Die Anbetung des Motors - Ferrari 340 America Ghia
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64-68_Exkl-Ferrari340_0609 24.07.2009 10:37 Uhr Seite 64 Exklusiv Ausfahrt mit einem der seltensten und teuersten Ferraris: Dieser 340 America beendete 1952 die Carrera Panamericana auf dem fünften Platz Ferrari 340 America Ghia Die Anbetung des Motors Dieses Auto ist eine Reliquie der Ferrari-Frühzeit. Das letzte von vier Ghia-Coupés, das sich 1952 mit dem fünften Platz in der mörderischen Carrera Panamericana das ewige Leben im Sagen- buch von Ferrari sicherte. Von Helmut Zwickl, Fotos von Robert May 64 | ALLES AUTO Exklusiv 6/2009
64-68_Exkl-Ferrari340_0609 24.07.2009 10:37 Uhr Seite 65 Ferrari 340 America Ghia Herrenfahrer aus den 50ern holten sich den Grip am dünnen Holz-Gouvernal über edle Lederhandschuhe Wie Chronographen ver- schachtelt liefern Uhren in den beiden Jaeger-Instrumen- ten Auskunft über Uhrzeit, Temperatur, Füllstand, Dreh- zahl und Geschwindigkeit D as Einsteigen ist eine Trainingseinheit für Schlangenmen- geräusch der drei Weber-Vergaser, in das Gerassel der Steuerkette, schen: Nur wenn man zuerst den linken Fuß unter dem aber was betonhart aus den Auspuffrohren platzt, schluckt alle tief angesetzten Lenkrad durchfädelt, ist man nach eini- akustischen Nebenschauplätze. gen Verrenkungen drin. Wer da nicht mehr reinkommt, Dieses Auto hat bereits einen Marktwert von rund 1,5 Millionen muss seine Jugend in einer Mercedes S-Klasse simulieren. Euro. Warum, das verdient eine umfangreiche Erklärung. Zwei riesige Jaeger-Tachos beherrschen das Armaturenbrett, ERSTENS: weil es eine Ghia-Karosse hat. Der 340 America, schlecht ablesbar, aber alt und kostbar, wie zwei Altarbilder aus den Ferrari auf dem Pariser Salon 1950 vorstellte, war ein 䉴 dem Mittelalter. Die Coupé-Kapsel für zwei Sitze wirkt hinter der langen Schnauze alles andere als spartanisch, sondern wie man es von Ghia gewohnt war, kostbar, edel in der Farbgebung, fast ver- spielt und dazu geräumig. Das Lenkrad, ein holzumrandeter Metallreifen, erscheint uns als Kunstwerk, das die alte Zeit der lederbehandschuhten Herren- fahrer, der Grafen, Bankdirektoren, Öl-Magnaten, Abenteurer, Playboys und Gauner stilisiert. Mit seinen griffigen Holz-Noppen ist es einfach schön und so zart, dass man Angst hat, es zu zerbre- chen. Aber man muss es fest umklammern, denn ohne Kraftauf- wand geht gar nichts in diesem Auto, wie man schnell feststellt. So elegant kann ein Rennwagen sein, Was für ein Motor! Ein Lampredi-Triebwerk eben, das Auto wenn von Ghia gelayoutet ist nur Motor und sonst nichts. Man sitzt förmlich im Verbren- Im hitzigen Carrera-Gefecht waren nungsraum, von zwölf Kolben in den Hintern getreten, elektri- die McAfees dankbar für Klima- siert vom Zündfunken. Die Klangwolke zerfällt in das Ansaug- tisierung aus den Dreiecksfenstern ALLES AUTO Exklusiv 6/2009 | 65
64-68_Exkl-Ferrari340_0609 24.07.2009 10:37 Uhr Seite 66 Ghias 340er-Interpretation ist so schmal wie ein moderner Klein- wagen, das Heck in seiner Schlichtheit fast schnöde Vorstoß auf den US-Markt. Nur 23 wurden gebaut, jene vier, die VIERTENS: Der amerikanische Rennstallbesitzer Tony Par- von Ghia eingekleidet wurden, haben den Seltenheitswert einer ravano wurde im Juli 1952 der Erstbesitzer. Für die Carrera blauen, ungebrauchten Mauritius, von der es auch nur noch vier Panamericana im November 1952 verpassten seine beiden Piloten, geben soll. Jack und Ernie McAfee, dem Auto ein Spezial-Tuning. Halibrand- ZWEITENS: Ferrari Classiche hat ein umfangreiches Dossier Räder, wie sie in Indianapolis verwendet wurden und die es heute erstellt, in dem die Originalität von Karosserie, Motor, Getriebe, nicht mehr gibt, kamen drauf, die Bremstrommeln wurden noch Fahrwerk und Bremsen attestiert wird. Wir sprechen also von besser ventiliert, die Zündung überarbeitet, jede Schraube gesichert. „matching numbers“. FÜNFTENS, und das hat 0150/A über 57 Jahre hinweg zu DRITTENS: Der Motor ist ein 4,1-Liter-Lampredi-Zwölfzy- einer Aktie mit ständig steigendem Kurswert gemacht: Die Mc- linder, er wurde im Juli 1951 aufgebaut und erst im Dezember mit Afee-Brüder fuhren sich bei der Carrera auf den fünften Gesamt- dem Chassis verheiratet. Motor und Chassis tragen identische rang, nach acht Tagesetappen und insgesamt 3113 Kilometern Nummern: 0150/A. lagen sie im Ziel nur 1 Stunde und 20 Minuten hinter dem sieg- Daten & Fakten Ferrari 340 America Ghia V12, 60 Grad Zylinder winkel, 24V, Bohrung/Hub 80x68 mm, 4101 ccm, 162 kW (220 PS) bei 6000 U/min, 310 Nm bei 4500/min, drei Doppelverga- ser (Weber 40DCF), Fünfgang-Getriebe, Hinterrad- antrieb; Einzelradaufhängung vorne mit Querblattfe- der, hinten Starrachse mit Längsblattfeder, hydrau- lische Houdaille-Stoßdämpfer, Trommelbremsen v/h, Schneckengetriebe-Lenkung; Leiterrohrrahmen, L/B/H 4038/ 1650/1375 mm, Radstand 2420 mm, Reifen 6.00-15, Tank 100 l, Borrani aus Mailand war der Rad-Geber für die feinsten italienischen 2 Sitze, Leergewicht 975 kg, 0–100 km/h 8 sec, Spitze 230 km/h, Automobile der 50er- und 60er-Jahre (li.). Auf Langstreckenrennen Verbrauch ca. 17 bis 19 l ROZ 98/100 km bewährt sich das Übel, dass das Ersatzrad beinahe den gesamten Kofferraum beansprucht (re.) I Bauzeit: 1951/52 I Stückzahlen: vier Exemplare mit Ghia-Karosserie Über I Marktwert 2009 (guter Zustand): ca. 1,5 Mio. Euro metallene Luftfilter schnorcheln die drei Vierziger- Weber Frischluft Original- für die aufnahme zwölf Brenn- von 1952: kammern. Foto: Archiv Panis Der McAfee- Die akustische Ferrari 340 A Untermalung im Ziel der der vier Carrera Arbeitstakte Panamericana ist ohren- erwärmend 66 | ALLES AUTO Exklusiv 6/2009
64-68_Exkl-Ferrari340_0609 24.07.2009 10:37 Uhr Seite 67 Ferrari 340 America Ghia reichen Mercedes-Benz 300 SL von Karl Kling. Diese Carrera von 1952 stand überhaupt im Zei- chen der Deutschen, die Silbersternmarke landete einen Doppelsieg, Zweiter wurde Hermann Lang. Ich bin genau so einen 300 SL Flügeltüren-Pro- totyp, wie er in jenem Jahr sowohl Le Mans als auch die Carrera gewonnen hat, 2002 bei der Mil- le Miglia gefahren, und jetzt hat mir Josef Panis, der heutige Besitzer von 0150/A, ermöglicht, die- sen legendären McAfee-Ferrari zu pilotieren. Wenn man die beiden Autos vergleicht, so kommt man zu dem Resümee: Der 300 SL Pro- totyp war mit seinem Dreiliter-Sechszylinder, der 177 PS bei 5200 Touren leistete, dem 4,1-Liter-V12- Ferrari, der 220 PS bei 6000 Touren produzierte, motorisch eindeutig unterlegen. Doch dafür hat der Mercedes das bessere Fahrwerk und ein schnel- ler zu schaltendes Getriebe. Insgesamt gesehen haben die Silbernen die Carrera von 1952 gegen Ferrari nicht zuletzt deshalb gewonnen, weil sie Heute ist 0150/A bei seinem neunten Besitzer, frühere Eigner fuhren damit vermehrt sich mit deutscher Gründlichkeit auf das lange zu Concours- statt zu Renn-Einsätzen Straßenrennen vorbereitet hatten. Die Fahrer hatten 11.000 Kilo- einem sensiblen Gasfuß. Die Sitze sind viel zu weich und bar jeg- meter trainiert, und eine 23 Mann starkeTruppe hielt die perfek- licher Seitenführung. Schwer vorstellbar, dass die McAfee-Brü- teren 300 SL am Laufen. Sowohl die Mercedes-Boliden als auch der darin die Carrera abgeritten haben. die Ferraris waren auf den endlosen Geraden fast 240 km/h Schnellfahren mit diesem Auto verlangt nach einer gewis- schnell, und damit von den Sport-Flugzeugen der Betreuungs- sen Scheiß-Dir-nix-Einstellung, die aber selbst der Besitzer bei Teams kaum einzuholen. der ersten Schrecksekunde zurücknehmen wird. Josef Panis, Das unglaubliche an diesem Zwölfzylinder ist seine Elastizität: Baumeister aus Wiener Neustadt, Ferrari-Liebhaber und 䉴 Selbst im fünften Gang lässt er sich ohne Kotzen und Würgen von 1000 Touren wieder hochfahren. Im Rennen wurde Lampredis Kraftzentrale sogar bis 7000 maltretiert, wir ließen es in der Ge- genwart bei 4500 bewenden, denn der Motor war nach seiner Grundüberholung noch in der Einfahr-Phase. Abgesehen davon, dass nur der Besitzer das Recht hat, die Schmerzgrenze der kost- baren zwölf Zylinder anzutasten. Robert Huber hat den Motor revidiert (siehe Kasten nächste Seite), aber Chassis und Getriebe werden sicher noch ein separates Projekt. Auch wenn das Auto zwischen 1989 und 1997 nicht im Renneinsatz war und dafür bei internationalen Con- cours-Auftritten in Kalifornien mit Preisen überhäuft wurde, so nagt der Zahn der Zeit im Gebälk. Das Fünfgang-Renngetriebe verlangt eine eigene Schalt-Tech- nik – dosiertes Zwischengas beim Runterschalten, nicht zu wenig, nicht zu viel. Aber schon das Raufschalten verlangt Zwischenkup- peln, oft sogar Zwischengas, sonst protestiert das Getriebe mit einem Zähneknirschen, das durch Mark und Bein geht. Keine Frage: Die Schalterei stört sogar die Anbetung des Mo- tors. Aber das war bei den Rennsport-Ferrari der 50er-Jahre seri- enmäßig. Nicht zu unrecht hieß es: „Ferrari hängt vier Räder an einen Motor“. Mit dieser Philosophie des kompromisslosen Mini- mum-Autos wurden Rennen gewonnen. Basta. Trotz einer durchgehenden Blattfeder vorne muss man wegen der Querlenker von einer Einzelradaufhängung sprechen. Der hinteren Starrachse sind zwei Längsblattfedern zugeordnet, und die hydraulischen Hebelstoßdämpfer Marke Houdaille tragen das ihre dazu bei, dass dieses Chassis von der Übermotorisierung überfordert ist, auch wenn jetzt auf den 15x4.5 Borrani-Felgen 6.00-15 Zoll Dunlop SP Racing Reifen montiert sind. Die Lenkung ist – wie beim 300 SL Prototyp übrigens auch – kein wirklich gutes Tastorgan für den Straßenzustand, sie wird steif beim Kurvenfahren, umso mehr muss der Hintern als Sensor herhalten, denn der dominierende Motor schreit nach Demut und
64-68_Exkl-Ferrari340_0609 24.07.2009 10:37 Uhr Seite 68 Ferrari 340 America Ghia Bis zu 240 km/h lief dieser Ferrari 340 America 1952 – und das auf staubigen Sandstraßen in Mexico erfahrener Oldtimer-Rallye-Starter, ist heute der neunte Besitzer Übrigens: Der Erstbesitzer Tony Parravano, in der amerika- von 0150/A. Für den Erwerb hat er sich ohne Gnade von drei sei- nischen Rennszene jahrelang eine Zentralfigur, bekam 1956 ner wertvollsten Autos getrennt. Würde „Pepi“ Haus und Hof ver- Ärger mit der Finanz. kaufen, um sich vielleicht auch noch einen Ferrari GTO anzu- Zuerst verschwand sein Rennauto-Fuhrpark, 1957 er selbst auf schaffen? „Nur eine kleine Garage würde ich behalten, damit ich Nimmerwiedersehen. Bis heute weiß niemand, was aus ihm ge- was zum Unterstellen habe.“ worden ist. 䉳 Sportwagen- und Oldtimer-Mechaniker Robert Huber Moosbrunn statt Maranello Wie Robert Huber dem geheiligten Lampredi-Motor den Öldruck seiner Jugend zurückgab. 1998 machte sich Robert Huber mit einem einzigen Mitarbeiter selb- ständig. Der heute 45-Jährige kündigte zerlegt werden. Dabei stellten wir fest, dass er vor nicht allzu langer Zeit restau- riert worden ist. Aber weil die Ölpumpe ver- einen sicheren Job als Technischer Leiter schlissen war, liefen die Lager trocken und und Konstrukteur in einer Firma für die Rollen schnitten sich in die Nocken.“ Der Meister und sein Meisterstück: Schweiß-Roboter, baute sich in Moos- Nach einer Bestandsaufnahme wurden Oldtimer-Profi Robert Huber am Ferrari-V12 brunn eine Werkstatt (Huber Kfz-Technik, bei dk-Engineering in England neue Nocken- zylinder-Bank in den Motorblock eingesetzt. www.huber-kfz.at), in der er seither vom wellen, Kipphebel, Kipphebelrollen, Steuer- Man hatte damals im Rennbetrieb ständige Traktor, Moped und Schneepflug bis zu ketten und Dichtsätze angefertigt. Die Lie- Probleme mit der Zylinderkopfdichtung, das millionenteuren Oldtimern alles repariert, ferung traf innerhalb von drei Monaten in System Lampredi jedoch reduziert den was einen Motor hat. Heute sind zwölf Moosbrunn ein. Huber, ein Spezialist für Druck auf kleine Kupferdichtungen, wo- Mitarbeiter angestellt. Materialien: „Ich ersetzte die Gleitlager der mit die Probleme gelöst waren.“ Seit Jahren ist er bei der Ennstal-Classic Kipphebel durch Nadellager zur Schonung Wenn etwa das Ventilspiel einzustellen die Service-Hotline, zusammen mit Günther der Nocken. Das Ölpumpen-Gehäuse aus ist, muss man die Lenkstange abkuppeln, Schätzinger macht er das Unmögliche mög- Alu war durch das rotierende Öl derart an- zur Seite schieben, erst dann lässt sich lich: Dank seiner Blitzreparaturen halten genagt, dass kein Öldruck mehr zustande der rechte Ventildeckel abschrauben. sich die Ausfälle in Grenzen. kam. Dort habe ich eine Edelstahlplatte Selbsternannte Ferrari-Gurus rieten Josef Jetzt hat er sein Meisterstück abgelie- eingesetzt.“ Panis, er möge den Motor im Dunstkreis fert, und zwar mit der Revision des V12- Die Kurbelwelle des Vollalu-Motors von Maranello machen lassen, denn nie- Motors von Josef Panis’ Ferrari 340 Ame- wurde gewuchtet und aufpoliert. Huber mand in Österreich habe das Know-how rica. Huber: „Ursprünglich sollte ich nur entdeckte faszinierende Details am Lam- dafür. Als Huber den Motor zu neuem Le- den Ölverlust abdichten, dabei musste der predi-Motor: „Charakteristisch ist, dass die ben erweckt hatte und im Hof die ersten Zwölfzylinder ausgebaut werden. Und erst Zylinderköpfe jeweils mit sechs Laufbuch- Gehversuche machte, war er entzückt: da zeigte sich, dass die Nockenwellen ein- sen verschraubt werden, dann werden die „Trotz der Renn-Nocken hätte ich eine gelaufen waren. Also musste der Motor Kolben montiert und die komplette Sechs- solche Elastizität nie erwartet.“ 68 | ALLES AUTO Exklusiv 6/2009
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