Anmerkungen 1 K. M. Esvelt and N. J. Gemmell: Conservation demands safe Marienstr. 19–20, 10117 Berlin gene drive. In: PLOS Biology 15/11 (2017). DOI: 10.1371/journal. imken@saveourseeds.org pbio.2003850. 2 K. H. Redford et al. (Eds.): Genetic frontiers for conservation – an assessment of synthetic biology and biodiversity conservation: Benny Haerlin technical assessment. Gland 2019 (https://portals.iucn.org/ Leiter des Berliner Büros der Zukunftsstiftung library/efiles/documents/2019-012-En.pdf). Landwirtschaft, der europäischen Initiative 3 WO/2016/073559 – E. Bier, V. Gantz and W. L. Warren: Method for Save Our Seeds und des Bildungsprojekts autocatalytic genome editing and neutralizing autocatalytic 2000 m2 Weltacker. genome editing. 2016. 4 WO/2015/105928 – K. M. Esvelt and A. L. Smidler (2015): RNA- Marienstr.19–20, 10117 Berlin guided gene drives. Harvard College 2015. haerlin@zs-l.de 310
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