GATS-Abkommen 16 Fragen und Antworten zum
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16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen von Heide Rühle, MdEP und Florian Hassler Europäisch-grüne Positionen zu Chancen und Risiken der WTO- Verhandlungen über die Liberalisierung des Welthandels mit Dienstleistungen 1
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen Inhalt Zur Einführung 3 1. Was ist GATS? 4 2. Was ist die WTO? 4 3. Was steht hinter der Idee des Freihandels? 4 4. Welche Bedeutung haben Dienstleistungen im Welthandel? 5 5. Warum ist GATS so umstritten? 5 6. Warum geraten viele WTO-Staaten unter Druck? 6 7. Wie funktioniert das GATS-Abkommen? 6 8. Was ist als Dienstleistung definiert? 9 9. Ist das GATS-Abkommen rechtlich verbindlich? 10 10. Wer verhandelt das GATS-Abkommen? 11 11. Wie transparent ist GATS? 11 12. Welche Auswirkungen hat GATS auf die öffentlichen Dienste und Dienstleistungen? 13 13. Welche Auswirkungen hat GATS auf die Umwelt? 14 14. Welche Auswirkungen hat GATS auf die Wasserversorgung? 16 15. Welche Auswirkungen hat GATS auf die Entwicklungsländer? 16 16. Welche Auswirkungen hat GATS auf die kulturelle Vielfalt? 18 Europagrünes Fazit zum GATS-Abkommen 20 Weiterführende Literatur und nützliche Links 21 Tabelle Die wichtigsten GATS-Bestimmungen im Überblick 8 2
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen Zur Einführung Im Jahr 1994 wurde im marokkanischen Marrakesch das zuvor in der „Uruguay-Runde“ ausgehandelte WTO-Abkommen für die Förderung und weitere Liberalisierung des Handels verabschiedet. Eines der wichtigsten Verhandlungsergebnisse war das „Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen“ („General Agreement on Trade in Services“ = GATS). Dabei war die Einbeziehung des Dienstleistungshandels in die Verhandlungen der Uruguay-Runde anfänglich sehr umstritten. Denn während die Industriestaaten aufgrund des sprunghaften Wachstums des Handels mit Dienstleistungen, seiner inzwischen bedeutenden Größenordnung und dem weitgehenden Fehlen internationaler Regelungen ein solches Abkommen befürworteten, standen vor allem die Entwicklungsländer einer Liberalisierung kritisch gegenüber, da sie den Verlust staatlicher Kontrolle befürchteten und in dem Abkommen eine Gefahr für die eigenen, wenig entwickelten Volkswirtschaften sahen. In den vergangenen Jahren hat sich aber auch in Europa Widerstand gegen die neue GATS-Runde formiert. Diese wird derzeit im Rahmen der so genannten „WTO-Entwicklungsrunde“ verhandelt und soll bis zum Jahr 2005 abgeschlossen werden. Die Anliegen von Staaten der Dritten Welt sollen besonders berücksichtigt werden, nachdem diese sich in der Uruguay-Runde übergangen fühlten. Da die Bandbreite des Dienstleistungsabkommens deutlich erweitert werden soll und auch Bereiche der öffentlichen Dienstleistungen und der Daseinsvorsorge verhandelt werden, warnt ein breites Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften, NGOs, kommunalen Unternehmen und Globa- lisierungskritikern vor den Gefahren einer weiteren Liberalisierung. Darüber hinaus haben seit der gescheiterten WTO-Ministerkonferenz von Seattle im Herbst 1999 auch Stimmen, die sich nicht nur gegen weitere Schritte der Marktöffnung richten, sondern die WTO ganz abschaffen wollen, große Aufmerksamkeit erhalten und bei einer breiten Öffent- lichkeit Zweifel an der Legitimität der WTO geweckt. Das vorliegende Papier soll anlässlich der WTO-Ministerkonferenz im mexikanischen Cancun, bei der im September 2003 eine bessere Ein- bindung der Entwicklungsländer in den Welthandel angestrebt wird, über das GATS-Abkommen informieren. Sensible Dienstleistungssektoren werden auf Chancen und Risiken einer Liberalisierung untersucht und politische Forderungen aus europäisch-grüner Perspektive formuliert. Besonderes Augenmerk richten wir auf die Auswirkungen von GATS auf die öffentlichen Dienste, die Umwelt und die Entwicklungsländer. Gute Lektüre wünscht Ihre / Eure Heide Rühle 3
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen 1. Was ist GATS? Während sich die meisten internationalen Handelsverträge auf den herkömmlichen Güterhandel beziehen, ist mit dem GATS-Abkommen ein multilateraler Vertrag zur Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen geschaffen worden. Da der Begriff der Dienstleistungen im Vertrag sehr weit definiert ist, fallen fast alle Dienstleistungssektoren unter seine Bestimmungen, darunter alltägliche Dinge wie kulturelle Dienstleistungen, der Postdienst, die Müllabfuhr, Gesundheitsdienste oder Banken. Neben dem "Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen" (GATT) sowie dem "Übereinkommen über Rechte an geistigem Eigentum" (TRIPs) ist es eine von drei Säulen der 1995 geschaffenen Welthandelsordnung im Rahmen der WTO. Es muss ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass es sich bei GATS um die Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen handelt, während es sich beim europäischen Binnenmarkt um die Liberalisierung von Dienstleistungen selbst handelt. Das ist ein wichtiger Unterschied, der in der öffentlichen Debatte häufig nicht deutlich wird - durch die WTO soll kein globaler Binnenmarkt geschaffen werden, in dem Liberalisierung und Privatisierung - mit den bekannten sozialen Folgen wie Arbeitsplatzabbau und Entlassungen - zwangsläufig zusammengehören. 2. Was ist die WTO? Die World Trade Organisation (WTO) - zu Deutsch: Welthandelsorgani- sation -, die derzeit 145 Mitgliedern zählt, wurde in der letzten Welt- handelsrunde (Uruguay-Runde) gegründet und nahm am 1. Januar 1995 ihre Arbeit auf. Sie ist die wichtigste Institution der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und schafft verbindliche Regeln für den Handelsverkehr. Freier Welthandel fördert nach der Maxime der WTO das Wirtschaftswachstum und erhöht dadurch den Wohlstand in den Mitgliedstaaten. Erfreulich ist, dass in der Präambel mit der "optimalen Nutzung der weltweiten Ressourcen" das Konzept der nachhaltigen Entwicklung zumindest auf dem Papier Eingang in die GATS- Bestimmungen gefunden hat und anerkannt wird, dass die Entwicklungsländer stärker am Wachstum des internationalen Handels beteiligt werden müssen. Diese Ziele müssen in den aktuellen Verhandlungen, die ja gerade aus diesem Grund "Entwicklungsrunde" genannt werden, verwirklicht werden. 3. Was steht hinter der Idee des Freihandels? Die ökonomische Theorie des Freihandels, die auf David Ricardo zurückgeht, besagt, dass ein möglichst ungehinderter Handel zwischen den Staaten allen beteiligten Volkswirtschaften nützt, auch wenn diese unterschiedlich entwickelt sind. Die Idee des Freihandels beruht auf dem Modell der komparativen Kostenvorteile, wonach es beim 4
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen Austausch von Gütern zwischen zwei Ländern zur Erhöhung der Produktionsmöglichkeiten und einer Verbesserung des Produktionsergebnisses durch Spezialisierung und Arbeitsteilung kommt. Daraus wird im Umkehrschluss abgeleitet, dass Handelshemmnisse wie Zölle oder Einfuhrquoten zu einem Wohlfahrtsverlust führen. Denn durch die angeblichen Verzerrungen der Produktionsstrukturen werden die relativen Preise der Güter verändert, wodurch sich Unternehmen am Markt halten können, die eigentlich nicht wettbewerbsfähig sein sollen und andere wiederum aufgrund des fehlenden Marktzugangs vom Handel ausgeschlossen werden. Soweit die Theorie. Die Praxis des Freihandels sieht freilich anders aus und ist - das wird im Folgenden deutlich - längst nicht so glückbringend wie die Theorie verspricht. Bezeichnend ist, dass sich selbst ausgewiesene Anhänger des globalen Freihandels, soweit es ihren eigenen Handelsinteressen dient, keineswegs an die reine Lehre halten. So schützt die Regierung Bush amerikanische Stahlerzeugnisse nach klassisch-protektionistischer Art, während die EU ihren Agrarmarkt nach außen abschottet. 4. Welche Bedeutung haben Dienstleistungen im Welthandel? Während mehr als 60 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts im Dienstleistungssektor erwirtschaftet werden und in OECD-Ländern mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer in diesem wachstumsstarken Bereich arbeiten, beträgt der Anteil des Handels mit Dienstleistungen nur rund ein Viertel des weltweiten Exportvolumens. Aus der Diskrepanz zwischen ökonomischer Bedeutung und geringem Welthandelsanteil wird häufig der Schluss gezogen, dass weitere Liberalisierungen einen enormen globalen Wohlfahrtsgewinn mit sich bringen würden. Innerhalb der Europäischen Union umfasst der Dienstleistungssektor sogar etwa 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und mit einem weltweiten Marktanteil von mehr als 25 Prozent ist die EU der größte Exporteur von Dienstleistungen. 5. Warum ist GATS so umstritten? Zum einen fallen unter das GATS-Abkommen Basisdienstleistungen, die über ihre ökonomische Funktion hinaus enorme gesellschaftspolitische Bedeutung besitzen, wie zum Beispiel das Gesundheits- oder das Bildungssystem. Zum anderen betrifft das GATS-Abkommen Schlüsselbereiche mit einer volkswirtschaftlichen Querschnittsfunktion. Da beispielsweise die Informationstechnologien die Basis mehrerer Branchen bilden, haben sie eine große wirtschaftliche Bedeutung, vor allem für den ökonomischen Fortschritt. Deshalb handelt es sich bei diesen Sektoren auch um äußerst sensible und stark geschützte Wirtschaftsbereiche. Die Brisanz von GATS liegt darüber hinaus in der Tatsache, dass die Berührungspunkte mit nationalen 5
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen Regulierungen viel größer sind als beim Güterhandel, wo der eigene Markt hauptsächlich durch klassische "boarder measures" wie Zölle geschützt wird. Hemmnisse für den Handel mit Dienstleistungen bestehen dagegen aus Gesetzen, Normen, Standards oder Verordnungen und können folge-richtig nur durch einen Eingriff in die (wirtschaftspolitische) Souveränität der Staaten beseitigt werden. Das GATS dringt dadurch in einen Bereich ein, der bisher weitgehend der nationalstaatlichen Ausgestaltung überlassen war. 6. Warum geraten viele WTO-Staaten unter Druck? Obwohl die Teilnahme an GATS-Verhandlungen freiwillig ist, geraten die Staaten in der Praxis unter massiven Druck, dem nur schwer widerstanden werden kann. Vor allem Entwicklungsländer sind im Gegensatz zu der immensen Verhandlungsstärke von USA, EU und Japan im Nachteil. Durch die Integration der GATS-Verhandlungen in die Welt-handelsrunde werden Ländern ursprünglich nicht beabsichtigte Liberalisierungen abgerungen, die im Rahmen von Paketlösungen beispielsweise mit Zugeständnissen auf dem Agrarmarkt verrechnet werden. 7. Wie funktioniert das GATS-Abkommen? Aufgrund der umstrittenen und komplexen Materie des Dienstleistungs- abkommens gehen die Mitgliedstaaten durch die Vertragsunterzeichnung nur einen Mindestmaß an allgemeinen Verpflichtungen ein. Die wich- tigste davon ist das Meistbegünstigungsprinzip (Artikel II GATS), wonach Handelsvergünstigungen, die einem Mitglied gewährt werden, auch allen anderen zugestanden werden müssen. Die Mitgliedstaaten können sich Ausnahmen vom Meistbegünstigungsprinzip eintragen lassen, die allerdings höchstens zehn Jahre beibehalten werden dürfen. Außerdem gelten für regionale Integrationsabkommen Ausnahmen, so dass beispielsweise Deutschland keineswegs allen WTO-Mitgliedern die gleichen Handelsvergünstigungen wie den EU-Staaten auf dem europäischen Binnenmarkt gewähren muss. Weitergehende Liberalisierungsverpflichtungen, die so genannten spezifischen Verpflichtungen ("Marktzugang" und "Inländerbehandlung" nach den Artikeln XVI und XVII GATS), kommen nur in Sektoren zum Tragen, in denen die Mitglieder auf ihren "Länderlisten" explizite Eintragungen vorgenommen haben. In diesen Konzessionslisten wird eingetragen, welche konkreten Liberalisierungsverpflichtungen für welche Sektoren eingegangen werden und welche Beschränkungen dort aufrechterhalten werden. Entgegen einer weit verbreiteten Darstellung entscheiden also ausschließlich die jeweiligen Regierungen bzw. die EU- Kommission, in welchen Dienstleistungsbereichen sie den eigenen Markt liberalisieren möchten und welche Bedingungen sie daran 6
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen knüpfen. Durch diese Regelungen sind die Länderlisten zwar äußerst unübersichtlich, ermöglichen es den Mitgliedern aber, ihre Märkte nur in den Bereichen zu öffnen, in denen sie es für sinnvoll halten. Artikel VI des GATS-Vertrags (Innerstaatliche Regulierungen) erlaubt den Mitgliedstaaten auch in Sektoren mit spezifischen Verpflichtungen die Erbringung von Dienstleistungen zu regulieren, um nationale politische Ziele zu verfolgen. Diese Maßnahmen dürfen allerdings nicht belastender sein als zur Sicherstellung der Qualität der Dienstleistung tatsächlich notwendig. Da es in der Praxis schwierig sein wird, zwischen einer GATS-konformen Regulierung und einer Verletzung von GATS-Verpflichtungen zu unterscheiden, erarbeitet die WTO derzeit Normen, an denen sich die Mitglieder orientieren müssen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Qualifikationserfordernisse, technische Normen oder Zulassungs- standards keine unnötigen Hemmnisse für den Handel mit Dienstleistungen darstellen. Bisher ist allerdings nicht geklärt, welche politischen Ziele Regulierungen rechtfertigen und ob beispielsweise umwelt- oder sozialpolitische Ziele zur Qualität einer Dienstleistung zählen. Doch einmal eingegangene Verpflichtungen sind nur sehr schwer rückgängig zu machen. Frühestens nach drei Jahren können Liberalisierungen überhaupt zurückgenommen werden, und auch dann nur in Verbindung mit einer entsprechenden Kompensation gegenüber dem geschädigten Land. Das Prinzip des Marktzugangs verbietet quantitative Handelsbe- schränkungen (z.B. die Höhe ausländischer Kapitalbeteiligungen oder die Anzahl der Anbieter) und soll sicherstellen, dass sich die Länder auch tatsächlich an die eingegangenen Verpflichtungen halten und nicht durch mengenmäßige Beschränkungen den Marktzugang verhindern. Das Prinzip der Inländerbehandlung bedeutet, dass ausländische Anbieter mindestens genauso gut wie nationale Anbieter behandelt werden müssen. Sie können zwar besser, aber auf keinen Fall schlechter behandelt werden. Darin besteht vor allem für Entwicklungsländer eine Gefahr, da diese durch Sonderregelungen häufig von großen Konzernen verlangen, auf örtliche Mitarbeiter oder Lieferanten zurückzugreifen. Aber natürlich schränkt diese Regelung auch den wirtschaftspolitischen Spielraum westlicher Industrienationen ein, beispielsweise wenn es um die Förderung der lokalen Wirtschaft geht. So würde im Bereich der audiovisuellen Dienstleistungen und Filmproduktionen die Bindung an die Inländerbehandlung bedeuten, dass die Förderung deutschsprachiger Produktionen gegen die GATS-Bestimmungen verstößt und entweder abzuschaffen oder für alle zu öffnen wäre. 7
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen Die wichtigsten GATS-Bestimmungen im Überblick 1. Allgemeine Verpflichtungen 1. Spezifische Verpflichtungen (gelten für alle Sektoren) (nur für liberalisierte Sektoren) Meistbegünstigung: Marktzugang: Dieses Prinzip ist das Herzstück von Die Mitgliedstaaten sind an ihre ein- GATS, da Handelsvergünstigungen, gegangenen Verpflichtungen recht- die einem Mitgliedsland gewährt lich gebunden und müssen den werden, auch den andern zuge- Marktzugang auch in der Praxis ge- standen werden müssen. Regionale währleisten. Quantitative Be- Integrationszusammenschlüsse wie schränkungen des Marktzugangs die EU unterliegen nicht dem Prinzip sind daher verboten. der Meistbegünstigung. Inländerbehandlung: Innerstaatliche Regulierungen: Anbieter aus anderen Mitglieds- WTO-Mitglieder sind verpflichtet, ländern dürfen gegenüber nationalen interne Regulierungsmaßnahmen Anbietern nicht diskriminiert werden, vernünftig, objektiv und unpartei- sondern müssen die gleichen Wett- isch anzuwenden. bewerbschancen haben. Transparenz: Alle für den Dienstleistungshandel 2. Ausnahmen relevanten Gesetze, Verordnungen und regierungsamtlichen Maßnah- zum Schutz der öffentliche Ordnung men müssen veröffentlicht werden. zum Lebens- u Gesundheitsschutz Subventionsregelungen: Die Mitglieder verhandeln über bei Zahlungsbilanzproblemen Grundsätze der staatlichen Sub- ventionsvergabe, um handelsver- für Integrationsräume (z.B. die EU) zerrende Auswirkungen zu verhindern. 3. Länderlisten 2. Progressive Liberalisierung Eintragung von Sektoren, in denen ausländischen Anbietern Marktzu- Verpflichtung zur Aufnahme weiterer gang und Inländerbehandlung Verhandlungsrunden gewährt wird kontinuierliche Verbesserung des Eintragung von Vorbehalten Marktzugangs gegenüber der Meistbegünstigung (max. für zehn Jahre), der Inländer- behandlung und dem Marktzugang. 8
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen 8. Was ist als Dienstleistung definiert? Unter Dienstleistungen im Rahmen des GATS-Ankommens sind alle wirtschaftlichen Aktivitäten außerhalb der Produktion von industriellen, bergbaulichen und landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu verstehen. Nach einem spezifierendem Klassifikationsschema wurden von der WTO elf Hauptkategorien von Dienstleistungen entwickelt, die sich wiederum in 155 Subsektoren gliedern: Kategorien von Dienstleistungen: 1. Unternehmerische und berufsbezogene Dienstleistungen 2. Kommunikationsdienstleistungen 3. Bau- und Montagedienstleistungen 4. Vertriebsdienstleistungen 5. Bildungsdienstleistungen 6. Umweltdienstleistungen 7. Finanzdienstleistungen 8. Medizinische und soziale Dienstleistungen 9. Tourismusdienstleistungen 10. Erholung, Kultur und Sport 11. Transportdienstleistungen 12. sonstige Dienstleistungen Darüber hinaus unterscheidet das GATS-Abkommen vier verschiedene Erbringungsarten ("modes") von Dienstleistungen: Erbringungsarten von Dienstleistungen: 1. zwischenstaatlicher Handel (z.B. über Telefon und Computer) 2. im Inland geleistete Dienste an Ausländern (z.B. Tourismus) 3. kommerzielle Präsenz im Ausland (z.B. Banken und Joint- Ventures) 4. im Ausland geleistete Dienste von Inländern (z.B. Beratungs- dienste) Dieser sehr umfassende Dienstleistungsbegriff bedeutet, dass nicht nur der klassische grenzüberschreitende Handel, sondern auch Transaktionen, die innerhalb eines Landes stattfinden sowie ausländische Direktinvestitionen und die Arbeitsmigration unter die GATS-Bestimmungen fallen. Die Klassifikationen von Dienstleistungen in 155 verschiedene Sektoren und vier Erbringungsarten erlaubt deshalb eine sehr differenzierte und an den eigenen Interessen ausgerichtete Liberalisierung, da Verpflichtungen sowohl auf eine Erbringungsart, als auch auf einen bestimmten Sektor beschränkt werden können. Beispielsweise könnte ein Mitglied seine Liberalisierungsverpflichtungen in dem Bereich "Kommunikationsdienstleistungen" auf den Bereich "Kurierdienste" beschränken, und hierbei nur die 9
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen Erbringungsart "zwischen-staatlichen Handel" zulassen. Durch dieses flexible Liberalisierungskonzept haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, nur Sektoren zu liberalisieren, in denen sie es für sinnvoll halten. 9. Ist das GATS-Abkommen rechtlich verbindlich? Schon allein aufgrund seiner völkerrechtlichen Verbindlichkeit hat der GATS-Vertag eine andere Dimension als herkömmliche Handelsverträge. Bei möglichen Verletzungen müssen die Mitgliedstaaten die volle völker- rechtliche Verantwortung übernehmen. Deshalb ist auch die WTO selbst mit weitreichenden Machtbefugnissen ausgestattet. Das Streitschlich- tungsverfahren, Kernstück der WTO, sorgt in Handelsfragen dafür, dass die Rechtsordnung und die eingegangenen Verpflichtungen eingehalten werden. Dieses System kommt zum Einsatz, wenn ein Mitglied ein anderes der Abweichung von eingegangenen Verpflichtungen beschuldigt und zielt zunächst auf eine einvernehmliche Lösung in Form von Kompensationszahlungen ab. Die Öffentlichkeit ist von den Verhandlungen ausgeschlossen. Sollten die Verhandlungen allerdings scheitern, kann die geschädigte Partei im Einvernehmen mit den WTO- Streitschlichtern eigene Zugeständnisse zurücknehmen oder Strafzölle erheben. Da auch sogenannte "cross retaliations" erlaubt sind, können diese Vergeltungsmaßnahmen auf andere Sektoren übertragen werden, was Länder der Dritten Welt hart treffen kann. Denn im Gegensatz zu Industrieländern mit einer breiten Produktionspalette sind sie meist von wenigen Exportprodukten abhängig und können dadurch schon vor den Schlichtungsverhandlungen unter Druck gesetzt werden. Positiv ist, dass der GATS-Vertrag unilaterale Vergeltungsmaßnahmen ausdrücklich verbietet. Vor der Einführung der Streitbeilegung wurden sie vor allem von den Vereinigten Staaten aggressiv und mit Folgen für die Entwicklungsländer eingesetzt. Problematischerweise agiert die WTO in dem Streitschlichtungsmechanismus zugleich als Richter und Schöffe. Europagrüne Forderungen: Das Streitschlichtungsverfahren muss reformiert und stärker demokratisiert werden. Trotz aller Kritik an der unbestreitbaren Reformnotwendigkeit der Streitschlichtung innerhalb der WTO, gehört zu einem ihrer Verdienste, zur Lösung von Handelskonflikten beigetragen zu haben. Das "Recht des Stärkeren" wird damit jedoch nicht aufgehoben, da die Staaten unterschiedliche materielle Möglichkeiten haben, die Streitschlichtung zu nutzen, aber es wird multilateral eingebunden. 10. Wer verhandelt das GATS-Abkommen? Die WTO ist eine internationale Organisation, die ihren Mitgliedstaaten ein Forum für multilaterale Verhandlungen bietet. Demzufolge geht die 10
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen Macht auch von den Regierungen und nicht von der WTO als Organisation aus. Aufgrund der vergemeinschafteten Handelspolitik und gemäß Artikel 133 EG-Vertrag führt die EU-Kommission die GATS- Verhandlungen im Auftrag der EU-Mitgliedsstaaten. Der Europäische Rat hat dem zuständigen Handelskommissar Pascal Lamy hierzu 1999 ein Verhandlungsmandat erteilt. Da über die Annahme von internationalen Handelsabkommen im EU-Rat mit qualifizierter Mehrheit abgestimmt wird, haben einzelne EU- Mitglieder bei der Ratifizierung von GATS keine Vetomöglichkeit. Ausnahmen bilden besonders sensible Bereiche wie kulturelle und audio- visuellen Dienstleistungen, der Bildungsbereich sowie das Sozial- und Gesundheitswesen, die in die gemischte Zuständigkeit fallen und somit die Zustimmung der Mitgliedstaaten erfordern. Das Europäische Parlament hat in handelspolitischen Fragen bislang kaum. Dadurch kann das Parlament die Vorschläge der Kommission nicht eingehend prüfen, was ein Beispiel für ein Demokratiedefizit und die falsche Machtstruktur innerhalb der Europäischen Union ist. Darüber hinaus ist es nur schwer nachzuvollziehen, dass die Kommission in der WTO weiterhin auf der Grundlage eines vom Rat bereits 1999 erteilten Mandates verhandelt, obwohl in bestimmten Bereichen des Handels mit Dienstleistungen erst jetzt die Auswirkungen und Komplexität von GATS zutage getreten ist. Mit dem neuen Verfassungsvorschlag sich könnte dies in Bezug auf die Anhörungsrechte ändern und der Einfluss des Europäische Parlament auf die Politiken der WTO/ GATS gegenüber den Nationalparlamente wachsen. Europagrüne Forderungen: In Zukunft muss das Verhandlungsmandat für internationale Handelsvereinbarungen im Voraus explizit vom Europäischen Parlament fest-gelegt werden, und die Verhandlungsergebnisse müssen ihm mitgeteilt werden, damit ihre Übereinstimmung mit den Vorgaben des Mandats überprüft werden kann. Nur so ist eine ernsthafte gesetzliche Überprüfung und demokratische Legitimierung durch gewählte Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten gewährleistet. 11. Wie transparent ist GATS? Ein Hauptkritikpunkt an GATS ist die mangelnde Transparenz und die unzureichende Beteiligung der so genannten Zivilgesellschaft. Denn die GATS-Verhandlungen laufen in einer Art Geheimdiplomatie ab: Zunächst übermitteln die WTO-Mitgliedstaaten so genannte Forderungslisten (Requests), in denen sie darstellen, von welchen Ländern sie in welchen Bereichen eine Liberalisierung wünschen. In einer zweiten Phase erstellen Sie Angebotslisten (Offers), die jene Bereiche darstellen, in 11
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen denen sie bereit sind, Liberalisierungen anzubieten. In der letzten Phase wird dann über die Angebote verhandelt. Die WTO macht weder Requests noch Offers der Öffentlichkeit zugänglich, sondern veröffentlicht die vollständig ausgefüllten Länderlisten erst nach Beendigung der Verhandlungen. Auch von der Europäischen Kommission wurden die vollständigen Forderungs- und Angebotslisten in der Vergangenheit geheim gehalten und innerhalb des Europäischen Parlamentes nur an jeweils einen Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen weitergegeben, allerdings unter drakonischen Bedingungen: der Inhalt sollte anderen Parlamentariern nicht zugänglich gemacht werden, die Dokumente dürften nicht kopiert werden und es besteht die Pflicht zur verschlossenen Aufbewahrung sowie zum Schreddern der Dokumente nach der Lektüre. Unter diesen Umständen ist eine parlamentarische Kontrolle unmöglich, was an der demokratischen Legitimation von GATS erhebliche Zweifel aufkommen lässt. Die öffentliche Diskussion über GATS konnte deshalb bisher nur auf der Grundlage von Kopien der Dokumente stattfinden, die auf inoffiziellem Weg veröffentlicht wurden, was der Sache einen merkwürdigen Beigeschmack verleiht. Es ist umso verwunderlicher, dass die Dienstleistungsindustrie in Gestalt des „European Services Forum“ nach eigenem Bekunden eng mit der EU-Kommission zusammengearbeitet hat. Europagrüne Forderungen: In künftigen WTO-Verhandlungen muss das Europäische Parlament ein- bezogen werden, bevor „Offers“ und „Requests“ an Drittstaaten gerichtet werden und es muss im EP mit den zuständigen Kommissaren eine ergebnisoffene Debatte über die aktuellen Verhandlungen geführt werden. Die Forderungen und Angebote aller Mitgliedstaaten sollten öffentlich zugänglich sein und alternative Stimmen, wie beispielsweise die des Weltsozialforums in Porto Alegre, müssen gehört werden. Allerdings hat speziell die EU-Kommission Anstrengungen unternommen, allgemeine Informationen zu den GATS-Verhandlungen zur Verfügung zu stellen. So wurden zuletzt aufgrund des großen öffentlichen Drucks die voll- ständigen Angebotslisten nach der Weitergabe an die WTO veröffent- licht. Sie können im Internet abgerufen werden. 12. Welche Auswirkungen hat GATS auf die öffentlichen Dienste und Dienstleistungen? Ob öffentliche Dienste, die der Befriedigung grundlegender gesellschaftlicher Bedürfnisse dienen, prinzipiell von der Liberalisierung ausgeschlossen werden dürfen, hängt von den bestehenden Wettbewerbsverhältnissen in den jeweiligen Ländern ab. Durch 12
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen die Hoheitsklausel (Artikel 1.3) werden Dienste von den GATS- Bestimmungen ausgenommen, die „in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht“ werden. Doch lässt sich der Begriff der „hoheitlichen Gewalt“ nur auf Dienstleistungen anwenden, „die weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren Dienstleistungserbringern erbracht werden“. Dadurch fallen in Deutschland klassische Aufgaben der Daseinsvorsorge wie das Bildungs- oder das Gesundheitssystem nicht unter diese Schutzklausel, da hier neben der öffentlichen Hand auch private Träger tätig sind. Allerdings hat sich die EU bei der letzen Verhandlungsrunde die Ausnahme eintragen lassen, dass Dienstleistungen, die als öffentliche Aufgaben betrachtet werden, staatlichen Monopolen unterliegen und deshalb subventioniert werden können. Damit ist bisher ein ausreichender Schutz öffentlicher Dienste gewährleistet, zumal die EU-Kommission angekündigt hat, dass in den Bereichen Gesundheit, Bildung und audio-visuelle Medien keine Liberalisierungsangebote unterbreitet werden sollen. Allerdings steht die EU in der aktuellen Verhandlungsrunde unter Druck, die bisherigen Ausnahmen aufzugeben oder zumindest einzuschränken. So arbeitete das Präsidium des EU- Reformkonvents in den vergangenen Monaten aktiv darauf hin, die Sperre der Europäer bezüglich der Verhandelbarkeit im Bereich ihrer Bildungs-, Sozial- und Gesundheitssysteme aufzuweichen. Mandate für Verhandlungen in diesen Sektoren sollen vom Rat künftig leichter, das heißt nicht einstimmig erteilt werden. Da im Namen der EU an 29 Länder Anträge zur Liberalisierung der öffentlichen Dienste übermittelt wurde, stellt sich in der Tat die Frage, warum die anderen WTO-Staaten ihre öffentlichen Dienste liberalisieren sollten, während wir ein solches Ansinnen ablehnen. Europagrüne Forderungen: Die sehr enge Definition der Hoheitsklausel muss erweitert werden und öffentliche Dienstleistungen von allgemeinen Wirtschaftlichen Interesse - siehe „Unsere Forderungen“ - sollten von dem Geltungsbereich des GATS gänzlich ausgeschlossen werden. Behörden und öffentliche Einrichtungen müssen auch weiterhin die Möglichkeit haben, Dienstleistungen zu regulieren, die einem öffentlichen Zweck dienen, um soziale und ökologische Standards unabhängig von den GATS-Anfor- derungen aufrecht zu erhalten. Allerdings muss im Gegenzug auch geklärt werden, was ein solcher öffentlicher Zweck ist. Denn öffentliche Unternehmen können nicht gänzlich von den Wettbewerbsregeln frei- gestellt werden. Ohne Wettbewerb ist eine hochwertige, preisgünstige und effiziente Daseinsvorsorge in vielen Bereichen nicht zu machen. 13
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen 13. Welche Auswirkungen hat GATS auf die Umwelt? Entgegen einer weit verbreiteten Annahme haben auch die „sauberen“ Dienstleistungen negative Folgen für die Umwelt. Allerdings sind die Umweltbelastungen von GATS bisher weitgehend unerforscht, wodurch die aktuellen Verhandlungen unabsehbare Folgen für unsere Umwelt haben könnten. Der geringe Stellenwert des Umweltschutzes zeigt sich bereits in den Bestimmungen des GATS-Vertrages. Trotz der Anträge mehrerer Länder - unter anderem von Deutschland - wurde er nicht als allgemeine Ausnahme (Artikel XIV) in den GATS-Vertrag aufgenommen. Dies wäre aber wichtig, da gemäß GATS nur solche Ausnahmeregelungen Maßnahmen zum Schutze der Umwelt rechtfertigen können, auch wenn sie handelsbeschränkende Wirkung entfalten. Denn zum einen hat das Dienstleistungsabkommen reale Umweltauswirkungen, insbesondere in ökologisch sensiblen Sektoren wie Energie, Transport, Umweltdienstleistungen und Tourismus. Zum anderen hat es auch weitreichende Folgen auf die Möglichkeit von Staaten, effektive Umweltpolitik zu betreiben, da die Regulierungsmöglichkeiten eingeschränkt werden (siehe auch innerstaatliche Regulierungen). Bei aller Kritik sollte aber auch bedacht werden, dass sich die jeweiligen Wirtschaftsminister im Rahmen der GATS-Verhandlungen kaum auf Umweltstandards einigen werden, über die die Umweltminister in speziellen internationalen Umweltgremien keine Einigung finden. Die Qualität der nationalen Umweltpolitik wird außerdem innerhalb der WTO nicht von vorne herein eingeschränkt, sondern hängt nach wie vor hauptsächlich von den nationalen Präferenzen ab. Den WTO-Mitgliedern steht frei, Umweltauflagen in ihrem Land nach eigenem Dafürhalten zu gestalten. Dennoch bestehen Gefahren: Gemäß dem Prinzip der Inländerbehandlung dürfen ausländische Produkte nicht schlechter behandelt werden als einheimische, wodurch unabhängig von der jeweiligen Umweltqualität bei der Herstellung die Produkte bei der Einfuhr als gleichartig gelten. Das Problem liegt also im Detail, da beispielsweise ein Importverbot für Kernenergie durch diese Regelung unter Umständen nicht mehr möglich wäre, weil dies ausländische Atomkraftbetreiber benachteiligen würde. Auch das Verbot quantitativer Beschränkungen (Marktzugang) ist umweltpolitisch sehr kritisch zu sehen, da solche Maßnahmen für den Schutz sensibler Regionen (z.B. die Beschränkung des Umfangs touristischer Aktivitäten) oder erschöpfbarer Ressourcen wichtig sind. Beispielsweise könnten Regelungen zur Festschreibung eines bestimmten Anteils von erneuerbaren Energien im Energiemix eines Anbieters in der Zukunft nicht mehr möglich sein. 14
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen Ein weiterer kritischer Punkt betrifft die innerstaatlichen Regulierungen, wonach technische Vorschriften (Umweltauflagen) den Handel nicht stärker einschränken dürfen, als es zur Erreichung eines legitimen Ziels (Umweltschutz) auch tatsächlich erforderlich ist. Insbesondere der von der EU vorgeschlagene Notwendigkeitstest könnte dazu führen, dass umweltpolitische Regulierungen im Streitschlichtungsverfahren wegen ihrer handelsbeschränkenden Wirkung ausgehebelt werden. Der zunehmende internationale Handel könnte einen „Wettbewerb nach unten“ („race to the bottom“) bei Umwelt- und Sozialstandards auslösen, da eine Harmonisierung der nationalen Regulierungen angestrebt wird. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich eine solche Angleichung häufig nicht an anspruchvollen Standards orientiert. Ein weiteres Problem besteht darin, dass das Verhältnis zwischen einer Reihe internationaler Umweltabkommen - das Kyoto-Protokoll ist z.B. von entscheidender Bedeutung für Energiedienstleistungen - und den GATS-Regeln nicht geklärt ist. Allerdings sollte man auch nicht vergessen, dass die Industriestaaten den Ländern der Dritten Welt durch zu hohe Umweltstandards die Möglichkeit nehmen, ihre komparativen Vorteile auch tatsächlich auszunützen. In der Vergangenheit wurde vor allem auf Sektoren, in denen die Entwicklungsländer billiger produzieren können, solche nicht- tarifären Handelshemmnisse aufgebaut. Europagrüne Forderungen: Sämtliche Verpflichtungen aus internationalen Umweltabkommen müssen explizit als Ausnahmetatbestand in die GATS-Regeln übernommen werden und Maßnahmen zur Erfüllung von Pflichten aus Umweltabkommen dadurch von den GATS-Auflagen freigestellt werden. Da das GATS-Abkommen bisher weder auf seine realen Umweltaus- wirkungen noch auf seine regulatorische Wirkung ausreichend untersucht worden ist, muss vor einer weiteren Liberalisierung eine sorgfältige Untersuchung der potenziellen Umweltauswirkungen stehen: Nur durch detaillierte Analysen („Sustainability Impact Assessments“) können die ökologischen Folgen von GATS abgeschätzt werden und dadurch Anhaltspunkte für eine nachhaltige Weiterentwicklung des Dienstleistungsabkommens gewonnen werden. Darauf aufbauend sollte das GATS-Abkommen genutzt werden, eine wirksame Umweltpolitik zu betreiben. Denn die globalen Umweltprobleme können ohne Frage nur auf internationaler Ebene gelöst werden. 14. Welche Auswirkungen hat GATS auf die Wasserversorgung? Der Bereich der „Wasserversorgung“ soll in den aktuellen Verhandlungen auf Druck der EU erweitert werden, da bisher 15
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen nur die "Abwasserentsorgung" und die "sanitären Anlagen" unter die GATS-Bestimmungen fallen. Nach dem Willen der EU soll nun der Sektor „Wasser für menschlichen Gebrauch" eingeführt werden, welcher die Sammlung, Reinigung und den Vertrieb von Trinkwasser beinhalten würde. Hintergrund dieser Initiative ist die starke Stellung europäischer Wasserunternehmen wie Vivendi, Suez oder RWE auf dem Weltmarkt. Die EU möchte ihre eigenen Wassermärkte nicht im Rahmen der GATS liberalisieren, andererseits stellt sie aber Forderungen zur Öffnung der Märkte an viele EL. Kritiker befürchten, dass die Mitgliedstaaten durch Liberalisierungen in diesem Bereich Regulierungsmöglichkeiten hinsichtlich der Umweltstandards oder sonstigen Investitionsauflagen wie Sonderbedingungen für die Versorgung armer Bevölkerungsschichten verlören. Die Entwicklungsländer haben aufgrund der besonderen Bedeutung der Wasserversorgung in ihren Ländern erhebliche Bedenken gegen eine weitere Öffnung des Wassersektors. Allerdings verbinden sich damit gerade für die Menschen der Dritten Welt auch Chancen. Denn angesichts der Tatsache, dass Milliarden von Menschen Zugang zu sauberem Wasser benötigen und viele arme Staaten sich keine öffentliche Versorgung leisten können, muss das Know-how und Kapital von privaten Anbietern zur Behebung dieses Problems eingesetzt werden. Europagrüne Forderungen: Um das Ziel des Johannesburger Weltgipfels von 2002 zu erreichen, bis zum Jahr 2015 den Anteil der Menschen ohne Zugang zu sauberem Wasser zu halbieren, wird ein aktiver Privatsektor benötigt, der sich im Wasserbereich beispielsweise durch „Public-Private-Partnerships“ engagiert. Das GATS-Abkommen kann dabei helfen, wenn die Liberalisierung des Wassersektors in soziale Regulierungen eingebettet wird. Der kritische Punkt ist hier der Zugang zu der Ressource Wasser, der auch in Zukunft nicht angetastet werden darf und unter der vollen Kontrolle der Mitgliedstaaten bleiben muss. 15. Welche Auswirkungen hat GATS auf die Entwicklungsländer? Die Integration in das Welthandelssystem garantiert Entwicklungsländern weder den wirtschaftlichen Aufschwung, noch ist sie die alleinige Ursache für die wirtschaftliche Marginalisierung breiter Bevölkerungsschichten in den Ländern der Dritten Welt. Auch beim GATS-Abkommen liegen für die Entwicklungsländer Vor- und Nachteile eng beieinander. Auf der einen Seite benötigen Sie gerade im Dienstleistungsbereich bessere Zugangsmöglichkeiten zu den Märkten der Industriestaaten, 16
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen sind auf Direktinvestitionen aus dem Norden angewiesen und erhoffen sich von einer Öffnung der eigenen Märkte eine Verbesserung der Infrastruktur. Auf der anderen Seite sind Entwicklungsländer auf vielen Sektoren des internationalen Dienstleistungsmarkts nicht wett- bewerbsfähig und können mit den Großkonzernen aus den Industrienationen gar nicht konkurrieren. Vor allem einer Öffnung der eigenen Märkte stehen sie kritisch gegenüber, da sie negative Folgen für den heimischen Dienstleistungssektor erwarten. Viele Entwicklungs- länder sind derzeit kaum in der Lage, den Dienstleistungssektor, der zuvor unter öffentlicher Kontrolle oder in öffentlichem Besitz war, auch angemessen zu regulieren. Außerdem haben gerade in Entwicklungsländern bestimmte Sektoren wie die Wasserversorgung oder der Gesundheitsbereich eine besondere Bedeutung für das Leben der Menschen. Dies erklärt auch, warum viele Entwicklungsländer nur in einem einzigen Sektor, meist dem Tourismusbereich, Liberalisierungsverpflichtungen übernommen haben. Leider gibt es bei GATS im Gegensatz zu anderen internationalen Handelsverträgen weder eine Sonderregelung für Entwicklungsländer, die dieser besonderen Situation Rechnung trägt („special and differential treatment“) noch eine Sicherheitsklausel zur zeitlichen Rücknahme von Liberalisierungsverpflichtungen in Notstandsituationen („emergency safeguard clause“). Dies mag auch mit den grundlegend verschiedenen Interessen zwischen den Ländern des Südens und des Nordens zusammenhängen: Während die Entwicklungsländer auf größtmögliche Personenfreizügigkeit drängen, sind die Industriestaaten vor allem an einer weitgehenden Kapitalmobilität interessiert; und während sich die Entwicklungsländer von einer Lockerung der Bestimmungen für weniger qualifizierte Arbeitskräfte aufgrund ihres niedrigen Lohnniveaus bei arbeitsintensiven Dienstleistungen Exportchancen erhoffen, sind die Industrienationen aufgrund ihrer restriktiven Aufenthaltsbestimmungen zu keinen Zugeständnissen im Bereich der Arbeitsmigration bereit. Besonders sensibel ist das ebenfalls unter GATS verhandelte Abkommen über Finanzdienstleistungen. Es umfasst den gesamten grenzüberschreitenden Handel mit Bank-, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen und beschränkt die Möglichkeit von Kapitalverkehrskontrollen (Artikel 11) in den liberalisierten Sektoren. In den jüngsten Finanzkrisen hat sich aber gezeigt, dass gerade Entwicklungsländer Möglichkeiten zur Steuerung des Kapitalverkehrs benötigen, um frühzeitig Risiken für die Stabilität der nationalen und internationalen Finanzmärkte abzuwenden. Die Entwicklungsländer wurden in der Vergangenheit trotz aller entwicklungspolitischen Rhetorik faktisch vom Verhandlungsprozess aus- geschlossen und ihre Interessen innerhalb der WTO nur unzureichend berücksichtigt. Beispielsweise wurden Versprechungen der Industrie- nationen im entwicklungspolitisch bedeutenden Agrar- und 17
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen Textilbereich, die den Entwicklungsländern die Unterschrift unter das GATS-Abkommen erleichtern sollte, bis heute nicht eingelöst. Entwicklungsländer können sich gegen diese Benachteiligung oftmals nicht zur Wehr setzen. Viele besitzen am Genfer Sitz der WTO aus finanziellen Gründen nicht einmal eine Vertretung und lediglich 20 Prozent der WTO-Mitarbeiter kommen aus Nicht-Industrieländern, obwohl es sich bei gut 80 Prozent der Mitgliedstaaten um Entwicklungsländer handelt. Stattdessen fühlen sie sich von den Industrieländern unter Druck gesetzt und beklagen ihr unzureichendes Know-how, um die Verhandlungen in ihrem Sinne zu gestalten. Europagrüne Forderungen: Entwicklungsländern müssen in der aktuellen "Entwicklungsrunde" ein Optimum an finanzieller und technischer Unterstützung erhalten (ein- schließlich der Weiterbildung von Juristen und anderen Experten), um sich angemessen an der Fortentwicklung von GATS beteiligen zu können. Prinzipiell sollten an Entwicklungsländer solange keine For- derungen gestellt werden, bis seriöse Untersuchungen nachweisen, dass die betroffenen Länder eindeutig davon profitieren, was beispielsweise durch die Verankerung des Prinzips der speziellen und differenzierten Behandlung erreicht werden könnte. Ein solches, entwicklungsfreundlich umgestaltetes Dienstleistungsabkommen würde den Ländern des Südens in ihrer Entwicklung helfen - gerade weil GATS die Möglichkeit zu einer flexiblen, schrittweisen und vorsichtigen Liberalisierung bietet - und sie also stärker in das Welthandelsystem integrieren. 16. Welche Auswirkungen hat GATS auf die kulturelle Vielfalt? In Artikel 22 der EU-Grundrechtscharta heißt es, dass die Union „die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen“ achtet und dass die Bewahrung dieser Werte deshalb Vorrang vor Handelserwägungen haben sollte. Noch eindringlicher formuliert es die „Allgemeine Erklärung zur kulturellen Vielfalt“ der UNESCO, wonach „die Besonderheit kultu- reller Güter und Dienstleistungen anerkannt werden [muss], die als Träger von Identitäten und Wertvorstellungen nicht als einfache Waren oder Konsumgüter betrachtet werden können“ (Artikel 8). Deshalb haben bereits in der Uruguay-Runde einige EU-Staaten eine Aus- nahmeregelung für kulturelle Dienstleistungen gefordert: Kulturelle Güter und Dienste sollten nicht unter GATS fallen. Umstritten waren vor allem die Frage der Liberalisierung des Marktes für audiovisuelle Dienstleistungen, beispielsweise die EU-Richtlinie "Fernsehen ohne Grenzen", wonach die Fernsehanstalten 50 Prozent ihrer Sendezeit für europäische Produktionen reservieren sollten oder die europäischen Förderprogramme zur Unterstützung der öffentlich-rechtlichen Medien- landschaft. Die Verankerung einer "Kulturklausel" ist aber an dem 18
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen Widerstand der USA gescheitert, die am Welthandel mit Film- und Videoproduktionen einen Marktanteil von fast 50 Prozent besitzen. Daraufhin hat die EU in diesem Sektor keinerlei Liberalisierungs- verpflichtungen übernommen und sich Ausnahmen vom Prinzip der Meistbegünstigung eintragen lassen. Obwohl damit die kulturellen Dienstleistungen in Europa ausreichend geschützt sind, fällt beispiels- weise der audiovisuelle Sektor unter die GATS- Bestimmungen und könnte deshalb in der Zukunft prinzipiell durchaus von einer Libera- lisierung betroffen sein. Europagrüne Forderungen: Da sich kulturelle Güter und Dienstleistungen von standardisierten Massenverbrauchsgütern unterscheiden, sollten sie auch in interna- tionalen Handelsabkommen anders behandelt werden, indem sie nicht denselben Regeln unterworfen werden. Auch in Zukunft muss jedes Land die Möglichkeit haben, alle notwendigen Maßnahmen in den Bereichen Kultur und audiovisuelle Medien zu ergreifen, um die kulturelle Vielfalt zu bewahren und zu fördern. Wir begrüßen ausdrück- lich, dass die Europäische Kommission in diesem Bereich weder Forde- rungen noch Angebote an die anderen WTO-Mitglieder übermittelt hat. Europagrünes F a z i t z u GA T S : Deutlich wird, dass das „Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen“ sowohl Chancen als auch Risiken birgt. Für die künftige Ausgestaltung von GATS wird entscheidend sein, dass eine breite Öffentlichkeit die Verhandlungen kritisch beobachtet und ihre Stimme gegen falsche Entwicklungen innerhalb der WTO erhebt. Nur so konnte beispielsweise die EU-Kommission gezwungen werden, ihre vollständige Vorschlagsliste zu veröffentlichen und GATS damit etwas transparenter zu machen. Denn nach wie vor hat das GATS-Abkommen viele Schwächen, die in den aktuellen Verhandlungen behoben werden müssen, damit sozial gerechte und nachhaltige Rahmenbedingungen für den Dienstleistungshandel entstehen. Unsere Forderungen zusammengefasst: Das GATS-Abkommen muss transparenter werden! Wir begrüßen dass die Kommission ihren Forderungskatalog an die Länder ins Netz gestellt hat. Die Zivilgesellschaft muss stärker an den Verhandlungen beteiligt werden. Das GATS-Abkommen muss demokratischer werden! Anstelle der bisherigen Geheimdiplomatie muss ein explizit vom Europäischen Parlament festgelegtes Verhandlungsmandat treten. Die Rolle des Parlaments kann sich nicht darauf beschränken, Verhandlungsergebnisse 19
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen im Nachhinein abzunicken, sondern das EP muss jene Ergebnisse selbst beeinflussen können. Die Ergebnisse sollten vor ihrer Ratifizierung auf ihre Übereinstimmung mit dem Mandat überprüft werden. Die sehr enge Definition der öffentlichen Dienstleistungen muss erweitert werden und sollten vom Geltungsbereich des GATS ganz ausgenommen werden. Allerdings muss auch geklärt werden, was ein solcher öffentlicher Zweck ist, denn öffentliche Unternehmen können nicht gänzlich von den Wettbewerbsregeln freigestellt sein. Vor jeder weiteren Liberalisierung muss zuerst eine sorgfältige Untersuchung der potenziellen Umweltauswirkungen und entwicklungs- politischen Implikationen erfolgen, um die Auswirkungen von GATS abschätzen zu können. Für die Länder der Dritten Welt muss das Prinzip der speziellen und differenzierten Behandlung verankert werden. Die EU als Verhandlungspartner die Verpflichtung Forderungen fallen zu lassen, wenn die EL nicht über die institutionellen Voraussetzungen für soziale und ökonomische sinnvolle Marktöffnung verfügen. Entwicklungsländer müssen darüber hinaus ein Optimum an finanzieller und technischer Unterstützung erhalten, um sich angemessen an einer nachhaltigen und an Ihren Interessen ausgerichtete Weiterentwicklung von GATS beteiligen zu können. Forderungen von Seiten der EU gegenüber anderen Ländern sollten im Einklang damit stehen, was sie im Hinblick auf ihren eigenen Dienst- leistungssektor einzuräumen bereit ist. Die asynchrone Entwicklung muss berücksichtigt werden. Kulturelle Güter und Dienstleistungen müssen anders als standardi- sierte Massenverbrauchsgüter behandelt werden. Deshalb fordern wir die Einführung einer Kulturklausel. Wir halten es für richtig, dass die KOM keine Angebote zur Aufnahme von Verhandlungen in den Bereichen Bildung, Kultur und Audiovisuelle Dienstleistungen sowie Gesundheitsdienstleistungen macht. Gleiches gilt für die Wasserversorgung. Eine in soziale Regulierungen eingebettete Liberalisierung der Wasserversorgung kann dabei helfen, den Anteil der Menschen ohne Zugang zu sauberem Wasser zu senken. Allerdings darf die Ressource Wasser selbst unter keinen Umständen unter die GATS-Regeln fallen! 20
16 Fragen und Antworten zum GATS- Abkommen Weiterführende Literatur: Die Grünen/Europäische Freie Allianz im Europäischen Parlament: Hintergrundpapiere zur WTO (Abrufbar unter: www.greens-efa.org) Bündnis 90/Die Grünen: Positionspapier zur Zukunft des Welthandels- systems (Abrufbar unter: www.gruene-fraktion.de) Renate Künast: „WTO muss Süden entwickeln“. Interview im Schrägstrich Nr. 2/2003 Thomas Fritz: Die letzte Grenze. GATS: Die Dienstleistungsverhand- lungen in der WTO, Berlin 2003 (Bestellbar unter www.weed-online.org) Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.in): Freier Handel, nachhaltiger Handel – ein Widerspruch?, Berlin 2002 (Abrufbar unter www.boell.de/downloads/ rio+10/wsp21.pdf) Umweltbundesamt: Zu wessen Diensten? – GATS und die Folgen für eine nachhaltige Entwicklung, Bonn 2002 (Bestellbar www.umweltbundesamt.de/uba-info-medien/index.htm) Nützliche Links: GATS-Seiten der WTO: www.wto.org/english/traptop_e/serv_e/serv_e.htm Generaldirektion Handel der Europäischen Kommission: www.trade-info.cec.eu.int/europa/index_en.php GATS-Seiten der Europäischen Kommission: www.europa.eu.int/comm/trade/services/index_en.htm GATS-Kampagne von Attac: www.attac.de/gats/index.php Polaris Institute: www.polarisinstitute.org/gats/main.html ---------------------------------------- 16 Fragen und Antworten zum GATS-Abkommen Europäisch-grüne Positionen zu den Chancen und Risiken der WTO- Verhandlungen über die Liberalisierung des Welthandels mit Dienstleistungen herausgegeben von Heide Rühle MdEP im Juni 2003 Verfasser: Florian Hassler Redaktion: Léonard Klimm Gestaltung: Til Wellmann 21
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