Gene Drives Die neue Gentechnik zum Umbau der Evolution von Mareike Imken und Benny Haerlin - Kritischen Agrarbericht

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Gentechnik

Gene Drives
Die neue Gentechnik zum Umbau der Evolution

von Mareike Imken und Benny Haerlin

                  Gene-Drive-Organismen sind die vielleicht gefährlichste Anwendung der Gentechnik, die bisher ent-
                  wickelt wurde: Mit Hilfe des sog. CRISPR/Cas-Verfahrens sollen Tiere und Pflanzen, die sich sexuell
                  fortpflanzen, so manipuliert werden, dass sie eine neue Eigenschaft an nahezu alle Nachkommen
                  weitervererben – selbst wenn diese Eigenschaft der Art schadet. Wird ein solcher Organismus in
                  die Umwelt freigesetzt, löst er eine gentechnische Kettenreaktion aus, die das Genom einer ganzen
                  Art global verändern kann. Weil sich damit auch Eigenschaften verbreiten lassen, die eine weitere
                  Vermehrung unterbinden, lassen sich mit Gene Drives Pflanzen- und Tierarten ausrotten. Eine Frei-
                  setzung von Gene-Drive-Organismen fand bisher noch nicht statt. Solche Freisetzungen könnten je-
                  doch die Welt verändern: Sie bergen bisher nicht gekannte Gefahren und Risiken und stellen uns vor
                  vollkommen neue ethische Herausforderungen. Der nachfolgende Beitrag berichtet über den Stand
                  der Entwicklung und Anwendung dieser neuen Form von Gentechnik, benennt die kaum kontrol-
                  lierbaren Risiken und zeigt die Notwendigkeit auf, bei der anstehenden fachlichen wie politischen
                  Auseinandersetzung das Vorsorgeprinzip als entscheidenden Maßstab zu stärken.

Normalerweise setzen sich Mutationen nur dann              Projekt in Burkina Faso. Die Ausrottung der Malaria
langsam in einer Population durch, wenn sie dem            übertragenden Anopheles-Mücke mittels Gene Drive
Überleben ihrer Träger zuträglich sind. Gene Drives        ist das Paradebeispiel, auf das Betreiber und Förderer
setzen diese natürlichen Regeln der Evolution außer        der Technologie die Debatte über Risiken und Nutzen
Kraft: Sie erhöhen die Chance der Vererbung einer          gerne zuspitzen. Die Stechmücke ist so bereits zu ei-
Eigenschaft von 50 Prozent auf nahezu 100 Prozent.         ner Art Wappentier der neuen Technologie geworden.
Vererbt wird dabei nicht allein die neue, womöglich        Durch Freisetzung einer Gene-Drive-Mücke der Art
schädliche Eigenschaft, sondern auch der genetische        Anopheles gambiae, die ausschließlich sterile weibli-
Bauplan des CRISPR/Cas-Konstruktes, das die Mani-          che Nachkommen hervorbringt, soll in einer ganzen
pulation in allen folgenden Generationen wiederholt        Region gelingen, was im Labor im Jahr 2018 erstmals
(siehe Kasten). Gene Drives setzen damit eine gen-         demonstriert wurde: Die Population bricht innerhalb
technische Kettenreaktion in Gang.                         von sieben bis elf Generationen zusammen. Mangels
   Nachdem 2015 erstmals das Funktionieren eines           Überträger, so die Theorie, lässt sich auf diese Art auch
CRIPSR/Cas-basierten Gene Drives im Labor an               der Malariaerreger Plasmodium ausrotten. Frühestens
Fruchtfliegen demonstriert wurde, ist dies inzwischen      im Jahr 2024, spätestens jedoch in zehn Jahren, so die
mit einer Reihe von weiteren Versuchstieren gelun-         beteiligten Forscherteams, soll es soweit sein. Erste
gen. In die Natur wurden Gene Drives bisher noch           Freisetzungsversuche mit gentechnisch markierten
nicht freigesetzt; zumindest ist darüber bisher nichts     Mücken fanden als Vorbereitung bereits im Jahr 2019
bekannt.                                                   in Burkina Faso statt.
                                                              Anopheles-Mücken sind nicht die einzigen »Todes-
Anwendungsfelder von Gene Drives                           kandidaten«. Eine Vielzahl von Infektionen, die durch
                                                           Tiere übertragen werden, könnten durch Ausrottung
Malariabekämpfung                                          ihrer Übertragungsorganismen bekämpft werden.
Konkrete Vorbereitungen dafür laufen jedoch bei dem        Dies ist auch in der Vergangenheit bereits erfolgreich
von der Gates-Stiftung finanzierten »Target Malaria«-      exerziert worden. Allerdings ohne den Einsatz gen-

                                                                                                                 305
Der kritische Agrarbericht 2020

technischer Methoden. Denkbar wäre es auch, mittels      welch enormes kommerzielles Potenzial die Forscher
Gene Drive diese Tierarten durch gentechnisch verän-     darin sehen. In der Patentschrift der Gene Drive
derte Varianten zu ersetzen, die sich dann nicht mehr    Entwickler Esvelt und Smidler 4 spielt die »landwirt-
zur Übertragung der Krankheit eignen.                    schaftliche Sicherheit und Nachhaltigkeit« eine ent-
                                                         scheidende Rolle. Sie benennt über hundert Beikräu-
Artenschutz durch Ausrottung                             ter und mehr als 300 landwirtschaftliche Schädlinge,
Ebenfalls auf Ausrottung bestimmter Tierarten beru-      denen durch Gene Drives künftig beizukommen sei.
hen die Strategien einzelner Forschergruppen und Na-     Ebenso benennt sie nicht weniger als 186 Herbizide,
turschutzorganisationen, die damit die ursprüngliche     Insektizide, Fungizide und sonstige Giftstoffe, gegen
Fauna und Flora vor invasiven Arten schützen wol-        deren Wirkung wilde Arten per Gene Drive wieder
len, die von Menschen eingeschleppt wurden und nun       »sensibilisiert« werden könnten, sollten sich dagegen
die ursprünglichen Ökosysteme massiv verändern.          resistente Varianten herausgebildet haben.
   Die Naturschutzorganisation Island Conservation          US-amerikanische Anbauvereinigungen wie die
und die Forschungsvereinigung Genetic Biocontrol of      kalifornischen Kirschenbauern lassen bereits heute
Invasive Rodents (GBIRd) beispielsweise halten Gene      daran forschen, wie ein Gene Drive ihren »Lieblings-
Drives für ein effektives und kostengünstiges Instru-    schädlingen«, etwa der Kirschessigfliege, den Garaus
ment gegen invasive Nagetiere, die den Artenreichtum     machen könnte. Die Großen der Agrarindustrie halten
auf Inseln bedrohen, auf die sie eingeschleppt wurden.   sich dagegen bisher – fast schon auffällig – zurück: Der
In Neuseeland wurde die Anwendung der Technolo-          Imageschaden für Firmen wie Bayer oder Syngenta
gie innerhalb des nationalen Artenschutzprogramms        könnte groß sein, ebenso jedoch für die Technologie,
bereits erörtert. Angesichts dessen warnte allerdings    die ja zunächst einmal »Leben« und »Arten« retten soll.
selbst einer der Gene-Drive-Erfinder, Kevin Esvelt,         Eine zentrale technische Herausforderung sowohl
vor vorschnellen Freisetzungen und der Anwendung         für die künftige Sicherheitsdiskussion als auch für
von Gene-Drive-Organismen im Naturschutz.1               denkbare Geschäftsmodelle mit Gene Drives ist, ob,
   Die Idee, Gene-Drive-Organismen gegen invasive        wie und wenn ja, wie verlässlich die Ausbreitung von
Arten einzusetzen, stellt den Naturschutz vor grund-     Gene-Drive-Organismen zeitlich und räumlich be-
sätzliche Fragen. Seit 2016 wird darüber bei der Welt-   grenzt werden kann. Auch hierfür gibt es zwar erste
naturschutzorganisation IUCN diskutiert. Auf ihrer       Patentanmeldungen,5 doch nicht einmal die Anmel-
nächsten Mitgliederversammlung im Juni 2020 in           der selbst, allen voran erneut Kevin Esvelt, behaupten
Marseille könnte es zur Abstimmung darüber kom-          bisher, dass diese zuverlässig funktionieren.
men. Grundlage für die Positionierung wäre ein von          Sollte dies sich ändern, wäre eine Vielzahl von land-
der IUCN in Auftrag gegebener Wissenschaftsbericht 2     wirtschaftlichen Anwendungen denkbar, die jeweils
zur Bewertung der synthetischen Biologie für den Ar-     nur für einen begrenzten Zeitraum die Population
tenschutz. Dieser steht dem Einsatz solcher Techno-      von Insekten, Würmern und auch kleinen Säugetie-
logien wie Gene-Drive-Systemen für den Artenschutz       ren zum Zusammenbruch bringen oder auch nur die
offen gegenüber. Hunderte zivilgesellschaftliche Orga-   Verbreitung der jeweiligen »Zielorganismen« massiv
nisationen appellierten an die IUCN, den einseitigen     reduzieren könnten. Ebenso wäre es denkbar, die
Bericht, in dem sich vor allem Befürworter der Gen-      Übertragung von Krankheiten auf Nutztiere durch
technik durchsetzen konnten, nicht zur Grundlage ih-     bestimmte Parasiten und Insekten zu unterbinden
rer Politik zu machen, sondern die Risiken der Tech-     oder zu reduzieren. Sollte es gelingen, den krank-
nologie mit einem weiteren Bericht zu analysieren, der   heitsübertragenden Organismen nur ihre Fähigkeit
sich stärker an dem Vorsorgeprinzip orientiert. Auch     zur Übertragung zu nehmen, wären derartige Gene
unter den Mitgliedsorganisationen und -behörden des      Drives möglicherweise deutlich weniger umstritten
IUCN wächst das Unbehagen über den möglichen             als solche, die ihr Ziel nur durch Ausrottung der Or-
Durchmarsch der »Gene-Drive-Lobby«.                      ganismen und ihrer Populationen erreichen.
                                                            Ebenso wie die »Re-Sensibilisierung« resistenter
Neue Wunderwaffe industrieller Landwirtschaft            Beikräuter wären auch Strategien denkbar, die pflanz-
Während über Malaria und Mäuse intensiv berichtet        lichen oder tierischen »Schädlingen« eine neue Ver-
wird, ist der auf die Dauer vielfältigste und mögli-     wundbarkeit aufzwingen, die zu ihrer chemischen
cherweise auch profitabelste Anwendungsbereich von       Bekämpfung genutzt werden könnte, ohne dass die
Gene Drives, die Landwirtschaft, bisher kein Thema,      Pestizide sonstigen Schaden anrichten. Der Phanta-
über das die Befürworter der Gene-Drive-Technologie      sie sind kaum Grenzen gesetzt.6 Die Entwicklung von
in Wissenschaft und Wirtschaft öffentlich gerne reden.   Bienenstämmen, die nur bestimmte Blüten bestäuben
   Ein Blick in die Patentschriften3 der beiden Erfin-   oder auch der Einbau von Selbstvernichtungsmecha-
dergruppen der neuen Technologie zeigt allerdings,       nismen in gentechnisch veränderte Nutzpflanzen, um

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Gentechnik

deren Auskreuzung zu verhindern, gehören zu derar-             gion vernichtet werden, mit horrenden Folgen für die
tigen Vorstellungen.                                           Landwirtschaft. Vor diesem Hintergrund ist es alar-
   Dass Gene Drives in der Rinder-, Schafs-, Schwei-           mierend, dass nun ausgerechnet das Forschungsins-
ne- und Geflügelzucht erhebliche Vereinfachungen               titut des US-amerikanischen Militärs (DARPA) einer
erzielen könnten, liegt auf der Hand. Sie könnten bei-         der größten Finanziers der Gene-Drive-Forschung ist.
spielsweise das millionenfache Duplizieren einzelner           Auch viele Experten bei der UN-Biowaffenkonvention
Exemplare ersetzen, das heute zum Erhalt und zur               sehen Gene Drives sehr kritisch.
Vermehrung eines einmal erreichten Zuchterfolges
eingesetzt wird.                                               Eine neue Ära der Gentechnik

Einsatz als Biowaffe                                           Gene Drives markieren ein neues Konzept im gen-
Gene Drives könnten schließlich auch als Biowaffen             technischen Umgang mit der Natur. Sollte bislang die
gegen Pflanzen, Tiere und Menschen eingesetzt wer-             Auskreuzung gentechnisch veränderter Organismen
den. Genauso, wie im Zuge der Malariabekämpfung                mit wilden Artverwandten möglichst verhindert wer-
ganze Mückenpopulationen mit Hilfe von Gene Dri-               den, gilt bei Gene-Drive-Organismen das Gegenteil:
ves ausgerottet werden sollen, könnten beispielsweise          Erklärtes Ziel ist die möglichst totale Auskreuzung
auch wichtige Nutzinsekten in einer bestimmten Re-             und Veränderung bzw. Ausrottung ganzer Populatio-

  Katharina Kawall
  Die Funktionsweise von Gene Drives

  Gene Drives sind gentechnische Methoden, die eingesetzt      ben. Es können aber auch bestimmte Eigenschaften der
  werden sollen, um eine Eigenschaft in wilden Populati­       betroffenen Art verändert werden, damit sie nicht mehr in
  onen zu verändern oder neu einzubringen. Dabei wird          der Lage sind, z. B. die Erreger der Malaria zu übertragen.
  durch die Gene Drives die natürliche Vererbung eines         Zum anderen können neue Eigenschaften zusammen
  Gens an die Nachkommen von 50 Prozent umgangen und           mit der Erbanlage der »Genschere« in das Erbgut des
  auf 100 Prozent erhöht. Gene Drives werden schon viele       Zielorganismus eingebracht werden, die sich dann in der
  Jahre im Labor getestet und entwickelt. Ältere Metho­        gesamten Population ausbreiten. Eine Voraussetzung für
  den, die für Gene Drives eingesetzt werden, basieren auf     die Gene-Drive-Technik ist, dass sich die zu verändernde
  »egoistischen«, genetischen Elementen wie beispielsweise     Art geschlechtlich fortpflanzt. Gene Drives funktionieren
  Medea, das bisher im Labor nur bei Fruchtfliegen erfolg­     also nicht in Bakterien und Viren und kaum bei Pflanzen,
  reich getestet wurde. Die Entwicklung der »Genschere«        die sich vor allem vegetativ vermehren. Außerdem eignen
  CRISPR/Cas als biotechnologisches Werkzeug vor wenigen       sich für die Anwendung von Gene Drives besonders Arten
  Jahren hat auch die Forschung rund um Gene Drives            mit relativ kurzen Generationszyklen. Im Labor wurden
  beschleunigt.                                                bereits CRISPR/Cas-basierte Gene Drives erfolgreich bei
     Bei Gene Drives, die auf dem CRISPR/Cas-System basie­     Mücken7, Mäusen8 und Fruchtfliegen9 getestet, Freiset­
  ren, wird der genetische Code des CRISPR/Cas-Konstruktes     zungsversuche in der Umwelt wurden bislang jedoch noch
  selbst mit im Erbgut der Keimzellen eines Organismus ver­    keine durchgeführt.
  ankert. In der nächsten Generation öffnet CRISPR/Cas das        Studien haben gezeigt, dass schnell Resistenzen ge-
  Erbgut der Nachkommen an einer bestimmten Stelle, um         genüber dem Gene Drive in einer Population auftreten
  dort die gentechnische Anlage erneut einzubauen. Dieser      und somit die Ausbreitung innerhalb der Population
  Vorgang gleicht einem genetischen Kopiermechanismus,         verhindern können.10 Wissenschaftler kombinieren nun
  der die gewünschten Veränderungen immer auf beide            beispielsweise mehrere Gene Drives, um damit die Resis­
  Kopien eines festgelegten Ziel-Gens überträgt. Die Ver­      tenzentwicklung zu verzögern.
  breitung der neuen Eigenschaften geschieht auf diese Art
  sehr viel schneller, als es natürlicherweise möglich wäre,                     Dr. Katharina Kawall
  und kann damit ganze Arten verändern oder ausrotten.                           bis Ende 2017 am Max-Planck-Institut
     Die Veränderungen, die durch Gene Drives bewirkt wer­                       für Infektionsbiologie in Berlin. Seit 2018
  den können, sind vielfältig: Zum einen kann der Einbau                         ­L eiterin der Fachstelle für Gentechnik und
                                                                                  Umwelt (FGU) in München.
  der »Genschere« wichtige Erbanlagen schädigen, sodass
  die Nachkommen in ihrer Entwicklung eingeschränkt sind                         Frohschammerstr. 14, 80807 München
  und beispielsweise nur männliche Nachkommen überle­                            info@fachstelle-gentechnik-umwelt.de

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nen und Arten. Objekte der gentechnischen Verände-          den Materials oder die flächendeckende Verbreitung
rung sind nicht mehr Kulturpflanzen des Menschen,           von Plastikmüll bis hin zum Ozonloch und zur Erd-
die häufig ohnehin nur mit dessen Hilfe überlebens-         erhitzung ist der Menschheit bereits so manches ge-
fähig sind, sondern wildlebende Organismen, über            lungen. Einige der Disruptionen kamen überraschend,
deren Biologie, Funktion und Verhalten in verschie-         vieles wurde vorhergesehen und dennoch nicht unter-
denen Ökosystemen oft wenig bekannt ist. Die vom            lassen. Das Alleinstellungsmerkmal der Gene Drives
Menschen bereits stark geschädigten Ökosysteme              wäre es allerdings, derartige Veränderungen in die
werden zum Objekt der gentechnischen Manipula­              DNA von Organismen und den globalen »Code des
tion. Es handelt sich um eine disruptive Innovation,        Lebens«, den viele Organismen auf unterschiedliche
die weder kontrollier- noch rückholbar ist.                 Art miteinander austauschen, gewissermaßen mit Ge-
   Mangels Kontrollmöglichkeiten und Rückholbar-            walt einzubrennen. Die Disruption fände ausgerech-
keit sind Gene-Drive-Organismen nicht vereinbar mit         net an der Stelle statt, an der sich die Entwicklungs-
dem Vorsorgeprinzip, der Grundlage des weltweiten,          prinzipien und die Anpassungsfähigkeit des Lebens
europäischen und auch deutschen Umwelt- und Na-             und seiner Fortpflanzung manifestieren.
turschutzrechtes. Im schlimmsten Falle könnte bereits          Solch fundamentale Eingriffe mag man grundsätz-
der Ausbruch eines einzelnen Gene-Drive-Organis-            lich ablehnen oder unter bestimmten Bedingungen
mus’ aus dem Labor zur Ausrottung oder unwieder-            doch für vertretbar halten. Es bedürfte dafür jedenfalls
bringlichen Veränderung einer Art und zum Zusam-            eines Entscheidungsmechanismus, der der zeitlichen
menbruch ganzer Ökosysteme führen.                          und räumlichen Ausdehnung der Wirkung dieses Ein-
   Es gibt eine Menge Fragezeichen in Bezug auf die         griffes gerecht wird.
Machbarkeit von Gene-Drive-Strategien. Sowohl in-
nerhalb der Zelle, als auch innerhalb der Populatio-        ■■   Wie also könnte die Menschheit darüber entschei-
nen bilden sich gegen einen derart massiven Angriff              den, ob eine Tier- oder Pflanzenart ausgerottet
unvermeidlich Resistenzen heraus.                                werden soll?
   Im Falle des CRISPR/Cas-Mechanismus, der dem             ■■   Wie könnte sie darüber befinden, ob eine sich
Gene Drive seine Turboeigenschaft verleiht, scheint              möglicherweise global ausbreitende Eigenschaft
die RNA-Sonde, die mit angeblich höchster Präzision              in eine Insektenart oder Nagetierfamilie einführt
die einzig richtige Stelle identifiziert, an der ein Dop-        ­werden darf oder nicht?
pelstrangbruch verursacht werden soll, die Achilles-        ■■    Bedürfte es eines einstimmigen Beschlusses der
ferse des Systems. Verändert sich die DNA-Sequenz,                UNO-Vollversammlung?
auf die die Sonde »abgerichtet« ist, auch nur leicht,       ■■    Müssten indigene Gemeinden, wie in ähnlich ge-
kann sie dem Doppelbruch entkommen. Umgekehrt                     lagerten Fällen auch, eine besondere Stimme dabei
kommt es auch immer wieder zu Doppelstrangbrü-                    haben?
chen an Stellen, die nicht das Ziel der Operation wa-       ■■    Wie würden künftige Generationen berücksichtigt?
ren. Sollte der ursprüngliche Gene Drive im Laufe sei-
ner weiteren Evolution in der Natur seine ursprüng-         Mit Sicherheit würde wohl eine deutliche Mehrheit
lichen Eigenschaften verändern, könnte er gar in            der Menschheit diese Entscheidungen nicht ein paar
artverwandte Organismen eindringen und dort neue            Superreichen wie Bill Gates und Warren Buffett über-
Kettenreaktionen auslösen.                                  lassen wollen, welche über die Bill & Melinda Gates
   Vor den vielen technischen Detailfragen zur Funk-        Foundation gegenwärtig nicht nur die Forschung an
tionsfähigkeit und den damit verbundenen Risiken            Gene Drives massiv vorantreiben, sondern zudem
und Nebenwirkungen sollten wir uns jedoch eine              Millionen US-Dollar in die Beeinflussung der wis-
grundsätzlichere Frage stellen: Ist die Menschheit          senschaftlichen und öffentlichen Meinungsbildung
wirklich reif, klug und weise genug, in den Gang der        darüber investieren. Auch der US-Agentur für fortge-
Evolution auf derart unwiederbringliche Art und Wei-        schrittene Wehrforschungsprojekte (DARPA), nach
se einzugreifen? Was spricht dafür und was dagegen,         der Gates Stiftung der zweitgrößte Investor in Gene
dass die Wirkungen derartiger Umprogrammierun-              Drives, würden wohl nur wenige diese Entscheidung
gen nicht nur einzelner Organismen, sondern ganzer          überlassen wollen.
Arten und Ökosysteme auf lange Sicht und unter al-
len möglichen denkbaren Umweltbedingungen tat-              Gene Drives auf der globalen Agenda
sächlich ausreichend vorhergesehen und abgeschätzt
werden können?                                              Die Biodiversitätskonvention (CBD) ist das Abkom-
   Gene Drives wären keineswegs der erste disruptive        men der Vereinten Nationen, das sich mit all diesen
Eingriff des Menschen in die Natur. Von der Ausrot-         Fragen befassen muss. Auf ihrer 14. Vertragsstaaten-
tung tausender Arten über die Ausbreitung strahlen-         konferenz im November 2018 in Sharm el Sheik ge-

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Gentechnik

hörten Gene Drives zu den umstrittensten Themen.         linien für die Umweltrisikoprüfung für gentechnisch
Angesichts nicht zu überwindender Meinungsver-           veränderte Insekten notwendig machen. Im Frühjahr
schiedenheiten konnten sich die Delegierten nicht auf    2020 will die EFSA eine erste Zusammenfassung ge-
ein globales Moratorium einigen. Der Kompromiss,         sammelter Erkenntnisse präsentieren. Ein Auftrag zur
den sie verabschiedeten, fordert die Anwendung des       Anpassung der eigentlichen Leitlinien für die Risiko-
Vorsorgeprinzips, vorherige Risikobewertungen so-        bewertung von gentechnisch veränderten Insekten für
wie die Berücksichtigung und vorherige informierte       die Umwelt steht jedoch noch unter dem Vorbehalt
Zustimmung (prior informed consent) »möglicherwei-       der Beauftragung durch die Europäische Kommission.
se betroffener« lokaler und indigener Gemeinschaften.
Ein Anfang, aber keine Lösung.                           Politische Ziele
    Die kommende 15. Vertragsstaatenkonferenz der
CBD in China im Oktober 2020 wäre womöglich              Das Ziel der kritischen zivilgesellschaftlichen Ausein-
der letzte Moment, völkerrechtlich verbindliche          andersetzung mit der gewaltigen Herausforderung der
Vereinbarungen zu treffen, bevor die Gene-Drive-         Gene-Drive-Technologie ist es, die Bundesregierung
Forschung umsetzungsreif ist. Wird es bei der COP        und auch die Europäische Union hinter ihre Forde-
15 gelingen, ein Moratorium für diese Technologie        rung nach einem europäischen Freisetzungsverbot für
zu beschließen, um Zeit für ihre technische wie po-      zeitlich und räumlich nicht rückholbare Gene-Drive-
litische Regulierung zu gewinnen? Wird das spezielle     Organismen sowie nach einem globalen Moratorium
Biosicherheitsprotokoll der CBD die Erarbeitung von      und der Einrichtung eines globalen Entscheidungsfin-
Leitlinien für die Risikobewertung von Gene-Drive-       dungsgremiums zum Einsatz von Gene-Drive-Orga-
Organismen beschließen, eine nationalstaatliche An-      nismen zu bringen. Bevor einfach Fakten geschaffen
passung von Sicherheitsstandards in Forschungslabo-      werden, könnten so zunächst riskante und verfrühte
ren an Risiken durch die fraglichen neuen Organis-       Freisetzungen von Gene-Drive-Mücken in Afrika ver-
men fordern, oder Haftungsfragen bei auftretenden        hindert werden. So könnte auch ausreichend Zeit und
Schäden vertiefen?                                       Raum gewonnen werden für eine demokratische und
    Die Verhandlungen in Kunming fallen in die Zeit      breite gesellschaftliche Debatte sowie die rechtliche
der deutschen Ratspräsidentschaft der Europäischen       Einordnung, die Risikobewertung und Regulierung
Union, die dort eine wichtige Rolle spielen wird. Die    der Technologie.
Zeit drängt, zunächst in Deutschland und innerhalb          Auf der COP15 der Biodiversitätskonvention im
der EU klare Positionen zum Einsatz von Gene Drives      Oktober 2020 ist das vordringliche Ziel, die Biosicher-
zu beziehen. Auf Nachfrage von »Save Our Seeds« be-      heit zu einer wichtigen Säule des neuen globalen Bio-
kannten sich bisher SPD, Grüne und Linke zu einem        diversitätsrahmens zu machen, der dort beschlossen
Moratorium, die CDU bezeichnete den Vorschlag als        werden soll. Dabei geht es darum, das Vorsorgeprinzip
prüfenswert. FPD und AfD positionierten sich bisher      prominent zu verankern und einen Auftrag zur Erar-
nicht. Indes hat der Deutsche Bundestag sein Büro        beitung gemeinsamer Leitlinien für die Technologie-
für Technikfolgen-Abschätzung (TAB) damit beauf-         und Risikobewertung von Gene-Drive-Organismen
tragt, offene ökologische, ethische und regulatorische   zu beschließen, der auch sozioökonomische Auswir-
Fragen rund um die Risiken und Handlungsoptio-           kungen und ethische Fragestellungen miteinbezieht.
nen sowie Alternativen zur Gene-Drive-Technologie
bis Ende 2021 zu beantworten.11 Eine Mehrheit der
Landesregierungen setzte im Sommer 2019 für die            Folgerungen      & Forderungen
Forschung an Gene Drives gegen den Vorschlag der
Bundesregierung in der Gentechniksicherheitsverord-        ■■   Gene-Drive-Organismen sind eine globale Heraus­
nung durch, dass solche Experimente nur unter der               forderung und bedürfen globaler Regelungen.
Sicherheitsstufe 3 (von vier) durchgeführt werden sol-     ■■   Wir brauchen ein Moratorium, eine globale öffent­
len. Die Agrarministerien der Bundesländer fordern              liche Debatte und verbindliche internationale Regeln.
die Bundesregierung dazu auf, Gene Drives erneut auf       ■■   Zeitlich und räumlich nicht kontrollierbare Frei­
die Tagesordnung der CBD und des Biosicherheits-                setzungen von Gene-Drive-Organismen sind grund­
protokolls in China zu setzen.                                  sätzlich zu verbieten.
    Die Europäische Kommission hat ebenfalls erste         ■■   Ebenso die gentechnische Manipulation ganzer
Schritte zur Evaluierung von Gene Drives eingeleitet.           Arten und Ökosysteme.
Sie beauftragte die Europäische Behörde für Lebens-        ■■   Das Jahr 2020 ist der letzte Zeitpunkt, zu dem Bun­
mittelsicherheit (EFSA) damit, eine Einschätzung ab-            desregierung und Europäische Union hierfür die
zugeben, ob die von Gene Drives ausgehenden Risiken             Weichen stellen können.
für die Umwelt eine Anpassung der aktuellen Leit­

                                                                                                                    309
Der kritische Agrarbericht 2020

    Richtungsweisend für die kommenden CBD-                                5 WO/2018/049287 – K. M. Esvelt, J. Min and C. Noble (2018):
Beschlüsse wird auch die Positionierung der IUCN                             Methods and compounds for gene insertion into repeated
                                                                             chromosome regions for multi-locus assortment and daisy­
zur Rolle der Synthetischen Biologie (einschließlich
                                                                             field drives. Harvard College 2018. – WO/2017/196858 – dies.:
GDO) im Naturschutz sein. Die Bill & Melinda Gates                           Methods to design and use gene drives. Harvard College 2017.
Foundation verfügt über großen Einfluss und ist bes-                       6 Zu möglichen Anwendungen von Gene Drives in der Landwirt­
tens vernetzt. Die mit ihr verbundenen Gene-Drive-                           schaft siehe auch den Bericht der ETC Group und Heinrich
Forschergruppen sind mit ihrem Expertenwissen in                             Böll Foundation: Forcing the farm. How gene drive organisms
                                                                             could entrench industrial agriculture and threaten food sove­
internationalen Gremien wie IUCN und CBD gefragt.                            reignity. 2018 (www.etcgroup.org/sites/www.etcgroup.org/
Wird es der deutschen, europäischen und globalen                             files/files/etc_hbf_forcing_the_farm_web.pdf).
Zivilgesellschaft gelingen, gegen diese sehr zielstre-                     7 K. Kyrou et al.: A CRISPR-Cas9 gene drive targeting doublesex
bige finanzielle und kommunikative Übermacht eine                            causes complete population suppression in caged Anopheles
                                                                             gambiae mosquitoes. In: Nature Biotechnology 36/11 (2018),
kritische gesellschaftliche, wissenschaftliche und po-
                                                                             pp. 1062-1066. DOI:10.1038/nbt.4245.
litische Gene-Drive-Debatte anzustoßen? Ob es ge-                          8 H. A. Grunwald et al.: Super-Mendelian inheritance mediated
lingt, Entscheidungsträger/-innen auf allen Ebenen                           by CRISPR-Cas9 in the female mouse germline. In: Nature
die Tragweite ihrer Beschlüsse zu Gene Drives nahe-                          566/7742 (2019), pp. 105-109. DOI:10.1038/s41586-019-0875-2.
zubringen, wird eine der größten Herausforderungen                         9 V. M. Gantz and E. Bier: Genome editing. The mutagenic chain
                                                                             reaction: a method for converting heterozygous to homo­
rund um die Gentechnik im Jahr 2020 werden.                                  zygous mutations. In: Science 348/6233 (2015), pp. 442–444.
                                                                             DOI:10.1126/science.aaa5945.
                                                                          10 R. L. Unckless, A. G. Clark and P. W. Messer: Evolution of resis­
Das Thema im Kritischen Agrarbericht                                         tance against CRISPR/Cas9 gene drive. In: Genetics 205/2
X X Katharina Kawall: Die neuen Gentechnikverfahren. Eine Bewer­             (2017), pp. 827-841. DOI:10.1534/genetics.116.197285.
    tung aus naturwissenschaftlicher Sicht. In: Der kritische Agrar­      11 Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag
    bericht 2019, S. 290–297.                                                (TAB): Informationen zur Untersuchung: Gene Drives – Tech­
X X Stefanie Hundsdorfer: Präzise, sicher und unentbehrlich!? Argu­          nologien zur Verbreitung genetischer Veränderungen in Popu­
    mente von Befürwortern der neuen Gentechnikverfahren auf                 lationen (www.tab-beim-bundestag.de/de/untersuchungen/
    dem Prüfstand. In: Der kritische Agrarbericht 2019, S. 298–304.          u50000.html).
X X Christoph Then: Gentechnik, die keine sein soll ... Wie die Indus­
    trie versucht, neue Gentechnik-Verfahren bei Pflanzen und Tie­
    ren als konventionelle Züchtung einzustufen. In: Der kritische
    Agrarbericht 2016, S. 277–282.                                                            Mareike Imken
                                                                                              Leiterin der »Stop Gene Drives«-Kampagne
                                                                                              von Save Our Seeds in der Zukunftsstiftung
                                                                                              Landwirtschaft.
Anmerkungen
 1 K. M. Esvelt and N. J. Gemmell: Conservation demands safe                                  Marienstr. 19–20, 10117 Berlin
   gene drive. In: PLOS Biology 15/11 (2017). DOI: 10.1371/journal.                           imken@saveourseeds.org
   pbio.2003850.
 2 K. H. Redford et al. (Eds.): Genetic frontiers for conservation – an
   assessment of synthetic biology and biodiversity conservation:                             Benny Haerlin
   technical assessment. Gland 2019 (https://portals.iucn.org/                                Leiter des Berliner Büros der Zukunftsstiftung
   library/efiles/documents/2019-012-En.pdf).                                                 Landwirtschaft, der europäischen Initiative
 3 WO/2016/073559 – E. Bier, V. Gantz and W. L. Warren: Method for                            Save Our Seeds und des Bildungsprojekts
   autocatalytic genome editing and neutralizing autocatalytic                                2000 m2 Weltacker.
   genome editing. 2016.
 4 WO/2015/105928 – K. M. Esvelt and A. L. Smidler (2015): RNA-                               Marienstr.19–20, 10117 Berlin
   guided gene drives. Harvard College 2015.                                                  haerlin@zs-l.de

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