Grenzwerte am Arbeitsplatz

 
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Grenzwerte am Arbeitsplatz
Grenzwerte
am Arbeitsplatz
                                  r ungen
                      E r lä u te K- u n d
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                             B e la
Das Modell Suva
                                         Die vier Grundpfeiler

Suva
Gesundheitsschutz                        Die Suva ist mehr als eine    Gewinne gibt die Suva
Abteilung Arbeitsmedizin                 Versicherung; sie vereint     in Form von tieferen
Postfach, 6002 Luzern                    Prävention, Versicherung      Prämien an die Versicherten
                                         und Rehabilitation.           zurück.
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Titel                                    Sozialpartnern geführt.       sie erhält keine öffentlichen
Grenzwerte am Arbeitsplatz               Die ausgewogene Zusam-        Gelder.
                                         mensetzung im Suva-Rat
Abdruck – ausser für kommerzielle        aus Arbeit­geber-, Arbeit-
Nutzung – mit Quellenangabe gestattet.   nehmer- und Bundes­
Ausgabe: Februar 2021
                                         vertretern ermöglicht breit
Publikationsnummer                       ab­­gestützte, tragfähige
1903.d (nur als PDF erhältlich)          Lösungen.
Grenzwerte am Arbeitsplatz

Erläuterungen zu den Grenzwerten für chemische
Substanzen * (aktuelle MAK- und BAT-Werte: www.suva.ch/grenzwerte)

Arbeitshygienische Grenzwerte für physikalische
Einwirkungen

Richtwerte für physische Belastungen

* Die aktuell geltenden Maximalen Arbeitsplatzkonzentrations- (MAK) und Biologischen Arbeitsstoff­
toleranzwerte (BAT) finden Sie online unter www.suva.ch/grenzwerte. Grenzwerte am Arbeitsplatz
werden von der Suva gemäss Art. 50 Abs. 3 der Verordnung des Bundesrates vom 19. Dezember 1983
über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten erlassen. Der Erlass erfolgt im Einvernehmen
mit der Grenzwert-Kommission der Schweizerischen Vereinigung für Arbeitsmedizin, Arbeitshygiene
und Arbeitssicherheit (Suissepro).
Inhaltsverzeichnis

1 	       Maximale Arbeitsplatzkonzen­trationswerte (MAK-Werte)        6

1.1 	     Vorbemerkungen                                               6
1.1.1 	   Definition des MAK-Wertes                                    6
1.1.2 	   Kurzzeitgrenzwert (KZGW)                                     6
1.1.3 	   Erläuterungen                                                7
1.1.4 	   Hinweis auf besondere Vollzugspflichten                      8
1.1.5     Vergleich von MAK-Werten mit DNEL-Werten                     8
1.2 	     Definition der ­Notationen H S O L B P und *                10
1.2.1 	   H (Hautresorption)                                          10
1.2.2 	   S (Sensibilisierung)                                        10
1.2.3 	   OL (Interaktion von Lärm und chemischen Stoffen)            10
1.2.4 	   B (Biologisches Monitoring)                                 11
1.2.5 	   P (Provisorische Festlegung)                                11
1.2.6 	   * (Neuerung, Änderung)                                      11
1.3 	     Krebserregende Stoffe (Notation C)                          12
1.3.1     Definition der C-Kategorien                                 12
1.3.2     Krebserregende Stoffe mit und ohne Schwellenkonzentration   12
1.3.2.1   Allgemeine Bemerkungen                                      12
1.3.2.2   Krebserregende Stoffe ohne Schwellenkonzentration           14
1.3.2.3   Krebserregende Stoffe mit Schwellenkonzentration            15
1.3.3     Erläuterungen zu spezifischen krebserregenden Stoffen       15
1.3.3.1   Krebserzeugende Stoffe ohne MAK-Wert                        15
1.3.3.2   Bildung krebserregender Nitrosamine aus Aminen              16
1.3.3.3   Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe                16
1.3.3.4   Asbest                                                      17
1.3.3.5   Synthetische Fasern und ­Faserstäube                        17
1.3.3.6   Chrom(VI) in Prozessen gemäss ChemRRV                       18
1.4 	     Keimzellmutagene Stoffe ­(Notation M)                       19
1.5 	     Reproduktionstoxische Stoffe (Notation R)                   20
1.6	Beziehung zwischen fruchtschädigender ­Wirkung und
     MAK-Wert (SS-Klassen)                                            22
1.7 	      Kritische Toxizität                                                    23
1.8 	      Stäube und Nano­partikel                                               27
1.8.1 	    Analyse von Aerosolen                                                  27
1.8.2 	    Granulär-biobeständige Stäube (GBS)                                    29
1.8.3 	    Nanopartikel und ultrafeine Partikel                                   30
1.8.4 	    Sensibilisierende Stäube (Getreidemehlstaub)                           31
1.8.5 	    Biologisch belastete Stäube und Aerosole / biologische Einwirkungen    32
1.9 	      Spezielle Themen                                                       33
1.9.1      Beurteilung des Gesundheits­risikos von Arbeitsstoffen ohne MAK-Wert   33
1.9.2 	    Stoffgemische                                                          34
1.9.3 	    Neurotoxische Substanzen                                               36
1.9.4 	    Organische Peroxide                                                    36
1.9.5 	    Isocyanate                                                             36
1.9.6 	    Kühlschmierstoffe und Mineralöle                                       37
1.9.7 	    Lösliche Metalle                                                       38
1.10 	     Hinweise auf Messmethoden                                              39
1.10.1     Adressen                                                               39
1.10.2 	   Einheiten                                                              39
1.10.3     Stoffe, die gleichzeitig als Dampf und Aerosol vorliegen können        40

2 	        Biologische Arbeitsstofftoleranzwerte (BAT-Werte)                      41

2.1 	   Vorbemerkungen                                                            41
2.1.1 	 Arbeitsmedizinische Vorsorge und Biomonitoring                            41
2.1.2 	 Definition des BAT-Wertes                                                 41
2.1.3 	 Erläuterungen                                                             42
2.1.4 	 Aufbau der Liste der BAT-Werte                                            43
2.1.5 	BAT-Werte von Arbeitsstoffen mit der Einstufung «krebserzeugend»
        C1A und C1B                                                               44
2.1.6 	 Analytische Überwachung                                                   44
3 	       Physikalische Einwirkungen                    45

3.1 	     Ionisierende Strahlen                         45
3.2 	     Nichtionisierende Strahlen                    46
3.2.1 	   Laser                                         46
3.2.2 	   Ultraviolett                                  46
3.2.3     Visuelle und Infrarotstrahlung (inkohärent)   48
3.2.4 	   Elektromagnetische Felder                     49
3.3 	     Schall und Vibrationen                        52
3.3.1     Dauerschall (Lärm)                            52
3.3.2     Impulsartiger Schall                          52
3.3.3     Ultraschall                                   52
3.3.4     Infraschall                                   52
3.3.5     Hand-Arm-Vibrationen                          53
3.3.6     Ganzkörper-Vibrationen                        53
3.4 	     Hyperbare Umgebung                            53
3.4.1     Gas- und dampfförmige Stoffe                  53
3.4.2     Stäube und Aerosole                           54
3.5 	     Hitze (Infrarotstrahlung)                     55
4 	      Richtwerte für physische Belastungen                56

4.1 	    Vorbemerkungen                                      56

4.2 	    Richtwert für ­Gewichte (Manipulation von Lasten)   57

Abkürzungen in der MAK-Liste                                 58

Abkürzungen in der BAT-Liste                                 59
1 Maximale Arbeitsplatzkonzen­trationswerte
(MAK-Werte)

1.1 Vorbemerkungen                                 Grenzwert des Arbeits­stoffes hinsicht-
                                                   lich Höhe, Dauer und Häufigkeit pro
                                                   Arbeitstag oder Schicht ­begrenzt.

1.1.1 Definition des MAK-Wertes                    Die Liste der MAK-Werte enthält in der
                                                   besonderen Kolonne «KZGW» die jeweili-
    Der Maximale Arbeitsplatzkonzentrations-       gen festgelegten Kurzzeitgrenzwerte.
    wert (MAK-Wert) ist die höchstzulässige
    Durchschnittskonzentration eines gas-,           Der Kurzzeitgrenzwert (KZGW) ist jener
    dampf- oder staub­förmigen Arbeits­s tof­fes     Wert, welcher auch kurzfristig nicht über-
    in der Luft, die nach derzeitiger Kenntnis       schritten werden darf. Messtechnisch ge-
    in der Regel bei Einwirkung während einer        sehen bedeutet dies, dass der Mittelwert
    Arbeits­zeit von 8 Stunden täglich und bis       einer 15minütigen Messung nicht über
    42 Stunden pro Woche auch über längere           dem Kurzzeitgrenzwert liegen darf.
    Perioden bei der ganz stark überwiegen-          Bei lokal reizenden oder atemwegsensibi-
    den Zahl der gesunden, am Arbeits­p latz         lisierenden Stoffen entspricht der Kurz-
    Beschäftigten die Gesundheit nicht ge-           zeitgrenzwert in der Regel dem Schicht-
    fährdet.                                         mittelwert (d. h. dem MAK-Wert). Bei
                                                     resorptiv oder systemisch wirksamen
                                                     Stoffen kann der Kurzzeitgrenzwert höher
                                                     sein, da hier der MAK-Wert oft nicht aku-
1.1.2 Kurzzeitgrenzwert (KZGW)                       te, sondern kumulativ-toxische Phänome-
                                                     ne verhindern soll.
Die maximalen Arbeitsplatzkonzentrati-
                                                     Es sind maximal vier 15-minütige Über-
onswerte sind 8-Stunden-Mittelwerte. In
                                                     schreitungen des MAK-Werts pro Schicht
der Praxis schwankt jedoch die aktuelle
                                                     in Höhe des Kurzzeitgrenzwertes erlaubt.
Konzentration der Stoffe in der Atemluft
                                                     Der Abstand zwischen den vier erlaubten
häufig in erheblichem Ausmass. Die
                                                     Expositionsspitzen pro Schicht soll min-
Überschreitung des Mittelwertes bedarf
                                                     destens eine Stunde betragen. Der
bei vielen Stoffen der Begrenzung, um
                                                     8-Stunden-Mittelwert ist in jedem Falle
Gesundheitsschäden zu verhüten. Basie-
                                                     einzuhalten.
rend auf toxikologischen und arbeitshygi-
enischen Kriterien werden kurzzeitige
Abweichungen der aktuell gemessenen                Bei starken Reizstoffen kann durch kurz-
Raumluftkonzentration über den publi-              zeitige Konzentrationsspitzen die Wir-
zierten auf die Arbeits­schicht bezogenen          kungs­­schwelle überschritten werden.

6
1.1.3 Erläuterungen                            stand, Klima sowie p ­ hysischer und psy-
                                               chischer Arbeitsbelastung, wurde bei der
Der MAK-Wert ist eine Beurteilungs-            Festlegung der MAK-Werte nach Mög-
grundlage für die Bedenklichkeit               lichkeit berücksichtigt.
oder Un­b e­d enklichkeit am Arbeits-
platz auftretender Konzentrationen von         Einzelne Stoffe können auch bei Konzen­
Stoffen. Neben der Giftigkeit der eingeat-     trationen unterhalb des Grenzwertes Ge-
meten Stoffe werden bei der Festlegung         fahren anderer Art mit sich bringen, zum
der MAK-Werte noch andere Faktoren             Beispiel Explosionen. Solche Gefahren
berücksichtigt, u. a. Ätzwirkung, sensibili-   sind nicht Gegenstand dieser Publikation.
sierende und ernsthaft belästigende Ei-
genschaften sowie Hautdurchdringungs-          Die MAK-Werte, wie auch die Grenzwer-
vermögen.                                      te für physikalische Einwirkungen am
                                               Arbeits­platz (siehe Kap. 3) stimmen weit-
  Die MAK-Werte sind keine sicheren Gren-      gehend überein mit denjenigen, die peri-
  zen zwischen gefährlichen und ungefährli-    odisch durch die «American Conference
  chen Bereichen.                              of Governmental Industrial Hygienists»
                                               und/oder vor allem durch die «Kommissi-
                                               on zur Prüfung gesundheitsschädlicher
Einerseits garantieren Konzentrationen ei-     Arbeitsstoffe der Deut­schen Forschungs-
nes Stoffes, die unterhalb des M­ AK-          gemeinschaft» publiziert werden. Die an
Wertes liegen, nicht die Gesundheit aller      den Arbeitsplätzen gemessenen Konzen-
Exponierten. Besonders empfindliche            trationen dienen der Suva als Grundlage
oder in ihrer Gesundheit beeinträchtigte       zur Beurteilung des Berufskrankheiten-
Personen können auch durch tiefere Kon-        Risikos und – wenn nötig – zum Anord-
zentrationen ge­fährdet werden. Ander-         nen von technischen und medizinischen
seits bedeutet eine kurzfristige E
                                 ­ in-         Mass­nahmen zur Verhütung von Berufs-
wirkung oberhalb des MAK-Wertes noch           krankheiten.
keineswegs, dass bei den E  ­ xponierten
gesundheitliche Probleme auftreten. Die        Die MAK-Werte werden erarbeitet
unterschiedliche ­E mpfindlichkeit und         • epidemiologisch durch den Vergleich
Belastung des arbeitenden Men­schen,             von am Arbeitsplatz auftretenden Kon-
z. B. im Zusammenhang mit Alter, Ge-             zentrationen mit der Häufigkeit entspre-
schlecht, Konstitution, Ernährungszu-            chender Gesundheitsschäden;
                                               • aufgrund von experimentellen Untersu-
                                                 chungen;
  Zu den besonders empfindlichen Perso-        • durch Analogieschlüsse und aufgrund
  nen gehören u. a. diejenigen, bei denen        anderer theoretischer Überlegungen.
  Haut oder Atemwege gegenüber gewissen
  Arbeitsstoffen sensibilisiert sind. Bei       Voraussetzungen für die Aufstellung eines
  diesen können allergische Reaktionen          MAK-Wertes sind ausreichende
  (Überempfindlichkeitsreaktionen) durch       ­toxi­ko­lo­gi­sche und/oder arbeitsmedizini-
  zahlreiche Stoffe schon in minimalen Kon-     sche Erfahrungen beim Umgang mit dem
  zentrationen ausgelöst werden. Das            Stoff. Erfah­r ungen an Menschen sind bei
  Einhalten der MAK-Werte bietet hier nur       der Beurteilung höher zu ­bewerten als
  eine beschränkte Sicherheit.                  experimentelle Unter­suchun­gen oder
                                                Analogieschlüsse.

                                                                                          7
Die MAK-Werte müssen immer wieder              Vertreter der Suva. Jeder MAK-Wert wird
neuen Erkenntnissen angepasst werden.          aufgrund von wissenschaftlichen Er-
Deshalb wird die vorliegende Liste regel-      kenntnissen und nach Abklärungen be-
mässig revidiert.                              treffend der Machbarkeit festgelegt und
                                               in der vorliegenden Grenzwertliste veröf-
                                               fentlicht. Bei der Bestimmung eines
1.1.4 Hinweis auf besondere                    MAK-Werts stehen Grundregeln der
Vollzugspflichten                              Grenzwertsetzung zur Verfügung - diese
                                               Regeln werden für jeden Stoff individuell,
Neben der Sicherstellung der Einhaltung        entsprechend der Beurteilung durch die
der MAK-Werte hat der Arbeitgeber dafür        Experten eingesetzt. Dabei betrachten
zu sorgen, dass die Arbeitnehmer über          die Fachleute unter anderem die Qualität
die bei ihren Tätigkeiten auf­tretenden be-    der zugrunde liegenden Studien, die Art
sonderen Gefahren in Kenntnis gesetzt          und Gefährlichkeit des toxischen Effekts,
sowie über die Mass­nahmen zu deren            den Abstand zwischen den getesteten
Verhütung vor der Aufnahme der Tätig-          Dosierungen im Experiment und viele
keit und hernach in den erforderlichen         weitere Faktoren. Dass verschiedene in-
Zeitabständen angeleitet werden. Er            ternationale Komitees diese Faktoren un-
sorgt für die Befolgung dieser Massnah-        terschiedlich beurteilen, liegt auf der
men. Die Arbeitnehmer sind ihrerseits          Hand und erklärt, warum sich die offiziel-
verpflichtet, die Weisungen des Arbeit­        len Grenzwerte verschiedener Länder
gebers zu befolgen, die Sicherheitsvor-        unterscheiden können. In der Schweizer
schriften zu beachten sowie die Sicher-        Grenzwertliste finden sich einige Hun-
heitsvorrichtungen und persönliche             dert MAK-Werte.
Sicherheitsausrüstungen zu benützen
(Verordnung über die Verhütung von             DNEL-Werte
Unfällen und Berufskrankheiten, VUV).          DNEL-Werte1 werden von der Industrie
                                               im Zusammenhang mit der Registrierung
                                               von Chemikalien im EWR gemäss der
1.1.5 Vergleich von MAK-Werten mit             REACH-Verordnung 2 EG Nr. 1907/2006
DNEL-Werten                                    bestimmt. Hersteller und Importeure im
                                               EWR sind gemäss dieser Verordnung
MAK-Werte                                      verpflichtet, DNELs für jeden Stoff zu
MAK-Werte sind rechtlich verbindliche          berechnen, welcher in einer Menge von
Grenzwerte, welche dem Schutz der              ≥ 10 Tonnen/Jahr hergestellt oder in den
Gesundheit der Arbeitnehmer dienen.            EWR importiert wird. Dies betrifft zur Zeit
Sie werden von der Suva gemäss Art.            (2016) etwa 30 000 Substanzen, also
50.3 VUV erlassen und in der Grenzwert-        weitaus mehr Stoffe als MAK-Werte
liste veröffentlicht. Der Erlass erfolgt im    existieren.
Einvernehmen mit der Grenzwertkom-
mission der Schweizerischen Vereinigung        DNEL-Werte werden nicht von einem
für Arbeitsmedizin, Arbeitshygiene und         wissenschaftlichen Komitee hergeleitet,
Arbeitssicherheit (Suissepro). In dieser       sondern von der betroffenen Firma selbst
Kommission befinden sich Experten aus          bestimmt. Grundlage ist eine von der
Universitäten, aus Bund und Kantonen,
                                               1 DNEL  = Derived No Effect Level 
aus der Industrie, praktisch tätige Arbeits-   2EACH = Registration, Evaluation, Authorisation and
mediziner und Arbeitshygieniker sowie          Restriction of Chemicals

8
ECHA 3 entwickelte Vorgehensweise.                    DNELs kontaktiert werden sollte.5 Gibt
Dieser Algorithmus ist in einer ECHA-                 es für eine Substanz keinen Schweizer
Leitlinie 4 beschrieben. Die berechneten              MAK-Wert (was für die grosse Mehrheit
Werte werden auf der Homepage der                     der Stoffe der Fall ist), so muss der Ar-
ECHA veröffentlicht. Für zulassungs-                  beitgeber die Gefährdung selber oder
pflichtige, besonders besorgniserregen-               unter Beizug eines ASA-Spezialisten
de Substanzen (SVHCs) werden vom                      beurteilen. Hierzu können das Sicher-
Ausschuss für Risikobeurteilung der                   heitsdatenblatt mit DNEL-Wert (falls vor-
ECHA (Committee for Risk Assessment,                  handen), MAK-Werte anderer Komitees
RAC) sogenannte Referenz-DNELs                        und deren Begründungen, Studien,
erarbeitet.                                           weitergehende Literatur etc. beigezogen
                                                      werden. Auch die spezifische Arbeits­
Die strikte Vorgehensweise bei der                    tätigkeit soll in diese Beurteilung ein­
Berechnung von DNELs erlaubt es, in                   fliessen.
kurzer Zeit DNELs für die grosse Zahl an
gehandelten Chemikalien zu berechnen.
Es ist möglich, dass je nach Hersteller
verschiedene DNELs für eine Substanz
existieren, weil diese die DNELs unter-
schiedlich berechnen (unterschiedliche
Studien als Grundlage, andere Extrapo-
lationsfaktoren, andere Zusammenset-
zung etc.). Ebenso können sich DNELs
und die offiziellen MAK-Werte manchmal
um Faktoren unterscheiden, weil die
Beurteilung und die Zielsetzung bei der
Bestimmung verschieden sind.

Arbeitnehmerschutz gemäss UVG
MAK-Werte und DNELs werden auf dem
Sicherheitsdatenblatt eines Stoffes ange-
geben und müssen gemäss Chemikali-
enrecht beachtet werden. Bestehen für
eine Substanz sowohl ein Schweizer
MAK-Wert als auch ein DNEL-Wert, so ist
der MAK-Wert für den Arbeitnehmer-
schutz gemäss UVG in der Schweiz ent-
scheidend – er ist rechtlich verbindlich.
Wenn der DNEL tiefer ist als der MAK-
Wert und durch die Risikomanagement-
Massnahmen des Betriebs nicht erreicht
                                                      5 Vorläufige Leitlinien für nationale Arbeitsaufsichtsbe-
wird, empfiehlt eine Leitlinie der EU, dass
                                                      amte zur Anwendung von Grenzwerten für die Exposi­tion
der Lieferant zwecks Überprüfung des                  am Arbeitsplatz (OEL), abgeleiteten Expositionshöhen
                                                      ohne Beeinträchtigung (DNEL) und abgeleiteten Expositi-
3 ECHA  = European Chemicals Agency                 onshöhen mit minimaler Beeinträchtigung (DMEL) bei der
4 Guidance on information requirements and chemical   Bewertung der Wirksamkeit der Überwachung und Be-
safety assessment; Chapter R.8: Characterisation of   grenzung der Exposition gegenüber chemischen Stoffen
dose [concentration]-response for human health        am Arbeitsplatz

                                                                                                             9
1.2 Definition der                            soll zu besonderer Aufmerk­s amkeit beim
                                              Umgang mit diesen Stoffen anregen.
­Notationen H S OL B P und *

                                              1.2.3 OL (Interaktion von Lärm und
                                              chemischen Stoffen)
1.2.1 H (Hautresorption)
                                              Lärmeinwirkungen können die Zellen des
Bei Stoffen, welche die Haut leicht zu        Innenohres schädigen und damit zu einer
durchdringen vermögen, kann durch die         vorübergehenden Höreinbusse im Sinne
zusätz­liche Hautresorption die innere Be-    der Vertäubung oder einer definitiven
lastung wesentlich höher werden als bei       Hör­e inbusse mit Schwerhörigkeit führen.
alleiniger Auf­nahme durch die Atemwe-        Tierexperimentelle und epidemiologische
ge. So können z. B. Anilin, Nitrobenzol,      Untersuchungen haben gezeigt, dass
Nitroglykol, Phenole und bestimmte            auch gewisse Arbeitsstoffe in der Lage
Pflanzenschutzmittel auch allein auf dem      sind, eine Höreinbusse zu erzeugen und/
Wege durch die Haut gefähr­liche Vergif-      oder die Wirkung von Lärm auf das Ge-
tungen erzeugen.                              hör zu verstärken.

Bei Expositionen mit Stoffen, die mit H       Oft stammen die Erkenntnisse zu sub­
gekennzeichnet sind, kann somit die           stanzbedingten ototoxischen Wirkungen
Messung der externen Belastung (Luft,         aus Tierversuchen, bei denen die Stoff-
Oberflächen) die tatsächliche innere ­Be-     konzentrationen deutlich über dem MAK-
lastung resp. Beanspruchung des Orga-         Wert und/oder der Schallpegel über den
nismus durch diesen Stoff unterschät-         in der Schweiz erlaubten 85 dB(A) lagen.
zen. Für eine Arbeits­platz­beurteilung ist   Trotzdem kann eine Verstärkung des
in diesen Fällen zusätzlich eine biologi-     ­gehörschädigenden Effekts von Lärm
sche Überwachung anzustreben.                  auch beim Menschen unter Arbeitsplatz-
                                               bedingungen nicht immer sicher ausge-
                                               schlossen werden.
1.2.2 S (Sensibilisierung)

Die mit S gekennzeichneten Substanzen           Ototoxische Substanzen, welche die ge-
führen besonders häufig zu Überemp-             hörschädigende Wirkung des Lärms bei
findlichkeitsreaktionen (allergischen           Arbeitnehmenden verstärken können,
Krankheiten). Allergische Erscheinungen         werden mit «O L» gekennzeichnet.
können nach Sensibilisierung z. B. der
Haut oder der Atemwege je nach ­persön-
licher Disposition unterschiedlich schnell    Stoffe, welche zwar otototoxisch sind,
und stark durch solche Stoffe ausgelöst       bei welchen aber keine hinreichenden
werden. Auch die Ein­haltung des MAK-         Beweise für eine Interaktion mit Lärm be-
Wertes gibt keine Sicherheit gegen das        stehen, erhalten keine OL-Notifikation.
Auftreten derartiger Reaktio­nen. Beson-      Hierzu gehören zum Beispiel Blei,
ders zu beachten ist die S­ ensibilisie-      Quecksilber, p-Xylol oder Kohlendisulfid
rungsgefahr bei Acrylaten, Getreide­mehl-     (nicht abschliessende Aufzählung). Ne-
stäuben (Roggen, Weizen), α-Amy­lase,         ben diesen Arbeitsstoffen existieren oto-
Colophonium und Latex. Dieser Hin­weis        toxische Medikamente, Viren- und Bak-

10
terientoxine, Suchtmittel etc., auf die im               1.2.5 P (Provisorische Festlegung)
Rahmen dieser Publikation nicht einge-
gangen wird.                                             Die MAK-Werte für diese Substanzen
                                                         sind aus verschiedenen Gründen noch
  An sich ist bei Einhaltung der MAK-Werte               nicht definitiv festgelegt. Bei bisher be-
  bei ototoxischen Substanzen ein wesent-                stehenden Grenzwerten bedeutet «P»,
  licher Hörverlust wenig wahrscheinlich 6               dass dieser Wert aktuell aufgrund neuer
und die Ototoxizität stellt bei keinem                   wissenschaftlicher Erkenntnisse über-
Stoff die kritische Toxizität dar (siehe                 prüft wird.
­K apitel 1.7). Im Rahmen der Risikobeur-
 teilung von Arbeitsstoffen, welche mit ei-
 nem «OL» gekennzeichnet sind, ist aber                  1.2.6 * (Neuerung, Änderung)
 die mögliche Interaktion mit Lärm einzu-
 beziehen. Bei relevanten Expositionen                   Ein * in der Kolonne der Stoffe bedeutet,
 gegenüber diesen Stoffen sind allenfalls                dass dieser Stoff oder diese Form neu in
 bereits bei Lärmexpositionen unter                      die Liste aufgenommen wurde. Bei den
 85 dB(A) technische und organisatori-                   MAK-Werten bedeutet der *, dass der be-
 sche Lärmreduktionsmassnahmen und/                      treffende Wert gegenüber der letzten
 oder das Tragen eines Gehörschutzes                     Ausgabe geändert hat. Zusatzbezeich-
 zu empfehlen. Der Begriff «relevante                    nungen und Bemerkungen mit einem *
 ­E xposition» soll zum Ausdruck bringen,                ­w urden seit der letzten Ausgabe neu ein-
  dass die Stoffkonzentrationen bei den                   geführt oder geändert.
  Experimenten zur Ototoxizität teilweise
  über dem MAK-Wert lagen. Die Frage, ob
  die Grenzwerte für die erwähnten Ar-
  beitsstoffe für die Interaktion mit Lärm
  protektiv sind, kann erst in Zukunft auf-
  grund weiterer Untersuchungen präziser
  beantwortet werden.

1.2.4 B (Biologisches Monitoring)

Stoffe, bei welchen ein biologischer
Grenzwert (siehe Kapitel 2) zuverlässig
begründbar ist und die in der Schweiz in
Speziallabors bestimmt werden können,
sind mit B ­gekennzeichnet.

6 DGUV: Ototoxische Arbeitsstoffe. Positionspapier der
Arbeitskreise "Lärm" und "Gefahrstoffe" des Ausschus-
ses Arbeitsmedizin der DGUV. Februar 2011.

                                                                                                 11
1.3 Krebserregende                                            Menschen krebserzeugend sind. Die
                                                              Einstufung erfolgt überwiegend aufgrund
Stoffe (Notation C)                                           von Nachweisen beim Menschen.
                                                            • Kategorie C1B (ehemals C2)
                                                              Stoffe, die wahrscheinlich beim Men-
                                                              schen krebserzeugend sind. Die Einstu-
                                                              fung erfolgt überwiegend aufgrund von
                                                              Nachweisen bei Tieren.

1.3.1 Definition der C-Kategorien                           Kategorie C2 (ehemals C3)
                                                            Es handelt sich um Stoffe, welche mögli-
Krebserregende Stoffe werden seit 2016                      cherweise beim Menschen krebserzeu-
in die Kategorien C1A, C1B und C2 einge-                    gend sind. Die Einstufung in die Kategorie
teilt, basierend auf GHS und der CLP-                       2 erfolgt aufgrund von Nachweisen aus
Verordnung 7. Bei der Wortwahl wurden                       Studien an Mensch und/oder Tier, die ei-
zudem die Definitionen der IARC-Klassie-                    nen Verdacht auf eine krebserregende
rungen mitberücksichtigt. Für Details wird                  Wirkung begründen, die jedoch nicht hin-
auf die entsprechenden Originaldoku-                        reichend genug für eine Einstufung des
mente verwiesen. Die Einteilung eines                       Stoffes in die Kategorie C1 sind.
Stoffes in eine Kategorie in der Schweizer
Grenzwertliste erfolgt unabhängig von                         Als «Karzinogene» werden in der CMD 8
der CLP-Verordnung und kann sich somit                        der EU nur jene Stoffe oder Gemische be-
von dieser unterscheiden.                                     zeichnet, welche die Kriterien zur Einstu-
                                                              fung als krebserzeugende Stoffe der Kate-
Bis 2015 wurde in der Schweizer Grenz-                        gorie C1A oder C1B erfüllen.
wertliste die Klassierung der DFG be-
nutzt. In der folgenden Tabelle sind die
alten Notifikationen (bis 2015) den neuen
Kategorien (ab 2016) gegenübergestellt.                     1.3.2 Krebserregende Stoffe mit und
Ebenso sind die entsprechenden H-Sätze                      ohne Schwellenkonzentration
aus der CLP-Verordnung aufgeführt:
                                                            1.3.2.1 Allgemeine Bemerkungen
                                                            DNA-Schäden sind häufig und treten in
    Bis 2015       Ab 2016           H-Satz                 einer Zelle jeden Tag Tausende Male auf.
                                                            Die meisten dieser DNA-Schäden sind
     C1            C1A               H350                   nicht permanent, da sie von der Zelle re-
     C2            C1B               H350                   pariert werden oder da die Zelle stirbt.
     C3            C2                H351                   Entsteht aber eine dauerhafte, vererbba-
                                                            re DNA-Schädigung (Mutation) und findet
                                                            sich diese in bestimmten Regionen der
                                                            DNA wie zum Beispiel einem Tumor-Sup-
Kategorie C1                                                pressorgen oder einem Proto-Onkogen,
• Kategorie C1A (ehemals C1)                                so kann dies der erste Schritt in der Ent-
  Stoffe, die bekanntermassen beim                          stehung von Krebs sein.
7 CLP-Verordnung = Regulation (EC) No. 1272/2008 on         8 CMD = Richtlinie 2004/37/EG über den Schutz der
classification, labelling and packaging of substances and   Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene und
mixtures                                                    Mutagene bei der Arbeit. Siehe Art. 2.

12
Bei der Entstehung von Krebs werden            Genotoxische Stoffe können zu Mutationen
der Reihe nach folgende Schritte durch-        von Genen oder zu Veränderungen der
laufen (sogenanntes «multistage model»):       Struktur oder Zahl von Chromosomen,
                                               das heisst chromosomalen Aberrationen,
1.	Initiation: Entstehung einer Mutation,     führen. Genmutationen können zum Bei-
    das heisst einer dauerhaften vererb­       spiel als Folge von DNA-Addukten oder
    baren Veränderung der DNA                  DNA-Strangbrüchen entstehen, weil es
2. Promotion: Klonale Vermehrung der           dadurch zu einem fehlerhaften Ablesen
    von der Initiation betroffenen Zelle zu    des DNA-Strangs kommen kann. Verän-
    einer präneoplastischen Läsion             derungen in der Struktur von Chromoso-
3. Progression: Maligne Entartung der          men (sogenannte strukturelle Aberrationen)
    präneoplastischen Läsion infolge           sieht man zum Beispiel nach Brüchen in
    ­weiterer genetischer Veränderungen        einem Chromosom mit anschliessendem
4. Metastasierung: Verbreitung der             Verlust oder fehlerhaftem Zusammenfügen
     Krebszellen in andere Teile des Körpers   von Chromosomenteilen. Substanzen,
                                               welche zu solchen chromosomalen Brüchen
Krebserregende Stoffe können gemäss            führen, werden als Klastogene bezeichnet.
ihrem Wirkmechanismus in verschiedene          Veränderungen in der Zahl einzelner
Gruppen unterteilt werden. Für das             Chromosomen (auch Aneuploidien ge-
­Verständnis der kanzerogenen Schwel-          nannt) entstehen zum Beispiel bei Beein-
 lenkonzentration ist die Unterteilung in      trächtigungen der Zellteilung und des
 genotoxische und nicht-genotoxische           Spindelapparats. Stoffe, welche solche
 Kanzerogene wichtig. Die Definitionen         numerische Aberrationen verursachen,
 unterscheiden sich zwischen den ver-          werden Aneugene genannt, sie werden –
 schiedenen Autoren und Kommissionen,          je nach Definition – meistens zu den
 in der Schweizer Grenzwertliste teilen wir    nicht-genotoxischen Kanzerogenen gezählt:
 die verschiedenen krebserregenden Stof-
 fe folgendermassen ein:                       Nicht-genotoxische Kanzerogene
                                               ­reagieren nicht mit der DNA selbst, sondern
Genotoxische Kanzerogene reagieren             sind in Mechanismen involviert, welche
mit der DNA. Die Reaktion mit der DNA          die Entstehung von Krebs begünstigen. Zu
kann durch die Substanz selbst oder            diesen nicht-stochastischen Prozessen
durch einen Metaboliten der Substanz           gehören zum Beispiel die Stimulation der
geschehen. Im ersten Fall spricht man          Zellteilungsrate, die Auslösung von chroni-
von direkt-genotoxischen Substanzen, im        schen Entzündungen, die Hemmung von
zweiten Fall von indirekt-genotoxischen        Reparaturenzymen, die Bildung von ROS
Stoffen. Beispiele von direkt-genotoxi-        (Reactive Oxygen Species), die Hemmung
schen Kanzerogenen sind z. B. alkylieren-      der Apoptose und des Immunsystems,
de Substanzen. Beispiele von indirekt-ge-      oder die Aktivierung von Rezeptoren wie
notoxischen Substanzen sind PAHs,              zum Beispiel des Arylhydrocarbon-Rezep-
Nitrosamine, aromatische Amine oder            tors (AhR) oder des Östrogen-Rezeptors
Carbamate.                                     (ER). Zu den nicht-genotoxischen
                                               Veränderungen werden oft auch einige
Genotoxische Kanzerogene wirken oft als        epigenetische Vorgänge gezählt wie
Initiatoren bei der Krebsentwicklung. Sie      zum Beispiel DNA-Methylierungen (enzy-
können aber auch in den der Initiation         matisch induziert), Histon-Modifikationen
nachfolgenden Schritten aktiv sein.            (insbesondere Acetylierungen) und

                                                                                       13
Veränderungen an der nicht-codierenden       polation der Dosis-Wirkungs-Beziehung in
RNA. Es existieren verschiedene Be-          den Low-Dose-Bereich in den meisten
schreibungen des Begriffs «Epigenetik»,      Fällen gerechtfertigt erscheint. In der Pra-
wir verstehen darunter permanente oder       xis behandelt man diese Substanzen des-
vererbbare Beeinflussungen des Phäno-        halb konservativerweise als schwellenlos.
typs bzw. der Genaktivität durch Eingriffe
an den Chromosomen, ohne dass aber           Bei krebserregenden Stoffen ohne be-
die DNA-­Sequenz verändert wird. Diese       kannte kanzerogene Wirkschwelle schützt
Definition basiert im Wesentlichen auf       also das Einhalten eines MAK-Wertes
den Definitionen des Cold Spring Harbor      nicht sicher vor einem Restrisiko für
Meetings (2008) und des NIH Roadmap          Krebs. Das Restrisiko ist hierbei umso
Epigenomics Projects (ab 2013).              kleiner, je tiefer die Konzentration und je
                                             kleiner die kanzerogene Potenz der Subs-
Nicht-genotoxische Substanzen können         tanz ist. Das Risiko einer Krebserkran-
als Promotoren wirken, dass heisst           kung sollte durch Minimierung von Grad
dass sie die Proliferation der von einem     und Dauer der Exposition so klein als
Initiator geschädigten Zelle fördern. Es     möglich gehalten werden (Minimierungs-
braucht meistens relativ hohe Konzen­        gebot), wobei die Vorkehrungen mit ver-
trationen über einen längeren Zeitraum,      hältnismässigem Aufwand durchführbar
bis Promotoren wirksam werden.               sein sollen (ALARA-Prinzip). Wenn genü-
                                             gend Angaben zur Dosis-Risiko-Bezie-
1.3.2.2 Krebserregende Stoffe ohne           hung für krebserzeugende Stoffe ohne
Schwellenkonzentration                       Wirkschwelle bekannt sind, werden die
Bei den meisten krebserregenden Stoffen      MAK-Werte risikobasiert festgelegt mit
ist keine kanzerogene Schwellenkonzent-      dem Ziel, dass das Zusatzrisiko für das
ration bekannt, entweder weil mechanisti-    Auftreten bösartiger Tumore nicht mehr
sche oder toxikokinetische Überlegungen      als 1:100 000 Exponierte pro Jahr beträgt.
für diese Kanzerogene auf das Fehlen ei-
ner Schwelle hindeuten, oder weil auf-       Dieses Risiko dürfte im gleichen Bereich
grund einer unzureichenden Datenlage         wie dasjenige durch andere Umweltein-
eine Schwelle nicht angegeben werden         flüsse wie die allgemeine Luftverunreini-
kann. Kanzerogene, welche aufgrund ihres     gung liegen.
Mechanismus keine Schwelle aufweisen,
sind häufig geno­toxische, DNA-reaktive      Zu den Schutzmassnahmen gehören
Stoffe. Nicht jede Schädigung der Erb-       die bekannten arbeitshygienischen und
substanz durch genotoxische Stoffe führt     arbeitsmedizinischen Vorkehrungen:
allerdings zu einer malignen Neoplasie,       Die arbeitshygienischen Massnahmen sind
denn die betroffene Zelle kann mit diver­-    gemäss dem STOP-Prinzip hierarchisch ge-
sen Mechanismen wie DNA-Reparatur,            gliedert. An erster Stelle der Rangfolge steht
Zellzyklusregulation, Apoptose, Detoxifi-     die Abklärung, ob ein Arbeitsstoff durch eine
zierung oder immunologischen Vorgän-          weniger schädliche alternative Substanz er-
gen die Weiterentwicklung einer geschä-       setzt werden kann (Substitution). Ist die Ver-
digten Zelle in einen malignen Tumor          wendung eines Stoffes jedoch nicht zu umge-
verhindern. Diese Mechanismen bieten          hen, so sind andere Massnahmen zu treffen,
aber keinen zuverlässigen Schutz und          um die Gefährdung der Beschäftigten soweit
bewegen sich in einem so tiefen Konzen-       als möglich oder ganz auszuschalten.
trationsbereich, dass eine lineare Extra-

14
Hierzu gehören technische Massnahmen,         zum Krebsrisiko leisten («practical» oder
  wie geschlossene Handhabung oder lüf-         «apparent» threshold).
  tungstechnische Vorkehrungen, und organi-
  satorische Massnahmen, wie zum Beispiel       Die Frage nach einer Wirkschwelle ist nicht
  die Vermeidung von Essen, Trinken oder        immer einfach zu beantworten, denn Kan-
  Rauchen am Arbeitsplatz oder die Informati-   zerogene können gleichzeitig mehrere
  on über die möglichen Gefahren. Ferner        Wirkmechanismen aufweisen. So existieren
  sollte die Zahl der Personen, welche krebs-   Substanzen, welche für gewisse Krebs­
  erzeugenden Stoffen oder Einwirkungen         lokalisationen eine Schwelle aufweisen, für
  ausgesetzt sind, möglichst niedrig gehalten   andere nicht (siehe zum Beispiel 2-Acetyl-
  werden. Allenfalls sind auch persönliche      aminofluoren).
  Schutzmassnahmen wie ein ausreichender
  Atem- und Hautschutz einzusetzen. Als         In der Schweizer Grenzwertliste findet sich
  mögliche arbeitsmedizinische Massnahme        bei C1-Stoffen mit bekannter Schwellen­­-
  kann bei Bedarf eine regelmässige ärztliche   konzentration, welche im Bereich oder
  Überwachung in Betracht gezogen werden.       ober­halb des MAK-Werts liegt, ein #-Zeichen
                                                und der Hinweis «kein erhöhtes Krebsrisiko
                                                bei Einhalten des MAK-Werts». Damit wird
Diese Richtlinien entsprechen Art. 2, 4         die kanzerogene Wirkstärke bei der Eintei-
und 5 des von der Schweiz ratifizierten         lung eines Stoffes in eine Krebsklasse mit-
Übereinkommens Nr. 139 der ILO (Inter-          berücksichtigt, was traditionellerweise bei
national Labour Organization) über die          Einordnung in eine Krebskategorie keine
Verhütung und Bekämpfung der durch              Rolle spielt. Das Minimierungsgebot ist mit
krebserzeugende Stoffe und Einwirkun-           Einhalten des MAK-Wertes erfüllt. C1-Stoffe,
gen verursachten Berufskrankheiten.             bei denen mechanistische Überlegungen
                                                die Existenz einer Schwelle implizieren, de-
1.3.2.3 Krebserregende Stoffe mit               ren Höhe zur Zeit aber nicht bekannt ist,
Schwellenkonzentration                          werden nicht gekennzeichnet – sie werden
Verschiedene Komitees wie die SCOEL             wie Kanzerogene ohne Schwellenkonzent-
(Scientific Committee on Occupational           ration behandelt.
Exposure Limits der EU) oder die DFG
(Deutsche Forschungsgemeinschaft) kenn-
zeichnen kanzerogene Stoffe, welche             1.3.3 Erläuterungen zu spezifischen
eine Wirkschwelle aufweisen, separat.           krebserregenden Stoffen
In der CLP-Verordnung existieren zwar kei-
ne separaten Krebsklassen für solche            1.3.3.1 Krebserzeugende Stoffe ohne
Substanzen, es können aber C1-Kanzero-          MAK-Wert
gene mit Schwellenwert eventuell in die         Für gewisse krebserzeugende Stoffe sind
Krebskategorie C2 hinuntergestuft werden        nicht genügend Daten zur Festlegung eines
(siehe «Guidance on the Application of the      MAK-Wertes vorhanden. Diese Stoffe
CLP Criteria» von ECHA). Beispiele von          sind in der Grenzwertliste nicht aufgeführt.
Kanzerogenen, welche einen Schwellen-
wert aufweisen können, sind nicht-genoto-       Zur Beurteilung der Gefährdung sind die
xische oder ausschliesslich auf Chromoso-       entsprechenden Sicherheitsdatenblätter
men wirkende Kanzerogene sowie geno­-           und die ChemRRV oder andere Literatur
toxische Stoffe, welche bei Einhaltung des      zu konsultieren.
MAK-Wertes keinen nennenswerten Beitrag

                                                                                            15
1.3.3.2 Bildung krebserregender                   1.3.3.3 Polyzyklische aromatische
Nitrosamine aus Aminen                            Kohlenwasserstoffe
Nitrosamine entstehen durch Nitrosierung          Polyzyklische aromatische Kohlenwasser-
von sekundären Aminen. Als nitrosierende          stoffe (PAK, engl. Polycyclic Aromatic Hyd-
Agentien kommen vor allem Stickoxide in           rocarbons PAH) entstehen bei der Pyrolyse
Frage, aber auch Nitrosylchlorid, Nitrit­ester,   oder der unvollständigen Verbrennung
Metallnitrite und Nitroseverbindungen. Bei        von organischem Material, wie zum Beispiel
der Nitrosierung gewisser Amine e   ­ ntstehen    Rohgasen von Kokereien. Je nach Aus­
kanzerogene Nitrosamine, in diesem Zu-            gangs­­materialien und Reaktionsbedingun-
sammenhang sind in der Grenzwertliste             gen entstehen PAH in unterschiedlicher
Nitrosodimethylamin (aus Dimethylamin,            Zusammensetzung.
Thiram oder Triethylamin), Nitrosodiethyla-
min (aus Diethylanilin), Nitroso­methylanilin     Eine Arbeitsplatzexposition mit PAHs kommt
(aus Methylanilin) oder Nitrosomorpholin          bei solchen Industrieprozessen vor, bei denen
(aus Morpholin) aufgeführt.                       • eine Verdampfung der im Ausgangsmaterial
                                                    vorhandenen PAHs aufgrund der hohen
Besonders oft werden Nitrosamine im Zu-             Prozesstemperaturen stattfindet. Aus-
sammenhang mit Kühlschmierstoffen er-               gangsmaterialien, die einen hohen Anteil an
wähnt. In Kühlschmierstoffen können Nitrite         PAHs enthalten, sind zum Beispiel Braun-
als nitrosierende Agentien vorkommen. Nit-          und Steinkohlenteere, Steinkohlenteerpe-
rite stammen von nitrithaltigen Rostschutz­-        che und Steinkohlenteeröle. Zu geringeren
mitteln oder sie entstehen, wenn im                 Anteilen sind PAHs in höheren Fraktionen
Kühlschmierstoff Bakterien vorkommen,               der Erdöldestillation wie zum Beispiel in
welche Nitrate zu Nitriten reduzieren.              Asphalt, Bitumen und Motorölen vorhan-
                                                    den.
Der heutige Kenntnisstand reicht nicht aus,       • PAHs durch Pyrolyse oder unvollständige
um für die Entstehung von Nitrosaminen              Verbrennung von organischem Material
unter den komplexen Bedingungen am Ar-              gebildet werden. Beispielsweise enthalten
beitsplatz und in Gemischen von Stoffen             Rohgase von Kokereien einen hohen Anteil
quan­titative Voraussagen zu treffen. Beim          an PAHs.
Umgang mit diesen Aminen am Arbeits-              • ein mechanischer Abrieb von PAH-haltigen
platz sind daher zwei Vorsichtsmassnah-             Arbeitsstoffen stattfinden kann.
men geboten: Die nitrosierenden Agentien
sollen entfernt bzw. durch Verbindungen           Aufgrund der Ergebnisse von Kanzerogeni-
ersetzt werden, die nicht zur Entstehung          tätsstudien und Mutagenitätstests sind
kanzerogener Nitrosamine führen. Insbe-           vom IARC (International Agency for Research
sondere ist die Konzentration von Stick-          on Cancer) verschiedene PAHs als krebs-
oxiden am Arbeitsplatz zu kontrollieren           erregend im Tierversuch eingestuft worden.
und gegebenenfalls zu vermindern. Au-             Epidemiologische Studien zeigten einen
sserdem sollte die Konzentration an Nitro-        signifikanten Zusammenhang zwischen der
saminen in der Luft am Arbeitsplatz ge-           Arbeitsplatzexposition mit PAH-haltigen
messen werden. Dies gilt insbesondere             steinkohleteerflüchtigen Verbindungen (Co-
bei Verwendung von Aminen, aus denen              al Tar Pitch Volatiles) in Kokereien und bei
stark kanzerogene Nitrosamine entstehen           der Kohlevergasung und der erhöhten Lun-
können.                                           genkrebssterblichkeit bei Arbeitnehmenden.
                                                  Daneben können PAHs auch lokal zu
                                                  Hautkrebs führen.

16
Aufgrund seiner hohen kanzerogenen            Das Risiko einer Erkrankung hängt unter
Potenz und seines hohen Anteils von           anderem von der Höhe der Stoffkonzent-
ca. 1 bis 5 % in PAH-Mischungen wird          ration, der Dauer der Exposition oder der
Benzo(a)pyren häufig als Leitsubstanz         Art und Form der Asbestfaser ab. So sind
zur orientierenden Bestimmung einer           lange und dünne Fasern mit einem höhe-
PAH-Exposition gebraucht. Der MAK-Wert        ren Risiko vergesellschaftet.
für Benzo(a)pyren stellt eine Grösse dar,
die keine exakte Beurteilung der Kanze-         Als biologisch relevante Fasern werden
rogenität erlaubt, jedoch zu einer groben       jene Partikel betrachtet, welche ein
Einschätzung herangezogen werden                Länge-zu-Durchmesser-Verhältnis von 3:1
kann. Da für eine Reihe von PAH mittler-        überschreiten, eine Länge von grösser
weile Toxizitätsäquivalenzfaktoren ent­         als 5 µm und einen Durchmesser von we-
wickelt worden sind, sollte die Untersu-        niger als 3 µm aufweisen («WHO-Faser»).
chung der PAH-Exposition am Arbeits­-           Für die Beurteilung einer Gefährdung
platz nicht auf Benzo(a)pyren beschränkt,       spielt neben der Fasergeometrie auch die
sondern auf weitere PAH ausgedehnt              mineralogisch-chemische Zusammen­
werden, die sich als krebserregend im           setzung eine entscheidende Rolle.
Tierversuch erwiesen haben, wie beispiels­-
weise Benz(a)anthrazen, Chrysen,              Mit modernen Rasterelektronenmikrosko-
Benz(b)fluroanthen, Indeno(1,2,3-cd)pyren,    pen (REM) lassen sich bei entsprechen-
Dibenz(a,h)anthrazen, Dibenz(a,i)pyren,       der Vergrösserung Asbestfasern bis zu
Dibenz(a,l)pyren und Dibenz(a,e)pyren.        einem Durchmesser von 0,1 µm nachwei-
Unter Berücksichtigung dieser kanzero-        sen, mit Transmissionselektronenmikros-
genen PAH, die an verschiedenen Ar-           kopen (TEM) lassen sich noch dünnere
beitsplätzen in unterschiedlichen Verhält-    Fasern erkennen.
nissen zueinander auftreten, wird eine
bessere Beurteilung des Krebsrisikos          Der Grenzwert für Asbest beruht jedoch
aufgrund der PAH-Exposition am ­Arbeits-      auf epidemiologischen Untersuchungen,
platz möglich sein.                           bei denen zumeist Lichtmikroskope
                                              zum Einsatz k­ amen und bei denen sehr
1.3.3.4 Asbest                                feine Fasern nicht erfasst wurden. Der
Der Grenzwert für Asbest wurde auf            Einsatz eines REM zur messtechnischen
0,01 Asbestfasern/ml (= 10 000 Asbest­        Überprüfung der Einhaltung des MAK-
fasern/m3) festgelegt. Dieser Wert beruht     Wertes, wie dies zum Beispiel auch bei
auf epidemiologischen Erkenntnissen zur       der deutschen VDI-3492-Methode der
Dosis-Wirkungs-Beziehung bezüglich As-        Fall ist, ist deshalb meistens ausrei-
best und Mesotheliom/Lungenkrebs. Für         chend.
alle Arbeitsplätze, an denen nicht mit as-
besthaltigem Material gearbeitet werden        1.3.3.5 Synthetische Fasern und
muss (zum Beispiel in Büroräumen), sollte     ­Faserstäube
eine Konzentration von 0,001 Asbestfa-         Künstliche Mineralfasern (KMF) sind an-
sern/ml (= 1000 Asbestfasern/m3) nicht         organische Fasern, die aus mineralischen
überschritten werden – dieser Wert ent-        Rohstoffen hergestellt werden. Im Ge-
spricht der Empfehlung des BAG für Wohn­-      gensatz zu den natürlich vorkommenden
räume und Räume mit Daueraufenthalt.           krebserzeugenden Asbestfasern, welche
                                               parallel zur Längsachse gespalten wer-
                                               den, brechen KMF praktisch immer quer.

                                                                                          17
Als biologisch relevante Fasern werden jene     für ein krebserzeugendes Potential in
Partikel betrachtet, welche ein Länge-zu-       Tierversuchen; die Befunde aus Inhalati-
Durchmesser-Verhältnis von 3:1 überschrei-      onsversuchen sind jedoch nicht schlüs-
ten, eine Länge von grösser als 5 μm und        sig, und aus den positiven Befunden bei
einen Durchmesser von weniger als 3 μm          intraperitonealer, intrapleuraler oder in-
aufweisen. Nebst der mineralogisch-che-         tratrachealer Verabreichung kann nicht
mischen Zusammensetzung spielt für die          ohne weiteres eine Gefährdung
Beurteilung einer Gefährdung die Fasergeo­-     des Menschen bei inhalativer Exposition
metrie eine entscheidende Rolle, wie dies       abgeleitet werden. Hierzu gehören
auch von Asbestfeinstaub her bekannt ist.       u. a. Aluminiumoxidfasern. Dies gilt auch
                                                für die organischen p-Aramidfasern.
Dies führt dazu, dass im allgemeinen die
industriell verwendeten KMF meistens ei-        1.3.3.6 Chrom(VI) in Prozessen
nen hohen Durchmesser aufweisen oder            gemäss ChemRRV
zu lang sind, um bis in die Lungenalveolen      Chrom(VI)-Verbindungen sind krebserre-
gelangen zu können. Je nach Produktions-        gende Stoffe ohne bekannte kanzerogene
weise und Bearbeitung können jedoch             Wirkschwelle (siehe auch 1.3.2.2). Das
auch KMF alveolengängige Abmessungen            Risiko einer Krebserkrankung sollte durch
aufweisen. Dies ist zusammen mit der ge-        Minimierung von Grad und Dauer der
nerell hohen Biobeständigkeit der KMF bei       Exposition so klein als möglich gehalten
der Beurteilung eines allfälligen krebser-      werden (Minimierungsgebot).
zeugenden Potentials zu berücksichtigen.
                                                Die Chemikalien-Risikoreduktions-Verord-
Künstlich hergestellte ungerichtete glasige     nung (ChemRRV) verbietet im Anhang
(Silikat-) Fasern mit einem Anteil an Alkali-   1.17 die berufliche oder gewerbliche Ver-
und Erdalkalimetalloxiden (Na2O + K 2O +        wendung bestimmter Chrom(VI)-Verbin-
CaO + MgO + BaO) von über 18 Gewichts-          dungen. Von diesem Verbot sind einzelne
prozent werden in die Klasse der krebs­         Chrom(VI)-Verbindungen ausgenommen,
erzeugenden Stoffe C2 eingeteilt, sofern        wenn sie in Prozessen verwendet werden,
keine der 4 möglichen Ausschlusskriterien       in deren Endprodukten Chrom nicht in
gemäss der Richtlinie der Europäischen          sechswertiger Form vorliegt.
Kommission 97/69/EC 23, Anpassung der
Richtlinie der Europäischen Kommission          Für diese ausgenommene Verwendung
67/548/EEC, erfüllt werden. Mindestens          («Chrom(VI) in Prozessen») gilt das nach
eines dieser vier Ausschlusskriterien erfül-    den Regeln der Technik umzusetzende
len u. a. die in der Schweiz hergestellten      Minimierungsgebot für Chrom(VI)-Verbin-
Stein- und Glaswollen, sowie Hochtempe-         dungen als erfüllt, wenn die Exposition
raturfasern (bis 900 °C) mit hohem Kalium-      der Arbeitnehmenden gemittelt über ei-
und/oder Magnesiumanteil. Diese Fasern          nen Arbeitstag (8 Stunden) 0,001 mg/m3
sind nicht als kanzerogen eingestuft. Hin-      (als Cr berechnet) nicht überschreitet. Die
gegen sind die vorwiegend im Hochtempe-         betroffenen Verbindungen in der ChemRRV
raturbereich verwendeten Keramikfasern          sind Natriumdichromat (CAS 7789-12-0),
(Aluminiumsilikat) zurzeit in die Klasse C1B    Chromtrioxid (CAS 1333-82-0) sowie
der krebserzeugenden Stoffe eingeteilt.         Säuren, die sich aus Chromtrioxid bilden
                                                wie Chromsäure (CAS 7738-94-5) oder
Für andere anorganische Synthesefasern          Dichromsäure (CAS 13530-68-2).
bestehen zwar gewisse Verdachtsmomente

18
1.4 Keimzellmutagene                          Die Einstufung in Kategorie M1B beruht auf
                                               −−positiven Befunden aus in-vivo-Prüfun-
Stoffe ­(Notation M)                             gen auf vererbbare Keimzellmutageni-
                                                 tät bei Säugern, oder
                                               −−positiven Befunden von in-vivo-Muta-
                                                 genitätsprüfungen an Somazellen von
                                                 Säugern in Verbindung mit Hinweisen
                                                 darauf, dass der Stoff das Potenzial
Keimzellmutagene Stoffe lösen Mutationen         hat, an Keimzellen Mutationen zu ver-
in den Keimzellen von Menschen aus, wel-         ursachen (beispielsweise aus in-vivo-
che an die Nachkommen weitergegeben              Mutagenitäts-/Genotoxizitäts-Prüfungen
werden können. Keimzellmutagene Stoffe           an Keimzellen, dem Aufzeigen der
werden seit 2016 in die Kategorien M1A, M1B      Fähigkeit des Stoffes oder seiner Meta-
und M2 eingeteilt, basierend auf GHS und         boliten zur Interaktion mit dem geneti-
der CLP-Verordnung (EG Nr. 1272/2008).           schen Material der Keimzellen), oder
Für Details wird auf die Originaldokumente     −−positiven Befunden von Prüfungen, die
verwiesen. Die Einteilung eines Stoffes in       mutagene Wirkungen an Keimzellen
eine Kategorie erfolgt unabhängig von der        von Menschen zeigen, allerdings ohne
CLP-Verordnung und kann sich von dieser          Nachweis der Weitergabe an die Nach-
unterscheiden. In der folgenden Tabelle          kommen (beispielsweise eine Zunahme
sind die alten Notifikationen der Schweizer      der Aneuploidierate in Spermien expo-
Grenzwertliste (bis 2015) den neuen Notifi-      nierter Personen).
kationen (ab 2016) gegenübergestellt,
ebenso wurde der entsprechende H-Satz         Kategorie M2 (ehemals M3)
aus der CLP-Verordnung angefügt:              Stoffe, die für den Menschen bedenklich
                                              sind, weil sie möglicherweise vererbbare
  Bis 2015    Ab 2016      H-Satz             Mutationen in Keimzellen von Menschen
                                              auslösen können. Eine Einstufung in die
                                              Kategorie M2 beruht auf positiven Befun-
   M1         M1A          H340
                                              den von Versuchen an Säugern und/oder
   M2         M1B          H340
                                              in manchen Fällen aus in-vivo-Mutageni-
   M3         M2           H341
                                              tätsprüfungen an Somazellen von Säugern
                                              oder anderen in-vivo-Genotoxizitätsprü-
Kategorie M1                                  fungen an Somazellen, die durch positive
• Kategorie M1A (ehemals M1)                  Befunde aus in-vitro-Mutagenitäts-Prüfun-
  Stoffe, die bekanntermassen vererbbare      gen gestützt werden, die aber eine Eintei-
  Muta­tionen an menschlichen Keimzellen      lung in M1 nicht rechtfertigen.
  auslösen. Die Einstufung in die Kategorie
  M1A beruht auf positiven Befunden aus         Als «Mutagene» werden in der CMD9 der EU
  epidemiologischen Studien an Menschen.        nur jene Stoffe oder Gemische bezeichnet,
• Kategorie M1B (ehemals M2)                    welche die Kriterien zur Einstufung als
  Stoffe, die wahrscheinlich vererbbare         erbgutverändernde Stoffe der Kategorie
  Mutationen an menschlichen Keimzellen         M1A oder M1B erfüllen.
  auslösen und so angesehen werden
  sollten, als wenn sie vererbbare Mutatio-
                                              9 CMD = Richtlinie 2004/37/EG über den Schutz der
  nen bewirken.                               Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene und
                                              Mutagene bei der Arbeit. Siehe Art. 2.

                                                                                              19
1.5 Reproduktionstoxi-                      tion für Beeinträchtigungen der Laktation
                                            und Gefährdungen durch die Laktation
sche Stoffe (Notation R)                    aufgeführt.

                                            Eine weitere Kennzeichnung, welche sich
                                            mit der Gefährdung des Fetus befasst,
                                            sind die SS-Klassen (siehe Kapitel 1.6).
                                            Die SS-Klassen beschreiben, ob bei Ein-
Der Begriff «Reproduktionstoxizität» um-    haltung des MAK-Wertes mit einer Schä-
fasst einerseits die Beeinträchtigung der   digung der Leibesfrucht zu rechnen ist
Fruchtbarkeit und Sexualfunktion bei        oder ob keine Beeinträchtigung erwartet
Mann und Frau, andererseits Entwick-        werden muss. Demgegenüber bezieht
lungsschäden bei den Nachkommen.            sich die in diesem Kapitel besprochene
                                            R-Notation auf den Stoff selber, ohne In-
Zu den Beeinträchtigungen der               formation darüber, ob der Stoff bei Ein-
Fruchtbarkeit und Sexualfunktion ge-        haltung des MAK-Wertes schädigend auf
hören unter anderem Veränderungen der       das Kind wirkt.
Fortpflanzungsorgane, Störungen der
Gametenbildung und des Gametentrans-        Zur Kennzeichnung und Einstufung wer-
ports, der Regelmässigkeit des Repro-       den reproduktionstoxische Stoffe seit
duktionszyklus, des Sexualverhaltens,       2016 in die Kategorien R1A, R1B und R2
der Fruchtbarkeit, der Geburt, der          eingeteilt. Die Bezeichnungen und Defini-
Schwangerschaft, des Eintritts in die Pu-   tionen der Kategorien entsprachen bis
bertät, sowie vorzeitiges reproduktives     2015 denjenigen der DFG, ab 2016 leh-
Altern oder Änderungen anderer Funktio-     nen sich die Definitionen in modifizierter
nen, die von der Unversehrtheit des Fort-   Form den Gefahrenkategorien für repro-
pflanzungssystems abhängen.                 duktionstoxische Stoffe und den Codes
                                            D und F der entsprechenden Gefahren-
Zu den Beeinträchtigungen der Ent-          hinweise in der CLP-Verordnung (EG
wicklung der Nachkommen zählt im            Nr. 1272/2008) an. Für Details wird auf
weitesten Sinne jede Beeinträchtigung       die CLP-Verordnung verwiesen. Die Ein-
der normalen Entwicklung des Kindes         teilung eines Stoffes in eine Kategorie in
vor und nach der Geburt aufgrund einer      der Schweizer Grenzwertliste erfolgt un-
Exposition eines der Elternteile vor der    abhängig von der CLP-Verordnung und
Empfängnis oder aufgrund der Expositi-      kann sich von dieser unterscheiden. Die
on der Nachkommen im Laufe ihrer vor-       Einstufung als reproduktionstoxisch ist
geburtlichen Entwicklung oder nach der      für Stoffe gedacht, die eine intrinsische
Geburt bis zur Erlangung der Ge-            spezifische Eigenschaft zur Beeinträchti-
schlechtsreife.                             gung der Fortpflanzung besitzen; sie ist
                                            jedoch nicht zulässig für Stoffe, bei de-
Beeinträchtigungen der Laktation oder       nen diese Wirkung lediglich als unspezifi-
unerwünschte Wirkungen als Folge der        sche sekundäre Folge anderer toxischer
Laktation gehören auch zur Reproduk­        Wirkungen auftritt. Der Einfluss der ma-
tionstoxizität, sie werden aber in der      ternalen Toxizität ist bei der Beurteilung
CLP-Verordnung zu Einstufungszwecken        der toxischen Wirkungen auf die Ent-
gesondert behandelt. In der Schweizer       wicklung der Nachkommen also zu be-
Grenzwertliste wird keine eigene Nota­      rücksichtigen.

20
In der folgenden Tabelle sind die alten      oder der Entwicklung (R2 D; ehemals RE3)
Notifikationen der Schweizer Grenzwert-      nachweisen, diese Nachweise aber nicht
liste (bis 2015) den neuen Klassierungen     stichhaltig genug für eine Einstufung des
(ab 2016) gegenübergestellt:                 Stoffes in die Kategorie 1 sind. Die Ein-
                                             stufung erfolgt nach Abwägung aller Fak-
                                             ten und Anhörung von Experten.
    Bis 2015   Ab 2016     H-Satz

    RE1        R1AD        H360D
    RE2        R1BD        H360D
    RE3        R2D         H361d
    RF1        R1AF        H360F
    RF2        R1BF        H360F
    RF3        R2F         H361f

Kategorie R1
• Kategorie R1A (ehemals R1)
  Stoffe, die bekanntermassen beim
  Menschen reproduktionstoxisch sind.
  Die Einstufung beruht weitgehend auf
  Befunden beim Menschen.
  R1AF (ehemals RF1) bedeutet, dass sich
  die Reproduktionstoxizität auf die
  Fruchtbarkeit oder Sexualität bezieht,
  R1AD (ehemals RE1) bedeutet, dass sich
  die Reproduktionstoxizität auf die Ent-
  wicklung bezieht.
• Kategorie R1B (ehemals R2)
  Stoffe, die wahrscheinlich reprodukti-
  onstoxisch sind. Die Einstufung beruht
  weitgehend auf Daten aus Tierstudien.
  R1BF (ehemals RF2) bedeutet, dass sich
  die Reproduktionstoxizität auf die
  Fruchtbarkeit oder Sexualität bezieht,
  bei R1BD (ehemals RE2) betrifft die
  Reproduktionstoxizität auf die Entwick-
  lung.

Kategorie R2 (ehemals R3)
Stoffe, die möglicherweise beim Men-
schen reproduktionstoxisch sind. Stoffe
werden dann in die Kategorie R2 einge-
stuft, wenn Befunde beim Menschen
oder bei Versuchstieren vorliegen, die ei-
ne Beeinträchtigung der Sexualfunktion
und Fruchtbarkeit (R2 F; ehemals RF3)

                                                                                   21
1.6 Beziehung zwischen                         Diese Einteilung beruht auf Überlegun-
                                               gen der DFG und die Klassifizierung
fruchtschädigender                             stimmt weitgehend mit derjenigen der
­Wirkung und MAK-Wert                          DFG überein. Im Gegensatz zur R-Notati-
                                               on beschreibt diese Einteilung die Bezie-
 (SS-Klassen)                                  hung der entwicklungstoxischen Eigen-
                                               schaft eines Stoffes in Bezug zum
                                               MAK-Wert – demgegenüber charakteri-
Die MAK-Werte gelten für gesunde Perso-        siert die R-Notation die Entwicklungsto-
nen im erwerbsfähigen Alter. Die epide-        xizität als Eigenschaft eines Stoffes an
miologischen und experimentellen Unter-        sich, ohne Bezug zum MAK-Wert. Es ist
suchungen zeigen aber, dass die                deshalb zum Beispiel möglich, dass ein
Applikation der MAK-Werte für gesunde          Stoff zwar mit einem RD versehen wurde,
schwangere Frauen nicht ohne Vorbehalt         hingegen keine SS-Notation aufweist: In
möglich ist, da auch bei ihrer Einhaltung      diesem Fall ist nicht bekannt, bei wel-
der sichere Schutz des ungeborenen Kin-        cher Konzentration die reproduktionsto-
des vor fruchtschädigenden Wirkungen           xische Eigenschaft des Stoffes zum Tra-
der Stoffe nicht immer gewährleistet ist.      gen kommt. Umgekehrt gibt es Stoffe,
                                               die zwar eine SS-Notation, hingegen kei-
Für die Beschäftigung von schwangeren          ne RD-Notation aufweisen; der Grund
und stillenden Arbeitnehmerinnen wird auf      dieser Konstellation liegt darin, dass die
die Verordnung 1 vom 10. Mai 2000 zum          beiden Notationen von verschiedenen
Arbeitsgesetz (ArGV1) und die Verord-          Gremien vergeben werden und nicht auf-
nung des EVD vom 20. März 2001 über            einander abgestimmt sind.
gefährliche und beschwerliche Arbeiten
bei Schwangerschaft und Mutterschutz           Kanzerogene Stoffe ohne Wirkschwelle
(Mutterschutzverordnung) verwiesen.            werden keiner SS-Gruppe zugeteilt.
                                               ­E xpositionen gegenüber solchen Stoffen
In der schweizerischen Grenzwertliste           sind ohnehin generell zu vermeiden
­teilen wir fruchtschädigende Stoffe in fol-    oder möglichst tief zu halten.
 gende drei Gruppen ein:

Kategorie SSA
Eine Schädigung der Leibesfrucht kann
auch bei Einhaltung des MAK-Wertes auf-
treten.

Kategorie SS B
Eine Schädigung der Leibesfrucht kann
auch bei Einhaltung des MAK-Wertes
nicht ausgeschlossen werden.

Kategorie SSC
Eine Schädigung der Leibesfrucht braucht
bei Einhaltung des MAK-Wertes nicht be-
fürchtet zu werden.

22
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