Informationsblatt zur EU-Verfassung

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Informationsblatt zur EU-Verfassung
      Inhalt:
         • Die Fakten der EU-Verfassung
         • Ulrich Duchrow: Der Gott der EU-Verfassung

Die Fakten der EU-Verfassung
Eine Handreichung für die öffentliche Diskussion – Mit wichtigen Textauszügen aus
der Verfassung

Wussten Sie, dass der Verfassungsentwurf für             griff eines fremden Staates als völkerrechtliche Vor-
die EU                                                   raussetzung für militärische Verteidigung ist dann
                                                         nicht mehr notwendig. Eine Selbstmandatierung
  •    eine Aufrüstungsverpflichtung für die Mit-
                                                         durch den EU-Ministerrat folgt dem schlechten
       gliedstaaten enthält?
                                                         Vorbild der US-Präventivkriegsstrategie und bedeu-
  •    eine Agentur für die Kontrolle und Umset-         tet den klaren Bruch des Völkerrechts.
       zung der Aufrüstung vorsieht?
  •    nicht einmal eine Kontrolle der Außenpolitik      Um diese militärischen Möglichkeiten effektiv nut-
       des Ministerrats durch den europäischen Ge-       zen zu können, werden die Mitgliedstaaten ver-
       richtshof ermöglicht?                             pflichtet, "ihre militärischen Fähigkeiten schrittwei-
                                                         se zu verbessern" (Art.I-40 Abs.3). Zur Kontrolle
Die EU-Verfassung soll den EU-Vertrag ersetzen,          wird zugleich eine Agentur für Rüstung, Forschung
die bislang ungeschriebenen Grundrechte der Bürge-       und militärische Fähigkeiten eingerichtet. Die Agen-
rinnen und Bürger normieren und die EU zu einem          tur soll auch untersuchen, inwieweit eine Stärkung
hochgerüsteten Militärbündnis mit weitgehenden           der industriellen und technologischen Grundlage des
Eingriffsrechten ausbauen.                               Verteidigungssektors erreicht werden kann. Damit
Neben der großen Idee einer politischen Einheit al-      wird eine noch engere Zusammenarbeit mit der Rüs-
ler europäischen Staaten werden damit auch Ziele         tungsindustrie angestrebt. Es ist interessant, dass
und Aufgaben festgeschrieben, die mit dem Grund-         ähnliche Anstrengungen für den sozialen Bereich
gedanken unseres Grundgesetzes nicht vereinbar           völlig fehlen.
sind.                                                    Da die militärischen Kapazitäten nicht in jedem
Hierüber findet bewusst keine öffentliche Debatte        Mitgliedstaat gleich stark sind, soll ferner eine so
statt!                                                   genannte "strukturierte Zusammenarbeit" derjenigen
In Art.III-210 heißt es u. a. dass die vorgesehenen      Staaten erfolgen, "die anspruchsvollere Kriterien in
Missionen "Kampfeinsätze im Rahmen der Krisen-           Bezug auf die militärischen Fähigkeiten" (Art. III-
bewältigung einschließlich Frieden schaffender           213). Es ist klar, dass damit der Weg zu einem
Maßnahmen" umfassen. Derartige Vorhaben werden           "Kerneuropa" geöffnet ist. Dieser Kern entscheidet
allein von dem EU-Ministerrat beschlossen. Frie-         nämlich allein darüber, wer in den Kreis der "Privi-
densorientierte Kräfte, die in das EU-Parlament ge-      legierten" aufgenommen wird.
wählt werden können, haben auf die Entscheidung          Verpasste (?) Chance – Fortsetzung der freien
keinen Einfluss. Aufgrund der Verpflichtung jedes        Marktwirtschaft
Mitgliedstaates, die Gemeinsame Außen- und Si-
cherheitspolitik aktiv und vorbehaltlos zu unterstüt-    Die EU-Mitgliedstaaten haben sich für die Beibehal-
zen und die Rechtsakte in diesem Bereich zu achten,      tung einer freien und offenen Marktwirtschaft aus-
wird eine Abstimmung in den jeweiligen nationalen        gesprochen. Die Werteverschiebung geht dabei ein-
Parlamenten zur Farce.                                   deutig zu Lasten einer sozialen Absicherung. Die
                                                         Solidargemeinschaft wie sie ihren Ausdruck in der
Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt uns, dass die      sozialen Marktwirtschaft wenigstens ansatzweise
unmittelbare Bezugnahme auf den Terrorismus und          findet, wird durch eine Individualisierung auf allen
die Einsatzmöglichkeiten innerhalb eines Drittstaa-      Ebenen beseitigt. Zwar nimmt die EU-Verfassung
tes ein Instrumentarium ist, das leicht für ganz ande-   wie bisher schon der EU-Vertrag Bezug auf die so-
re Machtinteressen benutzt werden kann. Der An-          ziale Marktwirtschaft. Die Ausrichtung auf den of-

                                                     -1-
fenen und freien Wettbewerb nimmt aber insgesamt               nach der Übereinkunft ist die Herstellung von
einen weit größeren Raum ein. So soll die soziale              Nachahmerprodukten für zwanzig Jahre ver-
Marktwirtschaft zusätzlich "in hohem Maße wett-                boten.
bewerbsfähig" sein. Heute zeigt sich in zahlreichen            Auch werden sich künftig Medikamente für
europäischen Staaten ein massiver Abbau sozialer               die armen Länder enorm verteuern, da Patente
Rechte gerade mit der Begründung eben dieser                   gerade im pharmazeutischen Sektor angestrebt
Wettbewerbsfähigkeit. Dies ist kein nationales Prob-           werden. Die EU passt sich dieser Verände-
lem sondern die logische Folge des auf EU-Ebene                rung widerspruchslos an.
bereits seit 1957 im EG-Vertrag vorgeschriebenen           •   Es wird ein Grundrecht auf unternehmerische
Weges umfassender Liberalisierung. Zentrale Be-                Freiheit gewährt. Ein Recht auf Arbeit, wie es
deutung erlangen hierbei die vier Grundfreiheiten:             bereits die Weimarer Reichsverfassung bein-
1. Warenverkehrsfreiheit 2. Dienstleistungsfreiheit            haltete, ist nicht vorgesehen.
3. Niederlassungsfreiheit 4. Kapitalverkehrsfreiheit.      •   Erschreckend ist ferner, dass der EURATOM-
Sie sind auch im EU-Verfassungsentwurf wichtigs-               Vertrag, der die Kernenergie als "eine unent-
tes Element der Wirtschaftspolitik. Die aus dem EU-            behrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und
Vertrag übernommenen Regelungen zur Wirtschaft                 Belebung der Wirtschaft und für den friedli-
werden durch folgende Neuerungen erweitert:                    chen Fortschritt" ansieht, weiter volle Gültig-
                                                               keit haben soll. Hinzu kommt, dass die EU
  •   Die Eigentumsfreiheit soll ohne Sozialpflich-            erstmals im Energie-Bereich eine eigene
      tigkeit garantiert werden. Dies stellt eine Ab-          Kompetenz zur Gesetzgebung erhalten soll
      weichung zum Grundgesetz dar, das das Ei-                und so maßgeblich Einfluss auf nationale E-
      gentum (auch von Produktionsmitteln) aus-                nergievorstellungen nehmen kann. Es ist zu
      drücklich einer sozialen Verpflichtung unter-            befürchten, dass erneuerbare Energien vor
      wirft.                                                   dem Hintergrund des EURATOM-Vertrages
  •   Neu ist ferner der Schutz des geistigen Eigen-           hinter die Kernenergie zurücktreten müssen.
      tums. Dies ist eine Umsetzung des umstritte-         •   Abschließend bleibt festzustellen, dass die
      nen TRIPS-Abkommens der WTO-Staaten.                     EU-Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik,
      Diese Vereinbarung sieht vor, dass sich inter-           die die Schere zwischen arm und reich immer
      national führende Konzerne wie Monsanto                  weiter öffnet, unverändert forcieren.
      Patente auf lebenswichtige Lebensmittel wie
      Reis und Saatgut aber auch Technologien ein-      Noch besteht die Möglichkeit, durch Protest von un-
      tragen lassen können und dadurch den Men-         ten Druck auf die Regierungen aufzubauen, um die-
      schen vor allem in der Dritten Welt die Chan-     ser Politik Einhalt zu gebieten. Alle Bürgerinnen
      ce zur eigenen Entwicklung nehmen. Denn           und Bürger der EU sind hierzu aufgefordert.

Auszüge aus dem neuesten EU-Verfassungsentwurf
Die Weichenstellung für ein militarisiertes Europa im EU-Verfassungsentwurf:
Art. I-40                                               lichen Vorschriften einen Beschluss zu diesem
Abs. 1: Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidi-       Zweck zu erlassen. (…).
gungspolitik (ESVP) ist integraler Bestandteil der
                                                        Abs. 3: (…) Die Mitgliedstaaten verpflichten sich,
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik
                                                        ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu
(GASP). Sie sichert der Union die auf zivile und mi-
                                                        verbessern. Es wird ein Europäisches Agentur für
litärische Mittel gestützte Fähigkeit zu Operationen.
                                                        Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten
Auf diese kann die Union bei Missionen außerhalb
                                                        eingerichtet, dessen Aufgabe es ist, den operativen
der Union zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung
                                                        Bedarf zu ermitteln und Maßnahmen zur Bedarfsde-
und Stärkung der internationalen Sicherheit gemäß
                                                        ckung zu fördern, zur Ermittlung von Maßnahmen
den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen
                                                        zur Stärkung der industriellen und technologischen
zurückgreifen. Sie erfüllt diese Aufgaben mit Hilfe
                                                        Grundlage des Verteidigungssektors beizutragen
der Fähigkeiten, die von den Mitgliedstaaten bereit-
                                                        und diese Maßnahmen gegebenenfalls durchzufüh-
gestellt werden.
                                                        ren, sich an der Festlegung einer europäischen Poli-
Abs. 2: Die ESVP umfasst die schrittweise Festle-       tik im Bereich Fähigkeiten und Rüstung zu beteili-
gung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der         gen sowie den Rat bei der Beurteilung der Verbesse-
Union. Diese führt zu einer gemeinsamen Verteidi-       rung der militärischen Fähigkeiten zu unterstützen.
gung, sobald der Europäische Rat einstimmig dar-
                                                        Abs. 6: Die Mitgliedstaaten, die anspruchsvollere
über beschlossen hat. Er empfiehlt in diesem Fall
                                                        Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten
den Mitgliedstaaten, gemäß ihren verfassungsrecht-
                                                        erfüllen und die im Hinblick auf Missionen mit

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höchsten Anforderungen untereinander festere Ver-        umfassen gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, hu-
pflichtungen eingegangen sind, begründen eine            manitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, Aufgaben
strukturierte Zusammenarbeit im Rahmen der Uni-          der militärischen Beratung und Unterstützung, Auf-
on. Diese Zusammenarbeit erfolgt nach Maßgabe            gaben der Krisenbewältigung einschließlich Frieden
von Artikel III-213. Sie berührt nicht die Bestim-       schaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabi-
mungen des Art. III-210.                                 lisierung der Lage nach Konflikten. Mit allen diesen
                                                         Missionen kann zur Bekämpfung des Terrorismus
Abs. 7: Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das
                                                         beigetragen werden, unter anderem auch durch die
Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates müssen die an-
                                                         Unterstützung für Drittstaaten bei der Bekämpfung
deren Mitgliedstaaten gemäß Art. 51 der Charta der
                                                         des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet.
Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende Hil-
fe und Unterstützung leisten. Dies lässt den beson-      Abs.2: Der Rat erlässt die Europäischen Beschlüsse
deren Charakter der Sicherheits- und Verteidi-           über Missionen nach Absatz 1; (…).
gungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.
                                                         Art. III-213:
Art. III-195:                                            Abs. 1: Die Mitgliedstaaten, die sich an der struktu-
Die Mitgliedstaaten unterstützen die Gemeinsame          rierten Zusammenarbeit i.S.d. Art. I-40 VI beteili-
Außen- und Sicherheitspolitik aktiv und vorbehalt-       gen möchten und hinsichtlich der militärischen Fä-
los im Geiste der Loyalität und der gegenseitigen        higkeiten die Kriterien erfüllen und die Verpflich-
Solidarität. (…) Sie enthalten sich jeder Handlung,      tungen eingehen, die in dem Protokoll über die
die den Interessen der Union zuwiderläuft oder ihrer     ständige strukturierte Zusammenarbeit enthalten
Wirksamkeit als kohärente Kraft in den internatio-       sind, teilen dem Rat und dem Außenminister der
nalen Beziehungen schaden könnte. Der Rat und der        Union ihre Absicht mit.
Außenminister der Union tragen für die Einhaltung
                                                         Art. III-282
dieser Grundsätze Sorge.
                                                         Abs.1: Der Gerichtshof ist nicht zuständig in Bezug
Art. III-210 [Petersberger Aufgaben]:                    auf die Artikel I-39 und I-40 (und) in Bezug auf Teil
Abs. 1: Die in Artikel I-40 Abs.1 vorgesehenen           III Titel V Kapitel II betreffend die Gemeinsame
Missionen, bei deren Durchführung die Union auf          Außen- und Sicherheitspolitik (…).
zivile und militärische Mittel zurückgreifen kann,

Wirtschaftlicher Bereich:
Art. II-16 Unternehmerische Freiheit                     Art. III-33
Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Uni-         Die Mitgliedstaaten sind bereit, über das Ausmaß
onsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschrif-      der Liberalisierung der Dienstleistungen, zu dem sie
ten und Gepflogenheiten anerkannt.                       aufgrund Artikel III.29 I erlassenen Europäischen
                                                         Rahmengesetze verpflichtet sind, hinauszugehen,
Art. II-17 Abs. 2 Eigentumsrecht
                                                         falls ihre wirtschaftliche Gesamtlage und die Lage
Geistiges Eigentum wird geschützt.
                                                         des betreffenden Wirtschaftszweigs dies zulassen.
Art. III-29
                                                         Protokoll zur Änderung des EURATOM-
Die Bestimmungen des freien Dienstleistungsver-
                                                         Vertrages:
kehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mit-
                                                         (…) die Bestimmungen des Vertrages zur Gründung
gliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat der
                                                         der Europäischen Atomgemeinschaft (müssen) wei-
Union als demjenigen des Leistungsempfängers an-
                                                         terhin volle rechtliche Wirkung entfalten (…)
sässig sind, sind nach Maßgabe dieses Unterab-
schnitts verboten.

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Der Gott der EU-Verfassung
Von Ulrich Duchrow*
Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel von Prof. Ulrich Duchrow aus der „Zeitschrift Ent-
wicklungspolitik“ (Heft 5/6/2004), der sich mit einer Reihe problematischer Bestimmungen des EU-
Verfassungsentwurfs befasst.
„Schöpfend aus den kulturellen, religiösen und hu-       hören die Würde des Menschen, Freiheiten, Gleich-
manistischen Überlieferungen Europas ... sind die        heit, Solidarität, bürgerliche und justizielle Rechte.
Hohen Vertragsparteien wie folgt übereingekom-           Ohne in alle Einzelheiten gehen zu können, sind
men: ...“ – so heißt es u.a. in der Präambel zu dem      doch einige Beobachtungen angebracht.
im Juli 2003 vom Europäischen Konvent abge-
                                                         Als neues Grundrecht wird die unternehmerische
schlossenen Entwurf der „Verfassung für Europa“.
                                                         Freiheit eingeführt (Art.II.16). Die Brisanz dieser
Verschiedenen Staaten ist das nicht genug. Sie for-
                                                         Neuerung wird aber erst deutlich, wenn man sie zu-
dern die Erwähnung des „christlichen Erbes“. Der
                                                         sammensieht mit dem Artikel zum Eigentumsrecht
Vorsitzende der Kommission der EU-Bischofskon-
                                                         (II,17). Im deutschen Grundgesetz [2] heißt es in ei-
ferenzen (COMECE), Bischof Josef Homeyer, der
                                                         nem ersten Abschnitt (Art. 14.1): „Das Eigentum und
vormalige Ratsvorsitzende der EKD, Präses Kock,
                                                         das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und
sowie die CDU/CSU plädierten darüber hinaus für
                                                         Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.“ Hier
einen ausdrücklichen Bezug auf „Gott“ in der Ver-
                                                         wird also Eigentum von vornherein nicht absolut ge-
fassung.[1]
                                                         setzt, sondern im Blick darauf relativiert, was vom
Wie immer man diese Diskussion beurteilen mag,           Gesetzgeber als Inhalt und Grenzen bestimmt wird.
interessant wäre es gewesen, wenn die Kirchen sich
                                                         Unternehmerische Freiheit
auch einmal gefragt hätten, welcher Gott denn in-
haltlich in dem vorliegenden Entwurf der Verfas-         Im EU-Verfassungsentwurf dagegen steht ohne
sung angebetet wird. Auch die europäischen Kreuz-        wenn und aber: „Jeder Mensch hat das Recht, sein
züge beriefen sich auf Gott. Auch Herr George W.         rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu
Bush, auch Herr Osama Bin Laden führen Gott im           nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben.“ Im
Munde und meinen damit imperialen Staats- und an-        Grundgesetz folgt dann Art. 14.2: „Eigentum ver-
ti-imperialen Gegenterror. Und der europäische Ver-      pflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle
fassungsentwurf?                                         der Allgemeinheit dienen“. Daraus wird in der EU-
                                                         Verfassung (II.17.1): „Die Nutzung des Eigentums
Er beginnt zunächst mit hehren Grundsätzen und Zie-
                                                         kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das
len. Unter den genannten „Werten“ finden sich Frei-
                                                         Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist.“
heit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität (I.2).
Unter den Zielen fällt bereits auf, dass nach den all-   Wenn man auf diesen Unterschied aufmerksam
gemeinen Zielen, Frieden, Werte und Wohlergehen          macht, so geht es nicht um belanglose Spitzfindigkei-
zu fördern (I.3.1), als oberstes konkretes Ziel „Frei-   ten, sondern um eine fundamentale Verschiebung der
heit ... ohne Binnengrenzen“ und ein Binnenmarkt         Gewichte weg von der Sozialpflichtigkeit des Eigen-
„mit freiem unverfälschten Wettbewerb“ angegeben         tums, die der Gesetzgeber die Pflicht hat durchzuset-
wird (I.3.2). Als Grundlage für die Entwicklung Eu-      zen („soll“!) hin zur grundsätzlichen Herrschaft des
ropas wird dann zwar noch von der „sozialen Markt-       Eigentums, dessen Nutzung der Gesetzgeber allen-
wirtschaft“ gesprochen, aber qualifiziert als „wettbe-   falls in Richtung auf Gemeinwohl beeinflussen kann
werbsfähige soziale Marktwirtschaft“ (I.3.3).            – wenn denn die politischen Kräfteverhältnisse dazu
                                                         ausreichen, um ihn dazu zu zwingen. Für die interna-
Die dann folgende Zielbestimmung im internationa-
                                                         tionalen Beziehungen wird dann noch eins draufge-
len Bereich beginnt lapidar mit dem Satz: „In ihren
                                                         setzt, indem ausdrücklich hinzugefügt wird: „Geisti-
Beziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert die
                                                         ges Eigentum wird geschützt“ (II.17.2). Damit be-
Union ihre Werte und Interessen“ (I.4.4). Auch will
                                                         kommen die TRIPS-Abkommen der WTO mit ihren
sie beitragen zu „Frieden, Sicherheit, nachhaltiger
                                                         verheerenden Folgen für die Grundversorgung der
Entwicklung etc.“, aber gekoppelt mit „freiem und
                                                         Völker, z.B. mit Saatgut und Medikamenten, in Eu-
gerechtem Handel“. Innerhalb der Union werden „der
                                                         ropa Verfassungsrang!
freie Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapi-
talverkehr sowie die Niederlassungsfreiheit“ garan-      Solidarität
tiert. Was dies alles konkret bedeutet, wird an den
                                                         Unter den Grundrechten findet sich auch die Solida-
weiteren Teilen des Entwurfs zu prüfen sein.             rität. Im Teil I der Verfassung war dieses Stichwort
Immerhin ist es nach harten Kämpfen im Konvent           nur allgemein in den Werten und Zielen aufgetaucht
gelungen, als Teil II der Verfassung die Charta der      und konkret im Zusammenhang der Terrorismusbe-
Grundrechte der Union zu integrieren. Zu ihnen ge-       kämpfung (I.42). Nun wird es als soziales Grund-

                                                     -4-
recht angesprochen und kommentiert (II.27-38).           Waren- und Zahlungsverkehr – Wettbewerb
Dabei ist zunächst festzustellen, dass ein wichtiges
                                                         Zu 2: Im Abschnitt über freien Warenverkehr stecken
soziales Recht fehlt: das garantierte Recht auf Ren-
                                                         mindestens zwei Probleme. Einmal kann der Waren-
te. Der Zugang zu allen anderen sozialen Rechten
                                                         verkehr aus Drittländern beschränkt werden (III.36.2)
und Diensten wird unter einen Vorbehalt gestellt:
                                                         – ein bekannter gravierender Nachteil für die Agrar-
„... nach Maßgabe des Unionsrechts und der einzel-
                                                         produkte der Entwicklungsländer. Zum anderen lässt
staatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenhei-
                                                         sich ein Druck auf öffentliche Einrichtungen in Rich-
ten“. Was das konkret bedeutet, zeigt sich in Teil
                                                         tung Privatisierung feststellen: „Die Mitgliedsländer
III, der Darlegung der Politikbereiche.
                                                         formen ihre staatlichen Handelsmonopole derart um,
Die internen Politikbereiche (Titel III) führt an –      dass jede Diskriminierung in den Versorgungs- und
was anderes wäre zu erwarten? – der Binnenmarkt.         Absatzbedingungen zwischen den Angehörigen der
Dabei werden entfaltet: 1. Freizügigkeit und freier      Mitgliedsstaaten ausgeschlossen ist“ (III.44).
Dienstleistungsverkehr, 2. freier Warenverkehr, 3.
                                                         Zu 3: Im Kapital- und Zahlungsverkehr sind Be-
freier Kapital- und Zahlungsverkehr, 4. die Wettbe-
                                                         schränkungen nicht nur zwischen den Mitgliedsstaa-
werbsregeln, 5. die steuerlichen und 6. die Rechts-
                                                         ten, sondern auch zwischen ihnen und dritten Län-
vorschriften.
                                                         dern verboten. Damit wären nun endgültig politi-
Freizügigkeit und Dienstleistungsverkehr                 sche Instrumente, z.B. gegen spekulative Angriffe
                                                         auf die Währung, ausgeschlossen.
Zu 1: Ausländische Arbeitnehmer von außerhalb der
Union sind von der Freizügigkeit ausgenommen             Zu 4: Der Abschnitt über Wettbewerbsregeln ver-
(III.25). Damit bleibt das Problem ausgeklammert,        bietet in Artikel III.55 ausdrücklich, dass Staaten im
dass Kapital global mobil sein darf, nicht aber die      allgemeinen Interesse öffentliche Unternehmen be-
Menschen, die Opfer jener Mobilität sind. Was            sonders fördern können: „Die Mitgliedsstaaten wer-
mögliche Beschränkungen des freien Dienstleis-           den in Bezug auf öffentliche Unternehmen und auf
tungsverkehrs von Anbietern innerhalb der Union          Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließ-
betrifft, so sind sie „verboten“ (III.29). Dieses Ver-   liche Rechte gewähren, keine den Bestimmungen
bot kann durch Gesetze auf Anbieter aus Drittlän-        der Verfassung und insbesondere deren Artikel I.4.2
dern ausgedehnt werden. Die Liberalisierung der mit      (gegen die Diskriminierung von ausländischen Fir-
dem Kapitalverkehr verbundenen Dienstleistungen          men) und den Artikeln III.55 bis III.58 widerspre-
der Banken und Versicherungen soll „im Einklang          chende Maßnahmen treffen oder beibehalten.“
mit der Liberalisierung des Kapitalverkehrs durch-
                                                         Nach III.56 „sind Beihilfen der Mitgliedstaaten oder
geführt“ werden (III.31).
                                                         aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich
Im Thema der Dienstleistungen liegt ein massives         welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter
Problem verborgen, das sowohl die soziale Zukunft        Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbe-
Europas wie auch der Entwicklungsländer betrifft.        werb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit
Es hängt zusammen mit den GATS-Verhandlungen             dem Binnenmarkt unvereinbar“.
im Rahmen der WTO. Hier hat die EU von allen
                                                         Hierbei handelt es sich faktisch um einen Anschlag
Ländern die Liberalisierung (und damit Privatisie-
                                                         auf das innerhalb der EU besonders in Deutschland
rung) auch in den „sensiblen“ Bereichen der Grund-
                                                         ausgeprägte Prinzip der „öffentlichen Daseinsvorsor-
versorgung gefordert (Wasser, Energie, Bildung,
                                                         ge“ etwa in Form von Subventionen für das staatliche
Gesundheit, Transport etc.), im Blick auf das Ange-
                                                         Bildungswesen, öffentliche Medien etc. Dieser As-
bot der eigenen Liberalisierung aber diese Bereiche
                                                         pekt steht in unmittelbarem Zusammenhang mit
(zunächst) angesichts des wachsenden öffentlichen
                                                         GATS und der von der EU unterstützten Liberalisie-
Drucks ausgeklammert.
                                                         rung des Handels mit (bis heute öffentlichen) Dienst-
Die Wirkungen auf die Entwicklungsländer sind be-        leistungen.
kanntlich verheerend (im bekanntesten Beispiel von
                                                         Zu 5: Nur die indirekten Steuern sollen harmonisiert
Cochabamba/Bolivien kam es zu bürgerkriegsartigen
                                                         werden (III.62), nicht jedoch die direkten Steuern
Zuständen, weil die Armen das privatisierte Trink-
                                                         wie z.B. die Unternehmenssteuern. Gerade aber hier
wasser nicht mehr zahlen konnten und wollten).
                                                         müsste auf EU-Ebene das Steuerdumping der Kon-
Aber auch in Europa selbst würde die weitere Libe-       zerne gestoppt werden, einer der Hauptgründe für
ralisierung und Privatisierung der grundlegenden         die Überschuldung der öffentlichen Haushalte.
Dienstleistungen, die die EU offenbar anstrebt und
                                                         Insgesamt wird also der Binnenmarkt nicht nur als
die bereits im Verfassungsentwurf enthalten ist, die
                                                         oberster Politikbereich behandelt, sondern in ihm
Tendenz zu einer Spaltung der Gesellschaft in zwei
                                                         steht das private, nicht das soziale und öffentliche
Klassen verschärfen. Kaufkräftige könnten sich
                                                         Interesse an oberster Stelle.
dann die Grundversorgung leisten, Nicht-Kauf-
kräftige nicht.

                                                     -5-
Privatwirtschaftliches Interesse an erster Stelle          Union und Mitgliedsstaaten – so wird in Art. III.103
                                                           festgestellt – tragen bei der Verfolgung der Sozial-
Dieser Trend wird noch einmal verschärft in dem
                                                           politik „der Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähig-
zweithöchsten Politikbereich, der Wirtschafts- und
                                                           keit der Wirtschaft der Union zu erhalten, Rech-
Währungspolitik. Art. III.69.1 stellt fest, dass sie nur
                                                           nung“. Damit kann sowohl Lohndumping wie das
einem einzigen Grundsatz verpflichtet ist, dem
                                                           Entlassen der Kapitalseite aus den paritätischen
„Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit frei-
                                                           Verpflichtungen der solidarischen Sozialsysteme
em Wettbewerb“. Damit ist die Katze aus dem Sack.
                                                           begründet werden.
Kein Wort mehr von „sozialer“ Marktwirtschaft.
Diese gehört in die Lyrik der allgemeinen „Werte           Geradezu zynisch mutet es an, wenn im gleichen
und Ziele“.                                                Artikel festgestellt wird, dass das Wirken des Bin-
                                                           nenmarktes die Abstimmungen der Sozialordnungen
III.69.2 setzt noch eins drauf durch die „Geld- und
                                                           der verschiedenen Mitgliedsstaaten „begünstigen“
Wechselkurspolitik, die beide vorrangig das Ziel der
                                                           wird. Denn in der Realität heißt dies, dass sie alle
Preisstabilität verfolgen und unbeschadet dieses Zie-
                                                           dem Globalisierungsdruck des Sozialabbaus unter-
les die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union un-
                                                           worfen werden.
ter Beachtung des Grundsatzes einer offenen Markt-
wirtschaft mit freiem Wettbewerb unterstützen sol-         Für den „Europäischen Sozialfonds“ wird darüber
len“. Was das alles impliziert, wird in den folgenden      hinaus die Flexibilisierung der Menschen im Inte-
Artikeln in aller wünschenswerten Deutlichkeit aus-        resse der Wirtschaft als Ziel angegeben, nämlich
geführt. Dazu gehört u.a. erneut das Verbot, öffentli-     „die berufliche Verwendbarkeit und die örtliche und
che Einrichtungen besonders zu fördern (III.74).           berufliche Mobilität der Arbeitnehmer zu fördern
                                                           sowie die Anpassung an die industriellen Wand-
Damit soll nun eine reine „freie“ Marktwirtschaft mit
                                                           lungsprozesse und an Veränderungen der Produkti-
monetaristischer Geldpolitik für Europa in der Ver-
                                                           onssysteme insbesondere durch berufliche Bildung
fassung festgeschrieben werden. Neoliberalismus als
                                                           und Umschulung zu erleichtern“ (Art. III.113).
Verfassungsgut. Das ist es, was auf uns zukommt,
wenn diese Verfassung in Kraft treten sollte.              Beim Abschnitt über die Landwirtschaft (III.121ff.)
                                                           sucht man vergeblich nach Hinweisen auf Verträg-
Beschäftigung und Sozialpolitik neoliberalen
                                                           lichkeitsmaßnahmen hinsichtlich Ökologie und
Vorstellungen unterworfen
                                                           „Dritte Welt“. Als oberstes Ziel wird nach wie vor
Nachdem Binnenmarkt sowie Wirtschafts- und                 angegeben: „die Produktivität ... durch Förderung
Geldpolitik mit gewichtigen eigenen Kapiteln an            des technischen Fortschritts, Rationalisierung der
erster Stelle behandelt wurden, wendet sich nun der        landwirtschaftlichen Erzeugung und den bestmögli-
Verfassungsentwurf allem übrigen unter der verräte-        chen Einsatz der Produktionsfaktoren, insbesondere
rischen Bezeichnung „Die Politik in anderen Ein-           der Arbeitskräfte, zu steigern“ (III.123).
zelbereichen“ zu.
                                                           Aus den übrigen „anderen“ Politikbereichen noch
Das erste „Andere“ ist Beschäftigung. Gleich im            eine Bemerkung zu 5., Umwelt (Art. III.129ff.), und
Einleitungsartikel III.97 werden wir belehrt, wozu in      10., Energie (Art. III.157). Franz Alt hat darauf
der EU eine Beschäftigungspolitik dient: „Die Uni-         aufmerksam gemacht, dass über ein Zusatzprotokoll
on und die Mitgliedstaaten arbeiten ... insbesondere       zum Euratom-Vertrag nun auch die Atomenergie als
auf die Förderung der Qualifizierung, Ausbildung           privilegierte Energiequelle Verfassungsgut werden
und Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer sowie             soll.[3] Obwohl nur noch vier EU-Staaten langfris-
der Fähigkeit der Arbeitsmärkte hin, auf die Erfor-        tig auf Atomstrom setzen, wurde im Verfassungs-
dernisse des wirtschaftlichen Wandels zu reagie-           entwurf die Chance nicht genutzt, für die Zukunft
ren.“ Das heißt im Klartext, Arbeitende und Ar-            die erneuerbaren Energien zu privilegieren.
beitsmärkte werden ausschließlich im Blick auf die
                                                           Das auswärtige Handeln der Union (Titel V des III.
Anpassung an die (neoliberal globalisierte) „offene
                                                           Teils der Verfassung) hat mehrere Unterkapitel. Auch
Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ gefördert.
                                                           hier ist deren Hierarchie nicht uninteressant: 1. All-
Dabei wird „das Ziel eines hohen Beschäftigungsni-
                                                           gemein anwendbare Bestimmungen, 2. Außen- und
veaus ... berücksichtigt“ (III.99.2).
                                                           Sicherheitspolitik, 3. Handelspolitik, 4. Zusammen-
Wie tröstlich angesichts der Tatsache, dass die            arbeit mit Drittländern und humanitäre Hilfe usw.
Durchführungsmaßnahmen der Wirtschaftsliberali-
                                                           Umwandlung der EU in eine Militärmacht
sierung und der monetaristischen Geldpolitik in den
vorrangigen Kapiteln der Verfassung alle mit Ver-          Zu 1: Die angeführten Grundsätze sind insgesamt zu
boten und Sanktionen eisernes Gesetz sind!                 begrüßen. Sie reichen von Demokratie über
                                                           Menschrechte und Solidarität bis zur Anerkennung
Das zweite „Andere“ ist die Sozialpolitik. Auch sie
                                                           des Völkerrechts gemäß den Grundsätzen der UN-
wird komplett der neoliberal-monetaristischen Wirt-
                                                           Charta. Auch gegen die Ziele wie die Förderung von
schafts- und Geldpolitik untergeordnet. Denn die

                                                       -6-
Sicherheit, Demokratie, Völkerrecht, Frieden usw.       gen das ehemalige Jugoslawien und Afghanistan wä-
lässt sich nichts einwenden. Ausdrücklich heißt es      ren nun in Europa verfassungsmäßig legitimiert. So
dann unter Ziel d): „die nachhaltige Entwicklung in     wird man sich wahrscheinlich auch bald der Präven-
Bezug auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt in        tivkriegsstrategie der USA anschließen.
den Entwicklungsländern zu fördern mit dem vor-
                                                        Entwicklungspolitik, die Armut schafft
rangigen Ziel, die Armut zu beseitigen“ (III.193.2).
                                                        Damit wird das deutsche Grundgesetz endgültig
Wie aber verhält sich dazu Ziel e):“ die Integration
                                                        ausgehebelt. Es erlaubt nur Verteidigungskriege und
aller Länder in die Weltwirtschaft zu fördern, unter
                                                        enthält das Friedensgebot. Freilich hat es sich die
anderem auch durch den allmählichen Abbau von
                                                        deutsche Öffentlichkeit seit den neuen Richtlinien
Beschränkungen des internationalen Handels“?
                                                        des Verteidigungsministeriums im Jahr 1992 gefal-
Was, wenn die Ziele d) und e) in Widerspruch zu-
                                                        len lassen, auch die weltweite Sicherung der eigenen
einander treten? Und was bedeutet in diesem Zu-
                                                        wirtschaftlichen Interessen und die „Aufrechterhal-
sammenhang Ziel h), „eine Weltordnung zu fördern,
                                                        tung des freien Welthandels“ als Legitimation für
die auf einer verstärkten multilateralen Zusammen-
                                                        militärisches Eingreifen zuzulassen. Aber mit der
arbeit und einer verantwortungsvollen Weltord-
                                                        EU-Verfassung erhielte das Brechen des Grundge-
nungspolitik beruht“? Analysieren wir zur Beant-
                                                        setzes nachträglich und für alle voraussehbare Zu-
wortung dieser Fragen die einzelnen Politikbereiche.
                                                        kunft seine volle Rechtfertigung.
Zu 2: Gleich Abschnitt 1, Gemeinsame Sicherheits-
                                                        Bei Kapitel 3, Gemeinsame Handelspolitik, über-
und Verteidigungspolitik gibt einen ersten Hinweis.
                                                        rascht es kaum, dass noch einmal ein umfassendes
Schon in Teil I hieß es unter Zuständigkeiten der U-
                                                        Bekenntnis zur Liberalisierung abgelegt wird:
nion: „Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre
                                                        „Durch die Schaffung einer Zollunion zwischen den
militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.
                                                        Mitgliedsstaaten beabsichtigt die Union, im gemein-
Es wird ein Europäisches Amt für Rüstung, For-
                                                        samen Interesse zur harmonischen Entwicklung des
schung und militärische Fähigkeiten eingerichtet,
                                                        Welthandels, zur schrittweisen Beseitigung der Be-
dessen Aufgabe es ist, den operativen Bedarf zu er-
                                                        schränkungen im internationalen Handelsverkehr
mitteln und Maßnahmen zur Bedarfsdeckung zu för-
                                                        und bei den ausländischen Direktinvestitionen sowie
dern, zur Ermittlung von Maßnahmen zur Stärkung
                                                        zum Abbau der Zoll- und anderer Schranken beizu-
der industriellen und technologischen Grundlage des
                                                        tragen“ (III.216). Im Artikel III.217 werden dann
Verteidigungssektors beizutragen“ (Art. I.40).
                                                        ausdrücklich Dienstleistungen, inklusive der kultu-
Im Klartext: Die Verfassung soll einen Aufruf an        rellen und audiovisuellen, eingeschlossen.
die Mitgliedsstaaten zur permanenten Aufrüstung
                                                        Wie kommt in dem allen die in Kapitel 4 nur sehr
enthalten und gemeinsam soll ein Amt für Aufrüs-
                                                        kurz behandelte „Entwicklungszusammenarbeit“ zu
tung geschaffen werden, obwohl unter dessen Auf-
                                                        stehen? Zwar wird hier als Hauptziel „die Bekämp-
gaben auch Abrüstung genannt wird. Wozu soll die
                                                        fung und auf längere Sicht die Beseitigung der Ar-
Umwandlung der EU in eine Militärmacht dienen?
                                                        mut“ festgestellt (III.218). Die Erreichung dieses
Dazu heißt es in Art. III.210.1: „Die in Art. I.40.1
                                                        Hauptziels kann aber nur scheitern, wenn man die
vorgesehenen Missionen, bei deren Durchführung
                                                        zwei fundamentalen Widersprüche ins Auge fasst, die
die Union auf zivile und militärische Mittel zurück-
                                                        ihm im Rahmen dieser Verfassung entgegenstehen.
greifen kann, umfassen gemeinsame Abrüstungs-
                                                        Der erste besteht in der überragenden, die ganze Ver-
maßnahmen, humanitäre Aufgaben und Rettungs-
                                                        fassung durchziehenden Priorität der Liberalisierung.
einsätze, Aufgaben der militärischen Beratung und
                                                        Denn die Entwicklung von schwächeren Ländern im
Unterstützung, Aufgaben der Konfliktverhütung und
                                                        Rahmen der Weltwirtschaft kann nur mit Hilfe von
der Erhaltung des Friedens sowie Kampfeinsätze im
                                                        Schutzmaßnahmen der eigenen Wirtschaft gelingen.
Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frie-
den schaffender Maßnahmen und Operationen zur           Das ist eine Binsenweisheit, die in der Geschichte
Stabilisierung der Lage nach Konflikten. Mit allen      des Kapitalismus hundertfach belegt werden kann.
diesen Missionen kann zur Bekämpfung des Terro-         Der zweite Widerspruch besteht darin, dass die
rismus beigetragen werden, unter anderem auch           Entwicklungszusammenarbeit im gleichen Artikel
durch die Unterstützung für Drittstaaten bei der Be-    III.218 ausdrücklich an die Politik der zuständigen
kämpfung des Terrorismus“.                              internationalen Organisationen gebunden wird, d.h.
                                                        u.a. an IWF, Weltbank und WTO. Auch hier ist em-
Die EU soll also per Verfassung in eine weltweit
                                                        pirisch feststellbar, dass deren Politik Armut schafft,
operierende militärische Interventionsmacht umge-
                                                        statt sie zu beseitigen.
wandelt werden. Was das bedeutet, kann man un-
schwer an den Strategieentwicklungen und fakti-         Rückfall hinter das deutsche Grundgesetz
schen Kriegen des vergangenen Jahrzehnts ablesen.       Wirft man zum Schluss noch einen Blick auf die Ar-
Die NATO hat sich bereits das Recht der Selbstman-      tikel zur Arbeitsweise der Union (III.232ff.), so stellt
datierung genommen. Auch Angriffskriege wie ge-

                                                    -7-
man zwar eine vorsichtige Aufwertung des Europäi-       Wettbewerb, deren zentrales Ziel die Vermehrung
schen Parlaments fest, aber von einer eindeutig de-     des Eigentums der Kapitaleigner ist.
mokratisch-parlamentarischen Ordnung kann im Ver-
                                                        Götze Marktwirtschaft
fassungsentwurf keine Rede sein. Weder darf das
Parlament den Kommissionspräsidenten wählen,            Um diese Gottesfrage hätten sich die europäischen
noch hat es das Recht zu eigenen Gesetzesinitiativen.   Kirchen kümmern sollen. Dabei hätte ihnen der öku-
Die Verfassung besiegelt auf absehbare Zeit das mas-    menische Prozess zu den Fragen der Globalisierung
sive Demokratiedefizit der Europäischen Union.          helfen können. In dem Brief an die Kirchen in West-
                                                        europa von 2002 in diesem Zusammenhang heißt es:
Zusammenfassend kann man feststellen, dass der
                                                        „Kirchen, die an dem ökumenischen Prozess ... teil-
Verfassungsentwurf auf keine Weise dem Standard
                                                        genommen haben, bekräftigten, dass die Ideologie
des deutschen Grundgesetzes entspricht. Weder ist
                                                        des Neoliberalismus unvereinbar ist mit der Vision
die Sozialpflichtigkeit des Eigentums ausdrücklich
                                                        der oikoumene, der Einheit der Kirche und der gan-
erwähnt, noch das Sozialstaatsgebot, noch die Be-
                                                        zen bewohnten Erde. Weitreichende und wachsende
schränkung des Militärs auf Verteidigung, noch das
                                                        Ungerechtigkeit, Ausschluss und Zerstörung sind der
Friedensgebot, um nur einige entscheidende Punkte
                                                        Gegensatz zum Teilen und zur Solidarität, die unab-
zu nennen. Auf seiner Basis hätte man eine europäi-
                                                        dingbar dazugehören, wenn wir Leib Christi sein
sche Verfassung entwickeln können, die – ange-
                                                        wollen. Was hier auf dem Spiel steht, ist die Qualität
sichts der immer völkerrechtswidriger und unver-
                                                        kirchlicher Gemeinschaft, die Zukunft des Gemein-
antwortlicher handelnden US-Regierungen und an-
                                                        wohls der Gesellschaft sowie die Glaubwürdigkeit
gesichts der Übermacht der Finanzmärkte über de-
                                                        des Bekenntnisses der Kirchen und ihrer Verkündi-
mokratisch gewählte Regierungen (nach dem frühe-
                                                        gung Gottes, der mit den Armen und für die Armen
ren Präsidenten der Bundesbank, Tietmeyer, sollen
                                                        da ist. Um der Integrität ihrer Gemeinschaft und ihres
die Finanzmärkte als Fünfte Gewalt die Regierun-
                                                        Zeugnisses willen, sind Kirchen aufgerufen, gegen
gen kontrollieren) – die Vision eines Europa der so-
                                                        die neoliberale Wirtschaftslehre und -praxis aufzutre-
zialen und internationalen Gerechtigkeit, des Frie-
                                                        ten und Gott zu folgen.“[6]
dens und der Nachhaltigkeit in Rechtsformen fasst.
Konkrete Vorschläge in dieser Richtung lagen dem        Praktisch würde das für die Kirchen heißen, ge-
Konvent vor.[4]                                         meinsam mit Attac und dem Europäischen Sozialfo-
                                                        rum zu fordern, dass der vorliegende neoliberale
Welcher Gott wird stattdessen in dem Entwurf der
                                                        EU-Verfassungsentwurf einer Volksabstimmung
EU-Verfassung angebetet, welcher Gott soll uns in
                                                        unterworfen wird, und dann dafür zu arbeiten, dass
Zukunft regieren? Es ist der Gott der Neoliberalen.
                                                        eine Mehrheit mit Nein dagegen stimmt.
Es ist der Gott der Konzerne, der Gott der militäri-
schen Stärke zur Durchsetzung der eigenen Interes-      Anmerkungen
sen. Es ist der Gott der Starken im absoluten Wett-      1. Vgl. zu dieser Diskussion EKD, Europa-
bewerb. Es ist nicht der Gott, für den das Leben al-        Informationen Nr. 99, Nov./Dez. 2003.
ler Menschen und darum das Leben der Armen zu-           2. Dazu vgl. U. Duchrow/F.J. Hinkelammert,
erst wichtig ist. Es ist nicht der Gott des Friedens        Leben ist mehr als Kapital. Alternativen zur
auf der Basis der Gerechtigkeit. Es ist nicht der           globalen Diktatur des Eigentums, Oberursel
Gott, der die Schöpfung liebt und sie darum in all          2002, S. 97ff.
ihrer Vielfalt und Schönheit erhalten will.              3. In: Publik-Forum, 16/2003, S. 21.
Im Gegenteil: Wie es im Klartext eines der Väter         4. Vgl. die vorzüglichen Eingaben der Europa-
des Neoliberalismus, Friedrich von Hayek, heißt,            abgeordneten Sylvia-Yvonne Kaufmann im
können Menschen, die nicht den Kriterien des Ei-            Europäischen Konvent, „Ein Verfassungsver-
gentums und Vertrags als Grundelementen des kon-            trag für ein soziales Europa“ (Conv 190/1/02
kurrenzgesteuerten Markts (zur Kapitalakkumulati-           Rev.1, 15.07.2002) und „Anforderungen an
on) genügen, geopfert werden: „Eine freie (Markt-)          den Verfassungsvertrag für eine friedensfähi-
Gesellschaft benötigt moralische Regeln, die sich           ge Europäische Union“ (Conv 681/03, Contrib
letztendlich darauf zusammenfassen lassen, dass sie         303, 19.05.2003).
Leben erhalten: nicht die Erhaltung aller Leben,         5. In einem Interview im Mercurio, Santiago de
weil es notwendig sein kann, individuelles Leben zu         Chile, vom 19.4.81. Vgl. Duchrow/Hinkelam-
opfern, um eine größere Zahl von anderen Leben zu           mert, aaO.
erhalten.                                                6. Vgl. epd-Dokumentation 43a/2002, S. 9.

Deshalb sind die einzig wirklichen moralischen Re-      * Der Autor ist Professor für systematische Theolo-
geln diejenigen, die zum ‘Lebenskalkül’ führen: das     gie an der Universität Heidelberg und Mitarbeiter
Privateigentum und der Vertrag.“[5] Genau dies a-       von Kairos Europa.
ber tut die EU-Verfassung, sie opfert die Menschen
dem Götzen der offenen Marktwirtschaft mit freiem

                                                    -8-
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