Eine Weihnachtsgeschichte
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Eine Weihnachtsgeschichte -1- Vielleicht sind Sie jetzt ein wenig weihnachtlich überrascht, diese kleine, wohl auch kindliche Geschichte zur diesjährigen Weihnachtszeit in den Händen zu halten. Ich gehe auch davon aus, dass Sie die Erzählung schon lange kennen. Nach vielen Jahren ist sie mir dieser Tage wieder begegnet, und zwar innerhalb des Advents- und Weihnachtsgottesdienstes der Schülerinnen, der Schüler und der Lehrerinnen und Lehrer der Staatlichen Schule für Körperbehinderte in Köllerbach. Erzählt wird die Begegnung der drei Eulen mit dem Kind in der Krippe. Kinder jeglichen Alters werden beim Hinhören sehr still, so als spürten sie in ihrem noch kindlichen unverbogenen Herzen, dass sich hinter den Szenen große Lebens- und Glaubensweisheiten verbergen. Da hören wir, wie drei Eulen in einer tiefen, dunklen Nacht, frierend und einsam, einen Stern am Himmel leuchten sehen. Seine strahlende Helle lässt sie die Augen öffnen. Uns klugen Erwachsene fällt schon zu Beginn der Geschichte eine Menge ein: wir wissen, Eulen gelten als Nachtvögel, die das Licht der Sonne nicht ertragen können. Vom Altertum bis heute gilt die Eule als unheimliches und als unglück- und todbringendes Vorzeichen. Da sie in der Dunkelheit sieht, und als ernst und nachdenklich galt, ist sie aber auch ein Symbol der die Dunkelheit des Nichtwissens durchdringenden
-2- Weisheit, und sie wurde so zum Attribut der griechischen Göttin der Wissenschaften, Athena. In der Symbolsprache der Bibel erscheint sie einerseits negativ als Sinnbild der geistigen Finsternis, aber auch positiv als Symbol religiöser Erkenntnis oder auch Symbol für Christus, für das Licht, das die Finsternis erhellt... Doch Kinder fragen nach anderen Erscheinungsweisen: Drei Eulen? Sind sie verwandt miteinander oder sind das einfach nur Freunde in ihrer Neugier nach Leben, was sich regt auf der Erde und am Sternenhimmel? Da scheint doch eine tiefe Freundschaft die drei Vögelchen wie Kletten zusammen zuhalten, man fliegt durch Dick und Dünn. Ja, eine Freundschaft, ein kostbares Gut. Was bedeutet Freundschaft für uns Menschen? Wir Erwachsene formulieren die Antwort wie folgt: Freundschaft ist eine von Gegenseitigkeit, Offenheit und Gleichheit geprägte Beziehung der Zuneigung. Als Äußerstes in einer Freundschaft wurde in der Geschichte der philosophisch- ethischen Definition der Lebenseinsatz füreinander erwartet. In unserer Geschichte geschieht Etwas für Freunde Untypisches: Zwei der Eulen lassen die dritte Eule, die Kleine, im Stich. Rette sich wer kann aus Eis und Schnee! Freundschaft bewährt sich immer in Krisenzeiten, dann wenn Lebenssichten und Überzeugungen auseinander gehen, wenn die körperliche und seelische Stärke schwindet und die
-3 ehemals hellen Zeiten durch Zweifel und Trauer verfinstert sind. Manchmal ist es so, am Ende eines Jahres drängen sich auch solche Fragen auf, Fragen nach gelebter und gepflegter Freundschaft in unserem eigenen Lebensumfeld. Sind auf der Zeitreise durch das Jahr Freundschaften zerbrochen oder auch neu belebt worden? Sind vielleicht neue entstanden? Kehren wir zu unserer Geschichte zurück. Die zwei Eulen lassen die kleine Eule im Stich Nichts von Solidarität in der Not! Die Hilferufe erreichen nicht das Herz der zwei starken Nachtvögel.. Die beiden sind davon besessen, dem Stern nach zufliegen und sie erreichen den Stall von Bethlehem, das Licht, die Wärme, die Geborgenheit. In diesem Zufluchtsort sehen sie, wie sich das Licht um das Neugeborene und der Sternenglanz berühren. Und da geschieht das Wunderbare dieser Nacht: Die zwei Nachtvögel kehren um, sie fliegen zurück, sie machen sich auf die Suche nach der kleinen Eule. Irgendwie scheint dieses Licht von Bethlehem sie angesteckt zu haben. sie können jetzt nicht mehr verweilen in trauter Zweisamkeit, wir würden
-4- sagen „bei Glühwein und Gebäck, die Bescherung erwartend". sie kehren um und fliegen zurück und suchen und suchen... In diesem unscheinbaren Augen-Blick unserer Geschichte geschieht Weihnachten. „Wenn Gott uns ganz nahe kommen will" lese ich bei Andrea Schwarz, „ dann ist da nicht nur Lachen, Freude, Glücklich- Sein. Menschliches Leben ist mehr. Dazu gehört auch Weinen, Angst und Hoffnungslosigkeit, dazu gehört manchmal auch der Dreck im eigenen Stall — und der Tod. Wenn Gott zur Welt kommt, dann kommt er nicht nur in die nette, schöne und heile Welt, die wir in den vier Wochen vor Weihnachten inszenieren, sondern dann kommt er gerade auch in diese dunkle Welt, in der Menschen keinen Ausweg mehr wissen, auf der Flucht sind, verhungern", in der Kinder wie dieser Tage in Newtown USA geschehen, hingerichtet werden, in der Neugeborene in unserem Land ausgesetzt werden. „Dann kommt er zu Menschen, die einsam sind und von Angst besetzt, nicht wissen, wie sie die nächste Miete bezahlen sollen, wann sie das nächste Mal eine warme Mahlzeit bekommen. Dann kommt er zu den Menschen, deren Träume gescheitert sind, die keinen Ausbildungsplatz finden, deren Diagnose heißt: ,Nicht mehr heilbar'. Gott kommt nicht zu den Reichen, Starken, Schönen, um mit ihnen rauschende Feste zu feiern, sondern er kommt zu den Kleinen, Armen, Schwachen. Er kann die Dunkelheiten, in denen sie leben, nicht wegnehmen, aber er begibt sich selbst mit hinein, als Kind in der Krippe, als Sterbender am Kreuz, um uns zu sagen: ,Ich liebe euch so sehr, dass ich euch nicht alleine lasse.'"
-5- Weihnachten heißt immer auch, den Blick nach Außen zu richten, zu solchen Menschen, denen das „Draußen" ihrer Existenz, ihrer Seele vertrauter ist als die Behaglichkeit einer Zufluchtsstätte, als das bewusste Ringen um ein sinnstiftendes Lebenskonzept, als Geborgenheit und Annahme. Mit hellem Blick machen sich unsere zwei Nachtvögel auf die Suche nach der im Stich Gelassenen. Und sie finden die Kleine Eule unter Eis und Schnee, in Hoffnungslosigkeit und tiefer Trauer. „In der Kälte", so heißt es „ sind ihre Tränen zu Eiskristallen erstarrt". Als die kleine Eule die Geschichte von dem wunderbaren Geschehen im Stall hört, will sie auch dorthin. Sie nimmt ein glitzerndes Eiskristall , das an einem Halm festgefroren ist, als Geschenk mit. Die drei Freundinnen, wieder vereint, fliegen zum Stall von Bethlehem, dorthin, wo sich das Licht der Krippe und der Sternenglanz berühren. Und hier erfahren sie die Wärme, die alle Erstar- rung löst. Es wird noch berichtet, dass die kleine Eule später ganz nahe an der Krippe sitzt und dass ein Wunder geschieht: Aus dem Geschenk, dem Eiskristall für das neugeborene Kind wird eine weiße Blume, eine Christrose.
-6- Weihnachten will den Blick schärfen für das Hilflose, das Schwache, das in den Eiswüsten dieser Welt Verlorene. für die geschundene Kreatur. Weihnachten will uns etwas ahnen lassen von Gott als der Quelle der Erkenntnis und der Wahrheit, um selbst getröstet zu sein, um von ihm reden zu können vor dieser Welt. Auf solche Weise vermag sich Weihnachten zu ereignen. Unsere kleine Geschichte endet mit der wohltuenden und heilenden Erfahrung von Ruhe und Innehalten in der Nähe des neugeborenen Kindes. Ich wünsche Ihnen von Herzen solche Zufluchtsmomente in den weihnachtlichen Tagen auf dem Weg zu einem neuen Jahr. Seien Sie behütet und gesegnet. Ihr Rolf Dillschneider
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