Unsichtbare Gewalt gegen Kinder und Jugendliche - Ao.Univ.-Prof. Dr. Andrea Berzlanovich Zentrum für Gerichtsmedizin Wien

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Unsichtbare Gewalt gegen Kinder und Jugendliche - Ao.Univ.-Prof. Dr. Andrea Berzlanovich Zentrum für Gerichtsmedizin Wien
Unsichtbare Gewalt gegen Kinder
        und Jugendliche

     Ao.Univ.-Prof. Dr. Andrea Berzlanovich
      Zentrum für Gerichtsmedizin Wien
Unsichtbare Gewalt gegen Kinder und Jugendliche - Ao.Univ.-Prof. Dr. Andrea Berzlanovich Zentrum für Gerichtsmedizin Wien
Interdisziplinäre Ringvorlesung am
Zentrum für Gerichtsmedizin der
Medizinischen Universität Wien

WS 2020/2021 (25.11. - 10.12.2020)

LV-Leitung: Ao.Univ.-Prof. Dr. A. Berzlanovich
in Kooperation mit dem Verein Autonome
Österreichische Frauenhäuser und der
Volksanwaltschaft
Unsichtbare Gewalt gegen Kinder und Jugendliche - Ao.Univ.-Prof. Dr. Andrea Berzlanovich Zentrum für Gerichtsmedizin Wien
andrea.berzlanovich@meduniwien.ac.at
studref-gerichtsmedizin@meduniwien.ac.at
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Unsichtbare Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

• Daten, Fakten
• Erscheinungsformen
• Misshandlungsfolgen
• Erkennen und Ansprechen
• Befunderhebung und Spurensicherung
• Verletzungsdokumentationsbogen
Unsichtbare Gewalt gegen Kinder und Jugendliche - Ao.Univ.-Prof. Dr. Andrea Berzlanovich Zentrum für Gerichtsmedizin Wien
Unsichtbare Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

             30 Jahre Gewaltverbot in der Erziehung, Institut für Grundlagenforschung, 2019
Unsichtbare Gewalt gegen Kinder und Jugendliche - Ao.Univ.-Prof. Dr. Andrea Berzlanovich Zentrum für Gerichtsmedizin Wien
Unsichtbare Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

             30 Jahre Gewaltverbot in der Erziehung, Institut für Grundlagenforschung, 2019
Unsichtbare Gewalt gegen Kinder und Jugendliche - Ao.Univ.-Prof. Dr. Andrea Berzlanovich Zentrum für Gerichtsmedizin Wien
Unsichtbare Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

             30 Jahre Gewaltverbot in der Erziehung, Institut für Grundlagenforschung, 2019
Unsichtbare Gewalt gegen Kinder und Jugendliche - Ao.Univ.-Prof. Dr. Andrea Berzlanovich Zentrum für Gerichtsmedizin Wien
Kindesmisshandlungen in Europa

In Europa besteht ein Prävalenzniveau von
•    9,6% für sexuellen Missbrauch:
    13,4% bei Mädchen und 5,7% bei Jungen
• 22,9% für körperliche Gewalt und
• 29,1% für psychische Misshandlung (ohne
  wesentliche geschlechtsspezifische Unterschiede
  bei den beiden letzteren Gewaltformen)
         Gewalt gegen Kinder in der EU, Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments, 2014
Gewaltdelikte an österreichischen Schulen

Anzeigen 2018/19: 176 (vgl. 258 im Schuljahr 2017/18)
• Volksschulen: 39 (SchülerInnenzahl ~75.000)
• Zentren f. Inklusion und Sonderpädagogik: 7
  (SchülerInnenzahl ~3.000)
• NMS: 87 (SchülerInnenzahl ~30.500)
• AHS: 18 (SchülerInnenzahl ~65.000)
• Polytechnische Schulen: 16 (SchülerInnenzahl ~2.600)
• Berufsbildende Schulen: 9 (SchülerInnenzahl ~61.500)
          https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20191118_OTS0144/
          wien-3-runder-tisch-gegen-gewalt-an-schulen-mit-neuen-zahlen-und-schwerpunkten
Gewaltdelikte an österreichischen Schulen

Anzeigen nach Deliktform
• Strafbare Handlungen gg Leib und Leben: 141
• Strafbare Handlungen gg die Freiheit: 21
• Strafbare Handlungen gg die sexuelle Integrität: 14
Gesamtzahl der Suspendierungen 2018/19: 334 (vgl.
278 im Schuljahr 2017/18)
          https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20191118_OTS0144/
          wien-3-runder-tisch-gegen-gewalt-an-schulen-mit-neuen-zahlen-und-schwerpunkten
Gewaltfolgen

Körperliche Folgen                            Psychische Folgen
Akute Verletzungen, z. B. durch Stiche und    Posttraumatische Belastungsstörungen.
Hiebe hervorgerufen, Schnitt-, Rissquetsch-   Depressionen, Angst- und Panikattacken.
und Brandwunden, Hämatome, Frakturen          Nervosität, Schlafstörungen,
(Nasenbein-, Arm,- Rippenbrüche), Kiefer-     Konzentrationsschwäche.
und Zahnverletzungen.                         Verlust von Selbstachtung und Selbst-
Dauerhafte Behinderungen. Tod.                wertgefühl.
                                              Suizidalität.

(Psycho-)somatische Folgen                    Gesundheitsgefährdende Risiken
Chronische Schmerzen wie Kopf-, Rücken-,      Rauchen.
Brust- und Unterleibsschmerzen. Magen-,       Übermäßiger Medikamenten-, Alkohol- und
Darmstörungen, Übelkeit, Brechreiz.           Drogenkonsum.
Allgemein: Chronische Anspannungen, Angst     Essstörungen.
und Verunsicherung, die sich als Stress-
reaktionen in psychosomatischen
Beschwerdebildern manifestieren können.
Unsichtbare Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

 Vernachlässigung
 • = grundlegende körperliche und psychische
   Bedürfnisse der Kinder/Jugendlichen innerhalb der
   Familie werden nicht/ nur unzulänglich erfüllt
 • Folgen: Unter- bzw. Fehlernährung, Verwahrlosung,
   Behinderung der altersgemäßen geistigen, sozialen,
   seelischen Entwicklung der Betroffenen
Dunkelfeldschätzungen

• Bis zu 300.000 Frauen werden in Ö pro Jahr
  von ihren (Ex-)Partnern misshandelt
• Jede fünfte in einer Beziehung lebende
  Frau ist zumindest einmal in ihrem Leben
  gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt
• Kinder und Jugendliche sind häufig indirekt
  oder direkt mitbetroffen
Kinder und Jugendliche als (Mit-)Betroffene

• 77% Kinder/Jugendliche stellen sich vor die Mutter
  und werden selbst geschlagen
• 13% werden schwer misshandelt
• je schwerer die Gewalt gg Mutter ist, desto
  schwere Übergriffe erfolgen i.R. gg Kinder
  C Seth, B Kavemann: Evaluationsstudie des Aktionsprogramms Kinder als Zeugen und Opfer
  häuslicher Gewalt, 2007
Auswirkungen indirekter Gewalt
                Unspezifische Symptome

•   Gestörtes Essverhalten
•   Schlafstörungen, Albträume
•   Rückfall in ein Kleinkindverhalten
•   Weglaufen von zu Hause
•   Ablehnung des eigenen Körpers
•   Depressivität, unklare Angstzustände
•   Schmerzen (z. B. Bauchschmerzen)
•   Sprachstörungen
Auswirkungen indirekter Gewalt

• Kinder, die Gewalt im häuslichen Umfeld erleben,
  lernen, dass Konflikte mit Gewalt "gelöst" werden
• Die Betroffenen sind als Jugendliche oder später als
  Erwachsene gefährdet, selbst Gewalt auszuüben
  bzw. zu erdulden
Erkennen von Gewalt

• Erkennen von erlittener Gewalt ist nicht nur
  ausschlaggebend für konkrete Hilfe in der Notsituation,
  sondern auch für die Prävention weiterer
  Misshandlungen
• Weitervermittlung der Gewaltbetroffenen an Hilfs- und
  Unterstützungseinrichtungen oder an die Polizei
Erkennen von Gewalt

• Bei vorliegenden Misshandlungen kann eine
  sorgfältige körperliche Untersuchung und
  Dokumentation aller sichtbaren Verletzungen dazu
  beitragen, die Lage der Betroffenen in einem
  späteren Straf- und/oder Zivilverfahren zu stärken
Ansprechen

• Thematisierung der Verhaltensauffälligkeit
• Fragen nach dem häuslichen Umfeld sowie nach
  "Nebensächlichkeiten" (Regeln, Kontrolle), können
  einen Eindruck von der Lebenssituation des Kindes
  vermitteln
• Behutsames Nachfragen
• nicht zu Entscheidungen drängen
Ansprechen

• Erzählungen Glauben schenken
• Gewalt als Unrecht verurteilen
• Schutz und Beratung für das Opfer
• Beratungsangebote für betroffenen Eltern
• Absprache der folgenden Schritte
https://www.youtube.com/watch?v=wbCtDLoraLE

        Frauenhelpline-Spot 2017, Keine Ausreden bei Gewalt
Red Flags
                Deutliche Warnsignale

• Mehrzeitige und mehrseitige Verletzungen
• Oberflächliche und tiefe Verletzungen:
  Kopf, Hals, Oberarme, Rücken, Beine
• "Blaue Flecken" an nicht sturz- oder an-
  stoßtypischen Stellen
• Geformte Blutunterlaufungen, Frakturen
• Schürfungen an Hand-/Fußgelenken
Misshandlungsverletzungen
Verletzungen bei körperlichen Misshandlungen

Beschreibung
• relevante Körperverletzungen
• Bagatelltraumata
• Angabe der Anzahl, Lokalisation, Größe, Form und
  Farbe der Verletzungen
• keine Diagnosen!
Sexueller Missbrauch

• Geschätzte Anzahl: 10.000 bis zu 25.000 Fälle
• Jedes 3. – 4. Mädchen und
• Jeder 7. – 8. Bub wird zwischen
    dem ersten und sechzehnten Lebensjahr
    Opfer von sexueller Gewalt

https://www.bjv.at/cms/wp-content/uploads/2019/11/kinderrechte_bericht.pdf
Verdacht auf sexuellen Missbrauch
               Verhaltensauffälligkeiten

• Inadäquates, sexualisiertes Verhalten
• Nicht altersentsprechendes Wissen über Sexualität
• Kinder meiden das Alleinsein mit best. Person
• Schulleistungsknick
• Sozialer Rückzug
• Unangemessener Aggressivität
Zeichen sexuellen Missbrauchs
               Körperliche Symptome

• Spezifische Infektionen mit
  Neisseria gonorrhoe, Trichomonaden, Candida
  Condylomata accuminata
• Unterleibsverletzungen
• Hämatome, Bisswunden
• Tiefe Einrisse/ Narben am Hymen od. Anus
• Schwangerschaft
Wichtig für Urteilsfällung im Strafverfahren

• Aussagen der
  Opfer
  Beschuldigten
  Zeugen
• Polizeiliche Ermittlungen
• Ärztliche und pflegerische Dokumentation
• Sachverständigengutachten, etc.
Untersuchungen im Gerichtsauftrag
• Art und Grad der Verletzungen
• Dauer der verletzungsbedingten
  Gesundheitsschädigung und Dauerfolgen
• Entstehungsursache der Verletzungen
• Qualen, Art und Häufigkeit des Missbrauchs
• Zusammenhang zw. festgestellten Verletzungen und
  körperlichem/sexuellem Übergriff
• Identifizierung des/der Täters/Täterin
Ärztliche Untersuchung

• Allgemeinuntersuchung
• Erhebung eines Genitalstatus
• Gynäkologische Untersuchung
• Dokumentation
• Spurensicherung
Ärztliche Untersuchung

• Spurensicherung, wenn körperliche und / oder

• sexuelle Übergriffe in den letzten

  24 – 96 Stunden

  stattgefunden haben
Spurensicherungsset
                               Spurensicherung
                               • Faltbare Kartonboxen
                               • Wattetupfer

                               Sicherstellung der Bekleidung
                               • A4 Kuverts
                               • Papiersäcke

                               Blut- und Urinproben
                               • Plastiksäcke

                               Dokumentation
Informationsblatt für Opfer    • Checkliste f. Untersuchung
                               • Kurzcheckliste f. Spurenabnahme
MedPol –
          Untersuchungsbogen
     zur Verletzungsdokumentation

Projektleitung: Mag. Martina Stöffelbauer, .BK 1.4 Kriminalstrategie
Umsetzung: Mag. Rudolf Gross, .BK 6.1; Gerhard Rubenz, .BK 6.2;
Andreas Schmidl, BMI II/1/a; Oberst Harald Stöckl, BMI II/2; CI Strohmaier
Manfred, .BK 1.4 Kriminalstrategie; ORat Dr. Hans-Peter Stückler; .
BK 1.4 Kriminalstrategie; Dr. Jochen Rausch, aä. Dienst
Konzeption: Ao.Univ.-Prof. Dr. Andrea Berzlanovich
Projektbegleitung: Österr. Gesellschaft für Gerichtsmedizin und
Österr. Ärztekammer
Untersuchungsbogen
Untersuchungsbogen

https://oeggm.com/service/gewaltopfer/Verletzungsdokumentationsbogen.pdf
Kontaktinformationen

Ao.Univ.-Prof. Dr. Andrea Berzlanovich

    Zentrum für Gerichtsmedizin
    Medizinische Universität Wien
           Sensengasse 2
           A - 1090 Wien
andrea.berzlanovich@meduniwien.ac.at
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