Ermittlung und Bewertung der Einwirkung im Berufskrankheitenverfahren - DGUV Handlungsempfehlung
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DGUV Handlungsempfehlung Ermittlung und Bewertung der Einwirkung im Berufskrankheitenverfahren Stand: Mai 2021
kommmitmensch ist die bundesweite Kampagne der gesetzlichen Unfallversicherung in Deutschland. Sie will Unternehmen und Bildungseinrichtungen dabei unterstützen, eine Präventionskultur zu entwickeln, in der Sicherheit und Gesundheit Grundlage allen Handelns sind. Weitere Informationen unter www.kommmitmensch.de Impressum Herausgegeben von: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV) Glinkastraße 40 10117 Berlin Telefon: 030 13001-0 (Zentrale) E-Mail: info@dguv.de Internet: www.dguv.de Ausgabe: Mai 2021 Satz: DGUV zu beziehen unter www.dguv.de/publikationen Webcode: p017652 © Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Die Vervielfältigung, auch auszugsweise, ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung gestattet.
DGUV Handlungsempfehlung Ermittlung und Bewertung der Einwirkung im Berufskrankheitenverfahren 3
Inhaltsverzeichnis Seite Seite A Präambel.................................................................................... 6 12.3.2 Berücksichtigung von Persönlicher Schutz ausrüstung (PSA) und/oder (Schutz-) B Rechtliche Grundlagen und Verfahren....................... 7 Kleidung bei der Bewertung der Einwirkung........... 32 1 Grundbegriffe........................................................................... 7 12.4 Realitätsgerechte Bewertung 1.1 Versicherungsfall – Berufskrankheit........................... 7 (keine Worst-case-Betrachtung).................................... 32 1.2 Einwirkung................................................................................. 7 12.5 Beweisschwierigkeiten/Beweisnot.............................. 33 2 Qualitätssicherung................................................................ 8 12.6 Beweislastumkehr................................................................. 33 3 Allgemeine Verfahrensgrundsätze................................ 9 12.7 Beweis des ersten Anscheins.......................................... 34 4 Umfang der Ermittlung........................................................ 11 12.8 Darstellung der freien Beweiswürdigung anhand 5 Klärung der beweisbedürftigen Einwirkung............. 13 konkreter Sachverhaltskonstellationen.................... 34 6 Ermittlungsauftrag an den Präventionsdienst....... 14 13 Beweislast.................................................................................. 38 7 Ermittlung und Bewertung der Einwirkungen durch den Präventionsdienst.......................................... 16 C Besondere Aspekte bei der Ermittlung 8 Beweismittel/Informationsquellen.............................. 16 bestimmter Berufskrankheiten..................................... 39 8.1 Grundlagen................................................................................ 16 1 Aspekte zur Ermittlung von chemischen 8.2 Befragung der versicherten Person.............................. 18 Einwirkungen............................................................................ 39 8.3 Vernehmung von Zeuginnen und Zeugen................. 19 1.1 Angabe der verwendeten bzw. entstehenden 8.3.1 Einleitung................................................................................... 19 Stoffe/Gemische.................................................................... 39 8.3.2 Arbeitgebende......................................................................... 20 1.2 Beschreibung des Arbeitsplatzes................................. 39 8.3.3 Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen................... 21 1.3 Besondere Angaben bei bestimmten Stoffen 8.3.4 Betriebsangehörige mit besonderer Funktion........ 21 oder Erkrankungen................................................................ 40 8.3.5 Betriebsärztinnen/Betriebsärzte 1.3.1 Krebserkrankungen allgemein........................................ 40 und Fachkräfte für Arbeitssicherheit........................... 21 1.3.2 BK-Nr. 1103 Erkrankungen durch Chrom 8.4 Urkunden und Akten............................................................ 22 oder seine Verbindungen.................................................. 40 8.5 Augenschein, insbesondere Besichtigung/ 1.3.3 BK-Nrn. 1301/1321 Schleimhautveränderungen, Begehung des Arbeitsplatzes......................................... 23 Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege 8.6 Auskünfte jeder Art............................................................... 23 durch aromatische Amine/PAK...................................... 41 8.7 Sachverständige/Biomonitoring................................... 23 1.3.4 BK-Nr. 1302 „Erkrankungen 9 Ergänzung und Objektivierung durch Halogenkohlenwasserstoffe“............................ 41 der Ermittlungsergebnisse................................................ 24 1.3.5 BK-Nrn. 1303/1318 Erkrankungen durch ................... 9.1 Besichtigung vergleichbarer Arbeitsplätze.............. 24 Benzol.......................................................................................... 42 9.2 Die Nachstellung früherer 1.3.5 BK-Nr. 1317 „Polyneuropathie oder Arbeitsbedingungen............................................................. 25 Enzephalopathie durch organische 9.3 Die Beiziehung vergleichbarer Aktenfälle................ 25 Lösungsmittel oder deren Gemische“........................ 42 9.4 Analyse historischer Arbeitsstoffe................................ 25 1.3.7 BK-Nr. 4101 „Quarzstaublungenerkrankung 9.5 Fach- und Erfahrungswissen (Silikose)“.................................................................................. 42 der Unfallversicherungsträger......................................... 25 1.3.8 BK-Nrn. 4103-4105, 4114 – Erkrankungen 9.6 Zentrale Expertenstelle für BK-Einwirkungen durch Asbest............................................................................ 43 (ZExBK)........................................................................................ 26 1.3.9 BK-Nrn. 4113/4114 Krebserkrankungen durch 10 Dokumentation der Ermittlungsergebnisse polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und deren Bewertung.......................................................... 26 bzw. durch das Zusammenwirken von Asbest 11 Einbindung der versicherten Person........................... 29 faserstaub und polyzyklischen aromatischen 12 Beweismaßstab und Beweiswürdigung..................... 30 K ohlenwasserstoffen........................................................... 43 12.1 Grundsätze................................................................................ 30 1.3.10 BK-Nrn. 4301, 4302 und 1315 (Obstruktive 12.2 Beweismaßstab „Vollbeweis“......................................... 30 Atemwegserkrankungen/Isocyanate)......................... 44 12.3 Grundsätze der Beweiswürdigung................................ 31 1.3.11 BK-Nr. 4116 Lungenkrebs durch Passivrauch)......... 45 12.3.1 Allgemeine Grundsätze der Beweiswürdigung...... 31 2 Aspekte zur Ermittlung der durch physikalische Einwirkungen verursachten Erkrankungen............... 45
Inhaltsverzeichnis Seite Seite 2.1 BK-Nr. 2101 „Schwere oder wiederholt rückfällige 2.11 BK-Nr. 2114 „Gefäßschädigung der Hand durch Erkrankungen der Sehnenscheiden oder stoßartige Krafteinwirkung (Hypothenar-Hammer- des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- Syndrom und Thenar-Hammer-Syndrom)“............... 52 oder Muskelansätze“........................................................... 45 2.12 BK-Nr. 2115 „Fokale Dystonie als Erkrankung 2.2 BK-Nr. 2102 „Meniskusschäden nach des zentralen Nervensystems bei Instrumental mehrjährigen andauernden oder häufig musikern durch feinmotorische Tätigkeit wiederkehrenden, die Kniegelenke über hoher Intensität“.................................................................... 52 durchschnittlich belastenden Tätigkeiten“............. 46 2.13 BK-Nr. 2116 Koxarthrose durch 2.3 BK-Nr. 2103 „Erkrankungen durch Erschütterung Lastenhandhabung............................................................... 53 bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleich- 3 Aspekte zur Ermittlung der durch Infektions artig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen“.. 47 erreger oder Parasiten verursachten Krankheiten 2.4 BK-Nr. 2104 „Vibrationsbedingte Durch sowie Tropenkrankheiten................................................ ¨ 53 blutungsstörungen an den Händen“........................... 47 3.1 Vorbemerkung......................................................................... 53 2.5 BK-Nr. 2105 „Chronische Erkrankungen der 3.2 Tätigkeiten und Arbeitsplatz............................................ 54 Schleimbeutel durch ständigen Druck“..................... 47 3.2.1 BK-Nr. 3101 „Infektionskrankheiten, wenn der 2.6 BK-Nr. 2108 „Bandscheibenbedingte Erkrankun- Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohl- gen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges fahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch oder durch eine andere Tätigkeit der Infektions- langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeuge gefahr in ähnlichem Maße besonders ausge- haltung, die zu chronischen oder chronisch- setzt war“................................................................................... 54 rezidivierenden Beschwerden und Funktionsein- 3.2.2 BK-Nr. 3102 „Von Tieren auf Menschen schränkungen (der Lendenwirbelsäule) geführt übertragbare Krankheiten“ (Zoonosen)..................... 54 haben“......................................................................................... 48 3.2.3 BK-Nr. 3104 „Tropenkrankheiten, 2.7 BK-Nr. 2109 „Bandscheibenbedingte Erkran Fleckfieber“............................................................................... 54 kungen der Halswirbelsäule durch langjähriges 3.3 Besondere Aspekte............................................................... 55 Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zu 4 Aspekte zur Ermittlung chronischen oder chronisch-rezidivierenden bei Hauterkrankungen........................................................ 55 Beschwerden und Funktionseinschränkungen 4.1 BK-Nr. 5101 „Schwere oder wiederholt (der Halswirbelsäule) geführt haben“........................ 49 rückfällige Hauterkrankungen“...................................... 55 2.8 BK-Nr. 2110 „Bandscheibenbedingte Erkran- 4.1.1 Feuchtarbeit.............................................................................. 55 kungen der Lendenwirbelsäule durch lang- 4.1.2 Sensibilisierende Stoffe..................................................... 55 jährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von 4.1.3 Ätzende und reizende Stoffe........................................... 56 Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zu 4.1.4 Physikalische Einwirkungen............................................ 56 chronischen oder chronisch-rezidivierenden 4.1.5 Biologische, mikrobielle und parasitäre Beschwerden und Funktionseinschränkungen Einflüsse..................................................................................... 56 (der Lendenwirbelsäule) geführt haben“.................. 50 4.2 BK-Nr. 5103 „Plattenepithelkarzinome oder 2.9 BK-Nr. 2112 „Gonarthrose durch eine Tätigkeit multiple aktinische Keratosen der Haut durch im Knien oder vergleichbarer Kniebelastung mit natürliche UV-Strahlung“................................................... 56 einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stun- D Glossar........................................................................................ 58 den und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht“......................... 51 Anhang 2.10 BK-Nr. 2113 „Druckschädigung des Stoffe mit bekanntem Risiko für die Entstehung Nervus medianus im Carpaltunnel (Carpaltunnel- eines allergischen Kontaktekzems............................................ 60 Syndrom) durch repetitive manuelle Tätigkeiten mit Beugung und Streckung der Handgelenke, durch erhöhten Kraftaufwand der Hände oder durch Hand-Arm-Schwingungen“................................. 51
A Präambel In Berufskrankheitenverfahren kommt den Ermittlungen ‒ oftmals dann, wenn die potenziellen Gefährdungen im zu den Verhältnissen am Arbeitsplatz, das heißt der Über- Betrieb nicht mehr gegeben sind oder der Betrieb nicht prüfung einer relevanten Einwirkung, eine zentrale Bedeu- mehr existiert ‒, erfolgt bei der BK-Einwirkungsermitt- tung für die Anerkennung bzw. Ablehnung einer Erkran- lung unter anderem der Rückgriff auf vorangegangene kung als Berufskrankheit (BK) zu. Die Ermittlungen wer- Ermittlungen oder auf zutreffende Katasterdaten – auch den deshalb umfassend sowie mit größter Sorgfalt und zur Plausibilitätsprüfung. Diese Verfahrensweise wurde Genauigkeit durchgeführt. mit dem 7. SGB IV Änderungsgesetz vom 12. Juni 2020 (SGB-IV-ÄndG) in § 9 Abs. 3 a des Siebten Buches Sozial- Die Aktivitäten der BK-Einwirkungsermittlung orientieren gesetzbuch (SGB VII) gesetzlich verankert und hierdurch sich an dem Leitgedanken „Alles aus einer Hand“. Dem- Rechtssicherheit mit Blick auf die gesetzlichen Beweis- gemäß müssen durch die Unfallversicherungsträger alle und Datenschutzanforderungen sowie auf die Duldungs- Anstrengungen zur umfassenden Ermittlung und Beratung pflicht der Unternehmen bei systematischen Erhebungen unternommen werden. Ziel ist die optimale Rehabilitation an Arbeitsplätzen geschaffen. Damit verbunden ist die und zügige Entschädigung bei Berufskrankheiten. Verpflichtung der UV-Träger, den weiteren Ausbau der (vorhandenen) Kataster voranzutreiben.1 Die individuelle Einwirkungsermittlung steht immer im Vordergrund. Dabei haben die Unfallversicherungsträger Die vorliegende Handlungsempfehlung beschreibt ein- alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu berück- heitliche Qualitätsstandards und Werkzeuge für die sichtigen und alle vorhandenen relevanten Beweismit- Ermittlung der Einwirkungen im Berufskrankheitenverfah- tel auszuschöpfen. Da neben Ermittlungen an aktuellen ren, um sicherzustellen, dass die Unfallversicherungs- Arbeitsplätzen häufig erst viele Jahre nach einer beruf- träger zugunsten der versicherten Personen alle zur Ver- lichen Tätigkeit ein möglicher Zusammenhang zwischen fügung stehenden Beweismittel umfassend ermitteln und einer Erkrankung und einer Einwirkung zu prüfen ist im Rahmen des rechtlich Möglichen bewerten. 1 Römer/Keller: Neues vom Gesetzgeber im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung. SGb 2020, S. 651 – 660 6
B Rechtliche Grundlagen und Verfahren 1 Grundbegriffe 1.1 Versicherungsfall – Berufskrankheit Die zentrale Voraussetzung für die Erbringung von Leis- tungen in der gesetzlichen Unfallversicherung ist das Vor- liegen eines Versicherungsfalls – also eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit. Im Gegensatz zu Arbeitsunfällen, bei denen ein Gesund- heitsschaden oder der Tod einer versicherten Person durch ein zeitlich begrenztes äußeres Ereignis verursacht wird (§ 8 Abs. 1 SGB VII), setzen Berufskrankheiten in aller Regel länger andauernde arbeitsbedingte Einwirkungen auf den Körper voraus, die schließlich eine Erkrankung verursachen. Das deutsche Recht der Berufskrankheiten folgt im Wesentlichen einem Listenprinzip. Grundsätzlich dürfen nur die Krankheiten, die nach den gesetzlichen Vorga- ben des § 9 Abs. 1 SGB VII ausdrücklich von der Bundes- regierung mit Zustimmung des Bundesrates in die der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) anliegenden Liste aufgenommen wurden, von den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung als Berufskrankheiten anerkannt und entschädigt werden. In der Liste der Berufskrankheiten werden die Krankheitsbilder bzw. die sie verursachenden Stoffe bzw. Einwirkungen abschließend dargestellt. Erfüllt eine Erkrankung, die eine versicherte Person infolge ihrer versicherten Tätigkeit erlitten hat, nicht die Voraussetzungen einer Listen-Berufskrankheit, kann eine Anerkennung und ggf. Entschädigung nach § 9 Abs. 2 SGB VII infrage kommen. Die Unfallversicherungsträger haben nach dieser Vorschrift im Einzelfall eine Krank- heit wie eine Berufskrankheit anzuerkennen, wenn nach neuen medizinischen Erkenntnissen die Voraussetzungen für die Aufnahme dieser Krankheit in die Berufskrankhei- tenliste gegeben sind, der Verordnungsgeber aber noch keine Änderungsverordnung erlassen hat. Die Feststellung, ob im Einzelfall eine Berufskrankheit (§ 9 Abs. 1 SGB VII i. V. m. der Anlage zur BKV) oder eine Erkrankung nach § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen ist, beinhaltet nach der ständigen Rechtsprechung des Bun 7
Rechtliche Grundlagen und Verfahren dessozialgerichts (BSG)2 im Regelfall unter anderem die verwendet werden, in dem der Zusammenhang zwischen nachfolgend vereinfacht dargestellte zentrale Frage nach der Einwirkung und einem Gesundheitsschaden festge- den rechtlichen Voraussetzungen: stellt wurde.4 Hat die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätig- Die „Einwirkung“ wird gelegentlich mit den „arbeitstech- keit zu Einwirkungen von Belastungen auf den Körper nischen Voraussetzungen“ gleichgesetzt. Die „arbeits- geführt und haben diese Einwirkungen eine Krankheit ver- technischen Voraussetzungen“ gehen jedoch begrifflich ursacht? über die Einwirkung hinaus und umfassen zwei Aspekte: Das Vorliegen der jeweils geforderten Einwirkung sowie Dabei müssen die nachfolgenden tatbestandlichen Vor- deren potenziellen Ursachenzusammenhang zwischen aussetzungen dieser Einwirkung und einer bestehenden Erkrankung.5 • Verrichtung einer versicherten Tätigkeit, • Einwirken von Belastungen auf den Körper und Gegenstand dieser Handlungsempfehlung ist allein die • Vorliegen einer Krankheit Ermittlung und Prüfung, ob und ggf. in welchem Umfang im Sinne des Vollbeweises (zum Begriff des Vollbewei- versicherte Personen bei ihrer versicherten Tätigkeit ses siehe Abschnitt B.12.2) nachgewiesen sein; für die einer vom jeweiligen Tatbestand einer Berufskrankheit zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt geforderten Einwirkung ausgesetzt waren oder sind. Zu hingegen der Beweismaßstab der hinreichenden Wahr- diesem Zeitpunkt des Feststellungsverfahrens wird hin- scheinlichkeit.3 gegen noch nicht untersucht, ob die Einwirkung im Einzel- fall eine schädigende Wirkung auf die Gesundheit hatte. Aus diesem Grunde wird in dieser Handlungsempfehlung 1.2 Einwirkung nachfolgend ausschließlich der Begriff „Einwirkung“ ver- wendet. Die „Einwirkung“ auf den Körper einer versicherten Per- son ist ein zentrales Tatbestandsmerkmal, dessen Vorlie- Als „Einwirkung“ kommt zunächst alles in Betracht, was gen im Einzelfall von den Unfallversicherungsträgern bei von außen auf den Körper oder Geist (Psyche) einwirken der Feststellung, ob eine Berufskrankheit anzuerkennen kann.6 ist, zu überprüfen ist. Die in der Anlage zur BKV erfassten Berufskrankheiten-Tat- Als Synonyme für „Einwirkung“ werden oftmals auch die bestände setzen spezifische Einwirkungen insbesondere nachfolgenden Begriffe verwendet: in Form von Stoffen, Gasen, Dämpfen, Stäuben, Strahlen • schädigende Einwirkung oder physikalischen Einflussgrößen (z. B. Kräfte, Vibra- • gefährdende Einwirkung tionen, repetitive Tätigkeiten, Lärm) voraus. Im Falle der • gefährdende Tätigkeit BK-Nr. 3101 genügt auch ein spezifisches Risiko in Form • Exposition einer abstrakten Infektionsgefahr aufgrund der Beschaf- fenheit des Arbeitsumfeldes.7 Der Begriff „schädigende Einwirkung“ beinhaltet bereits die Aussage, dass die Einwirkung einen Schaden ver- ursacht hat und setzt einen entsprechenden Ursachen- zusammenhang im Einzelfall voraus. Daher sollte dieser 4 Römer in: Hauck/Noftz, SGB VII, K § 9 Rn. 22 Begriff vermieden werden, oder erst zu einem Zeitpunkt 5 BSG v. 23.04.2015 – B 2 U 6/13 R – juris Rn. 18; BSG v. 17.12.2015 – B 2 U 11/14 R – juris Rn. 21; Bieresborn: Berufskrankheiten: Kausalität, Dosismodelle und Konsensempfehlungen (Teil I). SGb 2016, 310, 315. 2 BSG v. 17.12.2015 – B 2 U 11/14 R; BSG v. 23.04.2015 – B 2 U 6/13 R; 6 BSG v. 27.04.2010 – B 2 U 13/09 R – juris Rn. 19. Das BSG weist in BSG v. 23.04.2015 – B 2 U 10/14 R; BSG v. 23.04.2015 – B 2 U 20/14 R; diesem Zusammenhang darauf hin, dass es denkgesetzlich nicht BSG v. 04.07.2013 – B 2 U 11/12 R; BSG v. 02.04.2009 – B 2 U 30/07 ausgeschlossen sei, dass der Verordnungsgeber eine Listen-BK ein- R; BSG v. 02.04.2009 – B 2 U 9/08 R; BSG v. 29.11.2011 – B 2 U 26/10 führen könnte, die auf rein psychische Einwirkungen abstellt. R; BSG v. 15.09.2011 – B 2 U 22/10 R; BSG v. 15.09.2011 – B 2 U 25/10 R 7 Bieresborn: Berufskrankheiten: Kausalität, Dosismodelle und Kon- 3 Siehe vorhergehende Fußnote. sensempfehlungen (Teil I). SGb 2016, 310, 315 8
Rechtliche Grundlagen und Verfahren Zu Einwirkungen, denen eine versicherte Person während ausländischer Beschäftigungszeiten im Ausland ausge- BK-Verdachtsanzeigen können immer auch ein Hinweis setzt war, wird auf die Spezialregelungen zwischen- und auf gesundheitliche Belastungen am Arbeitsplatz sein. überstaatlichen Rechts – insbesondere auf Art. 38 der Daher ist auch im Hinblick auf die Prävention die fun- Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der dierte Ermittlung von gesundheitlichen Belastungen im Systeme der sozialen Sicherheit – verwiesen.8 Rahmen von BK-Feststellungsverfahren von entscheiden- der Bedeutung, zumal im Zuge der BK-Rechtsreform durch Bei der Feststellung einer Berufskrankheit sind auch das 7. SGB IV-Änderungsgesetz für die UV-Träger in § 9 Tätigkeiten mit Einwirkungen zu berücksichtigen, die Ver- Abs. 4 Satz 2 SGB VII eine besondere Aufklärungspflicht sicherte im Rahmen einer versicherungsfreien Beschäf- über die mit der konkreten Tätigkeit verbundenen künfti- tigung nach § 4 Abs. 1 SGB VII ausgeübt haben, z. B als gen Gefahren und möglichen Schutzmaßnahmen (Indivi- Beamter oder als Soldat (§ 134 Abs. 2 SGB VII).9 dualprävention) statuiert wurde.10 2 Qualitätssicherung 3 Allgemeine Verfahrensgrundsätze Ein hoher Qualitätsstandard der BK-Einwirkungsermitt- Das BK-Ermittlungsverfahren ist objektiv und neutral, lung – sowohl hinsichtlich der Ergebnis- als auch der zweckentsprechend und einfach, zügig sowie effizient Struktur- und Prozessqualität – ist die Voraussetzung für zu gestalten. Dabei ist bei allen am Verfahren Beteiligten eine transparente und beschleunigte Verfahrensabwick- größter Wert auf die Vollständigkeit und Qualität der über- lung und für das Erreichen der jeweils angestrebten Ein- mittelten Daten zu legen. Der Interessenkonflikt zwischen zelfallgerechtigkeit. In dieser Hinsicht sind die Aktivitäten einer möglichst kurzen Dauer des Verfahrens und dem der gesetzlichen Unfallversicherung zum Qualitätsma- gebotenen Ermittlungsaufwand darf nicht zulasten der nagement und zur Qualitätssicherung kontinuierlich und Ermittlungsqualität gehen. Das Ziel ist die stetige Sicher- systematisch intensiviert worden. stellung von qualitativ hochwertigen Stellungnahmen, welche fachlich fundiert und inhaltlich richtig sind. Sie Die Systematisierung beginnt bei der Standardisierung müssen den rechtlichen Erfordernissen entsprechen und der Arbeitsabläufe: Inhalte und Reihenfolge der einzel- eine gute Grundlage für eine Entscheidung bilden. Die BK- nen Bearbeitungsschritte im BK-Feststellungsverfahren Ermittlungsverfahren sind transparent und nachvollzieh- sind vereinheitlicht, was zur Qualitätsoptimierung und bar zu gestalten. Beschleunigung des Verfahrens beiträgt und eine Orien- tierung während der Einzelfallbearbeitung bietet. Das Verfahren zur Feststellung, ob im Einzelfall die für die Anerkennung einer Berufskrankheit erforderliche Ein- Durch eine entsprechende Ausgestaltung und verständ- wirkung vorgelegen hat, gliedert sich in die nachfolgend liche Formulierung von Formtexten und Erhebungsbögen beschriebenen Abschnitte11, auf die in dieser Handlungs- wird die Akzeptanz und Motivation der versicherten Perso- empfehlung vertieft eingegangen werden soll: nen und Zeuginnen/Zeugen zur Zusammenarbeit erhöht. Dadurch erhöht sich die Qualität von Zeugenbeweisen. Unterstützend wirken hierbei entsprechende Leitfäden bzw. branchenspezifische Informationen bei der Befra- gung der versicherten Personen. 8 Amtsblatt der Europäischen Union L 166 vom 30. April 2004; 10 Römer/Keller: Neues vom Gesetzgeber im Recht der gesetzlichen zur Einwirkung in EG, EWG und Abkommensstaaten; siehe auch Unfallversicherung. SGb 2020, S. 651 – 660 Mehrtens/Brandenburg: Berufskrankheitenverordnung, E § 9 SGB VII, 11 Siehe hierzu auch Jung: Anforderungen an die richterliche Beweis- Anm. 23.2 ff. würdigung im Berufskrankheitenrecht. In: Sozialrecht als Menschen- 9 Vgl. DGUV Rundschreiben – 140/2016 vom 05.04.2016 recht. Deutscher Sozialgerichtstag e.V. (Hrsg.), 2010, S. 287, 288 9
Rechtliche Grundlagen und Verfahren • Der Unfallversicherungsträger muss zunächst erkennen, welche Einwirkung für die jeweils zu prü- Die Unfallversicherungsträger haben neben den übrigen fende Berufskrankheit im konkreten Fall vorliegen Tatsachen für die Feststellung einer Berufskrankheit von muss (= Klärung der beweisbedürftigen Einwirkung; Amts wegen vollständig zu ermitteln, ob und in welchem siehe Abschnitt B.5). Umfang eine versicherte Person den dafür erforderlichen • In einem nächsten Schritt ist dann mithilfe aller ver- Einwirkungen ausgesetzt war (vgl. § 20 SGB X). Ihnen fügbaren, geeigneten Beweismittel so umfassend kommt damit die Aufgabe zu, für die betroffenen ver wie möglich zu ermitteln, wie die tatsächliche Ein- sicherten Personen den erforderlichen Beweis zu führen. wirkungssituation während der versicherten Tätig- Sie bestimmen grundsätzlich Art, Umfang sowie Intensität keit war (= Beweisaufnahme; siehe Abschnitte B.8 der Ermittlungen nach den jeweils erforderlichen Anfor- und B.9). derungen des konkreten Einzelfalls (§ 20 Abs. 1 Satz 2 • Erst wenn alle verfügbaren und geeigneten Beweis- SGB X). In diesem Zusammenhang haben sie geset- mittel durch den Unfallversicherungsträger ausge- zeskonform, objektiv und neutral alle für den Einzelfall schöpft und herangezogen worden sind, schließt bedeutsamen – auch die für die betroffenen versicherten sich die Beweiswürdigung an (siehe Abschnitt B.12). Personen günstigen – Umstände zu berücksichtigen (§ 20 Im Rahmen der Beweiswürdigung hat sich der Abs. 2 SGB X) und alle Tatsachen zu ermitteln, die für die Unfallversicherungsträger unter vernünftiger Abwä- Verwaltungsentscheidung erheblich sind. gung aller Umstände des Falls, seiner besonderen Fachkunde sowie nach allgemeiner Lebenserfah- Die Unfallversicherungsträger sind verpflichtet, bei ihren rung eine Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvor- Ermittlungen objektiv alle Umstände zu berücksichtigen, liegen der jeweils für die Anerkennung einer Berufs- die für und gegen das Vorliegen einer Berufskrankheit krankheit erforderlichen Einwirkung zu verschaffen. sprechen. Aus diesem Grunde ist es auch erforderlich, • Grundlage für diese Überzeugungsbildung sind alle zu ermitteln, ob konkurrierende Einwirkungen aus dem im Verfahren gewonnenen Erkenntnisse, insbeson- unversicherten Bereich zur Entstehung der Erkrankung dere die Ergebnisse der Beweisaufnahme. beigetragen haben können. • Die Überzeugungsbildung muss sich dabei am Beweismaßstab des Vollbeweises orientieren Die Ermittlungspflichten treffen die Unfallversicherungs- (siehe Abschnitt B.12.2). träger als Körperschaften des öffentlichen Rechts und somit als Behörden. Organisation und Durchführung der Bei dem beschriebenen Verfahren sind von den Unfallver- Maßnahmen bedürfen jedoch zur Sicherung einer hohen sicherungsträgern die allgemeinen Vorgaben des Sozial- Qualität einer generalisierten, an Fallarten orientierten verwaltungsverfahrens (Zehntes Buch Sozialgesetzbuch Festlegung. Die Unfallversicherungsträger entscheiden – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – grundsätzlich, welche Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter SGB X) zu berücksichtigen. Insbesondere ist das Verwal- welche Schritte der Einwirkungsermittlung durchführen. tungsverfahren im Interesse der versicherten Personen In aller Regel erfolgen die ersten Ermittlungen bei der ver- einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen (vgl. § 9 sicherten Person durch die BK-Sachbearbeitung. Basis Satz 2 SGB X).12 für das weitere Vorgehen kann auch der ggf. durchzufüh- rende persönliche Erstkontakt mit der versicherten Person sein. Dabei werden alle erforderlichen Daten sowie Infor- mationen erhoben, um den Ermittlungsauftrag an den Präventionsdienst oder eine andere, die Einwirkung ermit- telnde Stelle (z. B. speziell ausgebildete BK-Ermittler)13 präzise zu formulieren. Ergeben sich hierbei Anhalts- 13 Da die Ermittlung der Einwirkung bei den meisten Unfallversiche- rungsträgern durch den Präventionsdienst durchgeführt wird sowie aus Gründen einer besseren Lesbarkeit, werden nachfolgend gene- 12 rell die Begriffe „Prävention“ bzw. „Präventionsdienst“ für die ermit- Sog. Untersuchungsgrundsatz telnde Stelle verwendet. 10
Rechtliche Grundlagen und Verfahren punkte für eine mögliche arbeitsbedingte Verursachung eines anderen Unfallversicherungsträgers jedoch keine der Erkrankung, erfolgen die weiteren, ins Einzelne Beurteilungen oder Berechnungen durchzuführen. Die gehenden Ermittlungen mit meist technisch-naturwissen- Ermittlung sowie Berechnung und Bewertung der Einwir- schaftlichem oder medizinischem Schwerpunkt durch die kung für andere Unfallversicherungsträger bei festgestell- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Präventionsdienste. ter eigener Zuständigkeit stellt dagegen eine Möglichkeit dar, das Ermittlungsverfahren zu beschleunigen. Krebserkrankungen nehmen im Rahmen der BK-Ermittlun- gen eine besondere Rolle ein. In allen Fällen, bei denen Neben Krebserkrankungen gibt es weitere Berufskrankhei- der Verdacht besteht, dass eine Einwirkung bei der ver- ten mit schweren Erkrankungsbildern (z. B. BK-Nrn. 3101, sicherten Tätigkeit eine Krebserkrankung14 verursacht 4103, 4301), bei denen möglichst unverzüglich nach Ein- haben könnte, ist die Einwirkungsermittlung zuguns- gang der Verdachtsanzeige eine Absprache zwischen der ten der betroffenen versicherten Personen besonders BK-Sachbearbeitung und dem zuständigen Präventions- zügig einzuleiten und in der Regel in einem persönlichen dienst über die weitere Vorgehensweise erfolgen sollte. Gespräch durchzuführen. Hierfür ist der Vordruck J 6170 In diesem Zusammenhang kann bspw. ein gemeinsames (Erstbericht BK Sonderfälle) zu verwenden. In diesem persönliches Gespräch zwischen BK-Sachbearbeitung und Zusammenhang wird auf die nachfolgend zitierten Aus- Präventionsdienst mit den versicherten Personen zur Erst- führungen aus dem Handlungsleitfaden „Reha-Manage- ermittlung der Einwirkung initiiert werden. Wenn es orga- ment bei Berufskrankheiten“ der DGUV15 zu Krebs-Berufs- nisatorisch möglich ist, bietet es sich an, dass der ver krankheiten hingewiesen: sicherten Person idealerweise ein zuständiger Ansprech- partner des Präventionsdienstes für die BK-Ermittlung Eine unverzügliche telefonische Kontaktaufnahme mit zugeordnet wird. der versicherten Person bzw. deren Angehörigen zur Ankündigung und Vereinbarung eines gemeinsamen Ergeben sich Hinweise, dass es im Rahmen der Ermittlun- Gesprächs- bzw. Besuchstermins ist sicherzustellen. Der gen aufgrund von Hör- und/oder Sprachbehinderungen Besuch sollte grundsätzlich zusammen mit dem Präven- oder eingeschränkten Kenntnissen der deutschen Spra- tionsdienst innerhalb von 14 bis 30 Tagen erfolgen. che der versicherten Person oder bei Zeuginnen bzw. Zeu- gen zu Verständigungsschwierigkeiten kommen kann, die Der Inhalt des persönlichen Gesprächs mit der ver das Ermittlungsergebnis beeinträchtigen oder verfälschen sicherten Person sollte sein: können, ist möglichst frühzeitig an die Kommunikations- • Erklärung des Verfahrens, Klärung des Datenschut- hilfen des § 19 SGB X (z. B. [Gebärden-] Dolmetscherin zes, Feststellung des aktuellen Hilfebedarfes; bzw. -Dolmetscher) zu denken. Gleiches gilt bspw. auch • Ermittlung der kompletten Arbeits- und Krankheits- für relevante Urkunden, die in einer fremden Sprache ver- anamnese, d. h. auch außerhalb des jeweiligen fasst sind. Zuständigkeitsbereiches. […] Der erstangegangene Unfallversicherungsträger soll bei 4 Umfang der Ermittlung der versicherten Person die Einwirkung für alle versicher- ten Tätigkeitszeiträume ermitteln und beschreibend fest- Bei der Ermittlung der Einwirkung haben die Unfallver- halten. Bei unklarer Zuständigkeit nach der Vereinbarung sicherungsträger von allen Ermittlungsmöglichkeiten der Unfallversicherungsträger über die Zuständigkeit bei Gebrauch zu machen, die ihnen vernünftigerweise zur Berufskrankheiten (VbgBK) sind für die versicherten und Verfügung stehen, und sich dabei aller zulässigen Beweis- unversicherten Tätigkeitszeiträume in der Zuständigkeit mittel (siehe hierzu Abschnitt B.8) zu bedienen.16 Solange die Einwirkung nach ihrer Überzeugung17 noch nicht ein 14 Unabhängig vom Schweregrad der Erkrankung; jedoch ohne die BK-Nrn. 5102 und 5103 15 16 Siefert in: v. Wulffen/Schütze: SGB X, § 20 Rn. 6 Handlungsleitfaden Reha-Management bei Berufskrankheiten 17 Siefert in: v. Wulffen/Schütze: SGB X, § 20 Rn. 12 (RM BK) der DGUV, Abschnitt 4.5, S. 8 11
Rechtliche Grundlagen und Verfahren deutig geklärt ist und weitere Ermittlungsmöglichkeiten Vor einigen Jahren wurde bereits eine Asbestose als bestehen, sind diese umfassend zu nutzen.18 Berufskrankheit (BK-Nr. 4103) anerkannt. In diesem Fall sind keine weiteren Ermittlungen zum Umfang Ermittlungen dürfen nicht mit der Begründung unter- der beruflichen Asbeststaubeinwirkung durchzufüh- bleiben, das zu erwartende Ergebnis (z. B. eine weitere ren. Zeugenaussage) könnte an der bereits feststehenden Überzeugung des Unfallversicherungsträgers nichts Sofern die tatsächlich stattgefundene Einwirkung mehr ändern, etwa, weil zu viel Zeit verstrichen sei oder auch für die Prüfung weiterer Tatbestandsmerkmale den zeitnahen Schilderungen ein höherer Beweiswert der Berufskrankheit – insbesondere zur Klärung des zukomme (siehe hierzu Abschnitt B.12.3.1). Ein solches Ursachenzusammenhangs – erforderlich sein könnte, Vorgehen wäre eine unzulässige vorweggenommene muss der Umfang (Art, Dauer und Intensität) der Ein- Beweiswürdigung; ob eine (weitere) Ermittlung etwas zur wirkung so umfassend wie möglich ermittelt werden, Sachaufklärung beitragen kann, wird durch ihre Durchfüh- auch wenn die erforderliche Einwirkung dem Grunde rung erst geklärt.19 Wirtschaftliche Überlegungen dürfen nach bereits als erwiesen angesehen werden kann. bei Sachverhaltsermittlungen ebenfalls keine Rolle spie- len.20 Dies gilt besonders für Berufskrankheiten, bei denen Einwirkung und Erkrankung in einer Dosis-Wirkungs- Von (weiteren) Ermittlungen kann ausnahmsweise bei Beziehung stehen, da aus der Höhe der tatsächlichen den nachfolgend beschriebenen Konstellationen abge Einwirkungsdosis im Rahmen der Feststellung des sehen werden: Ursachenzusammenhangs zwischen arbeitsbedingter Einwirkung und Krankheit (haftungsbegründende Kau- a) Die erforderliche Einwirkung ist bereits erwiesen salität) wichtige Rückschlüsse getroffen werden kön- nen.21 Ist die für die Anerkennung einer Berufskrankheit erforderliche Einwirkung im Einzelfall vollständig Beispiel: erwiesen, bedarf es grundsätzlich keiner weiteren Das Überschreiten des hälftigen im Mainz-Dortmun- Ermittlungen mehr. der-Dosismodell (MDD) vorgeschlagenen Orientie- rungswerts für die Gesamtbelastungsdosis führt Beispiel 1: bereits zur Kausalitätsprüfung für die BK-Nr. 2108. Einem Unfallversicherungsträger wird ein diagnos- Die Ermittlung der beruflichen Belastungen der Len- tisch gesichertes Pleura-Mesotheliom als Berufs- denwirbelsäule (LWS) darf jedoch im Einzelfall nicht krankheit gemeldet. Ergeben die Ermittlungen, dass bereits schon dann abgeschlossen werden, wenn die versicherte Person zuletzt im Jahr 1975 für meh- dieser hälftige Wert nachweislich geringfügig über- rere Monate in einem Dachdeckerbetrieb gearbeitet schritten wurde. Vielmehr sind auch alle darüber hat und dabei astbesthaltige Platten zugeschnitten hinausgehenden Belastungen der Lendenwirbel- hat, erübrigen sich weitere Ermittlungen zu weiteren säule während des versicherten Arbeitslebens zu beruflichen Asbeststaubeinwirkungen. ermitteln, zu dokumentieren und zu bewerten. Für die Überprüfung des Ursachenzusammenhangs Beispiel 2: zwischen versicherter Einwirkung und der band- Einem Unfallversicherungsträger wird die Lungen- scheibenbedingten Erkrankung der LWS (haftungs- krebserkrankung einer versicherten Person als begründende Kausalität) ist die tatsächliche LWS- Berufskrankheit im Sinne der BK-Nr. 4104 gemeldet. Belastung durch die versicherte Tätigkeit vor allem 18 Kranig: Ermittlung der Exposition als Grundlage der Begutachtung – aus juristischer Sicht. MedSach 2002, S. 81, 83 21 Jung: Anforderungen an die richterliche Beweiswürdigung im Be- 19 BSG v. 12.04.2005 – B 2 U 272/04 B rufskrankheitenrecht. In: Sozialrecht als Menschenrecht. Deutscher 20 Siefert in: v. Wulffen/Schütze: SGB X, § 20 Rn. 15 Sozialgerichtstag e.V. (Hrsg.), 2010, S. 287, 302 12
Rechtliche Grundlagen und Verfahren bei einigen Konstellationen der „Konsensempfehlun- sbereich der versicherten Person gesetzlich verboten gen“22 von großer Bedeutung. war oder der Stoff bereits nicht mehr hergestellt oder in der Produktion verwendet wurde. b) Die Einwirkung kommt (fast ausschließlich) nur in der Arbeitswelt vor und die betroffene Person war dieser Bevor die Einwirkungsermittlung aus den hier genann- Einwirkung nie im Rahmen einer unversicherten (z. B. ten Gründen nicht weiter betrieben wird, ist jedoch selbstständigen) Tätigkeit ausgesetzt. zunächst zu prüfen, ob in den Betrieben, in denen die versicherte Person tätig war, möglicherweise in einer Diese Konstellation kann sich insbesondere bei Aller- Übergangszeit noch Restbestände des Stoffes (ggf. gien auf bestimmte Arbeitsstoffe ergeben. verbotswidrig) verarbeitet bzw. verwendet wurden oder ob der Stoff trotz Verwendungsverbots noch in Beispiel: Bereichen des Arbeitslebens, in denen die versicherte Eine versicherte Person, die in einem platinsalzver- Person während ihrer Erwerbsbiografie tätig war, ver- arbeitenden Betrieb beschäftigt ist, leidet unter einer breitet war (Bspw. Asbest in der Gebäudesanierung). nachgewiesenen Allergie gegen Platinsalze. Da Pla- tinsalze im privaten Bereich nicht vorkommen, ist Beispiel: davon auszugehen, dass eine berufliche Einwirkung Eine versicherte Person erkrankt 2016 an Harnbla- im Sinne der BK-Nrn. 4301 vorliegt. Weitere Einwir- senkrebs. Die Erkrankung wird dem zuständigen kungsermittlungen sind nicht vorzunehmen; der Unfallversicherungsträger als BK-Nr. 1301 (Schleim- Nachweis einer beruflichen Einwirkung im Sinne des hautveränderungen, Krebs oder andere Neubil- Vollbeweises ist erbracht. dungen der Harnwege durch aromatische Amine) gemeldet. Die versicherte Person stammt aus Viet- c) Die Einwirkung kann aufgrund von Erfahrungswerten nam und hat dort von 1968 bis 1993 als Friseurin (Kataster) als bewiesen angesehen werden. gearbeitet. 1993 zieht sie nach Deutschland und arbeitet hier bis 2012 als Beschäftigte in ihrem Beruf Beispiel: weiter. Während ihres gesamten Berufslebens hat Eine versicherte Person war 15 Jahre in einem Press- sie u. a. auch Haare gefärbt. Aromatische Amine werk für Karosserieteile tätig. Eine Lärmeinwirkung waren in Westdeutschland bis 1980 (in der ehema- ist aufgrund des Erfahrungswissens des Unfallver ligen DDR bis 1989) in Haarfärbemitteln, Brillantine sicherungsträgers nicht anzuzweifeln. und Pomade enthalten; anschließend wurden keine aromatischen Amine mehr in Frisiermitteln verwen- d) Die Einwirkung kann während der versicherten Tätig- det. Da die versicherte Person während ihrer versi- keit offenkundig nicht vorgelegen haben. cherten Tätigkeit (in Deutschland) offenkundig kei- nen aromatischen Aminen ausgesetzt gewesen sein Von weiteren Ermittlungen kann ausnahmsweise auch kann (es ist davon auszugehen, dass eventuell vor- dann abgesehen werden, wenn die versicherte Per- handene Restbestände 1993 bereits aufgebraucht son während ihrer versicherten Tätigkeit der im BK-Tat- waren), bedarf es in diesem Fall keiner weiteren bestand beschriebenen Einwirkung nicht ausgesetzt Ermittlung, ob eine Einwirkung im Sinne der BK-Nr. gewesen sein kann. 1301 vorgelegen haben könnte.23 Diese Situation kann sich bspw. ergeben, wenn zu dem Zeitpunkt, zu dem die versicherte Person ihre versicherte Tätigkeit erstmalig aufgenommen hat, die Verwendung des Stoffes generell oder für den Tätigkeit 22 Bolm-Audorff/Brandenburg/Brüning et al: Trauma und Berufskrank- 23 Zur Berücksichtigung grenzüberschreitend verursachter Berufskrank- heiten. 2005, S. 211 ff. und 320 ff. heiten vgl. auch DGUV Rundschreiben – 0011/2018 vom 09.01.2018 13
Rechtliche Grundlagen und Verfahren 5 Klärung der beweisbedürftigen Einwirkung ken die festgestellte Krankheit verursachten haben könn- ten. Die Berufskrankheiten sind hinsichtlich des Krankheits bildes und/oder der geforderten Einwirkungen heterogen Zur Erhebung der Arbeitsanamnese ist insbesondere ent- und zum Teil offen formuliert. weder der allgemeine Vordruck V6120 (Fragen Arbeitsana- mnese/KV, allgemein) oder – soweit vorhanden – einer Daher sind vor Erteilung des Auftrages zur Ermittlung der der nachfolgenden BK-spezifischen Vordrucke zu verwen- Einwirkung an den Präventionsdienst (zur Auftragsertei- den: lung siehe Abschnitt B.6) durch die BK-Sachbearbeitung • V6120-2108-2109-2110 zunächst genaue Überlegungen notwendig, um zu klären, Fragen Arbeitsanamnese/KV, BK 2108/2109/2110 welche Informationen im konkreten Einzelfall nach Art • V6120-2112 Fragen Arbeitsanamnese/KV, BK 2112 und Umfang für die Prüfung der Einwirkung (und ggf. wei- • V6120-2113 Fragen Arbeitsanamnese/KV, BK 2113 terer Anerkennungsvoraussetzungen24) benötigt werden. • V6120-2301 Fragen Arbeitsanamnese/KV, BK 2301 Ausgehend vom Erkrankungsbild ist durch die BK-Sach Ferner sind bei noch existierenden ehemaligen Arbeit bearbeitung – soweit möglich – zunächst festzustellen, gebenden die dort verrichteten Tätigkeiten und stattge- welche Berufskrankheiten im vorliegenden Fall überhaupt habten Einwirkungen durch die BK-Sachbearbeitung zu in Betracht kommen können. Dabei ist auch daran zu den- erfragen. ken, dass eine gemeldete Erkrankung mehreren Berufs- krankheiten mit jeweils unterschiedlichen Einwirkungen Beispiel: zugeordnet werden kann. Dem Unfallversicherungsträger wird die Hautkrebs- erkrankung (Plattenepithelkarzinom) eines Gärtners Beispiel: gemeldet. Durch die BK-Sachbearbeitung des Unfall- Gemeldet wird ein Plattenepithelkarzinom eines Stra- versicherungsträgers wird zunächst ein Feststellungs- ßenbauarbeiters. Hier kommt zum einen die BK-Nr. 5103 verfahren zur BK-Nr. 5103 eingeleitet. Bei der Erhebung (Plattenepithelkarzinome […] der Haut durch natürliche der Arbeitsanamnese, die zeitnah nach der Meldung UV-Strahlung) und zum anderen eine BK-Nr. 5102 (Haut- durchgeführt wurde, stellt sich heraus, dass die versi- krebs […] durch […] Teer […] oder ähnliche Stoffe) in cherte Person auch viele Jahre als Straßenbauarbeiter Betracht. gearbeitet und in diesem Zusammenhang Umgang mit Teerprodukten hatte. Durch die schnelle und umfangrei- Vor Erstellung des Auftrages an den Präventionsdienst che Feststellung der Arbeitsanamnese kann der Unfall- ist bei Unklarheiten oder Zweifeln, ob und ggf. welcher versicherungsträger nun seine weiteren Ermittlungen Berufskrankheit die gemeldete Erkrankung zuzuordnen auch im Hinblick auf die BK-Nr. 5102 aufnehmen und ist, zunächst immer eine abschließende Klärung der kon- frühzeitig neben dem eigenen Präventionsdienst auch kret in Betracht kommenden Berufskrankheit herbeizu- den Präventionsdienst, der für das Straßenbauunter- führen (z. B. durch Einschaltung des Beratungsarztes oder nehmen zuständig ist, in die Einwirkungsermittlung ein- eines Arbeitsmediziners).25 Entsprechendes gilt auch für beziehen. Fälle, in denen eine sog. „Wie-Berufskrankheit“ nach § 9 Abs. 2 SGB VII in Betracht kommt. Darüber hinaus können durch die BK-Sachbearbeitung Nachweise von Renten- oder Krankenversicherungsträ- Möglichst frühzeitig ist zu klären, ob die versicherte Per- gern insbesondere zur Ermittlung von Beschäftigungszei- son bei der Verrichtung ihrer versicherten Tätigkeit unter- ten eingeholt werden, sofern diese als Ergänzung erfor- schiedlichen Einwirkungen ausgesetzt gewesen sein derlich erscheinen (z. B. Rentenversicherungsverlauf mit könnte, die jede für sich oder durch gemeinsames Einwir Angaben der Arbeitgebenden). Informationen zur Art der ausgeübten Tätigkeiten oder gar stattgehabten Einwirkun- gen sind davon allerdings in der Regel nicht zu erwarten. 24 Bspw. Einwirkungskausalität und haftungsbegründende Kausalität 25 Siehe hierzu auch Abschnitt 12.8, Konstellation c), aa), Beispiel 2 14
Rechtliche Grundlagen und Verfahren Als Weiteres ist durch die BK-Sachbearbeitung vor der Auf- sind entsprechende Angaben zur versicherten Person tragserteilung zu konkretisieren und zu präzisieren, wel- (ggf. Sterbedatum), zu den zu ermittelnden Berufskrank- cher Einwirkungen es nach dem aktuellen wissenschaft- heiten, zu allen Mitgliedsunternehmen mit Anschrift, lichen Erkenntnisstand bedarf, damit die im jeweiligen Beschäftigungszeiträumen und Tätigkeiten vollständig Einzelfall vorliegende Erkrankung als Berufskrankheit anzugeben. In Fällen nach § 9 Absatz 2 SGB VII sind die anerkannt und entschädigt werden kann26; dies erfolgt vorliegende Erkrankung und die Einwirkung, die ermittelt (soweit vorhanden) anhand27 werden soll, in dem Auftrag möglichst genau zu beschrei- • des Tatbestands der Berufskrankheit, ben bzw. mitzuteilen. • der jeweiligen wissenschaftlichen Begründungen und Stellungnahmen des Ärztlichen Sachverständigen- Im Auftrag ist auch darauf hinzuweisen, ob es sich um beirats „Berufskrankheiten“, eine Krebserkrankung oder um eine lebensbedrohliche • der jeweiligen Merkblätter des BMAS, Erkrankung handelt und der Auftrag daher unverzüglich • des aktuellen Standes der wissenschaftlichen bearbeitet werden soll.29 Grundsätzlich sind Aufträge Erkenntnisse (bspw. einschlägige Fachpublikationen, im Zusammenhang mit Krebserkrankungen innerhalb BK-Reporte, sozialgerichtliche Entscheidungen) und von vier Wochen durch die Ermittlung des Präventions- • der aktuellen interdisziplinären Begutachtungs dienstes abzuschließen. Bei den übrigen Berufskrankhei- empfehlungen. ten soll die Ermittlung in der Regel innerhalb von sechs Wochen zum Abschluss gebracht werden. Können diese Je nach zu betrachtender Einwirkung ist diese im Einzel- Bearbeitungsfristen im Einzelfall nicht eingehalten wer- fall nicht nur dem Grunde und der Höhe nach zu ermitteln. den, erfolgt eine qualifizierte Zwischennachricht, in der Oftmals ist es auch erforderlich zu klären, wie sie auf den die Gründe und ein Termin für die voraussichtliche Erledi- Körper der versicherten Person eingewirkt hat. Bei einigen gung genannt werden.30 Berufskrankheiten kann die Intensität einzelner, isolier- ter Einwirkungen für die spätere Prüfung der haftungs- Um eine realitätsnahe Berücksichtigung der Zeiträume, begründenden Kausalität von Bedeutung sein. Bei durch in denen eine Einwirkung stattgefunden hat, zu ermög Gefahrstoffe verursachten Berufskrankheiten ist dane- lichen, sind längere Fehlzeiten (z. B. Elternzeiten, AU-Zei- ben oft auch der Aufnahmeweg (inhalativ, dermal oder ten) – besonders bei erforderlichen „Dosisberechnun- oral) von entscheidender Bedeutung und gehört damit gen“ – vorab durch die BK-Sachbearbeitung so genau wie zur Beschreibung der Einwirkung durch den Präventions- möglich zu ermitteln; auf diese Fehlzeiten soll im Auftrag dienst. hingewiesen werden. Der Versicherungsverlauf, soweit erforderlich, ist ebenfalls beizufügen oder nachzureichen. Die ermittelten Sachverhalte (vergleiche z. B. Arbeitgeber 6 Ermittlungsauftrag an den fragebogen, medizinische Befunde und – soweit vorhan- Präventionsdienst28 den – Messberichte) und ggf. der Hinweis auf eine Bevoll- mächtigung sind als Anlage dem Auftrag beizufügen.31 Die Auftragserteilung der BK-Sachbearbeitung an den Prä- ventionsdienst soll mit dem Vordruck 6100 (Auftrag PD: Angaben zum Erkrankungsbeginn, der das (späteste) Stellungnahme Exposition Arbeitsplatz) erfolgen. Hier Ende des relevanten und als Ursache in Betracht kom- menden Einwirkungszeitraums begrenzt, sind gleich- falls in den Auftrag aufzunehmen. Sollten im Bedarfsfall 26 Jung: Anforderungen an die richterliche Beweiswürdigung im Berufs Ermittlungen erforderlich sein, die über den Erkrankungs krankheitenrecht. In: Sozialrecht als Menschenrecht. Deutscher Sozialgerichtstag e.V. (Hrsg.), 2010, S. 287, 301 27 Jung: Anforderungen an die richterliche Beweiswürdigung im Berufs krankheitenrecht. In: Sozialrecht als Menschenrecht. Deutscher Sozialgerichtstag e.V. (Hrsg.), 2010, S. 287, 301 28 Zur Zusammenarbeit zwischen BK-Sachbearbeitung und Präven- tionsdienst wird auf das HVBG-Rundschreiben BK 001/2007 vom 29 DGUV Rundschreiben 0723/2009 vom 22.12.2009 03.01.2007 sowie auf das DGUV Rundschreiben 0084/2016 vom 30 DGUV Rundschreiben 0723/2009 vom 22.12.2009 25.02.2016 verwiesen. 31 HVBG-Rundschreiben 1/2007 vom 03.01.2007 Ziffer 3.1 15
Rechtliche Grundlagen und Verfahren beginn hinausgehen, ist dies im Auftrag gesondert zu ver- 7 Ermittlung und Bewertung der Einwir merken.32 kungen durch den Präventionsdienst Soweit die BK-Sachbearbeitung dem Präventionsdienst Die Ermittlung findet im Regelfall auf Anfrage der BK-Sach- im Zusammenhang mit der Auftragserteilung zur Einwir- bearbeitung des eigenen Unfallversicherungsträgers oder kungsermittlung Sozialdaten der versicherten Person eines Fremd-Unfallversicherungsträgers statt. Im Ermitt- zur Verfügung stellen möchte, ist zu beachten, dass die lungsauftrag sind neben den Angaben zur versicherten Wahrung des Sozialgeheimnisses auch die Verpflichtung Person und den Informationen zu den relevanten Unter- umfasst, innerhalb des Leistungsträgers sicherzustellen, nehmen vor allem die angeschuldigte Berufskrankheit dass die Sozialdaten nur Befugten zugänglich sind oder und die vermuteten Auslöser für die Erkrankung für die nur an diese weitergegeben werden dürfen (§ 35 Abs. 1 Ermittlung von Bedeutung. Wichtig sind auch die Ver- Satz 2 SGB I). Aus diesem Grunde ist darauf zu achten, sicherungsverhältnisse der versicherten Person sowie dass dem Präventionsdienst nur die Daten einer versi- Daten zur Diagnose, soweit diese für die Ermittlung der cherten Person zugänglich gemacht oder übermittelt wer- Einwirkung erforderlich sind. den, die erforderlich sind, damit dieser die Einwirkung umfassend ermitteln und aus technisch-fachlicher Sicht Der Präventionsdienst bringt im Rahmen der BK-Ermitt- bewerten kann. Dies gilt speziell für die Offenlegung von lung die eigene Expertise mit dem vorhandenen techni- personenbezogenen Daten, die den in Art. 9 Abs. 1 Daten- schen Sachverstand sowie die Kenntnis der jeweils bran- schutz-Grundverordnung (DSGV) beschriebenen beson- chenbezogenen Arbeitsplätze und ihrer Ausgestaltungen deren Kategorien zugeordnet sind.33 ein. Deswegen kommt ihm bei der Konkretisierung der bereits zuvor durch die BK-Sachbearbeitung bei ver Die datenschutzrechtliche Zulässigkeit des Auftrags an sicherten Personen, Unternehmen und ggf. auch (frühe- den Präventionsdienst für die Durchführung von Ermitt- ren) Kolleginnen und Kollegen eingeholten Informationen lungen am Arbeitsplatz oder ein anderweitiges Tätig- zu den BK-relevanten Einwirkungen eine besondere Rolle werden stellt die BK-Sachbearbeitung sicher, vgl. hierzu zu. Aufgrund des eigenen Knowhows ist der Präventions- Ausführungen unter Abschnitt B. 8.1. dienst in der Lage, die jeweils stattgefundenen Einwirkun- gen qualitativ, im Falle sogenannter Dosis-Berufskrank- In einschlägigen Fällen (z. B. BK-Nr. 2301) sind die verein- heiten (z. B. 13.000 Stunden relevanter Tätigkeiten bei barten Stufen-/Kurzverfahren anzuwenden, um die Ver- der BK-Nr. 2112) auch quantitativ, zu ermitteln. Ziel ist es fahren effektiv und zweckmäßig durchzuführen. dabei, unabhängig von ggf. formalrechtlich bestehenden oder durch Konsens vereinbarten Richt- oder Grenzwer- ten den Umfang der jeweils im Einzelfall stattgefundenen Einwirkungen möglichst genau zu beschreiben, bei Dosis- Berufskrankheiten auch zu „berechnen“. Hierfür kann bei verschiedenen Berufskrankheiten auf eine Anamnese- Software des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) zurückgegriffen werden (siehe hierzu Abschnitt B.9.5). Die Frage, welche 32 Dies wird regelmäßig der Fall sein, wenn es um die Feststellung des Konsequenzen sich im Einzelfall daraus ergeben, dass die zuständigen Unfallversicherungsträgers geht. Nach § 3 VbgBK rich- tatsächlich vorhandene Dosis einer Einwirkung einen ver- tet sich die Zuständigkeit nach der letzten gefährdenden Tätigkeit bindlichen Richt- oder Grenzwert nicht erreicht, ist eine vor der Meldung; dieser Zeitraum liegt in der Regel nach dem Erkran- kungsbeginn. rechtliche Bewertung. Diese obliegt dem Rechtsanwen- 33 Hierbei handelt es sich um Daten, aus denen die rassische und der, also im Verwaltungsverfahren der BK-Sachbearbei- ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltan- tung, und ist auch gerichtlich überprüfbar. schauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie genetische Daten, biometrischen Daten zur ein- deutigen Identifizierung einer natürlichen Person, Gesundheitsdaten Anhand der vorliegenden Daten und auf Basis der eigenen oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung einer Erfahrungen und Erkenntnisse des Präventionsdienstes natürlichen Person. trifft dieser die Entscheidung, ob eine BK-Stellungnahme 16
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