Drogen-Kultur oder Unkultur?

 
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Drogen-Kultur oder Unkultur?
Drogen-Kultur oder Unkultur? | norient.com                                 12 Oct 2021 14:50:14

    Drogen-Kultur oder Unkultur?
    by Helena Simonett

    Die so genannte Narco-Música berichtet über Gewalt und
    Drogen und schneidert den mexikanischen Mafiabossen
    Heldenlieder aufs Leib. Populär ist sie nicht nur unter der
    ländlichen Bevölkerung im Norden Mexikos, sondern auch bei
    den spanisch-sprachigen Migrantengemeinden in den USA.
    Narco Cultura des israelischen Fotojournalisten Shaul
    Schwarz dokumentiert schonungslos den Drogenkrieg in der
    mittelgrossen Stadt Juárez – und die Musik, die ihn
    verherrlicht.
    Im Mai 2011 erklärte der Präsident des mexikanischen Staates Sinaloa dem
    Narco-Corrido den Krieg. Diese Musik, so hiess es, glorifiziere das organisierte
    Verbrechen und verleite zu Gewalt. Der Staat im Nordwesten Mexikos ist die
    Hochburg des mächtigsten der sechs Drogenkartelle — des Sinaloa Kartells.
    Die Region hat eine jahrhundertlange Geschichte der Drogenkultivierung und
    des Drogenhandels. Aber erst in den 1970er Jahren – angekurbelt durch die
    amerikanische Hippie-Bewegung – hat die ökonomisch-politische Macht und
    die Waffengewalt der Drogenhändler stark zugenommen. Und damit auch ihre
    Sichtbarkeit und ihr kultureller Einfluss. Überall dort, wo Drogenbosse ihre
    Partys schmeissen, mieten sie eine regionale Band, um ihre Lieblingsmusik zu

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Drogen-Kultur oder Unkultur?
Drogen-Kultur oder Unkultur? | norient.com                                12 Oct 2021 14:50:14

    spielen und die geladenen Gäste zu unterhalten. Es gibt in der Tat viele neu
    komponierte Lieder, die diese Gepflogenheit bestätigen, und die Musiker
    selbst machen kein Geheimnis aus ihren Auftritten.

    Trailer

    Das Verbot der Narco-Musik in Sinaloa weist auf ein komplexes Problem hin,
    welches Fragen über Musik und ihre Beziehung zur Gewalt und Macht,
    insbesondere der wirtschaftlichen Macht, aufwirft.

    Mexikanische Banda in L.A.
    Die Massenmigration von Billiglohn-Arbeitern von Mexiko und Zentralamerika
    nach Südkalifornien führte in den 1990er Jahren zu einer signifikanten
    kulturellen Transformation des Gastlandes. Die demografische Veränderung
    machte sich insbesondere im musikalischen Leben der Latino-Viertel der
    kalifornischen Grossstädte und ihrer Agglomerationen bemerkbar. Eine neue
    Generation junger Amerika-Mexikaner in Kalifornien liess sich von der «Banda
    Bewegung» der frühen 1990er Jahre anstecken und begann mexikanische
    Musik der Arbeiterklasse nicht nur zu hören und zu spielen, sondern sie als
    Symbol einer eigener kulturellen Identität neu zu definieren.

    Im Kern dieser trendy Musik mit tiefen Wurzeln in der mexikanischen Música
    Ranchera (traditioneller Musik) befindet sich der Corrido, eine Balladenform,
    die heutzutage mit Banda (Blasmusik von Sinaloa) oder Norteño (Akkordeon
    Musik von Nord-Mexiko) begleitet wird und in deren Mittelpunkt der
    Drogenhändler steht. Diese Musik ist unter der ländlichen Bevölkerung im
    Norden Mexikos sehr beliebt, doch das Zentrum ihrer Produktion ist in Los
    Angeles. Hier werden nicht nur kommerzielle, sondern auch private Musik
    und Musikvideos produziert. Die Narco-Musik hat sich in den letzten
    Jahrzenten in ein schnell wachsendes Unternehmen verwandelt. Grosse
    Musikkonzerne buhlen um vielversprechende Narco-Bands und Grammy
    Awards erkennen sie offiziell als neue Sparte an.

    Spiegel der Ungleichheiten

    Wie auch die Gangster-Rap Debatte in den 1990s Jahre hat die Popularität der
    Narco-Musik leidenschaftliche Diskussionen ausgelöst. Viele verurteilen die
    Narco-Corridos wegen ihrer angeblich negativen Wirkung auf die Jugend.
    Andere sehen in ihnen einen Spiegel der Realität, wenn auch einer unschönen,
    brutalen Realität. Viele Mexikaner sind sich hingegen einig, dass die Narco-
    Kultur weniger Ausdruck einer abartigen Subkultur ist, als vielmehr Abbild der
    Korruption, die das ganze Land und die Regierung durchdringt. Ob versteckt,
    oder offensichtlich wie im Film von Shaul Schwarz: Gewalt durchzieht den
    Alltag in unterschiedlichem Ausmass.

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Drogen-Kultur oder Unkultur? | norient.com                                12 Oct 2021 14:50:14

    Ungleichheit und Ungerechtigkeit sind tief verwurzelt in der heutigen
    Gesellschaft. Oft reagieren marginalisierte Individuen auf die sozialen Formen
    der Gewalt mit spontanen Formen von Gewalt. In diesem Sinne vielleicht
    können wir die Narco-Corridos und die Narco-Musikvideos, die den
    Draufgänger und seine gräulich barbarischen Untaten verherrlichen, als
    moralisch gerechtfertigte Antwort auf institutionalisierte Formen der Gewalt
    verstehen. Das Schnittfeld von Musik und Gewalt löst bei denjenigen, die an
    das Konstruktive der Musik glauben, zwangsläufig Unwohlsein aus. Aber wer
    bestimmt über die ethischen Grenzen dieser Produktionen?

    Zwischen zwei Welten

    Die heutige Populärkultur ist in besonderem Masse von männlichen
    Gewaltfantasien dominiert. Diese Fantasien werden auch von jungen Latinos
    absorbiert. Sie pendeln zwischen zwei Welten: einer wirklichen und einer
    imaginären. In der einen gilt es mit einem niedrigen oder gar fehlenden
    Einkommen zu überleben. Die andere besteht aus den Hollywood-Bildern der
    Gangster- und Actionfilme. Aus beiden fabrizieren sie eine eigene Identität,
    die sie wiederum in den Narco-Corridos bestätigt finden.

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Drogen-Kultur oder Unkultur? | norient.com                                12 Oct 2021 14:50:14

    Die Geschichten, welche die Narcos umranken, ernähren sich immer noch
    vom Mythos eines sich in der Sierra versteckt haltenden, geächteten Robin
    Hoods. In einer Tradition, in der Banditen zu Volkshelden gemacht werden,
    hat sich auch der Narco eine mythische Stellung ergattert. Denn er wurde
    durch die Populärkultur neudefiniert und durch die Massenmedien verbreitet.

    Winnie Pooh ist nichts für Gangster

    Mittlerweile aber distanzieren sich viele mexikanische Musikgruppen von der
    Narco-Kultur. Nach einer blutigen Auseinandersetzung zwischen zwei
    Kartellen an einem Volksfest in einem mexikanischen Dorf liess eine der
    bekanntesten Sinaloan Bandas verlauten, dass sie nun nur noch Corridos mit
    harmlosem Inhalt spielen würden: «Da aber dieses Genre, wir alle wissen, von
    Schlachten und Schüssen lebt, kann man eben keinen Corrido über Winnie
    Pooh machen», bedauerten die Musiker ihre Selbstzensur.

    Das Verstummen der lokalen Musik aber ändert nichts an der ganzen
    Problematik des Drogen- und Waffenhandels, des organisierten Verbrechens,
    der Korruption und der Gewalt unter der die Menschen im mexikanischen
    Grenzgebiet leiden. Das Traurige ist, dass die Kinder, die diesen tagtäglichen

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    Wahnsinn miterleben müssen, die Situation viel realistischer beurteilen als die
    Erwachsenen in der kalifornischen Musikindustrie, für die das horrende
    Unglück des Drogenkrieges nichts weiter als ein gewinnträchtiges Geschäft
    ist. Der Film vermittelt uns zwar diese Diskrepanz. Der eigentliche Ursprung
    des heutigen Drogenproblems (die stetig steigende Drogennachfrage der
    Amerikaner) und seine grossen Profiteure (wie zum Beispiel die
    amerikanischen Waffenhändler) werden aber nicht erwähnt.

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    → Published on January 12, 2014

    → Last updated on October 08, 2020

    Helena Simonett received her doctoral degree in ethnomusicology at the University
    of California, Los Angeles, and is currently teaching at Vanderbilt University,
    Nashville. She conducted extensive research on Mexican popular music and its
    transnational diffusion. Her publications include Banda: Mexican Musical Life
    across Borders (2001, Wesleyan University Press) and En Sinaloa nací:Historia de la
    música de banda (2004, Sociedad Histórica de Mazatlán, Mexico),as well as
    numerous journal and encyclopedia articles.

    → Topics

                  Ethics
                 Violence
                 All Topics

    → Specials
    Norient Musikfilm Festival NMFF 5 (2014) Norient Film Festival NFF
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