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Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten (Hrsg.): Gedenkstätten und Erinnerungsorte zur Geschichte des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein Wegweiser und Bildungsangebote
9 Orte mit Bildungsangeboten Ladelund 7 6 1 Ahrensbök: Gedenkstätte Ahrensbök Flensburg 31 Steinberg 9 2 Dieksanderkoog: Historischer Lernort Neulandhalle Harrislee 3 Elmshorn: Jüdische Friedhofshalle 4 Friedrichstadt: Kultur- und Gedenkstätte Ehemalige Synagoge Friedrichstadt 5 Gudendorf: Gedenkstätte Gudendorf Schwesing 28 29 30 6 Itzehoe: GeSCHICHTENberg Itzehoe 16 Schleswig 7 Kiel: Erinnerungs- und Bildungsstätte Flandernbunker. Mahnmal – Denkort – Museum Husum 2 8 Kiel: Gedenkort „Arbeitserziehungslager Nordmark“ 4 Friedrich- Altenholz stadt 9 Ladelund: KZ-Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund 15 167 15 17 11 10 Lübeck: Gedenkstätte Lutherkirche 8 Rendsburg Kiel Hohwacht 14 Kiel 11 Lübeck: Gedenkstätte Lübecker Märtyrer 26 10 12 Neustadt/Holstein: Museum Cap Arcona Nortorf Heide 1 13 Nützen: KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen in Springhirsch Neustadt Albersdorf i.12 H. 24 14 Quickborn: Henri-Goldstein-Haus 23 8 Neustadt Neumünster i. H. 15 Rendsburg: Jüdisches Museum 5 Haffkrug 16 Schwesing: KZ-Gedenkstätte Husum-Schwesing 27 1 2 Gudendorf Rickling 17 Ahrensbök 17 Wahlstedt: Geschichtspfad mit Informations- und 12 6 4 Dokumentationszentrum Marineartilleriearsenal Wahlstedt Dieksander- 21 Itzehoe Itzehoe koog Wahlstedt Bad Segeberg 18 19 20 11 Lübeck 13 10 13 Kalten- 3 Nützen Lübeck kirchen 35 Bad Elmshorn 14 Elmshorn Oldesloe 25 Quickborn Norderstedt 32 22 Wedel Mölln
Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten (Hrsg.): Gedenkstätten und Erinnerungsorte zur Geschichte des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein Wegweiser und Bildungsangebote Redaktion: Dr. Harald Schmid Herausgeberin: Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten Am Gerhardshain 44 24768 Rendsburg Tel.: 04331-143824 Fax: 04331-143820 E-Mail: info@gedenkstaetten-sh.de Web: www.gedenkstaetten-sh.de Redaktion: Dr. Harald Schmid Grafik und Layout: Husum Druck- und Verlagsgesellschaft Druck: Husum Druck- und Verlagsgesellschaft Auflage: 5 000 Stück Fotos: Einzelne Gedenkstätten, Hans-Dieter Holtz, Imperial War Museum London, Landesarchiv Schleswig-Holstein, Henrik Matzen, Dr. Karen Meyer-Rebentisch, Dr. Jens Rönnau, Dr. Harald Schmid, Stadtarchiv Kiel, Berndt Steincke, Alexander Voss, Wikipedia/Nightflyer, Petra Woppowa, Dr. Sönke Zankel Oktober 2020
Inhaltsverzeichnis Geleitwort Ministerin Karin Prien 7 Vorwort Prof. Dr. Dr. h.c. Gerhard Fouquet, BGSH; Uta Körby, LAGSH 9 Von „vergessenen KZs“ zur historisch-politischen Bildung: Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein Dr. Harald Schmid 11 Orte mit Bildungsangeboten Ahrensbök: Gedenkstätte Ahrensbök 24 Dieksanderkoog: Historischer Lernort Neulandhalle 28 Elmshorn: Jüdische Friedhofshalle 32 Friedrichstadt: Kultur- und Gedenkstätte Ehemalige Synagoge Friedrichstadt 36 Gudendorf: Gedenkstätte Gudendorf 40 Itzehoe: GeSCHICHTENberg Itzehoe 44 Kiel: Erinnerungs- und Bildungsstätte Flandernbunker. Mahnmal – Denkort – Museum 48 Kiel: Gedenkort „Arbeitserziehungslager Nordmark“ 52 Ladelund: KZ-Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund 56 Lübeck: Gedenkstätte Lutherkirche 60 Lübeck: Gedenkstätte Lübecker Märtyrer 64 Neustadt/Holstein: Museum Cap Arcona 68 Nützen: KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen in Springhirsch 72 Quickborn: Henri-Goldstein-Haus 76 Rendsburg: Jüdisches Museum 80 Schwesing: KZ-Gedenkstätte Husum-Schwesing 84 Wahlstedt: Geschichtspfad mit Informations- und Dokumentationszentrum Marineartilleriearsenal Wahlstedt 88 Weitere Erinnerungsorte Albersdorf: Grabstätte für sowjetische Kriegsgefangene 94 Altenholz: Gedenkstein Marine-Schießanlage Holtenau 94 Bad Oldesloe: Gedenktafel am „Blauen Haus“ 95 Bad Segeberg: Gedenkort am Platz der früheren Synagoge 95 Elmshorn: Gedenkort am Platz der früheren Synagoge 96 Flensburg: Denkmal für die Opfer des NS-Regimes 96 Flensburg: Deserteursdenkmal 97 Haffkrug: Ehrenfriedhof für die Toten der „Cap Arcona“- und „Thielbek“-Katastrophe 97 Harrislee: Mahnmal Harrislee-Bahnhof 98 Heide: Gedenkort für sowjetische Kriegsgefangene 98
9 Geleitwort Hohwacht: Gedenkstein für die Häftlinge des Neuengamme-Außenlagers Lütjenburg-Hohwacht 99 Wir brauchen nach wie vor und immer wieder eine Erinne- Deshalb ist es wichtig, auch diese „Orte der Erinnerung“ be- Itzehoe: Mahnmal für die Opfer des Naziregimes 99 rungskultur an authentischen Orten, an Orten, die Brücken kannt zu machen. Mit diesem Wegweiser liegt nun eine Über- Kaltenkirchen-Moorkaten: Gräberstätte für Kriegsgefangene und KZ-Opfer 100 bauen zwischen den Generationen, zwischen Opfern und sicht zu rund 50 Gedenkstätten, Erinnerungs- und Lernorten Kiel: Mahnmal für die Opfer der Gestapo 100 Tätern, zwischen Zeitzeugen und Nachkommen. Sie sind zur Geschichte des Nationalsozialismus in Schleswig-Hol- Kiel: Mahnmal für die zerstörte Synagoge 101 kulturelles Gedächtnis und Lernorte für die Gegenwart in stein vor, also zu lokalen Räumen, die man aufsuchen kann, Kiel: Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma 101 einem. Wir brauchen Gedenkstätten, die gesellschaftliche und zu den Bildungsangeboten, die die Geschichte an Ort Kiel: Ehrenmal für die Opfer der NS-Gewaltherrschaft 102 Diskurse aufnehmen, sich in aktuelle Debatten einbringen und Stelle inhaltlich vermitteln. Lehrende wie Lernende, jun- Lübeck: Gedenkort für die Opfer des Nationalsozialismus und für Homosexuelle 102 und sich jeder Umdeutung widersetzen. Wir brauchen eine ge und erwachsene Menschen, interessierte Einheimische Lübeck: Gedenkzeichen „Vor den Augen aller“ 103 Erinnerungskultur, die nicht allein in die Vergangenheit wie Gäste von auswärts fühlen sich hoffentlich gleicherma- Lübeck: Gedenkstein für die Deportierten der Heil- und Pflegeanstalt Strecknitz 103 schaut, sondern auch immer in die Gegenwart. ßen angesprochen und mit allen relevanten Informationen Lübeck: Carlebach-Synagoge 104 Ob wir wollen oder nicht: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, gut versorgt. Eine Karte erleichtert den schnellen Überblick, Mölln: Gedenkort für Kinder osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen 104 dass Themen wie Antisemitismus, Rechtspopulismus, Ras- die Einführung geht thematisch in die Tiefe. Neumünster: Mahnmal gegen Diktatur und Gewaltherrschaft in Deutschland 105 sismus, Nationalismus, Ausgrenzung und das Ignorieren von Die Gedenkstätten im Land leisten großartige Arbeit, und Neustadt/Holstein: Mahnmal für Opfer der „Euthanasie“ 105 Menschenrechten immer mitten unter uns waren und sind. das sollen auch alle wissen. Information ist wichtig, um die Norderstedt: KZ-Gedenkstätte Wittmoor 106 Und hier gilt es wie eh und je, entschieden entgegenzutreten Geschichte zu verstehen und aus der Vergangenheit die Nortorf: Mahnmal für Opfer des Nationalsozialismus 106 und Haltung zu zeigen. Erinnern, das bedeutet auch, sich richtigen Schlüsse ziehen zu können. Das Erfassen und Be- Rickling: Gedenkort KZ Kuhlen 107 damit auseinanderzusetzen, welche Traditionen und Werte greifen historischer Ereignisse und Zusammenhänge mit Schleswig: Mahnmal für die Opfer der NS-Justiz 107 gelten und gelebt werden sollen. Es gibt hier keine offizielle, dem Verstand ist das Eine. Durch die Verknüpfung mit kon- Schleswig: Mahnmale für die Opfer der „Euthanasie“ 108 abschließende Haltung, die von oben vorgegeben wird. Wir kreten Erlebnissen, Personen und Orten kann aber auch ein Schleswig: Mahnmal für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter 108 sind als Demokraten immer wieder aufgefordert, hier Posi- lebendiges, empathisches Erinnern gelingen. Es ist unser Steinberg-Norgaardholz: Gedenkstein für Opfer der NS-Marinejustiz 109 tion zu beziehen, bisherige Interpretationen selbstkritisch, aller Auftrag, diese Gedächtnis-Orte im Land zu erhalten, Wedel: Denkmal für die Opfer des Neuengamme-Außenlagers Wedel 109 kontrovers und aus verschiedenen Blickwinkeln heraus zu sie aufzusuchen, uns unserer Vergangenheit zu stellen und hinterfragen und möglicherweise neu zu bewerten. Was uns verantwortungsbewusst für eine offene und tolerante Literaturhinweise 110 sind verbürgte Tatsachen, historisch verankerte Zusam- Gesellschaft einzusetzen. menhänge, und was Deutungen und Umdeutungen? Was haben die Menschen damals gedacht, gelesen, geschrieben und was sehen wir heute – zu Recht oder vielleicht auch zu Unrecht – anders? „Früher“ hat durchaus etwas mit „heute“ zu tun, von „denen“ zu „uns“ ist es manchmal näher als uns Karin Prien lieb ist. Gedenkstätten sind der richtige Ort, um Fragen zu Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur stellen – und um Antworten zu finden. des Landes Schleswig-Holstein
11 Vorwort „Wir brauchen Erinnerung, um die Zukunft friedlich zu ge- Der vorliegende Wegweiser zu Gedenkstätten und Erinne- stalten“. Dieser Satz von Bundespräsident Frank-Walter rungsorten in Schleswig-Holstein, kundig erstellt von Dr. Steinmeier aus dem Jahre 2019 beschreibt den Kern der Harald Schmid, bietet Ihnen einen Überblick und Grund- Motive, uns für eine zeitgemäße Kultur des Erinnerns und lagenwissen über die einzelnen historischen Orte und ihre historischen Lernens einzusetzen. Die 2002 gegründete Bür- Geschichte. Diese stehen für sehr unterschiedliche Aspekte gerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten und die des Nationalsozialismus und vermitteln Erkenntnisse über zehn Jahre später ins Leben gerufene Landesarbeitsgemein- die Einstellung der „Volksgemeinschaft“ und auch den Wi- schaft Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Hol- derstand. Wir wollen Sie damit zum Besuch der unterschied- stein e. V. arbeiten eng zusammen, um die gemeinsamen lichen Lernorte anregen. Als Teil der großen, beständig zu Ziele der öffentlichen Aufklärung über die Verfolgungs- und leistenden Aufgabe des Erinnerns an die NS-Verbrechen soll Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus und der Förde- der Wegweiser zum Nachdenken anregen, die Vernetzung rung gegenwartsorientierten Lernens voranzubringen. in der Erinnerungskultur stärken und zum Engagement Unsere historisch-politische Bildungsarbeit leisten wir im einladen. Denn die Gedenkstätten gehören zu den vielen Verein mit den Gedenkstätten, dem Land Schleswig-Hol- „Stolpersteinen“ in Schleswig-Holstein, die wir zur Vergegen- stein, anderen Institutionen und vielen engagierten Bür- wärtigung des Unrechts und dessen Nachwirken benötigen, gerinnen und Bürgern. Sie richtet sich gegen gruppenbe- heute nötiger denn je. zogene Menschenfeindlichkeit und wird geleitet von dem Anspruch der ungeteilten Geltung der Menschenrechte. Da- mit trägt unsere Aufklärungsarbeit maßgeblich dazu bei, die kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu fördern und gerade für junge Menschen aktuell bedeut- Prof. Dr. Dr. h.c. Gerhard Fouquet sam zu machen. Diese historischen Lernorte eignen sich in Vorsitzender des Vorstandes der Bürgerstiftung besonderer Weise, zentrale Werte humanen Zusammenle- Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten bens wie Fremdverstehen, Toleranz und gegenseitige Ach- tung zu fördern sowie das Bewusstsein für politische Ver- Uta Körby antwortung im Sinne unseres freiheitlich demokratischen Vorsitzende des Vorstands der Landesarbeitsgemeinschaft Rechtsstaats zu entwickeln und zu vertiefen. Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein e. V.
13 Von „vergessenen KZs“ zur historisch-politischen Bildung: Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein Dr. Harald Schmid Ahrensbök, Glückstadt, Ladelund, Nützen, Schwesing, We- Mittlerweile hat sich die Gedenkstättenlandschaft erheblich del – wer weiß schon, dass das nationalsozialistische Regime differenziert. Heute haben wir es mit einem breiten, vielfäl- auch in diesen schleswig-holsteinischen Gemeinden Kon- tigen und dynamisch sich entwickelnden Feld von Akteuren, zentrationslager einrichten ließ? Wer weiß schon, wie viele Orten gestalteter Erinnerung und aktiver Bildungsarbeit zu Menschen aus welchen Ländern hier und an anderen Orten tun: Vereine und Initiativen, Kirchen, Kreise und Kommu- des Terrors ihrer Freiheit beraubt, gedemütigt, geschunden nen tragen die Einrichtungen, in denen Ehrenamtliche und und oft ermordet wurden? Wer weiß schon, dass Menschen Hauptamtliche arbeiten und Geschichten sehr unterschied- aus halb Europa hier gelitten haben? Wer weiß schon, wie mit licher Orte und Leidenswege erzählen und vielfältig ver- diesen historischen Stätten nach 1945 umgegangen wurde? mitteln. Darüber informiert dieser Wegweiser, der in dieser Diese Lager in Schleswig-Holstein, gleichsam im Dorf und in Form erstmals für Schleswig-Holstein vorgelegt wird. Und er der Nachbarschaft gelegen, sind weitaus weniger bekannt soll Interesse wecken für das Thema der Erinnerungskultur als die großen, auch international rezipierten Terrorstätten und idealerweise dazu anregen, den einen oder anderen wie Bergen-Belsen, Buchenwald oder Dachau und die Ver- historischen Ort aufzusuchen. Denn inzwischen gibt es so nichtungslager in Auschwitz und Belcec. Oft werden sie heut- viele Gedenkstätten und kleinere gestaltete Erinnerungsor- zutage nicht einmal regional nennenswert wahrgenommen. te, dass der Überblick zusehends schwierig geworden ist. Ein Dabei sollte historisch-politische Bildung besonders auch Wegweiser zu diesen Orten kann daher heute nur ein Lotse einen lokalen und regionalen „ Unterbau “ haben. Um zum durch eine vielgestaltige Topografie sein. Beispiel ein historisches Bewusstsein dafür zu schärfen, dass alleine in Schleswig-Holstein weit über 200 Lager für mehr als Spuren suchen, Geschichte vermitteln: 130.000 Zwangsarbeiter*innen existierten. Gedenkstätten und Erinnerungsorte Noch vor drei Jahrzehnten hätte das Unterfangen, eine sol- Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter „Ge- che Übersicht zusammenzustellen, nur eine sehr kurze Liste denkstätten “ meist jede Form gestalteten Gedenkens: von präsentieren können. Denn bis dahin waren nur an wenigen einer kleinen Gedenktafel oder einem Denk- oder Mahnmal Orten gestaltete Formen des Erinnerns an Herrschaft und über eine ganze Gedenkanlage bis zu einer umfänglichen Verbrechen des „Dritten Reiches “ entstanden. Dies begann Bildungseinrichtung mit professionellen Vermittlungsange- sich seit den 1980er-Jahren langsam zu ändern. 2006 legte boten. In diesem Sinne steht der Sammelbegriff „Gedenk- der Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in stätte “ für eine plurale Form von Gestaltungen historischer Schleswig-Holstein (AKENS) eine erste Übersicht vor; 2011 Orte, hier des Nationalsozialismus. Im engeren fachlichen gab die Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstät- Sinne ist eine Gedenkstätte heute ein „aktiver “ oder „arbei- ten (BGSH) einen Flyer heraus. Im selben Jahr erschienen tender “ Bildungsort, der neben Formen des Gedenkens ins- zwei Sammelbände zum Thema und eine erste Übersichts- besondere verschiedene dokumentarische und pädagogi- darstellung.1 sche Angebote für die allgemeine Öffentlichkeit bereithält.
14 Harald Schmid Von „vergessenen KZs“ zur historisch-politischen Bildung: Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein 15 Hier wird auf wissenschaftlicher Grundlage die Geschich- Das Erinnern an die nationalsozialistische Herrschaft wur- lichen und politischen Herausforderungen gewissermaßen zungen („Blutnacht von Wöhrden “ am 7. März 1929 mit drei te des Ortes dokumentiert und gedeutet – die Grundlage de und wird stets damit verbunden, daraus grundlegende ins Gespräch gebracht. Toten und 30 Verletzten), dem „Altonaer Blutsonntag “ am jeder Bildungsarbeit. Dementsprechend betreiben die Ge- Werte des Zusammenlebens und der politischen Organi- Der frühe regionale Aufstieg der damals oft als „Hitler-Be- 17. Juli 1932 mit 18 Toten und Dutzenden Verletzten, ferner denkstätten häufig auch Forschung. Die Mitarbeiter*innen sation abzuleiten, für die auch die Gedenkstätten stehen: wegung “ bezeichneten Nationalsozialisten hat seit den lan- antijüdischer Gewalt wie dem Anschlag auf die Kieler Syna- machen unterschiedliche Interessierte und soziale Grup- das Bemühen um friedlichen Ausgleich von Konflikten, um desgeschichtlichen Studien von Rudolf Heberle, Gerhard goge am 3. August 1932 sowie den Morden an den jüdischen pen mit dem Geschehen vertraut – von Polizeischüler*in- rechtsstaatlich-demokratische Selbstorganisation mit einer Stoltenberg und vor allem Rudolf Rietzler die Frage aufge- Rechtsanwälten Friedrich Schumm und Wilhelm Spiegel in nen über Gewerkschafts- und Kirchenmitglieder und Tou- prinzipiellen Orientierung an den unteilbaren und universell worfen, „warum der Nationalsozialismus gerade in Schles- Kiel am 12. März und 1. April 1933. rist*innen bis hin zu ganzen Schulklassen. Zudem bieten gültigen Menschenrechten, die aktive Förderung von Plurali- wig-Holstein eine so außerordentliche Resonanz gefunden So kam Schleswig-Holstein bei dem Weg in die „Volks- diese Bildungsorte ein vielfältiges Angebot unterschiedli- tät, Toleranz, Respekt und Teilhabe von und für unterschied- hat “.2 Durch diese und eine ganze Reihe von Folgeunter- gemeinschafts “-Diktatur keine nachgeordnete Rolle zu. cher Informationsangebote. Auch sind viele Gedenkstätten lichste soziale, kulturelle, politische, religiöse und politische suchungen ist das Thema inzwischen empirisch gut aufge- Der schrittweise entfaltete totale Machtanspruch und die Knotenpunkte der Kooperation mit anderen gesellschaftli- Gruppen. Diese Werteorientierung war und ist auch eine arbeitet.3 reichsweite gewaltsame Durchsetzung nationalsozialisti- chen Gruppen und Bildungsträgern. Und immer häufiger Folge der hierzulande seit Jahrzehnten versuchten „Ver- Neben den bekannten, nicht nur regional geltenden Einsich- scher Macht („Gleichschaltung “) lösten nicht nur eine mas- verstehen sich die Einrichtungen als Lernorte einer aktiven, gangenheitsbewältigung “. Seit einiger Zeit hat sich die Per- ten in ideologische Kontinuitäten, schwach ausgeprägte de- sive Fluchtbewegung aus Deutschland aus, sondern führten auch gegenwartsbezogenen Auseinandersetzung mit dem spektive verändert, heute lautet die Überschrift meistens mokratische, rechtsstaatliche und zivilgesellschaftliche Tra- auch zu gefüllten Gefängnissen und Konzentrationslagern, Nationalsozialismus. „Erinnerungskultur “. Die dahinterstehende Motivlage hat ditionen sowie den Zusammenhang von multiplen Krisen zu Folter und Mord und zur Schein-Legalisierung des Un- Die Gedenkstätten und Orte des Erinnerns an die Opfer des sich nicht geändert, sie ist eine Reaktion auf den tiefen Ein- und Modernisierungsängsten als Grunderfahrungsmuster rechts.5 Einzelne historische Orte wie die auf ein frühes ost- Nationalsozialismus symbolisieren die epochale Zäsur eines schnitt des Nationalsozialismus. Ihr kleinster gemeinsamer seien hier mit Blick auf Schleswig-Holstein drei charakteris- holsteinisches KZ des Jahres 1933 zurückgehende Gedenk- folgenreichen historischen Zusammenhangs. Er erstreckt Nenner lautet seit 1945: „Nie wieder! “ tische Voraussetzungen angeführt: stätte Ahrensbök erzählen diese Geschichte. Andere Orte sich vom Scheitern der Weimarer Republik, der ersten Früher Aufstieg der NSDAP: Nirgendwo geschah der Aufstieg wie das Jüdische Museum in Rendsburg und die Kultur- und deutschen Demokratie, und der anschließenden Errichtung Historische Voraussetzungen: „so schnell, nachhaltig und umfassend wie in Schleswig-Hol- Gedenkstätte Ehemalige Synagoge in Friedrichstadt doku- einer totalitären Diktatur, mitgetragen und mitverantwor- Schleswig-Holstein und der Nationalsozialismus stein “.4 Der Gau wurde 1925 in Neumünster gegründet, in mentieren den regionalen Antisemitismus gegen Schleswig- tet von einer breiten, auch ideologisch beteiligten „Volks- Der Aufstieg Hitlers, der NSDAP und der Ideenwelt des kurzer Zeit galt er unter dem Leiter Hinrich Lohse als „Mus- Holsteins jüdische Bevölkerung, während etwa das 2013 auf gemeinschaft “, bis zum großen Komplex der Verfolgungs- Nationalsozialismus ist seit Jahrzehnten immer wieder be- tergau “. Kennzeichnend war eine reichsweite Bündnispolitik dem Flensburger Friedenshügel eingeweihte Denkmal al- und Vernichtungspolitik. Im Mittelpunkt der Bildungsarbeit schrieben worden. Historisch-politische Erklärungsansätze, mit konservativ-völkischen Kräften und regional mit der re- len Opfern der Shoa gewidmet ist. Und wieder andere wie stehen meist die Entrechtung und Inhaftierung politischer nachgetragene Verdammungen und immer wieder das be- voltierenden Bauernschaft in der Landvolkbewegung. der Historische Lernort Neulandhalle vergegenwärtigen Gegner, die systematische rassistische Verfolgung insbe- kannte ambivalente Doppelbild schierer Fassungslosigkeit Wahlerfolge: In der Weimarer Republik erzielten die sozialde- die Konstruktion und Anziehungskraft der „Volksgemein- sondere von Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen, Zeugen ob der Verbrechensdimensionen und mehr oder weniger mokratischen Parteien und die liberale DDP 1919 bei den ers- schafts “-Ideologie. Wie verheerend sich die letzten Monate Jehovas, Behinderten und Kranken, bis hin zum reichswei- klammheimlicher Faszination prägen die Geschichte der ten Wahlen in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein und Tage des Zweiten Weltkriegs auf die KZ-Häftlinge aus- ten antisemitischen Pogrom im November 1938 und zum Versuche der Auseinandersetzung und des Begreifens: Wa- zusammen noch mehr als drei Viertel der Stimmen. Doch wirkten, kann man etwa in den nordfriesischen Gedenk- große Teile Europas unterjochenden, ausbeutenden und rum scheiterte die erste deutsche Demokratie? Wie konnte bereits 1924 hatten die Republikgegner die Mehrheit hinter stätten in Schwesing und Ladelund sowie im Museum Cap verheerenden Welt- und Vernichtungskrieg, und letztlich sich eine hochmoderne Gesellschaft an eine radikal dest- sich. Ab 1930 stieg die NSDAP bei Reichstags- und Landtags- Arcona in Neustadt erfahren. bis zu „Auschwitz “, der global verständlichen Metapher für ruktive Partei und Bewegung ausliefern und so das eigene wahlen immer weiter auf, die Zustimmung fiel in Schleswig- Trotz der oben genannten landeshistorischen Studien zum den nationalsozialistischen Völkermord. Zudem vermögen Land, Europa und große Teil der Welt in ein bis dato un- Holstein besonders deutlich aus: In der Reichstagswahl am Aufstieg der NSDAP fristete die Erforschung der konkre- Gedenkstätten die Geschichte einer seit den 1980er-Jahren gekanntes Verderben stürzen? Solche Fragen, die uns auf- 31. Juli 1932 erzielte Hitlers Partei in Schleswig-Holstein 51,1 ten Verfolgungsgeschichte in Schleswig-Holstein lange ein oftmals erst gegen Widerstände durchgesetzten kritischen grund der extrem zerstörerischen und unmenschlichen Prozent – das reichsweit höchste NSDAP-Ergebnis. Randdasein. Das hatte gewiss auch damit zu tun, dass in Aneignung von Täter- und Leidensorten sowie der forschen- Folgen dieser Geschichte bis heute beschäftigen, werden Gewalteskalation: In Schleswig-Holstein war der Aufstieg Schleswig-Holstein keine großen Lagerkomplexe wie in Bu- den wie vermittelnden Würdigung von Opferschicksalen zu an jeder Gedenkstätte, die sich als zeitgemäßer Lernort der NSDAP begleitet insbesondere von einer Agrarrevolte chenwald, Sachsenhausen oder Neuengamme entstanden erzählen. begreift, aufgeworfen und mit gegenwärtigen gesellschaft- mit Bombenattentaten und gewalttätigen Auseinanderset- waren, was auch bis heute Folgen für die erinnerungskul-
16 Harald Schmid Von „vergessenen KZs“ zur historisch-politischen Bildung: Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein 17 turelle Wahrnehmung der hiesigen Gedenkstätten hat. Ein Ausgang der 1990er-Jahre entstanden so wichtige, auch für tungen und mitunter frühen Setzungen von Mahnmalen lund ließ der örtliche Pastor und vormalige Hitler-Anhän- wesentliches Motiv waren freilich auch die sich hier konkret die Grundlagenforschung der Gedenkstätten bedeutsame nieder. Doch rückten diese Fragen im Zuge von Wiederauf- ger die Reihengräber für die mindestens 300 Opfer des hier stellenden Fragen von Wissen, Verantwortung und Schuld Rechercheprojekte beispielsweise zur Zwangsarbeit – paral- bau, „Wirtschaftswunder “ und Kaltem Krieg rasch wieder im Herbst 1944 betriebenen Konzentrationslagers im Jahre angesichts der NS-Verfolgungspolitik. lel zur bundesweiten Debatte um eine späte Entschädigung aus dem Bewusstsein der meisten Menschen. So fielen auch 1950 herrichten und setzte mit diesem Gedenkort den An- Ende der 1970er-Jahre setzte diese späte wissenschaftliche noch lebender Zwangsarbeiter*innen. 1997 war in Lübeck die Stätten des vormaligen Staatsterrors kollektiv einer Art fangspunkt für die bis heute andauernde erinnerungskultu- und politische Aufklärung der Tat- und Leidensorte ein. In die erste Ausstellung zum Thema zu sehen. Größere Stu- Vergessen anheim. Dies war die entscheidende Vorausset- relle und menschliche Verbindung zu der Stadt Putten. Die Kaltenkirchen begann Gerhard Hoch mit seinen Studien zum dien unter anderem des IZRG und der Forschungsgruppe zung für die Jahrzehnte später einsetzende Diskussion um niederländische Gemeinde, Schauplatz eines Wehrmachts- Neuengamme-Außenlager in Springhirsch und zu Kriegs- „Zwangsarbeit in Schleswig-Holstein “ folgten.6 „vergessene KZs “ 10 und die darauf folgende „Wiederentde- verbrechens Anfang Oktober 1944, verlor in deutschen Kon- gefangenen und Zwangsarbeitern in Schleswig-Holstein, ckung “ diverser NS-Verbrechensorte. zentrationslagern 540 Männer, 110 davon starben im Neuen- in Nordfriesland nahm die Arbeitsgruppe zur Erforschung Die „authentischen “ Orte als zentraler Teil der „zwei- Angesichts ausgeprägter personeller Kontinuitäten von NS- gamme-Außenlager Ladelund. der nordfriesischen Konzentrationslager in Schwesing und ten Geschichte “ des Nationalsozialismus nach 1945 Belasteten11 wird das Schleswig-Holstein der frühen 1950er- Diese in den ersten Nachkriegsjahren geschaffenen Orte Ladelund ihre Recherchen auf und Jörn-Peter Leppien er- Ob man auf Gedenkstätten oder wissenschaftliche For- Jahre nach einem Wort des damaligen CDU-Innenministers des Gedenkens an die Opfer des kurz zuvor untergegange- stellte mit Schüler*innen eine frühe Wanderausstellung zu schung blickt, auf Gedenktage oder Schulen, auf staatliche Paul Pagel als Land der „Renazifizierung “ gedeutet. Insbeson- nen „Dritten Reiches “ waren noch weit entfernt von dem, Ladelund. In Kiel gründeten junge Historiker*innen und zeit- oder etwa kirchliche Aufarbeitungsinitiativen – eine breitere dere aufgrund diverser bundesweit Schlagzeilen machender was wir heute unter einer Gedenkstätte verstehen. Es wa- geschichtlich Interessierte den AKENS. Letzterer war 1983 Bereitschaft, sich den Zumutungen der NS-Verbrechen aus- Skandale wie der Heyde-Sawade-Affäre galt das Bundesland ren solitäre Ehrenmale, mitunter Grabstätten für die Toten, als Reaktion auf eine unwillige, historische Aufklärung eher zusetzen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, setzte in zwischen den Meeren zumindest bis in die 1960er-Jahre hi- Gedenkzeichen ohne darüber hinausgehende Bildungsan- behindernde Landespolitik entstanden und gibt seit 1990 die der Bundesrepublik Deutschland erst spät und im Zuge des nein vielen als „braunumschlungen “. In der Regel waren es gebote. In den 1950er-Jahren brach diese Entwicklung weit- wissenschaftliche Fachzeitschrift „Informationen zur Schles- Generationenwechsels ein. Für das nördlichste Bundesland in den 1950er- und 1960er-Jahren nur Opferverbände wie gehend ab und wurde teilweise umgekehrt. Beispielsweise wig-Holsteinischen Zeitgeschichte “ heraus. Seit den 1990er- kann dabei gelten: „Schleswig-Holstein ist in der Klärung sei- die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und in Itzehoe wurde das Denkmal von 1946 im Jahre 1957 abge- Jahren verbreiterten sich diese Anstrengungen, nicht zuletzt ner Vergangenheit nie vorn gewesen. “ 7 wenige engagierte Einzelne, die sich dem entgegenstellten. brochen und aus der Stadtmitte in einen weniger zentralen infolge des Generationenwandels. Engagierte Einzelne und Die Geschichte der Kultur des Erinnerns nationalsozialisti- Mitunter hing es auch von besonderen Konstellationen ab, Park versetzt und gleichzeitig ein Gefallenenehrenmal auf Bürgerinitiativen, Historiker und Lehrerinnen, Kirchen und scher Verbrechen ist auch eine Geschichte langsamen Be- dass einzelne Orte schon früh gestaltet wurden. dem vormaligen NS-Aufmarschplatz am „Germanengrab “ Vereine forschten in ihrem Ort und ihrer Region nach Spu- greifens der ganzen Ausmaße dieser welthistorischen Zä- Das früheste Gedenkzeichen nach Kriegsende wurde in von 1938 aufgestellt. ren des Hitler-Staates. So legte etwa Jörg Wollenberg mit sei- sur. In der „zweiten Geschichte “ findet – nach den langen Schleswig-Holstein in Gudendorf in Dithmarschen gesetzt, Hier wäre auch Gudendorf in Dithmarschen zu nennen: nen Studien zum frühen KZ Ahrensbök die Grundlagen für Jahren vorherrschender Verdrängung – eine schrittweise, wo ab Herbst 1941 unter anderem ein Lager für sowjetische 1962 gestaltete die Landesregierung Schleswig-Holsteins im die am 8. Mai 2001 eröffnete Gedenkstätte. Nach und nach oft mit scharfen Auseinandersetzungen verbundene Aneig- Kriegsgefangene bestand. Die britische Militärregierung Zuge der landesweiten Zusammenlegung von Gräbern zwei entstanden Initiativen und Vereine, die Gedenkstätten am nung eines „negativen Gedächtnisses “ statt, das nicht mehr ließ in der zweiten Jahreshälfte 1945 ein erstes Ehrenmal Ehrenfriedhöfe, beide mit zentralem Mahnmal: die Gedenk- historischen Ort aufbauten. Schritt für Schritt begann sich eigene Siege, sondern eigene Verbrechen in den Mittelpunkt für die Opfer des Lagers errichten, Anfang 1947 ein zweites. stätte Gudendorf für sowjetische Kriegsgefangene und den auch Schleswig-Holstein mit einem Netz vielfältiger Erinne- stellt.8 Das lässt sich gerade für die materielle Seite der Er- In Itzehoe wurde im September 1946 das Denkmal für die Ehrenfriedhof auf dem Karberg am Haddebyer Noor gegen- rungsorte zu überziehen, das heute einen topografischen innerungskultur zeigen, für die Etablierung von Gedenk- Opfer des Nazi-Regimes eingeweiht. Kurz darauf setzten über von Schleswig als zentraler Gedenkort für 1.124 militä- Eindruck von der gewaltdurchtränkten NS-Herrschaft ver- stätten, die Setzung von Mahn- und Denkmalen sowie die überlebende polnische Häftlinge des „Arbeitserziehungs- rische und zivile Kriegstote aus Deutschland und anderen schaffen kann. Anbringung von Gedenktafeln.9 lagers Nordmark “ den Opfern des Kieler Lagers einen Ge- Ländern. Während der Ehrenfriedhof auf dem Karberg im Seit sich 1983 der AKENS gegründet hatte und 1992 das Dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft, der bedingungs- denkstein. Und im holsteinischen Neustadt wurde 1948 Rahmen einer Großveranstaltung mit mehr als 1.000 Teil- Institut für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalge- losen Kapitulation der Wehrmacht und der Befreiung der das Ehrenmal eingeweiht, das Überlebende der „Cap-Arco- nehmer*innen eingeweiht wurde, geschah dies in Guden- schichte (IZRG, heute: Forschungsstelle für regionale Zeit- Überlebenden aus den Lagern und Gefängnissen folgten na-Katastrophe “ vom 3. Mai 1945 initiierten und den über dorf nie, die geplante Einweihung wurde – außenpolitisch geschichte und Public History) in Schleswig aus der Taufe nur wenige Jahre aktiver politischer Erinnerung an das Lei- 7.000 KZ-Häftlingen widmeten, die ihr und dem am selben heikel in Zeiten des Kalten Kriegs – „aus politischen Gründen “ gehoben worden war, hatte zumindest die wissenschaftli- den der Opfer und die deutsche Schuld. Diese ereignis- und Tag ebenfalls in Neustadt verübten Massaker an über 200 abgesagt, der Innenminister legte am Volkstrauertag 1964 che Forschung eine erste Institutionalisierung erreicht. Im erfahrungsnahe Erinnerung schlug sich in Gedenkveranstal- Juden zum Opfer gefallen waren. Im nordfriesischen Lade- lediglich Kränze nieder.12 Die Gedenkstätte Gudendorf ist
18 Harald Schmid Von „vergessenen KZs“ zur historisch-politischen Bildung: Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein 19 bis heute der einzige Opferort, der auf Initiative des Landes formeln wie „Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft “ dann Schritt für Schritt jene anfangs konfliktreiche Kultur Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des 8. Mai 1945). eingerichtet wurde. Es ist allerdings auch symptomatisch für gesetzt, beispielsweise in Kiel auf dem Nordfriedhof und in des Erinnerns und Bewahrens, die heute selbstverständ- Seit den 1970er-Jahren begannen erste Initiativen in der eine lange Zeit desinteressierte Regional- und Landespolitik, Lägersdorf an der Friedenseiche. Dabei unterschiedliche lich erscheint, tatsächlich aber Ergebnis einer bestimmten Bundesrepublik, sich verstärkt um die „authentischen “ Orte dass es der Initiative „Blumen für Gudendorf “ zu verdanken Todes- und Verbrechensumstände zu berücksichtigen und politisch-kulturellen und besonders auch generationellen nationalsozialistischer Verbrechen zu kümmern, beispiels- ist, dass der historische Ort seit den 1980er-Jahren nach und zu gewichten, war dem dominierenden Geschichtsbewusst- Konstellation ist. weise in Hamburg um das ehemalige KZ Neuengamme am nach bekannter und weiterentwickelt wurde. sein weitgehend fremd. Der kulturelle Wandel im Zusammenhang von Geschichts- Ostrand der Stadt. Oft wurden sie dabei unterstützt von Das „negative Gedächtnis “ der Opfer von Entrechtung, Ver- Auch im November 1938 zerstörte Synagogen wurden bewusstsein und historischer Empathie bedeutete mittel- den auch international organisierten Häftlingsverbänden. folgung, Gewalt und Massenmord steht in permanenter manchmal markiert, so zunächst nur mit einer unscheinba- fristig nicht weniger als eine Schwerpunktverlagerung des In Schleswig-Holstein geschah dies zunächst etwa in Kalten- Spannung zur traditionellen nationalen Kriegserinnerung. ren Gedenktafel am 8. November 1968 in Kiel. Doch solche kollektiven Gedächtnisses: weg von der herkömmlichen kirchen, Kiel und Husum. Auch die Debatte um das Jüdische Neben der Kriegsgräberstätte Karberg waren zuvor bereits vereinzelten Aktivitäten sollten nicht darüber hinwegtäu- Trauer um die (eigenen) Kriegstoten, bei der das Gedenken Museum Rendsburg ist hier zu nennen: Nach einer öffentli- zwei weitere große Orte des Gedenkens der Kriegstoten schen: Die Erinnerungskultur Schleswig-Holsteins war min- an die Verfolgungsopfer – wenn überhaupt – in unspezifi- chen Diskussion um die Nutzung des historischen Gebäudes angelegt worden. Zum einen auf dem Nordfriedhof in Kiel, destens bis Anfang der 1980er-Jahre nur wenig interessiert schen sprachlichen Formeln wie „Den Opfern der Gewalt- wurde 1985 zunächst das Dr.-Bamberger-Haus als Kulturzen- wo zusätzlich zu den deutschen Kriegstoten seit 1952 mit an den historischen Orten der NS-Verbrechen. Umnutzung, herrschaft “ mehr verhüllt als konkret ausgedrückt wurde, trum, 1988 dann das Jüdische Museum Rendsburg eröffnet der großen Anlage Kiel War Cemetery auch knapp 1.000 Sol- späterer Abriss und oftmals neue Überformung waren – hin zum historisch und sozial präzisierenden Gedenken der – bis heute der profilierteste Ort des Erinnerns an jüdische daten vor allem der Commonwealth-Staaten gedacht wird. nicht nur in Schleswig-Holstein – die gängigen Weisen des Verbrechen der NS-Diktatur an alle Verfolgten, insbeson- Geschichte in Schleswig-Holstein und deren Verfolgung im Zum anderen auf dem Vorwerker Friedhof in Lübeck, der Umgangs beispielsweise mit Baracken früherer KZs. Dies dere den als „gemeinschaftsfremd “ oder „lebensunwert “ Nationalsozialismus. Ungefähr zur selben Zeit begann die neben mehreren Gräberstätten für Kriegstote einzelner Na- lässt sich etwa in Springhirsch bei Kaltenkirchen zeigen, diffamierten, ausgegrenzten, verfolgten und ermordeten Stadt Neustadt in Holstein, ein Museum für die „Cap-Arcona- tionen auch letzte Ruhestätte von fast 3.000 KZ-Opfern ist wo Lagerbaracken zunächst als Unterkunft für Flüchtlinge, Menschen. Katastrophe “ vom 3. Mai 1945 vorzubereiten, das dann 1990 und einen größeren Gedenkort für die „Opfer von Krieg und dann als Fernfahrergaststätte genutzt, schließlich Anfang Spuren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft su- mit einer Dauerausstellung eröffnet wurde. Gewaltherrschaft “ aufweist. Auf dem Parkfriedhof Eichhof der 1970er-Jahre abgerissen wurden. Charakteristisch für chen, historische Orte markieren, eine würdige Form des Das Jahr 1990 ist in gewisser Hinsicht ein Wendepunkt für auf Kieler und Kronshagener Gebiet besteht überdies ein den politischen Geist der Zeit ist etwa der Abriss der letzten Gedenkens der Opfer finden und bei besonders bedeut- die Geschichte der hiesigen Gedenkstätten, denn in diesem großes Denkmal für die Toten des Bombenkrieges, ergänzt Baracke des vormaligen KZ Ladelund im Jahre 1972 – und samen Stätten zeitgemäße historisch-politische Bildungs- Jahr wurden mit den neuen Dauerausstellungen in Neustadt von einer kleineren Gedenktafel für die Opfer der Gewalt- zwar im Rahmen des bundesweiten Wettbewerbs „Unser angebote entwickeln – diese, nicht immer bis zum Ende und Ladelund erstmals im Land historische Dokumentatio- herrschaft. Dorf soll schöner werden “. durchlaufenen Schritte lassen sich bundesweit ebenso wie nen zur Geschichte der Orte präsentiert, ebenso setzte die Diese größeren Gedenkanlagen, allesamt in den frühen Der Zusammenhang von politischer Kultur und Geschichts- in Schleswig-Holstein seit den 1980er- und 1990er-Jahren begleitende Bildungsarbeit ein. In Ladelund wurde hierfür 1950er-Jahren entstanden, illustrieren ein starkes zeitge- bewusstsein war noch anders strukturiert: So, wie die Zeit- nachzeichnen. Infolge dieser zunächst vor allem von zivil- mit dem „Dokumentenhaus “ erstmals auch eigens ein neues nössisches Bedürfnis gemeinsamer Erinnerung an die Toten zeugen des Nationalsozialismus, speziell die Überlebenden gesellschaftlichen Initiativen und engagierten Einzelnen vo- Gebäude errichtet, seit 1995 wird die nahe der Grenze zu von Krieg und Diktatur. So bedeutete Kriegserinnerung nach der Verfolgung, in der Öffentlichkeit noch praktisch keine rangetriebenen, heute meist in einem großen Konsens aller Dänemark gelegene, einzige KZ-Gedenkstätte Deutschlands 1945 jahrzehntelang oft die Integration der Toten des Zwei- nennenswerte Rolle spielten, so gab es auch noch kaum demokratischen Parteien unterstützte Entwicklung hat sich in kirchlicher Trägerschaft hauptamtlich geleitet. Damit be- ten Weltkriegs in bestehende, meist auf den Ersten Welt- ein Bewusstsein für die Bedeutung des Erhaltens „authen- peu à peu ein differenziertes öffentliches Gedächtnis der gann eine Entwicklung langsam auch in Schleswig-Holstein krieg zurückgehende Gedenkanlagen auf den Stadt- oder tischer “ Gebäude und Orte. Gewiss, es wurden mitunter Zeit nationalsozialistischer Gewaltherrschaft herausgebil- Wurzeln zu schlagen, die in anderen Bundesländern bereits Dorffriedhöfen. Manchmal wurden diese zwischen Helden- kleine Erinnerungszeichen gesetzt wie 1971 die von einer det. Sie wurde größtenteils angetrieben durch Generatio- weiter vorangeschritten war. Der Ausbau der Gedenkstätte verehrung, persönlicher Trauer und (nach 1945) neutraler kirchlichen Initiative angestoßene Gedenktafel für das frü- nen- und Wertewandel, Kritik, Initiativen und Impulse aus in Schwesing und vor allem die 1999 und 2001 neu eröffneten Erinnerung oszillierenden Kriegsgedenkorte seit den 80er- here „Arbeitserziehungslager Nordmark “ in Kiel-Russee, in der Bürger*innengesellschaft (Denkmal für die ermordeten Gedenkstätten in Kaltenkirchen/Springhirsch und Ahrensbök und 90er-Jahren um Formulierungen oder Tafeln ergänzt, dem von 1944 bis Kriegsende tausende Menschen, vor al- Juden Europas, 1988/2005), aus der Wissenschaft (Ausstel- setzten diesen Trend fort. Es folgten weitere Gedenkstätten die auch speziell den Opfern der Verfolgungsverbrechen lem Zwangsarbeiter*innen, gefangengehalten wurden, von lung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941- und Erinnerungsorte, etwa der – nach der gescheiterten Ret- gedenken.13 An verschiedenen Orten wurden freilich auch denen 578 ums Leben kamen. Erst der politische und ge- 1944 “, 1995–1999), aus Medien (TV-Film „Holocaust “, 1979), tung des Kilians-Bunkers – zum Erinnerungsort entwickelte Gedenksteine mit pauschalen, nur leicht variierten Gedenk- sellschaftliche Umbruch der 70er- und 80er-Jahre zeitigte manchmal auch aus der Politik (Rede von Bundespräsident Flandernbunker Kiel und die Kultur- und Gedenkstätte Ehe-
20 Harald Schmid Von „vergessenen KZs“ zur historisch-politischen Bildung: Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein 21 malige Synagoge Friedrichstadt. Zuletzt sind weitere wichti- torischen Ort zu entwickelnden öffentlichen Aufklärung Forschung und pädagogischer Vermittlungsarbeit sowie der Schlüsselfrage der Fähigkeit, gesellschaftlichen Heraus- ge historische Orte hinzugekommen: 2019 wurde der Histo- folgt auch den Herrschafts- und Gewaltstrukturen des NS- aus ihrer Arbeit erwachsenden politischen Verantwortung forderungen angemessen begegnen zu können, ist die fi- rische Lernort Neulandhalle in Friedrichskoog eröffnet und Staates. Die in den frühen 1990er-Jahren von dem Kölner geprägt. nanzielle Ausstattung der Einrichtungen. Gedenkstätten in derzeit werden der GeSCHICHTENberg Itzehoe (unter ande- Künstler Gunter Demnig erfundenen, in Deutschland und Parallel zu den politischen Herausforderungen sehen sich Schleswig-Holstein können nur auf der Basis einer Mehr- rem NS-Propagandaort „Germanengrab “) und das Henri- 25 weiteren Ländern inzwischen über 75.000 mal verleg- die Gedenkstätten wie auch andere Kulturinstitutionen ebenenfinanzierung mit einigermaßen ausreichenden Mit- Goldstein-Haus in Quickborn (jüdische Kriegsgefangene) zu ten „Stolpersteine “ setzen dieses Prinzip konsequent um. verschiedenen Problemfeldern gegenüber. Die Stichwor- teln versehen werden: Mittel der Europäischen Union und Orten historisch-politischer Bildungsarbeit entwickelt. Auch In Schleswig-Holstein widmet sich eine ganze Reihe von te für aktuelle Herausforderungen und Entwicklungsauf- des Bundes, landesseitige Grund- und Projektförderungen, die beiden Orte in Friedrichskoog und Itzehoe bilden eine er- lokal engagierten Gruppen diesem Projekt, beispielsweise gaben lauten insbesondere Generationenwechsel, Ende Gelder von Kreisen, Kirchen und Kommunen ebenso wie kenntnisfördernde Erweiterung der Erinnerungslandschaft die Initiative für Stolpersteine in Lübeck. Dass sich diese, der Zeitzeugen-Ära, Professionalisierung, außerschulische Sammlungen und Spenden. Seit 2013 hat das Land Schles- hin zu einer Auseinandersetzung mit der völkisch-rassisti- den historischen Spuren folgende, dezentrale Struktur der Lernorte, Digitalisierung und veränderte Wissens- und An- wig-Holstein seine kontinuierliche Unterstützung der Ge- schen Ideologie des Nationalsozialismus. Erinnerungsorte in Städten ebenso wie auf dem Land nie- eignungsformen, Inklusion und Migration. Dieser gesell- denkstätten mittels der institutionellen Förderung der BGSH Dieser kurze Überblick wäre freilich unvollständig ohne we- dergeschlagen hat, vermag einen Eindruck zu verschaffen schaftliche und erinnerungskulturelle Wandel stellt hohe und punktueller Investitionsförderungen spürbar erhöht. nigstens einen knappen Hinweis auf eine andere Schicht der sowohl von der ungemein breiten Attraktivität ebenso wie Anforderungen an die Gedenkstättenträger und -mitarbei- So hat die gewachsene Misch-Förderstruktur zur Herausbil- Erinnerungskultur Deutschlands: Anders als im benachbar- von der ungemein entgrenzten Destruktivität der NS-Herr- ter*innen. Innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte haben dung eines wichtigen, heute kaum mehr wegzudenkenden ten Mecklenburg-Vorpommern spielt in Schleswig-Holstein schaft. Beides zu verstehen, gerade auch in den Zusammen- sich die maßgeblichen Akteure in Schleswig-Holstein schritt- kulturpolitischen Handlungsfeldes geführt. die Vergegenwärtigung der zweiten deutschen Diktatur hängen, bleibt eine Daueraufgabe. weise eine hierfür tragfähige Infrastruktur erstritten und keine größere Rolle. Der einzige materiell gestaltete Erinne- Die oben skizzierte Geschichte der historischen Orte und verschafft. Die entscheidende Grundlage hierfür bildet eine Zu diesem Wegweiser rungsort zur DDR- und SED-Geschichte liegt an der vorma- der Gedenkstätten sollte man bedenken, wenn man ihre ak- breite lokale, regionale, landes- und auch bundesweite Ver- Der vorliegende Wegweiser gibt eine Übersicht zu den ligen Trennlinie zwischen beiden Teilen Deutschlands und tuellen Herausforderungen verstehen und konstruktiv auf- netzung und Zusammenarbeit. wichtigsten Stätten der Erinnerung an NS-Verbrechen in dem gespaltenen Europa, die Grenzdokumentations-Stätte nehmen will.14 Über 75 Jahre nach dem Zusammenbruch Im Jahre 2000 organisierten die Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein: zwischen Lübeck und Dieksanderkoog, Lübeck-Schlutup. Zudem zeigt das Bundespolizeimuseum der NS-Herrschaft und der dadurch ermöglichten Befreiung Schleswig-Holstein und die Evangelische Akademie Nord- zwischen Kiel und Kaltenkirchen, zwischen Ladelund und in Lübeck eine Dauerausstellung zur Geschichte des vor- Europas sowie der überlebenden Verfolgten und Wider- elbien erstmals eine Landesgedenkstättentagung, die Norderstedt. Dabei folgt er einem klaren Aufbau: maligen Bundesgrenzschutzes auch über die frühere inner- ständler*innen stellt sich die Frage nach einer nicht nur seither – getragen von einem breiten Veranstalterkreis – Der erste umfangreiche Teil basiert auf Textvorlagen der deutsche Grenze. Und doch hat die Zeit der deutschen und zeitgemäßen, sondern auch gegenwartspolitisch relevanten fester Bestandteil des Austauschs geworden ist.16 2002 jeweiligen Einrichtungen und versammelt 17 aktive, Vermitt- europäischen Spaltung im seinerzeit westdeutschen Grenz- Erinnerungskultur in nie gekannter Schärfe. Der in Deutsch- wurde die Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Ge- lungsarbeit betreibende Gedenkstätten und Erinnerungs- land Schleswig-Holstein bemerkenswerte Erinnerungs- und land und international starke Zulauf zu nationalistischen, denkstätten gegründet17 und zehn Jahre später schlossen orte. Ihre Bildungsangebote wie Dauerausstellungen, Füh- Gedenkzeichen hervorgebracht – beispielsweise das in Itze- rassistischen, antisemitischen Ideen und Gruppierungen sich die Gedenkstätten zur Interessenvereinigung Landes- rungen, Seminare und Workshops und vertiefende, meist hoe verkleinert nachgebaute Brandenburger Tor oder die hat die Bedrohung und Verteidigung des liberaldemokrati- arbeitsgemeinschaft Gedenkstätten und Erinnerungsorte auch digital verfügbare Informationen machen diese Orte Erinnerungstafeln für die früheren deutschen Ostgebiete schen Verfassungsstaates gleichsam auf die Tagesordnung in Schleswig-Holstein (LAGSH) zusammen.18 Ebenfalls seit zu bevorzugten Zielen für Gruppenbesuche wie Schulklas- beim Elmshorner Bahnhof –, die freilich einer gesonderten gerückt. Welche Rolle können Gedenkstätten in dieser Aus- 2012 gibt die Bürgerstiftung den zweimal jährlich erschei- sen. Diese darin vorgestellten aktiven Einrichtungen werden Dokumentation bedürften. einandersetzung spielen, wenn demokratische Grundlagen nenden „Newsletter Gedenkstätten und Erinnerungsorte jeweils ausführlich mit allen erforderlichen Grundlagenin- und menschenrechtliche Standards unter den Druck einer in Schleswig-Holstein “ heraus. Angesichts des verstärkten formationen vorgestellt. Erinnern an den Zivilisationsbruch heute: Die Gedenk- politisch zusehends attraktiven „autoritären Versuchung “ 15 landesweiten Engagements und diverser neu eröffneter Der zweite kürzere Teil des Wegweisers (Text: Harald stättenlandschaft im gesellschaftlichen Umbruch geraten? Einerseits sind sie längst über die anfängliche Gedenkstätten wurden orientierende Überblicke und ein Schmid) porträtiert 32 ausgewählte Erinnerungsorte in ganz Die Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig- Funktion stillen Gedenkens hinausgewachsen und können verbindlicher Handlungsrahmen zusehends wichtig. 2015 Schleswig-Holstein: Gedenksteine, Denk- und Mahnma- Holstein können beispielhaft die auch in anderen Bundes- mittlerweile auf eine breite öffentliche und politische Unter- legte schließlich die schleswig-holsteinische Landesregie- le, spezielle Gräberstätten, Gedenktafeln und Gedenkorte ländern herausgebildete dezentrale Struktur des Erinnerns stützung zählen. Andererseits sind sie von einem nicht span- rung erstmals ein Landesgedenkstättenkonzept vor, das zu verschiedenen Opfergruppen und lokalen historischen vor Augen halten. Der Grundsatz einer möglichst am his- nungsfreien Selbstbild zwischen seriöser wissenschaftlicher seither als maßgeblicher Entwicklungsrahmen gilt.19 Bezügen. Dieser Teil des Wegweisers bietet exemplarische
22 Harald Schmid Von „vergessenen KZs“ zur historisch-politischen Bildung: Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein 23 Erinnerungsorte einer tatsächlich viel größeren Zahl solcher te ebenfalls Teil der Anstrengungen sein, Herrschaft und lefeld 2001; Gerhard Hoch, Rolf Schwarz (Hrsg.): Verschleppt zur 17 B ernd Brandes-Druba: Die Bürgerstiftung schleswig-holsteinische Formen der gestalteten Vergegenwärtigung des NS-Unrechts. Verbrechen des Nationalsozialismus und deren zweite Ge- Sklavenarbeit. Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in Schleswig- Gedenkstätten (BGSH). Persönlicher Rück- und Ausblick, in: Köhr, Holstein. Alveslohe 1988. Siehe auch www.zwangsarbeiter-s-h.de. Petersen, Pohl (Hrsg.): Gedenkstätten und Erinnerungskulturen in So gibt es beispielsweise für sowjetische Kriegsgefangene schichte zu begreifen. 7 So der Historiker Frank Bösch im Interview mit Kay Müller: „Die Schleswig-Holstein, 2011, S. 187–191; Stephan Opitz: Zehn Jahre auf Dutzenden schleswig-holsteinischen Friedhöfen Gräber, Toleranz gegenüber den Nazis war besonders groß“, in: https:// Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten, in: News- manchmal Denkmäler oder größere Gedenkanlagen – die www.shz.de/5093246, 7.12.2013. letter Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein, Beiträge zu Gudendorf im ersten Teil, Heide und Albersdorf Anmerkungen 8 Vgl. Reinhart Koselleck: Formen und Traditionen des negativen Ge- 1/2012, S. 9–11. im zweiten Teil repräsentieren hier also diesen Bereich der 1 Forum: Gedenken, in: Informationen zur Schleswig-Holsteinischen dächtnisses, in: Volkhard Knigge; Norbert Frei (Hrsg.): Verbrechen 18 Harald Schmid: Gedenkstättenlandschaft in Bewegung. Landes- Opfererinnerung. Ähnliches ließe sich, quantitativ weniger Zeitgeschichte, 47/2006, S. 97–135; Katja Köhr, Hauke Petersen, erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, arbeitsgemeinschaft Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Karl Heinrich Pohl (Hrsg.): Gedenkstätten und Erinnerungskultu- München 2002, S. 21–32; Peter Reichel, Harald Schmid, Peter Stein- Schleswig-Holstein gegründet, in: Gedenkstättenrundbrief, Nr. 166, ausgeprägt, über Gedenk- und Erinnerungsorte für Zwangs- ren in Schleswig-Holstein. Geschichte, Gegenwart und Zukunft, bach (Hrsg.): Der Nationalsozialismus – die zweite Geschichte. 2/2012, S. 16–18. arbeiter*innen sagen – etwa der Beitrag zu Mölln verweist Überwindung – Deutung – Erinnerung, München 2009. 19 Ministerium für Justiz, Kultur und Europa des Landes Schleswig- Berlin 2011; Ludwig Fromm, Karl Heinrich Pohl (Hrsg.): Das Lager exemplarisch auf diese Opfergruppe. Nicht aufgenommen verschwand aus dem kommunalen Gedächtnis. Erinnerungskul- 9 Zum Folgenden vgl. die Beiträge in Detlev Gause, Heino Schomaker Holstein: Landeskonzept zur Förderung und Weiterentwicklung wurden andere Erinnerungsorte wie Straßennamen und Na- turen in Schleswig-Holstein nach 1945, Neumünster 2011; Harald (Hrsg.): Das Gedächtnis des Landes. Engagement von BürgerInnen von Erinnerungsarbeit an historischen Lernorten zur Auseinander- men von Institutionen, die sich auf den Nationalsozialismus Schmid: Gedenken, Aufklären, lernen. Gedenkstätten zur Erinne- für eine Kultur des Erinnerns, Hamburg 2001; Detlef Garbe: Die setzung mit der nationalsozialistischen Diktatur in Schleswig-Hol- rung an die Zeit des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein – Zäsur Ende der 1970er Jahre. Zur Geschichte der Gedenkstätten stein (Landesgedenkstättenkonzept), April 2015. beziehen, dies hätte den Rahmen weit überschritten. ein Überblick, in: Demokratische Geschichte 22 (2011), S. 219–254; in Schleswig-Holstein, in: Informationen zur Schleswig-Holsteini- Für beide Teile gilt, dass die Gedenkstätten und Erinne- Gedenkstätten in Schleswig-Holstein (Flyer), hrsg. von der Bürger- schen Zeitgeschichte 41-42/2003, S. 314–329 Stephan Linck: „Lan- rungsorte fast durchweg an den betreffenden historischen ge Schatten“ der NS-Zeit. Gedenken und Aufarbeitung nach 1945 stiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten, 2011. Orten aufgebaut oder platziert wurden. So beispielsweise 2 Rudolf Rietzler: „Kampf in der Nordmark“. Das Aufkommen des in Schleswig-Holstein, in: Grenzfriedenshefte, 1/2009, S. 23–34; auch die Gedenkrouten für die Todesmärsche von Hamburg Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein (1919–1928), Neumüns- Ders.; Schleswig-holsteinische Erinnerungskultur und Gedenkstät- nach Kiel (Gedenktafeln) und von Auschwitz nach Holstein ter 1982, S. 13; Gerhard Stoltenberg: Politische Strömungen im tenpolitik im Wandel, in: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hrsg.): schleswig-holsteinischen Landvolk 1918–1933. Ein Beitrag zur poli- Gedenkstätten und Geschichtspolitik, Bremen 2015, S. 154–159; (12 Stelen in Lübeck sowie Ostholstein). Friedhöfe werden tischen Meinungsbildung in der Weimarer Republik, Düsseldorf Schmid: Gedenken, Aufklären, Lernen, 2011. deshalb in der Regel nicht eigens vorgestellt, so auch Ge- 10 Detlef Garbe (Hrsg.): Die vergessenen KZs? Gedenkstätten für die 1962; Rudolf Heberle: Landbevölkerung und Nationalsozialismus. denkorte der allgemeinen Kriegserinnerung nicht. Zu Orten Soziologische Untersuchung der politischen Willensbildung in Opfer des NS-Terrors in der Bundesrepublik, Bornheim-Merten wie dem Marine-Ehrenmal Laboe, an denen es zwar auch Schleswig-Holstein 1918–1932, Stuttgart 1963. 1983. um den Nationalsozialismus geht, aber diese Zeit nicht im 3 Vgl. insbes. Erich Hoffmann, Peter Wulf (Hrsg.): „Wir bauen das 11 Uwe Danker, Sebastian Lehmann-Himmel: Landespolitik mit Reich“. Aufstieg und erste Herrschaftsjahre des Nationalsozia- Vergangenheit. Geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der Mittelpunkt steht, führt der Wegweiser ebenfalls nicht hin. lismus in Schleswig-Holstein, Neumünster 1983; Gerhard Paul: personellen und strukturellen Kontinuität in der schleswig-hol- Zu bedenken ist dabei, dass viele historische Orte nach 1945 Landunter. Schleswig-Holstein und das Hakenkreuz, Münster steinischen Legislative und Exekutive nach 1945, durchgeführt im ohne Kennzeichnung und materielle Gestaltung geblieben Auftrag des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Husum 2017. 2001; Uwe Danker, Astrid Schwabe: Schleswig-Holstein und der sind, Orte, an denen die Erinnerungskultur praktisch spu- Nationalsozialismus, Neumünster 2005; AKENS (Hrsg.): „Siegeszug 12 Vgl. Verena Meier: Das Lager und die Gedenkstätte für sowjetische renlos vorbeigegangen ist. Beispielhaft sei etwa auf den in der Nordmark“. Schleswig-Holstein und der Nationalsozialismus Kriegsgefangene in Gudendorf – Geschichte und Erinnerungskul- für Schleswig-Holstein bedeutsamen Täter-Erinnerungsort 1925–1950. Schlaglichter, Studien, Rekonstruktionen, Kiel 2008. tur, unveröff. Ms., 2020 (in Vorbereitung zum Druck), S. 302. 4 Hoffmann, Wulf, „Wir bauen das Reich“, S. 13. 13 S iehe hierzu das umfassende Projekt „Denk mal!“ der Nordkirche, Mürwik verwiesen, wo die letzte Reichsregierung unter Ad- 5 Exemplarisch sei hier nur verwiesen auf Rainer Hering (Hrsg.): Die www.denk-mal-gegen-krieg.de. miral Dönitz residierte. Dieser abschließende Hinweis soll 14 Vgl. Harald Schmid: „Erinnerung kann nicht überleben an einem „Reichskristallnacht“ in Schleswig-Holstein. Der Novemberpogrom auch einem naheliegenden Missverständnis entgegenwir- im historischen Kontext, Hamburg 2016. toten Ort“. Vergegenwärtigung des Nationalsozialismus in Ge- ken: So sehr dieser Wegweiser das Bild einer breit entwi- 6 Christian Rathmer: „Ich erinnere mich nur an Tränen und Trau- denkstätten, in: Jahrbuch für Politik und Geschichte 7 (2016–19), ckelten Landschaft von Gedenkstätten und Erinnerungsor- er...“. Zwangsarbeit in Lübeck 1939 bis 1945, hrsg. vom Kulturfo- S. 211–251. rum Burgkloster und der Geschichtswerkstatt Herrenwyk, Essen 15 Wilhelm Heitmeyer: Autoritäre Versuchungen. Signaturen der Be- ten vermitteln kann, so sehr sollten wir uns immer wieder 1999; Uwe Danker u. a. (Hrsg.): „Ausländereinsatz in der Nord- drohung I, Berlin 2018. vergegenwärtigen: Das heute Unsichtbare der Vergangen- mark“. Zwangsarbeitende in Schleswig-Holstein 1939–1945, Bie- 16 G ause, Schomaker (Hrsg.): Das Gedächtnis des Landes, 2001. heit, das erinnerungskulturell nicht Wahrgenommene soll-
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