Grenzwerte am Arbeitsplatz
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Grenzwerte am Arbeitsplatz r ungen E r lä u te K- u n d n M A zu d e e r te n BAT-W che sikalis n z w e r te phy n Gre kung e E inw ir e ys is c h e r te p h R ic h tw s tu n g e n B e la
Das Modell Suva Die vier Grundpfeiler Suva Gesundheitsschutz Die Suva ist mehr als eine Gewinne gibt die Suva Abteilung Arbeitsmedizin Versicherung; sie vereint in Form von tieferen Postfach, 6002 Luzern Prävention, Versicherung Prämien an die Versicherten und Rehabilitation. zurück. Auskünfte Tel. 041 419 58 51 kundendienst@suva.ch Download www.suva.ch/1903.d Die Suva wird von den Die Suva ist selbsttragend; Titel Sozialpartnern geführt. sie erhält keine öffentlichen Grenzwerte am Arbeitsplatz Die ausgewogene Zusam- Gelder. mensetzung im Suva-Rat Abdruck – ausser für kommerzielle aus Arbeitgeber-, Arbeit- Nutzung – mit Quellenangabe gestattet. nehmer- und Bundes Ausgabe: Februar 2021 vertretern ermöglicht breit Publikationsnummer abgestützte, tragfähige 1903.d (nur als PDF erhältlich) Lösungen.
Grenzwerte am Arbeitsplatz Erläuterungen zu den Grenzwerten für chemische Substanzen * (aktuelle MAK- und BAT-Werte: www.suva.ch/grenzwerte) Arbeitshygienische Grenzwerte für physikalische Einwirkungen Richtwerte für physische Belastungen * Die aktuell geltenden Maximalen Arbeitsplatzkonzentrations- (MAK) und Biologischen Arbeitsstoff toleranzwerte (BAT) finden Sie online unter www.suva.ch/grenzwerte. Grenzwerte am Arbeitsplatz werden von der Suva gemäss Art. 50 Abs. 3 der Verordnung des Bundesrates vom 19. Dezember 1983 über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten erlassen. Der Erlass erfolgt im Einvernehmen mit der Grenzwert-Kommission der Schweizerischen Vereinigung für Arbeitsmedizin, Arbeitshygiene und Arbeitssicherheit (Suissepro).
Inhaltsverzeichnis 1 Maximale Arbeitsplatzkonzentrationswerte (MAK-Werte) 6 1.1 Vorbemerkungen 6 1.1.1 Definition des MAK-Wertes 6 1.1.2 Kurzzeitgrenzwert (KZGW) 6 1.1.3 Erläuterungen 7 1.1.4 Hinweis auf besondere Vollzugspflichten 8 1.1.5 Vergleich von MAK-Werten mit DNEL-Werten 8 1.2 Definition der Notationen H S O L B P und * 10 1.2.1 H (Hautresorption) 10 1.2.2 S (Sensibilisierung) 10 1.2.3 OL (Interaktion von Lärm und chemischen Stoffen) 10 1.2.4 B (Biologisches Monitoring) 11 1.2.5 P (Provisorische Festlegung) 11 1.2.6 * (Neuerung, Änderung) 11 1.3 Krebserregende Stoffe (Notation C) 12 1.3.1 Definition der C-Kategorien 12 1.3.2 Krebserregende Stoffe mit und ohne Schwellenkonzentration 12 1.3.2.1 Allgemeine Bemerkungen 12 1.3.2.2 Krebserregende Stoffe ohne Schwellenkonzentration 14 1.3.2.3 Krebserregende Stoffe mit Schwellenkonzentration 15 1.3.3 Erläuterungen zu spezifischen krebserregenden Stoffen 15 1.3.3.1 Krebserzeugende Stoffe ohne MAK-Wert 15 1.3.3.2 Bildung krebserregender Nitrosamine aus Aminen 16 1.3.3.3 Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe 16 1.3.3.4 Asbest 17 1.3.3.5 Synthetische Fasern und Faserstäube 17 1.3.3.6 Chrom(VI) in Prozessen gemäss ChemRRV 18 1.4 Keimzellmutagene Stoffe (Notation M) 19 1.5 Reproduktionstoxische Stoffe (Notation R) 20 1.6 Beziehung zwischen fruchtschädigender Wirkung und MAK-Wert (SS-Klassen) 22
1.7 Kritische Toxizität 23 1.8 Stäube und Nanopartikel 27 1.8.1 Analyse von Aerosolen 27 1.8.2 Granulär-biobeständige Stäube (GBS) 29 1.8.3 Nanopartikel und ultrafeine Partikel 30 1.8.4 Sensibilisierende Stäube (Getreidemehlstaub) 31 1.8.5 Biologisch belastete Stäube und Aerosole / biologische Einwirkungen 32 1.9 Spezielle Themen 33 1.9.1 Beurteilung des Gesundheitsrisikos von Arbeitsstoffen ohne MAK-Wert 33 1.9.2 Stoffgemische 34 1.9.3 Neurotoxische Substanzen 36 1.9.4 Organische Peroxide 36 1.9.5 Isocyanate 36 1.9.6 Kühlschmierstoffe und Mineralöle 37 1.9.7 Lösliche Metalle 38 1.10 Hinweise auf Messmethoden 39 1.10.1 Adressen 39 1.10.2 Einheiten 39 1.10.3 Stoffe, die gleichzeitig als Dampf und Aerosol vorliegen können 40 2 Biologische Arbeitsstofftoleranzwerte (BAT-Werte) 41 2.1 Vorbemerkungen 41 2.1.1 Arbeitsmedizinische Vorsorge und Biomonitoring 41 2.1.2 Definition des BAT-Wertes 41 2.1.3 Erläuterungen 42 2.1.4 Aufbau der Liste der BAT-Werte 43 2.1.5 BAT-Werte von Arbeitsstoffen mit der Einstufung «krebserzeugend» C1A und C1B 44 2.1.6 Analytische Überwachung 44
3 Physikalische Einwirkungen 45 3.1 Ionisierende Strahlen 45 3.2 Nichtionisierende Strahlen 46 3.2.1 Laser 46 3.2.2 Ultraviolett 46 3.2.3 Visuelle und Infrarotstrahlung (inkohärent) 48 3.2.4 Elektromagnetische Felder 49 3.3 Schall und Vibrationen 52 3.3.1 Dauerschall (Lärm) 52 3.3.2 Impulsartiger Schall 52 3.3.3 Ultraschall 52 3.3.4 Infraschall 52 3.3.5 Hand-Arm-Vibrationen 53 3.3.6 Ganzkörper-Vibrationen 53 3.4 Hyperbare Umgebung 53 3.4.1 Gas- und dampfförmige Stoffe 53 3.4.2 Stäube und Aerosole 54 3.5 Hitze (Infrarotstrahlung) 55
4 Richtwerte für physische Belastungen 56 4.1 Vorbemerkungen 56 4.2 Richtwert für Gewichte (Manipulation von Lasten) 57 Abkürzungen in der MAK-Liste 58 Abkürzungen in der BAT-Liste 59
1 Maximale Arbeitsplatzkonzentrationswerte (MAK-Werte) 1.1 Vorbemerkungen Grenzwert des Arbeitsstoffes hinsicht- lich Höhe, Dauer und Häufigkeit pro Arbeitstag oder Schicht begrenzt. 1.1.1 Definition des MAK-Wertes Die Liste der MAK-Werte enthält in der besonderen Kolonne «KZGW» die jeweili- Der Maximale Arbeitsplatzkonzentrations- gen festgelegten Kurzzeitgrenzwerte. wert (MAK-Wert) ist die höchstzulässige Durchschnittskonzentration eines gas-, Der Kurzzeitgrenzwert (KZGW) ist jener dampf- oder staubförmigen Arbeitss toffes Wert, welcher auch kurzfristig nicht über- in der Luft, die nach derzeitiger Kenntnis schritten werden darf. Messtechnisch ge- in der Regel bei Einwirkung während einer sehen bedeutet dies, dass der Mittelwert Arbeitszeit von 8 Stunden täglich und bis einer 15minütigen Messung nicht über 42 Stunden pro Woche auch über längere dem Kurzzeitgrenzwert liegen darf. Perioden bei der ganz stark überwiegen- Bei lokal reizenden oder atemwegsensibi- den Zahl der gesunden, am Arbeitsp latz lisierenden Stoffen entspricht der Kurz- Beschäftigten die Gesundheit nicht ge- zeitgrenzwert in der Regel dem Schicht- fährdet. mittelwert (d. h. dem MAK-Wert). Bei resorptiv oder systemisch wirksamen Stoffen kann der Kurzzeitgrenzwert höher sein, da hier der MAK-Wert oft nicht aku- 1.1.2 Kurzzeitgrenzwert (KZGW) te, sondern kumulativ-toxische Phänome- ne verhindern soll. Die maximalen Arbeitsplatzkonzentrati- Es sind maximal vier 15-minütige Über- onswerte sind 8-Stunden-Mittelwerte. In schreitungen des MAK-Werts pro Schicht der Praxis schwankt jedoch die aktuelle in Höhe des Kurzzeitgrenzwertes erlaubt. Konzentration der Stoffe in der Atemluft Der Abstand zwischen den vier erlaubten häufig in erheblichem Ausmass. Die Expositionsspitzen pro Schicht soll min- Überschreitung des Mittelwertes bedarf destens eine Stunde betragen. Der bei vielen Stoffen der Begrenzung, um 8-Stunden-Mittelwert ist in jedem Falle Gesundheitsschäden zu verhüten. Basie- einzuhalten. rend auf toxikologischen und arbeitshygi- enischen Kriterien werden kurzzeitige Abweichungen der aktuell gemessenen Bei starken Reizstoffen kann durch kurz- Raumluftkonzentration über den publi- zeitige Konzentrationsspitzen die Wir- zierten auf die Arbeitsschicht bezogenen kungsschwelle überschritten werden. 6
1.1.3 Erläuterungen stand, Klima sowie p hysischer und psy- chischer Arbeitsbelastung, wurde bei der Der MAK-Wert ist eine Beurteilungs- Festlegung der MAK-Werte nach Mög- grundlage für die Bedenklichkeit lichkeit berücksichtigt. oder Unb ed enklichkeit am Arbeits- platz auftretender Konzentrationen von Einzelne Stoffe können auch bei Konzen Stoffen. Neben der Giftigkeit der eingeat- trationen unterhalb des Grenzwertes Ge- meten Stoffe werden bei der Festlegung fahren anderer Art mit sich bringen, zum der MAK-Werte noch andere Faktoren Beispiel Explosionen. Solche Gefahren berücksichtigt, u. a. Ätzwirkung, sensibili- sind nicht Gegenstand dieser Publikation. sierende und ernsthaft belästigende Ei- genschaften sowie Hautdurchdringungs- Die MAK-Werte, wie auch die Grenzwer- vermögen. te für physikalische Einwirkungen am Arbeitsplatz (siehe Kap. 3) stimmen weit- Die MAK-Werte sind keine sicheren Gren- gehend überein mit denjenigen, die peri- zen zwischen gefährlichen und ungefährli- odisch durch die «American Conference chen Bereichen. of Governmental Industrial Hygienists» und/oder vor allem durch die «Kommissi- on zur Prüfung gesundheitsschädlicher Einerseits garantieren Konzentrationen ei- Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungs- nes Stoffes, die unterhalb des M AK- gemeinschaft» publiziert werden. Die an Wertes liegen, nicht die Gesundheit aller den Arbeitsplätzen gemessenen Konzen- Exponierten. Besonders empfindliche trationen dienen der Suva als Grundlage oder in ihrer Gesundheit beeinträchtigte zur Beurteilung des Berufskrankheiten- Personen können auch durch tiefere Kon- Risikos und – wenn nötig – zum Anord- zentrationen gefährdet werden. Ander- nen von technischen und medizinischen seits bedeutet eine kurzfristige E in- Massnahmen zur Verhütung von Berufs- wirkung oberhalb des MAK-Wertes noch krankheiten. keineswegs, dass bei den E xponierten gesundheitliche Probleme auftreten. Die Die MAK-Werte werden erarbeitet unterschiedliche E mpfindlichkeit und • epidemiologisch durch den Vergleich Belastung des arbeitenden Menschen, von am Arbeitsplatz auftretenden Kon- z. B. im Zusammenhang mit Alter, Ge- zentrationen mit der Häufigkeit entspre- schlecht, Konstitution, Ernährungszu- chender Gesundheitsschäden; • aufgrund von experimentellen Untersu- chungen; Zu den besonders empfindlichen Perso- • durch Analogieschlüsse und aufgrund nen gehören u. a. diejenigen, bei denen anderer theoretischer Überlegungen. Haut oder Atemwege gegenüber gewissen Arbeitsstoffen sensibilisiert sind. Bei Voraussetzungen für die Aufstellung eines diesen können allergische Reaktionen MAK-Wertes sind ausreichende (Überempfindlichkeitsreaktionen) durch toxikologische und/oder arbeitsmedizini- zahlreiche Stoffe schon in minimalen Kon- sche Erfahrungen beim Umgang mit dem zentrationen ausgelöst werden. Das Stoff. Erfahr ungen an Menschen sind bei Einhalten der MAK-Werte bietet hier nur der Beurteilung höher zu bewerten als eine beschränkte Sicherheit. experimentelle Untersuchungen oder Analogieschlüsse. 7
Die MAK-Werte müssen immer wieder Vertreter der Suva. Jeder MAK-Wert wird neuen Erkenntnissen angepasst werden. aufgrund von wissenschaftlichen Er- Deshalb wird die vorliegende Liste regel- kenntnissen und nach Abklärungen be- mässig revidiert. treffend der Machbarkeit festgelegt und in der vorliegenden Grenzwertliste veröf- fentlicht. Bei der Bestimmung eines 1.1.4 Hinweis auf besondere MAK-Werts stehen Grundregeln der Vollzugspflichten Grenzwertsetzung zur Verfügung - diese Regeln werden für jeden Stoff individuell, Neben der Sicherstellung der Einhaltung entsprechend der Beurteilung durch die der MAK-Werte hat der Arbeitgeber dafür Experten eingesetzt. Dabei betrachten zu sorgen, dass die Arbeitnehmer über die Fachleute unter anderem die Qualität die bei ihren Tätigkeiten auftretenden be- der zugrunde liegenden Studien, die Art sonderen Gefahren in Kenntnis gesetzt und Gefährlichkeit des toxischen Effekts, sowie über die Massnahmen zu deren den Abstand zwischen den getesteten Verhütung vor der Aufnahme der Tätig- Dosierungen im Experiment und viele keit und hernach in den erforderlichen weitere Faktoren. Dass verschiedene in- Zeitabständen angeleitet werden. Er ternationale Komitees diese Faktoren un- sorgt für die Befolgung dieser Massnah- terschiedlich beurteilen, liegt auf der men. Die Arbeitnehmer sind ihrerseits Hand und erklärt, warum sich die offiziel- verpflichtet, die Weisungen des Arbeit len Grenzwerte verschiedener Länder gebers zu befolgen, die Sicherheitsvor- unterscheiden können. In der Schweizer schriften zu beachten sowie die Sicher- Grenzwertliste finden sich einige Hun- heitsvorrichtungen und persönliche dert MAK-Werte. Sicherheitsausrüstungen zu benützen (Verordnung über die Verhütung von DNEL-Werte Unfällen und Berufskrankheiten, VUV). DNEL-Werte1 werden von der Industrie im Zusammenhang mit der Registrierung von Chemikalien im EWR gemäss der 1.1.5 Vergleich von MAK-Werten mit REACH-Verordnung 2 EG Nr. 1907/2006 DNEL-Werten bestimmt. Hersteller und Importeure im EWR sind gemäss dieser Verordnung MAK-Werte verpflichtet, DNELs für jeden Stoff zu MAK-Werte sind rechtlich verbindliche berechnen, welcher in einer Menge von Grenzwerte, welche dem Schutz der ≥ 10 Tonnen/Jahr hergestellt oder in den Gesundheit der Arbeitnehmer dienen. EWR importiert wird. Dies betrifft zur Zeit Sie werden von der Suva gemäss Art. (2016) etwa 30 000 Substanzen, also 50.3 VUV erlassen und in der Grenzwert- weitaus mehr Stoffe als MAK-Werte liste veröffentlicht. Der Erlass erfolgt im existieren. Einvernehmen mit der Grenzwertkom- mission der Schweizerischen Vereinigung DNEL-Werte werden nicht von einem für Arbeitsmedizin, Arbeitshygiene und wissenschaftlichen Komitee hergeleitet, Arbeitssicherheit (Suissepro). In dieser sondern von der betroffenen Firma selbst Kommission befinden sich Experten aus bestimmt. Grundlage ist eine von der Universitäten, aus Bund und Kantonen, 1 DNEL = Derived No Effect Level aus der Industrie, praktisch tätige Arbeits- 2EACH = Registration, Evaluation, Authorisation and mediziner und Arbeitshygieniker sowie Restriction of Chemicals 8
ECHA 3 entwickelte Vorgehensweise. DNELs kontaktiert werden sollte.5 Gibt Dieser Algorithmus ist in einer ECHA- es für eine Substanz keinen Schweizer Leitlinie 4 beschrieben. Die berechneten MAK-Wert (was für die grosse Mehrheit Werte werden auf der Homepage der der Stoffe der Fall ist), so muss der Ar- ECHA veröffentlicht. Für zulassungs- beitgeber die Gefährdung selber oder pflichtige, besonders besorgniserregen- unter Beizug eines ASA-Spezialisten de Substanzen (SVHCs) werden vom beurteilen. Hierzu können das Sicher- Ausschuss für Risikobeurteilung der heitsdatenblatt mit DNEL-Wert (falls vor- ECHA (Committee for Risk Assessment, handen), MAK-Werte anderer Komitees RAC) sogenannte Referenz-DNELs und deren Begründungen, Studien, erarbeitet. weitergehende Literatur etc. beigezogen werden. Auch die spezifische Arbeits Die strikte Vorgehensweise bei der tätigkeit soll in diese Beurteilung ein Berechnung von DNELs erlaubt es, in fliessen. kurzer Zeit DNELs für die grosse Zahl an gehandelten Chemikalien zu berechnen. Es ist möglich, dass je nach Hersteller verschiedene DNELs für eine Substanz existieren, weil diese die DNELs unter- schiedlich berechnen (unterschiedliche Studien als Grundlage, andere Extrapo- lationsfaktoren, andere Zusammenset- zung etc.). Ebenso können sich DNELs und die offiziellen MAK-Werte manchmal um Faktoren unterscheiden, weil die Beurteilung und die Zielsetzung bei der Bestimmung verschieden sind. Arbeitnehmerschutz gemäss UVG MAK-Werte und DNELs werden auf dem Sicherheitsdatenblatt eines Stoffes ange- geben und müssen gemäss Chemikali- enrecht beachtet werden. Bestehen für eine Substanz sowohl ein Schweizer MAK-Wert als auch ein DNEL-Wert, so ist der MAK-Wert für den Arbeitnehmer- schutz gemäss UVG in der Schweiz ent- scheidend – er ist rechtlich verbindlich. Wenn der DNEL tiefer ist als der MAK- Wert und durch die Risikomanagement- Massnahmen des Betriebs nicht erreicht 5 Vorläufige Leitlinien für nationale Arbeitsaufsichtsbe- wird, empfiehlt eine Leitlinie der EU, dass amte zur Anwendung von Grenzwerten für die Exposition der Lieferant zwecks Überprüfung des am Arbeitsplatz (OEL), abgeleiteten Expositionshöhen ohne Beeinträchtigung (DNEL) und abgeleiteten Expositi- 3 ECHA = European Chemicals Agency onshöhen mit minimaler Beeinträchtigung (DMEL) bei der 4 Guidance on information requirements and chemical Bewertung der Wirksamkeit der Überwachung und Be- safety assessment; Chapter R.8: Characterisation of grenzung der Exposition gegenüber chemischen Stoffen dose [concentration]-response for human health am Arbeitsplatz 9
1.2 Definition der soll zu besonderer Aufmerks amkeit beim Umgang mit diesen Stoffen anregen. Notationen H S OL B P und * 1.2.3 OL (Interaktion von Lärm und chemischen Stoffen) 1.2.1 H (Hautresorption) Lärmeinwirkungen können die Zellen des Bei Stoffen, welche die Haut leicht zu Innenohres schädigen und damit zu einer durchdringen vermögen, kann durch die vorübergehenden Höreinbusse im Sinne zusätzliche Hautresorption die innere Be- der Vertäubung oder einer definitiven lastung wesentlich höher werden als bei Höre inbusse mit Schwerhörigkeit führen. alleiniger Aufnahme durch die Atemwe- Tierexperimentelle und epidemiologische ge. So können z. B. Anilin, Nitrobenzol, Untersuchungen haben gezeigt, dass Nitroglykol, Phenole und bestimmte auch gewisse Arbeitsstoffe in der Lage Pflanzenschutzmittel auch allein auf dem sind, eine Höreinbusse zu erzeugen und/ Wege durch die Haut gefährliche Vergif- oder die Wirkung von Lärm auf das Ge- tungen erzeugen. hör zu verstärken. Bei Expositionen mit Stoffen, die mit H Oft stammen die Erkenntnisse zu sub gekennzeichnet sind, kann somit die stanzbedingten ototoxischen Wirkungen Messung der externen Belastung (Luft, aus Tierversuchen, bei denen die Stoff- Oberflächen) die tatsächliche innere Be- konzentrationen deutlich über dem MAK- lastung resp. Beanspruchung des Orga- Wert und/oder der Schallpegel über den nismus durch diesen Stoff unterschät- in der Schweiz erlaubten 85 dB(A) lagen. zen. Für eine Arbeitsplatzbeurteilung ist Trotzdem kann eine Verstärkung des in diesen Fällen zusätzlich eine biologi- gehörschädigenden Effekts von Lärm sche Überwachung anzustreben. auch beim Menschen unter Arbeitsplatz- bedingungen nicht immer sicher ausge- schlossen werden. 1.2.2 S (Sensibilisierung) Die mit S gekennzeichneten Substanzen Ototoxische Substanzen, welche die ge- führen besonders häufig zu Überemp- hörschädigende Wirkung des Lärms bei findlichkeitsreaktionen (allergischen Arbeitnehmenden verstärken können, Krankheiten). Allergische Erscheinungen werden mit «O L» gekennzeichnet. können nach Sensibilisierung z. B. der Haut oder der Atemwege je nach persön- licher Disposition unterschiedlich schnell Stoffe, welche zwar otototoxisch sind, und stark durch solche Stoffe ausgelöst bei welchen aber keine hinreichenden werden. Auch die Einhaltung des MAK- Beweise für eine Interaktion mit Lärm be- Wertes gibt keine Sicherheit gegen das stehen, erhalten keine OL-Notifikation. Auftreten derartiger Reaktionen. Beson- Hierzu gehören zum Beispiel Blei, ders zu beachten ist die S ensibilisie- Quecksilber, p-Xylol oder Kohlendisulfid rungsgefahr bei Acrylaten, Getreidemehl- (nicht abschliessende Aufzählung). Ne- stäuben (Roggen, Weizen), α-Amylase, ben diesen Arbeitsstoffen existieren oto- Colophonium und Latex. Dieser Hinweis toxische Medikamente, Viren- und Bak- 10
terientoxine, Suchtmittel etc., auf die im 1.2.5 P (Provisorische Festlegung) Rahmen dieser Publikation nicht einge- gangen wird. Die MAK-Werte für diese Substanzen sind aus verschiedenen Gründen noch An sich ist bei Einhaltung der MAK-Werte nicht definitiv festgelegt. Bei bisher be- bei ototoxischen Substanzen ein wesent- stehenden Grenzwerten bedeutet «P», licher Hörverlust wenig wahrscheinlich 6 dass dieser Wert aktuell aufgrund neuer und die Ototoxizität stellt bei keinem wissenschaftlicher Erkenntnisse über- Stoff die kritische Toxizität dar (siehe prüft wird. K apitel 1.7). Im Rahmen der Risikobeur- teilung von Arbeitsstoffen, welche mit ei- nem «OL» gekennzeichnet sind, ist aber 1.2.6 * (Neuerung, Änderung) die mögliche Interaktion mit Lärm einzu- beziehen. Bei relevanten Expositionen Ein * in der Kolonne der Stoffe bedeutet, gegenüber diesen Stoffen sind allenfalls dass dieser Stoff oder diese Form neu in bereits bei Lärmexpositionen unter die Liste aufgenommen wurde. Bei den 85 dB(A) technische und organisatori- MAK-Werten bedeutet der *, dass der be- sche Lärmreduktionsmassnahmen und/ treffende Wert gegenüber der letzten oder das Tragen eines Gehörschutzes Ausgabe geändert hat. Zusatzbezeich- zu empfehlen. Der Begriff «relevante nungen und Bemerkungen mit einem * E xposition» soll zum Ausdruck bringen, w urden seit der letzten Ausgabe neu ein- dass die Stoffkonzentrationen bei den geführt oder geändert. Experimenten zur Ototoxizität teilweise über dem MAK-Wert lagen. Die Frage, ob die Grenzwerte für die erwähnten Ar- beitsstoffe für die Interaktion mit Lärm protektiv sind, kann erst in Zukunft auf- grund weiterer Untersuchungen präziser beantwortet werden. 1.2.4 B (Biologisches Monitoring) Stoffe, bei welchen ein biologischer Grenzwert (siehe Kapitel 2) zuverlässig begründbar ist und die in der Schweiz in Speziallabors bestimmt werden können, sind mit B gekennzeichnet. 6 DGUV: Ototoxische Arbeitsstoffe. Positionspapier der Arbeitskreise "Lärm" und "Gefahrstoffe" des Ausschus- ses Arbeitsmedizin der DGUV. Februar 2011. 11
1.3 Krebserregende Menschen krebserzeugend sind. Die Einstufung erfolgt überwiegend aufgrund Stoffe (Notation C) von Nachweisen beim Menschen. • Kategorie C1B (ehemals C2) Stoffe, die wahrscheinlich beim Men- schen krebserzeugend sind. Die Einstu- fung erfolgt überwiegend aufgrund von Nachweisen bei Tieren. 1.3.1 Definition der C-Kategorien Kategorie C2 (ehemals C3) Es handelt sich um Stoffe, welche mögli- Krebserregende Stoffe werden seit 2016 cherweise beim Menschen krebserzeu- in die Kategorien C1A, C1B und C2 einge- gend sind. Die Einstufung in die Kategorie teilt, basierend auf GHS und der CLP- 2 erfolgt aufgrund von Nachweisen aus Verordnung 7. Bei der Wortwahl wurden Studien an Mensch und/oder Tier, die ei- zudem die Definitionen der IARC-Klassie- nen Verdacht auf eine krebserregende rungen mitberücksichtigt. Für Details wird Wirkung begründen, die jedoch nicht hin- auf die entsprechenden Originaldoku- reichend genug für eine Einstufung des mente verwiesen. Die Einteilung eines Stoffes in die Kategorie C1 sind. Stoffes in eine Kategorie in der Schweizer Grenzwertliste erfolgt unabhängig von Als «Karzinogene» werden in der CMD 8 der CLP-Verordnung und kann sich somit der EU nur jene Stoffe oder Gemische be- von dieser unterscheiden. zeichnet, welche die Kriterien zur Einstu- fung als krebserzeugende Stoffe der Kate- Bis 2015 wurde in der Schweizer Grenz- gorie C1A oder C1B erfüllen. wertliste die Klassierung der DFG be- nutzt. In der folgenden Tabelle sind die alten Notifikationen (bis 2015) den neuen Kategorien (ab 2016) gegenübergestellt. 1.3.2 Krebserregende Stoffe mit und Ebenso sind die entsprechenden H-Sätze ohne Schwellenkonzentration aus der CLP-Verordnung aufgeführt: 1.3.2.1 Allgemeine Bemerkungen DNA-Schäden sind häufig und treten in Bis 2015 Ab 2016 H-Satz einer Zelle jeden Tag Tausende Male auf. Die meisten dieser DNA-Schäden sind C1 C1A H350 nicht permanent, da sie von der Zelle re- C2 C1B H350 pariert werden oder da die Zelle stirbt. C3 C2 H351 Entsteht aber eine dauerhafte, vererbba- re DNA-Schädigung (Mutation) und findet sich diese in bestimmten Regionen der DNA wie zum Beispiel einem Tumor-Sup- Kategorie C1 pressorgen oder einem Proto-Onkogen, • Kategorie C1A (ehemals C1) so kann dies der erste Schritt in der Ent- Stoffe, die bekanntermassen beim stehung von Krebs sein. 7 CLP-Verordnung = Regulation (EC) No. 1272/2008 on 8 CMD = Richtlinie 2004/37/EG über den Schutz der classification, labelling and packaging of substances and Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene und mixtures Mutagene bei der Arbeit. Siehe Art. 2. 12
Bei der Entstehung von Krebs werden Genotoxische Stoffe können zu Mutationen der Reihe nach folgende Schritte durch- von Genen oder zu Veränderungen der laufen (sogenanntes «multistage model»): Struktur oder Zahl von Chromosomen, das heisst chromosomalen Aberrationen, 1. Initiation: Entstehung einer Mutation, führen. Genmutationen können zum Bei- das heisst einer dauerhaften vererb spiel als Folge von DNA-Addukten oder baren Veränderung der DNA DNA-Strangbrüchen entstehen, weil es 2. Promotion: Klonale Vermehrung der dadurch zu einem fehlerhaften Ablesen von der Initiation betroffenen Zelle zu des DNA-Strangs kommen kann. Verän- einer präneoplastischen Läsion derungen in der Struktur von Chromoso- 3. Progression: Maligne Entartung der men (sogenannte strukturelle Aberrationen) präneoplastischen Läsion infolge sieht man zum Beispiel nach Brüchen in weiterer genetischer Veränderungen einem Chromosom mit anschliessendem 4. Metastasierung: Verbreitung der Verlust oder fehlerhaftem Zusammenfügen Krebszellen in andere Teile des Körpers von Chromosomenteilen. Substanzen, welche zu solchen chromosomalen Brüchen Krebserregende Stoffe können gemäss führen, werden als Klastogene bezeichnet. ihrem Wirkmechanismus in verschiedene Veränderungen in der Zahl einzelner Gruppen unterteilt werden. Für das Chromosomen (auch Aneuploidien ge- Verständnis der kanzerogenen Schwel- nannt) entstehen zum Beispiel bei Beein- lenkonzentration ist die Unterteilung in trächtigungen der Zellteilung und des genotoxische und nicht-genotoxische Spindelapparats. Stoffe, welche solche Kanzerogene wichtig. Die Definitionen numerische Aberrationen verursachen, unterscheiden sich zwischen den ver- werden Aneugene genannt, sie werden – schiedenen Autoren und Kommissionen, je nach Definition – meistens zu den in der Schweizer Grenzwertliste teilen wir nicht-genotoxischen Kanzerogenen gezählt: die verschiedenen krebserregenden Stof- fe folgendermassen ein: Nicht-genotoxische Kanzerogene reagieren nicht mit der DNA selbst, sondern Genotoxische Kanzerogene reagieren sind in Mechanismen involviert, welche mit der DNA. Die Reaktion mit der DNA die Entstehung von Krebs begünstigen. Zu kann durch die Substanz selbst oder diesen nicht-stochastischen Prozessen durch einen Metaboliten der Substanz gehören zum Beispiel die Stimulation der geschehen. Im ersten Fall spricht man Zellteilungsrate, die Auslösung von chroni- von direkt-genotoxischen Substanzen, im schen Entzündungen, die Hemmung von zweiten Fall von indirekt-genotoxischen Reparaturenzymen, die Bildung von ROS Stoffen. Beispiele von direkt-genotoxi- (Reactive Oxygen Species), die Hemmung schen Kanzerogenen sind z. B. alkylieren- der Apoptose und des Immunsystems, de Substanzen. Beispiele von indirekt-ge- oder die Aktivierung von Rezeptoren wie notoxischen Substanzen sind PAHs, zum Beispiel des Arylhydrocarbon-Rezep- Nitrosamine, aromatische Amine oder tors (AhR) oder des Östrogen-Rezeptors Carbamate. (ER). Zu den nicht-genotoxischen Veränderungen werden oft auch einige Genotoxische Kanzerogene wirken oft als epigenetische Vorgänge gezählt wie Initiatoren bei der Krebsentwicklung. Sie zum Beispiel DNA-Methylierungen (enzy- können aber auch in den der Initiation matisch induziert), Histon-Modifikationen nachfolgenden Schritten aktiv sein. (insbesondere Acetylierungen) und 13
Veränderungen an der nicht-codierenden polation der Dosis-Wirkungs-Beziehung in RNA. Es existieren verschiedene Be- den Low-Dose-Bereich in den meisten schreibungen des Begriffs «Epigenetik», Fällen gerechtfertigt erscheint. In der Pra- wir verstehen darunter permanente oder xis behandelt man diese Substanzen des- vererbbare Beeinflussungen des Phäno- halb konservativerweise als schwellenlos. typs bzw. der Genaktivität durch Eingriffe an den Chromosomen, ohne dass aber Bei krebserregenden Stoffen ohne be- die DNA-Sequenz verändert wird. Diese kannte kanzerogene Wirkschwelle schützt Definition basiert im Wesentlichen auf also das Einhalten eines MAK-Wertes den Definitionen des Cold Spring Harbor nicht sicher vor einem Restrisiko für Meetings (2008) und des NIH Roadmap Krebs. Das Restrisiko ist hierbei umso Epigenomics Projects (ab 2013). kleiner, je tiefer die Konzentration und je kleiner die kanzerogene Potenz der Subs- Nicht-genotoxische Substanzen können tanz ist. Das Risiko einer Krebserkran- als Promotoren wirken, dass heisst kung sollte durch Minimierung von Grad dass sie die Proliferation der von einem und Dauer der Exposition so klein als Initiator geschädigten Zelle fördern. Es möglich gehalten werden (Minimierungs- braucht meistens relativ hohe Konzen gebot), wobei die Vorkehrungen mit ver- trationen über einen längeren Zeitraum, hältnismässigem Aufwand durchführbar bis Promotoren wirksam werden. sein sollen (ALARA-Prinzip). Wenn genü- gend Angaben zur Dosis-Risiko-Bezie- 1.3.2.2 Krebserregende Stoffe ohne hung für krebserzeugende Stoffe ohne Schwellenkonzentration Wirkschwelle bekannt sind, werden die Bei den meisten krebserregenden Stoffen MAK-Werte risikobasiert festgelegt mit ist keine kanzerogene Schwellenkonzent- dem Ziel, dass das Zusatzrisiko für das ration bekannt, entweder weil mechanisti- Auftreten bösartiger Tumore nicht mehr sche oder toxikokinetische Überlegungen als 1:100 000 Exponierte pro Jahr beträgt. für diese Kanzerogene auf das Fehlen ei- ner Schwelle hindeuten, oder weil auf- Dieses Risiko dürfte im gleichen Bereich grund einer unzureichenden Datenlage wie dasjenige durch andere Umweltein- eine Schwelle nicht angegeben werden flüsse wie die allgemeine Luftverunreini- kann. Kanzerogene, welche aufgrund ihres gung liegen. Mechanismus keine Schwelle aufweisen, sind häufig genotoxische, DNA-reaktive Zu den Schutzmassnahmen gehören Stoffe. Nicht jede Schädigung der Erb- die bekannten arbeitshygienischen und substanz durch genotoxische Stoffe führt arbeitsmedizinischen Vorkehrungen: allerdings zu einer malignen Neoplasie, Die arbeitshygienischen Massnahmen sind denn die betroffene Zelle kann mit diver- gemäss dem STOP-Prinzip hierarchisch ge- sen Mechanismen wie DNA-Reparatur, gliedert. An erster Stelle der Rangfolge steht Zellzyklusregulation, Apoptose, Detoxifi- die Abklärung, ob ein Arbeitsstoff durch eine zierung oder immunologischen Vorgän- weniger schädliche alternative Substanz er- gen die Weiterentwicklung einer geschä- setzt werden kann (Substitution). Ist die Ver- digten Zelle in einen malignen Tumor wendung eines Stoffes jedoch nicht zu umge- verhindern. Diese Mechanismen bieten hen, so sind andere Massnahmen zu treffen, aber keinen zuverlässigen Schutz und um die Gefährdung der Beschäftigten soweit bewegen sich in einem so tiefen Konzen- als möglich oder ganz auszuschalten. trationsbereich, dass eine lineare Extra- 14
Hierzu gehören technische Massnahmen, zum Krebsrisiko leisten («practical» oder wie geschlossene Handhabung oder lüf- «apparent» threshold). tungstechnische Vorkehrungen, und organi- satorische Massnahmen, wie zum Beispiel Die Frage nach einer Wirkschwelle ist nicht die Vermeidung von Essen, Trinken oder immer einfach zu beantworten, denn Kan- Rauchen am Arbeitsplatz oder die Informati- zerogene können gleichzeitig mehrere on über die möglichen Gefahren. Ferner Wirkmechanismen aufweisen. So existieren sollte die Zahl der Personen, welche krebs- Substanzen, welche für gewisse Krebs erzeugenden Stoffen oder Einwirkungen lokalisationen eine Schwelle aufweisen, für ausgesetzt sind, möglichst niedrig gehalten andere nicht (siehe zum Beispiel 2-Acetyl- werden. Allenfalls sind auch persönliche aminofluoren). Schutzmassnahmen wie ein ausreichender Atem- und Hautschutz einzusetzen. Als In der Schweizer Grenzwertliste findet sich mögliche arbeitsmedizinische Massnahme bei C1-Stoffen mit bekannter Schwellen- kann bei Bedarf eine regelmässige ärztliche konzentration, welche im Bereich oder Überwachung in Betracht gezogen werden. oberhalb des MAK-Werts liegt, ein #-Zeichen und der Hinweis «kein erhöhtes Krebsrisiko bei Einhalten des MAK-Werts». Damit wird Diese Richtlinien entsprechen Art. 2, 4 die kanzerogene Wirkstärke bei der Eintei- und 5 des von der Schweiz ratifizierten lung eines Stoffes in eine Krebsklasse mit- Übereinkommens Nr. 139 der ILO (Inter- berücksichtigt, was traditionellerweise bei national Labour Organization) über die Einordnung in eine Krebskategorie keine Verhütung und Bekämpfung der durch Rolle spielt. Das Minimierungsgebot ist mit krebserzeugende Stoffe und Einwirkun- Einhalten des MAK-Wertes erfüllt. C1-Stoffe, gen verursachten Berufskrankheiten. bei denen mechanistische Überlegungen die Existenz einer Schwelle implizieren, de- 1.3.2.3 Krebserregende Stoffe mit ren Höhe zur Zeit aber nicht bekannt ist, Schwellenkonzentration werden nicht gekennzeichnet – sie werden Verschiedene Komitees wie die SCOEL wie Kanzerogene ohne Schwellenkonzent- (Scientific Committee on Occupational ration behandelt. Exposure Limits der EU) oder die DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) kenn- zeichnen kanzerogene Stoffe, welche 1.3.3 Erläuterungen zu spezifischen eine Wirkschwelle aufweisen, separat. krebserregenden Stoffen In der CLP-Verordnung existieren zwar kei- ne separaten Krebsklassen für solche 1.3.3.1 Krebserzeugende Stoffe ohne Substanzen, es können aber C1-Kanzero- MAK-Wert gene mit Schwellenwert eventuell in die Für gewisse krebserzeugende Stoffe sind Krebskategorie C2 hinuntergestuft werden nicht genügend Daten zur Festlegung eines (siehe «Guidance on the Application of the MAK-Wertes vorhanden. Diese Stoffe CLP Criteria» von ECHA). Beispiele von sind in der Grenzwertliste nicht aufgeführt. Kanzerogenen, welche einen Schwellen- wert aufweisen können, sind nicht-genoto- Zur Beurteilung der Gefährdung sind die xische oder ausschliesslich auf Chromoso- entsprechenden Sicherheitsdatenblätter men wirkende Kanzerogene sowie geno- und die ChemRRV oder andere Literatur toxische Stoffe, welche bei Einhaltung des zu konsultieren. MAK-Wertes keinen nennenswerten Beitrag 15
1.3.3.2 Bildung krebserregender 1.3.3.3 Polyzyklische aromatische Nitrosamine aus Aminen Kohlenwasserstoffe Nitrosamine entstehen durch Nitrosierung Polyzyklische aromatische Kohlenwasser- von sekundären Aminen. Als nitrosierende stoffe (PAK, engl. Polycyclic Aromatic Hyd- Agentien kommen vor allem Stickoxide in rocarbons PAH) entstehen bei der Pyrolyse Frage, aber auch Nitrosylchlorid, Nitritester, oder der unvollständigen Verbrennung Metallnitrite und Nitroseverbindungen. Bei von organischem Material, wie zum Beispiel der Nitrosierung gewisser Amine e ntstehen Rohgasen von Kokereien. Je nach Aus kanzerogene Nitrosamine, in diesem Zu- gangsmaterialien und Reaktionsbedingun- sammenhang sind in der Grenzwertliste gen entstehen PAH in unterschiedlicher Nitrosodimethylamin (aus Dimethylamin, Zusammensetzung. Thiram oder Triethylamin), Nitrosodiethyla- min (aus Diethylanilin), Nitrosomethylanilin Eine Arbeitsplatzexposition mit PAHs kommt (aus Methylanilin) oder Nitrosomorpholin bei solchen Industrieprozessen vor, bei denen (aus Morpholin) aufgeführt. • eine Verdampfung der im Ausgangsmaterial vorhandenen PAHs aufgrund der hohen Besonders oft werden Nitrosamine im Zu- Prozesstemperaturen stattfindet. Aus- sammenhang mit Kühlschmierstoffen er- gangsmaterialien, die einen hohen Anteil an wähnt. In Kühlschmierstoffen können Nitrite PAHs enthalten, sind zum Beispiel Braun- als nitrosierende Agentien vorkommen. Nit- und Steinkohlenteere, Steinkohlenteerpe- rite stammen von nitrithaltigen Rostschutz- che und Steinkohlenteeröle. Zu geringeren mitteln oder sie entstehen, wenn im Anteilen sind PAHs in höheren Fraktionen Kühlschmierstoff Bakterien vorkommen, der Erdöldestillation wie zum Beispiel in welche Nitrate zu Nitriten reduzieren. Asphalt, Bitumen und Motorölen vorhan- den. Der heutige Kenntnisstand reicht nicht aus, • PAHs durch Pyrolyse oder unvollständige um für die Entstehung von Nitrosaminen Verbrennung von organischem Material unter den komplexen Bedingungen am Ar- gebildet werden. Beispielsweise enthalten beitsplatz und in Gemischen von Stoffen Rohgase von Kokereien einen hohen Anteil quantitative Voraussagen zu treffen. Beim an PAHs. Umgang mit diesen Aminen am Arbeits- • ein mechanischer Abrieb von PAH-haltigen platz sind daher zwei Vorsichtsmassnah- Arbeitsstoffen stattfinden kann. men geboten: Die nitrosierenden Agentien sollen entfernt bzw. durch Verbindungen Aufgrund der Ergebnisse von Kanzerogeni- ersetzt werden, die nicht zur Entstehung tätsstudien und Mutagenitätstests sind kanzerogener Nitrosamine führen. Insbe- vom IARC (International Agency for Research sondere ist die Konzentration von Stick- on Cancer) verschiedene PAHs als krebs- oxiden am Arbeitsplatz zu kontrollieren erregend im Tierversuch eingestuft worden. und gegebenenfalls zu vermindern. Au- Epidemiologische Studien zeigten einen sserdem sollte die Konzentration an Nitro- signifikanten Zusammenhang zwischen der saminen in der Luft am Arbeitsplatz ge- Arbeitsplatzexposition mit PAH-haltigen messen werden. Dies gilt insbesondere steinkohleteerflüchtigen Verbindungen (Co- bei Verwendung von Aminen, aus denen al Tar Pitch Volatiles) in Kokereien und bei stark kanzerogene Nitrosamine entstehen der Kohlevergasung und der erhöhten Lun- können. genkrebssterblichkeit bei Arbeitnehmenden. Daneben können PAHs auch lokal zu Hautkrebs führen. 16
Aufgrund seiner hohen kanzerogenen Das Risiko einer Erkrankung hängt unter Potenz und seines hohen Anteils von anderem von der Höhe der Stoffkonzent- ca. 1 bis 5 % in PAH-Mischungen wird ration, der Dauer der Exposition oder der Benzo(a)pyren häufig als Leitsubstanz Art und Form der Asbestfaser ab. So sind zur orientierenden Bestimmung einer lange und dünne Fasern mit einem höhe- PAH-Exposition gebraucht. Der MAK-Wert ren Risiko vergesellschaftet. für Benzo(a)pyren stellt eine Grösse dar, die keine exakte Beurteilung der Kanze- Als biologisch relevante Fasern werden rogenität erlaubt, jedoch zu einer groben jene Partikel betrachtet, welche ein Einschätzung herangezogen werden Länge-zu-Durchmesser-Verhältnis von 3:1 kann. Da für eine Reihe von PAH mittler- überschreiten, eine Länge von grösser weile Toxizitätsäquivalenzfaktoren ent als 5 µm und einen Durchmesser von we- wickelt worden sind, sollte die Untersu- niger als 3 µm aufweisen («WHO-Faser»). chung der PAH-Exposition am Arbeits- Für die Beurteilung einer Gefährdung platz nicht auf Benzo(a)pyren beschränkt, spielt neben der Fasergeometrie auch die sondern auf weitere PAH ausgedehnt mineralogisch-chemische Zusammen werden, die sich als krebserregend im setzung eine entscheidende Rolle. Tierversuch erwiesen haben, wie beispiels- weise Benz(a)anthrazen, Chrysen, Mit modernen Rasterelektronenmikrosko- Benz(b)fluroanthen, Indeno(1,2,3-cd)pyren, pen (REM) lassen sich bei entsprechen- Dibenz(a,h)anthrazen, Dibenz(a,i)pyren, der Vergrösserung Asbestfasern bis zu Dibenz(a,l)pyren und Dibenz(a,e)pyren. einem Durchmesser von 0,1 µm nachwei- Unter Berücksichtigung dieser kanzero- sen, mit Transmissionselektronenmikros- genen PAH, die an verschiedenen Ar- kopen (TEM) lassen sich noch dünnere beitsplätzen in unterschiedlichen Verhält- Fasern erkennen. nissen zueinander auftreten, wird eine bessere Beurteilung des Krebsrisikos Der Grenzwert für Asbest beruht jedoch aufgrund der PAH-Exposition am Arbeits- auf epidemiologischen Untersuchungen, platz möglich sein. bei denen zumeist Lichtmikroskope zum Einsatz k amen und bei denen sehr 1.3.3.4 Asbest feine Fasern nicht erfasst wurden. Der Der Grenzwert für Asbest wurde auf Einsatz eines REM zur messtechnischen 0,01 Asbestfasern/ml (= 10 000 Asbest Überprüfung der Einhaltung des MAK- fasern/m3) festgelegt. Dieser Wert beruht Wertes, wie dies zum Beispiel auch bei auf epidemiologischen Erkenntnissen zur der deutschen VDI-3492-Methode der Dosis-Wirkungs-Beziehung bezüglich As- Fall ist, ist deshalb meistens ausrei- best und Mesotheliom/Lungenkrebs. Für chend. alle Arbeitsplätze, an denen nicht mit as- besthaltigem Material gearbeitet werden 1.3.3.5 Synthetische Fasern und muss (zum Beispiel in Büroräumen), sollte Faserstäube eine Konzentration von 0,001 Asbestfa- Künstliche Mineralfasern (KMF) sind an- sern/ml (= 1000 Asbestfasern/m3) nicht organische Fasern, die aus mineralischen überschritten werden – dieser Wert ent- Rohstoffen hergestellt werden. Im Ge- spricht der Empfehlung des BAG für Wohn- gensatz zu den natürlich vorkommenden räume und Räume mit Daueraufenthalt. krebserzeugenden Asbestfasern, welche parallel zur Längsachse gespalten wer- den, brechen KMF praktisch immer quer. 17
Als biologisch relevante Fasern werden jene für ein krebserzeugendes Potential in Partikel betrachtet, welche ein Länge-zu- Tierversuchen; die Befunde aus Inhalati- Durchmesser-Verhältnis von 3:1 überschrei- onsversuchen sind jedoch nicht schlüs- ten, eine Länge von grösser als 5 μm und sig, und aus den positiven Befunden bei einen Durchmesser von weniger als 3 μm intraperitonealer, intrapleuraler oder in- aufweisen. Nebst der mineralogisch-che- tratrachealer Verabreichung kann nicht mischen Zusammensetzung spielt für die ohne weiteres eine Gefährdung Beurteilung einer Gefährdung die Fasergeo- des Menschen bei inhalativer Exposition metrie eine entscheidende Rolle, wie dies abgeleitet werden. Hierzu gehören auch von Asbestfeinstaub her bekannt ist. u. a. Aluminiumoxidfasern. Dies gilt auch für die organischen p-Aramidfasern. Dies führt dazu, dass im allgemeinen die industriell verwendeten KMF meistens ei- 1.3.3.6 Chrom(VI) in Prozessen nen hohen Durchmesser aufweisen oder gemäss ChemRRV zu lang sind, um bis in die Lungenalveolen Chrom(VI)-Verbindungen sind krebserre- gelangen zu können. Je nach Produktions- gende Stoffe ohne bekannte kanzerogene weise und Bearbeitung können jedoch Wirkschwelle (siehe auch 1.3.2.2). Das auch KMF alveolengängige Abmessungen Risiko einer Krebserkrankung sollte durch aufweisen. Dies ist zusammen mit der ge- Minimierung von Grad und Dauer der nerell hohen Biobeständigkeit der KMF bei Exposition so klein als möglich gehalten der Beurteilung eines allfälligen krebser- werden (Minimierungsgebot). zeugenden Potentials zu berücksichtigen. Die Chemikalien-Risikoreduktions-Verord- Künstlich hergestellte ungerichtete glasige nung (ChemRRV) verbietet im Anhang (Silikat-) Fasern mit einem Anteil an Alkali- 1.17 die berufliche oder gewerbliche Ver- und Erdalkalimetalloxiden (Na2O + K 2O + wendung bestimmter Chrom(VI)-Verbin- CaO + MgO + BaO) von über 18 Gewichts- dungen. Von diesem Verbot sind einzelne prozent werden in die Klasse der krebs Chrom(VI)-Verbindungen ausgenommen, erzeugenden Stoffe C2 eingeteilt, sofern wenn sie in Prozessen verwendet werden, keine der 4 möglichen Ausschlusskriterien in deren Endprodukten Chrom nicht in gemäss der Richtlinie der Europäischen sechswertiger Form vorliegt. Kommission 97/69/EC 23, Anpassung der Richtlinie der Europäischen Kommission Für diese ausgenommene Verwendung 67/548/EEC, erfüllt werden. Mindestens («Chrom(VI) in Prozessen») gilt das nach eines dieser vier Ausschlusskriterien erfül- den Regeln der Technik umzusetzende len u. a. die in der Schweiz hergestellten Minimierungsgebot für Chrom(VI)-Verbin- Stein- und Glaswollen, sowie Hochtempe- dungen als erfüllt, wenn die Exposition raturfasern (bis 900 °C) mit hohem Kalium- der Arbeitnehmenden gemittelt über ei- und/oder Magnesiumanteil. Diese Fasern nen Arbeitstag (8 Stunden) 0,001 mg/m3 sind nicht als kanzerogen eingestuft. Hin- (als Cr berechnet) nicht überschreitet. Die gegen sind die vorwiegend im Hochtempe- betroffenen Verbindungen in der ChemRRV raturbereich verwendeten Keramikfasern sind Natriumdichromat (CAS 7789-12-0), (Aluminiumsilikat) zurzeit in die Klasse C1B Chromtrioxid (CAS 1333-82-0) sowie der krebserzeugenden Stoffe eingeteilt. Säuren, die sich aus Chromtrioxid bilden wie Chromsäure (CAS 7738-94-5) oder Für andere anorganische Synthesefasern Dichromsäure (CAS 13530-68-2). bestehen zwar gewisse Verdachtsmomente 18
1.4 Keimzellmutagene Die Einstufung in Kategorie M1B beruht auf −−positiven Befunden aus in-vivo-Prüfun- Stoffe (Notation M) gen auf vererbbare Keimzellmutageni- tät bei Säugern, oder −−positiven Befunden von in-vivo-Muta- genitätsprüfungen an Somazellen von Säugern in Verbindung mit Hinweisen darauf, dass der Stoff das Potenzial Keimzellmutagene Stoffe lösen Mutationen hat, an Keimzellen Mutationen zu ver- in den Keimzellen von Menschen aus, wel- ursachen (beispielsweise aus in-vivo- che an die Nachkommen weitergegeben Mutagenitäts-/Genotoxizitäts-Prüfungen werden können. Keimzellmutagene Stoffe an Keimzellen, dem Aufzeigen der werden seit 2016 in die Kategorien M1A, M1B Fähigkeit des Stoffes oder seiner Meta- und M2 eingeteilt, basierend auf GHS und boliten zur Interaktion mit dem geneti- der CLP-Verordnung (EG Nr. 1272/2008). schen Material der Keimzellen), oder Für Details wird auf die Originaldokumente −−positiven Befunden von Prüfungen, die verwiesen. Die Einteilung eines Stoffes in mutagene Wirkungen an Keimzellen eine Kategorie erfolgt unabhängig von der von Menschen zeigen, allerdings ohne CLP-Verordnung und kann sich von dieser Nachweis der Weitergabe an die Nach- unterscheiden. In der folgenden Tabelle kommen (beispielsweise eine Zunahme sind die alten Notifikationen der Schweizer der Aneuploidierate in Spermien expo- Grenzwertliste (bis 2015) den neuen Notifi- nierter Personen). kationen (ab 2016) gegenübergestellt, ebenso wurde der entsprechende H-Satz Kategorie M2 (ehemals M3) aus der CLP-Verordnung angefügt: Stoffe, die für den Menschen bedenklich sind, weil sie möglicherweise vererbbare Bis 2015 Ab 2016 H-Satz Mutationen in Keimzellen von Menschen auslösen können. Eine Einstufung in die Kategorie M2 beruht auf positiven Befun- M1 M1A H340 den von Versuchen an Säugern und/oder M2 M1B H340 in manchen Fällen aus in-vivo-Mutageni- M3 M2 H341 tätsprüfungen an Somazellen von Säugern oder anderen in-vivo-Genotoxizitätsprü- Kategorie M1 fungen an Somazellen, die durch positive • Kategorie M1A (ehemals M1) Befunde aus in-vitro-Mutagenitäts-Prüfun- Stoffe, die bekanntermassen vererbbare gen gestützt werden, die aber eine Eintei- Mutationen an menschlichen Keimzellen lung in M1 nicht rechtfertigen. auslösen. Die Einstufung in die Kategorie M1A beruht auf positiven Befunden aus Als «Mutagene» werden in der CMD9 der EU epidemiologischen Studien an Menschen. nur jene Stoffe oder Gemische bezeichnet, • Kategorie M1B (ehemals M2) welche die Kriterien zur Einstufung als Stoffe, die wahrscheinlich vererbbare erbgutverändernde Stoffe der Kategorie Mutationen an menschlichen Keimzellen M1A oder M1B erfüllen. auslösen und so angesehen werden sollten, als wenn sie vererbbare Mutatio- 9 CMD = Richtlinie 2004/37/EG über den Schutz der nen bewirken. Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene und Mutagene bei der Arbeit. Siehe Art. 2. 19
1.5 Reproduktionstoxi- tion für Beeinträchtigungen der Laktation und Gefährdungen durch die Laktation sche Stoffe (Notation R) aufgeführt. Eine weitere Kennzeichnung, welche sich mit der Gefährdung des Fetus befasst, sind die SS-Klassen (siehe Kapitel 1.6). Die SS-Klassen beschreiben, ob bei Ein- Der Begriff «Reproduktionstoxizität» um- haltung des MAK-Wertes mit einer Schä- fasst einerseits die Beeinträchtigung der digung der Leibesfrucht zu rechnen ist Fruchtbarkeit und Sexualfunktion bei oder ob keine Beeinträchtigung erwartet Mann und Frau, andererseits Entwick- werden muss. Demgegenüber bezieht lungsschäden bei den Nachkommen. sich die in diesem Kapitel besprochene R-Notation auf den Stoff selber, ohne In- Zu den Beeinträchtigungen der formation darüber, ob der Stoff bei Ein- Fruchtbarkeit und Sexualfunktion ge- haltung des MAK-Wertes schädigend auf hören unter anderem Veränderungen der das Kind wirkt. Fortpflanzungsorgane, Störungen der Gametenbildung und des Gametentrans- Zur Kennzeichnung und Einstufung wer- ports, der Regelmässigkeit des Repro- den reproduktionstoxische Stoffe seit duktionszyklus, des Sexualverhaltens, 2016 in die Kategorien R1A, R1B und R2 der Fruchtbarkeit, der Geburt, der eingeteilt. Die Bezeichnungen und Defini- Schwangerschaft, des Eintritts in die Pu- tionen der Kategorien entsprachen bis bertät, sowie vorzeitiges reproduktives 2015 denjenigen der DFG, ab 2016 leh- Altern oder Änderungen anderer Funktio- nen sich die Definitionen in modifizierter nen, die von der Unversehrtheit des Fort- Form den Gefahrenkategorien für repro- pflanzungssystems abhängen. duktionstoxische Stoffe und den Codes D und F der entsprechenden Gefahren- Zu den Beeinträchtigungen der Ent- hinweise in der CLP-Verordnung (EG wicklung der Nachkommen zählt im Nr. 1272/2008) an. Für Details wird auf weitesten Sinne jede Beeinträchtigung die CLP-Verordnung verwiesen. Die Ein- der normalen Entwicklung des Kindes teilung eines Stoffes in eine Kategorie in vor und nach der Geburt aufgrund einer der Schweizer Grenzwertliste erfolgt un- Exposition eines der Elternteile vor der abhängig von der CLP-Verordnung und Empfängnis oder aufgrund der Expositi- kann sich von dieser unterscheiden. Die on der Nachkommen im Laufe ihrer vor- Einstufung als reproduktionstoxisch ist geburtlichen Entwicklung oder nach der für Stoffe gedacht, die eine intrinsische Geburt bis zur Erlangung der Ge- spezifische Eigenschaft zur Beeinträchti- schlechtsreife. gung der Fortpflanzung besitzen; sie ist jedoch nicht zulässig für Stoffe, bei de- Beeinträchtigungen der Laktation oder nen diese Wirkung lediglich als unspezifi- unerwünschte Wirkungen als Folge der sche sekundäre Folge anderer toxischer Laktation gehören auch zur Reproduk Wirkungen auftritt. Der Einfluss der ma- tionstoxizität, sie werden aber in der ternalen Toxizität ist bei der Beurteilung CLP-Verordnung zu Einstufungszwecken der toxischen Wirkungen auf die Ent- gesondert behandelt. In der Schweizer wicklung der Nachkommen also zu be- Grenzwertliste wird keine eigene Nota rücksichtigen. 20
In der folgenden Tabelle sind die alten oder der Entwicklung (R2 D; ehemals RE3) Notifikationen der Schweizer Grenzwert- nachweisen, diese Nachweise aber nicht liste (bis 2015) den neuen Klassierungen stichhaltig genug für eine Einstufung des (ab 2016) gegenübergestellt: Stoffes in die Kategorie 1 sind. Die Ein- stufung erfolgt nach Abwägung aller Fak- ten und Anhörung von Experten. Bis 2015 Ab 2016 H-Satz RE1 R1AD H360D RE2 R1BD H360D RE3 R2D H361d RF1 R1AF H360F RF2 R1BF H360F RF3 R2F H361f Kategorie R1 • Kategorie R1A (ehemals R1) Stoffe, die bekanntermassen beim Menschen reproduktionstoxisch sind. Die Einstufung beruht weitgehend auf Befunden beim Menschen. R1AF (ehemals RF1) bedeutet, dass sich die Reproduktionstoxizität auf die Fruchtbarkeit oder Sexualität bezieht, R1AD (ehemals RE1) bedeutet, dass sich die Reproduktionstoxizität auf die Ent- wicklung bezieht. • Kategorie R1B (ehemals R2) Stoffe, die wahrscheinlich reprodukti- onstoxisch sind. Die Einstufung beruht weitgehend auf Daten aus Tierstudien. R1BF (ehemals RF2) bedeutet, dass sich die Reproduktionstoxizität auf die Fruchtbarkeit oder Sexualität bezieht, bei R1BD (ehemals RE2) betrifft die Reproduktionstoxizität auf die Entwick- lung. Kategorie R2 (ehemals R3) Stoffe, die möglicherweise beim Men- schen reproduktionstoxisch sind. Stoffe werden dann in die Kategorie R2 einge- stuft, wenn Befunde beim Menschen oder bei Versuchstieren vorliegen, die ei- ne Beeinträchtigung der Sexualfunktion und Fruchtbarkeit (R2 F; ehemals RF3) 21
1.6 Beziehung zwischen Diese Einteilung beruht auf Überlegun- gen der DFG und die Klassifizierung fruchtschädigender stimmt weitgehend mit derjenigen der Wirkung und MAK-Wert DFG überein. Im Gegensatz zur R-Notati- on beschreibt diese Einteilung die Bezie- (SS-Klassen) hung der entwicklungstoxischen Eigen- schaft eines Stoffes in Bezug zum MAK-Wert – demgegenüber charakteri- Die MAK-Werte gelten für gesunde Perso- siert die R-Notation die Entwicklungsto- nen im erwerbsfähigen Alter. Die epide- xizität als Eigenschaft eines Stoffes an miologischen und experimentellen Unter- sich, ohne Bezug zum MAK-Wert. Es ist suchungen zeigen aber, dass die deshalb zum Beispiel möglich, dass ein Applikation der MAK-Werte für gesunde Stoff zwar mit einem RD versehen wurde, schwangere Frauen nicht ohne Vorbehalt hingegen keine SS-Notation aufweist: In möglich ist, da auch bei ihrer Einhaltung diesem Fall ist nicht bekannt, bei wel- der sichere Schutz des ungeborenen Kin- cher Konzentration die reproduktionsto- des vor fruchtschädigenden Wirkungen xische Eigenschaft des Stoffes zum Tra- der Stoffe nicht immer gewährleistet ist. gen kommt. Umgekehrt gibt es Stoffe, die zwar eine SS-Notation, hingegen kei- Für die Beschäftigung von schwangeren ne RD-Notation aufweisen; der Grund und stillenden Arbeitnehmerinnen wird auf dieser Konstellation liegt darin, dass die die Verordnung 1 vom 10. Mai 2000 zum beiden Notationen von verschiedenen Arbeitsgesetz (ArGV1) und die Verord- Gremien vergeben werden und nicht auf- nung des EVD vom 20. März 2001 über einander abgestimmt sind. gefährliche und beschwerliche Arbeiten bei Schwangerschaft und Mutterschutz Kanzerogene Stoffe ohne Wirkschwelle (Mutterschutzverordnung) verwiesen. werden keiner SS-Gruppe zugeteilt. E xpositionen gegenüber solchen Stoffen In der schweizerischen Grenzwertliste sind ohnehin generell zu vermeiden teilen wir fruchtschädigende Stoffe in fol- oder möglichst tief zu halten. gende drei Gruppen ein: Kategorie SSA Eine Schädigung der Leibesfrucht kann auch bei Einhaltung des MAK-Wertes auf- treten. Kategorie SS B Eine Schädigung der Leibesfrucht kann auch bei Einhaltung des MAK-Wertes nicht ausgeschlossen werden. Kategorie SSC Eine Schädigung der Leibesfrucht braucht bei Einhaltung des MAK-Wertes nicht be- fürchtet zu werden. 22
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