Forschungsansätze zur Verflechtung der Religionskulturen - Systematisch-theologische Impulse

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Forschungsansätze zur Verflechtung der Religionskulturen - Systematisch-theologische Impulse
Forschungsansätze zur Verflechtung
der Religionskulturen
Systematisch-theologische Impulse
                                     JProf. Dr. Muna Tatari
                                     05.03.2021
Forschungsansätze zur Verflechtung der Religionskulturen - Systematisch-theologische Impulse
Gang

1. Einstieg mit drei Zitaten
2. Religionswissenschaftliche Impulse
3. Systematisch theologische Impulse
  a. Komparative Theologie (Haltungen, Methoden und Erträge)
  b. Drei Beispiele:
     • Das Konzept der Gottesebenbildlichkeit versus Gottes Statthalter
     • Das Dogma vom Gottes Wort und Menschenwort
     • Die Denkkategorie der Vulnerabilität
4. Fazit

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Forschungsansätze zur Verflechtung der Religionskulturen - Systematisch-theologische Impulse
John Donne (1631): No man is an Island
No man is an island,                                               Kein Mann ist eine Insel,
Entire of itself.                                                  Eine Gesamtheit für sich.
Each is a piece of the continent,                                  Jeder ist ein Stück des Kontinents,
                                                                   Ein Teil des Ganzen.
A part of the main.
                                                                   Wäre ein Klumpen durch das Meer weggewaschen,
If a clod be washed away by the sea,
                                                                   Ist Europa weniger.
Europe is the less.                                                Sowie, als ob es ein Kap wäre.
As well as if a promontory were.                                   Sowie, als ob ein Wesen deines eigens
As well as if a manner of thine own                                Oder deines Freundes wäre.
Or of thine friend's were.                                         Der Tod jeder verringert mich
Each man's death diminishes me,                                    Denn ich bin mit der Menschheit beteiligt.
For I am involved in mankind.                                      Also schick nicht zu wissen
Therefore, send not to know                                        Für wen die Glocke läutet:
                                                                   Sie läutet für dich.
For whom the bell tolls,
It tolls for thee.
                                                                   Übersetzung: David Paley

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Farid Esack (geb. 1959)

Es gibt keine selektive Existenz für irgendeine spezifische Gemeinschaft, denn der
Kuchen der Menschheit kann nicht mehr entbacken werden. Wir können jetzt nicht
mehr den Zucker vom Mehl oder Wasser trennen. Wir gehen unter oder
schwimmen zusammen. Für Leute, die sich dem Edelsten in unserem religiösen
Erbe verpflichtet haben, geht es jedoch nicht nur um das Überleben unserer
eigenen Traditionen. Heute hängt unser Überleben vom Überleben des Anderen
ebenso ab wie das Überleben der Menschheit vom Überleben des Ökosystems
abhängt. Über den Satz: „Kein Mensch ist eine Insel“ hinaus sind wir zu dem Satz:
„Keine Art ist eine Insel“ gelangt.
[…] Es gibt viele Arten zu sterben. Es gibt jedoch nur eine Art zu leben; durch die
Entdeckung dessen, worum es beim Selbst und beim Anderen wirklich geht, um zu
verstehen, wie viel von dem Anderen wirklich in uns reflektiert wird, und
herauszufinden, was uns gemeinsam ist im Kampf für die Wiedererschaffung einer
Welt der Gerechtigkeit, einer Welt der Würde für alle Bewohner der Erde.
Farid Esack, Herausforderung der Freiheit. Aus der Perspektive eines Muslim. In:
Al-Fadschr, 87(1998) 30-33.

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Wilfred Cantwell Smith (gest. 2000)

Just so, the historiography of the Islamic-Christian encounter will
be moved to a new level when we have learned to see it as the
intertwining destiny of human beings whose relation to God has
for now fourteen centuries taken these two classes of forms. The
religious history of the world is the history of us. Some of us have
been Muslims, some Christians. Our common history has been
what it has been, in significant part because of this fact. Yet it is a
common history for all that; and cannot be properly understood
otherwise.

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2. Religionswissenschaftliche Impulse

• Die Konzepte und Kategorien, die der Mensch nutzt, um zu
  verstehen, bestimmen zu einem gewissen Grad, welche
  Vorstellungen der Mensch von der Welt hat.
• Gegenwart und Vergangenheit werden innerhalb eines bestimmten
  Kontext interpretiert, eines Kontextes, der sich durch unsere
  Basisüberzeugungen konstituiert hat.
• Offenheit und Aufmerksamkeit sind nötig, um im
  Verständigungsbemühen diese Basisüberzeugungen zu
  modifizieren.
• Das Studium von Religionen kann nur dann seriös vonstatten gehen,
  wenn das Studium kontinuierlich dazu anregt, diese
  Basisüberzeugungen zu verändern.

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3. Systematisch theologische Impulse

Diagnose: Die Reflexion der Begegnung von Christen und Muslimen
in Europa ist eine der großen identitätspolitischen,
kulturwissenschaftlichen und theologischen Herausforderungen
unserer Zeit.
Dabei zu bedenken: Die Einstellung gegenüber der anderen Religion
hängt oft stark von innerchristlichen bzw. innerislamischen
Auseinandersetzungen ab. Wer über die andere Religion spricht,
bezieht sich bisweilen nicht wirklich auf den Anderen, sondern kämpft
oft um Deutungshoheit innerhalb des eigenen Lagers. (Islam in der
Aufklärung, Islam bei Nietzsche)
Erster Ansatz: Die konkrete Erfahrung der Lebenspraxis des Anderen
kann helfen, Abgrenzungen zur Profilierung auf Kosten des Anderen
zu vermeiden, sondern eine begründbare Würdigung des Anderen in
der Differenz zu ermöglichen.
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3a.) Komparative Theologie (Haltungen, Methoden und Erträge)

Haltungen (Klaus von Stosch (geb.1971))
1.    Doktrinale bzw. epistemische Demut
2.    Konfessorische Verbundenheit mit der eigenen Tradition
3.    Kommensurabilitätsunterstellung und Wahrnehmung von Unterschieden
4.    Empathie und liebevolle Aufmerksamkeit
5.    Gastfreundschaft für die mögliche Wahrheit des anderen

Methoden (Klaus von Stosch (geb.1971))
1.    Mikrologische Vorgehensweise
2.    Zentrale Fragestellungen
3.    Gegenseitiges Einbeziehen
4.    Instanz des Dritten
5.    Rückbesinnung auf religiöse Praxis
6.    Bewusstsein über eigene Verwundbarkeit und Reversibilität bzw. Fallibilität ihrer Urteile

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3a.) Komparative Theologie (Haltungen, Methoden und Erträge)

Erträge (Catherine Cornille (geb. 1961))
1. Intensivierung
2. Freilegung
3. Neuinterpretation
4. Aneignung
5. Richtigstellung
6. Reaffirmation

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3b.) Das Konzept der Gottesebenbildlichkeit versus
Gottes Statthalter

                                               Denn nur derjenige, der sich
                                                selbst erkennt, kann auch
                                               seinen Herrn erkennen. Weil
                                               dies eine der Wirkungen der
                                               Barmherzigkeit ist, wurde er            • Abgrenzungen
                                                (der Mensch) nach dem
                                                Bilde des Barmherzigen                   und
                                                 [...] geschaffen. [...] Al-             Dependenzen
                                                          Ghazali

                  Und siehe, dein Erhalter
                 sprach zu den Engeln: Seht,
                     ich bin dabei einen
                    Statthalter auf Erden
                  einzusetzen […]. (Sure 2,
                             30)
                                                                           Und Gott schuf den
                                                                       Menschen zu seinem Bilde,
                                                                        zum Bilde Gottes schuf er
                                                                       ihn; und schuf sie als Mann
                                                                          und Weib. (Gen 1,27)

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3b.) Das Dogma vom Gottes Wort und
Menschenwort

„Die Orthodoxie (eigentlich alle mittelalterlichen Ansätze)
mangelte es an dem nötigen intellektuellen Rüstzeug in ihrer
Dogmenformulierung die Andersheit und den verbalen Charakter
der Offenbarung auf der einen Seite und ihre innigliche
Verbindung zum Leben und der religiösen Persönlichkeit des
Propheten auf der anderen Seite zu verbinden. Also es mangelte
ihr an der intellektuellen Kapazität beides zu sagen, dass der
Qurʾān ganz und gar das Wort Gottes ist und im gewöhnlichen
Sinne, ganz und gar das Wort von Muhammad.“

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3b.) Die Denkkategorie der Vulnerabilität

„[…] Da ist eine Verwundbarkeit, in dem, wie über Gott
gesprochen wird, die Christen haben, jedoch Muslime nicht.
Muslime sind sehr gewiss über Gott. Christen mögen sehr sicher
sein über ihre Überzeugungen, aber die Art und Weise, wie sie
über Gott sprechen und seine Verwundbarkeit, ist etwas, das wir
in unserem Vokabular nicht haben. […] Im Allgemeinen haben
die muslimischen Theologen sich nicht zentral mit diesen Fragen
[von Verwundbarkeit] beschäftigt, da sie stärker an Fragen des
Gottesdienstes, der Verehrung Gottes und der Liebe zu Gott als
Antwort der Liebe Gottes für uns interessiert waren.“
Mona Siddiqui

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4b.) Die Denkkategorie der Vulnerabilität

Marias Vulnerabilität
1. Erfahrung von Verlassenheit und Ausgesetzt sein während der Geburt
   Jesu in der Wüste
2. Todesmut bei der Konfrontation mit ihrer Sippe
3. Nichts als ein Baby zur Verteidigung
Muhammads Vulnerabilität
1. Ausgesetzt sein, die Worte Gottes zu empfangen
2. Empfänger und Verkünder von Gottes Wort in einer zunächst
   feindlichen Umgebung
3. Zusage Gottes
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4. Fazit

1. Analyse der Hintergründe theologiegeschichtlicher Entwicklungen
   kann für deren Kontingenz sensibilisieren, die nicht automatisch im
   Widerspruch zu ihren Sinnhaftigkeiten stehen muss.
2. Systematische Theologie als Disziplin ist nicht nur auf anderen
   Theologien angewiesen sondern auf weitere Wissenschaften wie
   Geschichtswissenschaften, Religionswissenschaften, Philosophie,
   Literaturwissenschaften etc.
3. Verständnis des Koran als Text der Spätantike (Neuwirth)
   bedeutet, die christlichen und jüdischen Intertexte und die
   geschichtlichen Kontexte zu kennen
4. (Auch) systematische Theologie ist Denken im Prozess: Deus
   Semper Major, Allāhu aʿlam.

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Literatur

Abdelnour, Mohammed Gamal, What is an Authentic Believer? A Comparative History of
Catholic and Ash‘arī Theologies of Truth and Salvation (im Druck bei Brill).
Cornille, Catherine, Meaning and Method in Comparative Theology, Hoboken 2020.
Dag, Esra A., Christian and Islamic Theology of Religions: A Critical Appraisal (London &
New York: Routledge, 2017).
Moyaert, Marianne, On Vulnurability: Probing the Ethical Dimension on Comparative
Theology. Religions 3 (2012) 1144-1161.
Štimac, Zrinka. „Vernetzte Welt – Getrennte Religionen? Verflechtung von Religion und
Gesellschaft als Herausforderung der Schulbücher.“ Eckert. Working Papers 2016/1.
Von Stosch, Klaus, Komparative Theologie als Wegweiser in der Welt der Religionen,
Paderborn u.a. 2012 (Beiträge zur Komparativen Theologie; 6).
Von Stosch, Klaus/Tatari, Muna, Prophetin – Jungfrau – Mutter. Maria im Koran, Freiburg
2021.

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