Die Strompreise der Zukunft - Justus Haucap, Jonathan Meinhof - Springer LINK
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
DOI: 10.1007/s10273-022-3175-7 Klimapolitik Nachhaltige Innovationen Wirtschaftsdienst, 2022, 102(13), 53-60 JEL: D47, L94, Q41 Justus Haucap, Jonathan Meinhof Die Strompreise der Zukunft Deutschland hat im internationalen Vergleich bereits seit langem sehr hohe Strompreise. Da Strom teilweise aus Gas erzeugt wird, haben sich die Preise infolge des Ukrainekriegs weiter erhöht. Aber auch die gestiegenen CO2-Preise zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes wirken weiter preistreibend. Bei den grundlegenden Fragen des Strommarktdesigns besteht Handlungsbedarf: bei der Förderung der Stromerzeugung der erneuerbaren Energien, bei der Versorgungssicherheit und bei den Nutzungsentgelten. Infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine ist es se in Deutschland sowohl für Privatkundschaft (vgl. Ab- zu einem starken Anstieg der Energiepreise in Europa ge- bildung 1) als auch für viele gewerbliche und industrielle kommen. Auch die Strompreise haben in diesem Kontext Kunden (vgl. Abbildung 2) zu den höchsten in Europa. Die stark angezogen. Der Krieg in der Ukraine hat die Preise Politik gerät daher schon seit geraumer Zeit zunehmend an der Strombörse vor allem deshalb nach oben getrieben, unter öffentlichen Druck, den Anstieg der Strompreise weil Erdgas teurer geworden ist. Gas hatte 2021 einen An- sowie anderer Energiepreise zumindest zu bremsen oder teil von rund 16 % an der deutschen Stromerzeugung1 und aber anderweitig für Entlastung der Verbraucher:innen Gaskraftwerke sind regelmäßig die preissetzenden Kraft- wie auch der nachfragenden Unternehmen zu sorgen. werke in der Merit-Order. Zudem sind auch die CO2-Preise Heute sind die Strompreise für Privatkundschaft fast drei- in den vergangenen zwei Jahren kräftig gestiegen. Lag mal so hoch wie vor 20 Jahren – im April 2022 haben die der CO2-Preis im Europäischen Emissionshandelssystem Strompreise für Privathaushalte erstmals die Marke von (EU-ETS) im April 2020 noch bei etwa 20 Euro/t CO2, be- 40 Cent pro kWh überschritten (vgl. Abbildung 3). trug er im April 2022 rund 80 Euro (mit Spitzenwerten von 96 Euro)2. Der starke Anstieg sowohl des Gas- als auch Die Bundesregierung hat wegen der stark gestiegenen des CO2-Preises hat somit die Strompreise enorm klettern Energiepreise im April 2022 ein milliardenschweres „Ent- lassen. Waren die Kosten für den Stromeinkauf der Ener- lastungspaket“ für die Bürger:innen beschlossen. Unter gieversorger bereits 2021 stark gestiegen, so haben sich anderem soll die Energiesteuer auf Kraftstoffe auf drei diese mit dem Ausbruch des Ukrainekriegs noch einmal Monate befristet gesenkt werden. Einkommensteuer- deutlich erhöht und lagen an der Strombörse EEX im April pflichtige Erwerbstätige sollen zum Ausgleich der hohen 2022 rund viermal so hoch wie im April 2021.3 Energiekosten eine Pauschale von einmalig 300 Euro brutto erhalten. Das Kindergeld soll einmalig um 100 Euro Die jüngsten Strompreissteigerungen erhöhen damit die pro Kind angehoben werden. Ab Juni sollen Bürger:innen ohnehin schon sehr hohen Strompreise in Deutschland zudem drei Monate lang für nur 9 Euro pro Monat Bus und zusätzlich. Infolge eines stetigen Strompreisanstiegs über Bahn nutzen können. Bereits im Februar war ein erstes die vergangenen 20 Jahre wies Deutschland schon vor Paket zur Entlastung der Bürger:innen beschlossen wor- dem Ausbruch des Ukrainekrieges sehr hohe Stromprei- den, das unter anderem die Abschaffung der EEG-Umla- se auf. Im internationalen Vergleich zählen die Stromprei- ge über die Stromrechnung ab Juli vorsieht. 1 Diese Zahl berücksichtigt auch Gaskraftwerke im Bergbau und Verar- beitenden Gewerbe zur Eigenstromversorgung, die 2021 neben den Kraftwerken zur öffentlichen Stromversorgung ca. 35 TWh für den in- dustriellen Eigenbedarf erzeugt haben (Burger, 2022; Öffentliche Net- Prof. Dr. Justus Haucap ist Direktor des Düsseldorf tostromerzeugung in Deutschland, https://www.energy-charts.info). 2 https://tradingeconomics.com/commodity/carbon. Institute for Competition Economics (DICE) an der 3 https://www.ispex.de/energiemarkt-kommentar-04-2022-trotz-neu- Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. er-preisrekorde-geht-die-rallye-zu-ende/. © Der/die Autor:in 2022. Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröf- Jonathan Meinhof ist dort wissenschaftlicher fentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de). Mitarbeiter. Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert. ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 53
Klimapolitik Nachhaltige Innovationen Abbildung 1 Abbildung 2 Strompreise für private Haushalte in Europa 2021 Strompreise für Gewerbekundschaft in Europa in Cent/kWh Stand: 2020 Belgien 27,0 ct 17,7 9,3 ct/kWh Bulgarien 10,2 ct 8,5 1,7 20 Dänemark 29,0 ct 10,4 18,6 Deutschland 31,9 ct 15,6 16,3 16 Estland 13,2 ct 9,8 3,4 Finnland 17,7 ct 12,0 5,7 12 Frankreich 19,3 ct 12,7 6,6 Griechenland 16,8 ct 13,0 3,8 8 Irland 25,6 ct 19,7 4,9 Island 13,6 ct 10,7 2,9 4 Italien 22,6 ct 14,3 8,3 Kroatien 12,9 ct 10,0 2,9 0 Lettland 14,0 ct 10,2 3,8 Tschechien Lettland Luxemburg Schweden Finnland Griechenland Rumänien Estland Litauen Spanien Slowenien Kroatien Polen Belgien Irland Slowakei Italien Niederlande Portugal Zypern Deutschland Dänemark Bulgarien Frankreich Ungarn Österreich Malta Liechtenstein 20,7 ct 17,8 2,9 Litauen 13,5 ct 10,0 3,5 Luxemburg 19,9 ct 14,7 5,2 Malta 12,8 ct 12,0 Niederlande 12,8 ct 12,8 Band ID: 20 MWh < Verbrauch < 500 MWh Norwegen 18,3 ct 13,3 5,0 Österreich 22,2 ct 13,9 8,3 Band ID: 2.000 MWh < Verbrauch < 20.000 MWh Polen 15,5 ct 9,2 6,3 Band IG: Verbrauch > 150.000 MWh Portugal 20,9 ct 11,3 9,6 Quelle: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Infografiken/Schlaglichter Rumänien 15,4 ct 11,2 4,2 /2020/12/2020-12-strompreise-abbildung-3.html. Schweden 17,9 ct 10,8 7,1 Slowakei 16,7 ct 10,6 6,1 Slowenien 16,6 ct 11,5 5,1 Nicht nur die absolute Höhe des Strompreises treibt Po- Spanien 23,2 ct 13,6 9,6 Tschechien 18,0 ct 12,8 5,2 litik und Öffentlichkeit aktuell um. Auch das zugrunde- Ungarn 10,0 ct 7,9 2,1 liegende Marktdesign steht auf dem Prüfstand. Der Ko- Zypern 19,8 ct 12,8 7,0 alitionsvertrag der Regierungsparteien sieht vor, dass im 0 5 10 15 20 25 30 35 Zuge des Ausbaus der erneuerbaren Energien ein neues Energie und Transport Steuern und Abgaben Strommarktdesign erarbeitet wird (SPD et al., 2021, Zei- Quelle: strom-report.de/strompreise-europa. Datenquelle: eurostat le 1980). Dabei bekennt sich die Regierungskoalition zu NRG_PC_204 12/2021, Stromverbrauch 2500-5000 kWh. Abbildung 3 Strompreisentwicklung für deutsche Endverbraucher Die kontinuierlich steigenden Strompreise für private in Eurocents pro kWh nach Einzelposten inklusive Mehrwertsteuer Haushalte drohen dabei zum einen die Akzeptanz der 45 Energiewende zumindest mittelfristig zu gefährden. Zum 41 40 anderen schwächen hohe Strompreise die Anreize zur 5 Elektrifizierung (etwa in Elektromobilität zu investieren). 35 2 32 32 Gerade letzteres ist jedoch für die Weiterentwicklung der 29 29 29 29 29 29 30 30 Energiewende und die sogenannte Sektorenkopplung von 26 9 8 12 24 25 essenzieller Bedeutung. Allerdings bieten hohe Strom- 25 23 7 8 7 8 8 8 8 22 2 2 4 4 2 2 preise auch Anreize, in Energieeffizienz zu investieren, um 21 20 19 19 1 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 18 2 2 Strom zu sparen. Insofern kann hohen Strompreisen kli- 16 17 2 2 2 2 mapolitisch auch etwas Positives abgewonnen werden. 15 14 14 2 2 12 12 1 2 9 9 9 9 9 10 10 10 11 11 11 11 10 9 21 10 Für gewerbliche Kunden gefährden hohe Strompreise je- 12 12 13 14 15 15 doch die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts 5 9 10 10 10 10 9 9 8 7 7 7 8 9 9 6 7 Deutschland bzw. die Wettbewerbschancen der hier be- 0 * heimateten Unternehmen. Zwar bieten hohe Strompreise 20 0 20 1 20 2 20 3 20 4 20 5 20 6 20 7 20 8 20 9 20 0 20 1 20 2 20 3 20 4 20 5 20 6 20 7 20 8 20 9 20 0 2021 22 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 20 auch für Unternehmen Anreize, in Energieeffizienz zu in- Produktion und Netzentgelte (keine Trennung bis 2006) vestieren, sie schwächen aber zugleich Anreize zur Elekt- Netzentgelte Produktion rifizierung und zur Sektorenkopplung, sofern Strompreise Stromsteuer Erneuerbare Umlagen Sonstige Entgelte schneller steigen als andere Energiepreise. Zweifelsohne * Strompreise im April 2022 aut Verivox. besteht die politische Notwendigkeit, zumindest einen wei- Quelle: https://www.tech-for-future.de/strompreisentwicklung/ nach teren Anstieg der Strompreise möglichst zu unterbinden. BDEW (2022), Verivox (2022). Wirtschaftsdienst 2022 | 13 54
Klimapolitik Nachhaltige Innovationen einer weiteren Integration des europäischen Energie- weitere Preissteigerungen möglichst vermieden werden, binnenmarkts (SPD et al., 2021, Zeile 1983/1984). Weiter sollte die Förderung der Stromerzeugung aus erneuer- heißt es im Koalitionsvertrag: „Um den zügigen Zubau baren Energien stärker als bisher der Kosteneffizienz ver- gesicherter Leistung anzureizen und den Atom- und Koh- pflichtet sein. Nur eine effiziente Förderung der Stromer- leausstieg abzusichern, werden wir in diesem Rahmen zeugung aus erneuerbaren Energien kann Preissteigerun- bestehende Instrumente evaluieren sowie wettbewerbli- gen eindämmen und damit langfristig auch die Akzeptanz che und technologieoffene Kapazitätsmechanismen und der Energiewende sichern. Flexibilitäten prüfen“ (SPD et al., 2021, Zeile 1986-1988). Wenn die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien Im Folgenden sollen daher zunächst Anforderungen an von gut 45 % (2021) auf 80 % (2030) bzw. 100 % (2035) das zukünftige Marktdesign und mögliche Handlungsop- steigen soll, erscheint ein Nebeneinander des Erneu- tionen zur Förderung erneuerbarer Energien sowie im Hin- erbaren-Energien-Gesetzes (EEG) mit einer speziellen blick auf die Sicherstellung der Versorgungssicherheit er- Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Ener- örtert werden, bevor auch zur Umgestaltung der Netzent- gien einerseits und einem separaten Regelungsregime im gelte Vorschläge unterbreitet werden. Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) für die konventionelle Stromerzeugung andererseits unangebracht und unnötig Marktdesign-Thema I: Zukünftige Förderung der kompliziert. Die Überführung der Stromerzeugung aus er- Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien neuerbaren Energien in ein marktwirtschaftliches Strom- system birgt jedoch Herausforderungen. Die Stromerzeu- Eine erste zentrale Frage für das zukünftige Marktdesign gung aus erneuerbaren Energien weist Besonderheiten ist, wie die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien auf, die einerseits das eigene Bestehen im Strommarkt zukünftig vergütet werden soll. Vergütungsmodelle soll- erschwert und andererseits neue Herausforderungen und ten dabei insbesondere auch für Strommärkte mit einem Ansprüche an das bestehende, austarierte System und sehr hohen Anteil an Stromerzeugung aus erneuerbaren dessen Marktakteure stellt. Zum einen ist die Stromer- Energien (80 % und mehr) geeignet sein. zeugung aus erneuerbaren Energien witterungsbedingt und damit zeitlich volatil und nur begrenzt regelbar. Zum Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien soll nach anderen wird der überwiegende Teil der Kosten erneuer- den Plänen der Bundesregierung bis 2035 mit Vehemenz barer Energieerzeugung durch hohe anfängliche Inves- vorangetrieben werden. Bereits im Koalitionsvertrag war titionskosten verursacht, während die variablen Kosten eine Erhöhung des Anteils der Stromerzeugung aus er- nahezu null sind. Somit werden Windenergie- und PV- neuerbaren Energien von derzeit gut 45 % auf 80 % im Anlagen auf dem Strommarkt in der Merit Order immer als Jahr 2030 festgelegt worden. Angesichts der Ukrainekri- erstes berücksichtigt, sie verdrängen so andere Erzeu- se hat die Bundesregierung nun angekündigt, diesen An- gungsquellen (dazu Haucap et al., 2022). teil bis 2035 auf 100 % zu steigern, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren. Findet die Investition in erneuerbare Energien privat und marktgetrieben statt, muss über die Lebensdauer der Anla- Um diesen enormen Zuwachs zu bewerkstelligen, müssen ge eine Amortisation der Investition erfolgen. Jedoch nimmt Investoren hinreichende Anreize und Sicherheiten haben, der vermehrte Zubau erneuerbarer Energien Einfluss auf die dass sich ihre Investitionen amortisieren werden. Es stellt Strompreise und trägt zu einer stärkeren Unsicherheit über sich deshalb die Frage, ob das bisherige Marktdesign diese bei. Investitionsrisiken aufgrund von Unsicherheit über und die damit einhergehenden Vergütungsregeln für die künftige Strompreise haben drei wesentliche Ursachen: Stromerzeugung auch bei einem von erneuerbaren Ener- gien dominierten Strommarkt weiterhin geeignet sind, die • Merit-Order-Effekt: Erneuerbare Energien werden auf- energiewirtschaftlichen Ziele der Versorgungssicherheit grund ihrer sehr geringen Grenzkosten stets zuerst für und Preisgünstigkeit bestmöglich zu erreichen. Bereits die Stromerzeugung herangezogen. Sobald sie Strom in diesem Jahr soll nach Plänen der Bundesregierung die einspeisen, verdrängen sie Erzeugungsformen mit hö- Plattform „Klimaneutrales Stromsystem“ dafür Handlungs- heren Grenzkosten wie etwa Gas aus dem Markt. Da optionen erarbeiten. Mit diesem Thema befasst sich aktu- die Grenzkosten des letzten noch genutzten Kraftwerks ell auch eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe innerhalb des maßgeblich für den Börsenstrompreis in einer bestimm- Projektes Energiesysteme der Zukunft (ESYS) der deut- ten Zeitperiode sind, verringert sich der Börsenpreis. Die schen Wissenschaftsakademien (Haucap et al., 2022). Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien führt somit zu einer Verringerung der Börsenstrompreise. Dieser Ver- Damit Kostensteigerungen bei der Förderung der Strom- drängungseffekt und dadurch sinkende Börsenpreise im erzeugung aus erneuerbaren Energien und somit auch Strommarkt wird als Merit-Order-Effekt bezeichnet. ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 55
Klimapolitik Nachhaltige Innovationen • Kannibalisierungseffekt: Durch ihre witterungsbedingte zugunsten einer indirekten Förderung durch einen stei- Volatilität korrelieren die Produktionsmengen von EE- genden CO2-Preis. Anlagen zeitlich miteinander. Beispielsweise drücken PV-Anlagen in Zeiten hoher Sonneneinstrahlung den Im Rahmen fixer Marktprämienmodelle wird Strom aus er- Strompreis besonders stark, da aufgrund ihrer hohen neuerbaren Energien direkt an der Strombörse vermark- Stromproduktion der Merit-Order-Effekt in diesen Zei- tet, aber zusätzlich mit einer fixen (gegebenenfalls tech- ten besonders ausgeprägt ist (Prol et al., 2020; Lieben- nologieabhängigen) Prämie bezuschusst (etwa in Cent pro steiner und Naumann, 2022). Dadurch senkt der Zubau kWh eingespeistem Strom). Die Höhe der fixen Marktprä- erneuerbarer Energien wie PV-Anlagen insbesondere mie ist dabei gleichbleibend und unabhängig davon, wel- die Erlöse von Anlagen derselben Technologie, wo- chen Erlös eine Erzeugungsanlage in einer bestimmten durch sich ein weiterer Zubau dieser Technologie ab Zeitperiode erzielen konnte. Die Erlöse für erneuerbare einem gewissen Punkt nicht mehr amortisiert. Der Ef- Energien schwanken somit über die Zeit im gleichen Um- fekt, dass eine Erzeugungstechnologie spezifisch die fang wie die am Markt erzielbaren Preise. Durch die fixe Erlöse der eigenen Technologie absenkt, wird als Kan- Marktprämie muss allerdings nur ein geringerer Teil durch nibalisierungseffekt bezeichnet. den Verkaufserlös am Markt gedeckt werden, sodass erneuerbare Energieerzeugung rentabel wird und im ge- • Fallende Technologiekosten: Neue Anlagen konkurrie- wünschten Umfang am Strommarkt bestehen kann. ren nicht nur mit bestehenden, sondern auch mit zu- künftigen Anlagen und können so durch einen Verfall Eine weitere Option zur Förderung erneuerbarer Energien der Technologiekosten entwertet werden. Fallende sind einseitig oder zweiseitig gleitende Prämien. Während Technologiekosten stellen daher ein weiteres Investiti- einseitig gleitende Prämien das aktuell vorherrschende onsrisiko für gegenwärtige Investitionsprojekte dar. Die Marktprämienmodell im EEG darstellen, soll die Nutzung Problematik fallender Technologiekosten findet sich zweiseitig gleitender Prämien (auch Differenzenverträ- prinzipiell in vielen Sektoren, spielt aber insbesondere ge bzw. Contracts for Difference, CfD) durch die aktuelle in sogenannten Infant Industries, wie z. B. bei der Er- Novelle des EEG ermöglicht werden. Bei einseitig glei- zeugung grünen Wasserstoffs, eine große Rolle. Klas- tenden Prämien wird – optimalerweise, wenn auch nicht sische Wind- oder Solaranlagen sollten dagegen nicht zwingend, im Rahmen einer Auktion – ein Zuschlagspreis mehr zu den Infant Industries gezählt werden. fixiert. Liegt der dann am Markt für den erzeugten Strom erzielte Strompreis unterhalb dieses Zuschlagspreises, Zusammenfassend liegt die Herausforderung bei der wird die Differenz durch eine entsprechende positive Prä- Marktintegration von erneuerbaren Energien wie Wind- mie ausgeglichen. Liegt der am Markt erzielte Preis in ei- energie- oder PV-Anlagen darin, dass sie aufgrund ihrer nem Zeitraum dagegen oberhalb des Zuschlagspreises, Kostenstruktur langfristig auf hinreichend hohe Vermark- können Anlagenbetreiber solche Mehreinkünfte behal- tungspreise angewiesen sind, deren (unerwarteter) Verfall ten, bekommen darüber hinaus aber keine zusätzlichen ein Investitionsrisiko darstellt. Mögliche Auswirkungen Prämienzahlungen. Der Zuschlagspreis stellt somit eine sind Risikoaufschläge bei den Renditeanforderungen für Art Mindestvergütungspreis und damit eine Absicherung Investitionen, wodurch Projekte teurer oder gegebenen- nach unten dar. Auch beim Einsatz von CfD wird ein Zu- falls unrentabel werden können. In Erwartung fallender schlagspreis (im Rahmen einer Auktion) ermittelt. Im Ge- Technologiekosten besteht außerdem das Risiko der Zu- gensatz zu einseitig gleitenden Prämien wird die Differenz rückhaltung von Investitionen und damit eines verzöger- zwischen dem am Markt erzielten Strompreis und dem ten Umbaus des Energiesystems. vereinbarten Zuschlagspreis sowohl nach oben als auch nach unten durch eine positive bzw. negative Prämie (also Für die Vergütung der Stromerzeugung aus erneuerbaren eine Bezuschussung bzw. Abgabe des Anlagenbetreibers) Energien im zukünftigen Strommarkt gibt es verschie- ausgeglichen. Durch CfD wird somit eine starke Preisfi- dene Optionen: Dies sind zum einen fixe Marktprämien xierung in Höhe des Zuschlagspreises erreicht, da Abwei- und die diesem Modell nahestehenden einseitig gleiten- chungen davon durch entsprechende Prämien nach oben de Prämien, die im Ansatz der gegenwärtigen Förderung wie unten ausgeglichen werden. Ökonomisch betrachtet erneuerbarer Energien im EEG 2021 entsprechen. So- ähneln sie den bekannten fixen Einspeisevergütungen, je- wohl fixe als auch einseitig gleitende Prämien können per doch mit dem Unterschied, dass diese Vergütungen nicht Auktion (Ausschreibung) festgelegt werden, um die Hö- gesetzlich oder durch Verordnung fixiert werden, sondern he der Förderprämien wettbewerblich zu ermitteln. Eine kompetitive Ausschreibungen zur Ermittlung der Prämien deutliche Fortentwicklung gegenüber dem Status quo der genutzt werden. Daher sollten die über Auktionen ermittel- Förderung wäre hingegen zum anderen ein Verzicht auf ten Zuschlagspreise unter Anwendung einseitig gleitender diese spezifischen Förderungen erneuerbarer Energien Prämien grundsätzlich geringer ausfallen als unter CfD, da Wirtschaftsdienst 2022 | 13 56
Klimapolitik Nachhaltige Innovationen einseitig gleitende Marktprämien die erzielbare Vergütung Verkehrssektor aufgenommen werden. Eine solche Er- nicht nach oben deckeln. Im Vergleich zu fixen Markt- weiterung des Emissionshandels kann die Kosteneffizi- prämien werden somit die zeitlichen Schwankungen der enz von Emissionsreduktionen noch einmal erhöhen, da am Markt erzielbaren Preise sowohl bei Einsatz einseitig Emissionen dann auch sektorübergreifend dort einge- gleitender Marktprämien und insbesondere beim Einsatz spart werden können, wo Einsparungen am günstigsten von CfD abgeschwächt. Andererseits bieten CfD von allen umsetzbar sind. Da außerdem sowohl der Wärme- als vorgestellten Optionen die größte Sicherheit über die er- auch Verkehrssektor (Beispiel E-Mobilität) immer stär- zielbaren Erlöse und bergen somit das geringste Risiko für ker elektrifiziert und somit in den Stromsektor integriert Investoren. Sie haben aufgrund von Ineffizienzen und po- werden, wären „rivalisierende“ CO2-Preissysteme für tenziellen Fehlanreizen (da zunächst nicht auf Marktpreise verschiedene Sektoren mittelfristig ohnehin nicht mehr reagiert werden muss) langfristig jedoch klare Nachteile, trennscharf und könnten zu Unsicherheiten führen. Um wenn es um eine effiziente Förderung von erneuerbaren Investitionsrisiken zu vermindern, ist in erster Linie ein Energien im großen Stil geht. Auch ihre Integration in inter- verlässlicher Mindestpreis für den CO2-Ausstoß wichtig. nationale Systeme wie den Emissionshandel ist deutlich Optimalerweise würde ein solcher CO2-Mindestpreis eu- erschwert (dazu Haucap et al., 2022). ropaweit und über alle abgedeckten Sektoren hinweg ein- geführt (weiterführend Haucap et al., 2022). Schließlich stellt ein CO2-Preis eine indirekte Förderung erneuerbarer Energien dar, da er die Stromentstehungs- Marktdesign-Thema II: Sicherstellung der kosten aller im Wettbewerb befindlichen (fossilen) Ener- Versorgungssicherheit gieträger gemäß ihrer Emissionsintensität erhöht. Da der Stromsektor bereits durch den europäischen Emissions- Auf dem Strommarkt müssen sich Angebot und Nach- handel erfasst wird, wirkt gegenwärtig ein Emissionspreis frage stets im Gleichgewicht befinden, damit es nicht zu von knapp 80 Euro/t CO2 auf die Stromerzeugung ein, Versorgungsausfällen kommt. Dies bedeutet, dass die was insbesondere die Kosten besonders emissionsinten- Summe aus Stromerzeugung, Nettostromabgabe aus siver Energieträger (wie Braunkohle) erhöht. Speichern, Nettostromimporten und des sogenannten Lastabwurfs (also der Reduktion der Stromnachfrage) Je höher der CO2-Preis steigt, umso geringer müssen gleich der Stromnachfrage sein muss, d. h. die Strom- die zusätzlichen direkten Förderprämien (in Form von marktgleichung lautet: Marktprämien) sein, um den Zubau erneuerbarer Ener- gien im gewünschten Umfang zu ermöglichen. Wenn der Stromerzeugung + Netto-Abgabe aus Speichern + CO2-Preis hinreichend hoch ist, werden zusätzliche För- Netto-Importe + Lastabwurf = Nachfrage derprämien (wie fixe Marktprämien oder Zuschlagsprei- se im Rahmen einseitig gleitender Prämien) überflüssig Ein Problem entsteht, wenn das gesamte Angebot, also und optimalerweise auf null sinken. Dadurch wäre ein die linke Seite der obigen Gleichung, kleiner ist als die Marktszenario erreicht, in dem erneuerbare Energien Nachfrage. Es kommt dann zu (mehr oder weniger um- ohne weitere direkte Fördermittel bestehen und zuge- fangreichen) Blackouts bzw. Stromabschaltungen. Um- baut werden können. Damit direkte Förderinstrumente gekehrt besteht kein Problem: wenn das Angebot höher für erneuerbare Energien überflüssig werden, muss der als die Nachfrage ist, können Stromerzeugungsanlagen CO2-Preis mittels des beschriebenen Transitionspro- gedrosselt oder ganz abgeregelt werden. Gegebenenfalls zesses bis dahin schrittweise auf ein Niveau gebracht können auch Speicher gefüllt oder Strom exportiert wer- werden, das erneuerbare Energien einzig aufgrund der den, sofern die Netzkapazitäten an den Grenzen, die so- indirekten Förderung über den CO2-Preis konkurrenz- genannten Grenzkuppelstellen, dies zulassen. Übersteigt fähig macht. Direkte Förderprogramme (z. B. fixe oder die Nachfrage jedoch das Angebot, so müssten prinzipiell einseitig gleitende Marktprämien) können durch einen Stromverbraucher ihre Nachfrage drosseln. Auf Märkten entsprechenden Anstieg des CO2-Preises schrittweise sorgt in aller Regel der Preis für genau diese Reaktion. auf null zurückgefahren werden. Auf dem Strommarkt besteht jedoch ein Problem, wenn die Nachfrage keine hinreichende Preiselastizität auf- Eine alleinige CO2-Bepreisung ist als Ziel für das Förder- weist und die erforderliche Nachfragereduktion sich nicht regime in Deutschland langfristig sinnvoll. Allerdings hat in Reaktion auf eine Knappheitssituation einstellt. Ein dieses Modell eine größere Wirkung, wenn es auf EU- Grund für die mangelnde Reaktion der Nachfrager kann Ebene eingesetzt wird. Deshalb wäre im Rahmen einer die mangelnde Beobachtung der Preise sein – Haus- ganzheitlichen Betrachtung die Weiterentwicklung des haltskunden etwa haben in aller Regel fixe Strompreise EU-ETS hin zu einem sektorübergreifenden „ETS 2“ wün- und merken Änderungen der Großhandelspreise gar nicht schenswert, in das insbesondere auch der Wärme- und bzw. erst mit großer Verzögerung. Industrielle Kunden ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 57
Klimapolitik Nachhaltige Innovationen hingegen haben teilweise nur geringe Möglichkeiten, ihre können) erhalten. Dies bietet den Vorteil, dass die Kosten Produktionsprozesse kurzfristig so zu drosseln, dass der für ausreichend Flexibilität überschaubar bleiben, sofern Stromverbrauch merklich reduziert wird, auch wenn jün- diese auch ohne Kapazitätsmechanismus im gewünsch- gere Forschungsergebnisse etwa von Hirth et al. (2022) ten Umfang vorhanden wären, da die Prämien für gesi- nahelegen, dass die Nachfrageelastizität höher ist als bis- cherte Leistung dann auf (nahezu) null fallen sollten. Um lang angenommen. weitere Effizienzvorteile zu heben, können Kapazitäts- mechanismen ebenso auf Stromspeicher ausgedehnt Sofern Preissignale allein nicht den notwendigen Rück- werden wie auf Nachfrager, die sich – gegen Kompen- gang der Nachfrage induzieren können, hat die Versor- sation – bereit erklären, sich bei Knappheit abschalten gungssicherheit aus ökonomischer Perspektive (zumin- oder drosseln zu lassen. Alternativ sind auch vertragli- dest in Teilen) den Charakter eines öffentlichen Gutes. che Regelungen im Wettbewerb denkbar, wenn etwa Anders ausgedrückt lässt sich sagen, dass von Reserve- das Ausmaß der Versorgungssicherheit ein expliziter Be- kraftwerken positive Externalitäten ausgehen. Wird der standteil von Stromlieferverträgen wird und Nachfrager Einsatz von Reservekraftwerken notwendig, profitiert unterschiedliche Ausmaße von Versorgungssicherheit nicht nur der Betreiber des Reservekraftwerks selbst, gegen entsprechende Entgelte explizit kontrahieren kön- sondern es profitieren auch alle anderen Kraftwerksbe- nen oder sogar müssen. Letzteres erscheint vor allem treiber, die dann – ohne Blackout – weiter Strom erzeu- für gewerbliche Kunden ein möglicher Lösungsweg, um gen und verkaufen können, ohne sich an den Kosten der Anreize zur Versorgungssicherheit durch Marktmecha- Reservehaltung beteiligen zu müssen. Beim Vorliegen po- nismen zu gewähren. sitiver Externalitäten dürfte der Markt „allein“, d. h. ohne gewisse Interventionen oder Marktregeln, zumindest bei Die institutionelle Ausgestaltung effizienter Kapazitätsme- einem sehr hohen Anteil an Strom aus fluktuierenden er- chanismen ist keineswegs trivial (Consentec, 2021; Mier, neuerbaren Energien zu einem suboptimalen Niveau an 2021; Wolak, 2021; Mattke, 2017; Cramton, 2017; Haucap, Versorgungssicherheit führen. Das gesellschaftlich opti- 2013; Amelung und Wambach, 2013; Maurer, 2013). Gleich- male Ausmaß an Versorgungssicherheit lässt sich dabei, wohl erscheinen Maßnahmen zur Sicherstellung eines op- zumindest theoretisch, bestimmen, indem die Kosten des timalen Ausmaßes an Versorgungssicherheit sinnvoll, so- Stromausfalls, der sogenannte Value of Lost Load (VoLL), fern (a) die Preiselastizität der Nachfrage nicht hinreichend mit den Kosten der Vorhaltung von Kapazitäten bzw. Fle- hoch ist bzw. gesteigert werden kann und (b) Speicher xibilitäten verglichen wird. In der Tendenz dürfte dabei ein nicht hinreichend günstig sind. Der steigende Anteil wit- Zuviel an Versorgungssicherheit volkswirtschaftlich weni- terungsbedingter erneuerbarer Energien im Strommix legt ger kostspielig sein als zu wenig Versorgungssicherheit. jedoch nahe, dass die Notwendigkeit von Kapazitätsme- Im ersten Fall werden gegebenenfalls zu viele Reserven chanismen in nächster Zukunft eher zu- als abnimmt. vorgehalten und so Kosten verursacht. Im zweiten Fall je- doch können Blackouts nicht nur marginale Kosten verur- Marktdesign-Thema III: Reform der Netzentgelte sachen, sondern auch zu Abschaltungen bei inframargi- nalen Nutzenden mit entsprechenden Kosten führen. Das dritte große Thema im Kontext des Marktdesigns ist die künftige Struktur der Netzentgelte. Zum einen muss Die Möglichkeiten, die erzeugungsseitige Versorgungs- über eine stärkere Beteiligung der Stromerzeuger an den sicherheit zu steigern, sind vielfältig und werden seit Kosten der Netze nachgedacht werden, zum anderen langem kontrovers diskutiert. So wird in Deutschland über eine andere geografische Differenzierung. Die Be- seit 2018 eine Kapazitätsreserve eingesetzt, bei der die teiligung von Stromerzeugern an den Kosten der Netze Betreiber von Reservekraftwerken durch Zahlungen An- ist international keineswegs unüblich, sondern in vielen reize erhalten, Kraftwerke zu errichten bzw. nicht stillzu- Ländern Europas schon lange Realität (etwa Haucap und legen, sondern auf Standby zu halten, um in Knappheits- Pagel, 2013). Insbesondere in den Verteilnetzen erscheint zeiten Strom erzeugen zu können. Dieser Mechanismus die Beteiligung der Stromerzeuger und somit Einspeiser löst jedoch das zugrundeliegende Problem des vor- an den Netzkosten sinnvoll. Traditionell hatten Verteilnet- liegenden Externalitätseffekts nicht auf und wird umso ze – wie der Namen schon sagt – die Funktion, Strom aus kostspieliger, je mehr Reserven für den Knappheitsfall den Übertragungsnetzen an die Endverbraucher zu vertei- vorgehalten werden müssen. Einen alternativen Kapazi- len. Durch die Dezentralisierung der Stromerzeugung gibt tätsmechanismus stellt ein Kapazitätsmarkt dar. In die- es heute zahlreiche kleine Stromerzeuger, insbesondere sem Fall können Kraftwerke ihren Strom weiterhin regu- durch Photovoltaik und kleine Windkraftanlagen, die Strom lär am Markt verkaufen und als zusätzliche Komponen- in die Verteilnetze einspeisen. Diese Nutzer profitieren te eine Vergütung für ihre gesicherte Leistung (also die ebenso von den Leistungen der Verteilnetze wie Endver- Erzeugungsmenge, die sie im Knappheitsfall garantieren braucher. Die Netzkosten werden jedoch in Deutschland Wirtschaftsdienst 2022 | 13 58
Klimapolitik Nachhaltige Innovationen aktuell allein durch die Verbraucher getragen, obwohl die eine Reform der Netzentgelte voran, die die Transparenz Verteilnetze immer mehr die Funktion einer Plattform ein- stärkt, die Transformation zur Klimaneutralität fördert und nehmen, auf der Kunden Strom sowohl ein- als auch aus- die Kosten der Integration der Erneuerbaren Energien fair speisen. Um ein effizientes Einspeiseverhalten anzureizen, verteilt“ (SPD et al., 2021). Kern einer solchen Reform soll- erscheint daher eine Beteiligung der Stromerzeuger an den ten drei Elemente sein: Kosten der Netze und der Stromeinspeisung sinnvoll. • Struktur der Netzentgelte: Erstens ist über eine weiterge- Durch eine geografische Ausdifferenzierung der Netznut- hende Änderung in der Struktur der Netzentgelte nach- zungsentgelte könnte zudem die Ansiedlung von Erzeu- zudenken, welche die Struktur der Kosten besser als gungsanlagen langfristig beeinflusst werden. So könnten bisher reflektiert. Der Netzbetrieb verursacht im Wesent- die Netzentgelte auch innerhalb von einzelnen Übertra- lichen Fixkosten und nur geringe variable Kosten. Sind gungsnetzen regional ausdifferenziert werden. Zudem die Netzentgelte jedoch primär als variable Tarife konzi- wäre auch eine zeitliche Differenzierung zwischen Spit- piert, so wie dies zwar nicht immer, aber noch oft der Fall zenlastzeiten und Schwachlastzeiten denkbar. Damit eine ist, und werden diese Entgelte zudem allein den Strom- regionale Ausdifferenzierung der Netzentgelte eine Steu- nachfragern aufgebürdet, so tragen Verbraucher:innen erungswirkung entfalten kann, müssen die Stromerzeu- mit eigenen PV-Anlagen (in der Regel Eigentümer von ger am Netzentgelt beteiligt werden. Wie auch in anderen Immobilien sowie Gewerbe) wenig zu den Kosten des Staaten könnte das Netzentgelt in eine L‐Komponente Netzbetriebs bei, während Verbraucher:innen ohne ei- (für Load) und eine G‐Komponente (für Generation) zer- gene Erzeugung (in der Regel Mieter:innen) diese Kos- legt werden, wobei die Verbraucher die L‐Komponente ten überproportional tragen. Eine noch stärkere Über- tragen und die Erzeuger die G‐Komponente. Eine solche führung der Netzentgelte in zweiteilige Tarife mit einer G‐Komponente, die in Deutschland aktuell gleich null ist, fixen Grundgebühr (Leistungspreis) und einem dann im gibt es bereits in anderen europäischen Ländern wie z. B. Vergleich zu heute geringeren variablen Entgelt (Arbeits- Österreich, Schweden und Großbritannien. preis) könnte dieses Problem mildern. Diese G‐Komponente ließe sich regional differenzie- • Verteilnetze als Plattformen: Da Verteilnetze immer mehr ren, sodass in verbrauchsnahen Gebieten mit hoher die Funktion einer Plattform übernehmen und immer Nachfrage (im Süden und Westen Deutschlands) die weniger eine reine Durchleitungsfunktion haben, sollte G-Komponente niedrig ausfallen sollte und in Gebieten eine Beteiligung der Einspeiser an den Netzkosten – et- mit hohem Angebot und geringer Nachfrage ein höherer wa über eine G-Komponente – erwogen werden. Betrag fällig wird. So könnten Anreize für neue Strom- erzeugungskapazitäten in verbrauchsnahen Regionen • Geografische Differenzierung: Um die Anreize für eine gestärkt und der Netzausbaubedarf reduziert werden. verbrauchsnahe Einspeisung zu steigern, sollte eine Eine deutschlandweite Wälzung der Netzausbaukosten geografische Differenzierung der Netzentgelte in Er- ist hingegen kontraproduktiv, da sie geringere Anrei- wägung gezogen werden. Auch wenn die geografische ze für eine lastnahe Erzeugung setzt. Ziel der G‐Kom- Differenzierung der Netzentgelte allein nicht für die ponente ist es somit, durch ihre variable, geografisch optimale Verteilung der Erzeugungsanlagen im Raum differenzierte Ausgestaltung Anreize für Stromerzeuger sorgen mag (Grimm et al., 2019), so kann die Differen- zu stärken, in verbrauchsnahe Erzeugung zu investie- zierung doch einen Beitrag zu einer geografisch effizi- ren und regionale Ungleichgewichte bei der Verteilung enten Einspeisung liefern. von Stromerzeugung und ‐nachfrage zu verringern, wie z. B. das Nord‐Süd‐Gefälle in Deutschland. Verbrauchs- Weitere detaillierte Vorschläge zur Reform der Netzent- nahe Erzeugungsstandorte, die keinen Netzzubau oder gelte finden sich bei acatech (2021). ‐ausbau bedingen, können somit durch eine geringere G‐Komponente einen Wettbewerbsvorteil erhalten, und Fazit Investitionen anziehen. Aus ökonomischer Sicht ist die G‐Komponente daher auch ein Mechanismus zur Ein- Durch den rapiden Anstieg der Strompreise infolge des preisung externer Effekte der Standortwahl von Strom- Ukrainekriegs hat sich die öffentliche Debatte um die Hö- erzeugung (Monopolkommission, 2013). he der Strompreise noch einmal verschärft. Doch nicht nur in Bezug auf die Höhe der Strompreise besteht politischer Die Regierungskoalition hat sich in ihrem Koalitionsver- Handlungsbedarf, sondern auch bei grundlegenderen trag in der Tat die Reform der Netzentgelte vorgenommen, Fragen des Marktdesigns. Die Bundesregierung hat die- wie allerdings auch schon die Vorgängerregierungen seit sen Handlungsbedarf identifiziert und im Koalitionsvertrag 2013. Wörtlich heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir treiben eine Überarbeitung des Marktdesigns angekündigt. ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft 59
Klimapolitik Nachhaltige Innovationen Drei Bereiche lassen sich identifizieren, bei denen Refor- Literatur men notwendig sind: Dies ist erstens die Förderung der acatech/Leopoldina/Akademienunion (Hrsg.) (2021), Netzengpässe Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, die bei ei- als Herausforderung für das Stromversorgungssystem. Optionen zur Weiterentwicklung des Marktdesigns, Schriftenreihe zur wissen- nem Marktanteil von 80 % bis 100 % der Erneuerbaren schaftsbasierten Politikberatung. nicht mehr separat vom Rest des Strommarkts erfolgen Amelung, A. und A. Wambach (2013), Versorgungssicherheit im Strommarkt sollte. Vorzugswürdig ist zumindest langfristig eine „indi- – Kapazitätsmechanismen, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 62, 270-286. Burger, B. (2022), Öffentliche Nettostromerzeugung in Deutschland im rekte Förderung“ durch hinreichend hohe CO2-Preise, die Jahr 2021, https://www.energy-charts.info (3. Mai 2022). eine Marktintegration ermöglichen. Auf dem Weg dahin Consentec (2021), Bewertung des Effekts von Kapazitätsmechanismen auf sind fixe Marktprämien, alternativ auch einseitig gleitende Endverbraucherkosten. Bericht im Auftrag von 50Hertz Transmission. Cramton, P. (2017), Electricity market design, Oxford Review of Economic Prämien das Mittel der Wahl. CfD sind weniger gut geeig- Policy, 33(4), 589-612. net um eine Marktintegration zu bewerkstelligen, da sie Grimm, V., B. Rückel, C. Sölch und G. Zöttl (2019), Regionally differenti- die Marktrisiken stark abfedern und damit auch markt- ated network fees to provide proper incentives for generation invest- ment, Energy, 177, 487-502. dienliches Verhalten wenig anreizen. Haucap, J. (2013), Braucht Deutschland einen Kapazitätsmarkt für eine si- chere Stromversorgung?, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 62, 257-269. Zweitens ist die Frage nach der Versorgungssicherheit in Haucap, J., J. Kühling, M. Amin, G. Brunekreeft, D. Fouquet, V. Grimm, J. Gundel, M. Kment, W. Ketter, J. Kreusel, C. Kreuter-Kirchhof, M. Lieben- einem Markt mit einem dominanten Anteil an erneuerba- steiner, A. Moser, M. Ott, C. Rehtanz, H. Wetzel, J. Meinhof, M. Wagner, ren Energien zu stellen. Kritisch ist dabei letztlich die Fra- M. Borgmann und C. Stephanos (2022), Strommarktdesign 2030: Die ge, wie preiselastisch die Stromnachfrage ist und ob die- Förderung der erneuerbaren Energien wirksam und effizient gestalten (Impuls), Akademienprojekt „Energiesysteme der Zukunft” (ESYS). se Elastizität erhöht werden kann. Sofern dies nicht mög- Haucap, J. und B. Pagel (2013), Ausbau der Stromnetze im Rahmen der lich ist und Speicher nicht hinreichend günstig werden, ist Energiewende: Effizienter Netzausbau und Struktur der Netznutzungs- entgelte, List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik, 39, 235-254. über komplementäre Instrumente zum CO2-Preis zur Si- Hirth, L., T. Khanna und O. Ruhnau (2022), The (very) short-term price cherstellung des optimalen Ausmaßes an Versorgungssi- elasticity of German electricity demand, ZBW, https://econpapers.re- cherheit nachzudenken. Diese reichen von Kapazitätsme- pec.org/paper/zbwesprep/249570.htm (3. Mai 2022). Liebensteiner, M. und F. Naumann (2022), Can Carbon Pricing Counteract chanismen bis hin zu individuellen Vertragsbedingungen Renewable Energies’ Self-Cannibalization Problem?, Working Paper. in Bezug auf die Versorgungsicherheit bzw. Drosselung Mattke, M.-B. (2017), Versorgungssicherheit und Kapazitätsmechanismen des Stromverbrauchs. im deutschen Strommarktdesign: Erkenntnisse aus internationalen Er- fahrungen. Maurer, C. (2013), Braucht Deutschland einen Kapazitätsmarkt für eine si- Drittens ist eine Reform der Netzentgelte überfällig. Zu be- chere Stromversorgung?, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 62, 246-256. achten sind hier drei Dinge. Erstens die noch stärkere Nut- Mier, M. (2021), Efficient pricing of electricity revisited, Energy Economics, 104, Artikel 105637. zung zweiteiliger Tarife mit fester Grundgebühr (Leistungs- Monopolkommission (2013), Energie 2013: Wettbewerb in Zeiten der preis) und geringerem variablen Entgelt (Arbeitspreis). Energiewende, Sondergutachten, 65. Zweitens sollten auch Stromerzeuger stärker an den Netz- Prol, J. L., K. W. Steininger und D. Zilberman (2020), The cannibalization effect of wind and solar in the California wholesale electricity market, kosten beteiligt werden, wenn sie Strom einspeisen, etwa Energy Economics, 85, Artikel 104552. durch eine sogenannte G-Komponente. Und drittens soll- SPD, Bündnis90/Die Grünen, FDP (2021), Mehr Fortschritt wagen. Bünd- te, auch im Bereich der Übertragungsnetze, eine stärkere nis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Wolak, F. A. (2021), Wholesale electricity market design, in J. Glachant, geografische Differenzierung vorgenommen werden, um P. Joskow und M. Pollitt (Hrsg.), Handbook on Electricity Markets, Ka- Anreize für eine verbrauchsnahe Einspeisung zu stärken. pitel 4, 73-110. Title: Electricity Prices of the Future Abstract: This article discusses three challenges for Germany’s future electricity market design. The first question is how to pay for elec- tricity generation from renewable energies in a market with more than 80 % renewables. Secondly, additional instruments are needed to safeguard the security of supply. An thirdly, network charges need to account for the different role of the distribution network, which op- erates more and more as a platform. Two-part tariffs with contributions from generators and consumers and a higher degree of regional price differentiation appear desirable. Wirtschaftsdienst 2022 | 13 60
Sie können auch lesen