Informationsblatt zur EU-Verfassung
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Informationsblatt zur EU-Verfassung Inhalt: • Die Fakten der EU-Verfassung • Ulrich Duchrow: Der Gott der EU-Verfassung Die Fakten der EU-Verfassung Eine Handreichung für die öffentliche Diskussion – Mit wichtigen Textauszügen aus der Verfassung Wussten Sie, dass der Verfassungsentwurf für griff eines fremden Staates als völkerrechtliche Vor- die EU raussetzung für militärische Verteidigung ist dann nicht mehr notwendig. Eine Selbstmandatierung • eine Aufrüstungsverpflichtung für die Mit- durch den EU-Ministerrat folgt dem schlechten gliedstaaten enthält? Vorbild der US-Präventivkriegsstrategie und bedeu- • eine Agentur für die Kontrolle und Umset- tet den klaren Bruch des Völkerrechts. zung der Aufrüstung vorsieht? • nicht einmal eine Kontrolle der Außenpolitik Um diese militärischen Möglichkeiten effektiv nut- des Ministerrats durch den europäischen Ge- zen zu können, werden die Mitgliedstaaten ver- richtshof ermöglicht? pflichtet, "ihre militärischen Fähigkeiten schrittwei- se zu verbessern" (Art.I-40 Abs.3). Zur Kontrolle Die EU-Verfassung soll den EU-Vertrag ersetzen, wird zugleich eine Agentur für Rüstung, Forschung die bislang ungeschriebenen Grundrechte der Bürge- und militärische Fähigkeiten eingerichtet. Die Agen- rinnen und Bürger normieren und die EU zu einem tur soll auch untersuchen, inwieweit eine Stärkung hochgerüsteten Militärbündnis mit weitgehenden der industriellen und technologischen Grundlage des Eingriffsrechten ausbauen. Verteidigungssektors erreicht werden kann. Damit Neben der großen Idee einer politischen Einheit al- wird eine noch engere Zusammenarbeit mit der Rüs- ler europäischen Staaten werden damit auch Ziele tungsindustrie angestrebt. Es ist interessant, dass und Aufgaben festgeschrieben, die mit dem Grund- ähnliche Anstrengungen für den sozialen Bereich gedanken unseres Grundgesetzes nicht vereinbar völlig fehlen. sind. Da die militärischen Kapazitäten nicht in jedem Hierüber findet bewusst keine öffentliche Debatte Mitgliedstaat gleich stark sind, soll ferner eine so statt! genannte "strukturierte Zusammenarbeit" derjenigen In Art.III-210 heißt es u. a. dass die vorgesehenen Staaten erfolgen, "die anspruchsvollere Kriterien in Missionen "Kampfeinsätze im Rahmen der Krisen- Bezug auf die militärischen Fähigkeiten" (Art. III- bewältigung einschließlich Frieden schaffender 213). Es ist klar, dass damit der Weg zu einem Maßnahmen" umfassen. Derartige Vorhaben werden "Kerneuropa" geöffnet ist. Dieser Kern entscheidet allein von dem EU-Ministerrat beschlossen. Frie- nämlich allein darüber, wer in den Kreis der "Privi- densorientierte Kräfte, die in das EU-Parlament ge- legierten" aufgenommen wird. wählt werden können, haben auf die Entscheidung Verpasste (?) Chance – Fortsetzung der freien keinen Einfluss. Aufgrund der Verpflichtung jedes Marktwirtschaft Mitgliedstaates, die Gemeinsame Außen- und Si- cherheitspolitik aktiv und vorbehaltlos zu unterstüt- Die EU-Mitgliedstaaten haben sich für die Beibehal- zen und die Rechtsakte in diesem Bereich zu achten, tung einer freien und offenen Marktwirtschaft aus- wird eine Abstimmung in den jeweiligen nationalen gesprochen. Die Werteverschiebung geht dabei ein- Parlamenten zur Farce. deutig zu Lasten einer sozialen Absicherung. Die Solidargemeinschaft wie sie ihren Ausdruck in der Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt uns, dass die sozialen Marktwirtschaft wenigstens ansatzweise unmittelbare Bezugnahme auf den Terrorismus und findet, wird durch eine Individualisierung auf allen die Einsatzmöglichkeiten innerhalb eines Drittstaa- Ebenen beseitigt. Zwar nimmt die EU-Verfassung tes ein Instrumentarium ist, das leicht für ganz ande- wie bisher schon der EU-Vertrag Bezug auf die so- re Machtinteressen benutzt werden kann. Der An- ziale Marktwirtschaft. Die Ausrichtung auf den of- -1-
fenen und freien Wettbewerb nimmt aber insgesamt nach der Übereinkunft ist die Herstellung von einen weit größeren Raum ein. So soll die soziale Nachahmerprodukten für zwanzig Jahre ver- Marktwirtschaft zusätzlich "in hohem Maße wett- boten. bewerbsfähig" sein. Heute zeigt sich in zahlreichen Auch werden sich künftig Medikamente für europäischen Staaten ein massiver Abbau sozialer die armen Länder enorm verteuern, da Patente Rechte gerade mit der Begründung eben dieser gerade im pharmazeutischen Sektor angestrebt Wettbewerbsfähigkeit. Dies ist kein nationales Prob- werden. Die EU passt sich dieser Verände- lem sondern die logische Folge des auf EU-Ebene rung widerspruchslos an. bereits seit 1957 im EG-Vertrag vorgeschriebenen • Es wird ein Grundrecht auf unternehmerische Weges umfassender Liberalisierung. Zentrale Be- Freiheit gewährt. Ein Recht auf Arbeit, wie es deutung erlangen hierbei die vier Grundfreiheiten: bereits die Weimarer Reichsverfassung bein- 1. Warenverkehrsfreiheit 2. Dienstleistungsfreiheit haltete, ist nicht vorgesehen. 3. Niederlassungsfreiheit 4. Kapitalverkehrsfreiheit. • Erschreckend ist ferner, dass der EURATOM- Sie sind auch im EU-Verfassungsentwurf wichtigs- Vertrag, der die Kernenergie als "eine unent- tes Element der Wirtschaftspolitik. Die aus dem EU- behrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Vertrag übernommenen Regelungen zur Wirtschaft Belebung der Wirtschaft und für den friedli- werden durch folgende Neuerungen erweitert: chen Fortschritt" ansieht, weiter volle Gültig- keit haben soll. Hinzu kommt, dass die EU • Die Eigentumsfreiheit soll ohne Sozialpflich- erstmals im Energie-Bereich eine eigene tigkeit garantiert werden. Dies stellt eine Ab- Kompetenz zur Gesetzgebung erhalten soll weichung zum Grundgesetz dar, das das Ei- und so maßgeblich Einfluss auf nationale E- gentum (auch von Produktionsmitteln) aus- nergievorstellungen nehmen kann. Es ist zu drücklich einer sozialen Verpflichtung unter- befürchten, dass erneuerbare Energien vor wirft. dem Hintergrund des EURATOM-Vertrages • Neu ist ferner der Schutz des geistigen Eigen- hinter die Kernenergie zurücktreten müssen. tums. Dies ist eine Umsetzung des umstritte- • Abschließend bleibt festzustellen, dass die nen TRIPS-Abkommens der WTO-Staaten. EU-Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik, Diese Vereinbarung sieht vor, dass sich inter- die die Schere zwischen arm und reich immer national führende Konzerne wie Monsanto weiter öffnet, unverändert forcieren. Patente auf lebenswichtige Lebensmittel wie Reis und Saatgut aber auch Technologien ein- Noch besteht die Möglichkeit, durch Protest von un- tragen lassen können und dadurch den Men- ten Druck auf die Regierungen aufzubauen, um die- schen vor allem in der Dritten Welt die Chan- ser Politik Einhalt zu gebieten. Alle Bürgerinnen ce zur eigenen Entwicklung nehmen. Denn und Bürger der EU sind hierzu aufgefordert. Auszüge aus dem neuesten EU-Verfassungsentwurf Die Weichenstellung für ein militarisiertes Europa im EU-Verfassungsentwurf: Art. I-40 lichen Vorschriften einen Beschluss zu diesem Abs. 1: Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidi- Zweck zu erlassen. (…). gungspolitik (ESVP) ist integraler Bestandteil der Abs. 3: (…) Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu (GASP). Sie sichert der Union die auf zivile und mi- verbessern. Es wird ein Europäisches Agentur für litärische Mittel gestützte Fähigkeit zu Operationen. Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten Auf diese kann die Union bei Missionen außerhalb eingerichtet, dessen Aufgabe es ist, den operativen der Union zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung Bedarf zu ermitteln und Maßnahmen zur Bedarfsde- und Stärkung der internationalen Sicherheit gemäß ckung zu fördern, zur Ermittlung von Maßnahmen den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen zur Stärkung der industriellen und technologischen zurückgreifen. Sie erfüllt diese Aufgaben mit Hilfe Grundlage des Verteidigungssektors beizutragen der Fähigkeiten, die von den Mitgliedstaaten bereit- und diese Maßnahmen gegebenenfalls durchzufüh- gestellt werden. ren, sich an der Festlegung einer europäischen Poli- Abs. 2: Die ESVP umfasst die schrittweise Festle- tik im Bereich Fähigkeiten und Rüstung zu beteili- gung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der gen sowie den Rat bei der Beurteilung der Verbesse- Union. Diese führt zu einer gemeinsamen Verteidi- rung der militärischen Fähigkeiten zu unterstützen. gung, sobald der Europäische Rat einstimmig dar- Abs. 6: Die Mitgliedstaaten, die anspruchsvollere über beschlossen hat. Er empfiehlt in diesem Fall Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten den Mitgliedstaaten, gemäß ihren verfassungsrecht- erfüllen und die im Hinblick auf Missionen mit -2-
höchsten Anforderungen untereinander festere Ver- umfassen gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, hu- pflichtungen eingegangen sind, begründen eine manitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, Aufgaben strukturierte Zusammenarbeit im Rahmen der Uni- der militärischen Beratung und Unterstützung, Auf- on. Diese Zusammenarbeit erfolgt nach Maßgabe gaben der Krisenbewältigung einschließlich Frieden von Artikel III-213. Sie berührt nicht die Bestim- schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabi- mungen des Art. III-210. lisierung der Lage nach Konflikten. Mit allen diesen Missionen kann zur Bekämpfung des Terrorismus Abs. 7: Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das beigetragen werden, unter anderem auch durch die Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates müssen die an- Unterstützung für Drittstaaten bei der Bekämpfung deren Mitgliedstaaten gemäß Art. 51 der Charta der des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet. Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende Hil- fe und Unterstützung leisten. Dies lässt den beson- Abs.2: Der Rat erlässt die Europäischen Beschlüsse deren Charakter der Sicherheits- und Verteidi- über Missionen nach Absatz 1; (…). gungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt. Art. III-213: Art. III-195: Abs. 1: Die Mitgliedstaaten, die sich an der struktu- Die Mitgliedstaaten unterstützen die Gemeinsame rierten Zusammenarbeit i.S.d. Art. I-40 VI beteili- Außen- und Sicherheitspolitik aktiv und vorbehalt- gen möchten und hinsichtlich der militärischen Fä- los im Geiste der Loyalität und der gegenseitigen higkeiten die Kriterien erfüllen und die Verpflich- Solidarität. (…) Sie enthalten sich jeder Handlung, tungen eingehen, die in dem Protokoll über die die den Interessen der Union zuwiderläuft oder ihrer ständige strukturierte Zusammenarbeit enthalten Wirksamkeit als kohärente Kraft in den internatio- sind, teilen dem Rat und dem Außenminister der nalen Beziehungen schaden könnte. Der Rat und der Union ihre Absicht mit. Außenminister der Union tragen für die Einhaltung Art. III-282 dieser Grundsätze Sorge. Abs.1: Der Gerichtshof ist nicht zuständig in Bezug Art. III-210 [Petersberger Aufgaben]: auf die Artikel I-39 und I-40 (und) in Bezug auf Teil Abs. 1: Die in Artikel I-40 Abs.1 vorgesehenen III Titel V Kapitel II betreffend die Gemeinsame Missionen, bei deren Durchführung die Union auf Außen- und Sicherheitspolitik (…). zivile und militärische Mittel zurückgreifen kann, Wirtschaftlicher Bereich: Art. II-16 Unternehmerische Freiheit Art. III-33 Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Uni- Die Mitgliedstaaten sind bereit, über das Ausmaß onsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschrif- der Liberalisierung der Dienstleistungen, zu dem sie ten und Gepflogenheiten anerkannt. aufgrund Artikel III.29 I erlassenen Europäischen Rahmengesetze verpflichtet sind, hinauszugehen, Art. II-17 Abs. 2 Eigentumsrecht falls ihre wirtschaftliche Gesamtlage und die Lage Geistiges Eigentum wird geschützt. des betreffenden Wirtschaftszweigs dies zulassen. Art. III-29 Protokoll zur Änderung des EURATOM- Die Bestimmungen des freien Dienstleistungsver- Vertrages: kehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mit- (…) die Bestimmungen des Vertrages zur Gründung gliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat der der Europäischen Atomgemeinschaft (müssen) wei- Union als demjenigen des Leistungsempfängers an- terhin volle rechtliche Wirkung entfalten (…) sässig sind, sind nach Maßgabe dieses Unterab- schnitts verboten. -3-
Der Gott der EU-Verfassung Von Ulrich Duchrow* Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel von Prof. Ulrich Duchrow aus der „Zeitschrift Ent- wicklungspolitik“ (Heft 5/6/2004), der sich mit einer Reihe problematischer Bestimmungen des EU- Verfassungsentwurfs befasst. „Schöpfend aus den kulturellen, religiösen und hu- hören die Würde des Menschen, Freiheiten, Gleich- manistischen Überlieferungen Europas ... sind die heit, Solidarität, bürgerliche und justizielle Rechte. Hohen Vertragsparteien wie folgt übereingekom- Ohne in alle Einzelheiten gehen zu können, sind men: ...“ – so heißt es u.a. in der Präambel zu dem doch einige Beobachtungen angebracht. im Juli 2003 vom Europäischen Konvent abge- Als neues Grundrecht wird die unternehmerische schlossenen Entwurf der „Verfassung für Europa“. Freiheit eingeführt (Art.II.16). Die Brisanz dieser Verschiedenen Staaten ist das nicht genug. Sie for- Neuerung wird aber erst deutlich, wenn man sie zu- dern die Erwähnung des „christlichen Erbes“. Der sammensieht mit dem Artikel zum Eigentumsrecht Vorsitzende der Kommission der EU-Bischofskon- (II,17). Im deutschen Grundgesetz [2] heißt es in ei- ferenzen (COMECE), Bischof Josef Homeyer, der nem ersten Abschnitt (Art. 14.1): „Das Eigentum und vormalige Ratsvorsitzende der EKD, Präses Kock, das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und sowie die CDU/CSU plädierten darüber hinaus für Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.“ Hier einen ausdrücklichen Bezug auf „Gott“ in der Ver- wird also Eigentum von vornherein nicht absolut ge- fassung.[1] setzt, sondern im Blick darauf relativiert, was vom Wie immer man diese Diskussion beurteilen mag, Gesetzgeber als Inhalt und Grenzen bestimmt wird. interessant wäre es gewesen, wenn die Kirchen sich Unternehmerische Freiheit auch einmal gefragt hätten, welcher Gott denn in- haltlich in dem vorliegenden Entwurf der Verfas- Im EU-Verfassungsentwurf dagegen steht ohne sung angebetet wird. Auch die europäischen Kreuz- wenn und aber: „Jeder Mensch hat das Recht, sein züge beriefen sich auf Gott. Auch Herr George W. rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu Bush, auch Herr Osama Bin Laden führen Gott im nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben.“ Im Munde und meinen damit imperialen Staats- und an- Grundgesetz folgt dann Art. 14.2: „Eigentum ver- ti-imperialen Gegenterror. Und der europäische Ver- pflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle fassungsentwurf? der Allgemeinheit dienen“. Daraus wird in der EU- Verfassung (II.17.1): „Die Nutzung des Eigentums Er beginnt zunächst mit hehren Grundsätzen und Zie- kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das len. Unter den genannten „Werten“ finden sich Frei- Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist.“ heit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität (I.2). Unter den Zielen fällt bereits auf, dass nach den all- Wenn man auf diesen Unterschied aufmerksam gemeinen Zielen, Frieden, Werte und Wohlergehen macht, so geht es nicht um belanglose Spitzfindigkei- zu fördern (I.3.1), als oberstes konkretes Ziel „Frei- ten, sondern um eine fundamentale Verschiebung der heit ... ohne Binnengrenzen“ und ein Binnenmarkt Gewichte weg von der Sozialpflichtigkeit des Eigen- „mit freiem unverfälschten Wettbewerb“ angegeben tums, die der Gesetzgeber die Pflicht hat durchzuset- wird (I.3.2). Als Grundlage für die Entwicklung Eu- zen („soll“!) hin zur grundsätzlichen Herrschaft des ropas wird dann zwar noch von der „sozialen Markt- Eigentums, dessen Nutzung der Gesetzgeber allen- wirtschaft“ gesprochen, aber qualifiziert als „wettbe- falls in Richtung auf Gemeinwohl beeinflussen kann werbsfähige soziale Marktwirtschaft“ (I.3.3). – wenn denn die politischen Kräfteverhältnisse dazu ausreichen, um ihn dazu zu zwingen. Für die interna- Die dann folgende Zielbestimmung im internationa- tionalen Beziehungen wird dann noch eins draufge- len Bereich beginnt lapidar mit dem Satz: „In ihren setzt, indem ausdrücklich hinzugefügt wird: „Geisti- Beziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert die ges Eigentum wird geschützt“ (II.17.2). Damit be- Union ihre Werte und Interessen“ (I.4.4). Auch will kommen die TRIPS-Abkommen der WTO mit ihren sie beitragen zu „Frieden, Sicherheit, nachhaltiger verheerenden Folgen für die Grundversorgung der Entwicklung etc.“, aber gekoppelt mit „freiem und Völker, z.B. mit Saatgut und Medikamenten, in Eu- gerechtem Handel“. Innerhalb der Union werden „der ropa Verfassungsrang! freie Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapi- talverkehr sowie die Niederlassungsfreiheit“ garan- Solidarität tiert. Was dies alles konkret bedeutet, wird an den Unter den Grundrechten findet sich auch die Solida- weiteren Teilen des Entwurfs zu prüfen sein. rität. Im Teil I der Verfassung war dieses Stichwort Immerhin ist es nach harten Kämpfen im Konvent nur allgemein in den Werten und Zielen aufgetaucht gelungen, als Teil II der Verfassung die Charta der und konkret im Zusammenhang der Terrorismusbe- Grundrechte der Union zu integrieren. Zu ihnen ge- kämpfung (I.42). Nun wird es als soziales Grund- -4-
recht angesprochen und kommentiert (II.27-38). Waren- und Zahlungsverkehr – Wettbewerb Dabei ist zunächst festzustellen, dass ein wichtiges Zu 2: Im Abschnitt über freien Warenverkehr stecken soziales Recht fehlt: das garantierte Recht auf Ren- mindestens zwei Probleme. Einmal kann der Waren- te. Der Zugang zu allen anderen sozialen Rechten verkehr aus Drittländern beschränkt werden (III.36.2) und Diensten wird unter einen Vorbehalt gestellt: – ein bekannter gravierender Nachteil für die Agrar- „... nach Maßgabe des Unionsrechts und der einzel- produkte der Entwicklungsländer. Zum anderen lässt staatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenhei- sich ein Druck auf öffentliche Einrichtungen in Rich- ten“. Was das konkret bedeutet, zeigt sich in Teil tung Privatisierung feststellen: „Die Mitgliedsländer III, der Darlegung der Politikbereiche. formen ihre staatlichen Handelsmonopole derart um, Die internen Politikbereiche (Titel III) führt an – dass jede Diskriminierung in den Versorgungs- und was anderes wäre zu erwarten? – der Binnenmarkt. Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der Dabei werden entfaltet: 1. Freizügigkeit und freier Mitgliedsstaaten ausgeschlossen ist“ (III.44). Dienstleistungsverkehr, 2. freier Warenverkehr, 3. Zu 3: Im Kapital- und Zahlungsverkehr sind Be- freier Kapital- und Zahlungsverkehr, 4. die Wettbe- schränkungen nicht nur zwischen den Mitgliedsstaa- werbsregeln, 5. die steuerlichen und 6. die Rechts- ten, sondern auch zwischen ihnen und dritten Län- vorschriften. dern verboten. Damit wären nun endgültig politi- Freizügigkeit und Dienstleistungsverkehr sche Instrumente, z.B. gegen spekulative Angriffe auf die Währung, ausgeschlossen. Zu 1: Ausländische Arbeitnehmer von außerhalb der Union sind von der Freizügigkeit ausgenommen Zu 4: Der Abschnitt über Wettbewerbsregeln ver- (III.25). Damit bleibt das Problem ausgeklammert, bietet in Artikel III.55 ausdrücklich, dass Staaten im dass Kapital global mobil sein darf, nicht aber die allgemeinen Interesse öffentliche Unternehmen be- Menschen, die Opfer jener Mobilität sind. Was sonders fördern können: „Die Mitgliedsstaaten wer- mögliche Beschränkungen des freien Dienstleis- den in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf tungsverkehrs von Anbietern innerhalb der Union Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließ- betrifft, so sind sie „verboten“ (III.29). Dieses Ver- liche Rechte gewähren, keine den Bestimmungen bot kann durch Gesetze auf Anbieter aus Drittlän- der Verfassung und insbesondere deren Artikel I.4.2 dern ausgedehnt werden. Die Liberalisierung der mit (gegen die Diskriminierung von ausländischen Fir- dem Kapitalverkehr verbundenen Dienstleistungen men) und den Artikeln III.55 bis III.58 widerspre- der Banken und Versicherungen soll „im Einklang chende Maßnahmen treffen oder beibehalten.“ mit der Liberalisierung des Kapitalverkehrs durch- Nach III.56 „sind Beihilfen der Mitgliedstaaten oder geführt“ werden (III.31). aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich Im Thema der Dienstleistungen liegt ein massives welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Problem verborgen, das sowohl die soziale Zukunft Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbe- Europas wie auch der Entwicklungsländer betrifft. werb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit Es hängt zusammen mit den GATS-Verhandlungen dem Binnenmarkt unvereinbar“. im Rahmen der WTO. Hier hat die EU von allen Hierbei handelt es sich faktisch um einen Anschlag Ländern die Liberalisierung (und damit Privatisie- auf das innerhalb der EU besonders in Deutschland rung) auch in den „sensiblen“ Bereichen der Grund- ausgeprägte Prinzip der „öffentlichen Daseinsvorsor- versorgung gefordert (Wasser, Energie, Bildung, ge“ etwa in Form von Subventionen für das staatliche Gesundheit, Transport etc.), im Blick auf das Ange- Bildungswesen, öffentliche Medien etc. Dieser As- bot der eigenen Liberalisierung aber diese Bereiche pekt steht in unmittelbarem Zusammenhang mit (zunächst) angesichts des wachsenden öffentlichen GATS und der von der EU unterstützten Liberalisie- Drucks ausgeklammert. rung des Handels mit (bis heute öffentlichen) Dienst- Die Wirkungen auf die Entwicklungsländer sind be- leistungen. kanntlich verheerend (im bekanntesten Beispiel von Zu 5: Nur die indirekten Steuern sollen harmonisiert Cochabamba/Bolivien kam es zu bürgerkriegsartigen werden (III.62), nicht jedoch die direkten Steuern Zuständen, weil die Armen das privatisierte Trink- wie z.B. die Unternehmenssteuern. Gerade aber hier wasser nicht mehr zahlen konnten und wollten). müsste auf EU-Ebene das Steuerdumping der Kon- Aber auch in Europa selbst würde die weitere Libe- zerne gestoppt werden, einer der Hauptgründe für ralisierung und Privatisierung der grundlegenden die Überschuldung der öffentlichen Haushalte. Dienstleistungen, die die EU offenbar anstrebt und Insgesamt wird also der Binnenmarkt nicht nur als die bereits im Verfassungsentwurf enthalten ist, die oberster Politikbereich behandelt, sondern in ihm Tendenz zu einer Spaltung der Gesellschaft in zwei steht das private, nicht das soziale und öffentliche Klassen verschärfen. Kaufkräftige könnten sich Interesse an oberster Stelle. dann die Grundversorgung leisten, Nicht-Kauf- kräftige nicht. -5-
Privatwirtschaftliches Interesse an erster Stelle Union und Mitgliedsstaaten – so wird in Art. III.103 festgestellt – tragen bei der Verfolgung der Sozial- Dieser Trend wird noch einmal verschärft in dem politik „der Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähig- zweithöchsten Politikbereich, der Wirtschafts- und keit der Wirtschaft der Union zu erhalten, Rech- Währungspolitik. Art. III.69.1 stellt fest, dass sie nur nung“. Damit kann sowohl Lohndumping wie das einem einzigen Grundsatz verpflichtet ist, dem Entlassen der Kapitalseite aus den paritätischen „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit frei- Verpflichtungen der solidarischen Sozialsysteme em Wettbewerb“. Damit ist die Katze aus dem Sack. begründet werden. Kein Wort mehr von „sozialer“ Marktwirtschaft. Diese gehört in die Lyrik der allgemeinen „Werte Geradezu zynisch mutet es an, wenn im gleichen und Ziele“. Artikel festgestellt wird, dass das Wirken des Bin- nenmarktes die Abstimmungen der Sozialordnungen III.69.2 setzt noch eins drauf durch die „Geld- und der verschiedenen Mitgliedsstaaten „begünstigen“ Wechselkurspolitik, die beide vorrangig das Ziel der wird. Denn in der Realität heißt dies, dass sie alle Preisstabilität verfolgen und unbeschadet dieses Zie- dem Globalisierungsdruck des Sozialabbaus unter- les die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union un- worfen werden. ter Beachtung des Grundsatzes einer offenen Markt- wirtschaft mit freiem Wettbewerb unterstützen sol- Für den „Europäischen Sozialfonds“ wird darüber len“. Was das alles impliziert, wird in den folgenden hinaus die Flexibilisierung der Menschen im Inte- Artikeln in aller wünschenswerten Deutlichkeit aus- resse der Wirtschaft als Ziel angegeben, nämlich geführt. Dazu gehört u.a. erneut das Verbot, öffentli- „die berufliche Verwendbarkeit und die örtliche und che Einrichtungen besonders zu fördern (III.74). berufliche Mobilität der Arbeitnehmer zu fördern sowie die Anpassung an die industriellen Wand- Damit soll nun eine reine „freie“ Marktwirtschaft mit lungsprozesse und an Veränderungen der Produkti- monetaristischer Geldpolitik für Europa in der Ver- onssysteme insbesondere durch berufliche Bildung fassung festgeschrieben werden. Neoliberalismus als und Umschulung zu erleichtern“ (Art. III.113). Verfassungsgut. Das ist es, was auf uns zukommt, wenn diese Verfassung in Kraft treten sollte. Beim Abschnitt über die Landwirtschaft (III.121ff.) sucht man vergeblich nach Hinweisen auf Verträg- Beschäftigung und Sozialpolitik neoliberalen lichkeitsmaßnahmen hinsichtlich Ökologie und Vorstellungen unterworfen „Dritte Welt“. Als oberstes Ziel wird nach wie vor Nachdem Binnenmarkt sowie Wirtschafts- und angegeben: „die Produktivität ... durch Förderung Geldpolitik mit gewichtigen eigenen Kapiteln an des technischen Fortschritts, Rationalisierung der erster Stelle behandelt wurden, wendet sich nun der landwirtschaftlichen Erzeugung und den bestmögli- Verfassungsentwurf allem übrigen unter der verräte- chen Einsatz der Produktionsfaktoren, insbesondere rischen Bezeichnung „Die Politik in anderen Ein- der Arbeitskräfte, zu steigern“ (III.123). zelbereichen“ zu. Aus den übrigen „anderen“ Politikbereichen noch Das erste „Andere“ ist Beschäftigung. Gleich im eine Bemerkung zu 5., Umwelt (Art. III.129ff.), und Einleitungsartikel III.97 werden wir belehrt, wozu in 10., Energie (Art. III.157). Franz Alt hat darauf der EU eine Beschäftigungspolitik dient: „Die Uni- aufmerksam gemacht, dass über ein Zusatzprotokoll on und die Mitgliedstaaten arbeiten ... insbesondere zum Euratom-Vertrag nun auch die Atomenergie als auf die Förderung der Qualifizierung, Ausbildung privilegierte Energiequelle Verfassungsgut werden und Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer sowie soll.[3] Obwohl nur noch vier EU-Staaten langfris- der Fähigkeit der Arbeitsmärkte hin, auf die Erfor- tig auf Atomstrom setzen, wurde im Verfassungs- dernisse des wirtschaftlichen Wandels zu reagie- entwurf die Chance nicht genutzt, für die Zukunft ren.“ Das heißt im Klartext, Arbeitende und Ar- die erneuerbaren Energien zu privilegieren. beitsmärkte werden ausschließlich im Blick auf die Das auswärtige Handeln der Union (Titel V des III. Anpassung an die (neoliberal globalisierte) „offene Teils der Verfassung) hat mehrere Unterkapitel. Auch Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ gefördert. hier ist deren Hierarchie nicht uninteressant: 1. All- Dabei wird „das Ziel eines hohen Beschäftigungsni- gemein anwendbare Bestimmungen, 2. Außen- und veaus ... berücksichtigt“ (III.99.2). Sicherheitspolitik, 3. Handelspolitik, 4. Zusammen- Wie tröstlich angesichts der Tatsache, dass die arbeit mit Drittländern und humanitäre Hilfe usw. Durchführungsmaßnahmen der Wirtschaftsliberali- Umwandlung der EU in eine Militärmacht sierung und der monetaristischen Geldpolitik in den vorrangigen Kapiteln der Verfassung alle mit Ver- Zu 1: Die angeführten Grundsätze sind insgesamt zu boten und Sanktionen eisernes Gesetz sind! begrüßen. Sie reichen von Demokratie über Menschrechte und Solidarität bis zur Anerkennung Das zweite „Andere“ ist die Sozialpolitik. Auch sie des Völkerrechts gemäß den Grundsätzen der UN- wird komplett der neoliberal-monetaristischen Wirt- Charta. Auch gegen die Ziele wie die Förderung von schafts- und Geldpolitik untergeordnet. Denn die -6-
Sicherheit, Demokratie, Völkerrecht, Frieden usw. gen das ehemalige Jugoslawien und Afghanistan wä- lässt sich nichts einwenden. Ausdrücklich heißt es ren nun in Europa verfassungsmäßig legitimiert. So dann unter Ziel d): „die nachhaltige Entwicklung in wird man sich wahrscheinlich auch bald der Präven- Bezug auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt in tivkriegsstrategie der USA anschließen. den Entwicklungsländern zu fördern mit dem vor- Entwicklungspolitik, die Armut schafft rangigen Ziel, die Armut zu beseitigen“ (III.193.2). Damit wird das deutsche Grundgesetz endgültig Wie aber verhält sich dazu Ziel e):“ die Integration ausgehebelt. Es erlaubt nur Verteidigungskriege und aller Länder in die Weltwirtschaft zu fördern, unter enthält das Friedensgebot. Freilich hat es sich die anderem auch durch den allmählichen Abbau von deutsche Öffentlichkeit seit den neuen Richtlinien Beschränkungen des internationalen Handels“? des Verteidigungsministeriums im Jahr 1992 gefal- Was, wenn die Ziele d) und e) in Widerspruch zu- len lassen, auch die weltweite Sicherung der eigenen einander treten? Und was bedeutet in diesem Zu- wirtschaftlichen Interessen und die „Aufrechterhal- sammenhang Ziel h), „eine Weltordnung zu fördern, tung des freien Welthandels“ als Legitimation für die auf einer verstärkten multilateralen Zusammen- militärisches Eingreifen zuzulassen. Aber mit der arbeit und einer verantwortungsvollen Weltord- EU-Verfassung erhielte das Brechen des Grundge- nungspolitik beruht“? Analysieren wir zur Beant- setzes nachträglich und für alle voraussehbare Zu- wortung dieser Fragen die einzelnen Politikbereiche. kunft seine volle Rechtfertigung. Zu 2: Gleich Abschnitt 1, Gemeinsame Sicherheits- Bei Kapitel 3, Gemeinsame Handelspolitik, über- und Verteidigungspolitik gibt einen ersten Hinweis. rascht es kaum, dass noch einmal ein umfassendes Schon in Teil I hieß es unter Zuständigkeiten der U- Bekenntnis zur Liberalisierung abgelegt wird: nion: „Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre „Durch die Schaffung einer Zollunion zwischen den militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Mitgliedsstaaten beabsichtigt die Union, im gemein- Es wird ein Europäisches Amt für Rüstung, For- samen Interesse zur harmonischen Entwicklung des schung und militärische Fähigkeiten eingerichtet, Welthandels, zur schrittweisen Beseitigung der Be- dessen Aufgabe es ist, den operativen Bedarf zu er- schränkungen im internationalen Handelsverkehr mitteln und Maßnahmen zur Bedarfsdeckung zu för- und bei den ausländischen Direktinvestitionen sowie dern, zur Ermittlung von Maßnahmen zur Stärkung zum Abbau der Zoll- und anderer Schranken beizu- der industriellen und technologischen Grundlage des tragen“ (III.216). Im Artikel III.217 werden dann Verteidigungssektors beizutragen“ (Art. I.40). ausdrücklich Dienstleistungen, inklusive der kultu- Im Klartext: Die Verfassung soll einen Aufruf an rellen und audiovisuellen, eingeschlossen. die Mitgliedsstaaten zur permanenten Aufrüstung Wie kommt in dem allen die in Kapitel 4 nur sehr enthalten und gemeinsam soll ein Amt für Aufrüs- kurz behandelte „Entwicklungszusammenarbeit“ zu tung geschaffen werden, obwohl unter dessen Auf- stehen? Zwar wird hier als Hauptziel „die Bekämp- gaben auch Abrüstung genannt wird. Wozu soll die fung und auf längere Sicht die Beseitigung der Ar- Umwandlung der EU in eine Militärmacht dienen? mut“ festgestellt (III.218). Die Erreichung dieses Dazu heißt es in Art. III.210.1: „Die in Art. I.40.1 Hauptziels kann aber nur scheitern, wenn man die vorgesehenen Missionen, bei deren Durchführung zwei fundamentalen Widersprüche ins Auge fasst, die die Union auf zivile und militärische Mittel zurück- ihm im Rahmen dieser Verfassung entgegenstehen. greifen kann, umfassen gemeinsame Abrüstungs- Der erste besteht in der überragenden, die ganze Ver- maßnahmen, humanitäre Aufgaben und Rettungs- fassung durchziehenden Priorität der Liberalisierung. einsätze, Aufgaben der militärischen Beratung und Denn die Entwicklung von schwächeren Ländern im Unterstützung, Aufgaben der Konfliktverhütung und Rahmen der Weltwirtschaft kann nur mit Hilfe von der Erhaltung des Friedens sowie Kampfeinsätze im Schutzmaßnahmen der eigenen Wirtschaft gelingen. Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frie- den schaffender Maßnahmen und Operationen zur Das ist eine Binsenweisheit, die in der Geschichte Stabilisierung der Lage nach Konflikten. Mit allen des Kapitalismus hundertfach belegt werden kann. diesen Missionen kann zur Bekämpfung des Terro- Der zweite Widerspruch besteht darin, dass die rismus beigetragen werden, unter anderem auch Entwicklungszusammenarbeit im gleichen Artikel durch die Unterstützung für Drittstaaten bei der Be- III.218 ausdrücklich an die Politik der zuständigen kämpfung des Terrorismus“. internationalen Organisationen gebunden wird, d.h. u.a. an IWF, Weltbank und WTO. Auch hier ist em- Die EU soll also per Verfassung in eine weltweit pirisch feststellbar, dass deren Politik Armut schafft, operierende militärische Interventionsmacht umge- statt sie zu beseitigen. wandelt werden. Was das bedeutet, kann man un- schwer an den Strategieentwicklungen und fakti- Rückfall hinter das deutsche Grundgesetz schen Kriegen des vergangenen Jahrzehnts ablesen. Wirft man zum Schluss noch einen Blick auf die Ar- Die NATO hat sich bereits das Recht der Selbstman- tikel zur Arbeitsweise der Union (III.232ff.), so stellt datierung genommen. Auch Angriffskriege wie ge- -7-
man zwar eine vorsichtige Aufwertung des Europäi- Wettbewerb, deren zentrales Ziel die Vermehrung schen Parlaments fest, aber von einer eindeutig de- des Eigentums der Kapitaleigner ist. mokratisch-parlamentarischen Ordnung kann im Ver- Götze Marktwirtschaft fassungsentwurf keine Rede sein. Weder darf das Parlament den Kommissionspräsidenten wählen, Um diese Gottesfrage hätten sich die europäischen noch hat es das Recht zu eigenen Gesetzesinitiativen. Kirchen kümmern sollen. Dabei hätte ihnen der öku- Die Verfassung besiegelt auf absehbare Zeit das mas- menische Prozess zu den Fragen der Globalisierung sive Demokratiedefizit der Europäischen Union. helfen können. In dem Brief an die Kirchen in West- europa von 2002 in diesem Zusammenhang heißt es: Zusammenfassend kann man feststellen, dass der „Kirchen, die an dem ökumenischen Prozess ... teil- Verfassungsentwurf auf keine Weise dem Standard genommen haben, bekräftigten, dass die Ideologie des deutschen Grundgesetzes entspricht. Weder ist des Neoliberalismus unvereinbar ist mit der Vision die Sozialpflichtigkeit des Eigentums ausdrücklich der oikoumene, der Einheit der Kirche und der gan- erwähnt, noch das Sozialstaatsgebot, noch die Be- zen bewohnten Erde. Weitreichende und wachsende schränkung des Militärs auf Verteidigung, noch das Ungerechtigkeit, Ausschluss und Zerstörung sind der Friedensgebot, um nur einige entscheidende Punkte Gegensatz zum Teilen und zur Solidarität, die unab- zu nennen. Auf seiner Basis hätte man eine europäi- dingbar dazugehören, wenn wir Leib Christi sein sche Verfassung entwickeln können, die – ange- wollen. Was hier auf dem Spiel steht, ist die Qualität sichts der immer völkerrechtswidriger und unver- kirchlicher Gemeinschaft, die Zukunft des Gemein- antwortlicher handelnden US-Regierungen und an- wohls der Gesellschaft sowie die Glaubwürdigkeit gesichts der Übermacht der Finanzmärkte über de- des Bekenntnisses der Kirchen und ihrer Verkündi- mokratisch gewählte Regierungen (nach dem frühe- gung Gottes, der mit den Armen und für die Armen ren Präsidenten der Bundesbank, Tietmeyer, sollen da ist. Um der Integrität ihrer Gemeinschaft und ihres die Finanzmärkte als Fünfte Gewalt die Regierun- Zeugnisses willen, sind Kirchen aufgerufen, gegen gen kontrollieren) – die Vision eines Europa der so- die neoliberale Wirtschaftslehre und -praxis aufzutre- zialen und internationalen Gerechtigkeit, des Frie- ten und Gott zu folgen.“[6] dens und der Nachhaltigkeit in Rechtsformen fasst. Konkrete Vorschläge in dieser Richtung lagen dem Praktisch würde das für die Kirchen heißen, ge- Konvent vor.[4] meinsam mit Attac und dem Europäischen Sozialfo- rum zu fordern, dass der vorliegende neoliberale Welcher Gott wird stattdessen in dem Entwurf der EU-Verfassungsentwurf einer Volksabstimmung EU-Verfassung angebetet, welcher Gott soll uns in unterworfen wird, und dann dafür zu arbeiten, dass Zukunft regieren? Es ist der Gott der Neoliberalen. eine Mehrheit mit Nein dagegen stimmt. Es ist der Gott der Konzerne, der Gott der militäri- schen Stärke zur Durchsetzung der eigenen Interes- Anmerkungen sen. Es ist der Gott der Starken im absoluten Wett- 1. Vgl. zu dieser Diskussion EKD, Europa- bewerb. Es ist nicht der Gott, für den das Leben al- Informationen Nr. 99, Nov./Dez. 2003. ler Menschen und darum das Leben der Armen zu- 2. Dazu vgl. U. Duchrow/F.J. Hinkelammert, erst wichtig ist. Es ist nicht der Gott des Friedens Leben ist mehr als Kapital. Alternativen zur auf der Basis der Gerechtigkeit. Es ist nicht der globalen Diktatur des Eigentums, Oberursel Gott, der die Schöpfung liebt und sie darum in all 2002, S. 97ff. ihrer Vielfalt und Schönheit erhalten will. 3. In: Publik-Forum, 16/2003, S. 21. Im Gegenteil: Wie es im Klartext eines der Väter 4. Vgl. die vorzüglichen Eingaben der Europa- des Neoliberalismus, Friedrich von Hayek, heißt, abgeordneten Sylvia-Yvonne Kaufmann im können Menschen, die nicht den Kriterien des Ei- Europäischen Konvent, „Ein Verfassungsver- gentums und Vertrags als Grundelementen des kon- trag für ein soziales Europa“ (Conv 190/1/02 kurrenzgesteuerten Markts (zur Kapitalakkumulati- Rev.1, 15.07.2002) und „Anforderungen an on) genügen, geopfert werden: „Eine freie (Markt-) den Verfassungsvertrag für eine friedensfähi- Gesellschaft benötigt moralische Regeln, die sich ge Europäische Union“ (Conv 681/03, Contrib letztendlich darauf zusammenfassen lassen, dass sie 303, 19.05.2003). Leben erhalten: nicht die Erhaltung aller Leben, 5. In einem Interview im Mercurio, Santiago de weil es notwendig sein kann, individuelles Leben zu Chile, vom 19.4.81. Vgl. Duchrow/Hinkelam- opfern, um eine größere Zahl von anderen Leben zu mert, aaO. erhalten. 6. Vgl. epd-Dokumentation 43a/2002, S. 9. Deshalb sind die einzig wirklichen moralischen Re- * Der Autor ist Professor für systematische Theolo- geln diejenigen, die zum ‘Lebenskalkül’ führen: das gie an der Universität Heidelberg und Mitarbeiter Privateigentum und der Vertrag.“[5] Genau dies a- von Kairos Europa. ber tut die EU-Verfassung, sie opfert die Menschen dem Götzen der offenen Marktwirtschaft mit freiem -8-
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