ENTSTEHUNGS-GESCHICHTE - Zentrum für verfolgte Künste

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ENTSTEHUNGS-GESCHICHTE - Zentrum für verfolgte Künste
Zentrum für verfolgte Künste
                                                                 Wuppertaler Straße 160
                                                                 42653 Solingen
                                                                 Tel. +49 212 2 58 14-18
                                                                 info@verfolgte-kuenste.de

                                                                 ENTSTEHUNGS-
                                                                 GESCHICHTE
Oscar Zügel: Ikarus, 1935/36, Öl auf Sperrholz, 100 x 81 cm
Schenkung des Oscar Zügel Archivs. Kunst und soziale Verant‐
wortung, Balingen an das Zentrum für verfolgte Künste Solingen

   1990 gründete der WDR-Journalist Hajo Jahn die Else Lasker-Schüler-Gesellschaft in Wupper‐
   tal, der Geburtsstadt der Malerpoetin Else Lasker-Schüler. In Berlin war sie berühmt geworden
   war und musste von dort vor den Nationalsozialisten flüchten. Weil Hajo Jahn ihre Biografie als
   Verbindung zwischen all den verfolgten Kunstgenres sah, engagierte er sich für eine zeitgemäße
   Erinnerungskultur und ein alle Kunstgattungen berücksichtigendes „Zentrums für verfolgte
   Künste“.

   Vor dem Hintergrund der rassistischen Ausschreitungen gegen Geflüchtete und Minderheiten
   im wiedervereinten Deutschland initiierten Hajo Jahn und Jürgen Serke eine bundesweite Akti‐
   on der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft am 9. November 1992: Eine Nacht in Deutschland, eine
   Reaktion auf die Brandanschläge, bei der Autor:innen in Asylbewerberheimen lasen – „gegen
   Fremdenfeindlichkeit, Gewalt und Antisemitismus“: in Rostock, Moelln, Cottbus, Hünxe, Magde‐
   burg, Schwerin, Dresden und Solingen. 1994 rief die Else-Lasker-Schüler Gesellschaft Wuppertal
   e.V. zusammen mit dem Exil-PEN zur Gründung eines Zentrums für verfolgte Künste auf.

   Am 12. September 1994 stellte die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft im Düsseldorfer Landtag
   die unselbständige Stiftung „Verbrannte und verbannte Dichter/Künstler - für ein Zentrum der
   verfolgten Künste" vor. Dort wurde ein Aufruf mit Unterschriften von 50 Autor:innen vorgelegt,
   darunter Günter Grass, Siegfried Lenz, Johannes Mario Simmel, Tankred Dorst und die aus der
   DDR stammenden Schriftstelle:innen Sarah Kirsch, Reiner Kunze, Jürgen Fuchs, Wolf Biermann
   sowie Herta Müller und die Israelis Yehuda Amichai, Jakob Hessing und Tuvia Rübner. Die Unter‐
   schrift des weltweit bekanntesten verfolgten Dichters Salman Rushdie stand für die Aktualität
   des Themas: Schriftsteller:innen, Journalistinnen und Künstler:innen wurden und werden in Dik‐
   taturen verfolgt, zensiert, eingesperrt, getötet.
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1997 stieß Rolf Jessewitsch, Direktor des Solin‐
ger Museums Baden (später Kunstmuseum
Solingen) bei Recherchen auf eine Privatsamm‐
lung mit über 3000 Bildern zur figurativen deut‐
schen Kunst vom Aufbruch in die Moderne um
1910 bis ins vorletzte Jahrzehnt des 20. Jahr‐
hunderts. Die Sammlung von Dr. Gerhard
Schneider hatte dabei vor allem Werke von un‐
gewürdigten figurativ arbeitenden Künstlern
und Künstlerinnen in den Blick genommen, die
aufgrund politischer Gegebenheiten und ideolo‐
gischen Vorgaben größtenteils in Vergessen‐
heit geraten waren. Diese Verwerfungen in der
deutschen Kunstgeschichte begannen bereits
mit dem Ersten Weltkrieg, setzten sich am gra‐
vierendsten durch die Machenschaften des Na‐
tionalsozialismus mit seiner Vorstellung einer
„entarteten Kunst“ fort und wirkten sich auch
nach 1945 auf ein ideologisch gelenktes Kunst‐
verständnis im geteilten Deutschland aus. Zur      Anna Seghers, Das siebte Kreuz. Roman aus Hitlerdeutschland,
                                                   El Libro Libre, Mexiko 1942. Bürgerstiftung für verfolgte Künste -
Jahrtausendwende entstand auf dieser Samm‐         Else-Lasker-Schüler-Zentrum - Kunstsammlung Gerhard Schnei‐
lungsbasis eine erste Ausstellung mit Katalog      der

Verfemt – Vergessen – Wiederentdeckt.

Zur Eröffnung der ersten Präsentation der Bürgerstiftung im Dezember 2004 gab es zugleich die
erste Kooperation nebst Begleitveranstaltungen mit der Wuppertaler Else-Lasker-Schüler-Ge‐
sellschaft. In der Folgezeit schloss sich das Solinger Museum der Initiative der Else-Lasker-
Schüler-Gesellschaft mit ihrem Vorsitzenden Hajo Jahn als treibende Kraft an, in Solingen die
Gründung des Zentrum(s) für verfolgte Künste voran zu treiben. Bereits nach 2000 entwickelte
sich die sogenannte „entartete Kunst“ zu einem Schwerpunkt des Museums. Mit Hilfe des Enga‐
gements Solinger Bürger:innen gründete sich 2004 eine Bürgerstiftung, die zunächst Teile der
Sammlung Gerhard Schneider für die Öffentlichkeit gesichert hat. 2005 schloss sich der Land‐
schaftsverband Rheinland mit einer Zustiftung dieser Bürgerstiftung an und die Else-Lasker-
Schüler-Stiftung erwarb 2008 die Sammlung des Journalisten und Autoren Jürgen Serke. Sie
beinhaltet Literatur des 20. Jahrhunderts, die Widerstand geleistet hat gegen Nationalsozialis‐
mus und Kommunismus. Serkes Buch Die verbrannten Dichter löste in der Bundesrepublik
Deutschland Ende der 1970er-Jahre eine Welle der Wiederentdeckungen aus und machte sei‐
nen Buchtitel zum geflügelten Wort. Das Solinger Museum stellte die Sammlung Serke im Rah‐
men der Ausstellung Himmel und Hölle: 1918 bis 1989 aus und konkretisierte die Idee eines Zen‐
trums für verfolgte Künste. Die Bürgerstiftung fusioniert 2014 mit der Lasker-Schüler-Stiftung
und bildete so die Grundlage des Museums. 2017 konnte durch Mittel des Deutschen Bundesta‐
ges die Bürgerstiftung um ein Konvolut aus der Sammlung Gerhard Schneider und um den
Nachlass des Künstlers Oscar Zügel maßgeblich erweitert werden. Schenkungen, wie fast 70
Werke des Malers Leo Breuer aus der Zeit zwischen 1939 und 1946, bereichern die Sammlung
der Bürgerstiftung kontinuierlich.
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Zur offiziellen Gründung des Zentrums für verfolgte Künste dauert es
                                   noch bis zum Januar 2015. Zum 70. Jahrestag der Befreiung des
                                   Konzentrationslagers Auschwitz zeigt das Zentrum am 27. Januar in
                                   Kooperation mit den Gedenkstätten und Museen Yad Vashem, Au‐
                                   schwitz-Birkenau und Theresienstadt im Deutschen Bundestag Ber‐
                                   lin seine erste Ausstellung unter dem Titel Der Tod hat nicht das letz‐
                                   te Wort. Kern der Ausstellung war die Geschichte von drei Künst‐
                                   ler:innen, die verdeutlicht, wie die Vergangenheit immer noch Gegen‐
                                   wart ist. Peter Kien brachte in Theresienstadt dem 12-jährigen Yehu‐
                                   da Bacon das Zeichnen bei. Beide kamen nach Auschwitz, Kien
                                   starb, Bacon überlebte, ging nach Jerusalem, wurde Künstler und
Else Lasker-Schüler, Theben, 1923.
Bürgerstiftung für verfolgte Küns‐ Lehrer an der Bezalel Akademie. Dort lehrte er Sigalit Landau das
te - Else-Lasker-Schüler-Zentrum -
Kunstsammlung Gerhard Schnei‐      Zeichnen. Sie ist heute eine der weltweit einflussreichsten zeitgenös‐
der
                                   sischen Künstlerinnen. Kien, Bacon und Landau eint die Katastrophe
                                   des letzten Jahrhunderts, die Shoa: sie ist der Kern ihrer Kunst. Um
     viele zeitgenössische Kunstwerke ergänzt ging die Ausstellung dann in das MOCAK Museum für
     Gegenwartskunst Krakau in die ehemalige Fabrik von Oskar Schindler und bildet im Dezember
     2015 zusammen mit Spots of Light kuratiert von Yehudit Inbar, der emeritierten Direktorin der
     Museumsabteilung in Yad Vashem, die Eröffnungsausstellungen des Zentrums für verfolgte
     Künste in Solingen.

   Die Ausstellung Der Tod hat nicht das letzte Wort zeigte, wie schon unmittelbar nach ihrer Befrei‐
   ung Häftlinge Kunst zur Erinnerung und Mahnung schufen, wie die Kunst zwischen die Mahlstei‐
   ne der Politisierung geriet, wie die Überlebenden, besonders der israelische Künstler Yehuda Ba‐
   con, den Terror dokumentierten und großartige Kunstwerke schufen, wie die zweite und dritte
   Generation, die Kinder und Enkel:innen sich ab den 1980er-Jahren von der Umklammerung der
   Ideologien befreiten, anklagten, unbequeme Fragen stellten, aber auch die Erinnerung als univer‐
   selles Erbe annahmen.

   Die Ausstellungen 2015 standen paradigmatisch für das Programm des Zentrums. Es versteht
   sich als Entdeckungsmuseum und stellt die Mechanismen von Verfolgung und Ausgrenzung
   anhand von Biografien und künstlerischem Schaffen real wie auch virtuell vor. Es zeigt die Stra‐
   tegien der verfolgten und geflohenen Menschen, die das Exil, die Emigration und Bedrohung zu
   überleben, bzw. zu überwinden versuchten. Über die traditionellen Aufgaben eines Museums
   hinaus ist das Zentrum eine gesellschaftspolitische Institution, die auf aktuelle Entwicklungen
   eingeht, für zukünftige Herausforderungen offen ist und Werte einer pluralistisch freiheitlichen
   Gesellschaft vermittelt. Das Zentrum ist ein Haus für die Opfer, nicht der Täter. Die Shoah, die
   Ermordung der Juden Europas, das größte Verbrechen gegen die Menschlichkeit und seine Re‐
   flexion in den Künsten wird genauso offen in allen Aspekten gezeigt, wie die bildkünstlerischen
   oder literarischen Zeugnisse des Exils damals und heute. Der Gründungsauftrag des Zentrums
   ist es, denjenigen einen Ort zu geben, die aufgrund von Flucht und Vertreibung, politischer Ver‐
   folgung und Ausgrenzung kein Forum, keine Öffentlichkeit gefunden haben oder finden. So wird
   das Zentrum für verfolgte Künste zu einem Entdeckungsmuseum verschollener, verlorener,
   kaum berücksichtigter Geschichten und Schicksale, die es national und international vorstellt.
   Es wird unterstützt durch das LVR-Netzwerk Kulturelles Erbe.

      verfolgte-kuenste.com
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